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Jesus, der Kyrios?

Die Plausibilität des christlichen Bekenntnisses

von Gertrud Pechmann (Autor:in)
©2014 Dissertation 310 Seiten

Zusammenfassung

« … denn wenn du mit deinem Mund bekennst: «Jesus ist der Herr» und in deinem Herzen glaubst: «Gott hat ihn von den Toten auferweckt», so wirst du gerettet werden.» (Röm 10,9) So lautet eines der ältesten Glaubensbekenntnisse des Neuen Testaments, das der Apostel Paulus in seinem Römerbrief überliefert hat. Es benennt den Kern des christlichen Bekenntnisses: Gott ist in Jesus Christus ein Mensch geworden, der gestorben und auferstanden ist. Aber wer war Jesus, wie sehen und verstehen ihn das Neue Testament, die Leben-Jesu-Forschung, die Ökumenischen Konzilien, moderne Theologen wie Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar sowie populäre Schriftsteller wie Gilbert Keith Chesterton und Clive Staples Lewis? Dieser Spur folgt das Buch. Es geht davon aus, dass die Person Jesus Christus eine Herausforderung für Glaube und Verstand ist, und möchte die Argumente christlicher Denker für die Plausibilität des christlichen Bekenntnisses darstellen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Vorwort
  • 1. Einleitung
  • 1.1 Ausgangspunkt und -fragen
  • 1.2 Vorgehensweise und Methodik
  • 2. Röm 10,9 und drei Ausgangsfragen
  • 2.1 Der Anspruch des Neuen Testaments
  • 2.2 Der Stand der historisch-kritischen Exegese
  • 2.3 Ist die Gleichung von Röm 10,9 plausibel?
  • 3. Die Geschichte der historisch-kritischen Leben-Jesu-Forschung
  • 3.1 Phase 1 (18. bis Mitte 20. Jahrhundert)
  • 3.2 Phase 2 (1950er bis 1980er Jahre)
  • 3.3 Phase 3 (Ende 20. / Beginn 21. Jahrhundert)
  • 3.4 Ein neuer Trend als Alternative zur historisch-kritischen Forschung
  • 3.4.1 Joseph Ratzinger
  • 3.4.1.1 Kritik an Ratzingers Jesus-Trilogie
  • 3.4.1.2 Zustimmung zu Ratzingers Jesus-Trilogie
  • 3.4.2 Karl-Heinz Menke
  • 4. Die christologischen Konzilien
  • 4.1 Die frühchristliche Mission
  • 4.1.1 Palästina
  • 4.1.2 Überblick über weitere Missionsländer
  • 4.1.2.1 Syrien
  • 4.1.2.2 Mesopotamien (mit Indien)
  • 4.1.2.3 Ägypten
  • 4.2 Wichtige theologische Diskussionen des ersten Jahrtausends
  • 4.2.1 Der Streit um Trinität und Christologie
  • 4.2.1.1 Die Schule von Alexandria
  • 4.2.1.2 Die Schule von Antiochia
  • 4.2.2 Die Ergebnisse der Konzilien
  • 4.2.2.1 Das Konzil von Nicaea
  • 4.2.2.2 Zwischen Nicaea und Konstantinopel
  • 4.2.2.3 Das Konzil von Konstantinopel 381
  • 4.2.2.4 Zwischen Konstantinopel und Ephesus
  • 4.2.2.5 Das Konzil von Ephesus 431
  • 4.2.2.6 Die Einigungsformel von Antiochia 433
  • 4.2.2.7 Die „Räubersynode“ 449
  • 4.2.2.8 Das Konzil von Chalcedon 451
  • 4.2.2.9 Die gescheiterte Rezeption von Chalcedon
  • 4.2.2.10 Das zweite Konzil von Konstantinopel 553
  • 4.2.2.11 Zwischen Konstantinopel II und III
  • 4.2.2.12 Das dritte Konzil von Konstantinopel 680/81
  • 4.2.2.13 Das zweite Konzil von Nicaea 787
  • 5. Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar
  • 5.1 Christliche Theologie im 20. Jahrhundert
  • 5.2 Karl Rahner
  • 5.2.1 Biografie
  • 5.2.2 Wichtige Werke
  • 5.2.3 Theologie
  • 5.2.4 Transzendentale Christologie
  • 5.3 Hans Urs von Balthasar
  • 5.3.1 Biografie
  • 5.3.2 Wichtige Werke
  • 5.3.3 Theologie
  • 5.3.4 Trinitarische Christologie
  • 5.4 Rahner – von Balthasar: Eine gegenseitige Ergänzung
  • 5.4.1 Vorüberlegungen zur Sicht von Gott, Mensch, Offenbarung
  • 5.4.2 Christologie
  • 5.4.3 Zusammenfassung
  • 6. Gilbert Keith Chesterton und Clive Staples Lewis
  • 6.1 Gilbert Keith Chesterton
  • 6.1.1 Biografie
  • 6.1.2 Wichtige Werke
  • 6.1.3 „Theologie“
  • 6.1.4 Christologie
  • 6.2 Clive Staples Lewis
  • 6.2.1 Biografie
  • 6.2.2 Wichtige Werke
  • 6.2.3 „Theologie“
  • 6.2.4 Christologie
  • 6.3 Chesterton – Lewis: Ein aufeinander Aufbauen
  • 7. Synthese
  • Literaturverzeichnis

