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Die Gesellschaft zwischen Pathos und Nüchternheit

Theodor Geiger Gesamtausgabe- Abteilung VII: Erkenntnis, Aufklärung und Demokratie. Band 3- Herausgegeben und erläutert von Klaus Rodax

von Klaus Rodax (Band-Herausgeber:in)
©2018 Andere CVIII, 504 Seiten

Zusammenfassung

«Das Mißverhältnis zwischen Gesellschaftsstruktur und dem psychischen Habitus des Menschen hat seinen Grund nicht in einer Entartung des Gesellschaftsaufbaus, sondern darin, daß ‹der Mensch in seiner persönlichen Entwicklung› zurückgeblieben ist. Die objektive Zivilisation ist der subjektiven vorausgeeilt und davongelaufen. Gemessen an der objektiven Kultur und Zivilisation sin die Menschen Schwachköpfe. Es geht darum die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen auf jene Stufe zu heben, die dem Aufbau der Gesellschaft entspricht» (Theodor Geiger).

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsübersicht
  • Vorrede
  • Klaus Rodax
  • Die Gesellschaft Zwischen Pathos und Nüchternheit
  • Inhaltsverzeichnis
  • Offener Brief an den Leser
  • Prolog: Aufruhr der Gefühle
  • Erstes Buch: Die Gesellschaftliche Wirklichkeit
  • I. Die Massengesellschaft in der Neuzeit
  • II. Die gesellige Lebenswelt des Menschen der Gegenwart
  • Zweites Buch: Gefühlsgemeinschaft auf Irrwegen
  • III. Societas hominis sapientis
  • IV. Die Legende von der Volksgemeinschaft
  • V. Nationalgefühl und Klassenbewußtsein
  • VI. Des Kaisers Bart
  • Drittes Buch: Die nüchterne Gesellschaft
  • VII. Die Bande der Großgesellschaft
  • VIII. Vollendung der unterbrochenen Aufklärung
  • IX. Die Schicksalsstunde der Demokratie
  • Epilog
  • Apparat
  • Editorischer Bericht
  • Erläuterungen
  • Personenregister
  • Sachregister
  • Reihenübersicht

VORREDE

I.

Es gibt im Geistesleben nur wenige Gebiete, auf denen in den letzten Jahrzehnten nicht Wortgefechte über den jeweiligen Kanon der bedeutsamen Werke geführt worden wären, wobei das Ergebnis – je nach sozialem Standort und Zeitumständen – sicherlich auch unterschiedlich je nach Wissenschaftsdisziplin ausfällt. Anders als vielleicht die Meisterwerke von Dichtern und Prosaschriftstellern, die als mustergültige Werke in die Literaturwissenschaft eingegangen sind, fallen soziologische Werke wohl schneller dem Vergessen anheim oder überdauern – nun selbst Teil der Fachgeschichtsschreibung – als Gegenstand zeitgeschichtlicher Studien. Das allein verdient schon deshalb einige Aufmerksamkeit, weil ihre Entstehungsgeschichte Einblicke in bestimmende Forschungszusammenhänge und Denkschulen eröffnet, ihre Wirkungsgeschichte Rückschlüsse auf gesellschaftliche Erwartungen und Entwicklungen erlaubt. Dabei gilt zumeist als zeitgemäß, was die wissenschaftliche und öffentliche Auseinandersetzung gegenwärtig maßgeblich bestimmt. Doch dieses Um-sich-selbst-Kreisen verdeckt, daß jede Wissenschaftlergeneration ihre eigenen „Götter“ hatte und hat und sich wenig genötigt sah, auch nur einen Schritt weiter über sie hinauszudenken. So haben es erfahrungsgemäß die einen eigenen, neuen Weg einschlagenden Soziologen in der Zunft schwer, anerkannt zu werden.

Das kann natürlich kein Grund zur Freude und Genugtuung sein, wirkt doch alles, was ein von Vernunft und scharfem Urteilsvermögen getragenes Gegengewicht zur vorherrschenden soziologischen Richtung bildet, vielfach überzeugender und ermutigender als das oft in hergebrachten Bahnen verlaufende soziologische Denken, wenn es einen grund ← IX | X sätzlich anderen Lösungsweg zu ein und derselben gesellschaftlichen Frage, neue wissenschaftliche Erkenntnisse und eine schlüssigere Erklärung dafür anbietet. Allerdings verdient man sich die Bedeutung nicht nur durch das Werk allein; es gehört auch Leidenschaft dazu, die, gepaart mit einer besonderen Arbeits- und Berufsethik, ihm weitere Anerkennung verleiht. Die Frage, ob ein grundlegendes Werk nur eine Fußnote in der Fachgeschichtsschreibung der Soziologie bleibt und allenfalls ein Achselzucken hervorruft, selbst wenn man „ein Verblassen des Ruhmes im historischen Rückblick1 berücksichtigt, sollte deshalb unvoreingenommen untersucht werden und könnte in der Folge die Liste der soziologisch für verbindlich und bedeutsam erklärten Fachliteratur bereichern. Als überzeugend kann ein Werk gelten, das eine neue Sichtweise erschließt und einen gesellschaftlich wie persönlich weiterentwickelt.

