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Entgeltflexibilisierung zur Arbeitnehmerbeteiligung

von Christoph Römer (Autor:in)
©2015 Dissertation 314 Seiten

Zusammenfassung

Im Spannungsfeld zwischen kollektiver Koalitionsfreiheit und Arbeitsvertragsfreiheit untersucht diese Arbeit, unter welchen Voraussetzungen die Substitution feststehenden Arbeitsentgelts durch eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Erfolg bzw. Kapital des Arbeit gebenden Unternehmens im Sinne von § 4 Abs. 3 TVG günstiger sein kann. Auch die Regelungsbefugnisse der Tarif- und Betriebsparteien sowie die Gestaltung arbeitsvertraglicher Vereinbarungen zur Arbeitnehmerbeteiligung stehen im Fokus der Untersuchung. Da sich die Zulässigkeitsgrenzen der Entgeltflexibilisierung nur unter Berücksichtigung der Wertungen des Verfassungsgebers bestimmen lassen, behandelt die Arbeit auch die verfassungsrechtlichen Implikationen der Tarifautonomie, des Tarifvorbehaltes und des Günstigkeitsprinzips.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Vorwort
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Der Befund: Vergleichsweise geringe Verbreitung materieller Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland
  • II. Der Gang der Untersuchung: Arbeitnehmerbeteiligung durch Entgeltflexibilisierung auf Unternehmensebene
  • B. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitnehmerbeteiligung im internationalen Vergleich
  • I. Gegenstand der materiellen Arbeitnehmerbeteiligung
  • 1. Begriff der materiellen Arbeitnehmerbeteiligung
  • a. Erfolgsbeteiligung
  • b. Kapitalbeteiligung
  • 2. Qualifikation als Arbeitsentgelt
  • a. Erfolgsbeteiligungen
  • b. Kapitalbeteiligungen
  • 3. Abgrenzung der Erfolgsbeteiligung zu Änderungsvorbehalten
  • 4. Ergebnis
  • II. Die staatliche Förderung der Arbeitnehmerbeteiligung
  • 1. Überblick über die Fördermaßnahmen
  • 2. Bewertung der derzeitigen Förderung
  • a. Nachteile der Kapitalbeteiligung im Allgemeinen
  • b. Konkrete Nachteile der Fördermaßnahmen
  • III. Ursachen des geringen Verbreitungsgrades der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland
  • 1. Das „deutsche Modell“ im internationalen Vergleich
  • a. Arbeitnehmerbeteiligung in Frankreich
  • b. Arbeitnehmerbeteiligung in Großbritannien
  • c. Arbeitnehmerbeteiligung in den Vereinigten Staaten
  • 2. Einflüsse auf die Verbreitung der Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland
  • C. Verfassungsrechtliche Implikationen der betrieblichen Entgeltflexibilisierung und der Arbeitnehmerbeteiligung
  • I. Die Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien
  • 1. Die Normativität des Tarifvertrags
  • a. Die Koalitionsfreiheit als Doppelgrundrecht
  • aa. Der persönliche Schutzbereich des Artikels 9 III 1 GG
  • bb. Das Verhältnis der kollektiven zur individuellen Koalitionsfreiheit
  • b. Der Schutzbereich der kollektiven Koalitionsfreiheit
  • aa. Der Koalitionsbegriff des Artikels 9 III GG
  • 1) Die Freiwilligkeit des Zusammenschlusses
  • 2) Die Überbetrieblichkeit von Koalitionen – Voraussetzung ihrer Unabhängigkeit?
  • 3) Verfassungsrechtliche Grundlagen der Betriebsautonomie
  • a) Keine Gewährleistung durch Artikel 9 III GG
  • b) Keine ausschließlich privatautonome Legitimation
  • aa) Betriebsvereinbarungen als verbandliches Satzungsrecht
  • bb) Die „vertragsakzessorische“ Deutung
  • cc) Ergebnis
  • c) Betriebliche Rechtsetzung und Sozialstaatsprinzip
  • d) Die staatliche Anerkennung der Normwirkung betrieblicher Regelungen
  • e) Zwischenergebnis
  • 4) Ergebnis
  • bb. Die Normsetzungsbefugnis als Teil der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie
  • 1) Artikel 9 III 1 GG als Betätigungsgarantie
  • 2) Der Umfang der Betätigungsgarantie im Allgemeinen
  • 3) Der Schutz der Tarifautonomie im Besonderen
  • 4) Die Normativität des Tarifvertrags als Ausfluss der Tarifautonomie
  • 5) Ergebnis
