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Co-Autorschaft und Ghostwriting in der Holocaustliteratur

Exemplarische Analysen zu einer kontroversen Beziehung

von Sabrina Semmelroth (Autor:in)
©2019 Dissertation 474 Seiten

Zusammenfassung

Ist im Spannungsfeld zwischen Holocaustliteratur und Ghostwriting auch ein Ende von Authentizität zu erwarten? Der Ghostwriter ist ein gängiger Aktant im Genre Autobiografie. Die Anforderungen an den Ghostwriter eines historischen Zeugen scheinen besonders hoch zu sein, da der Autobiograf im Bereich der Holocaustliteratur über seine Verpflichtung gegenüber der Gattungskonvention hinaus auch als „moralischer Zeuge" der Erlebnisse während des Holocaust auftritt. Die exemplarischen Analysen der Vergleichsfälle von Aveys „The Man who broke into Auschwitz" und Mozes Kors „Surviving the Angel of Death" verdeutlichen, dass der Ghostwriter als (heimlicher) Verfasser oder in Erscheinung getretener Ghostwriter (Autobiografiker) einer Autobiografie im Bereich der Holocaustliteratur in den Fokus der wissenschaftlichen Auseinandersetzung gerückt werden muss, wenn es um die Einschätzung der inszenierten Authentizität und der Faktizität des literarischen Haupttextes geht.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhalt
  • 1. Einleitung
  • 1.1. Hinführung und Erkenntnisinteressen der Arbeit
  • 1.2. Vorbemerkungen zur Terminologie
  • 1.2.1. Autor, Co-Autor, Ghostwriter: Begriffsbestimmungen anhand des deutschen Urheberrechts
  • 1.2.2. Modelle der Autorschaft
  • 1.2.3. Historische Entwicklung und Tätigkeitsfelder des Ghostwriters
  • 1.3. Theoretische Grundlagen, Positionierungen und Wirkungsbereiche
  • 1.3.1. Das Gießener Modell der Gattung Holocaustliteratur und die Subgattung Autobiografie
  • 1.3.2. Literarische Fälschung als Imitation des Authentischen
  • 1.4. Zur Vorgehensweise der Arbeit
  • 2. Fälschungen autobiografischer Holocaustliteratur und ihre Konsequenzen
  • 2.1. Gefälschte Autobiografien und „Misery Lit“
  • 2.2. Motiv, Mittel und Gelegenheit: Die drei Kernaspekte der literarischen Fälschung
  • 2.3. Binjamin Wilkomirski – Beispiel einer Autobiografiefälschung
  • 2.3.1. Exemplarische Ergebnisse der literarischen Analyse
  • 2.3.2. Die Rezeption – Reaktionen und Umstände
  • 2.3.3. Motiv, Mittel und Gelegenheit des Fälschers
  • 2.3.4. Die „Bruchstücke“ und ihre Konsequenzen
  • 2.3.5. Folgen für Autobiografien in der Holocaustliteratur
  • 2.4. Misha Defonseca – Autobiografiefälschung und Ghostwriting
  • 3. Ghostwriting und Autobiografien
  • 3.1. Autobiografie-Boom und Ghostwriting
  • 3.2. Kategorien von Autobiografien und Motivlagen ihrer Autoren
  • 3.3. Zwischen Ghostwriter und Co-Autor
  • 3.3.1. Das Begriffsdilemma
  • 3.3.2. Der Beruf des Autobiografikers
  • 3.4. Motive von Ghostwritern
  • 3.5. Anforderungen an Ghostwriter von Autobiografien
  • 4. Autobiografien in der Holocaustliteratur
  • 4.1. Kommunikation zwischen Autor und Leser: Die Zeugenschaft über den Holocaust
  • 4.1.1. Motivation des Schreibens
  • 4.1.2. Typen von Zeugenschaft
  • 4.1.3. Zeugenschaft und das Dilemma der Authentizität
  • 4.2. Autobiografien als Subgattung
  • 4.2.1. Problemhorizonte zwischen Faktualität und Fiktionalität
  • 4.2.2. Trauma und Zeugenschaft
  • 4.2.3. Erwartungen an eine Autobiografie in der Gattung Holocaustliteratur
  • 4.3. Ghostwriting und Zeugenschaft des Holocaust
  • 4.3.1. Motive von Zeugen und Ghostwritern
  • 4.3.2. Der Ghostwriter als Historiker und Therapeut
  • 4.3.3. Die Fälschungsanfälligkeit – Motivverschiebungen zwischen Autoren und Ghostwritern
  • 5. Denis Avey: „Der Mann, der ins KZ einbrach“
  • 5.1. Der Fall Avey
  • 5.2. Literarische Analyse
  • 5.2.1. Paratext
  • 5.2.2. Literarischer Haupttext
  • 5.2.2.1. Zusammenfassung der Kapitel
  • 5.2.2.2. Literarische Analyse
  • A. Der Autobiograf Denis Avey als Protagonist seines eigenen Erlebnisberichts
  • B. Der Co-Autor oder Ghostwriter und seine Funktion als Nebenfigur in der Geschichte
  • C. Sprachliche Gestaltung und Erzähltechnik der Schlüsselkapitel mit Bezug auf die Gesamtkonstruktion
  • D. Zusammenfassung der Analyseergebnisse
  • 5.3. Rezeption – Reaktionen und Umstände
  • 5.3.1. Erste Rezeptionsphase – Reaktionen der Öffentlichkeit
  • 5.3.2. Zweite Rezeptionsphase – Versuch einer Entlarvung
  • 5.3.2.1. Interview mit Denis Avey
  • 5.3.2.2. Interview mit Rob Broomby
  • 5.3.2.3. Das veränderte Nachwort als Hinweisgeber
  • 5.3.2.4. Charles Coward
  • 5.3.2.5. Interview mit James Long
  • 5.4. Motive, Mittel und Gelegenheiten im Fall Avey
  • 6. Eva Mozes Kor: „Ich habe den Todesengel überlebt“
  • 6.1. Der Fall Mozes Kor
  • 6.2. Literarische Analyse
  • 6.2.1. Paratext
  • 6.2.2. Literarischer Haupttext
  • 6.2.2.1. Zusammenfassung der Kapitel
  • 6.2.2.2. Literarische Analyse
  • A. Die Autobiografin Eva Mozes Kor als Protagonistin bzw. Heldin ihres eigenen Erlebnisberichts
  • B. Sprachliche Gestaltung und Erzähltechnik der Schlüsselkapitel mit Bezug auf die Gesamtkonstruktion
  • C. Die Funktion der Kinderbuchautorin (und Autobiografikerin) Buccieri für den Bildungsauftrag des Lebensberichts
  • D. Das Nachwort
  • E. Zusammenfassung der Analyseergebnisse
  • 6.3. Rezeption – Reaktionen und Umstände103
  • 6.3.1. Erste Rezeptionsphase – Reaktionen der Öffentlichkeit
  • 6.3.2. Zweite Rezeptionsphase – Versuch der Aufdeckung der intrinsischen Motivation
  • 6.3.2.1. Interview mit Eva Mozes Kor
  • 6.3.2.2. Interview mit Lisa Rojany Buccieri
  • 6.3.2.3. Interview mit Mary Wright
  • 6.3.2.4. Interview mit Peggy Tierney
  • 6.3.2.5. Interview mit Susan Goldman Rubin und abschließende Thematisierung des Bildungsauftrags der Autobiografie
  • 6.3.3. Dritte Rezeptionsphase – Faszination
  • 6.4. Motive, Mittel und Gelegenheiten im Fall Mozes Kor154
  • 7. Vergleich und Beurteilung der Beispielfälle
  • 8. Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Primärliteratur
  • Sekundärliteratur
  • Zeitungsartikel
  • Archivalische Quellen
  • Internetquellen
  • Abbildungen

