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Der V-Manneinsatz durch Polizei und Verfassungsschutz

von Anna Luise Decker (Autor:in)
©2018 Dissertation 250 Seiten

Zusammenfassung

V-Leute werden zu strafprozessualen Zwecken eingesetzt, obwohl für sie keine Rechtsgrundlage in der Strafprozessordnung besteht. Ähnlich stellte sich die Situation bis vor kurzem im Bereich der Nachrichtendienste dar. 2016 hat der Gesetzgeber mit den §§ 9a, 9b BVerfSchG reagiert und erstmals eine Regelung für den nachrichtendienstlichen V-Manneinsatz geschaffen. Dadurch wurde auch der Druck auf den Gesetzgeber erhöht, auf dem Gebiet des Strafverfahrensrechts ebenfalls tätig zu werden. Die Autorin bezieht die 2016 eingeführte Neuregelungen des BVerfSchG in die Diskussion ein. Sie zeigt die Notwendigkeit einer strafprozessualen Regelung auf und unterzieht die Anforderungen an eine solche Normierung und die Handlungsmöglichkeiten des Gesetzgebers einer vertieften Analyse.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Einleitung
  • Teil 1: Strafrechtliche Ermittlungen durch den V-Mann
  • § 1 V-Mann-Einsätze in Deutschland
  • I. Begriffsbestimmung
  • II. V-Mann-Einsatz zum Zwecke der Gefahrenabwehr
  • III. V-Mann-Einsatz zum Zwecke der Strafverfolgung
  • 1. Verdeckte Ermittlungen
  • 2. Zusammenarbeit mit der Polizei
  • 3. Einsatzfelder
  • IV. Abgrenzung von anderen nicht offen geführten Ermittlungen
  • 1. Verdeckter Ermittler
  • 2. Nicht offen ermittelnder Polizeibeamter
  • 3. Agent Provocateur
  • 4. Informant
  • V. V-Mann-Einsatz durch den Verfassungsschutz
  • 1. Nachrichtendienste in Deutschland
  • 2. Bundesamt für Verfassungsschutz
  • a) Aufgaben
  • b) Kompetenzen
  • aa) Generalklausel gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG
  • bb) Nachrichtendienstliche Mittel gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 BVerfSchG
  • 3. Landesämter für Verfassungsschutz
  • 4. Bundesnachrichtendienst
  • 5. Militärischer Abschirmdienst
  • 6. Ziviler Bereich
  • 7. V-Mann der Verfassungsschutzbehörden
  • 8. Einsatz und Aufgaben
  • VI. Trennung von Polizei und Nachrichtendiensten
  • 1. Ausprägungen des Trennungsgebots
  • a) Befugnistrennung
  • b) Informationelle Trennung
  • c) Organisatorische Trennung und personelle Trennung
  • 2. Dogmatische Herleitung des Trennungsgebots
  • 3. Historische Rechtfertigung der Trennung
  • 4. Sinn und Zweck des Trennungsprinzips in der heutigen Zeit
  • VII. Abgrenzung des zur Strafverfolgung eingesetzten V-Mannes der Polizei von dem des Verfassungsschutzes
  • VIII. Rechtliche Stellung des V-Mannes
  • 1. Staatliche Zurechnung des Verhaltens
  • a) Meinungsstand in der Rechtsprechung
  • b) Meinungsstand in der Literatur
  • c) Ausgestaltung des Außenverhältnisses zwischen V-Mann und Einsatzbehörde
  • aa) Privatrechtlich Handelnder
  • bb) Angestellter im Öffentlichen Dienst
  • cc) Beliehener
  • dd) Verwaltungshelfer
  • d) Zurechenbarkeit des V-Mann-Handelns zum Staat
  • 2. Innenverhältnis zwischen V-Mann und Einsatzbehörde
  • 3. Anwendbarkeit des Legalitätsprinzips
  • a) Zur Strafverfolgung eingesetzter polizeilicher V-Mann
  • b) V-Mann des Verfassungsschutzes
  • IX. Ergebnis
  • § 2 Probleme des V-Mann-Einsatzes