← 10 | 11 →Vorwort

„Du hast Theologie studiert? Ich habe da eine Frage …“ – so beginnen die besten Gespräche. Theologie – das ist jedenfalls meine Erfahrung – ist ein „Türöffner“ zu Menschen. Sie ist eine faszinierende Wissenschaft, die sich mit den wichtigen Fragen des Lebens beschäftigt und diese christlich deutet: Gott. Mensch. Welt. Glaube. Kirche. Konfession. Deswegen und weil ich die katholische Theologie als eine vielseitige Disziplin mit exegetischen, historischen, sytematischen und praktischen Fächern schätze, habe ich mich entschieden, dieses Fach zu studieren. Nach meinem Studienabschluss bekam ich die Chance, als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Wolfgang Klausnitzer am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und vergleichende Religionswissenschaft an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg zu promovieren. Ich habe sie angenommen.

Meine Dissertation kreist um das Zentrum des christlichen Glaubens, Jesus Christus, und das Anliegen der Fundamentaltheologie, Glaube und Vernunft: Welche guten Gründe gibt es für den christlichen Glauben an Jesus den Christus, der zugleich Gott und Mensch war? Wie die Verfasser des Neuen Testaments ihn sahen, wie die Väter der Ökumenischen Konzilien um ihn rangen, was herausragende Theologen und berühmte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts über ihn dachten und wie sie den christlichen Glauben vermittelten – davon handelt diese Dissertation. Jedes dieser Kapitel wäre ein eigenes Forschungsprojekt wert. Wenn meine als Überblick angelegte Arbeit dazu anregt, freue ich mich. Weitere Themen akademischer Arbeiten wären etwa die Systematische Theologie der Gegenwart, wie sprachfähig die Theologie heute ist, wie Glauben im 21. Jahrhundert vermittelt wird, Pantheismus und christlicher Panentheismus, populäre christliche Literatur als Ort der Glaubensvermittlung. Für die Drucklegung habe ich Kapitel 4 gekürzt und Kapitel 3 und 6 erweitert.

Danken möchte ich allen, die mich beim Entstehungsprozess der Dissertation begleitet haben: Meinem Doktorvater Prof. Dr. Wolfgang Klausnitzer und meinem Zweitkorrektor Prof. Dr. Jürgen Bründl für die kompetente fachliche Betreuung und ihre große Geduld. Prof. Dr. Bernhard Heininger und Dr. Norbert Feinendegen für weiterführende fachliche Hinweise zu meinem Forschungsprojekt. Meinen Eltern, Dr. Albin und Elsbeth Pechmann, und Geschwistern, Dr. Georg Pechmann und Dr. Steffi Pechmann, für ihr Interesse an meiner Arbeit ← 11 | 12 →und nicht zuletzt für ihre liebevolle Unterstützung über Jahre hinweg. Meinen Freunden und Bekannten, die mich bei Durststrecken wieder aufmunterten und zum Durchhalten anhielten. Den Teilnehmern der Oberseminare des Lehrstuhls für Fundamentatheologie und vergleichende Religionswissenschaft für manche Anregung. Dr. Matthias Scherbaum für das Lesen des Manuskripts und Thomas Wolf für seine Hilfe mit der Technik. Danke!