Geigers erst lange nach seinem Tode erschienenes und vor allem international vielbeachtetes Werk „Die Gesellschaft zwischen Pathos und Nüchternheit“2 zeugte von diesem widersprüchlichen Ringen um Anerkennung in der soziologischen Zunft und hatte sein eigenes Schicksal als Buchmanuskript, wie noch zu zeigen sein wird. Es machte, wie der Titel schon ausdrückt, die Gesellschaft zum Mittelpunkt einer ideologiekritischen Beschreibung und Analyse. Geiger knüpfte dabei an ein altes Thema an, das unter der Bezeichnung „Werturteilsstreit“ wie kein anderer Gegenstand die Gelehrten, die um das Verhältnis zwischen Wissenschaft und Praxis bemüht waren, über ein Jahrhundert hinweg immer wieder beschäftigte. Bereits in der Gründungsphase der „Deutschen Gesellschaft für Soziologie“ 1909 gehörte es zu den Hauptthemen und führte zu scharfen kontroversen Diskussionen um die Zulässigkeit von Werturteilen in sozialwissenschaftlichen Erkenntniszielen und Aussagen. Geiger war mit dieser Auseinandersetzung vertraut, und in deren Tradition stand er auch mit seiner Streitschrift im dänischen Positivismusstreit auf der Seite einer metaphysikfreien, positivistisch ausgerich ← X | XI teten Wissenschaft,3 wie sie Max Weber (1864 bis 1920) verstand,4 griff sie dagegen nun unter einem besonderen soziologischen und gesellschaftspolitischen Blickwinkel erneut auf. Der Verzicht darauf, eigene parteiliche Anschauungen mit der fachlichen Wertschätzung des Gelehrten zu bemänteln, findet sich übrigens auch schon in seinen erziehungssoziologischen Abhandlungen aus dem Jahre 1930 „Erziehung als Gegenstand der Soziologie“5 und „Klassenlage, Klassenbewußtsein und öffentliche Schule“6 sowie in seinem „Exkurs: Die Mittelstände im Zeichen des Nationalsozialismus“7. Doch das ist natürlich nicht nur eine Frage der Erkenntnis, sondern mindestens ebensosehr eine Frage der Selbstdisziplin.

Einen unmittelbaren erkenntnistheoretischen Zugriff für seine gesellschaftspolitische Frage im Werturteilsstreit fand Geiger indes erst in der Berührung mit der Uppsala-Schule in der schwedischen Emigration (1943–1945), woraus er Anregung und Lehre geschöpft hatte. Deren wissenschaftliche Bemühungen um eine rechtsphilosophische Begründung einer wertfreien positivistischen Rechtslehre, die unter der Bezeichnung „theoretischer Wertnihilismus“ Eingang in die Erörterungen über Rechtsdenken in Skandinavien fand, so ging er auf den Kern dieser Denkrichtung und zugleich auch auf seinen Haupteinwand gegen sie ein, nahm „den Standpunkt ein, daß Werturteile ebensowenig theoretischen Sinn haben wie die Gefühlsverhältnisse selbst, aus denen sie abgeleitet sind. Da sie aber ‚außer-theoretisch‘ seien, so könne vom theoretischen Standpunkt aus auch nichts gegen sie eingewendet werden. Deshalb die Bezeichnung: theoretischer Wertnihilismus. Seine Anhänger ziehen aus ihrer Lehre keine praktische Folgerung (Hervorhebung vom Herausgeber) – in der Tat sind die Schriften seines Urhebers, ← XI | XII Axel Hägerström, voll von Werturteilen, denen seiner eigenen Aussage nach also nicht die geringste Erkenntnisbedeutung zukommt. Ich werde nun zeigen, daß dies inkonsequent ist, daß vielmehr praktischer Wertnihilismus die unausweichliche Folge des theoretischen ist“ (Seite 265)8 und sprach dementsprechend dem Werturteil der Uppsala-Schule jegliche theoretische Bedeutung ab. Geigers erkenntnistheoretische Zurechtweisung des theoretischen Wertnihilismus der Uppsala-Schule führte ihn aber keineswegs dazu, diese Forschungsrichtung gänzlich zu verwerfen; sie bliebt vielmehr in ihrer Analyse aufgrund einer falschen Annahme, eines falschen Schlusses und auf dieser Annahme und falschem Schluß beruhender falscher Entscheidungen auf halbem Wege stehen. Dabei knüpfte Geiger, worauf noch genauer einzugehen sein wird, in seinen Ausführungen über Werturteile in den „sozialen Gruppen erster Ordnung“ an ihn an und berichtigte ihn zugleich folgenreich in seinen Bemerkungen über geäußerte Werturteile in den „Gesellschaftsgebilden zweiter Ordnung“. Damit stellte er den theoretischen Wertnihilismus gewissermaßen – dies ist seine entscheidende wissenschaftliche Leistung – vom Kopf auf die Füße.9

