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Emotionen und Selbstreflexionen in den Romanen von Giovanni Arpino

von Lea Akkermann (Autor:in)
©2017 Monographie 291 Seiten

Zusammenfassung

Giovanni Arpino (1927–1987) bezeichnete sein Schreiben als «ricerca dell’umano», als eine «Erforschung des Menschlichen». Im Vordergrund steht dabei, was eine Figur fühlt und denkt. Diese Selbsteinschätzung des bisher kaum erforschten Autors fungiert als Lektüreschlüssel der Studie, die eine textnahe Funktions- und Darstellungsanalyse der in ausgewählten Romanen dargestellten Emotionen und Selbstreflexionen vornimmt. Die Verfasserin zeigt die handlungsgenerierende, subjektkonstituierende und identitätsstiftende Funktion von Emotionen, die sich in selbstreflexiven Prozessen abbildet. Emotionen und Selbstreflexionen dienen der Erstellung eines Psycho- und Soziogramms; perspektivierendes Erzählen und Sprachbilder ergänzen sich dabei auf Darstellungsebene gegenseitig.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Giovanni Arpino romanziere
  • 2.1 Autor und Werk
  • 2.2 Arpino im Spiegel des literarischen Secondo Novecento: Einordnung von Autor und Werk durch Literaturkritik und Forschung
  • 2.3 Stand der Forschung
  • 3. Giovanni Arpinos literarische „ricerca dell’umano“
  • 3.1 „Una ricerca dell’umano“: Zu einer Poetik des Autors
  • 3.2 Vorüberlegungen
  • 3.2.1 Begrifflichkeiten
  • 3.2.2 Erzählte Emotionen: Darstellung und Funktion von Emotionen in der Literatur
  • 3.2.3 Emotionale Reaktionen und selbstreflexive Prozesse
  • 3.2.4 Die Darstellung von emotionalen Reaktionen und selbstreflexiven Prozessen im Roman: Gattungsspezifische Charakteristika und narrative Verfahren
  • 3.3 Instrumentarium
  • 3.3.1 Auswahl der Textpassagen
  • 3.3.2 Narratologische Grundlagen
  • 3.3.2.1 Zeit
  • 3.3.2.2 Modus
  • 3.3.2.3 Stimme
  • 3.3.3 Sprachlich-rhetorische Grundlagen
  • 3.3.3.1 Metaphern
  • 3.3.3.2 Vergleiche
  • 3.3.4 Korpus
  • 4. Funktion und Darstellung von emotionalen Reaktionen und selbstreflexiven Prozessen: Analyse ausgewählter Romane
  • 4.1 Un delitto d’onore (1961)
  • 4.1.1 Romananalyse
  • 4.1.1.1 „Capiva di dover decidere“ – Heranreifen einer Entscheidung
  • 4.1.1.2 „Bella. Uccisa.“ – Der Mord an Sabina
  • 4.1.1.3 „Avete caffè?“ – Der Mord an Elena Carbone
  • 4.1.1.4 „Ho ammazzato due donne.“ – Umgang mit dem Geschehenen
  • 4.1.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 4.2 L’ombra delle colline (1964)
  • 4.2.1 Romananalyse
  • 4.2.1.1 „Ottocento chilometri di distanza“ – Vor Beginn der Reise
  • 4.2.1.2 „Il viaggio che mi dovrebbe aiutare a far ordine“ – Während der Reise
  • 4.2.1.3 „Tutto è ancora qui“ – Ankunft und Aufenthalt im Piemont
  • 4.2.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 4.3 Domingo il favoloso (1975)
  • 4.3.1 Romananalyse
  • 4.3.1.1 Ein überfahrener Hund als „messaggio infernale“
  • 4.3.1.2 „L’ho trovata“ – Die Schicksalsbegegnung mit Arianna
  • 4.3.1.3 „E questo è ultimo giorno“ – Das physische Verschwinden Ariannas
  • 4.3.1.4 „Basta che tu dica: io sto bene.“ – Ariannas Vermächtnis
  • 4.3.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 4.4 Il fratello italiano (1980)
  • 4.4.1 Romananalyse
  • 4.4.1.1 „Catena delle riflessioni pericolose“ – Heranreifen einer Entscheidung
  • 4.4.1.2 „Lei: ha sparato. E io a guardare“ – Der Mord an Jonia
  • 4.4.1.3 „Lei no. Lei proprio no“ – Der Mord an Pepito
  • 4.4.1.4 „E con un dubbio“ – Umgang mit dem Geschehenen
  • 4.4.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 4.5 Passo d’addio (1986)
  • 4.5.1 Romananalyse
  • 4.5.1.1 „Voglio andarmene da uomo, non da larva“ – Meronis Versprechen
  • 4.5.1.2 Ginettas „mossa da leone(ssa)“
  • 4.5.1.3 „Le difficili scelte del libero arbitrio“ – Umgang mit dem Geschehenen
  • 4.5.2 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 5. Vergleich der Romane: Parallelen und Unterschiede auf Handlungs- und Darstellungsebene
  • 5.1 Handlungsebene
  • 5.1.1 Tod und Krankheit
  • 5.1.2 Reisen
  • 5.1.3 Zwischenmenschliche Beziehungen
  • 5.1.4 Frauenfiguren
  • 5.1.5 Erinner(unge)n
  • 5.1.6 Infelicità
  • 5.2 Darstellungsebene
  • 5.2.1 Narratologische Elemente
  • 5.2.2 Sprachlich-rhetorische Elemente
  • 5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 6. Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