← 12 | 13 →1. Einleitung

1.1 Ausgangspunkt und -fragen

„ … denn wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Jesus ist der Herr‘ und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt‘, so wirst du gerettet werden.“ (Röm 10,9) So lautet eines der ältesten Glaubensbekenntnisse des Neuen Testaments, die der Apostel Paulus in seinem Römerbrief überliefert hat. Die Formel „Jesus ist der Herr“ konzentriert sich auf den Kern des christlichen Glaubens, denn die Bezeichnung „Herr“ versieht Jesus Christus mit dem Prädikat der Göttlichkeit.1 Außerdem belegt Röm 10,9 den Glauben der Christen daran, dass Jesus von den Toten auferstanden ist – ein Ereignis, das sich konkret geschichtlich festmachen lässt und das für die Christen mit einer Erfahrung verbunden ist: Das Wirken Jesu und seine Auferstehung vermitteln das Heil auf einzigartige Weise. „Jesu Auferstehung war der Ausbruch in eine ganz neue Art des Lebens, in ein Leben, das nicht mehr dem Gesetz des Stirb und Werde unterworfen ist, sondern jenseits davon steht – ein Leben, das eine neue Dimension des Menschseins eröffnet hat“2, so beschreibt Joseph Ratzinger (Papst emeritus Benedikt XVI.) die universale Auswirkung der Auferstehung und stellt anschließend die Frage, der diese Arbeit auch nachgeht: „Aber kann es wirklich so gewesen sein?“3 Wie lässt sich die Auferstehung erklären und wie die Tatsache, dass sich in Jesus Gott und Mensch vereinen und dass durch seine Person, sein Wirken und seine Predigt die Gegenwart Gottes bereits zu Lebzeiten in Heilungen, Dämonenaustreibungen und Mahlgemeinschaften den Menschen erfahrbar werden ließ? Das ← 13 | 14 →Ereignis der Inkarnation und der Auferweckung /Auferstehung überschreitet die menschliche Erfahrung und wird deshalb auch als Mysterium, als Geheimnis, bezeichnet. In diesem Geheimnis spielt sich die Offenbarung Gottes in der Geschichte ab, die ihren Höhepunkt im Gottmenschen Jesus Christus findet, und als Inhalt „die heilsstiftende Lebensgemeinschaft mit Gott“4 hat. Wie kann das christliche Bekenntnis vor der Vernunft bestehen? Dieser Frage ist die vorliegende Arbeit auf der Spur, die sie exegetisch, historisch, systematisch und am Ende auch literarisch verfolgt.

Die Fragen nach dem neutestamentlichen Befund in Hinblick auf die Person Jesu Christi und nach der Verantwortbarkeit dieser Glaubensaussage sollen in einem ersten Teil der Arbeit geklärt werden (2. Kapitel). Daran schließt sich die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung an; besonders der neue systematische Trend der dritten und gegenwärtigen Phase soll bedacht werden (3. Kapitel). Danach soll ein kurzer Überblick über die Betrachtung Jesu Christi in alexandrinischer und antiochenischer Sicht sowie die entscheidenden Konzilien über die beiden Naturen in Jesus Christus dargelegt werden (4. Kapitel). Denn schon bald gab es Klärungsbedarf, nämlich wie man sich die Person Jesu Christi gemäß dem Glauben der Großkirche vorzustellen hatte. Jahrhundertelang rang die Kirche um eine angemessene Beschreibung seiner Person und griff dabei auf die zeitgenössischen, meist neuplatonischen, Begriffe zurück.