Der grundlegende erkenntniskritische Ausgangspunkt für diese Gedanken war die Einsicht Geigers, „daß die Entwicklung der menschlichen Persönlichkeit hinter der Entfaltung der Daseinstechnik und Gesellschaftsorganisation zurückgeblieben ist. Die Menschen sind der von ihnen geschaffenen Zivilisation nicht gewachsen. Die Rationalität der Daseinsgestaltung und die Irrationalität der sozialen Haltung widersprechen einander. Wir befinden uns in der merkwürdigen Lage, einen bis ins letzte durchgeklügelten technischen Apparat durch abergläubische Seelen in Gang halten zu wollen, das Wohl und Wehe einer weltumspannenden Gesellschaftsorganisation in die Hände parochial beschränkter Kleinbürger zu legen. Dabei kann nichts Gedeihliches herauskommen. Das Mißverhältnis kann nur dadurch behoben werden, daß der Mensch durch Intellektualisierung auf jene Höhe gebracht wird, auf der die soziale Struktur seiner Daseinswelt sich befindet. ← XII | XIII

Hinter dieser Forderung liegt weder das Urteil, die Menschen hätten ‚zu wenig Verstand‘, noch die Absicht, sie gescheiter zu machen. Wie sollte das auch zugehen? Die Menschen haben den Verstand, mit dem sie geboren sind, und wie will man den vermehren? Noch weniger ist daran gedacht, nach den Regeln der Erbbiologie und Zuchtwahl intellektuelle Begabungen auszuhecken. Gemeint ist dagegen, daß die Mehrzahl der Menschen nicht gelernt habe, vollen Gebrauch von ihrem Verstand zu machen, daß er mangelhaft entwickelt sei und teilweise brachliege – und dies dank einem Erziehungs- und Schulsystem, das sein Möglichstes tut, ihn einzuengen und zu verkrüppeln“ (Seite 225).

Geiger zog nun vor dem Hintergrund dieser beiden miteinander verknüpften Fragenkreise in seiner Schrift alle Register seines theorie-, sozial-, wirtschafts- und philosophiegeschichtlichen Sachverstands und schob die herkömmliche Grenzziehung zwischen Wissenschaftszweigen selbstbewußt beiseite. Es ist, wenn man so will, einmal eine persönliche Folgerung aus seiner Schul-, Berufs- und Universitätslaufbahn. Es ist aber ebenso eine richtungsweisende eigene Standortbestimmung, die sich dem Erbe der kritischen Aufklärung verpflichtet weiß. Endlich ist es vor allem jedoch auch eine soziologische und gesellschaftspolitische Einführung in einen entscheidenden gesellschaftlichen Sachverhalt, die, um die Geiger’sche Fachsprache aufzugreifen, Grundlegendes über den „Interdependenzzusammenhang“ zwischen „sozialer Struktur“ (sozialen Klassen und Klassenbewußtsein oder Nationalbewußtsein), „sozialen Gruppen erster Ordnung“ (Primärgruppen = privater Bereich) und „Gesellschaftsgebilden zweiter Ordnung“ (dem Bildungs- und Ausbildungssystem, dem Wirtschafts-, Sozial-, Kultur- und Politiksystem = öffentlicher Bereich) sowie den jeweils damit in Beziehung stehenden unterschiedlichen Voraussetzungen des „kollektiven Wertkultus“ und „praktischen Wertnihilismus“ für das menschliche Gebaren (G) in demokratisch verfaßten kapitalistischen Großgesellschaften herausarbeitete; immer miterörtert werden dabei ihre geschichtlichen Vorläufer und als wichtig angesehenen Vordenker auf diesem Feld. In der Sache selbst stellt sie einen höchst anregenden Gegenvorschlag zur Uppsala-Schule über Bedeutung, Ursachen und Auswirkungen von Werturteilen in den „Gesellschaftsgebilden zweiter Ordnung“ dar und ist zugleich das strukturgebende Gerüst für die Erwägungen in seinem Buch (siehe zur Grundidee des Buches die nachstehend vereinfacht wiedergegebene Übersicht). ← XIII | XIV

Interdependenzzusammenhang (S) zwischen sozialer Struktur, sozialen Gruppen erster Ordnung und Gesellschaftsgebilden zweiter Ordnung und seinen zugrunde liegenden unterschiedlichen Wertungsvoraussetzungen für das menschliche Gebaren (G) in demokratisch verfaßten kapitalistischen Großgesellschaften