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1. Einleitung

Pensiero Gedanke
Talvolta è per me il dolore
come un sole che spunta tra le nebbie
e lancia un raggio obliquo
e pastoso
tra festoni di morbide trine.
Manchmal ist für mich der Schmerz
wie eine Sonne, die zwischen den
Nebeln hervorkommt
und einen schiefen Strahl wirft
einen dichten
zwischen Festons aus weichen Spitzen.
Io amo gli uomini che il tormento ha sospinto
sugli orli della vita e come naufraghi
vagano senza una meta.
Ich liebe die Menschen, die von Qual
getrieben
am Rand des Lebens und
wie Schiffbrüchige
umherirren ohne Ziel.
Cos’è la vita, senza un tormento
che ti sublima, se non una conca
d’ombre vaghe fluttuanti?1
Was ist das Leben, ohne Qual,
die dich erhebt, wenn nicht ein Kessel
aus vage-schwankenden Schatten?
Gennaio 1946 Januar 1946

Das lyrische Ich in diesem Gedicht von Giovanni Arpino (1927–1987) fühlt sich ergriffen vom Schmerz, der Licht in die Dunkelheit bringt und den Nebel verdrängt. Es liebt die von Qual getriebenen, gescheiterten und orientierungslosen Menschen. Die Frage nach der Bedeutung eines von ihr befreiten Lebens – „Cos’è la vita, senza un tormento“ – bleibt rhetorisch. Das lyrische Ich spricht der Qual im Leben des Einzelnen eine positive, die Identität prägende Funktion zu: sie erhebt den Menschen, befreit ihn und gibt den vagen, schwankenden Schatten seiner Existenz individuelle Konturen, dem Menschen ein Gesicht.

Inmitten der Trümmer des 2. Weltkriegs widmet sich der gerade einmal 19-jährige Giovanni Arpino dem Menschen, dessen Schmerzen und Qualen. Dieses frühe Gedicht lässt bereits erkennen, dass es der Mensch ist, der den Autor bewegt und bis zum Ende seines Lebens faszinieren wird. Nicht nur in der Lyrik, sondern auch in seinen Kurzgeschichten, Theaterstücken und vor allem in seinen Romanen beschreibt Arpino den Menschen der Gegenwart, erforscht ihn und beobachtet ← 13 | 14 → ihn dabei, wie er mit seinen Empfindungen umgeht. In seinen Texten beweist Arpino ein feines Gespür für sensible gesellschaftspolitische Themen seiner Zeit – die vielfach auch heute noch von Aktualität sind – und gestaltet Situationen, in denen die Figuren seiner Texte mit sich und ihrer Umwelt hadern. Er selbst bezeichnete sein Schreiben als eine „ricerca dell’umano“2, eine ‚Erforschung des Menschlichen‘; seine Texte haben das Ziel, die Eigenschaften, die das Menschliche, den Menschen seiner Zeit charakterisieren, zu ergründen. Er betrachtet es als seine Aufgabe, sich in seinen Texten auf die Suche nach den Ursachen und Charakteristika zu machen, die die von seinen Figuren empfundene emotionale Verfassung auszeichnen, und zeigt, wie sich ein Individuum mit sich und seiner Welt auseinandersetzt.