Bis heute ist die Person Jesu übrigens bedeutsam. Aktuell verzeichnet allein die Deutsche Nationalbibliothek, die die deutschsprachige Literatur seit 1913 erfasst, 29.572 Werke mit dem Namen „Jesus“ im Titel.5 Zwei Haupt-Denkrichtungen bildeten sich bereits in der Alten Kirche heraus. Die eine betont mehr die göttliche Natur beziehungsweise die Einheit der Naturen in der Person Jesu Christus (alexandrinische Denkform), die andere (antiochenische Denkform) betont besonders die eigenständige menschliche Natur in Jesus Christus. Beide Denkformen hatten und haben ihre Vor- und Nachteile. „Betont wird in der alexandrinischen Theologenschule die Subjekteinheit Christi, um so die heilschaffende Präsenz Gottes in der irdischen Wirklichkeit des Menschen Jesus zu sichern. Eine anders geprägte Theologenschule, die der Antiochener, wirft den Alexandrinern eine ‚Vermischung‘ von Gott und Mensch vor. Umgekehrt befürchten die Alexandriner in der antiochenischen Christologie eine Aufteilung Christi in zwei Söhne, einen innergöttlichen Sohn des Vaters und einen menschlichen Adoptivsohn Gottes, was Erinnerungen an die gnostische Aufspaltung ← 14 | 15 →des Gott-Menschen Jesus Christus einerseits in den Menschen Jesus und andererseits in die quasi-göttliche Christusidee heraufbeschwören kann“6, umreißt Menke die Charakteristika der beiden Denkschulen. Für endgültige Klarheit sollten die ersten ökumenischen Konzilien sorgen, bei denen Bischöfe beider Denkrichtungen versuchten, den christlichen Glauben dogmatisch möglichst genau zu definieren. Das Konzil von Chalcedon (451) versuchte eine Synthese und beschrieb Jesus Christus als eine Person mit vollständiger göttlicher und vollständig menschlicher Natur (DH 300-303).

Allerdings ist es schwierig, das Gleichgewicht zwischen beiden Polen, der göttlichen und der menschlichen Natur Jesu, zu halten, was sich bis heute in den Schriften der christlichen Theologen zeigt. So neigen viele Theologen und / oder Gläubige seit jeher dazu, entweder die alexandrinische oder die antiochenische Richtung zu favorisieren. Wie sich das auf den Zugang von Karl Rahner7 und Hans Urs von Balthasar8, den bekanntesten katholischen deutschsprachigen Theologen des 20. Jahrhunderts, zur Person Jesu Christi ausgewirkt hat, soll in einem weiteren Teil erläutert werden (Kapitel 5). Wie Gilbert Keith Chesterton9 und Clive Staples Lewis10 als populäre Schriftsteller und moderne Apologeten ← 15 | 16 →des 20. Jahrhunderts mit dem Dogma von Jesus Christus als Gott und Mensch umgegangen sind, wird in Kapitel 6 untersucht.

Die Grundfrage dieser Arbeit lautet: Ist der Wahrheitsanspruch von Röm 10,9 berechtigt? Lassen sich vernünftige Gründe für die Ineinssetzung des irdischen Jesus und des auferstandenen Christus Jesus anführen und lässt sich dieser Glaubenssatz nach 1 Petr 3,15 („Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen über den Grund der Hoffnung, die in euch ist“) rational begründen? Am Ende soll ein Antwortversuch stehen, indem eine Synthese aus den bisherigen Ansätzen gezogen wird (Kapitel 7).

1.2 Vorgehensweise und Methodik

Es ist die Aufgabe der Fundamentaltheologie, den Glauben an Jesus Christus systematisch-wissenschaftlich zu rechtfertigen. Dazu ist das Fach in der deutschsprachigen Fundamentaltheologie gewöhnlich in vier Traktate gegliedert (wie im vierbändigen Handbuch der Fundamentaltheologie11), von denen sich jedes an verschiedene Adressaten wendet: In der „demonstratio religiosa“ (Traktat Religion) sind die Adressaten Atheisten oder Agnostiker. Behandelt werden die Themen Religion, Gott und Offenbarung. In der „demonstratio christiana“ (Traktat Offenbarung) sind die Adressaten Angehörige anderer Religionen, die an Gott glauben. Behandelt wird das Thema der Offenbarung in Jesus Christus. In der „demonstratio catholica“ (Traktat Kirche) sind die Adressaten Christen anderer Konfessionen. Im Mittelpunkt steht hier die Kirche, ihre Wesenseigenschaften und äußeren Merkmale. Als vierten Traktat gibt es den Bereich der „Theologischen Erkenntnislehre“, die sich an die Katholiken wendet und besonders die Grundlagen des Glaubens und seine Verbindlichkeit in den Blick nimmt. Das Thema meiner Arbeit: „Jesus der Kyrios? Röm 10,9 und die Plausibilität des christlichen Bekenntnisses“ ist also im zweiten Traktat der Fundamentaltheologie verortet.