  • I. Kriminologische Betrachtung der V-Person
  • II. Verhältnis zwischen V-Mann und V-Mann-Führung
  • III. Exkurs: Staatliche Tatprovokation
  • IV. Ermittlungsakte
  • V. Hauptverfahren
  • 1. Vertraulichkeitszusage
  • 2. Sperrerklärung
  • 3. V-Leute als Informationsgeber
  • 4. Ergebnis
  • § 3 Grundrechtsrelevanz des Einsatzes von polizeilichen V-Leuten zu Strafverfolgungszwecken
  • I. Menschenwürde
  • 1. Schutzbereich
  • 2. Unzulässigkeit von Eingriffen
  • a) Unantastbarer Kernbereich privater Lebensgestaltung
  • aa) „Romeo“-Fälle
  • bb) Aufbau einer engen Vertrauensbeziehung
  • cc) Verdeckte Befragung und ungefragte Entgegennahme von Informationen
  • b) Nemo tenetur se ipsum accusare
  • aa) Ungefragte Entgegennahme von Informationen
  • bb) Verdeckte Befragung des Betroffenen
  • (1) Sog. Hörfallenentscheidung des BGH
  • (2) Kein Erfordernis einer Belehrung über die Aussagefreiheit
  • (3) Keine unzulässige Einschränkung des Nemo tenetur Grundsatzes
  • c) Unzulässige Täuschung gemäß §§ 136a Abs. 1, 163a Abs. 3 StPO
  • d) Umgehung des Täuschungsverbotes des § 136a Abs. 1 StPO
  • aa) Befragung durch den V-Mann
  • bb) Ungefragte Entgegennahme von Informationen
  • II. Informationelles Selbstbestimmungsrecht
  • 1. Schutzbereich
  • 2. Eingriffsbegriff
  • a) Klassischer Eingriffsbegriff
  • b) Moderner Eingriffsbegriff
  • aa) Grundrechtsbindung der V-Person
  • bb) Intensität
  • 3. Eingriff in den Schutzbereich durch staatliches Handeln
  • a) Ungefragte Entgegennahe von Informationen
  • b) Verdeckte Befragung
  • III. Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Strafverfahren
  • 1. Schutzbereich
  • 2. Eingriff in den Schutzbereich durch staatliches Handeln
  • a) Ungefragte Entgegennahme von Informationen
  • b) Befragung durch den V-Mann
  • aa) Zeugnisverweigerungsberechtigte Personen sind absolut geschützt
  • bb) Zeitpunkt der Geltendmachung des Aussageverweigerungsweigerungsrechts
  • IV. Unverletzlichkeit der Wohnung
  • 1. Schutzbereich
  • 2. Eingriff in den Schutzbereich durch staatliches Handeln
  • a) Legendenbedingte Täuschung
  • b) Täuschung zum Zwecke des Eindringens
  • c) Heimliche Durchsuchung
  • V. Ergebnis
  • § 4 Vorbehalt des Gesetzes
  • § 5 Einfachgesetzliche Legitimation des V-Mann-Einsatzes
  • I. Einsatz durch den Verfassungsschutz
  • 1. V-Leute dienen der Aufklärung von „Bestrebungen“
  • 2. Grenzen des V-Mann-Einsatzes gemäß § 9a Abs. 2 BVerfSchG
  • 3. Beschränkung der Strafverfolgung gemäß § 9a Abs. 3 BVerfSchG
  • 4. Parlamentarische Kontrolle gemäß § 9b Abs. 1 Satz 2 BVerfSchG
  • 5. Auswahlkriterien gemäß § 9b Abs. 2 BVerfSchG
  • 6. Änderung der Generalklausel
  • 7. Besondere Form der Datenerhebung gemäß § 9 BVerfSchG
  • 8. Entstehung des Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes
  • a) Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf
  • b) Nationalsozialistischer Untergrund
  • aa) Abschlussbericht des NSU Untersuchungsausschusses
  • bb) Abschlussbericht der BLKR
  • c) Gesetzgebungsverfahren
  • II. Einsatz durch die Polizei zum Zwecke der Strafverfolgung
  • 1. Rechtfertigender Notstand
  • 2. Verdeckte Ermittler
  • 3. Ermittlungsgeneralklausel