img

Geigers Absicht war es, wie es der britische marxistische Soziologe Tom B. Bottomore (1920 bis 1992) in seiner Buchbesprechung in der ihm eigenen kritischen Denkweise klar-verständig herausarbeitete, „to establish clearly a distinction between ideologies and scientific theories, and then to discover means of excluding ideologies from the social sciences. Thus he rejects on one side the attempts, such as that of Mannheim, to reduce all social thought to ideology, and on the other, the attempts to construct a scientific morality. In Demokratie ohne Dogma10 he explores the political implications of these different conceptions.“11 Die wissenschaftliche Auffassung Geigers fußt, wissenschaftstheoretisch gesprochen, dabei nicht auf einer dialektischen Anschauungsweise, also jener damals vorherrschenden „Travestie der Methodologie“, wie man ← XIV | XV in Anlehnung an Herbert Blumer (1900 bis 1987) schreiben könnte,12 sondern beruht auf einer stichhaltigen Gründen und logischen Folgerungen zugänglichen Darstellung und Würdigung der verhandelten Sachverhalte, die mit ebenjener Geiger eigenen Geradlinigkeit streng prüfend und beurteilend sowohl über ihre Bedingungen und Möglichkeiten als auch über die empirische und / oder sachlich-folgerichtige Bedeutung der damit im Einklang stehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse Auskunft gibt. Geiger ist vermutlich vielfach so vorgegangen, die wesentlichen Analysegesichtspunkte nach dem Prüfmodell Vorhersagen (Prädiktoren) =⇒ Aussageverknüpfungen (Junktoren) = Schlußfolgerungen (Konklusionen) einschließlich der ihnen zugrunde liegenden Voraussetzungen (Prämissen) zu untersuchen, die ein kritisches Erkenntnislicht auf die zu beurteilenden Sachverhalte erlaubten. Dabei pflegte er stets wissenschaftlich das zu tun, was ihm im Sinne seines Anliegens geboten erschien und konnte sich auf sichere Kenntnisse, ein umfassendes Studium sowie eine nüchterne Bestandsaufnahme der zu behandelnden Frage verlassen.

Geiger verband damit jedoch gleichzeitig den Anspruch, in seiner Erörterung über so ausnehmend schwierige Fragen ganz bewußt aus dem Rahmen der Soziologie als Fachwissenschaft heraustreten und eine größere neugierige Öffentlichkeit ansprechen zu wollen. Er verfaßte – neben seinen wissenschaftlichen Abhandlungen im engeren Sinne – deshalb auch zahlreiche allgemeinverständliche Schriften und Aufsätze sowie Zeitungsartikel, die wichtige soziale und politische Fragen aufgriffen. Geiger ließ auch hier in seinen Darlegungen keinen Zweifel darüber aufkommen, daß wissenschaftliche Analyse und eigene gesellschaftspolitische Stellungnahme klar voneinander getrennt bleiben müßten. Er betrachtete es dabei als Pflicht des Sozialwissenschaftlers, seine Kenntnisse sprachlich verständlich der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um zu einer besseren, auf sachlich begründeten Aussagen beruhenden Entscheidungsfindung beizutragen. „In Deutschland mit seinem großen Unterschiede zwischen gekünstelter Schriftsprache und lebendiger Volkssprache“, das wußte Geiger aus seinem Unterricht als ehemaliger Volkshochschulpädagoge auch nur allzu gut, „bleiben sehr wei ← XV | XVI ten Leserkreisen viele ausgezeichnete Bücher ewig fremd wegen der Unnahbarkeit ihrer hochgeschraubten, ja verschrobenen Schreibsprache. Nur wenige deutsche Gelehrte besitzen die feine Kunst, ihr reiches Wissen in einer jedem Mittelgebildeten und nach Bildung Strebenden verständlichen Form auszusprechen.“13

Dafür erschien ihm ein „Offener Brief an den Leser“, der guten Willens und verständig war, und die Art und Weise, wie er die entsprechende Darstellung, den Aufbau und die Anordnung des Stoffes in seinem Buch vorbrachte, der geeignete Weg zu sein. Schon im ersten Satz bekennt er: „Die Absicht des Buches, das ich mit einigem Zögern in Ihre Hand lege, ist nicht wissenschaftlich, sondern politisch. Das heißt in meinem eigenen Urteil: ohne Anspruch auf objektive Wahrheitsgeltung“ (Seite 7) – und ist es doch über weite Strecken und in den wesentlichen Teilen. Denn Geiger fügt sogleich erläuternd hinzu: „Damit sage ich nicht, daß die folgenden Seiten nur mit Postulaten bedruckt und also für Sie unverbindlich seien. In diesem Falle wäre es unverfroren, Ihnen den Zeitaufwand des Lesens zuzumuten. Meine politischen – und also für Sie unverbindlichen – Meinungen stützen sich auf theoretische – und also auch für Sie verbindliche – Einsichten. (… ) Sollten Sie (… ) frühere Schriften von mir kennen, werden Sie unschwer finden, daß ich von manchem meiner einstigen Standpunkte abgefallen bin. Schmieden Sie daraus keine Argumente gegen meine heutigen! Zwischen damals und heute liegt viel Weltgeschichte, aus der ich gelernt und Erfahrungen geschöpft habe, liegt aber auch eine theoretische Entwicklung, die mir rückblickend folgerichtig erscheint. In den sechzehn Jahren, die seit dem Erscheinen meiner letzten auf Deutsch erschienenen Schriften vergangen sind, habe ich mich viel und von vielen Seiten mit Fragen der Ideologie, der Propaganda, der Wertphilosophie, der Soziologie der Erkenntnis beschäftigt. Das Endergebnis sind die hier vorzutragenden, unorthodoxen Anschauungen“ (Seite 7 f.), die seine eigenen wissenschaftlichen Irrungen und Wirrungen in der Vergangenheit nicht bemäntelten, keine Meinungen ungeprüft übernahmen und entschieden Aufruhr „gegen öffentlich approbierte Glaubenssätze“ (Seite 8) stifteten. Anders gesagt: seine eigenen soziologischen und gesellschaftspolitischen ← XVI | XVII Überlegungen waren für ihn nicht unantastbar, sondern wurden verworfen, sobald sich die Wirklichkeit verändert hatte und sie ihn folglich nicht mehr zu überzeugen vermochten.