Die dafür gewählte Methode lässt sich als analytisch-synthetisch beschreiben: Analytisch, weil ich die Dokumente der frühkirchlichen Konzilien sowie der Leben-Jesu-Forschung, außerdem Schriften Rahners und von Balthasars und apologetischer Schriftsteller wie Chesterton und Lewis auswerte, und synthetisch, weil ich aus dem Dargelegten eine Schlussfolgerung ziehe: Die Gleichung ← 16 | 17 →„Jesus Christus ist der Herr“ soll mit plausiblen Gründen als glaubwürdig erwiesen werden. Die jeweiligen Autoren und die Sekundärliteratur werden bewusst breit zitiert, damit sich der Leser einen Eindruck in die jeweilige Argumentation verschaffen kann.

Folgende Literatur12 wurde schwerpunktmäßig verwendet (jedes Buch enthält natürlich weitere Literaturangaben):

Geschichte der Leben-Jesu-Forschung

In Wolfgang Klausnitzers Buch „Kirche, Kirchen und Ökumene“ (2010) findet sich ein kurzer Überblick über die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung mit allen relevanten Informationen. Besonders interessant ist die Darstellung des neuen Trends, bei dem die Trennung zwischen dem historischen Jesus und dem Christus des Glaubens aufgehoben, eine „Christologie von oben“ betrieben wird und den Evangelien eine hohe Glaubwürdigkeit bescheinigt wird.13 Klausnitzer stützt sich in seiner Darstellung unter anderem auf Walter P. Weavers Werk „The Historical Jesus in the Twentieth Century 1900-1950“ (1999), das die Jesus-Forschung der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert mit dem Fokus auf die englischsprachige Literatur beschreibt. Damit will der Autor das Standardwerk Albert Schweitzers über die erste Phase der „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ fortsetzen. Weiterhin rezipiert Klausnitzer – durchaus mit Anfragen (etwa ob Ostern eine qualitative Neubewertung Jesu nach sich zog) – Klaus Berger, etwa sein Standardwerk „Theologiegeschichte des Urchristentums“ (21995). Auch verwendet Klausnitzer Joachim Gnilkas Buch, „Jesus von Nazareth. Botschaft und Geschichte“ (61993), der die Zeit des 20. Jahrhunderts abdeckt, sowie Albert Schweitzers „Geschichte der Leben-Jesu-Forschung“ (91984) mit einer Darstellung der Forschung seit dem 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Schweitzers große Leistung liegt im Nachweis, dass die von ihm behandelte Zeit sich mit der ihr eigenen geistesgeschichtlichen Voraussetzung Jesus nähert. Die ersten Jesusforscher zeichneten deshalb ein Bild von Jesus, das dem aufgeklärten Ideal der Zeit entsprach. Joachim Gnilka gibt einen knappen Überblick, der dem Stand der aktuellen Forschung entspricht; sein Jesusbuch bietet einen guten Überblick aus katholischer Perspektive mit Blick auf die neue Literatur; divergierende Forschungsmeinungen werden einander gegenüber gestellt und bewertet.

← 17 | 18 →Auch der „neue Trend“ in der jüngsten Leben-Jesu-Forschung wird mit vielen Beispielen behandelt; eine tragende Rolle spielen das Werk von Karlheinz Menke „Jesus ist Gott der Sohn“ (2008) und die bislang dreibändige Monographie „Jesus von Nazareth“ (Prolog 2012; erster Teil 2007; zweiter Teil 2011) von Joseph Ratzinger (Papst emeritus Benedikt XVI.). Beide Forscher beschreiben als Basis ihres Werkes das Bekenntnis zu Jesus als Gottes Sohn.14 Menke gibt als Motivation seiner Christologie an, „gegen alle Spielarten des Relativismus die unbedingte und unableitbare Einzigkeit Jesu Christi“15 begründen zu wollen: „Hier werden die Weichen gestellt – gegen bestimmte Formen der Trennung des historischen vom bezeugten Christus, des Jesus vor Ostern vom Christus nach Ostern […] gegen philosophisch (Postmoderne), religionsgeschichtlich (Pluralistische Religionstheologie) oder faktisch (Globalisierung) motivierte Relativierungen.“ Jesus Christus ist Gottes Selbstoffenbarung in der Geschichte. Deshalb sind die Glaubenssätze der Kirche bezüglich Präexistenz des Logos, Jungfrauengeburt und Auferweckung für Menke objektive Tatsachen. Er schreibt dazu: „Das, was Christen Weihnachten und Ostern feiern, muss unabhängig von den Deutungen der Theologen und den Plausibilitäten der Gläubigen an und für sich geschehen sein, und zwar im Raum der Geschichte. Andernfalls ist das Christentum eine unter vielen Sinndeutungen und Weltanschauungen, nicht aber gelebte Konsequenz eines Faktums.“16 Hier stellt sich die Frage, ob nicht die Interpretation des Jesus-Geschehens durch die nachösterliche Gemeinde stärker in die Überlegungen miteinbezogen werden sollte. Schließlich wissen wir davon nur von den Schriften des Neuen Testaments und diese wollen keine „objektiven“ Tatsachenberichte im heutigen Sinn geben oder naturwissenschaftliche Wissensvermittlung betreiben, sondern zuerst Glaubensschriften sein (die natürlich von der sich geschichtlich ereignenden Offenbarung berichten).

