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«Ärgernis» und «moderner Klassiker»

Zur Autorenrolle Wolfgang Koeppens in der Literatur nach 1945

von Onur Kemal Bazarkaya (Autor:in)
©2015 Monographie 260 Seiten

Zusammenfassung

Onur Bazarkaya befasst sich mit der Person Wolfgang Koeppens, dessen literarisches Werk von einer starken, durch lange Publikationspausen bedingten Disparität gekennzeichnet ist. Er fragt nach der Autorenrolle, die Koeppen in der Literatur nach 1945 gespielt hat und die bisher in der Forschung kaum behandelt wurde, die aber gleichwohl einen Einfluss auf die Koeppen-Rezeption ausübte. Ab einem bestimmten Zeitpunkt musste der Autor Koeppen anscheinend nichts mehr veröffentlichen, um erfolgreich zu sein. Auf literatursoziologischer Basis beschreibt Bazarkaya, inwiefern bei Koeppen die Autorinszenierung (zu der auch sein «Schweigen» gehörte) von verschiedenen literarischen Systemprozessen und Positionierungen abhing, und wie seine Rolle schließlich eine Eigendynamik entwickelte.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 1.1. Zum Forschungsstand
  • 1.2. Zur Methodik
  • 1.3. Zur Problematik des Nonkonformismus-Begriffs
  • 1.4. Zum Aufbau
  • 2. Die literarischen Verhältnisse der frühen Nachkriegszeit
  • 2.1. Krisen, Gebote, Angebote
  • 2.2. Moral als politische Waffe
  • 2.3. War der Nonkonformismus eine symbolische Form?
  • 3. Koeppens Außenseiterrolle
  • 3.1. Koeppens nonkonformistische Anfänge
  • 3.2. Tauben im Gras: Angebot der Außenseiterrolle
  • 3.3. Die Rezeption von Tauben im Gras: Bestätigung der Außenseiterrolle
  • 3.4. Das Treibhaus: Angebot der Außenseiterrolle in gesteigerter Form
  • 3.5. Die Rezeption vom Treibhaus: Festigung des Images
  • 3.6. Der Tod in Rom: Nonkonformismus mit Vorbehalten
  • 3.7. Die Rezeption vom Tod in Rom: Berufung auf das Image
  • 4. Die Reisebücher: Modifikation der Außenseiterrolle
  • 4.1. Der Rollenkonflikt
  • 4.2. Der Stil der Reisebücher
  • 4.3. Die Rezeption von Nach Rußland und anderswohin und Amerikafahrt: Überraschung der öffentlichen Erwartungen
  • 4.4. Die Rezeption von Reisen nach Frankreich: „Wir warten auf einen neuen Roman von Wolfgang Koeppen“
  • 4.5. „Koeppen heute“: Das neue Image des Autors
  • 5. Koeppens Entwicklung zum „modernen Klassiker“
  • 5.1. Die Meisterporträts: „Versuch Wolfgang Koeppens, […] von sich selbst zu sprechen“
  • 5.2. Jugend oder Das veränderte Literatursystem
  • 5.3. Die Rezeption von Jugend: Verkaufserfolg eines Fragments
  • 5.4. Ich bin gern in Venedig warum oder Tasso in der Lagunenstadt
  • 5.5. Koeppens literaturgeschichtliche Einordnung für die 70er bis 90er Jahre
  • 6. Koeppens Autonomieverlust und die Eigendynamik seiner Rolle
  • 6.1. Der Autonomieverlust
  • 6.2. Koeppens politisch-moralische Autorität
  • 6.3. Die Treibhaus-Verfilmung
  • 6.4. Die Eigendynamik der Koeppen’schen Rolle
  • Ausblick
  • Bibliographie
  • 1. Primärliteratur
  • 2. Briefe
  • 3. Interviews
  • 4. Filmographie
  • 5. Rezensionen
  • 6. Sekundärliteratur
  • 7. Weitere Literatur
  • 8. Websites

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist am Institut für Literaturwissenschaft der Universität Stuttgart entstanden und wurde im Jahr 2012 von der Philosophisch-Historischen Fakultät als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde sie leicht überarbeitet.

Mein ergebenster Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Horst Thomé (1947–2012), dessen Anregungen, Vertrauen und Zuspruch mir halfen, meinen Weg zu finden, auf dem ich später von Prof. Andrea Albrecht bis zum Ende der Promotion begleitet wurde. Ihr möchte ich für ihre fachliche Unterstützung und ihr großes Engagement ganz herzlich danken. Auch Dr. Annette Bühler-Dietrich bin ich für ihre wertvollen Ratschläge zu Dank verpflichtet.

Ferner gilt mein Dank den Mitarbeitern des Wolfgang-Koeppen-Archivs in Greifswald, allen voran Katharina Krüger, deren geduldige Hilfe mir so manche Recherche wesentlich erleichterte.