Das genau macht indessen zugleich den besonderen Reiz der Geiger’schen Betrachtungen aus, seine soziologischen Einsichten auf dem Feld der Gesellschaftspolitik geltend zu machen und daran zu erinnern, daß sie eben nur allzuoft zerstört, was sie durch Kollektive (etwa: Volksgemeinschaft, Nationalbewußtsein, Klassenbewußtsein) zu retten vorgibt: den Menschen.14Inhaltlich besteht seine Eigenart – gerade unter den deutschen Soziologen seiner Generation – darin,“ worauf der kritischbürgerliche Handlungstheoretiker Heinrich Popitz (1925 bis 2002) ebenso aufmerksam machte wie es ein Vierteljahrhundert zuvor auch schon der marxistische Gesellschaftstheoretiker Bottomore tat, „dass er ein von Grund auf politischer Soziologe ist. Schon in seinen Anfängen – z. B. in ‚Die Masse und ihre Aktion‘ – und dann weiter in der Sozialen Schichtung des deutschen Volkes, in der Rechtssoziologie und den Überlegungen zu den Aufgaben der Intelligenz bis hin zum grossen Demokratie-Buch: Es sind politische Fragen, die ihn treiben. (Selbst die Untersuchung über die sozialen Umschichtungen in einer dänischen Mittelstadt endet in politischen Thesen über Demokratie, gesellschaftliche Offenheit und Mobilität.) Selbstverständlich ist auch das provokante Bekenntnis zu einem theoretischen und praktischen Wertnihilismus eine politische These, eine ← XVII | XVIII These zur erhofften neuen Phase der Aufklärung.“15 Dieses Lob hatte durchaus Gewicht, weil Popitz und Bottomore als Gegenspieler im selben Fach wie Geiger auftraten, wenn sie auch allzusehr die gesellschaftspolitische Betonung der Geiger’schen Überlegungen in ihrem Urteil in den Vordergrund rückten und die ihr zugrunde liegenden theoretischen Erwägungen zu wenig beachteten.

Geiger vermochte es jedenfalls – dank seines offenen, verschiedene Sichtweisen einbeziehenden Begründungsstils und Wissens sowie guten Gedächtnisses –, einen gedanklichen Bogen zwischen Vergangenheit und Gegenwart durch Rückgriffe auf sozial-, wirtschafts- und kulturhistorische Bedingungen der Gesellschaftsstruktur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu schlagen. Er war ein unermüdlicher Arbeiter und ein unersättlicher Leser der (Fach-)Literatur und übersah wohl nur sehr wenige Beiträge von Bedeutung. Daraus ergab sich für ihn, was und wer es wert sei, kritisch unter soziologischen, wertphilosophischen und erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten erörtert zu werden und führte ihn zu handfest-politischen Folgerungen. Geiger zählte damals nicht nur dieses Werks wegen zur Spitzengruppe soziologischer Forscher, „whose writings are among the most original and scholarly contributions to recent sociology“16, und genoß internationale Reputation. Und er war sich sehr wohl bewußt, in seinem Werk „Ansichten zu äußern, die gewohnten Vorstellungen zuwiderlaufen, von eingefahrenen Gedankenspuren abweichen. Aber schreibt man eigentlich Bücher, um dem Leser in erbaulicher Form Dinge zu sagen, mit denen er innig übereinstimmt, weil er schon selber so gedacht hat – oder um zum Beschreiten neuer Gedankenbahnen anzuregen?“ (Seite 7) Das machte ihn schon zu seinen Lebzeiten zu einem für Leser zwei ← XVIII | XIX fellos recht unbequemen, für den unabhängigen, eigenständigen Geist jedoch aufrechten Sozialwissenschaftler, der aus dem Erfahrenen und Erlittenen die entsprechenden Lehren zog. Es überrascht deshalb keineswegs und war auch nicht anders zu erwarten gewesen, daß sein fertiges Buchmanuskript schon vor dem Druck heftigen Angriffen vor allem im Hinblick auf Forschungslogik und „philosophy of science“ aus bestimmten Kreisen der Sozialwissenschaften ausgesetzt war, worauf noch zurückzukommen sein wird.

