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«Unrechtsstaat DDR»

Zur Genesis des Terminus politicus «Unrechtsstaates» nach der Transformation 1989 – Versuch einer historischen Bestandsaufnahme

von Robert Hansack (Autor:in)
©2015 Dissertation 154 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor setzt sich in seinem Buch mit dem problematischen Begriff Unrechtsstaat kritisch auseinander. Der Begriff wird oft zur wissenschaftlichen Beurteilung der DDR und als Mittel der politischen Aufarbeitung ihrer Vergangenheit in der Bundesrepublik eingesetzt. Robert Hansack zeigt die geringe definitorische Kohärenz und Haltbarkeit des Begriffes Unrechtsstaat sowie seine politische Instrumentalisierung auf und betrachtet diesen kritisch im politologischen, juristischen und historischen Kontext.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Der Unrechtsstaatsbegriff in der politologischen Auseinandersetzung
  • 2.1 Staat (Recht und Unrecht)
  • 2.2 Demokratie und Freiheit(Rechtsstaat und Rechtsverordnung)
  • 2.3 Moral
  • 3. Zur juristischen Auffassung der DDR-Unrechtsstaatsthese
  • 3.1 Juristisches Selbstverständnis von Recht und Unrecht
  • 3.2 Juristisches Selbstverständnis vom Rechtsstaat und von Rechtsverordnung
  • 3.3 Juristisches Selbstverständnis von Moral
  • 4. Historische Betrachtung I
  • 4.1 Der historische Diktaturenvergleich zwischen NS- und SED-Regime
  • 4.2 Die historische Totalitarismusthese
  • 4.3 Die historische Frage nach der Diktatur
  • 5. Historische Betrachtung II
  • 5.1 DDR Reflexion aus ostdeutscher Sicht
  • 5.2 DDR Reflexion aus bundespolitischer Sicht
  • 5.3 DDR Reflexion aus wissenschaftlicher Sicht
  • 6. Schlussbetrachtung
  • 7. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Quellen
  • Aufsätze
  • Literatur
  • Wissenschaftliche Hilfsmittel
  • Zeitungen

1.Einleitung

Kaum ein anderes Charakteristikum zur politisch-historischen Kennzeichnung des 1989 zerfallenen DDR-Regimes hat in den letzten 20 Jahren die geschichtspolitische Debatte der Bundesrepublik Deutschland so widersprüchlich, nachhaltig und zum Teil durch unterschiedliche Ost- und Westerfahrungen im geteilten Deutschland nach 1945 emotional geprägt wie der Terminus politicus DDR-Unrechtsstaat.

Wie polarisierend dieser Begriff sein kann, wird daran deutlich, dass er gleichermaßen unter Historikern wie Juristen umstritten ist. Eine wissenschaftlich haltbare Definition des Terminus kann bislang weder von der Rechtswissenschaft noch von den Sozial- und Geisteswissenschaften geboten werden. Doch nicht nur diese beiden Fachrichtungen sind sich darüber uneins. Auch die politologische Sicht ist in diesem Disput eingebunden. Nach wie vor findet sich die Applizierung des Konträren „Rechtsstaat – Unrechtsstaat“ in den politischen Diskussionen. Die erzielte Absicht ist dabei, die politische Ordnung dieses Staates, der als Unrechtsstaat stigmatisiert wird, von einem rechtsstaatlich gegliederten System zu distanzieren und moralisch zu deklassieren. Da die Anwendung des Terminus DDR-Unrechtsstaats mit seinen unklaren Konturen bis in die aktuelle öffentliche und wissenschaftliche Debatte hinreicht, stellen sich für den Historiker u. a. solche Fragen: Worauf beruht ein solches Beharrungsvermögen, ihn als Matrize im Spektrum der sozialwissenschaftlichen, juristischen und historischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit immer wieder zu kolportieren bzw. zu thematisieren? Inwiefern wurde in diesem Zeitraum nach 1989 diese begriffliche Zuordnung für das DDR-Regime argumentativ und beweisführend untersetzt und reichen die erforschten bzw. erarbeiteten Belege der verschiedenen Institutionen aus, um sich einem vorherrschenden Mainstream zu entziehen? Es kann nicht die Aufgabe des Autors sein, alle diese Subjekte zu erfassen, die sich mit wechselnden Absichten und Pragmatiken dieser Charakterisierung des DDR-Staates bedienten. Doch auf einen Exkurs zu deren Entstehung bereits vor 1989 und ihrer „konjunkturellen“ Anwendung (siehe Kapitel 4) bzw. Instrumentalisierung in der Zeit des Kalten Krieges (Stichwort Halstein Doktrin / Abgrenzung DDR und Zone) kann in diesem Rahmen nicht verzichtet werden. Inwiefern treffen diese Aussagen zu? ← 11 | 12 →