In seiner literarischen ‚Erforschung‘ steht folglich im Vordergrund, was eine Figur fühlt und denkt. Die Auseinandersetzung der Figur mit sich und ihrer Welt führt zu Spannungen, die in Form von emotionalen Reaktionen und selbstreflexiven Prozessen zum Ausdruck gebracht werden. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, Arpinos „ricerca dell’umano“ in seinen Romanen nachzuspüren. Es soll gezeigt werden, dass Arpinos ‚Erforschung des Menschlichen‘, des Menschen insgesamt, im Spiegel der in den Romanen beschriebenen Emotionen und Selbstreflexionen gelesen werden kann.

Giovanni Arpino ist in der Forschung damals wie heute wenig beachtet und gewürdigt worden. Obwohl er unter anderem mit dem renommierten Premio Strega (im Jahr 1964 für L’ombra delle colline) und dem ebenfalls bedeutenden Premio Super Campiello (im Jahr 1980 für Il fratello italiano) ausgezeichnet wurde, gibt es erstaunlich wenige Untersuchungen seines Werks. Während in der italienischen Italianistik wenige Studien vorhanden sind3, lassen sich in der deutschsprachigen Italianistik bis heute weder Monographien noch einschlägige Aufsätze zum Autor recherchieren. Mit der vorliegenden Arbeit soll nicht nur ein Beitrag zur Arpino-Forschung geleistet, sondern gleichzeitig die Forschungslücke in der deutschsprachigen Italianistik gefüllt werden.

Die vorliegende Arbeit ist in vier Teile gegliedert und beginnt mit einem Kapitel zu Autor und Werk (Kapitel 2.1). Die Verquickung von biographischen Angaben mit der Rekonstruktion seines schriftstellerischen Schaffens dient der Vorstellung des Autors Giovanni Arpino. Das Untersuchungsinteresse gilt seinem Romanwerk, das eine Zeitspanne von 35 Jahren (1952–1987) umfasst. Im Anschluss daran werden zunächst die Entwicklungen der italienischen ← 14 | 15 → Literaturlandschaft der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts skizziert (Kapitel 2.2). Vor diesem Hintergrund sollen Versuche einer Einordnung von Autor und Werk in Literaturkritik und Forschung vorgestellt werden. Ergänzt wird dieses Kapitel durch Äußerungen des Autors, die nicht nur die Einordnung des eigenen Werks zeigen, sondern auch Aufschluss über Arpinos Literaturverständnis geben sollen. Das dritte Unterkapitel zu Giovanni Arpino romanziere erörtert die Lage der Forschung und hebt die Relevanz des Forschungsvorhabens hervor (Kapitel 2.3).