  • a) Ermittlungsmethoden nach den §§ 161, 163 StPO
  • b) Durch die §§ 161, 163 StPO legitimiertes V-Mann-Handeln
  • 4. De lege lata
  • a) Einsatzrechtfertigung durch Interessenabwägung
  • b) V-Leute sind Zeugen
  • c) „Erkenntnisse dienen ausschließlich als Spurenansätze“
  • d) Analoge Anwendung der §§ 110a ff. StPO
  • 5. Polizeiliche Generalklausel
  • 6. Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/ -senatoren und der Innenminister/ -senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und Verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung
  • 7. Besondere Mittel der Datenerhebung gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 3 BPolG / § 20g Abs. 2 Nr. 4 BKAG
  • 8. Vorkonstitutionelles Gewohnheitsrecht
  • 9. Unzureichender Regelungszustand
  • III. Ergebnis
  • Teil 2: Entwicklung einer spezialgesetzlichen Grundlage – de lege feranda
  • § 6 Verhältnismäßigkeit des V-Mann-Einsatzes als Ermittlungsmethode
  • I. Zielsetzung des V-Mann-Einsatzes
  • II. Geeignetheit des V-Mann-Einsatzes
  • III. Erforderlichkeit
  • IV. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne
  • 1. Konkurrierende Rechtspositionen
  • 2. Abwägung
  • 3. Grenzen des Einsatzes
  • a) Umgehung der §§ 110a ff. StPO
  • b) Kernbereichsschutz
  • c) Strafrechtlich relevantes Verhalten
  • d) Prozessordnungswidriger Einsatz
  • V. Ergebnis
  • § 7 Bestrebungen des Gesetzgebers hinsichtlich einer entsprechenden Normierung
  • § 8 Übertragung der Normierungen des V-Mannes des BVerfSchG
  • I. Allgemeine Analogiehindernisse
  • 1. Kein verfassungsrechtliches Analogieverbot
  • 2. Analoge Anwendung einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift auf einen strafverfahrensrechtlichen Sacherhalt
  • 3. Trennungsgebot
  • a) Organisatorische und informationelle Trennung
  • b) Befugnistrennung
  • II. Vergleichbarkeit der Interessenlagen
  • 1. Grundsätzliche Auswirkungen der verschiedenen Zielsetzungen der Gesetze
  • a) Identische Eingriffsintensität bei den Betroffenen
  • b) Folgenbetrachtung: Unterschiedliche Verwertung der Erkenntnisse
  • c) Legalitätsprinzip
  • d) Differenzierte verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Maßnahmen
  • e) Ergebnis
  • 2. Keine sinngemäße Übertragung des Wortlauts der §§ 9b, 9a, 9, 8 BVerfSchG auf den polizeilich zu Strafverfolgungszwecken eingesetzten V-Mann
  • a) Partielle Übereinstimmungen
  • b) Subsidiaritätsklausel
  • c) Dauer des Einsatzes
  • d) Abweichende Einsatzlegitmierung
  • 3. Ergebnis
  • § 9 Potenzielle Ausgestaltungen einer gesetzlichen Grundlage
  • I. Systemkonforme Regelung
  • II. Zweck des Einsatzes
  • III. Doppelfunktionale Maßnahmen
  • IV. Verwendung der erlangten Daten
  • V. Einsatzgrund
  • 1. Qualifizierung der Katalogtaten
  • 2. Legitimierende Straftatbestände
  • 3. Erheblichkeit im Einzelfall
  • 4. Verdachtsgrad
  • 5. Subsidiaritätsklausel
  • VI. Begrenzung der Vorstrafen
  • VII. Handlungsbefugnisse
  • VIII. Einsatzbedingte Straftaten
  • IX. Zielpersonenkreis
  • X. Kernbereich privater Lebensgestaltung
  • XI. Anordnungskompetenz
  • XII. Dauer des Einsatzes
  • XIII. Aktenführung und Benachrichtigung
  • § 10 Ergebnisse der gesamten Untersuchung
  • Schlusswort
  • Literaturverzeichnis