  • 2. Die tarifliche Regelbarkeit der Arbeitnehmerbeteiligung
  • a. Allgemeine Grenzen der tariflichen Regelungsmacht
  • b. Die tarifvertragliche Regelbarkeit der Arbeitnehmerbeteiligung
  • aa. Erfolgsbeteiligung
  • bb. Kapitalbeteiligung
  • c. Tarifvertragliche Ermächtigungsnormen zur substitutiven Arbeitnehmererfolgsbeteiligung
  • d. Beispiel für eine Ermächtigung der Betriebsparteien zur erfolgsbezogenen Teilvariabilisierung des Arbeitsentgelts
  • 3. Ergebnis
  • II. Das Günstigkeitsprinzip
  • 1. Verfassungsrechtliche Grundlagen des Günstigkeitsprinzips
  • a. Die Teilhabe des Günstigkeitsprinzips am Schutzbereich des Artikels 9 III 1 GG
  • aa. Günstigkeitsprinzip und Institutsgarantie
  • bb. Günstigkeitsprinzip als Innenschranke der kollektiven Koalitionsfreiheit
  • cc. Günstigkeitsprinzip und negative Koalitionsfreiheit
  • b. Das Günstigkeitsprinzip im Spannungsfeld zwischen Koalitionsfreiheit und individueller Privatautonomie
  • aa. Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung
  • 1) Die grundsätzliche Differenzierung zwischen sach- und normgeprägten Gewährleistungen
  • 2) Die Wahrung des objektiv- rechtlichen Gehalts
  • 3) Der Eingriffscharakter gesetzlicher Öffnungsklauseln
  • bb. Verfassungsrechtliche Anforderungen an Eingriffe in die Tarifautonomie
  • 1) Die Beschränkbarkeit der Koalitionsfreiheit durch kollidierende Grundrechte und sonstige Rechtsgüter mit Verfassungsrang
  • 2) Die Ablehnung einer Grundrechtsbindung und gerichtlich überprüfbaren Gemeinwohlverpflichtung der Koalitionen
  • 3) Die Institutsgarantie eines „Tarifvertragssystems im Sinne des modernen Arbeitsrechts“
  • 4) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Wesensgehaltsgarantie
  • cc. Die Abwägung der Koalitionsfreiheit mit kollidierenden Rechtsgütern mit Verfassungsrang
  • 1) Günstigkeitsprinzip und Berufsfreiheit
  • 2) Günstigkeitsprinzip und Leistungsprinzip
  • 3) Günstigkeitsprinzip und Sozialstaatsprinzip
  • c. Ergebnis
  • 2. Konsequenzen für die Auslegung des Günstigkeitsprinzips
  • a. Die Ablehnung eines allein quantitativen Günstigkeitsvergleichs
  • b. Bedenken gegen einen grundsätzlichen Vorrang freiwilliger arbeitsvertraglicher Abweichungen im geltenden Tarifvertragsrecht
  • c. Schwierigkeiten bei der Feststellung individueller Selbstbestimmung im Einzelfall
  • d. Bestätigung eines weiten Verständnisses des Günstigkeitsprinzips durch dessen historische Entwicklung
  • a. Ergebnis
  • III. Der Tarifvorbehalt
  • D. Regelungen zur betrieblichen Arbeitnehmerbeteiligung innerhalb des bestehenden Tarifvertragssystems
  • I. Regelungsmodelle betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung
  • 1. Betriebsvereinbarungen zur Arbeitnehmerbeteiligung
  • a. Die Reichweite des Tarifvorbehalts
  • aa. Tarifvorbehalt und Günstigkeitsprinzip
  • bb. Tarifvorbehalt und Regelungsbefugnis in sozialen Angelegenheiten
  • b. Die begrenzte Regelungsbefugnis des Betriebsrats gemäß §§ 87 I, 88 BetrVG
  • aa. Mitbestimmung über die Auszahlung des Arbeitsentgelts, § 87 I Nr. 4 BetrVG
  • bb. Mitbestimmung über Sozialeinrichtungen, § 87 I Nr. 8 BetrVG
  • cc. Mitbestimmung über die Lohngestaltung, § 87 I Nr. 10 BetrVG
  • 1) Der Entgeltcharakter der Beteiligung
  • 2) Entlohnungsgrundsätze und - methoden
  • 3) Kollektiver Tatbestand
  • 4) Beachtung gesellschaftsrechtlicher Schutzvorschriften
  • 5) Verhältnis des Mitbestimmungsrechts zu tariflichen Regelungen
  • dd. Mitbestimmung über leistungsbezogene Entlohnungen, § 87 I Nr. 11 BetrVG
  • ee. Mitbestimmung über Maßnahmen der Vermögensbildung, § 88 Nr. 3 BetrVG
  • 1) Arbeitnehmerkapitalbeteiligung als Maßnahme der Vermögensbildung
  • 2) Zur Sperrwirkung von Tarifverträgen
  • 3) Zwischenergebnis
  • ff. Ergebnis
  • c. Die Annahme einer umfassenden Regelungsbefugnis der Betriebsparteien
  • aa. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum „Leber- Rüthers- Kompromiss“