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1. Einleitung

Ohne Autor gibt es auch keinen Ghostwriter. Erst die Verknüpfung des Autorennamens mit der Idee des geistigen Eigentums schafft den Rahmen, innerhalb dessen der Ghostwriter auftreten kann.

Heide Volkening1

1.1. Hinführung und Erkenntnisinteressen der Arbeit

Die vorliegende Arbeit richtet den Blick auf die Verbindung von Ghostwriting und Holocaustliteratur, die bisher in der Forschung nicht hinreichend untersucht worden ist, und will dabei das Spannungsfeld zwischen diesen beiden Bereichen beleuchten. Aus der Definition und den grundsätzlichen Anforderungen an den Autor2 von Holocaustliteratur ergibt sich implizit ein Zusammenhang zum Ghostwriting. Der Koeppen-Littner-Fall (Ersterscheinung des Buches 1948, jüngste Ausgabe 2002) zeigt beispielhaft, warum es generell in der Holocaustliteratur, aber insbesondere im Bereich der autobiografischen Holocaustliteratur besonders wichtig ist, einerseits Text und Kontext in diesem Spannungsfeld als miteinander verschränkt zu betrachten und andererseits zwischen Faktualität und Fiktionalität unterscheiden zu können. Es handelt sich bei dem genannten Beispiel um einen interessanten Gattungswechsel vom authentischen Erlebnisbericht eines Juden zum fiktiven Erlebnisbericht (als Roman) eines Nichtjuden.

