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Synthesen in der Musik des 19. Jahrhunderts

von Rainer Wilke (Autor:in)
©2016 Monographie 184 Seiten

Zusammenfassung

Musikalisches Material – Themen, Motive, deren Komponenten – erscheint in der Musik des 19. Jahrhunderts im Verlauf von Kompositionen in neuen Zusammensetzungen. Für deren verschiedene Strukturen wird der Begriff «Synthese» mit differenzierenden adjektivischen Bestimmungen eingeführt. Synthesen können unterschiedliche Funktionen im Verlauf der Stücke übernehmen. Der Autor geht den motivischen wie formalen Strukturen sowie deren Funktionen analytisch nach und untersucht den motivisch-thematischen Prozess, der diese Synthesen hervorbringt und bestimmt. Dadurch ergibt sich ein differenziertes Bild der materialen wie formalen Gegebenheiten – durchaus auch außerhalb geläufiger Schemata.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorbemerkung
  • Synthese und Prozess – Synthese und formaler Verlauf
  • Zur Terminologie im Allgemeinen
  • Struktur
  • Exkurs: Analyse, Notation
  • Sinn, Bedeutung
  • Semiologie und Semantik
  • Hermeneutik, Musik
  • Zur Terminologie im Einzelnen
  • Motivisch-thematische Arbeit
  • Zur Geschichte und Diskussion des Begriffs „Prozess“
  • Exkurs zum Umkreis des Phänomens und der zugehörigen Begrifflichkeit
  • Folgerungen für die Begriffe Thema, Motiv, Komponente, „motivisch-thematische Prozesse“ sowie Motivtransformation, Metamorphose
  • Folgerungen zu „Prozess“ und „Substanzgemeinschaft“
  • Der Begriff ‚Synthese‘
  • Analysen
  • Beethoven
  • Violinsonate op. 23
  • 9. Sinfonie
  • Brahms
  • Quartette op. 51
  • Quartett op. 51.2
  • Quartett op. 67
  • Violinsonate op. 78
  • Violinsonate op. 100
  • Dvořák
  • Quartett op. 106
  • Franck
  • Violinsonate
  • Exkurs zu ‚Zyklus‘
  • Franck, Sonate, Fortsetzung
  • Debussy, Quartett
  • Mahler, Vierte Sinfonie
  • Folgerungen
  • Literaturverzeichnis

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Vorbemerkung

Synthese und Prozess – Synthese und formaler Verlauf

Der zentrale Begriff aus dem Titel – ‚Synthese‘ – lässt sich als musikbezogener Terminus sinnvoll dann anwenden, wenn bestimmte kompositionstechnische Voraussetzungen gegeben sind.

Synthesen zeigen sich in zwei Bereichen der hier untersuchten Musik.

Sie erscheinen im Zusammenhang mit dem motivisch-thematischen Material der Stücke und als formale Konstruktion an unterschiedlichen Stellen von Satzzyklen, vor allem aber in deren abschließenden Sätzen.

Die Feststellung, dass bei bestimmter Musik in einem Satz, in einem Zyklus Verläufe wie Beziehungen vorhanden sein können, die sich auf Zusammenhänge im Bereich der Themen und Motive stützen, bedarf kaum mehr einer Begründung. Die Phänomene sind teilweise aber sehr komplex, und dann bedarf es im Einzelfall sehr genauer und durchaus vorsichtiger Analysen, um sie aufzudecken und dann darzustellen. Nur mit Hilfe solcher Analysen sind solche Zusammenhänge wie deren Entfaltung im Verlauf eines Stückes zu erkennen. Und nur aufbauend auf den Ergebnissen solcher Analysen ist dann die Frage zu erörtern, wie die Strukturen beschaffen sind, die das Ende solcher Verläufe bestimmen.

Die Verfahren im Umgang mit thematischem bzw. motivischem Material, die für diesen Text grundlegend sind, werden unter verschiedenen Begrifflichkeiten zusammengefasst, seit Rudolf Reti’s1 Ansatz zunehmend unter dem Begriff ‚Prozess‘ oder auch im Plural ‚Prozesse‘ im allgemeinen, um der genaueren Bestimmung willen mit dem Zusatz ‚thematisch‘ und auch ‚motivisch-thematisch‘.