Das Problem mit der DDR-Geschichte ist die Instrumentalisierbarkeit, die zugleich auch ein Problem des Geschichtsgegenstandes der Zeitgeschichte ist. Zu viele Interessengruppen sind mit dieser Thematik beschäftigt. Dabei kollidieren sehr häufig die fachwissenschaftlichen Prinzipien der Historiker mit denen von Politikern, Parteien und Interessengruppen sowie Opferverbänden in den neuen Bundesländern. Dieses führt dazu, dass die DDR vorrangig nur als politisches System gesehen und nicht aus der historiographischen Entstehung betrachtet wird. Die Aufgabe des Zeithistorikers ist es aber, diese Zusammenhänge aufzuzeigen. Denn die Entwicklung der DDR wie auch die der BRD ist nicht nur aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts im Allgemeinen, sondern im historischen Kontext der deutschen Nachkriegszeit im Besonderen zu erklären. Wird dagegen die DDR-Vergangenheit und ihre Analyse in die Folie politologischer Kategorien eingeengt, bleibt das Vorhaben einer klaren historischen Charakterisierung des DDR-Staates in einer Einseitigkeit stecken. Auch ein Blick auf die juristische Kontextualisierung dieses Terminus zeigt, dass bis in die jüngste Zeit kaum definitorische Veränderungsversuche bzw. Modifizierungen dieses Terminus auszumachen sind. Ein Grund für diese Erscheinung liegt in der bundesrepublikanischen politischen Philosophie seit Anbeginn ihrer Entstehung 19491 und macht in der Rückbetrachtung parteipolitisch geprägte Ambivalenzen deutlich. Zu fragen bleibt, woran es liegt, dass sich diese Ambivalenzen nicht ändern, die in der Adenauerzeit entstanden und noch zur Zeit Helmut Kohls vorhanden waren? Dabei sind in den letzten zwanzig Jahren terminologische Entwicklungen zur Überwindung einer dogmatischen Starre bei der Charakterisierung des DDR-Systems zu verzeichnen.

Zur Bestandsaufnahme dieser Systemcharakterisierung zählt, dass es zum einen nach über zwei Jahrzehnten zu einem nachlassenden Interesse gekommen ist und zum anderen diese Thematik nach wie vor in der öffentlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung umstritten bleibt. Umstritten ← 12 | 13 → insofern, wenn es um die einseitige Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat geht. Denn nach wie vor kommt es zu widersprüchlichen Meinungen und Ansichten, die häufig emotional begleitet werden mit polarisierenden Folgen in der politischen und historischen Debatte. Eine sachliche Beschäftigung wurde in der politischen Diskussion immer dann begrenzt, wenn die DDR-Vergangenheit nur aus der Sicht einer bestimmten Opferperspektive wahrgenommen wird, mit Auswirkung sowohl auf die wissenschaftliche als auch auf die publizistische Perzeption. Denn anlässlich erinnerungswürdiger politischer Jubiläen überdeckt diese Aufmerksamkeit, die durch die Printmedien oder des Fernsehens auf Publikationen oder Dokumentationen gelenkt wird, das nachlassende Interesse. Jedoch schwingt bei dieser kampagnenhaften medialen Aufmerksamkeit stets eine negative Präsenz mit.2

Ein Grund für diese Entwicklung ist die zunehmende und emotionale gefärbte Distanz sowohl von den Objekten der Repression als auch von dem einst existierenden Staat, der zusehends als etwas längst Vergangenes betrachtet wird. Doch ungeachtet dessen gibt es eine recht erfolgreiche DDR-Forschung, wie u. a. im Institut für Zeitgeschichte München und im Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Diese Forschung ist dem Pluralismus und einer Methodenvielfalt verpflichtet und birgt dementsprechend auch die Voraussetzungen in sich, eine solide Weiterentwicklung dieses Forschungsgegenstandes zu gewährleisten. Mit ähnlichen wissenschaftlichen Ambitionen sind auch die BStU-Behörde und das Hannah-Arendt-Institut nach 1989 angetreten.3

Hinsichtlich dieser wissenschaftlichen Ausrichtungen ist zu konstatieren, dass es einerseits zu dem hier genannten Gegenstand im Lehrbetrieb der Universitäten nicht nur eine ungleiche Verteilung gibt, sondern sich auch andererseits eine signifikante nord-ostdeutsche Regionalisierung der ← 13 | 14 → Beschäftigung mit der DDR herausbildete.4 Außerdem muss konstatiert werden, dass renommierte Autoren wie Hans-Peter Schwarz in den Entwicklungen der fünf Jahrzehnte währenden Zeitgeschichtsschreibung die DDR kaum einer Berücksichtigung würdigt oder Hans-Ulrich Wehler die DDR als „sowjetische Satrapie“ bezeichnet und damit das Bild der DDR verzerrt.5

Ausgehend von dieser skizzierten Lage eines publizistischen, juristischen und historischen Umganges mit der DDR-Vergangenheit, in dem schon auf eine Vielzahl von Widersprüchen sowie Schnittmengen aufmerksam gemacht wurde, geht es in dieser Darstellung vorrangig darum, einen Weg zwischen wissenschaftshistorischem, diskursanalytischem und einem multi­perspektivischen6 Zusammenhang aufzuzeigen.