  • bb. Keine „Friktionen“ bei der Verknüpfung der tarifvertraglichen mit der betrieblichen Rechtsetzung
  • cc. Die Beachtung des Tarifvorbehalts
  • d. Die Grenzen der betrieblichen Regelungsbefugnis gemäß § 75 BetrVG
  • e. Ergebnis
  • 2. Arbeitsvertragliche Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung
  • a. Betriebseinheitliche Regelung durch gleichlautende Einzelverträge
  • b. Inhaltskontrolle
  • aa. Vereinbarungen zur Arbeitnehmerbeteiligung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
  • 1) Keine Inhaltskontrolle anhand von Tarifverträgen und sonstigen Kollektivvereinbarungen
  • 2) Die Überprüfbarkeit vertraglich in Bezug genommener Tarifnormen
  • 3) Der Schutz des Arbeitnehmers vor intransparenten und unangemessen benachteiligenden Beteiligungsklauseln
  • 4) Folgen der Unwirksamkeit Allgemeiner Geschäftsbedingungen
  • bb. Die Zulässigkeit arbeitsvertraglicher Lohnverwendungsabreden
  • cc. Prozentuale Untergrenzen der Mindestentgelte
  • 1) Individualabreden zur Erfolgsbeteiligung
  • 2) Erfolgsbeteiligungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
  • a) Die Rechtsprechung zur Teilflexibilisierung des Arbeitsentgeltes im Rahmen von Änderungsvorbehalten
  • b) Die Rechtsprechung zu Provisionen und echten Leistungszulagen
  • 3) Ergebnis
  • dd. Die Befristung der Entgeltflexibilisierung
  • ee. Die Wahl der Bezugsgröße
  • ff. Bestandsklauseln
  • c. Die Abweichung von Betriebsvereinbarungen zur Arbeitnehmerbeteiligung
  • 3. Ergebnis
  • II. Die Günstigkeit arbeitsvertraglicher Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung
  • 1. Anwendbarkeit des Günstigkeitsprinzips im Verhältnis zwischen Arbeits- und Tarifvertrag
  • 2. Methoden zur Bestimmung der Günstigkeit arbeitsvertraglicher Regelungen
  • a. Vergleichsgegenstand
  • b. Vergleichsinteresse
  • c. Vergleichsperspektive
  • d. Vergleichszeitpunkt
  • 3. Kriterien zur Bestimmung der Günstigkeit materieller Arbeitnehmerbeteiligung
  • a. Substitutive Arbeitnehmerbeteiligung als „ambivalente“ Vereinbarung
  • b. Günstigkeit durch Einräumung eines Wahlrechts für den Arbeitnehmer
  • c. Prozentuale Lohnuntergrenzen in Erfolgsbeteiligungsmodellen
  • d. Befristung der Entgeltflexibilisierung
  • e. Berücksichtigung der Tariflohnentwicklung während der Laufzeit
  • f. Mehrheitliche Zustimmung der Belegschaft
  • 4. Die Behandlung von Zweifelsfällen
  • a. Zweifel hinsichtlich der Günstigkeit
  • b. Gleichwertigkeit der arbeitsvertraglichen und tariflichen Regelungen
  • 5. Ergebnis
  • 6. Beispiel für eine Vereinbarung zur substitutiven Arbeitnehmererfolgsbeteiligung
  • III. Die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit der Arbeitnehmerbeteiligung
  • 1. Klagen im Zusammenhang mit der Gewährung einer Erfolgs- bzw. Kapitalbeteiligung
  • 2. Klagen im Zusammenhang mit Erträgen aus einem bestehenden Beteiligungsverhältnis
  • E. Die Verfassungsmäßigkeit gesetzlicher Änderungen zur Erleichterung substitutiver Arbeitnehmererfolgsbeteiligung
  • I. Gegenstand der Reformvorschläge
  • 1. Die wichtigsten Gesetzentwürfe
  • 2. Die rechtspolitische Diskussion
  • 3. Relevanz für die substitutive Arbeitnehmerbeteiligung
  • II. Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Definition des Günstigkeitsbegriffs
  • 1. Betroffene Grundrechtspositionen
  • a. Grundrechtspositionen der Tarifvertragsparteien
  • b. Grundrechtspositionen der Arbeitnehmer
  • 2. Eigener Gesetzesvorschlag
  • III. Die Verfassungswidrigkeit einer Einschränkung des Tarifvorbehalts
  • 1. Grundsätzliche Bedenken gegen eine Einschränkung des Tarifvorbehaltes
  • 2. Die Einschränkung des Tarifvorbehaltes zur Ermöglichung substitutiver Arbeitnehmerbeteiligung
  • 3. Bedenken gegen die Einführung substitutiver Arbeitnehmerbeteiligung ohne Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer
  • IV. Ergebnis
  • F. Zusammenfassung in Thesenform
  • G. Literaturverzeichnis