Viel verdanke ich auch meinen Freunden aus dem Doktorandenkolloquium des Instituts für Literaturwissenschaft. Die Zeit unserer gemeinsamen Suche hat mich geprägt und wird mir unvergesslich bleiben. Der aktiven, freundschaftlichen Anteilnahme von Thomas Müllerleile, Justus Hoffmann, Elke Sims und vor allem Dr. Claudia Clemens gilt mein besonderer Dank. Von Herzen danke ich schließlich meinem Onkel Yüksel, seiner Frau Inci, meiner Schwester Benek und meiner Mutter für ihre vorbehaltlose Unterstützung.

Tekirdağ im Frühjahr 2015Onur Bazarkaya

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1.  Einleitung

1.1 Zum Forschungsstand

In Wolfgang Koeppens Tauben im Gras (1951) wird ein gefeierter US-Schriftsteller, Mr. Edwin genannt, durch eine vom Krieg verwüstete und im Wiederaufbau begriffene deutsche Stadt chauffiert, in die er gereist ist, um seine sinnstiftende Botschaft zu verkünden. Sinn, das ist für ihn die Teilhabe an etwas Ganzheitlichem, der „unvergängliche[n] Seele des Abendlandes“, dem „Geist der Jahrtausende“,1 kurz: der Wahrheit. Nun aber beginnt er, an seiner Mission zu zweifeln. Ist die Wahrheit, die er anbieten kann, nicht lediglich eine Wahrheitsversion, „die Deutung der Geschichte nur“ und „schließlich auch diese Deutung fragwürdig“?2 Beim Anblick der von der Historie „heimgesucht[en]“3 Stadt begreift Edwin, dieser Gralshüter der christlich-abendländischen Tradition, dass auch die Wahrheit geschichtsbedingt ist. Trotz dieses Schocks hält er am Abend im Amerikahaus, dem ehemaligen Führerbau,4 seinen Vortrag; doch wird seine Beschwörung des „creator spiritus5 konterkariert von den Störgeräuschen einer dysfunktionalen Lautsprecheranlage, also einem Produkt des technischen Fortschritts oder eben: der Geschichte.

Edwins antiquierter Wahrheitsanspruch ist auf seine spezifische Werkvorstellung zurückzuführen. Für ihn ist das Werk Homers, Vergils, Dantes oder Goethes ein Hort unvergänglicher und somit: wahrer Werte, er selbst der Adept, der zu ihrer Vermittlung berufen ist. Innerhalb dieses exklusiven Verhältnisses verweist der Tribut, den er dem „creator spiritus“ entrichtet, letztlich auf ihn selbst. Mit Pierre Bourdieu lässt sich diese Einstellung Edwins als „charismatische Ideologie“ bezeichnen, die „Geschmack und Vorliebe für legitime Kultur zu einer Naturgabe stilisiert“6. Voraussetzung dafür ist die Ausklammerung „der sozialen Bedingungen, die Kultur und eine zur Natur gewordene Kultur ermöglichen, ← 9 | 10 → eine kultivierte Natur, die allem Anschein nach der Gnade und Gabe bedarf und dennoch eine erworbene, ‚verdiente‘ ist“7. Eine von der „charismatischen Ideologie“ bestimmte Auffassung, wie sie Edwin vertritt, stellt im kulturellen Wettbewerb ein nicht zu unterschätzendes Distinktionsmittel dar. Die Pointe jenes satirisch dargestellten Abends im Amerikahaus liegt wohl in der Ironisierung der seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden kulturkritischen Dichotomie von Kultur und Zivilisation8 begründet: Der Amerikaner Edwin, Repräsentant der technologisch-zivilisierten Nation par excellence, wirft den Europäern ihren affirmativen Bezug zur Technik bzw. Zivilisation – und damit Unkultur und Ungeist – vor. Entsprechend grenzt er sich mit Hilfe der „charismatischen Ideologie“ auch gegen unliebsame literarische Konkurrenten ab, indem er sie als „Zivilisationsgeister“9 verunglimpft.

Angesichts der satirischen Zeichnung Edwins entbehrt es nicht der Ironie, dass die „charismatische Ideologie“ auch in der Koeppen-Forschung anzutreffen ist. „Der wahre Grund für das nachhaltige, sein Verstummen überdauernde Interesse an Wolfgang Koeppen“, lautet eine von Hiltrud und Günter Häntzschel erstellte Collage von Zitaten aus Arbeiten unterschiedlicher Forschungsphasen, „liegt in nichts anderem als in der Qualität seines literarischen Werks, das – obwohl es im wesentlichen auf die fünfziger Jahre begrenzt ist – Jahrzehnte später immer noch soviel Brillanz enthält, um lebendig, ohne Patina, aktuell und frisch zu wirken.“10 Wie hier angedeutet wird, kursiert in der Forschung die These, dass die beständige Aufmerksamkeit für Koeppens zeithistorisch so gebundenen Texte auf deren literarische „Qualität“ zurückzuführen sei. Eine solche Annahme verkennt jedoch, dass es sich bei einem lange währenden Diskurs über einen bestimmten Text um mehrere „relationale (erkannte und zugeordnete) Qualitäten handelt (T ‚hat Bedeutung‘ für einen Rezipienten R in einer Situation S usw.)“11. Im Hinblick auf das anhaltende Interesse für das Koeppen’sche Werk wirft diese Einsicht Fragen auf, die in der Forschung bislang kaum oder nicht hinreichend behandelt wurden: Welche Rolle spielte der Autor in der Literatur ← 10 | 11 → nach 1945, unter welchen sozialen Bedingungen entstand sie, unter welchen entwickelte sie sich? Wie gestaltete sich die Rollenentwicklung? Welchen Einfluss übte sie auf die Koeppen-Rezeption aus? Und wurde sie auch umgekehrt von dieser beeinflusst?

