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Deutsche Schülersprache

Sprachgebrauch und Spracheinstellungen Jugendlicher in Deutschland

von Eva Neuland (Autor:in)
©2016 Monographie 334 Seiten

Zusammenfassung

Der Band präsentiert die Gesamtergebnisse des Wuppertaler DFG-Projekts zu Sprachgebrauch und Spracheinstellungen von Jugendlichen im Schulalter in insgesamt 9 Bundesländern. Mit einer durch Befragung und Beobachtung gewonnenen Datengrundlage von Datengrundlage von über 1.000 Jugendlichen wird die bislang größte empirische Untersuchung im deutschen Sprachraum vorgestellt. Sie vermittelt einen Einblick in exemplarischen Wortgebrauch, ausgewählte Stilmittel und konversationelle Handlungsmuster (Frotzeln, Lästern, Erzählen) sowie in Spracheinstellungen Jugendlicher u.a. zu Typizität, Verwendungssituationen und Gebrauchsbegründungen von Jugendsprachen bei Jugendlichen verschiedener Altersstufen und Bildungsgänge zur Jahrtausendwende. Soziolinguistischen Differenzen wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Ergebnisse lassen Sprachkompetenzen Jugendlicher in neuem Licht erscheinen und belegen die Thesen von Jugendsprachen als Faktoren der Gegenwartssprache und zugleich der individuellen Sprachbiographien.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • I. Jugendsprachen im Forschungskontext
  • 1. Jugendsprachen – ein Phänomen der Sprachgeschichte
  • 1.1 Tradition der historischen Studentensprachen
  • 1.2 Tradition der deutschen Schülersprachen
  • 1.3 Jugendkulturen und Jugendsprachen in der Nachkriegszeit
  • 2. Entwicklungen der linguistischen Jugendsprachforschung in Deutschland
  • 2.1 Forschungsrichtungen und -schwerpunkte
  • 2.2 Kulturanalytische Jugendsprachforschung
  • 3. Jugendsprachen und Schülersprachen: Ein Klassifikationsvorschlag
  • 3.1 Jugendsprachen als Variationsspektrum
  • 3.2 Jugendsprachen, Szene- und Gruppensprachen
  • 3.3 Schülersprachen: ein Teilgebiet der Jugendsprachen
  • 3.4 Mehrdimensionales Klassifikationsmodell: soziolinguistisch, domänentypisch, funktionalstilistisch
  • II. Das Wuppertaler DFG-Projekt: Theorie und Empirie
  • 1. Forschungskonzept
  • 1.1 Die These der Spiegelungen und Gegenspiegelungen
  • 1.1.1 Jugendsprachen als Faktor der Gegenwartssprache
  • 1.1.2 Jugendsprachen und Sprachwandel
  • 1.2 Jugendsprachen als Faktor der Sprachbiografie
  • 1.3 Die Rolle des Sprachbewusstseins
  • 1.4 Leitende soziolinguistische Fragestellungen
  • 2. Methodenentwicklung und Forschungsorganisation
  • 2.1 Wuppertaler Fragebogen
  • 2.1.1 Fragen zu Wortbedeutungen im Sprachgebrauch
  • 2.1.2 Fragen zu Spracheinstellungen
  • 2.2 Spontane Gruppenkommunikation
  • 2.2.1 Entwicklung eines Gesprächsleitfadens
  • 2.3 Vorbereitung der Untersuchung
  • 2.3.1 Institutionelle Vorbedingungen