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Einleitung

Die Strafverfolgungsbehörden verwenden eine Vielzahl verschiedener Ermittlungsmethoden, um eine Straftat aufzuklären. Die Beamten agieren einerseits offen, andererseits verdeckt. Der Betroffene bekommt von der behördlichen Ausforschung in letzterem Fall gar nichts mit. Auch wenn das transparente Vorgehen im Detail größtenteils nicht gänzlich unumstritten ist, steht bereits die Zulässigkeit des Agierens im Verborgenen an sich zur Debatte. Die von Fichte im Jahr 1976 aufgeworfene Fragestellung: „Verheimlichung ist allemal klein, niedrig und unmoralisch. (…) Wem soll denn der Staat diesen entehrenden Auftrag geben? Soll er selbst zur Ehrlosigkeit und Unmoralität aufmuntern, und sie zur Pflicht machen?“1 hat bis heute nicht an Brisanz eingebüßt. Seither sind unzählige einschlägige Urteile gefällt und viele Aufsätze veröffentlicht. Insbesondere der Einsatz privater Ermittler seitens der Strafverfolgungsbehörden wirft unzählige Fragen auf. Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung dürfen „zur Verfolgung der besonders gefährlichen und schwer aufklärbaren Kriminalität, zu der insbesondere der Rauschgifthandel gehören kann, Vertrauenspersonen der Polizei und verdeckt ermittelnde Polizeibeamte eingesetzt werden.“2 Die genauere Betrachtung dieser Methode und der durch sie erzielten Ermittlungserfolge mündet zwangsläufig in der Feststellung Lüderssens: „V-Leute sind jedoch weniger definiert durch das, was sie tun, als durch die Probleme, die sie aufwerfen.“3 Es stellt sich die Frage, ob es der Zweck ist, der das Mittel heiligt, oder andersherum formuliert: Resultiert die Zulässigkeit des V-Personen-Einsatzes aus dessen Notwendigkeit?

Der Zweck, dem das Mittel des V-Personen-Einsatzes im Strafverfahren dient, ist das allen übergeordnete Ziel eines Strafverfahrens, die Erforschung der ← 1 | 2 → Wahrheit.4 Begrenzt ist die Zweck-Mittel-Relation durch den Grundsatz, dass es keine Wahrheitserforschung um jeden Preis geben darf.5