Jakob Littner, ein jüdischer Briefmarkenhändler mit polnischem Pass, schrieb seine Erinnerungen an den Holocaust nieder, den er im Osten unter anderem im Zbarazer Ghetto überlebte. Er nannte seine autobiografischen Aufzeichnungen „Mein Weg durch die Nacht. Ein Dokument eines Rassenhasses. Erlebnisbericht, aufgezeichnet von J. Littner“. Als Autor seines Manuskriptes suchte Littner einen Verleger.3

Die autobiografischen Aufzeichnungen Littners wurden vom Herbert Kluger Verlag unter der Bedingung angenommen, dass ein Lektor den Text überarbeitet. Wolfgang Koeppen, damals ein noch unbekannter Schriftsteller, übernahm ←13 | 14→diese Aufgabe und machte aus Littners Notizen das Buch „Aufzeichnungen aus einem Erdloch“, erschienen 1948 in München. Littner wurde als Autor genannt, der Name des Bearbeiters tauchte nicht auf.4 Das Buch gilt als einer der frühen Texte der Nachkriegszeit, die das deutsche Lesepublikum über das NS-Regime in den Städten Osteuropas informierten.5 Ruth Klüger erläutert dazu: „Littner war nach Amerika ausgewandert und schickte seinem Ghostwriter [während dessen Bearbeitungszeit] Carepakete.“6 Koeppen schrieb später: „Ich aß amerikanische Konserven und schrieb die Leidensgeschichte eines deutschen Juden. Da wurde es meine Geschichte.“7 Koeppens Name war in dieser ersten Ausgabe weder auf dem Buchcover noch in anderen paratextuellen Elementen zu lesen; er war/ist also ein typischer Ghostwriter, der für die Leserschaft nicht in Erscheinung trat/tritt. Das Buch bekam einige anerkennende Rezensionen und war bald vergriffen. Kurze Zeit später ging der Verlag Konkurs.

Als 1992 der Suhrkamp Verlag den Jüdischen Verlag übernahm, erschien zur Neugründung ein als verschollen geglaubtes Buch des inzwischen berühmt gewordenen Romanciers Wolfgang Koeppen.8 Es handelte sich dabei um die autobiografischen Aufzeichnungen von Jakob Littner, die nun erneut, diesmal jedoch als Roman bezeichnet, erschienen mit Wolfgang Koeppen als Autor und einem Vorwort, in dem die oben zitierten Worte über den Verzehr von amerikanischen Konserven von ihm zu lesen sind.9 Auf dem Buchcover war zudem ein Foto von Koeppen abgedruckt, nicht etwa von Littner.10 Wolfgang Koeppen avancierte somit zum Autor, und Littner wurde zur Hauptfigur des vermeintlichen Romans.11 Der Text, der als autobiografische Ich-Erzählung verfasst wurde, ist in beiden Fällen der gleiche. In der ersten Ausgabe wird er als Zeugenbericht eines jüdischen Überlebenden, in der zweiten Ausgabe als Roman eines bekannten Autors ausgegeben. Dazu stellt Ruth Klüger fest:

Der Unterschied ist der zwischen einem Buch von einem Juden und einem Buch über die Juden von einem Nichtjuden. Das Buch ist voller Meinungsäußerungen, über Strafe ←14 | 15→und Gerechtigkeit, auch über das Mitwirken der Judenräte an den Verbrechen, und endet in einem weinerlichen Versöhnungspathos. Wenn das nun die Meinungsäußerungen des jüdischen Überlebenden sein sollen, in Wirklichkeit aber die Parolen eines deutschen Nichtjuden sind, so handelt es sich schlicht um eine Lüge, nicht um Fiktion. Das Buch beschreibt Judenmord und Gewalttaten ohne Beschönigung. Trotzdem schleichen sich Beschwichtigungen ein, die aus der Feder des Nichtjuden stammen, der sich als Jude ausgibt und der viel später zugeben wird, daß es „sein Buch“ erst beim Schreiben, nicht im Erleben wurde.12

Der Text bleibt zwar derselbe, jedoch führt der Kontext des Textes, die Frage, wer diesen wann und warum verfasst hat, dazu, dass er mit einer anderen Haltung und Erwartung gelesen wird. Es stellen sich die Fragen: Ist der Text an sich immer noch als Zeugenbericht eines Überlebenden zu bewerten? Oder ist dieser nun eine (un)authentische Konstruktion eines Ghostwriters?