Bourdieu zufolge kommt die „charismatische Ideologie“ allgemein einer Restriktion gleich, die der Neugier auferlegt wird, um vorab die wissenschaftlichen Bemühungen jener zu diskreditieren, die den sozialen Aspekt literarischer Texte betonen.12 In der Koeppen-Forschung trug sie vermutlich dazu bei, dass es nur eine äußerst geringe Anzahl an literatursoziologisch motivierten Arbeiten zum Gegenstand gibt. 2009 veröffentlichte Jürgen Egyptien einen Sammelband mit dem Titel Wolfgang Koeppen. Neue Wege der Forschung,13 der richtungweisende Aufsätze über Koeppen enthält, die seit Beginn der 60er Jahre entstanden sind. Dass keiner von ihnen einen literatursoziologischen Ansatz verfolgt, ist bezeichnend und umso merkwürdiger, als die Literaturwissenschaft den Impuls für einen solchen im Grunde schon 1961 von Seiten der Literaturkritik empfing. Im ersten Teil seines damals in der Zeit erschienenen Aufsatzes Der Fall Wolfgang Koeppen. Ein Lehrbeispiel dafür, wie man in Deutschland mit Talenten umgeht hebt Marcel Reich-Ranicki die gesellschaftlichen Bedingungen der Literaturproduktion hervor:

Wie alle Menschen ist natürlich auch der Schriftsteller den Einflüssen seiner Umwelt ausgesetzt. Hierbei haben wir es – abgesehen von den ästhetischen, philosophischen und literarischen Einflüssen – vor allem mit zwei verschiedenen, wenn auch keineswegs voneinander unabhängigen Formen der Einwirkung zu tun. Einerseits sind die allgemeinen gesellschaftlichen, politischen, historischen und kulturpolitischen Verhältnisse Faktoren, die den Entwicklungsweg eines jeden Schriftstellers auf mehr oder weniger sichtbare Weise erleichtern oder erschweren, beschleunigen oder hemmen, in diese oder jene Richtung schieben. Andererseits übt die unmittelbare Reaktion auf das Werk eines Schriftstellers – Publikumserfolg, Pressekritik, Literaturpreise und so weiter – einen gewissen Einfluß auf seine weiteren Bemühungen aus, und zwar nicht nur auf die Wahl der Stoffe und Probleme, sondern, in vielen Fällen, auch der Formen und Stile. Diese unmittelbare Reaktion tritt übrigens immer ein, sie ist also, paradox ausgedrückt, auch dann vorhanden, wenn sie nicht vorhanden ist – etwa wenn Publikum und Presse ein Buch gänzlich ignorieren. Nichts klingt in den Ohren des Autors so schrill wie das Schweigen der Kritik, kein Echo ist auch ein Echo. […] [S]o wenig es also möglich ist, ein Kunstwerk gänzlich aus dem zeitgeschichtlichen Hintergrund abzuleiten, so sehr kann erst die ← 11 | 12 → Berücksichtigung dieses Hintergrundes den Entwicklungsweg eines Schriftstellers mit den vielen oft überraschenden Höhe- und Tiefpunkten und Unterbrechungen verständlich machen – zumal in unserer, leider, so bewegten Zeit.14

Derart den Fokus auf die sozialen Prozesse richtend, von denen die Literatur betroffen ist, behandelt der Kritiker sodann den „Fall Wolfgang Koeppen“, eine Art Krisen- oder Krankheitsfall der deutschen Literatur nach 1945, dessen Ursache er in den Pressereaktionen auf die gesellschaftskritischen Nachkriegsromane des Autors erblickt. Reich-Ranicki zufolge habe „die bundesrepublikanische Öffentlichkeit für Koeppens epische Formulierungen anstößiger Wahrheiten zunächst wenig und später überhaupt kein Verständnis“15 gehabt. Infolgedessen habe der Autor einen „Rückzug ins Unverbindliche“16 angetreten, um unpolitische – und daher wohl auch wesentlich erfolgreichere – Reisebücher zu schreiben. So sei er in gewisser Weise „[d]urch die Verhältnisse in der Bundesrepublik und durch die unmittelbare Reaktion auf seine Bücher […] von seiner eigentlichen Aufgabe weggedrängt“17 worden.