  • 2.3.2 Erhebungsstandorte, Schulen und Jugendgruppen
  • 3. Datengrundlage
  • 3.1 Umfang der Fragebogenerhebung
  • 3.2 Verteilung der soziolinguistischen Variablen
  • 3.3 Rating-Werte
  • 3.4 Interaktionen
  • 3.5 Umfang des Spontandatenkorpus
  • III. Wörter im Sprachgebrauch Jugendlicher: lexikalisch-semantische Analysen
  • 1. Kenntnis und Gebrauch jugendtypischer Ausdrücke sowie soziolinguistische Effekte im Überblick
  • 2. Semantische Einzelanalysen und Kontextanalysen des Wortgebrauchs
  • 2.1 Tussi: ein ‚Klassiker‘
  • 2.1.1 Kenntnis
  • 2.1.2 Gebrauch
  • 2.1.3 Bedeutung im engeren Sinne
  • 2.1.3.1 Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern
  • 2.1.3.2 Semantogramm der jugendsprachlichen Bedeutungsangaben
  • 2.1.4 Handlungskontexte
  • 2.1.5 Verwendungssituationen
  • 2.1.6 Gebrauchseinschränkungen
  • 2.2 fett: einfach super!
  • 2.2.1 Kenntnis
  • 2.2.2 Gebrauch
  • 2.2.3 Bedeutung i.e. Sinne
  • 2.2.3.1 Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern
  • 2.2.3.2 Semantogramm der jugendsprachlichen Bedeutungsangaben
  • 2.2.4 Handlungskontexte
  • 2.2.5 Verwendungssituationen
  • 2.2.6 Gebrauchseinschränkungen
  • 2.3 Proll: der neue Angeber
  • 2.3.1 Kenntnis
  • 2.3.2 Gebrauch
  • 2.3.3 Bedeutung im engeren Sinne
  • 2.3.3.1 Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern
  • 2.3.3.2 Semantogramm der jugendsprachlichen Bedeutungsangaben
  • 2.3.4 Handlungskontexte
  • 2.3.5 Verwendungssituationen
  • 2.3.6 Gebrauchseinschränkungen
  • 2.4 Penner: Schlafmütze, Blödmann, Kumpel?
  • 2.4.1 Kenntnis sowie Gebrauch
  • 2.4.2 Bedeutung i.e. Sinne
  • 2.4.2.1 Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern
  • 2.4.2.2 Semantogramm der jugendsprachlichen Bedeutungsangaben
  • 2.4.3 Handlungskontexte
  • 2.4.4 Verwendungssituationen
  • 2.4.5 Gebrauchseinschränkungen
  • 2.5 Braut: was ist das denn für’ne Braut?
  • 2.5.1 Kenntnis sowie Gebrauch
  • 2.5.2 Bedeutung i.e. Sinne
  • 2.5.2.1 Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern
  • 2.5.2.2 Semantogramm der jugendsprachlichen Bedeutungsangaben
  • 2.5.3 Handlungskontexte
  • 2.5.4 Verwendungssituationen
  • 2.5.5 Gebrauchseinschränkungen
  • 2.6 cool: ein Internationalismus
  • 2.6.1 Kenntnis sowie Gebrauch
  • 2.6.2 Bedeutung i.e. Sinne
  • 2.6.2.1 Bedeutungserklärungen in Wörterbüchern
  • 2.6.2.2 Semantogramm der jugendsprachlichen Bedeutungsangaben
  • 2.6.3 Handlungskontexte
  • 2.6.4 Verwendungssituationen
  • 2.6.5 Gebrauchseinschränkungen
  • 3. Zwischenfazit
  • IV. Wie Jugendliche über ihre Sprache denken: Spracheinstellungen Jugendlicher
  • 1. Typizitätseinschätzung
  • 1.1 Analyse der vorgegebenen Antwortkategorien
  • 1.2 Analyse der offenen Antwortkategorien: bleib locker!