Als Stand der Forschung könnte man hier bezeichnen, dass Jesus im Bezug zu seiner Umwelt gesehen und verstanden wird und dass nicht nur theologische Forschungen, sondern auch Forschungsergebnisse anderer Fächer (beispielsweise der Archäologie) einbezogen und neue Kriterien für die Jesusforschung entwickelt werden. So werden beispielsweise theologische Strukturen von Botschaft, Wirken und Leben Jesu von Nazaret17 systematisiert, etwa die von Jesus ← 18 | 19 →geforderten und gelebten religiös-ethischen Grundhaltungen, und Strukturen von Christologie und Soteriologie in nachösterlicher Transformation, erhoben. Dann gibt es in der Leben-Jesu-Forschung mittlerweile bei Exegeten wie Systematikern eine breite Basis, die annimmt, dass eine sachliche Kontinuität des vorösterlichen Jesus zum nachösterlichen Christus besteht, was meistens mit dem Schema „impliziter“ und „expliziter“ Christologie erklärt wird.18 Mittlerweile beklagen manche Forscher aber schon wieder eine „dogmatische Engführung“ dieses Forschungszweigs, die dem Neuen Testament in seiner Vielfalt nicht gerecht werde.19

Darstellung der alexandrinischen und antiochenischen Schule

Karl-Heinz Menke stellt in seinem Werk „Jesus ist Gott der Sohn“ biblische Christologie im Neuen Testament, Denkformen und Brennpunkte der griechischen Christologie (von Origenes bis Theodor von Mopsuestia) vor und konzentriert sich anschließend auf die christologischen Entwürfe der Neuzeit seit Lessing und Kant. Bei der Präsentation der alexandrinischen und antiochenischen Schule greift er unter anderem auf Alois Grillmeiers Standardwerk „Jesus der Christus im Glauben der Kirche“ (2004) zurück. Er zitiert ausführlich Quellen (beispielsweise von Origenes als Vordenker der alexandrinischen Denkform). Menke schafft es ausgezeichnet, die großen Zusammenhänge der Christologie der Alten Kirche verständlich darzustellen und heutige systematische Fragen damit zu verbinden.

Ähnlichkeiten zwischen seinem Werk und meiner Dissertation betreffen den dogmengeschichtlichen Teil und die Darstellung der Christologie Karl Rahners ← 19 | 20 →und Hans Urs von Balthasars. Menke vergleicht allerdings nicht Rahner und von Balthasar miteinander, sondern setzt Rahner in Beziehung zu Friedrich Schleiermacher (Kapitel 5: „Jesus – wahrer Mensch ohne menschliches Selbstbewusstsein?“). Hans Urs von Balthasar ordnet er zusammen mit Karl Barth und Gisbert Greshake dem Modell „Stellvertretung oder: Das christozentrische Modell“ (Kapitel 6: „Jesus Christus – der Weg, die Wahrheit und das Leben für alle Menschen aller Zeiten?“) zu. Während bei Menke die Systematik im Vordergrund steht, will die vorliegende Arbeit die Christologie der beiden großen Theologen sowohl lebensgeschichtlich (daher ein biografischer Teil zu Rahner und von Balthasar) als auch im Gesamt ihrer Werke und Theologie verorten (daher je ein Teil zu wichtigen Werken Rahners und von Balthasars sowie ein Teil zu ihrem theologischen Ansatz).