Vermutlich hat der polemische Gehalt dieser These die öffentliche Aufmerksamkeit absorbiert und dazu geführt, dass die heuristischen Möglichkeiten einer soziologischen Perspektive, wie Reich-Ranicki sie im Fall Wolfgang Koeppen einnimmt, verkannt wurden. Zumindest regte der Aufsatz in der aufkommenden Koeppen-Forschung keine entsprechenden Untersuchungen an. Gleichwohl kann sein Wert für sie nicht überschätzt werden, da seine polarisierende Wirkung die wissenschaftliche Diskussion über Koeppens Werk beförderte.

In der ersten Phase der Koeppen-Forschung setzte man sich intensiv mit ihm auseinander. Zu jenen, die Reich-Ranickis These zurückwiesen, gehörte Helmut Heißenbüttel, der davon ausging, dass Koeppen den Gattungswechsel vom Roman zum Reisebericht vorgenommen hatte, um sich „in dem einzurichten, was konkret beschreibbar bleibt“18, mithin um „näher an die Wahrheit des unverstellten, unübersetzten Subjekts heranzukommen“19 und „unmittelbarer von sich ← 12 | 13 → selbst reden zu können […] als in der Übersetzung der Romanfiguren“20. Damit betonte Heißenbüttel, einer allgemeinen Tendenz entsprechend,21 den formal-ästhetischen Impetus des Koeppen’schen Werks. Mehr auf dessen gesellschaftspolitischen Gehalt ging hingegen Dietrich Erlach in seiner Studie Wolfgang Koeppen als zeitkritischer Erzähler (1973) ein, die der These Reich-Ranickis wiederum derart verpflichtet ist, dass sie noch für die Erklärung der Schreibkrise, in der sich der Autor seit Erscheinen des letzten Reisebuches befand, verwertet wird: „Die totale Verzweiflung und Resignation angesichts der politisch-sozialen Entwicklung hat im Fall Wolfgang Koeppen, den der Ausweg irgendeines l’art pour l’art nicht befriedigte, vermutlich zur Einstellung aller Produktion beigetragen.“22 Auch Manfred Koch befasst sich in seiner Arbeit Wolfgang Koeppen. Literatur zwischen Nonkonformismus und Resignation (1973) mit dem zeitkritischen bzw. politischen Engagement des Autors,23 wobei er sich hinsichtlich der den Reisebüchern zu Grunde liegenden Motivation gegen Reich-Ranickis Standpunkt abgrenzt.24 Schließlich erhebt Bernhard Uske in seiner Analyse Geschichte und ästhetisches Verhalten. Das Werk Wolfgang Koeppens (1984) den Anspruch, die beiden hier typologisierten Forschungsansätze, den formal-ästhetischen und ← 13 | 14 → den gesellschaftskritischen, durch das textuelle „Verbindungsglied“25, als das er die jeweiligen Koeppen’schen Protagonisten identifiziert, zusammenzuführen.

Uskes Beitrag spielt bereits in die zweite Phase der Koeppen-Forschung hinein, in der die historischen Bedingungen und der literarische Kontext des Koeppen’schen Erzählens im Mittelpunkt des Interesses standen. Konjunktur hatten geschichtsphilosophische bzw. mythologische Untersuchungen.26 Zudem wurde, wie Hans-Ulrich Treichel es für sein dem französischen Strukturalismus verpflichtetes Fragment ohne Ende. Eine Studie über Wolfgang Koeppen (1984) in Anschlag bringt, die Tendenz sichtbar, das Werk des Autors „als einen mit sich selbst kommunizierenden Kontext zu betrachten, in dem fiktive und außerliterarische Bedeutungszusammenhänge nicht nur erschlossen, sondern auch destruiert und dekomponiert werden.“27 Diesen Ansatz verfolgt Martin Hielscher in seiner Analyse Zitierte Moderne. Poetische Erfahrung und Reflexion in Wolfgang Koeppens Nachkriegsromanen und in „Jugend“ (1988) dahingehend weiter, dass er zeigt, wie sich die Titelwerke durch das in ihnen angelegte formal-ästhetische Reflexionspotential in die Tradition der sogenannten Klassischen Moderne einordnen.28 1987 gab Eckart Oehlenschläger einen Band heraus, in dem neben wieder ← 14 | 15 → aufgefundenen Texten aus Koeppens Anfängen, Rezensionen und Interviews auch literaturwissenschaftliche Aufsätze versammelt sind.29 Unter diesen findet sich, untypisch für die zweite Forschungsphase, die erste literatursoziologische Arbeit über Koeppen, nämlich Klaus R. Scherpes ideologietheoretische Untersuchung Ideologie im Verhältnis zur Literatur: Versuch einer methodischen Orientierung am Beispiel von Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“. Zudem enthält der Sammelband die erste umfassende Bibliographie des Koeppen’schen Werks. In seiner Arbeit Chaos, Control, and Consistency: The Narrative Vision of Wolfgang Koeppen (1993) erforscht David Basker die den Texten des Autors zu Grunde liegende „Vision”, von der er annimmt: „This vision centres on the perception of chaos in many facets of contemporary existence, in opposition to a desire to impose some order, be it cultural, political, or personal.”30 Ausgedrückt werde die Spannung zwischen Chaos und Kontrolle „in a number of key areas in each text: in structure, narrative technique, theme, and imagery, the interplay between the presence and absence of order is apparent.”31 Erwähnt sei hier auch Josef Quacks Arbeit Wolfgang Koeppen. Erzähler der Zeit (1997), die sich unter dem Zeitaspekt mit der Intertextualität des Koeppen’schen Werks befasst, wobei die Analyse primär auf die Funktion der Zitate innerhalb der jeweiligen Texte abhebt: „Bei der Interpretation der überwältigenden Fülle intertextueller Beziehungen geht es nicht so sehr darum, Quellen für seine [Koeppens] Schriften nachzuweisen, als vielmehr darum, die Bedeutung zu erkennen, die den Zitaten im Rahmen seiner eigenen Texte zukommt.“32