Der zweite Abschnitt des Theorieteils widmet sich dem Forschungsgegenstand, der im Rahmen des ersten Unterkapitels aus einer Poetik des Autors gewonnen wird (Kapitel 3.1). Um Arpinos „ricerca dell’umano“ in seinen Romanen nachspüren zu können, soll eine Funktions- und Darstellungsanalyse von emotionalen Reaktionen und selbstreflexiven Prozessen anhand ausgewählter Romane erfolgen. Das Forschungsfeld macht zunächst eine Reihe von Vorüberlegungen erforderlich. In einem ersten Schritt müssen die Begrifflichkeiten geklärt werden (Kapitel 3.2.1). Es folgt ein Kapitel zu Darstellung und Funktion von Emotionen in der Literatur (Kapitel 3.2.2), in dem auf den Umgang mit Emotionen in der Forschung zunächst allgemein und sodann speziell in der Literaturwissenschaft eingegangen werden soll. Neben der literaturgeschichtlichen Einordnung des Verhältnisses von Literatur und Emotionen steht hier die Emotionsforschung in den Literaturwissenschaften im Vordergrund. Eine Übersicht über die verschiedenen Phasen der jüngeren literaturwissenschaftlichen Emotionsforschung zeigt Entwicklungen und Tendenzen neuerer Studien. Vor diesem Hintergrund sollen Ansatz und Schwerpunktsetzung der vorliegenden Arbeit erörtert werden. Es folgt ein Kapitel mit Vorüberlegungen zur Verbindung von emotionalen Reaktionen und selbstreflexiven Prozessen (Kapitel 3.2.3). Zum Abschluss des Theorieteils wird nach gattungsspezifischen Charakteristika und narrativen Verfahren des Romans gefragt, die bei der Darstellung von Emotionen und Selbstreflexionen eine Rolle spielen können (Kapitel 3.2.4).

An den Theorieteil der Arbeit schließt ein auf die Analyse der Romane zugeschnittenes Kapitel zur Methodik an, das das ‚Handwerkszeug‘ für die Funktions- und Darstellungsanalyse von Emotionen und Selbstreflexionen bereitstellt. In einem ersten Schritt soll zunächst die Vorgehensweise zur Auswahl der Textpassagen erläutert werden (Kapitel 3.3.1). Zur Analyse der Darstellung emotionaler Reaktionen und selbstreflexiver Prozesse in den ausgewählten Textpassagen sollen anwendungsorientierte narratologische Methoden eingesetzt werden (Kapitel 3.3.2). Im Vordergrund stehen dabei die Genetteschen Analysekategorien Zeit, Modus und Stimme. Die Analyse der Darstellung macht zudem eine Einführung in sprachlich-rhetorische Grundlagen notwendig (Kapitel 3.3.3). ← 15 | 16 → Wie im Kapitel zur Darstellung und Funktion von Emotionen in der Literatur (Kapitel 3.2.2) antizipiert, treten bei der Versprachlichung von Emotionen (und selbstreflexiven Prozessen) sehr häufig Sprachbilder, speziell Metaphern und Vergleiche auf. Es soll ein auf die Texte ausgerichteter Überblick über die beiden rhetorischen Stilmittel gegeben werden. Anschließend folgen Überlegungen zum Korpus der Arbeit und zur Romanauswahl (Kapitel 3.3.4).

Im Zentrum der Arbeit steht die Analyse der Romane Un delitto d’onore (1961), L’ombra delle colline (1964), Domingo il favoloso (1975), Il fratello italiano (1980) und Passo d’addio (1986) (Kapitel 4). Die Einzelanalysen sind in ihrem Aufbau durch die jeweilige Handlung der Romane strukturiert. Um die Funktion und Darstellung emotionaler Reaktionen und selbstreflexiver Prozesse bestimmen zu können, muss die Entwicklung der jeweiligen Figur nachgezeichnet werden. Zum Schluss der Einzelanalysen sollen jeweils die Ergebnisse zusammengetragen und ausgewertet werden. Auf diese Weise wird eine Grundlage für den Vergleich der Romane geschaffen, der in einem gesonderten Kapitel vorgenommen wird (Kapitel 5). Neben den ausführlich untersuchten Romanen sollen im Rahmen des Vergleichs auch die anderen Romane des Autors ergänzend hinzugezogen werden. Das Vergleichskapitel hat die Funktion, die Ergebnisse der Einzelanalysen gegenüberzustellen, um Parallelen und Unterschiede auf Handlungs- und Darstellungsebene herausarbeiten zu können. Im Rahmen der Schlussbetrachtung sollen diese Ergebnisse noch einmal knapp aufgelistet und abschließend auf den Theorie- und Methodenteil rückbezogen werden.