  • 1.2.1 Kategorienübergreifende Angaben: unsere Sprache ist die Zukunft
  • 1.2.2 Kategorienbestätigende Angaben
  • 1.3 Relevante soziolinguistische Variablen
  • 1.3.1 Schulform
  • 1.3.2 DaM – DaZ
  • 1.3.3 Subkulturelle Präferenz
  • 1.4 Fazit
  • 2. Gebrauchsbegründungen
  • 2.1 Analyse der vorgegebenen Antwortkategorien: die Jugend und Phantasien unserer Generation
  • 2.2 Analyse der offenen Antworten: fetter als das gelaber der erwachsenen
  • 2.2.1 Kategorienübergreifende Antworten
  • 2.2.2 Kategorienbestätigende Antworten
  • 2.2.3 Relevante soziolinguistische Variablen
  • 2.2.3.1 Geschlecht
  • 2.2.3.2 Schulform
  • 2.2.3.3 DaM – DaZ
  • 2.3 Fazit
  • 3. Verwendungssituationen
  • 3.1 Allgemein
  • 3.2 Domänen Familie, Freizeit und Schule
  • 3.3 Relevante soziolinguistische Variablen
  • 3.4 Analyse der offenen Antworten
  • 3.4.1 Domäne Familie: um die Eltern zu veralbern
  • 3.4.2 Domäne Freizeit: wenn ich mit meinen Freunden rede
  • 3.4.3 Domäne Schule: eher auf dem schulhof oder in den pausen
  • 3.5 Fazit
  • 4. Gruppentypizitätseinschätzung
  • 4.1 Allgemeine Einschätzung von Besonderheiten gruppentypischer Sprechweisen
  • 4.2 Relevante soziolinguistische Variablen
  • 4.2.1 Alter
  • 4.2.2 DaM – DaZ
  • 4.2.3 Subkulturelle Präferenz
  • 4.3 Einschätzung von Charakteristika gruppentypischer Sprechweisen anderer Jugendgruppen
  • 4.4 Fazit
  • 5. Gebrauchseinschränkungen
  • 5.1 Nicht verwendete Ausdrücke
  • 5.1.1 Stilistisch bedingte Gebrauchsrestriktionen: ist altmodisch
  • 5.1.2 Sozial bedingte Gebrauchsrestriktionen: klingt diskriminierend
  • 5.1.3 Affektiv bedingte Gebrauchsrestriktionen: ist langweilig
  • 5.1.4 Regional bedingte Gebrauchsrestriktionen
  • 5.2 Veraltete Ausdrücke
  • 5.2.1 Stilistisch bedingte Gebrauchsrestriktionen
  • 5.2.2 Sozial bedingte Gebrauchsrestriktionen
  • 5.2.3 Affektiv bedingte Gebrauchsrestriktionen
  • 5.2.4 Regional bedingte Gebrauchsrestriktionen
  • 5.3 Fazit
  • 6. Reflexion über Jugendsprache
  • 6.1 Relevante soziolinguistische Variablen
  • 6.1.1 Geschlecht
  • 6.1.2 Alter
  • 6.1.3 Schulform
  • 6.1.4 Region
  • 6.1.5 DaM – DaZ
  • 6.1.6 Subkulturelle Präferenz
  • 6.2 Sprachbewusstsein
  • 6.3 Fazit
  • 7. Zwischenfazit
  • V. Mit Jugendlichen im Gespräch: Korpusanalysen
  • 1. Korrespondenzanalysen zu den Sprachgebrauchsdaten
  • 1.1 Personenbezeichnungen: Penner und Tussen
  • 1.2 Wertungsausdrücke: cool und geil
  • 1.3 Handlungsbezeichnungen: chillen
  • 1.4 Weitere / äquivalente Lexik
  • 1.4.1 Personen- und Gruppenbezeichnungen: Kumpels und andere
  • 1.4.2 Wertungsausdrücke
  • 1.4.2.1 Positiv
  • 1.4.2.2 Negativ
  • 1.4.3 Wortgebrauch in semantischen Feldern: Drogenkonsum, Konflikte, Sex, Freizeit.
  • 1.4.3.1 Drogenkonsum
  • 1.4.3.2 Konflikte
  • 1.4.3.3 Sex
  • 1.4.3.4 Freizeit
  • 1.5 Fazit