Die dritte, noch anhaltende Forschungphase lässt erstmals ein Interesse an empirisch bzw. dokumentarisch orientierten Themen erkennen.33 Werkstrategische ← 15 | 16 → Fragen gewinnen an Bedeutung, die Koeppen’schen Werke selbst verlieren tendenziell ihren ontologischen Status. In diese Phase fällt die Habilitationsschrift Die Öffentlichkeit der Literatur. Fallstudien zu Produktionskontexten und Publikationsstrategien: Wolfgang Koeppen – Peter Handke – Horst-Eberhard Richter (1998) von Otto Lorenz, die eine beachtenswerte literatursoziologische Auseinandersetzung mit der Nachkriegstrilogie bietet. Ihre Studien über die im Titel genannten Autoren, heißt es in der Einleitung,

erkunden kommunikative Rahmenbedingungen für die Buchproduktion und -distribution im kulturellen Diskurs der westdeutschen Nachkriegsliteratur (1945 bis Anfang der neunziger Jahre). Sie fragen insbesondere nach zeit- und mentalitätsgeschichtlichen, sozialen, kulturellen und literarästhetischen Voraussetzungen, die im konkurrenzgeprägten Zusammenspiel von Autoren, Verlegern, Kritikern und Lesern bestimmend gewesen sind. […] Die Ausgangsfrage, wie die Kommunikationsteilnehmer des literarischen Lebens unter den Gesetzlichkeiten des kapitalistischen Warenmarktes in den nachfaschistischen Dekaden agierten, verlangt die Rekonstruktion des öffentlichen Bezugsfeldes von Literatur: die Aufarbeitung von gesamtgesellschaftlichen Problemhorizonten, von literarhistorischen Entwicklungsphasen sowie von markt- und erfolgsorientierten Handlungsmechanismen.34

Entsprechend dient den Fallstudien besonders die von Siegfried J. Schmidt konzipierte Empirische Literaturwissenschaft als methodisches Fundament. Sie liegt, neben anderen Theorien, in hohem Maße auch der vorliegenden Arbeit zu Grunde, die sich ebenfalls stark mit literarischen Kommunikationsprozessen und den Realitäten des Buchmarktes auseinandersetzt. Darüber hinaus befasst sie sich mit der Inszenierung von Autorschaft, einem Forschungsthema, das in den letzten Jahren eine größere Gewichtung erfahren hat.35 In diesen wissenschaftlichen ← 16 | 17 → Kontext bettet sich meine Arbeit ein. Die Öffentlichkeit der Literatur hingegen verzichtet auf die heuristische Unterscheidung zwischen Koeppens Person und seiner sozialen Rolle als Autor, was sich unweigerlich in der Kernthese der entsprechenden Fallstudie niederschlägt:

Der Außenseiter Koeppen […] hatte im Feld der Literatur kaum eine andere Wahl, seine Position zu markieren: als die eines distanzierten Beobachters, wagemutigen Kritikers und literarästhetischen Provokateurs, der sich nicht ins Zentrum des Literaturbetriebs zerren lassen wollte. Hierfür aber benötigte er kommunikative Strategien, die zwar Reputation, doch nicht eigentlich Markterfolg zum Ziel hatten. Koeppen mußte daher – und dies brauchte ihm nicht einmal ganz bewußt zu sein – allgemeine Standards der Kritik wie Realitätsbezug und formale Innovationskraft sowohl erfüllen wie auch enttäuschen. Durch ‚Übererfüllung‘ der voraussetzbaren Erwartung schien ihm beides relativ leicht möglich zu sein.36