← 14 | 15 → A. Einleitung

Erste Instrumente der Arbeitnehmerbeteiligung im deutschsprachigen Raum reichen bis in das 18. Jahrhundert zurück.1 Seit Beginn der Weimarer Republik wird die Teilhabe der Arbeitnehmer an Kapital bzw. Erfolg (Gewinn) der Arbeit gebenden Unternehmen – mit gewissen Unterbrechungen – immer wieder thematisiert.2 Ein jüngeres prominentes Beispiel ist die Diskussion über eine umfangreichere Arbeitnehmerkapitalbeteiligung im Rahmen der Sanierungsbemühungen bei Opel/Vauxhall. Durch Senkungen des Vergütungsniveaus sollte General Motors jährlich 265 Millionen Euro einsparen und die Arbeitnehmer im Gegenzug in Höhe von 10% am Grundkapital der neu zu gründenden Opel AG beteiligen.3 Nach der vorerst gescheiterten Übernahme der Continental AG wurde eine Mitarbeiterbeteiligung auch innerhalb der hoch verschuldeten Schaeffler- Gruppe diskutiert.4 Seit dem Jahre 2010 steht schließlich den Mitarbeitern der Deutschen Bank weltweit die Teilnahme an einem Aktienkaufplan offen.5

Auf europäischer Ebene wird seit Ende der 1980er Jahre intensiv für eine „produktivitätsorientierte Lohnpolitik“ geworben.6 Unter ihrem früheren Präsidenten Jacques Delors sprach sich die Kommission für eine Ergänzung moderater Lohnerhöhungen durch eine finanzielle Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenserfolg aus. Der Europäische Rat empfahl im Jahre 1992 den Mitgliedsstaaten die Förderung der Erfolgs- und Kapitalbeteiligung.7 Diese ← 15 | 16 → Empfehlung fand schließlich Eingang in die Lissabon- Strategie8. Heute sind in den „alten“ 15 EU- Mitgliedsstaaten ca. 19% der in der Privatwirtschaft beschäftigten Arbeitnehmer am Erfolg oder Kapital ihres Arbeit gebenden Unternehmens beteiligt.9 Dagegen ist die Arbeitnehmerbeteiligung in den „neuen“ EU- Mitgliedsstaaten wenig verbreitet.10 Die Arbeitnehmerkapitalbeteiligung spielte dort immerhin bei der Privatisierung (unverkäuflicher) Staatsbetriebe vereinzelt eine Rolle.11

Seit dem Jahr 1991 verfasste die Kommission unter dem Namen PEPPER (Promotion of Employee Participation in Profits and Enterprise Results) bislang 4 Berichte zu Fragen der materiellen Arbeitnehmerbeteiligung und verglich deren Rahmenbedingungen in den Mitgliedsstaaten.12 Seither sollen sich europaweit politische Bemühungen um eine größere Verbreitung der Arbeitnehmerbeteiligung beobachten lassen.13

Die beschäftigungssichernde bzw. –fördernde Funktion materieller Mitarbeiterbeteiligung14 spielt in der politischen Debatte in Deutschland – anders als in den übrigen EU- Mitgliedsstaaten – eine nur untergeordnete Rolle. Das Thema Arbeitnehmerbeteiligung wird hierzulande vor allem unter vermögens- und verteilungspolitischen Aspekten erörtert.15 Dabei werden die unterschiedlichen Beteiligungsmodelle regelmäßig pauschal unter dem Begriff „Investivlohn“ zusammengefasst, obwohl die investive Mittelverwendung noch nichts über deren Aufbringung und die Art des Beteiligungsmodells aussagt.16

← 16 | 17 → Während die politischen Lager im Grundsatz darin übereinstimmen, dass die Vorzüge materieller Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland nicht hinreichend genutzt werden, besteht Uneinigkeit über die favorisierten Beteiligungsmodelle und deren staatliche Förderung.17 Den vorerst letzten Anlauf zur Stärkung der Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer unternahm die CDU- CSU/SPD- Koalition im Jahr 2009 mit dem „Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz“18, das auf eine Initiative des damaligen Bundespräsidenten Prof. Dr. Horst Köhler zur Jahreswende 2005/2006 zurückging. Der Bundespräsident hatte angeregt, durch die Zahlung von Investivlöhnen die Beteiligung der Belegschaften an Erfolg und Kapital der Arbeit gebenden Unternehmen zu erweitern, „um die Beschäftigten an den Vorteilen der Globalisierung teilhaben zu lassen“19. Wissenschaft20 und Praxis21 bezweifeln allerdings gleichermaßen, dass der Gesetzgeber diesem Anliegen bislang gerecht geworden ist.

Die Sozialpartner vertreten zur Mitarbeiterbeteiligung weitgehend unterschiedliche Positionen. Einigkeit besteht immerhin insoweit, dass eine stärkere Kapitalbeteiligung mehrheitlich abgelehnt wird – wenngleich aus unterschiedlichen Erwägungen.22 Im Übrigen hegen weder die Arbeitgeberverbände, noch die Gewerkschaften prinzipielle Einwände gegen eine Ausweitung der Arbeitnehmererfolgsbeteiligung, wobei die Beteiligung aus Sicht der Arbeitgeber freiwillig bleiben muss.23 Spätestens auf dem DGB- Bundeskongress 1996 wurde deutlich, dass auch die DGB- Gewerkschaften ihre ursprüngliche kategorische Ablehnung der Erfolgs- und Kapitalbeteiligung zugunsten der „Forderung nach einer gerechteren Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen“24 aufgegeben haben.

Die Arbeitgeberverbände sehen in der Arbeitnehmerbeteiligung ein „lohnpolitisches Instrument“, das zur Flexibilisierung und Dezentralisierung des als zu unbeweglich empfundenen tarifvertraglichen Entgeltsystems beitragen soll.25 Erfolgsbeteiligungen sind aus Sicht der Arbeitgeber ein wichtiger Bestandteil ← 17 | 18 → eines „gut austarierten und atmenden Flächentarifvertrags“26. Demgemäß treten die Verbände für eine Variabilisierung bestehender Entgeltkomponenten, wie z.B. Bonus- , Prämien- und Sonderzahlungen ein.27 Abgelehnt werden überbetriebliche Mitarbeiterbeteiligungsfonds, die sich aufgrund ihres Volumens umfangreich an Unternehmen beteiligen und dadurch maßgeblichen Einfluss auf deren Geschäftspolitik nehmen könnten. Viele Arbeitgeber fürchten die gesellschaftsrechtlichen Mitsprache- und Kontrollrechte, die mit einer Kapitalbeteiligung einhergehen können, übersehen dabei aber, dass eine Kapitalbeteiligung nicht zwangsläufig zur Beteiligung der Arbeitnehmer an den Unternehmerentscheidungen führt.28 Der Arbeitgeber kann der Gefahr einer Verzögerung oder Blockade von Entscheidungsprozessen und einer Veröffentlichung von Betriebsinterna – je nach der vertraglichen Ausgestaltung der Kapitalbeteiligung – etwa durch die Ausgabe stimmrechtsloser Aktien oder durch die Zwischenschaltung einer Beteiligungsgesellschaft, deren Geschäftsführung seiner Kontrolle untersteht, begegnen.29