Kaum eine andere Ermittlungsmethode innerhalb des Strafprozessrechts sorgt für ein derart enormes Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Interesse an der Gewährung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege und den Grundrechten des Beschuldigten. Die Zulässigkeit des V-Mann-Einsatzes an sich, die Ausgestaltung der Maßnahme und die Verwertung der durch sie erzielten Ergebnisse durch das zur Entscheidung berufene Gericht sind nur drei von etlichen Gesichtspunkten, um die eine heftige Debatte nicht verstummt. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die gesetzliche Legitimierung des V-Mannes der Strafverfolgungsbehörden. Von weiten Teilen der Literatur6 und sogar seitens des BVerfG7 werden vermehrt Stimmen laut, die eine Veränderung der derzeit bestehenden Regelungssituation fordern. Durch die Aufklärung der Straftaten des sog. Nationalsozialistischen Untergrundes ist die V-Mann-Thematik erneut auch in das mediale Blickfeld gerückt. Nicht zuletzt aufgrund der zu Tage getretenen Defizite, insbesondere im Rahmen nachrichtendienstlicher V-Personen-Einsätze, haben die nunmehr auch öffentlich erhobenen Forderungen den Gesetzgeber dazu ← 2 | 3 → veranlasst, die Ermittlungsmethode einer gesetzlichen Regelung zu unterziehen. Seit dem 1. Februar 2016 regelt § 9b BVerfSchG als spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage den Einsatz nachrichtendienstlicher V-Personen. Der gesetzmäßige Zustand im Hinblick auf den repressiv eingesetzten polizeilichen V-Mann blieb hingegen unverändert. Gegenstand der hiesigen Bearbeitung ist die Frage, ob sich auch der strafprozessuale Gesetzgeber im Hinblick auf V-Leute zu einer solchen Regelung hätte veranlasst sehen müssen. Ein Hauptaugenmerk gilt dabei der vorgelagerten Thematik, der Verfassungsmäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme an sich. Im Rahmen der weiteren Betrachtung sollen die Auswirkungen der Neuregelung des BVerfSchG auf die Normierungssituation innerhalb der StPO beleuchtet werden.

Zur Diskussion stehen demnach V-Leute, die seitens der Ermittlungsbehörden repressiv eingesetzt werden, d.h. Ermittlungen wegen bereits begangener Straftaten vornehmen. Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf dem – jedenfalls grundsätzlich – konform zu den strafprozessualen Normen agierenden V-Mann der Strafverfolgungsbehörden, der lediglich einsatztypisch vorgeht und nicht zur Begehung von Straftaten provoziert. Der sog. Lockspitzeleinsatz, bei dem private Ermittler Verdächtige anstiften, deckt einen anderen, hier nicht zur Erörterung stehenden Themenbereich ab.

Der Gang der Untersuchung beginnt mit einem Überblick über die Hauptakteure, die Polizei und die Nachrichtendienste und dort insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz. Im Rahmen des Organisationsgefüges der deutschen Sicherheitsbehörden besteht eine Besonderheit, das sog. Trennungsgebot. Die Historie dieses Prinzips und dessen heutige Auswirkungen werden betrachtet. Ferner werden innerhalb der Darstellung auch die durch die Behörden jeweils eingesetzten V-Personen genauer analysiert. Nach der Aufbereitung dieser Grundlagen wird die rechtliche Stellung des V-Mannes erörtert. Im Vordergrund steht dabei die Zurechenbarkeit des Handelns der privaten Ermittler zum Staat. Die Kehrseite der Methode, ihre Probleme und die ihr inhärenten Gefahren bedürfen insbesondere im Hinblick auf den polizeilichen V-Mann-Einsatz zu Strafverfolgungszwecken einer gesonderten Darstellung. Um die derzeit geltende gesetzliche Regelungssituation des repressiv eingesetzten V-Mannes beurteilen zu können, findet im Anschluss eine Prüfung der Grundrechtsrelevanz und der Verhältnismäßigkeit der Ermittlungsmaßnahme statt. Darauf folgt eine Vorstellung der neuen, in das BVerfSchG eingefügten V-Mann-Regelung der Nachrichtendienste. Im Anschluss wird analysiert, ob das geltende Recht in der Lage ist, den polizeilichen V-Personen-Einsatz zu rechtfertigen. Es wird aufgezeigt, inwieweit die parlamentarischen Bestrebungen bisher reichten, um Regelungsdefizite zu beseitigen. Daraufhin wird ← 3 | 4 → die Möglichkeit einer analogen Anwendung der Ermächtigungsgrundlage des V-Mannes des Bundesamts für Verfassungsschutz auf den V-Mann der Polizei überprüft. Als darin enthaltenes Minus wird untersucht, ob sich der Gesetzgeber, sollte er eine spezialgesetzliche Regelung innerhalb der StPO schaffen wollen, an den Normen des BVerfSchG orientieren kann. Abschließend werden die Mindestbestandteile einer potenziell in die StPO einzufügenden Ermächtigungsgrundlage entwickelt.