Gleichwohl, oder möglicherweise gerade darum, wurde Geigers Buchmanuskript erst sehr viel später verlegt, als ursprünglich von ihm zu Beginn des Jahres 1950 erhofft. Damit hatte es in mehrfacher Hinsicht eine besondere Bewandtnis: „Ich war nach dem unerwarteten Tode Theodor Geigers (1952)“, so hielt René König (1906 bis 1992)17 in seiner Biographie fest, „mit dem Druck seines nachgelassenen Werkes befaßt, dessen Veröffentlichung das Frankfurter Institut (wie auch in anderen Fällen) um jeden Preis zu verhindern suchte, womit es einen großen deutschen Verleger veranlaßte, vertragsbrüchig zu werden.“18 Königs Versuch, sich als Brückenbauer zwischen der skandinavischen und deutschen Soziologie zu betätigen und Geigers Werk in der Bundesrepublik einem größeren Kreis bekannt zu machen, war vorerst gescheitert. „So konnte Geigers Buch ‚Die Gesellschaft zwischen Pathos und Nüchternheit‘ erst 1960 in Dänemark erscheinen, wo ihm die Universität Aarhus zum zweiten Mal ein Asyl gab – fünfzehn Jahre nach dem Kriege (eine deutsche Ausgabe erschien erst 1963). Das allein läßt ermessen, was für ein Dorn im Auge dieses Werk den vielen deutschen Dunkelmännern sein mußte.“19 ← XIX | XX

Eine Schlüsselrolle fiel, René König deutete es ja bereits an, ohne ihn indes namentlich zu erwähnen, dem Kölner belletristischen und politischen Verleger Joseph Caspar Witsch (1906 bis1967) zu, dessen Verhalten und Zusagen über den Erscheinungstermin des Buchmanuskripts im Briefwechsel mit Geiger es verdient, als authentische Quelle wiedergegeben und nachgezeichnet zu werden. Auch wenn er nicht vollständig ist, so ergibt sich doch aus ihm ein klares Gesamtbild.20 Es kann aber nicht Sinn dieses Briefwechsels sein, der sich über einen langen Zeitraum erstreckte – und ist natürlich auch nicht das eigentliche Anliegen – vorschnell Schuldzuweisungen auszusprechen. Vielmehr geht es darum, Aufklärung über Tatsachen und Argumente zu geben – Gesichtspunkten also, die alle anderen zurückdrängen müssen. Freilich schließt das entschiedene Bewertungen nicht aus, wenn sie von der Sache her gerechtfertigt und begründet erscheinen.

Geiger erging es damals offenkundig zunächst nicht viel anders, als einige Jahre später auch der Politologin und Publizistin Hannah Arendt (1906 bis 1975), die mit Witsch über die Veröffentlichung einer deutschen Fassung ihres Buches über Rahel Varnhagen21 korrespondiert und persönlich verhandelt hatte, aber anschließend ihrem Mann, dem Philosophen Heinrich Blücher (1899 bis 1970), mitteilte, Witsch „nicht traue[n]“ zu können22 und, wie sie wenige Tage darauf wiederum an ihren Mann schrieb, diesen Plan aufgab und sich für den Piper Verlag entschied, „weil Herr Witsch sehr unzuverlässig ist, typisch deutsch, so daß man nie weiß, woran man ist. (… ) Witsch so eine Art ← XX | XXI Kurt Wolff23, nur auf einem viel niedrigeren Niveau. Man warnt allgemein vor ihm, und ich habe keine Lust, nachher mit Anwälten mein Honorar aus ihm herauszukriegen.“24

Geiger war also auch damals schon – wir schreiben das Jahr 1950 – offenbar kein Einzelfall und bekam es mit einem ausgebufften Verleger und Geschäftsmann zu tun. Der umtriebige Verleger verstand es, durch seine Schläue und Gewandtheit für sich einzunehmen. Aus diesem Grund konnte man zu einer so vielschichtigen Persönlichkeit wie Witsch als Schriftsteller „kein einfaches Verhältnis gewinnen“, so erinnerte und beschrieb Dieter Wellershoff, der im Verlag Kiepenheuer & Witsch Ende der fünfziger Jahre das Wissenschaftslektorat übernahm, aus langjähriger Beobachtung noch sehr wohlwollend Witschs Rolle: „Oft erschien er mir als Glücksritter und Phantast, der die Menschen blenden konnte, aber genauso häufig selbst von etwas geblendet war. Von Anfang an aber gefiel mir die Lebensleidenschaft, die ihn erfüllte. Er war wie alle Aufsteiger ein Kämpfer, der sich ein möglichst großes Stück aus dem Kuchen des Lebens herausreißen wollte, aber es machte ihn sympathisch, daß ihm die kalte Cleverness und Zielstrebigkeit der wirklichen Erfolgsstrategen fehlte. Er war ein typischer Verleger der Expansionsjahre.“25

II.