Überblick über die christologischen Konzilien

Eine sehr schöne grafische und inhaltlich präzise dogmengeschichtliche Zusammenfassung der Themen der frühchristlichen Konzilien bietet Christian Lange im Band „Die altorientalischen Kirchen“ (Darmstadt 2010).20 Er orientiert sich unter anderem an Darstellungen von Luise Abramowski21, Sebastian Brock22, Franz Dünzl23, Karl Suso Frank, Alois Grillmeier, Pierre Maraval und Friedhelm Winkelmann24.

Karl Suso Frank hat mit dem „Lehrbuch der Geschichte der Alten Kirche“ (32002) ein Standardwerk verfasst, das detailliert sämtliche Themen der Alten Kirchengeschichte abdeckt: Von den Methoden über die Entstehung der Kirche, ihre Verfassung und Ämter, das innerchristliche Leben, Orthodoxie und Häresie im Zusammenhang mit der Lehrentwicklung, kirchliche Literatur und Wissenschaft, die Kirche als Reichskirche bis hin zur griechischen und lateinischen Theologie. Er bietet zu jedem Abschnitt extra Quellen- und Literaturhinweise, neben deutschsprachiger Literatur auch englische, französische und italienische. ← 20 | 21 →In seiner Darstellung des christologischen Streits des ersten Jahrtausends finden sich bekannte Forschernamen wie Wolfgang Bienert25, Hanns-Christof Brennecke26, Alois Grillmeier, André de Halleux27, Charles Kannengiesser, Adolf Martin Ritter28 und Manlio Simonetti29.

Von Hermann Josef Sieben stammt der Band „Vom Apostelkonzil zum Ersten Vatikanum. Studien zur Geschichte der Konzilsidee“ (Paderborn 1996). Für den Bereich der Alten Kirche widmet er sich altkirchlichen Legenden, den Apostelkonzilien und den Synoden von Nicaea, Ephesus und Chalcedon, der Rolle der Heiligen Schrift bei den Konzilien und der Konzilsrezeption in der altkirchlichen Tradition. Neben ausführlicher Darstellung der Quellen erscheinen bei den Literaturangaben Namen wie Julius Assfalg30, Hanns-Christoph Brennecke31 und Friedhelm Winkelmann32.

Karl Rahner

Das Werk von Michael Schulz, „Karl Rahner begegnen“ (2004), zeichnet sich durch Übersichtlichkeit und Verständlichkeit aus, mit der er sich der Person, dem Werk und den Hauptthemen von Karl Rahner nähert: Schulz konzentriert sich bei der Darstellung der Philosophie und Theologie auf das Hauptwerk Rahners, den „Grundkurs des Glaubens“. Gut geeignet ist das Buch für den Einstieg in das Leben und Wirken Rahners, zumal Schulz zum Schluss hilfreiche Literaturtipps gibt. Er rezipiert unter anderem das Werk von Albert Raffelt / Hansjürgen Verweyen „Karl Rahner“ (1997), Karl Heinz Neufelds Buch „Die ← 21 | 22 →Brüder Rahner. Eine Biograhie“ (1994) und das Werk Herbert Vorgrimlers „Karl Rahner verstehen“ (1985).

Eine ausführliche Biografie der Brüder Hugo und Karl Rahner hat Karl Heinz Neufeld, „Die Brüder Rahner“ (22004) geschrieben.

Herbert Vorgrimlers Buch „Karl Rahner verstehen. Gotteserfahrung in Leben und Denken“ (42002) bietet einen guten Einblick, vor allem in die Themen bzw. das Werk Rahners und auch die äußeren Verhältnisse, die Einfluss auf Rahner hatten. Weil der Autor sich nicht scheut, seinen Standpunkt klar darzulegen (etwa zu Rahners Beziehung zur Schriftstellerin Luise Rinser oder das Verhältnis zu Hans Urs von Balthasar), und ein wichtiger Weggefährte Rahners war, ist es besonders interessant, diesen Band zu lesen.