Die vorliegende Untersuchung ist nicht nur Italianistinnen und Italianisten vorbehalten. Bei der Analyse von Emotionen und Selbstreflexionen in der Literatur handelt es sich um ein Forschungsfeld, das auch über die Fachgrenzen hinaus von Interesse ist. Um einen Zugang zu Ansätzen, Analysen und Ergebnissen zu ermöglichen, sind daher deutsche Übersetzungen der Romanausschnitte hinzugefügt. Zitate des Autors werden, da sie an mehreren Stellen als Lektüreschlüssel fungieren, stets von einer deutschen Übersetzung begleitet. Lediglich zwei der hier analysierten Romane – Un delitto d’onore und L’ombra delle colline – wurden bisher ins Deutsche übertragen. Die Übersetzungen der verwendeten Passagen beider Romane werden im fortlaufenden Text aus der entsprechenden deutschen Ausgabe zitiert.4 Sämtliche verwendeten Zitate von Giovanni Arpino sowie die Ausschnitte aus den Romanen Domingo il favoloso, Il fratello italiano und Passo ← 16 | 17 → d’addio wurden von der Verfasserin der vorliegenden Arbeit übersetzt. Italienischsprachige bzw. französischsprachige Forschungsliteratur dagegen wird im Fließtext auf Deutsch paraphrasiert und, wenn es für erforderlich gehalten wird, in den dazugehörigen Fußnoten im Originalwortlaut wiedergegeben.


1 Giovanni Arpino, Pensiero, Gedichtsammlung Dov’è la luce? (1942–1946), in: ders., Opere (Bd. V), hg. v. Giorgio Bàrberi Squarotti, Mailand: Rusconi, 1991, S. 247.

2 Giovanni Arpino, Una confessione (am 12.03.1965 in Le Conferenze A.C.I. 1964/1965, Ausgabe XV, erschienen), in: ders., Opere (Bd. V), S. 1265–1276, S. 1275. Vgl. Kapitel 3.1 dieser Arbeit.

3 Vgl. Kapitel 2.3 dieser Arbeit.

4 Vgl. Giovanni Arpino, Aus gekränkter Ehre, Übers. v. Marlis Ingenmey, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1964; Giovanni Arpino, Im Schatten der Hügel, Übers. v. Charlotte Birnbaum, Reinbek b. Hamburg: Rowohlt, 1966.

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2. Giovanni Arpino romanziere

2.1 Autor und Werk

Non si può definire romanziere […] chi, inventando, evita di scontrarsi col mondo in cui viviamo.5

Wer beim Erfinden die Auseinandersetzung mit der Welt, in der wir leben, meidet, kann sich nicht als Romanschriftsteller definieren.

Giovanni Arpino hat – neben mehr als 200 Kurzgeschichten, drei Gedichtsammlungen, drei Theaterstücken und den zahlreichen journalistischen Zeitungsartikeln6 – zwischen 1952 und 1988 (das Jahr, in dem sein letzter Roman posthum erschien) sechzehn Romane veröffentlicht.7

Bedingt durch die Offizierslaufbahn des Vaters ist Arpinos Kindheit von häufigen Ortswechseln geprägt. Geboren wird der Schriftsteller in Pola, einer Stadt im heutigen Istrien, wo der Vater 1927 stationiert ist. Von hier aus zieht die Familie nach Novi Ligure und anschließend nach Piacenza. Eine Konstante im Leben des jungen Arpino bildet das piemontesische Bra – eine unweit von Turin entfernte Gemeinde der Provinz Cuneo –, wo die Eltern seiner Mutter wohnen und die Familie viel Zeit verbringt. Als sein Großvater im Jahr 1940 stirbt, zieht Arpinos Mutter mit den Geschwistern nach Bra zurück. Um die Schule zu beenden bleibt Arpino zunächst bei seinem Vater in Piacenza, zieht dann im Jahr ← 19 | 20 → 1942 jedoch ebenfalls nach Bra, um das kriegsbedingt dorthin verlegte Gymnasium zu besuchen.