1 Fichte, Grundlage des Naturrechts, S. 296.

2 BGH, Urteil vom 22.02.1995 – 3 StR 552/94, NStZ 1995, 513; ähnlich: BGH, Urteil vom 21.07.1994 – 1 StR 83/94, NJW 1994, 2904; BVerfG, Beschluss vom 11.04.1991 – 2 BvR 196/91, NStZ 1991, 445; BGH, Urteil vom 23.05.1984 – 1 StR 148/84, NJW 1984, 2300; BGH, Beschluss vom 17.10.1983 – GSSt 1/83, NJW 1984, 247; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1981 – 2 BvR 215/81, NJW 1981, 1719.

3 Lüderssen, in: V-Leute – Die Falle im Rechtsstaat 1998, S. I (IX).

4 BVerfG, Beschluss vom 12.01.1983 – 2 BvR 864/81, NJW 1983, 1043; Rebmann, NJW 1985, 1; Fischer, in: KK-StPO, Einl. Rn. 3; Maluga, Tatprovokation Unverdächtiger durch V-Leute, S. 179.

5 BVerfG, Beschluss vom 19.10.1983 – 2 BvR 859/83, NJW 1984, 428; BGH, Urteil vom 17.03.1983 – 4 StR 640/82, NJW 1983, 1570, BGH, Urteil vom 14.06.1960 – 1 StR 683/59, NJW 1960, 1580; Wagner, NStZ, 1989, 33; Diemer, in: KK-StPO, § 136a Rn. 1; Meyer-Goßner, in: MG/Schmitt-StPO, Einl. Rn. 24.

6 Z.B.: Gercke, StV 2017, 615; Conen, StraFo 2013, 140; Rogall, NStZ 2000, 489; Eschelbach, StV 2000, 390; Lesch, JA 2000, 725; Lagodny, StV 1996, 170; Duttge, JZ 1996, 556; Fezer, 1995, 970; Lilie/Rudolph, NStZ 1995, 513; Maul/Fischer, NStZ 1992, 7; Schwindt, Kriminalisik 1987, 143; Krüger, NJW 1982, 855; Schaefer, Vorbeugung und Bekämpfung der organisierten Kriminalität aus Sicht der Staatsanwaltschaft, S. 166 f.; Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen organisierter Kriminalität, S. 114; Erfurth, Verdeckte Ermittlungen, S. 72; Schmitz, Rechtliche Probleme des Einsatzes Verdeckter Ermittler, S. 152; Brandt, Das Bundesamt für Verfassungsschutz und das strafprozessuale Ermittlungsverfahren, S. 78; Makrutzki, Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß, S. 252; Benfer/Bialon, Rechtseingriffe von Polizei und Staatsanwaltschaft, Rn. 1199; Murmann, Handbuch zum Strafverfahren, III, Rn. 442; Hauck, in: LR-StPO, § 110a Rn. 11; Erb, in: LR-StPO, § 163 Rn. 65; Günther, in: MüKo-StPO, § 110a Rn. 29.; im Hinblick auf V-Leute des Verfassungsschutzes: OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.09.2011 – 5 Sts 5/10, NStZ 2013, 590; a.A.: Friedrichs, Der Einsatz von „V-Leuten“ durch die Ämter für Verfassungsschutz, S. 56 f.