Die Arbeitgeber verfolgen mit Arbeitnehmerbeteiligungsmodellen vor allem personalwirtschaftliche Ziele und wollen eine größere Betriebstreue und eine bessere Motivation ihrer Mitarbeiter erzielen.30 Arbeitnehmerbeteiligung dient zudem der Produktivitätssteigerung.31 Empirischen Studien aus den USA und Europa zufolge sind die Zusammenhänge zwischen materieller Arbeitnehmerbeteiligung und der Produktivität der Unternehmen tatsächlich häufig positiv.32

Gemeinsame Grundhaltung der großen Gewerkschaften in Deutschland ist dagegen, dass die Arbeitnehmerbeteiligung nur additiv, d.h. zusätzlich zu den tarifvertraglich festgelegten Entgelten gewährt werden darf.33 Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung dürfe nicht in Konkurrenz zur Tarifpolitik treten.34 Zudem ← 18 | 19 → befürchten die Gewerkschaften häufig, durch die mit der Kapitalbeteiligung einhergehende gesellschaftsrechtliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer an Bedeutung zu verlieren, da die Arbeitnehmer als Kapitaleigner aufgrund einer stärkeren Verhandlungsposition ihre Interessen häufiger selbst wahrnehmen könnten.35 In empirischen Untersuchungen konnte eine negative Korrelation zwischen der Kapitalbeteiligung und der Stärke der Gewerkschaften in den Betrieben allerdings nicht festgestellt werden.36 Einzelne Gewerkschaften, wie etwa die IG BCE, scheinen immerhin bei Verhandlungen über weitere Lohnerhöhungen zu einer umfangreicheren Variabilisierung der Entgeltsteigerung bereit.37 Aber auch der IG Metall fällt es zunehmend schwer, die unterschiedlichen Vorstellungen ihrer Bezirke in Einklang zu bringen und eine gemeinsame Lohnforderung zu erheben.38

I. Der Befund: Vergleichsweise geringe Verbreitung materieller Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland

Trotz ihrer langen Tradition ist die Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland im Vergleich zu anderen westlichen Industriestaaten nur unterdurchschnittlich verbreitet.39 Zwar beteiligten im Jahr 2010 ca. 83% der börsennotierten Unternehmen hierzulande ihre Mitarbeiter am Kapital.40 Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) beziffert allerdings für das Jahr 2009 den Anteil der Unternehmen mit einer Erfolgsbeteiligung auf lediglich 9% und der Unternehmen mit einer Kapitalbeteiligung auf lediglich 3%.41 Aktienkaufprogramme für Mitarbeiter gab es im Jahre 2011 nur in ca. 2% der Unternehmen.42 Damit bleibt die Verbreitung in Deutschland deutlich hinter dem Durchschnitt der 15 „alten“ EU- Mitgliedsstaaten von 19%43 zurück. Gegenüber dem Jahr 2001 hat sich die Verbreitung der ← 19 | 20 → Mitarbeiterbeteiligung hierzulande kaum verändert.44 Allerdings wächst der Anteil der variablen Vergütungskomponenten45 an der Gesamtvergütung, wobei Unternehmen, die variable Vergütungssysteme nutzen, immer häufiger alle Beschäftigtengruppen einbeziehen und die variable Vergütung nicht nur auf Führungskräfte beschränken.46

Größere Unternehmen nutzen tendenziell häufiger Systeme der Erfolgs- und Kapitalbeteiligung.47 Am stärksten verbreitet ist die Mitarbeiterbeteiligung in den Wirtschaftszweigen Information und Kommunikation (Gewinnbeteiligung: 31%) sowie Finanz- und Versicherungsdienstleistungen (Gewinnbeteiligung: 24%/Kapitalbeteiligung: 4%).48

Durch die vergleichsweise geringe Verbreitung der Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland bleiben vielfältige Chancen ungenutzt.49 Zwar fehlen bislang umfassende empirische Daten zu den genauen Auswirkungen der Arbeitnehmerbeteiligung im deutschsprachigen Raum.50 Die Wissenschaft geht aber in der Theorie überwiegend von positiven arbeitsmarkt- , verteilungs- und rentenpolitischen Effekten aus.51 So würden Umsatz- und Ertragseinbußen in konjunkturell schlechteren Zeiten durch automatisch sinkende Erfolgsbeteiligungen abgemildert.52 Auf kostspielige Personalabbaumaßnahmen könnte teilweise verzichtet werden.53 Die Arbeitskosten würden auch während der Laufzeit von Tarifverträgen sinken, so dass der Beschäftigungsabbau begrenzt werden könnte. Auf Tarifverträge zur Standortsicherung sowie Sanierungstarifverträge, die nicht selten mit langwierigen und schwierigen Verhandlungen verbunden sind, und deren Geeignetheit zur kurzfristigen Senkung der Arbeitskosten daher in Zweifel gezogen wird,54 könnte teilweise verzichtet werden, da die Löhne automatisch angepasst würden. In einer Umfrage des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall aus dem Jahr 2006 gaben 67% der befragten ← 20 | 21 → Arbeitgeber an, der Abschluss von Standortsicherungsverträgen nehme zu viel Zeit in Anspruch.55