Der Begriff ‚Prozess‘ verweist auf die Entfaltung des motivisch-thematischen Materials und die damit gegebenen Beziehungen. Er schließt aber kein strukturell vorgegebenes Ende des Verlaufs ein. ← 7 | 8 →

Der Begriff ‚Synthese‘ soll in diesem Zusammenhang Strukturen2 bezeichnen, die als Abschluss solcher Prozesse gesehen werden können. Als definierende erste Annäherung soll also gelten:

Unter Synthese werden Strukturen verstanden, die als Folge bzw. Ergebnis von motivisch-thematischen Prozessen innerhalb von einzelnen Sätzen oder ausgedehnt über Satz-Zyklen zu sehen sind. Synthesen sind dann Verbindungen von Elementen, die innerhalb eines solchen Prozesses auftreten, die durch einen Prozess herausgearbeitet, isoliert und wieder zusammengefügt werden.

Im Bereich formaler Verläufe sollen Strukturen als Synthese bezeichnet werden, die Elemente des musikalischen Materials aus vorangehenden Sätzen an einer späteren Stelle eines Zyklus aufgreifen oder in einen Schlusssatz integrieren, miteinander verknüpfen und ihnen dort bestimmte Funktionen vor allem auch jenseits von Zitat oder Reprise zuweisen. In wie weit insbesondere Zitate in Synthesen eingebunden werden oder Synthesen mitbestimmen, wird im Einzelnen zu untersuchen sein.

Synthesen im formalen Bereich erscheinen in verschiedenen Fällen verbunden mit den komplexen Erscheinungen von Synthesen zum Abschluss von Prozessen. Deswegen sind sie unter dem gleichen Begriff in diese Untersuchung einbezogen.

Für beide Bereiche, in denen der Begriff ‚Synthese‘ angesiedelt ist – Prozesse wie formale Verläufe – wie für den Begriff selbst, ist eine inhaltliche Diskussion erforderlich, um daraus dann Zusammenhänge wie abgesicherte Definitionen herzuleiten. Dafür steht der erste, große Teil dieses Textes.

Da es in diesem Text vordringlich um Strukturen im motivisch-thematischen Bereich bzw. um formale Strukturen und nicht um deren Semantik gehen soll, wird in diesen ersten Kapiteln auch zu klären sein, wo in etwa die Linie verläuft, die strukturelle von semantischen Aspekten trennt. Das verlangt die Diskussion einer Reihe der Ansätze, die Musik semantisch interpretieren.

Neben den für die Arbeit zentralen Begriffen sind eine Reihe inhaltlicher Bestimmungen wie Eingrenzungen weiterer Begriffe sinnvoll, um die ← 8 | 9 → Terminologie ebenso klar wie durchsichtig zu gestalten. Auch dafür ist der erste Teil der Arbeit zuständig.

Die Frage nach möglichen Synthesen hat in meiner Arbeit über Brahms, Reger und Schönberg3 nur eine begrenzte Rolle gespielt. In der seit dieser Untersuchung vergangenen Zeit sind vielfältige neue und ergänzende Erkenntnisse zu dem grundsätzlichen Problem veröffentlicht worden. Dazu zählt nicht nur die Menge einschlägiger Spezialarbeiten, sondern ebenso zählen dazu die in verschiedenen musikwissenschaftlichen Handbüchern und Lexika zusammengefassten Forschungsergebnisse zum Thema. Das führt ganz selbstverständlich dazu, dass an einigen Stellen Details heute neu zu beurteilen und Schlussfolgerungen anders darzustellen sind als 1980. Daneben aber haben die dort angestellten grundsätzlichen Überlegungen zum analytischen Verfahren wie zur Begrifflichkeit durchaus ihre Gültigkeit behalten. Einige der dort diskutierten Begriffe werden in diesem Text nicht nur aufgegriffen, sondern auch inhaltlich weitergeführt.

Ganz entscheidend für die hier vorgestellten Untersuchungen ist, dass zwar der zeitliche Rahmen – das ausgehende 18., das 19. und das beginnende 20. Jahrhundert – erhalten bleibt, dass die Betrachtungen aber auf die Werke weiterer Komponisten ausgedehnt werden, etwa auf die César Francks oder Gustav Mahlers.

Die letztlich dann vorgenommene Auswahl von Kompositionen meint keineswegs, dass damit eine Zusammenstellung aller mit dem Begriff ‚Synthese‘ zu verbindenden Werke gegeben sei. Diese Kompositionen dienen lediglich dazu, das Problem sachlich wie begrifflich darzustellen.

Fachlich wie interdisziplinär hat mich die Mitwirkung im Ästhetik-Kolloquium der Braunschweiger Universität immer wieder angehalten, das Thema weiter zu verfolgen. Ganz besonders aber den Seminaren zusammen mit Claus-Arthur Scheier verdanke ich vielfältige Anregungen und Klärungen zum Problem und dessen Umkreis. ← 9 | 10 →


1 Reti (1961).

2 zu ‚Struktur‘ vgl. unten S. 12ff.