7 BVerfG, Beschluss vom 01.03.2000 – 2 BvR 2017 u. 2039/94, NStZ 2000, 489.

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Teil 1: Strafrechtliche Ermittlungen durch den V-Mann

§ 1 V-Mann-Einsätze in Deutschland

I. Begriffsbestimmung

Der Begriff des V-Mannes steht gemeinhin für eine Vertrauensperson („VP“; auch bezeichnet als Verbindungsperson, V-Person bzw. V-Leute)8, die Abkürzung „V“ hingegen nicht, wie durch Arndt polemisch bezeichnet „für Verrat9 oder etwa für Vertrauen bzw. Verbindung, sondern „Vigilant“ – eine mittelalterliche Bezeichnung für den Nachtwächter.10 V-Personen sind Privatpersonen, die sich bereit erklären, im Rahmen der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung für eine längere Zeit mit der Polizei vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.11 Eine Legaldefinition des zu repressiven Zwecken eingesetzten V-Mannes findet sich in der Anlage D zu den Richtlinien über das Strafverfahren und Bußgeldverfahren (RiStBV)12. Unter Ziffer 2.2 heißt es dort:

„V-Person ist eine Person, die, ohne einer Strafverfolgungsbehörde anzugehören, bereit ist, diese bei der Aufklärung von Straftaten auf längere Zeit vertraulich zu unterstützen, und deren Identität grundsätzlich geheim gehalten wird.“ ← 5 | 6 →

Die bundesweit gültige Polizeidienstvorschrift „Führung und Einsatz der Polizei“ grenzt den Begriff hingegen negativ ab:

II. V-Mann-Einsatz zum Zwecke der Gefahrenabwehr

Die Bundes- und Landespolizei in Deutschland dient grundsätzlich der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und des inneren Friedens. Die Gefahrenabwehr steht daher in den Landespolizeigesetzen immer an vorderster Stelle.14 Bei der Umsetzung dieses Auftrages lässt sich die Arbeit, je nach der Zweckausrichtung der staatlichen Maßnahme, zwei getrennten Bereichen zuordnen.15 Die Beamten handeln zum einen präventiv, zur Abwehr von Gefahren.16 Zur Prävention gehört auch die vorbeugende Bekämpfung von Straftaten.17 Das Polizei- und Ordnungsrecht der jeweiligen Länder bestimmt, dass die Beamten Gefahren für die öffentliche Sicherheit und in einigen Bundesländern auch für die öffentliche Ordnung abzuwehren haben.18 Das Polizei- und Ordnungsrecht der Länder unterliegt dem ← 6 | 7 → Opportunitätsprinzip, es räumt den Beamten bei der Frage des Einschreitens und des Ausführens ihrer Tätigkeit einen Ermessensspielraum ein.19

V-Personen werden durch die Polizei zu zwei unterschiedlichen Zwecken eingesetzt: Einerseits dient das Vorgehen der Gefahrenabwehr, insbesondere der vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten:20 „Dem Einsatz einer VP liegt die von der Rechtsprechung anerkannte Zielsetzung zugrunde, kriminelle Strukturen aufzudecken, ein latentes Kriminalitätspotenzial zu zerschlagen, oder die Fortsetzung von Dauerstraftaten zu verhindern (…). Soweit es bei der Tätigkeit einer VP um reine Informationsbeschaffung ohne konkreten Tatverdacht geht, hat der Einsatz eine gefahrenabwehrende, präventive Zwecksetzung.“21 Auf dem Gebiet des für diesen Einsatz einschlägigen allgemeinen Polizeirechts haben die Länder die Gesetzgebungskompetenz inne.22

Details

Seiten
250
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631766941
ISBN (ePUB)
9783631766958
ISBN (MOBI)
9783631766965
ISBN (Paperback)
9783631766972
DOI
10.3726/b14647
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (November)
Schlagworte
V-Person Nachrichtendienst Neuregelung Strafverfolgung Verdeckte Ermittlungen
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2018. XVIII S., 232 S.

Biographische Angaben

Anna Luise Decker (Autor:in)

Anna Luise Decker studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit dem Schwerpunkt im Bereich der Kriminalwissenschaften. Sie wurde dort auch promoviert. Die Autorin arbeitet als Richterin in Berlin.

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Titel: Der V-Manneinsatz durch Polizei und Verfassungsschutz
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