Durch eine Reinvestition bestimmter Lohnbestandteile in dem Arbeit gebenden Unternehmen könnten die Mitarbeiter einen finanziellen Beitrag bei beschäftigungssichernden Restrukturierungen leisten. Substitutive Arbeitnehmerkapitalbeteiligung erlaube eine nachhaltige Senkung der Arbeitskosten und könne einen Anreiz für Unternehmen schaffen, auf Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland zu verzichten.56 So könnten geringere Barlöhne an die Arbeitnehmer gezahlt werden, wenn im Umfang der gesparten Lohnzahlungen Beteiligungsrechte an den Arbeit gebenden Unternehmen eingeräumt würden. Umgekehrt würde sich das Arbeitsentgelt unabhängig von Tarifabschlüssen bei günstiger Unternehmensentwicklung erhöhen. Die Arbeitnehmer würden früher am Unternehmenserfolg beteiligt.57

Einzelne Studien belegen, dass sich durch die Arbeitnehmerbeteiligung die Bereitschaft zu technologischen und arbeitssparenden Veränderungen, die Interessenidentifikation mit dem Arbeit gebenden Unternehmen sowie das Kostenbewusstsein der Mitarbeiter steigern lassen.58 Teamwork und Zusammengehörigkeitsgefühl werden gestärkt.59 Auch im Wettbewerb der Arbeitgeber um die innovativsten und leistungsstärksten Belegschaften kommt der Mitarbeiterbeteiligung Bedeutung zu. Darüber hinaus spielt die Kapitalbeteiligung bei der Regelung der Unternehmensnachfolge eine Rolle.60

Betriebe mit Erfolgsbeteiligungsmodellen zeichnen sich häufig durch die folgenden Eigenschaften aus: Zunächst besteht ein Zusammenhang zwischen Ertragssituation und Beteiligung. Je besser der Betrieb seine Lage einschätzt, desto wahrscheinlicher ist das Bestehen eines Mitarbeiterbeteiligungsmodells.61 Dieser Zusammenhang scheint der These vieler Gewerkschaften, dass Arbeitgeber substitutive Erfolgsbeteiligungsmodelle vor allem zur Reduzierung ihrer Personalkosten nutzten und ihre „Gewinne klein rechneten“62, zu widersprechen.

← 21 | 22 → Zudem ist in Betrieben mit hohen Anteilen qualifizierter Beschäftigter die Verbreitung von Mitarbeiterbeteiligungsmodellen grundsätzlich höher, da sich qualifizierte Arbeitnehmer aus Sicht der Arbeitgeber durch Beteiligungsmodelle stärker an das Unternehmen binden lassen, als durch die alleinige Zahlung höherer Löhne und Gehälter.63

Nicht selten erfolgt eine Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmenskapital – je nach dem Umfang der Kapitalbeteiligung – zur Kapitalbeschaffung. Insbesondere in Krisenzeiten besteht bei Unternehmen Bedarf an liquiditätsverbessernden und bilanzoptimierenden Maßnahmen.64 Im Zuge der Finanzkrise wurde daher erwogen, die Umwandlung von bis zu 12.000 € Barlohn in Kapitalbeteiligungen am Arbeit gebenden Unternehmen steuerlich zu fördern.65 Die Gesetzespläne wurden allerdings nach der Bundestagswahl 2009 nicht weiter verfolgt.

Auch bei Ausgründungen („spin offs“) erhalten die betroffenen Arbeitnehmer häufig die Möglichkeit, sich am Kapital der neu gegründeten Gesellschaft zu beteiligen, wodurch sich die Transaktionskosten verringern lassen.66 Durch die Eigenkapitalbeteiligung der Mitarbeiter verbessert sich die Kapitalstruktur der Unternehmen, wodurch deren Zugang zu investitionsfördernden Krediten erleichtert werden kann.67 Zudem „stabilisieren“ Belegschaftsaktionäre häufig die Aktionärsstruktur.68

Schließlich bieten sich langfristige Kapitalbeteiligungsprogramme in kleinen und mittelständischen Unternehmen zur Regelung der Unternehmensnachfolge an69 – ein Vorteil, dessen praktische Bedeutung weiter steigen dürfte: Bundesweit wird in ca. 71.000 Unternehmen pro Jahr ein Nachfolger für die Unternehmensleitung gesucht.70 In einer Mitteilung aus dem Jahr 2006 ging die EU- Kommission davon aus, dass sich innerhalb von 10 Jahren 1/3 der Unternehmer europaweit aus der Unternehmensleitung zurückziehen würde, wobei der Anteil in Familienunternehmen noch höher ausfiele.71

← 22 | 23 → Für die Arbeitnehmer stehen nach Aussage von Betriebsräten die Vermögensbildung und – im Rahmen von Kapitalbeteiligungsmodellen – die Altersvorsorge im Vordergrund. Größeren Informations- und Mitspracherechten in den Unternehmen kommt – wohl nicht zuletzt vor dem Hintergrund der im internationalen Vergleich weitreichenden gesetzlichen Mitbestimmung in Deutschland – eine geringere Bedeutung zu.72

Im Ergebnis sprechen zahlreiche Vorteile für eine größere Verbreitung materieller Arbeitnehmerbeteiligung in Deutschland.