  • 2. Korrespondenzanalysen zu den Spracheinstellungsdaten
  • 2.1 (Sprach)Einstellungen hinsichtlich der eigenen Person
  • 2.2 (Sprach)Einstellungen hinsichtlich der eigenen Gruppe: wir machen unseren eigenen spaß hier
  • 2.3 (Sprach)Einstellungen hinsichtlich anderer Individuen
  • 2.4 (Sprach)Einstellungen hinsichtlich anderer Gruppen Jugendlicher: dorfjugendliche und markenklamottenträger
  • 2.5 Fazit
  • 3. Korpusanalysen ausgewählter Stilmittel
  • 3.1 Anglizismen: Häufigkeiten, Formen und Funktionen: wo is denn die lady hin?
  • 3.1.1 Gebrauchshäufigkeiten
  • 3.1.2 Formen der Wortbildung
  • 3.1.3 Verwendungskontexte
  • 3.1.4 Soziolinguistische Differenzen
  • 3.2 Bricolagen: Ressourcen, Typen und Funktionen
  • 3.2.1 Spoteinblendungen: frauenarzt doktor stefan frank
  • 3.2.2 Textmuster-Referenzen: hemmungsloser puzzelspaß
  • 3.2.3 Soziolinguistische Differenzen
  • 3.3 Fazit
  • 4. Korpusanalysen zu konversationellen Handlungsmustern
  • 4.1 Distinktion und Charakteristik kommunikativer Handlungsmuster
  • 4.2 Komplexe konversationelle Handlungsmuster in informellen Gruppengesprächen Jugendlicher
  • 4.3 Frotzeln: du mit deinen kleinen zwölf jahren!
  • 4.3.1 Typologien jugendtypischen Frotzelns
  • 4.3.2 Soziolinguistische Differenzen
  • 4.4 Lästern: jetzt isse eben die coole K.
  • 4.4.1 Ausgebaute Muster
  • 4.4.2 Fragmentierte Lästerhandlungen
  • 4.4.3 Soziolinguistische Differenzen
  • 4.5 Fazit
  • 4.6 Konversationelles Erzählen
  • 4.6.1 Typen ausgebauten monologischen und dialogischen Erzählens: und plötzlich hats kracks gemacht
  • 4.6.2 Fragmentiertes Erzählen
  • 4.6.3 Fazit
  • 5. Zwischenfazit
  • VI. Rückblicke – Ausblicke
  • 1. Jugendsprachen als Faktoren der Gegenwartssprache
  • 1.1 Korpusrecherchen: Verbreitung jugendsprachlicher Ausdrücke in der Tagespresse
  • 1.1.1 Frequenz und Produktivität
  • 1.1.2 Diachrone Entwicklungen
  • 1.1.3 Buschmanncool und anderes
  • 1.2 Wörterbuchvergleiche: Aufnahme und Markierung jugendsprachlicher Ausdrücke in Wörterbüchern der deutschen Standardsprache
  • 1.3 Fazit
  • 2. Sprachkompetenzen Jugendlicher in neuem Licht: Registervielfalt und Sprachbewusstsein
  • 2.1 Registervielfalt
  • 2.2 Sprachbewusstsein
  • 3. Soziolinguistische Differenzen in Schülersprachen
  • 3.1 Alter
  • 3.2 Geschlecht
  • 3.3 Schulformen
  • 3.4 Deutsch als Zweitsprache
  • 3.5 Fazit
  • 4. Jugendsprachen als Faktoren der Sprachbiografie und sozialen Lebensgeschichte
  • VII. Literatur
  • VIII. Anhänge
  • 1. Wuppertaler Fragebogen zu Sprachgebrauch und Spracheinstellungen Jugendlicher in Deutschland
  • 2. Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
  • 2.1 Tabellen
  • 2.2 Abbildungen
  • 3. Verzeichnis der Transkriptionen
  • 4. Transkriptionskonventionen (in Auswahl)