In der Arbeit von Lorenz wird, wie hier zu sehen ist, der Nonkonformismus Koeppens wörtlich genommen und nicht auf seine Autorenrolle zurückgeführt. So ist denn auch die These, dass die Kommunikationsstrategien des Autors „zwar Reputation, doch nicht eigentlich Markterfolg zum Ziel hatten“, wenig plausibel, zumal an anderer Stelle überzeugend dargelegt wird, dass von den nonkonformistischen Schriftstellern früh ein „zwar kleine[r], doch ertragreiche[r] Marktsektor“37 erschlossen worden war, für den auch Koeppen seine Nachkriegsromane schrieb. Es ist davon auszugehen, dass kommerzieller Erfolg auch von den Nonkonformisten nicht verschmäht wurde, sofern er sich mit ihrer öffentlichen Rolle vereinbaren ließ (und wie etwa der sich den enormen Verkaufszahlen der Blechtrommel verdankende Durchbruch des Außenseiters Günter Grass belegt, ließ er sich mit ihr vereinbaren).38 Die in eine Autorenrolle eingeschriebenen ← 17 | 18 → Vorgaben können, je nach dem, einen kontraproduktiven Zwang ausüben oder eine Entlastungsfunktion erfüllen und den Autor beispielsweise davor bewahren, marktstrategisch derart lavieren zu müssen, wie Lorenz es dem Verfasser der Nachkriegstrilogie attestiert, der seiner Ansicht nach „allgemeine Standards der Kritik […] sowohl erfüllen wie auch enttäuschen“ wollte, und zwar durch eine „,Übererfüllung’ der voraussetzbaren Erwartung“. Wie in den anstehenden Untersuchungen zu zeigen sein wird, trafen auf Koeppen, in jeweils verschiedenen Schaffensperioden, beide Möglichkeiten zu. Es stellt ferner eine starke Vereinfachung des Sachverhaltes dar, wenn in der Öffentlichkeit der Literatur behauptet wird, dass der Autor die literarische Produktion schließlich eingestellt habe, um – als legitimer Außenseiter – keine Macht oder „Zwänge“39 auf die Leser auszuüben. Im Übrigen verkennt die oben zitierte These, dass Koeppen durchaus an Markterfolgen interessiert war, durch die er von seinen – nie enden wollenden – Finanzschwierigkeiten befreit zu werden hoffte. Nach Erscheinen von Tauben im Gras trug er sich sogar mit der Idee, „in wenig Zeit“ einen Kriminalroman zu schreiben, um seinem „finanzielle[n] Druck“ zu entkommen.40 „Glauben Sie“, fragte er seinen damaligen Verleger Henry Goverts in einem Brief, „daß man in Deutschland mit einer nicht sentimentalen, nicht polizeifrommen Verbrechergeschichte den erhofften Erfolg haben, vielleicht einen Vorabdruck in einer Illustrierten erzielen könnte?“41 Statt diesen Text schrieb er wenig später jedoch den skandalösen Schlüsselroman Das Treibhaus, der, wie zu erwarten, ein veritabler Verkaufserfolg wurde.

Gleichwohl ist der Beitrag von Lorenz in seinen Ausführungen über die wachsende Reputation der Nonkonformisten und den literarischen Markt für die vorliegende Fallstudie höchst anschlussfähig. Wie in der Öffentlichkeit der Literatur sollen überdies auch in den anstehenden Untersuchungen Kritiken ← 18 | 19 → über die jeweiligen Werke Koeppens ausgewertet werden. Allerdings wird dies ausführlicher zu tun sein als in der Arbeit von Lorenz (die teilweise nur die Titel der Rezensionen anführt), da hier die Auffassung vertreten wird, dass Buchbesprechungen nahezu reine Kommunikate darstellen, in denen die Rolle des Buchautors mehr oder weniger klar zum Ausdruck kommt. Zudem wendet sich diese Studie allen Perioden der Koeppen’schen Literaturproduktion nach 1945 zu, nicht nur jener, in der die Nachkriegstrilogie entstand.

Eine weitere literatursoziologische Untersuchung – die letzte mir bekannte – stammt von Martin Huber und trägt den Titel Das „Unternehmen“ Koeppen. Zur Freundschaft von Siegfried Unseld und Wolfgang Koeppen (2010). Der Aufsatz wendet sich aus netzwerktheoretischer Perspektive dem Briefwechsel zwischen dem Autor und seinem Verleger zu. Für Koeppens nachhaltigen Erfolg war seine Einbettung in das von Unseld virtuos betriebene Suhrkamp-Netzwerk maßgeblich. Obwohl der Autor zumeist Schwierigkeiten damit hatte, sich an ‚geschäftliche‘ Vereinbarungen zu halten, versagte ihm der Verleger die finanzielle Unterstützung nie und blieb ihm bis zuletzt freundschaftlich verbunden. Insoweit stellt Hubers Versuch, „in einer Analyse der Geschäfts- und Freundschaftsbeziehungen zwischen Siegfried Unseld, dem Suhrkampverleger und Koeppen als ‚seinem‘ Autor, einen kleinen Teilbereich dieses Interaktionsfeldes [des Literaturbetriebs, O.B.] zu erhellen“42, einen konstruktiven Beitrag dar.