Geiger vertraute aber – im Unterschied zur Skepsis Hannah Arendts oder auch der des marxistischen Soziologen Leo Kofler (1907 bis 1995)26 ← XXI | XXII – wohl allzu sehr den Worten Witschs, mit dem er ja keine schlechten Erfahrungen bei seinem Debütband im Verlag, der Streitschrift „Die Klassengesellschaft im Schmelztiegel“ (1949), gemacht hatte, die sowohl ins politisch-ideologische Programm des Verlags Gustav Kiepenheuer und ihres Verlagsleiters Witsch paßte27 als auch seinem Bildungsverständnis, der Leserschaft ein umfassendes Grundlagenwissen „über die Welt und über den Menschen zur Verfügung zu stellen“28, entsprach. Auch besaß Geiger über sein neu zu verlegendes Buchmanuskript einen rechtskräftig abgeschlossenen Verlagsvertrag, der ihn verpflichtete, die Arbeit daran möglichst bis Ende Februar 1950 fertigzustellen. Handschriftlich – so wie er alle seine Publikationen zunächst abgefaßt hatte – feilte er bis zuletzt daran, dachte darüber nach, schrieb, strich aus, schrieb neu. Er hielt sich, wenn auch unter großen Mühen, an den Abgabetermin.29 Er hatte dann – bis auf eine versehentlich nicht übersandte Beilage in einem Briefnachtrag, die noch eine gewisse Rolle spielen wird, und seinen Dank für die übermittelten Weihnachts- und Neujahrsgrüße Witschs – aber längere Zeit keinen brieflichen Austausch mehr mit dem Verleger und hörte folglich auch nichts mehr über sein Buchmanuskript. Das beunruhigte, ja verstimmte Geiger zusehends und veranlaßte ihn schließlich, ← XXII | XXIII seine Verwunderung Witsch gegenüber in einem weiteren Schreiben darüber auszudrücken und sich halb ironisch, halb verständnislos nach dem schon ein Jahr im Verlag liegenden „Schicksal des Jubilars“ und nach dem „Stand der Dinge“ zu erkundigen. Ihm schien der zeitliche Abstand zwischen der Abgabe des Manuskriptes Ende Februar 1950 und der schon erfolgten Verlagsankündigung im „vorjährigen Katalog“ im Herbst 1950 „schon mit Seitenzahl (und Preis?)“ sehr merkwürdig und erklärungsbedürftig zu sein. Auch befürchtete er wohl, der Verleger könnte die Herausgabe des Manuskriptes aus ihm bislang unbekannten Beweggründen verzögern. Welche Ursachen auch immer dafür ausschlaggebend gewesen sein mögen: Geiger wollte nun endlich Gewißheit von Witsch über den Fortgang des Drucks und den Erscheinungstermin des Buchmanuskriptes erlangen.

ARHUS UNIVERSITET

Institut for Samfundsforskning

Institute of Social Research

img

AARHUS, d. 16. Mai 1950.

Verlag Gustav Kiepenheuer,

Köln-Riehl.

Sehr verehrter Herr Dr. Witsch,

durch ein Versehen fehlte in meinem Brief von gestern die im Brief erwähnte Beilage.30 Ich liefere sie hiermit nach.

Mit den besten Grüssen Ihr sehr ergebener

Geiger31 ← XXIII | XXIV

ARHUS UNIVERSITET

Institut for Samfundsforskning

Institute of Social Research

img

AARHUS, d. 2. Januar 1951.

Verlag Gustav Kiepenheuer, Köln.

Lieber Herr Dr. Witsch,

Ihnen und dem Verlag meinen besten Dank für Ihre Weihnachts- und Neujahrsgrüsse und die wertvolle Buchausgabe, mit der Sie mich bedacht haben.32

Joseph Roth hat mich während der Feiertage erbaut. Ich habe ihn in seiner Münchener Zeit flüchtig gekannt und mehrfach in Bohèmekreisen seligen Angedenkens getroffen. Wie ich sehe, ist eine Neuausgabe seines „Hiob“ geplant.33 Würden Sie mir einen Wink geben, wenn sie erscheint? Mein aus Deutschland mitgebrachtes Exemplar ist geschenkweise bei dänisch-jüdischen Freunden gelandet, die ebenso tief davon beeindruckt waren, wie ich selbst seinerzeit.

Mit den besten Grüssen und Wünschen für 1951
Ihr sehr ergebener

Th. Geiger34

ARHUS UNIVERSITET

Institut for Samfundsforskning

Institute of Social Research ← XXIV | XXV

img

AARHUS, d. 12. Februar 1951.

Verlag Gustav Kiepenheuer,

Köln,

Hansaring 43.

Lieber Herr Dr. Witsch,

Es wird in diesen Tagen ein Jahr, seit ich Ihnen das MS zu einem Buch noch unbestimmten Titels sandte, und ich benütze das Jubiläum als Anlass, nach dem Schicksal des Jubilars zu fragen. Im November teilten Sie mir mit, dass der Satz im Dezember begonnen und schnell fortgeführt werden solle. Von Bekannten habe ich sogar Anfragen bekommen, aus denen hervorgeht, dass das Buch in Ihrem vorjährigen Katalog schon mit Seitenzahl (und Preis?) angekündigt war.35

Bitte, senden Sie mir ein paar schonungslose Zeilen mit der unversüssten Wahrheit über den Stand der Dinge.

Mit besten Grüssen

Ihr sehr ergebener

Th. Geiger36 ← XXV | XXVI

Witsch antwortete sogleich und beschwichtigend auf Geigers doch von einigem Spott erfüllten und von unterschwelligem Argwohn getragenen Brief. Er verwies als Erklärung für die Verzögerung vor allem auf das notwendige Beschaffen hochwertigen Druckpapiers und auch auf drucktechnische Schwierigkeiten des Verlags im Weihnachtsgeschäft hin. Gleichzeitig sicherte Witsch Geiger jedoch verbindlich zu, sein Buchmanuskript noch im Jahr 1951 drucken zu lassen und bekundete weiterhin sein Interesse an dessen „Soziologie“.