Zwei sehr fundierte Beiträge zur Rahnerschen und zur von Balthasarschen Theologie bietet Rosino Gibellini, „Handbuch der Theologie im 20. Jahrhundert“ (1995). Er zitiert die Werke der beiden Theologen (bei Rahner oft den „Grundkurs“, bei von Balthasar „Herrlichkeit I-III“, „Theodramatik“ I-IV und Theologik I-II). Bei der Darstellung Rahners weist seine Bibliographie hin auf Herbert Vorgrimlers „Karl Rahner verstehen“, Engelbert Guggenbergers Werk „Karl Rahners Christologie und heutige Fundamentalmoral“ (1990) und Ignacy Bokwas „Christologie als Anfang und Ende der Anthropologie. Über das gegenseitige Verhältnis zwischen Christologie und Anthropologie bei Karl Rahner“ (1990) sowie Karl Heinz Wegers Werk „Karl Rahner. Eine Einführung in sein theologisches Denken“ (1978). Bei der Darstellung von Balthasars nutzt Gibellini neben anderen Werken Elio Guerrieros ausführliche Biografie „Hans Urs von Balthasar“ (21993), Thomas Krenskis „Passio Caritatis. Trinitarische Passiologie im Werk Hans Urs von Balthasars“ (1990) sowie Rino Fisichellas „Hans Urs von Balthasar. Dinamica dell’amore e credibilità des christianesimo“33 (1981).

Hans Urs von Balthasar

Empfehlenswert ist die „Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar“ (2005) von Werner Löser, die im ersten Teil wichtige Gesprächspartner von Balthasars nennt, die ihn in seinem theologischen Schaffen beeinflusst haben, und im zweiten Teil die Themen der Gespräche skizziert.

Michael Schulz hat auch zu Hans Urs von Balthasar ein Buch vorgelegt, das gut als Einführung zu lesen ist: „Hans Urs von Balthasar begegnen“ (2002) bietet einen ersten biografischen Teil und einen zweiten, der die Theologie von ← 22 | 23 →Balthasars behandelt. Schulz erklärt, dass er die Theologie von Balthasars in Auseinandersetzung mit den Themen Rahners behandeln will34, aber mehr als einige allgemeine Vergleiche werden nicht geführt35. Echte Pluspunkte sind die Übersichtlichkeit des Bandes und die Literaturtipps am Ende. Schulz empfiehlt unter anderem die Biografie Guerrieros, das von Medard Kehl / Werner Löser herausgegebene Hans Urs von Balthasar-Lesebuch „In der Fülle des Glaubens“36 (21981) und den Beitrag Peter Henricis „Erster Blick auf Hans Urs von Balthasar“, im Sammelband von Karl Lehmann / Walter Kasper „Hans Urs von Balthasar. Gestalt und Werk“37 (1989), 18-61.

Angelo Scola, ehemaliger Mitarbeiter und Freund Hans Urs von Balthasars, hat in seinem Band „Hans Urs von Balthasar – ein theologischer Stil. Eine Einführung in sein Werk“ (1996) in zehn Kapiteln einen Überblick über das gesamte Werk Hans Urs von Balthasars vorgelegt, der sich sehr gut und verständlich liest. Er beruht auf der Arbeit mit Studierenden am John Paul II Institute in Washington und an der Lateranuniversität Rom, die Scola in Seminaren in das Werk von Balthasars einführt.

Die Standardbiografie über Hans Urs von Balthasar hat Elio Guerriero verfasst: „Hans Urs von Balthasar. Eine Monographie“ behandelt sämtliche Facetten der Lebensgeschichte des Schweizer Theologen.

Details

Seiten
310
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783653041323
ISBN (ePUB)
9783653985238
ISBN (MOBI)
9783653985221
ISBN (Hardcover)
9783631649862
DOI
10.3726/978-3-653-04132-3
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (August)
Schlagworte
Christologie Leben-Jesu-Forschung Rahner Karl Balthasar Hans Urs von
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2014. 310 S., 2 Tab.

Biographische Angaben

Gertrud Pechmann (Autor:in)

Gertrud Pechmann studierte Katholische Theologie in Bamberg und Rom. Danach war sie als freie Journalistin und Religionslehrerin im Kirchendienst tätig. Derzeit ist sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und Vergleichende Religionswissenschaft an der Universität Würzburg. Ihre Interessensschwerpunkte sind Glaube und Vernunft, Ökumene und Interreligiöser Dialog.

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Titel: Jesus, der Kyrios?
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