Für die dritte Forschungsphase ist „…ich stellte mich unter, ich machte mich klein…“ Wolfgang Koeppen 1933–1948 (2001) von Jörg Döring ebenfalls kennzeichnend. Akribisch wird darin die opportunistische Haltung des Autors im ‚Dritten Reich‘ dokumentiert. Nach seinem Eintritt in die Reichsschrifttumskammer reiste der ‚angeglichene‘ Romancier ins freiwillige Exil, um wenige Jahre später mit Hoffnung auf eine Karriere beim NS-Film nach Deutschland zurückzukehren. Nach dem Ende des Regimes bemühte er sich, den kulturellen Vorgaben der Alliierten gerecht zu werden und rehabilitierte sich im literarischen Betrieb bald als politisch-moralischer Nonkonformist. Obwohl diese Entwicklung stark auf eine in der Nachkriegszeit erfolgende Rollenkonstruktion des Autors hindeutet, wird in Dörings Studie nicht näher auf dieses Thema eingegangen. Ein Grund dafür könnte der sein, dass dies ein gewisses Maß an theoretischen Ausführungen voraussetzt, die in der Einleitung aber unter Verweis ← 19 | 20 → auf „eine Heuristik des Einzelfalls“43 allgemein abgelehnt werden. Für die nachfolgende Analyse ist dieses Buch trotzdem sehr wertvoll, da es bestimmte Sachverhalte aufdeckt, ohne die sich Koeppens Rollenhandeln nach 1945 kaum nachvollziehen ließe.

Dass die dritte Forschungsphase jedoch nicht nur empirisch oder dokumentarisch ausgerichtet ist, zeigt Michael Geiters vergleichsanalytische Studie „Der Humorist geht gleich dem Raubtier stets allein“. Wolfgang Koeppen im Lichte Sören Kierkegaards (2010). Von einer geistigen Affinität des Dichters zum dänischen Philosophen ausgehend, werden darin „jeweils ausgewählte Bücher beider Autoren in Beziehung“ gesetzt „und deren gedankliche Nähe herausstellt“, wobei „die Themen ‚Individuum und Masse‘, ‚ästhetische vs. ethisch-religiöse Lebensausrichtung‘, ‚Innerlichkeit‘, ‚Glaube‘, ‚Liebesfähigkeit und Liebesunfähigkeit‘ von zentraler Bedeutung“ sind.44 Auch verfolgt Anastasia Manola in ihrer Arbeit Der Dichter-Seher als Dichter-Warner. Wandel eines mythischen Modells bei Koeppen, Wolf und Grass (2010) einen ideengeschichtlichen Ansatz. Ihre These lautet, „dass das poeta-vates-Modell weiterhin ein wichtiges Modell darstellt, an das sich Schriftsteller der Moderne bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt, in bejahender oder kritischer bzw. umformender Haltung anlehnen“45, wenn sie als mahnende Unheilverkünder auftreten. Dies exemplifiziert Manola anhand von einzelnen Werken der im Titel genannten Autoren; bei Koeppen sind es Die Mauer schwankt, Tauben im Gras und Das Treibhaus.

Im Übrigen haben die letzten beiden Phasen der Koeppen-Forschung auch Werkbiographien hervorgebracht. Was die Analyse Koeppen’scher Texte erschwert und unter Umständen die „charismatische Ideologie“ begünstigt, ist die Schwierigkeit, bei Koeppen zwischen ‚Dichtung und Wahrheit‘ zu unterscheiden. Dies ließ im Falle von Tauben im Gras und Das Treibhaus den Verdacht aufkommen, der Autor habe Schlüsselromane geschrieben (was, wie zu sehen sein wird, bei letzterem Text auch zutrifft). Reich-Ranicki unternahm in seiner Rezension des autobiographischen Prosafragments Jugend (1976) – sie war Wahrheit, weil ← 20 | 21 → Dichtung betitelt46 – erst gar nicht den Versuch einer solchen Differenzierung. Seit Erscheinen der Reisebücher Nach Russland und anderswohin (1958), Amerikafahrt (1959) und Reisen nach Frankreich (1961) hat sich in der literarischen Öffentlichkeit allmählich die Vorstellung verfestigt, Koeppen sei gleichsam von Poesie durchdrungen. Kennzeichnend für diese Texte ist, wie Klaus Siblewski feststellt, die häufige Wiederkehr von „Phantasien mit literarischem Charakter, die durch äußere Anlässe mobilisiert werden, oder die sich stets wiederholenden Reminiszenzen an verstorbene oder lebende Dichter und an Figuren ihrer Romane“47. Zudem wird in ihnen „die fremde Umgebung auf eine vollkommene Weise literarisiert: sie gewinnt den Charakter von Szenarien, wie sie in seine [Koeppens] Romane eingehen könnten. Die Reiseberichte erwecken den Eindruck, als reise hier der Schriftsteller ähnlich seinen intellektuellen Romanfiguren in Gegenden, wie sie typischerweise nur in Romanen auftauchen.“48