Zu einem weiteren Anliegen des Verfassers im Rahmen dieser Thematik gehört, die verschiedenen gegenwärtigen und differenzierten Ansichten darzustellen. Wie problematisch die Bezeichnung DDR-Unrechtsstaat nicht nur im wissenschaftlichen Disput, sondern auch in der öffentlichen Auseinandersetzung sein kann, lässt sich anhand von fünf verschiedenen Perspektiven, die dazu angelegt sind, eine Deutungshoheit über die DDR-Vergangenheit öffentlich als auch politisch durchzusetzen, darlegen bzw. verdeutlichen.7 Eine dieser Sichtweisen ist bei den Opferverbänden ← 14 | 15 → zu finden, die sich mit ihrer politisch moralischen Debattenstrategie und deren Tendenz einer Verabsolutierung des Unrechtssystems, in einer großen öffentlich-politischen Zustimmung als auch in einer entsprechenden institutionellen Unterstützung widerspiegeln.

Dem stehen die postsozialistischen Vertreter, vorrangig aus der Funktionärselite des untergegangenen DDR-Staates und deren Sichtweisen gegenüber, die sich mit einer solchen einseitigen Opferdebatte nicht abfinden wollen. Eine weitere Sichtweise, die zugleich das Gros in der ostdeutschen Wahrnehmung bildet, ist die der widersprüchlichen Erinnerung, die eine sehr fragwürdige Herangehensweise in der Rückbesinnung auf die DDR entwickelt hat. Dieses Gros von Menschen, überwiegend in der ehemaligen DDR sozialisiert, stützt sich auf persönliche Erfahrungen, die einerseits mit den Problemen des ökonomischen Niedergangs, der Mangelwirtschaft und des zum Teil maroden Zustandes der öffentlichen wie auch privaten Infra­struktur verknüpft werden. Anderseits zeigt sich häufig bei den gleichen Personengruppen ein Drang nach Legenden sowie ein gewisses Nostalgiedenken, das sich hinsichtlich der 40-jährigen DDR-Geschichte positiv färbt, um beispielsweise dem westdeutschen medial und publizistischen geprägten Bild über die DDR zu trotzen.8

Zu einer weiteren Besonderheit bezüglich der einseitigen Perzeption der DDR-Vergangenheit, die sich vorrangig in weiten Gesellschaftskreisen der westlichen Bundesländer im Bewusstsein und in der Reflektion dieses The ← 15 | 16 → mas manifestiert, ist die stetige Bezugnahme auf eine seit Jahrzehnten kolportierte Verdammungsgeschichte. Diese dient als Negativfolie für die eigene „Erfolgsgeschichte“. Sie dient des Weiteren dazu, das „realexistierende“ Experiment einer sozialistischen Alternative mit dessen kommunistischen Leitidee per se und endgültig zu delegitimieren. Auch beim wissenschaftlichen Vergleich beider deutscher Diktaturen erfolgt aus der Sicht des Verfassers eine bedenkliche Gleichsetzung als „Demokratiefeinde“9, womit sich im Kapitel 4.1 näher auseinander gesetzt wird. Zu der letzten Sichtweise, die der Verfasser näher kennzeichnen wird, zählt die differenzierte Betrachtung. Hierbei wird eine Akzentverschiebung aufgezeigt, die sich von der subjektiven weg und hin zur objektiven Vernunftdarstellung bewegt. Insbesondere wird hierbei die Einbeziehung der Alltagsgeschichte als auch die erinnerungspolitische Perzeption in den historischen Zusammenhang mit berücksichtigt. Dass sich diese Ansicht erst allmählich etablieren konnte, hatte mit einem Paradigmenwechsel in der zeitgeschichtlichen Betrachtung der deutsch-deutschen Vergangenheit zu tun. Dieser vollzog sich etwa um 2000 und mit dem Regierungswechsel 1998. Während im ersten Nachwendejahrzehnt die Vergangenheitspolitik mit ihrer Verdammungsthese der DDR-Betrachtung im Zentrum stand, richtete sich im nun zweiten Nachwendejahrzehnt immer mehr der Blick hin zu einer Erinnerungspolitik, die einem breiteren Ansatz der deutsch-deutschen Erinnerungskultur geschuldet ist und einem differenzierteren Umgang mit der DDR-Geschichte gerecht wird. Dieser Ansatz scheint in der aktuellen historischen Debatte der am vielversprechendste zu sein, da dadurch ein Bestreben deutlich wird, die diffizilen Aspekte im objektiven Zusammenhang zu beleuchten.

Details

Seiten
154
Jahr
2015
ISBN (PDF)
9783653055818
ISBN (ePUB)
9783653965049
ISBN (MOBI)
9783653965032
ISBN (Paperback)
9783631664292
DOI
10.3726/978-3-653-05581-8
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2015 (April)
Schlagworte
Begriffsproblematik Rechtsstaat politische Instrumentalisierung
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2015. 154 S.

Biographische Angaben

Robert Hansack (Autor:in)

Robert Hansack studierte Geschichte, Germanistik und Soziologie in Potsdam. Seine Arbeitsschwerpunkte sind u. a. DDR-Geschichte, Landesgeschichte, Sozialgeschichte sowie Bergbauforschung.

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Titel: «Unrechtsstaat DDR»
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