Dr. W/g37

17. Februar 1951

Herrn

Professor Theodor Geiger

Aarhus Universitet

Aarhus / Dänemark

 

Lieber und verehrter Herr Professor!

Schönen Dank für Ihre etwas besorgte Anfrage vom 12. Februar.

Das Buch ist in der Tat im November / Dezember vorigen Jahres noch nicht in Satz gegangen, weil wir einfach in dem Weihnachtstrubel nicht zu der drucktechnischen Vorbereitung gekommen sind. Das Buch ist jedoch jetzt vorgesehen. Sie können sich fest darauf verlassen, daß es noch in diesem Jahr erscheinen wird. Wir haben zwei sehr große Objekte in Arbeit: eine Volksausgaben-Reihe38 und eine Taschenbuchreihe39. Wir sind dadurch papiermäßig etwas in der Klemme, hoffen aber, daß die Papierfrage sich auch im Lauf der nächsten Monate lösen ← XXVI | XXVII wird. Unsere Entscheidung fiele uns wesentlich leichter, wenn wir uns zu der Verarbeitung von mittelfeinem, also nicht ganz holzfreiem Papier entschliessen könnten, aber das wollen wir gerade bei Ihrem Buch nicht und nehmen lieber eine Verzögerung in Kauf.

Vermerken Sie bitte, daß wir nach wie vor an der Soziologie interessiert sind. Seien Sie über die Verzögerung nicht ungehalten. Sie hängt mehr mit der Papierfrage zusammen als mit den anderen genannten Dingen, weil es ja sinnlos ist, die Satzkosten schon festzulegen, bevor wir wissen, für welche Auflage wir Papier zur Verfügung stellen können. Wir dachten an eine Auflage von 2.000, aber das Buch ist sehr umfangreich und braucht eine Menge Papier.

Mit herzlichen Grüssen
Ihr sehr ergebener40

Geiger dankte freundlich für Witschs Antwort. Er war nach wie vor ungehalten über die bislang noch nicht erfolgte Drucklegung seines Buchmanuskripts, das Witsch immer noch nicht in den Satz gegeben hatte, obwohl ihm das schon lange zugesichert war. Jedoch hatte er jetzt immerhin eine verbindliche Auskunft Witschs vorliegen, es noch im Jahr 1951 erscheinen lassen zu wollen, was seine Zweifel erst einmal zerstreut haben dürfte und ihn weiterhin sich in Geduld fassen ließ. Allerdings war Geiger sich wohl auch bewußt, nicht mehr in Händen zu halten, als Witschs vages Versprechen über das Erscheinungsjahr, also wohl nicht mehr als eine bloße Absichtsbekundung und beschwichtigende Geste. Mit der Papierfrage oder mit ein paar nichtssagenden Redensarten als Begründungen konnte Witsch sich jetzt indes nicht mehr so leicht aus dieser für ihn allmählich unangenehm werdenden Lage ziehen. Die „Soziologie“, so ließ Geiger Witsch zuvor noch wissen, an dessen deutscher Überarbeitung er augenblicklich wegen seiner internationalen Forschungsverpflichtungen nicht schreiben könne, die ihm aber als Lehrbuch im deutschen Sprachraum sehr wichtig war, behandelte sie doch als eines der ersten Bücher den „Stand der Forschung“ in seinem ← XXVII | XXVIII → Fach, habe er keineswegs aus den Augen verloren; die Arbeit daran werde er bald wiederaufnehmen, und sie sei in weiten Teilen auch schon niedergeschrieben und abgeschlossen.

ARHUS UNIVERSITET

Details

Seiten
CVIII, 504
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631766286
ISBN (ePUB)
9783631766293
ISBN (MOBI)
9783631766309
ISBN (Paperback)
9783631766187
DOI
10.3726/b14593
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Februar)
Schlagworte
Vollendung der unterbrochenen Aufklärung Die Schicksalsstunde der Demokratie Die Lebenswelt des Menschen Die Massengesellschaft der Neuzeit Die Bande der Großgesellschaft
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien. 2018. CVIII, 504 S., 1 b/w Abb., 6 Tab.

Biographische Angaben

Klaus Rodax (Band-Herausgeber:in)

Theodor Geiger (1891 bis 1952) war von 1928 bis zu seiner Entlassung 1933 durch die Nationalsozialisten wegen «nationaler Unzuverlässigkeit» Professor für Soziologie an der Technischen Hochschule Braunschweig. Mit seiner Berufung 1938 an die Universität Aarhus (Dänemark) wurde er zum Wegbereiter soziologischer Forschung und Lehre in Skandinavien. Geiger war erster Vorsitzender sowohl der «Nordischen Gesellschaft für Soziologie» und der «Dänischen Gesellschaft für Soziologie» als auch Mitbegründer der «International Sociological Association». Klaus Rodax ist Herausgeber der Theodor-Geiger-Gesamtausgabe.

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Titel: Die Gesellschaft zwischen Pathos und Nüchternheit
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