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Vorwort

Im Folgenden werden erstmals die Gesamtergebnisse des Wuppertaler DFG-Projekts zu Sprachgebrauch und Spracheinstellungen Jugendlicher in Deutschland präsentiert. Das Projekt wurde in den Jahren 1999 bis 2003 durch eine finanzielle Unterstützung der DFG ermöglicht, wofür an dieser Stelle herzlich zu danken ist. Mit Hilfe dieser Mittel konnte die bislang umfangreichste empirische Untersuchung des Sprachgebrauchs von ca. 1200 Jugendlichen in insgesamt neun Bundesländern durchgeführt werden.

Teile der theoretischen und empirischen Erkenntnisse wurden fortlaufend der Fachöffentlichkeit vorgestellt und konnten zur internationalen Forschungsentwicklung beitragen, ebenso wie deren Impulse in unsere Überlegungen Eingang fanden. Allen Fachkollegen im In- und Ausland sei für ihre anregenden Diskussionsbeiträge herzlich gedankt. Zwar sind seit Projektbeginn schon eine Anzahl von Jahren vergangen; doch konnten viele Einzelbefunde noch nicht im Gesamtkontext und in der nötigen Detaillierung vorgestellt werden. Das Manuskript wurde auch in den früher fertig gestellten Kapiteln durchgehend aktualisiert.

Die Durchführung eines solchen Forschungsprojekts wäre ohne die tatkräftige Mitwirkung wissenschaftlicher sowie studentischer Mitarbeiter nicht möglich gewesen: An dieser Stelle sind Sonja Watzlawik und Stefan Martin als damalige Projektmitarbeiter1 zu nennen, die maßgeblich an der Phase der Vorbereitung und Durchführung der Datenerhebung beteiligt waren. Daniel Buchenauer (Schubert) hat in seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet seine Forschungsinteressen und Fachkenntnisse in die Auswertung eingebracht. Die Mithilfe der studentischen Mitarbeiter bei der Dokumentation und Aufbereitung der Daten war unverzichtbar. Zuletzt haben Florian Wiebel und Benjamin Könning an der Erstellung und Aktualisierung des Manuskripts mitgewirkt. Ihnen allen sei herzlich gedankt, denn ohne die Teamarbeit hätte das Projekt nach dem Auslaufen der Finanzierung angesichts der intensiven Belastungen im heutigen Universitätsbetrieb nicht fertig gestellt werden können.

Der letzte und ganz besondere Dank aber gebührt all denjenigen, die diese Studie durch ihre Kooperation erst ermöglicht haben: den Jugendlichen, ihren Eltern, Lehrkräften und Schulleitungen! Ihre Gesprächsbereitschaft war die unabdingbare Voraussetzung für die Gewinnung wissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse über ← 15 | 16 → Jugendsprachen, über die sich so viele Unberufene meinen äußern zu können. Erst ein zuverlässiger Einblick in die Sprachkompetenzen Jugendlicher im Schulalter, aber eben nicht nur im Schulunterricht, erleichtert schließlich auch die unterrichtliche Förderung von Sprachgebrauch und Sprachbewusstsein der Schüler.

Die linguistische Jugendsprachforschung hat sich in den vergangenen Jahren bedeutsam weiterentwickelt, wie die Folge internationaler Fachkonferenzen und viele Einzelstudien zum Kontext von neuen Medien, Sprachkontakt und kulturellen Stilisierungen eindrucksvoll demonstrieren. Die Wuppertaler Studie hat mit ihrem Radius an Fragestellungen, ihrem großen Erhebungsumfang und der Vielfalt soziolinguistischer Befunde in der Geschichte der Jugendsprachforschung einen wichtigen Platz gefunden.

Wuppertal im Dezember 2015

Eva Neuland


1 Im Band ist die generische Form eingeführt. Sie umfasst aber stets männliche und weibliche Personen.

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I. Jugendsprachen im Forschungskontext

1. Jugendsprachen – ein Phänomen der Sprachgeschichte

„Jugendsprache“ ist kein Phänomen der Neuzeit. Auch zu früheren Zeiten haben Jugendliche einen eigenen Sprachstil ausgebildet, der sich von dem in der Gesellschaft vorherrschenden und von den älteren Generationen verwendeten in bedeutsamer Weise unterschied.