Über Koeppen wurde noch keine werkbiographische Arbeit geschrieben, die etwa eine tiefergehende Darstellung des Zusammenhangs zwischen seiner Reiseprosa und der oben genannten öffentlichen Auffassung enthält; für literatursoziologische Betrachtungen haben sich die Biographen des Autors bislang nicht interessiert.49 Vielmehr sahen sie sich der Herausforderung gegenübergestellt, Koeppens literarische Fiktionen sorgsam von seinen biographischen Daten zu trennen. „Kaum ein Autor des 20. Jahrhunderts“, konstatiert Hielscher in seiner Werkbiographie von 1988, „hat sich so der biographischen und bibliographischen Erforschung entzogen wie Koeppen, kaum einer solch ein Verwirr- und Versteckspiel mit seinen Lesern, Kritikern, Verlegern und Interviewpartnern getrieben wie er, kaum einer sich so hartnäckig hinter bestimmten Formeln ← 21 | 22 → verborgen.“50 Stefan Eggert drückt in seiner zehn Jahre später erscheinenden Arbeit ebenfalls ein Bewusstsein dafür aus, dass Koeppens Leben „in Spiegelungen vielerlei Art in seinen Büchern aufgezeichnet [ist], manchmal versteckt, verzerrt oder auch verklärt“51. Desgleichen sprechen Hiltrud und Günter Häntzschel in ihrem bereits erwähnten Buch von einem werkbiographisch „verschlungenen, sich verzweigenden, oft schwer zu erkennenden oder absichtsvoll in die Irre führenden Weg zwischen Dichtung und Wahrheit“52.

Neben dem Desiderat eines literatursoziologischen Ansatzes gibt es in der Koeppen-Forschung einen weiteren Punkt, auf den sich die vorliegende Arbeit bezieht. Koeppens Werk ist disparat. Es entstand im Wesentlichen in drei Produktionsschüben: vor dem Zweiten Weltkrieg, als der Autor die Romane Eine Unglückliche Liebe (1934) und Die Mauer schwankt (1935) verfasste, und nach dem Krieg, als die Romane Tauben im Gras, Das Treibhaus (1953) und Der Tod in Rom (1954) sowie die bereits erwähnten Reisebücher geschrieben wurden. Dann verlief sich die Produktion gewissermaßen in der Arbeit an verschiedenen Fragmenten, im Verfassen von Aufsätzen oder Vorworten, im Geben von Interviews. Man kann sagen, dass sich Koeppens Werk eher über das Nichtgeschriebene als das Geschriebene, das Nichtveröffentlichte als das Veröffentlichte definiert. In Interviews gab er Auskunft über sein jeweils aktuelles Projekt. Dazu bemerkt Treichel ironisch: „Wer wollte, könnte aus Koeppens Gesprächen eine Bibliographie seiner nichtgeschriebenen Werke zusammenstellen, und er hätte damit gewissermaßen die Negativbilanz dessen erfaßt, was nicht nur zur Produktionsgeschichte eines Wolfgang Koeppen, sondern vieler Autoren gehört.“53 Die meiste Zeit über „schwieg“ Koeppen, genauer: er arbeitete an seinem berühmt-berüchtigten „großen Roman“, seinem Lebenswerk, das zwar mehrmals angekündigt, aber nie publiziert wurde und von dem sich im Nachlass auch nur vage Anhaltspunkte finden lassen.

Bislang hatte die Frage nach dieser Disparität keine Priorität in der Koeppen-Forschung. Wurde sie behandelt, dann vor allem werkimmanent. So sprach Treichel von einem „Fragment ohne Ende“, meinte damit allerdings die ← 22 | 23 → Offenheit Koeppen’scher Texte aus poststrukturalistischer Sicht.54 Auch registrierte Hielscher in ihnen gewisse – jene Disparität mit Sicherheit mitbedingende – Widersprüche, die er jedoch ausschließlich auf die Krise des modernen Romans zurückführte.55 Man berücksichtigte weder die sozialen Prozesse im Literatursystem noch die mit spezifischen Markterwartungen verbundenen Schwierigkeiten, die Koeppen beim Schreiben des „großen Romans“ hatte. Vermutlich fehlte infolge der „charismatischen Ideologie“ der empirische Bezug, der es ermöglicht hätte, die werkexterne Dimension des genannten Problems zu erfassen, um eine angemessene „Problemlösungsstrategie“56 zu entwickeln.

Details

Seiten
260
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653056594
ISBN (ePUB)
9783653966602
ISBN (MOBI)
9783653966596
ISBN (Paperback)
9783631661260
DOI
10.3726/978-3-653-05659-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (März)
Schlagworte
Nachkriegsliteratur Autorinszenierung Literatursoziologie Literarische Öffentlichkei Rollenkonflikt
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 260 S.

Biographische Angaben

Onur Kemal Bazarkaya (Autor:in)

Onur Bazarkaya studierte an der Technischen Universität Dresden Germanistik, Soziologie und Kunstgeschichte. Er promovierte an der Universität Stuttgart über die Autorinszenierung bei Wolfgang Koeppen. Seit 2014 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Namık-Kemal-Universität in Tekirdağ in der Türkei.

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Titel: «Ärgernis» und «moderner Klassiker»
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