3 Wilke (1980).

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Zur Terminologie im Allgemeinen

Die komplexen Kompositionstechniken, die im Umkreis der motivisch-thematischen Prozesse angesiedelt sind, spiegeln sich auch in der vielfältigen Terminologie, die sich in diesem Zusammenhang findet. Neben den Begriffen „Prozess“ bzw. „Prozesse“4 selbst existieren weitere Begriffe und Formulierungen, die die terminologische Fixierung der hier in Rede stehenden kompositionstechnischen Verfahren und deren analytische Aufarbeitung beschreibbar machen sollen. Eine lange Tradition hat der Terminus motivisch-thematische Arbeit5. Arnold Schönberg führt die Verknüpfung „entwickelnde Variation“6 ein, Vicent d’Indy spricht von „forme cyclique“7 und bezieht sich dabei auf motivisch-thematische Zusammenhänge, Friedrich Blume schließlich referiert über den Gegensatz von „Fortspinnung und Entwicklung“8, um nur einige Ansätze und Formulierungen anzuführen.

Es ergibt sich ein relativ weiter und zudem unscharfer terminologischer Horizont. Die genannten und weitere Termini stehen für eine ausgedehnte Geschichte analytischen Denkens, das auf die entsprechenden Kompositionstechniken gerichtet ist. Damit vermacht ist nicht nur eine inhaltliche Fügung, die sich im Verlauf dieser Geschichte ändert, sondern es ist nicht zu übersehen, dass diese Begriffsbildungen keineswegs immer deckungsgleich mit dem hier angewandten Begriff „Prozess“ sind. Auch dieser Begriff selbst erweist sich in den verschiedenen Ansätzen und Ausarbeitungen der einschlägigen Literatur zum Teil als sehr problematisch. Darauf komme ich zurück.

Allen Begriffen gemeinsam ist erstens, dass sie in verschiedener Form den Umgang der Komponierenden mit dem musikalische Material meinen, ← 11 | 12 → dass sie zweitens analytisch diesen Umgang an verschiedenen Stellen im Ablauf von Sätzen oder Satzfolgen sowie in unterschiedlichen Funktionen zu erkennen und zu beschreiben suchen und damit den formalen Ablauf einer Komposition mit bedenken, und dass drittens dabei gelegentlich eine Verbindung der kompositionstechnischen mit semantischen Aspekten mitgesehen wird. Diese Verbindung wird auch dann erörtert, wenn es sich nicht um Programmmusik im engeren Sinne oder – etwas allgemeiner – um „verbundene Musik“9 handelt, sondern wenn Musik als komplexes Phänomen dargestellt werden muss.

Im Folgenden werde ich – wie in der ‚Vorbemerkung‘ schon gesagt – also zunächst eine Diskussion über in diesem Zusammenhang relevante Begriffe anstrengen, die solchen Verfahren nachgehen, bzw. für den allgemeinen analytischen Ansatz wesentlich sind. Verfahren wie Begriffe sollen im Sinne dieser Arbeit genauer eingegrenzt werden. Zugleich werde ich versuchen aufzuzeigen, wie genau, oder besser, wie offen der Vorgang des Analysierens und die Formulierungen der Ergebnisse dieses Vorgangs sich darstellt, und warum ich, allgemein gesprochen, den Zusammenhang von Struktur und Semantik nicht in die Diskussion einbeziehen werde. Damit zugleich aber soll die Grenze zwischen beiden Bereichen wenigstens im Grundsatz aufgezeigt werden.

Es handelt sich um eine Diskussion der folgenden Begriffe: Struktur, Analyse, Prozess, Syntax und Semantik, Bedeutung, Sinn.

Struktur

Details

Seiten
184
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653059960
ISBN (ePUB)
9783653957341
ISBN (MOBI)
9783653957334
ISBN (Paperback)
9783631668184
DOI
10.3726/978-3-653-05996-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (November)
Schlagworte
Syntax musikalische Motive motivisch-thematische Prozesse
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 184 S.

Biographische Angaben

Rainer Wilke (Autor:in)

Rainer Wilke studierte an der Musikhochschule und Universität Hamburg Musik, Germanistik, Literaturwissenschaft und Musikwissenschaft. Er war als Hochschullehrer an der TU Braunschweig (a.D.) tätig und ist Mitbegründer des dortigen Ästhetik-Kolloquiums.

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