1.1 Tradition der historischen Studentensprachen

Unser Wissen darüber verdanken wir der fast 200jährigen Tradition historischer Wörterbücher und Dokumente der Studentensprache noch vor Beginn der wissenschaftlichen Erforschung.2 Die Studentensprache nahm dabei deshalb einen besonderen Stellenwert ein, da sie zugleich die Sprache eines gebildeten Standes, einer Generation und nicht zuletzt einer rein männlichen Gruppe von Sprechern und Schreibern war.3

Die frühe Sondersprachforschung verfolgte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrem sprachhistorischen Interesse an der Entstehung des neuhochdeutschen Wortschatzes vor allem etymologische Fragestellungen und den allmählichen Übergang des Sonderwortschatzes in Stilschichten der Gemeinsprache, den sie als eine Bereicherung der gehobenen Literatursprache würdigte.4

Ein Vergleich von Erscheinungs- und Funktionsweisen der historischen Studentensprache aus heutiger Sicht ergibt ausschlussreiche Parallelen zu späteren wie zu heutigen Jugendsprachen, z.B. in Hinblick auf:

Neubildungen und Neubedeutungen,

Stilmittel wie z.B. Verwendung von Intensivierungen, Hyperbolik, Metaphorik,

lexikalische Differenzierungen in zentralen Lebensbereichen,

Übernahme und Integration von Entlehnungen, damals aus den Gebersprachen Griechisch, Latein und späterhin Französisch,

Bildung von Sprachmischungen, z.B. makkaronisches Latein, ← 17 | 18 →

Verwendung von Spott, Ironie und bewussten Normverstößen,

Bildung sozialer Wertungen und Kategorisierungen innerhalb und außerhalb der Studentenschaft, oft kontrastiv zur Gemeinsprache.

Die Berücksichtigung der historischen Perspektive führt zu der auch für die heutige Jugendsprachforschung wesentlichen Erkenntnis, dass Erscheinungs- und Funktionsweisen von Jugendsprachen nicht ohne Bezug zu den jeweiligen sprach- und kulturgeschichtlichen Verhältnissen zu verstehen und dass im Wandel der Zeit je spezifische Ausprägungsformen jugendtypischen Sprachgebrauchs zu erkennen sind, die den Prinzipien der Abwandlung von Gewohntem, der Veränderung von Üblichem und der sozialen Distinktion folgen.5

1.2 Tradition der deutschen Schülersprachen

Der sondersprachlichen Tradition gemäß wird auch bei der „Pennälersprache“ nach den Quellen ihrer Entwicklung gefragt, wobei sowohl Einflüsse der Studentensprache mit ihren lateinischen, französischen und deutschen Bestandteilen (Pennäler, schassen, Pauker), aber auch der Gauner- und Rinnsteinsprache (schummeln, Schmiere stehen, petzen) hervorgehoben werden.6 Der Titel einer kleinen Abhandlung von Steinhäuser: Die Muttersprache im Munde des Breslauer höheren Schülers und ihre Läuterung im deutschen Unterricht (1906) verweist zugleich auf die als nötig befundene „Veredelung“ als „herauferzieherische“ Einflussnahme des Deutschunterrichts.7

Erst Melzers Untersuchungen zur Breslauer Schülersprache (1928) gehen über reine Wörterverzeichnisse hinaus, indem sie mit den spezifischen Ausdrucksweisen das zeitlich und örtlich gebundene Schülerleben darstellen wollen. Dabei wird bereits eine sprachbiographische Perspektive eingenommen: „Er [der Schüler] befindet sich auf dem Durchgang vom spielenden Kind zum schaffenden Mann. So finden sich in seinem Wortschatz Ausdrücke der Kindersprache (Verfangnus8, Eierlein) wie der Studentensprache (bauen, steigen, Jux)“.9

Melzer zufolge wirkt sich die Schülersprache insbesondere auf drei Themenfelder aus: ← 18 | 19 →

Die Forschungen zur Schülersprache wurden dann erst in den 60er und 70er Jahren durch Heinz Küpper wieder belebt. Er hatte sich in verschiedenen, vornehmlich in der Zeitschrift „Der Sprachwart“ erschienenen Beiträgen mit der Sprache der Jugend beschäftigt und sich dabei insbesondere unter sprachkritischen und sprachpflegerischen Aspekten mit der Sprache der Halbstarken auseinandergesetzt. Gemeinsam mit seiner Frau Marianne veröffentlichte er 1972 ein kleines Lexikon zum „Schülerdeutsch“.