II. Der Gang der Untersuchung: Arbeitnehmerbeteiligung durch Entgeltflexibilisierung auf Unternehmensebene73

Vor dem Hintergrund der geringen Verbreitung tarifvertraglicher Regelungen zur Entgeltflexibilisierung74 wird in der vorliegenden Arbeit untersucht, ob und inwieweit in Abweichung von Tarifnormen Erfolgs- bzw. Kapitalbeteiligungsmodelle auf Betriebs- oder Unternehmensebene eingeführt werden können. Da die Beteiligungsmodelle der rechtlichen und wirtschaftlichen Situation des jeweiligen Arbeit gebenden Unternehmens Rechnung tragen müssen, dürften sich die Modalitäten der Arbeitnehmerbeteiligung unmittelbar mit den Arbeitgebern grundsätzlich am Praxisgerechtesten aushandeln lassen.75

Soweit ein Teil des bisherigen erfolgsunabhängigen Arbeitsentgelts im Rahmen eines substitutiven Beteiligungsmodells flexibilisiert werden soll, kollidiert die Teilflexibilisierung der Vergütung mit der Normativität des Tarifvertrags. Ein Schwerpunkt der Untersuchung liegt daher in der Günstigkeitsbeurteilung substitutiver Arbeitnehmerbeteiligung. Konkret stellt sich die Frage, ob sich durch die Chance auf eine übertarifliche Gesamtvergütung eine untertarifliche Mindestvergütung kompensieren lässt. Kann die Substitution eines feststehenden tariflichen Entgeltbestandteils durch eine erfolgsbezogene Vergütungskomponente sogar günstiger i.S.d. § 4 III 2. Alt. TVG sein? Die Antwort steht und fällt mit der Definition des Günstigkeitsbegriffs. So würde ein allein quantitatives Verständnis76 ← 23 | 24 → in beiderseits tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen substitutive Erfolgsbeteiligungsmodelle generell ausschließen.

Die Auslegung und Anwendung des Günstigkeitsprinzips haben sich an dessen verfassungsrechtlichen Grundlagen zu orientieren. Die Tarifautonomie und die Arbeitsvertragsfreiheit müssen in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Der Auslegung des arbeitsrechtlichen Günstigkeitsbegriffs wird daher ein Überblick über die kollidierenden Grundrechtspositionen vorangestellt.

Nach der Definition des Günstigkeitsbegriffs sollen zunächst abstrakte Methoden zur Bestimmung der Günstigkeit einer einzelvertraglichen Vereinbarung aufgezeigt werden. In einem weiteren Schritt werden konkrete Indizien für die Günstigkeit flexibilisierter Arbeitsentgelte entwickelt.

Wie jede Einzelfallabwägung ist die Günstigkeitsbeurteilung mit erheblichen Unsicherheiten verbunden. Daher soll untersucht werden, ob der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise abstrakte Kriterien für die Günstigkeit der substitutiven Arbeitnehmerbeteiligung aufstellen oder ein Modell der Arbeitnehmerbeteiligung in Abweichung von Tarifnormen und unabhängig von dessen Günstigkeit zulassen kann.

Die grundsätzliche Zuweisung des Wirtschaftsrisikos an den Arbeitgeber als „wesentlicher Gerechtigkeitsgedanke des Arbeitsrechts“77 setzt der Flexibilisierung der Vergütung – unabhängig von einer etwaigen Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien – Grenzen. Dies veranschaulicht nicht zuletzt die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Wirksamkeit von Änderungsvorbehalten in Allgemeinen Geschäftsbedingungen.78 Das Arbeitsverhältnis soll dem Arbeitnehmer ein dauerhaftes Auskommen sichern und zu einer längerfristigen Lebensplanung beitragen.79 Darüber hinaus darf die Entgeltflexibilisierung nicht zu einer sittenwidrigen Höhe der Vergütung führen.80 Daher soll der Frage nach den allgemeinen Zulässigkeitsgrenzen der Flexibilisierung des Arbeitsentgelts in nicht tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen nachgegangen werden.

Arbeitgeber, die ein betriebliches Beteiligungsmodell implementieren möchten, das nicht nur Führungskräften offen stehen soll, sind an einer möglichst hohen Partizipationsquote innerhalb der Belegschaft interessiert. Andernfalls wird sich der finanzielle und administrative Aufwand regelmäßig nicht „rechnen“. Unterhalb des Tarifvertrags kommen in der Normenhierarchie grundsätzlich ← 24 | 25 → zwei rechtliche Gestaltungsformen betrieblicher Arbeitnehmerbeteiligung in Betracht: Zum Einen bietet es sich aus Arbeitgebersicht an, mithilfe von Regelungsabreden bzw. durch Gesamtzusagen die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer erfolgsbezogenen Vergütungskomponente zu erleichtern. Zum Anderen könnte die betriebseinheitliche Geltung des Beteiligungsmodells durch den Abschluss von Betriebsvereinbarungen erleichtert werden. Untersucht wird daher die Reichweite der betrieblichen Regelungsbefugnisse im Bereich der Arbeitnehmerbeteiligung. Insbesondere stellt sich die Frage, ob und inwieweit Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung der erzwingbaren Mitbestimmung des § 87 I BetrVG unterliegen – mit der Folge, dass selbst bei Tarifüblichkeit Beteiligungsmodelle einer Regelung durch Betriebsvereinbarung zugänglich wären. Soweit die regelungsbedürftigen Fragen der Arbeitnehmerbeteiligung den erzwingbaren Mitbestimmungsrechten des § 87 I BetrVG nicht zugeordnet werden können, wird der Frage nach der Regelbarkeit der Arbeitnehmerbeteiligung im Rahmen einer freiwilligen Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG nachgegangen. Damit einher geht die Frage der umfassenden Regelungskompetenz der Betriebsparteien, die das Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung annimmt.81

Abschließend wird untersucht, ob und ggf. inwieweit der Tarifvorbehalt in verfassungsrechtlich zulässiger Weise gesetzlich eingeschränkt werden könnte, um umfassende Regelungen zur (substitutiven) Arbeitnehmerbeteiligung durch Betriebsvereinbarung zuzulassen.