Nach dem Abitur beginnt Arpino ab 1945 auf Drängen seines Vaters mit dem Studium der Rechtswissenschaften in Turin. Kurze Zeit später wechselt er jedoch die Fakultät und beginnt, Literaturwissenschaften zu studieren. In Bra organisiert er während seiner Studienjahre gemeinsam mit Freunden Lesungen, bei denen vor allem Poesien von García Lorca, Éluard und Lee Masters vorgetragen werden.8 In dieser Zeit veröffentlicht Arpino auf eigene Kosten seine erste Gedichtsammlung Dov’è la luce?9. Die Universitätsjahre und die Zeit in Bra sind prägend für den Schriftsteller, der beginnt, seinem Schreiben mehr Zeit einzuräumen. Das Studium beendet er 1951 schließlich mit einer Arbeit über den russischen Lyriker Sergej Aleksandrovič Esenin.

Im Anschluss an das Studium mietet sich der 24-jährige Arpino in einer kleinen Pension in der Via di Prè in Genua ein, wo er sich einen Monat lang intensiv dem Schreiben widmet. Der hier innerhalb von knapp 20 Tagen entstandene Roman Sei stato felice, Giovanni10 erzählt vom Leben und von den Abenteuern dreier junger Männer, die sich in Genua mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Arpino reicht das Manuskript im Verlagshaus Einaudi in Turin ein, wo es kurz darauf in die von Elio Vittorini geleitete Reihe Gettoni aufgenommen und 1952 publiziert wird. Im Anschluss an die Veröffentlichung von Sei stato felice, Giovanni bleibt zwar der erhoffte Erfolg aus, dennoch erlangt Arpino mit seinem literarischen Debüt und der Unterstützung Vittorinis einen gewissen Bekanntheitsgrad und wendet sich nun vermehrt dem Schreiben zu. Eine Wiederauflage seines Erstlings hatte Arpino zeitlebens untersagt.

Ein Jahr nach seinem Debüt heiratet Arpino seine langjährige Verlobte Caterina Brero und zieht mit ihr in einen Vorort von Turin. Er übernimmt verschiedene Arbeiten für Einaudi, die jedoch immer nur von kurzer Dauer sind. In den 1950er Jahren werden mehrere Poesien und Kurzgeschichten veröffentlicht. Wegen des prekären Beschäftigungsverhältnisses bei Einaudi bewirbt sich Arpino bei dem Verlag Mondadori, dem er zeitgleich das Manuskript seines zweiten Romans anbietet, das jedoch abgelehnt wird. Bei Einaudi hat er schließlich erneut Erfolg. Auch ermöglicht ihm der Verlag nun eine Festanstellung in der Pressestelle, in der er mit anderen Autoren, wie beispielsweise Italo ← 20 | 21 → Calvino, zusammenarbeitet. Arpinos Roman Gli anni del giudizio11 erscheint 1958 und erzählt von der Arbeiterklasse und dem politischen Engagement seiner Generation in der Nachkriegszeit.

Es folgen weitere Veröffentlichungen von Kurzgeschichten und Kinder- und Jugendliteratur. Auch seine journalistischen Aktivitäten intensivieren sich. Ein Jahr nach Gli anni del giudizio wird der nächste Roman veröffentlicht, der nun die bis dahin weitgehend ausgebliebene positive Resonanz von Seiten der Literaturkritik erfährt. La suora giovane12 (1959) wird zu Arpinos eigentlichem Durchbruch. Der Roman erzählt von der Liebe zwischen einem Buchhalter und einer jungen Nonne.

Details

Seiten
291
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631730317
ISBN (ePUB)
9783631730324
ISBN (MOBI)
9783631730331
ISBN (Hardcover)
9783631730300
DOI
10.3726/b11562
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (August)
Schlagworte
Literarische Emotionsanalyse Darstellungsanalyse Funktionsanalyse Metaphernanalyse Narrative Analye Secondo Novecento
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 291 S.

Biographische Angaben

Lea Akkermann (Autor:in)

Lea Akkermann studierte Deutsch-Italienische Studien im binationalen Exzellenzstudiengang der Universitäten Bonn und Florenz und promovierte anschließend im trinationalen Graduiertenkolleg Italianistica der Universitäten Bonn, Florenz und Paris-Sorbonne.

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