In einem Beitrag über die deutsche Schülersprache 1973/7410 wandte er sich ausführlicher dem Schülerwortschatz zu, den er in die folgenden Bereiche untergliedert:

Schule und Lehre (Arschpauker, Poofstunden),

Lernen (pauken, fuschen, spicken, ponzen),

Autorität: ein Phänomen, das erst in den 70er Jahren thematisiert wurde (Autoritätsbonze, Mecker-Monster),

Ferien- und Freizeit (Partys, Heulbojen),

Gruppen: eine Kategorie mit sozialen Typisierungen und Wertungen von Jugendlichen (dufter Kumpel, Streberleiche),

Englisches Schülerdeutsch (stress, homework, kumpellike, actionmäßig).

Während die ersten drei Kategorien dem Erfahrungsbereich der Schule zugeordnet werden können, sind die Kategorien: Ferien- und Freizeit sowie: Gruppen auch in außerschulischen Erfahrungsbereichen der Jugendlichen bedeutsam. Die letzte Kategorie ist hingegen nicht erfahrungsbezogen formuliert, sondern betrifft einen anscheinend zur damaligen Zeit schon bemerkenswerten Einfluss von Anglizismen auf die Schülersprache.

Anhand dieses Beitrags lässt sich auch das damalige Verständnis von „Schülersprache“ besonders deutlich rekonstruieren. Es ist im Wesentlichen durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

durch eine Homogenität der Sprachbenutzer und des Sprachgebrauchs,

durch einen themengebundenen Sonderwortschatz, der hauptsächlich auf den Erfahrungsbereich der Schule, sodann auch des Elternhauses und der Freizeitaktivitäten zugeschnitten ist, ← 19 | 20 →

sowie durch die Methode des Sammelns von Einzelbelegen mit relativ beschränkter Zuverlässigkeit und Verallgemeinerbarkeit

und schließlich durch einen Verzicht auf übergreifende theoretische Beschreibungs- und Erklärungszusammenhänge.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Man kann zwar aus solchen Belegsammlungen indirekt schließen, dass ein so bestimmter Schülerwortschatz zentrale Erfahrungsbereiche abzubilden und insofern einem besonderen Ausdrucksbedürfnis von Schülern zu dienen scheint. Doch kann von einer eigenständigen Schülersprachforschung mit einer bestimmten Theoriebildung sowie Methodenkonzepten und Analyseinstrumentarien zum damaligen Zeitpunkt noch keine Rede sein.

1.3 Jugendkulturen und Jugendsprachen in der Nachkriegszeit11

Seit den sechziger Jahren wurde von einem sprachkritisch-sprachpflegerischen Standpunkt aus das Spannungsverhältnis zwischen Sprache, Jugend und Gesellschaft12 in den Blick genommen. Insbesondere wurden die Erscheinungsformen des sogenannten Halbstarken-Chinesisch und des Teenager-Jargons als für die damalige Standardsprache bedrohliche Entwicklungstendenzen heftig kritisiert.13 Doch können gerade diese oppositionell gegen die gesellschaftlichen Konventionen der Erwachsenenwelt gerichteten Jugendbewegungen des Halbstarkentums der 50er und des Teenagertums der 60er Jahre als erste generationsspezifische und nationale Entwicklungen der Nachkriegszeit überschreitende sozio-kulturelle Lebensstile und mithin als Vorläufer in der Entwicklung von heutigen Jugendsprachen und Jugendkulturen gelten.

Details

Seiten
334
Jahr
2016
ISBN (PDF)
9783653069327
ISBN (ePUB)
9783653950052
ISBN (MOBI)
9783653950045
ISBN (Hardcover)
9783631596814
DOI
10.3726/978-3-653-06932-7
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2016 (Juni)
Schlagworte
Typizität deutscher Sprachraum Stilmittel
Erschienen
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien, 2016. 334 S., 36 s/w Abb., 98 Tab.

Biographische Angaben

Eva Neuland (Autor:in)

Eva Neuland ist Universitätsprofessorin i.R. für Germanistik/Didaktik an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Deutsche Sprache und ihre Didaktik, Soziolinguistik, Gesprächs- und Textlinguistik, Deutsch als Fremdsprache und Interkulturelle Kommunikation.

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