In einem positiven wirtschaftlichen Umfeld steigt die Bereitschaft der Arbeitgeber, ihre Beschäftigten an dem Unternehmenserfolg zu beteiligen, wenn sich die aus diesen Beteiligungen resultierenden finanziellen Belastungen bei einer Verschlechterung der Wirtschaftslage wieder verringern. Somit könnte die Flexibilisierung von Vergütungsbestandteilen langfristig zu einer insgesamt höheren Vergütung führen.

Gegenüber Bonuszahlungen „nach Gutsherrenart“82 bietet eine vertraglich vereinbarte, längerfristige Entgeltflexibilisierung den Vorteil größerer Transparenz: Die Berechnungsmodalitäten des flexiblen Entgeltbestandteils werden im Voraus vertraglich vereinbart. Die Arbeitnehmer erfahren frühzeitig, inwieweit sie von einem bestimmten Unternehmenserfolg innerhalb des jeweiligen ← 25 | 26 → Bezugszeitraums profitieren können. Für die Arbeitgeber bietet die Entgeltflexibilisierung den Vorteil, dass sich die Arbeitskosten bei Umsatz- bzw. Gewinneinbußen automatisch reduzieren. Insbesondere im Mittelstand steigt daher die Nachfrage nach transparenten Modellen zur Erfolgs- bzw. Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer.83

__________

1 Tzschentke, Mitarbeiterbeteiligung und deren Besteuerung, S. 63 m.w.N.; Wagner, Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland – ein Überblick, NJW 2003, 3081.

2 Wagner, Renaissance der Mitarbeiterbeteiligung, BB Beilage 1995 Nr. 7, S. 2.

3 http://www.dowjones.de/site/2009/12/opelfranz- gm- prinzipiell- für- kapitalbeteiligung- der- mitarbeiter.html.

4 Vgl. Bellmann/Möller, IAB- Kurzbericht 17/2011, S. 3.

5 „Welche Aktien liegen näher als die des Arbeitgebers?“, FAZ- Beilage „Mitarbeiterbeteiligung“ vom 13.09.2012, S. V6.

6 Vgl. Mitteilung der Kommission über das Aktionsprogramm hinsichtlich der Umsetzung der Grundrechtecharta der Gemeinschaft (KOM 89, 569) vom 29.11.1989.

7 92/443/EWG, ABl.EG, L 245 vom 26.08.1992, S. 53ff.

8 Vgl. Zusammenfassung zum Lissabon- Treffen des Europäischen Rates vom 23./24.03.2000.

9 Bericht Nr. A5- 0150/2003 des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Europäischen Parlaments über die Mitteilung der KOM über „Rahmenbedingungen für die Förderung der finanziellen Beteiligung der Arbeitnehmer“.

10 Lowitzsch, Mitarbeiterbeteiligung für ein neues soziales Europa, S. 1, 2

11 Lowitzsch, S. 2.

12 Der PEPPER IV-­Bericht aus dem Jahr 2008 bot erstmals einen Gesamtüberblick der Mitarbeiterbeteiligung in allen Mitgliedsstaaten und Beitrittskandidaten. Vgl. Kuhn, „Europa setzt auf ESOP“, FAZ-­Beilage „Mitarbeiterbeteiligung“ vom 13.09.2012, S. V3.

13 Volz, Mitarbeiterbeteiligung in Europa, Japan, USA, S. 3.

14 Dieser Begriff wird in der vorliegenden Arbeit als Synonym für den Begriff „Arbeitnehmerbeteiligung“ verwendet.

15 Entsprechend ihrer vermögenspolitischen Zielrichtung ist die Arbeitnehmerbeteiligung hauptsächlich im „Fünften Vermögensbildungsgesetz“ vom 04.03.1994 geregelt. Vgl. Thüsing, BB 2009, Beilage 1, S. 6 ff.

16 Vgl. B I.

17 Stracke/ Martins, Mitarbeiterbeteiligung und Investivlohn, S. 63.

18 Mitarbeiterkapitalbeteiligungsgesetz vom 07.03.2009, in Kraft getreten am 01.04.2009, BGBl. I 2009, S. 451 ff.

19 Bundespräsidialamt, 2005.

20 Vgl. Thüsing, BB 2009, Beilage Nr. 1, 6 ff.

Details

Seiten
314
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653048230
ISBN (ePUB)
9783653978421
ISBN (MOBI)
9783653978414
ISBN (Hardcover)
9783631655993
DOI
10.3726/978-3-653-04823-0
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (Oktober)
Schlagworte
Regelungsbefugnisse AGB Tarifparteien Günstigkeitsbegriff
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 314 S.

Biographische Angaben

Christoph Römer (Autor:in)

Christoph Römer ist Volljurist und zugelassener Rechtsanwalt. Er studierte Rechtswissenschaft an den Universitäten zu Köln und Paris I Panthéon-Sorbonne.

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Titel: Entgeltflexibilisierung zur Arbeitnehmerbeteiligung
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