Abbildung 1: Wolfgang Koeppen, Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch. Suhrkamp Verlag 1994.

In dem neuen Vorwort des Buches erklärt der Autor Koeppen, er habe nach den Notizen des Verlegers gearbeitet, die auf dem mündlichen Bericht eines Überlebenden beruhten.13 Trotz der Bezeichnung „Roman“, die die Fiktion ausweist, betont Koeppen im Vorwort eine Referentialität, die dem Faktenmaterial einen dokumentarischen Status verleiht. Helmut Galle zufolge wurde mit dem Vorwort versucht, etwas vom Status des Augenzeugenberichtes zu retten, um ihn dem Leser nicht nur als bloße Fiktion darzustellen, sondern auch als einen authentischen Bericht, für den Koeppen ebenso bürgen könne wie die reale Person Littner. Erzeugt wird dies nach Galle zum einen durch den Vorgang der (angeblichen) Einfühlung in die Person Littner und zum anderen durch die vermeintliche Adaption der Geschichte.14 Koeppen stilisiert sich im Paratext selbst zu einem „Sprachrohr eines angeblich verstummten Opfers“:15 „Er [Littner] wollte schreien, es würgte ihn aber nur. Er wollte sprechen und blickte in Gesichter, die alles gebilligt hatten.“16

Es stellen sich grundsätzliche Fragen: Ist der Schriftsteller Wolfgang Koeppen lediglich literarischer Redakteur oder Ghostwriter? Handelt es sich um einen redaktionell und literarisch verschönerten bzw. geringfügig bearbeiteten ←15 | 16→Augenzeugenbericht eines Überlebenden, der in seinem authentischen dokumentarischen Charakter sowie inhaltlich weitgehend unverändert geblieben ist, oder um eine Art „Dokumentar-Fiktion“,17 die auf einer „Rhetorik des Tatsächlichen“18 beruht?19 Dass Koeppen nach einem fertigen Manuskript gearbeitet hatte, war im Buch nicht zu lesen. Selbst die Begegnung mit Jakob Littner hatte er verschwiegen. Fast alles in Koeppens Buch folgt nach Ansicht Ruth Klügers dem Original. Kürzungen und kleine stilistische Änderungen sind laut Klüger zu gering, als dass sie den Plagiatsvorwurf entkräften könnten.20 Jörg Döring ←16 | 17→vertritt dazu eine andere Ansicht. Er hat einen ausführlichen Textvergleich mit dem originalen Typoskript21 Littners und der veröffentlichten Version vorgenommen. Dabei rekonstruiert er die Unterschiede zwischen dem Manuskript Littsner und Koeppens Bearbeitung.22 Der Vergleich widerlegt die These, Koeppen habe den Großteil des Textes „wörtlich aus dem Littnerschen Urtext übernommen“.23 Döring kommt zu dem Schluss, dass Koeppen das Werk generell umgeschrieben habe, abgesehen von spezifischen sprachlichen Mitteln, mit denen er versucht habe, den Anschein der Authentizität des Opferberichtes zu bewahren.24 Durch die Literarisierung Koeppens werde der Vorlagentext sogar „objektiv verfälscht“.25

In der Ausgabe von 1994 verzichtete der Suhrkamp Verlag auf die Gattungsbezeichnung „Roman“, bis der Verlag 2002 eine Neuauflage seines Koeppen-Buches veröffentlichte, die abermals mit der Kennzeichnung „Roman“ auf dem Umschlag versehen und um ein ausführliches Nachwort von Alfred Estermann zum Fall Koeppen-Littner ergänzt wurde.26 Alfred Estermann ist der Herausgeber von Koeppens Nachlassprosa.27 Zeitgleich wurde das Originalmanuskript von Jakob Littner als Ausgabe im Metropol Verlag vorgelegt, mit fünf Aufsätzen und Interviews zur Entstehungs- und Vertriebsgeschichte.28

In den Recherchen Estermanns, dem Zusatzmaterial in der Ausgabe des Suhrkamp Verlags, ist auch der Umgang der deutschen Nachkriegskultur g mit den Werken der Überlebenden ein Thema: So hebt Estermann hervor, dass der Desch Verlag Littners Manuskript einst mit folgender Begründung ablehnte:29

Ein sentimental-pathetisch-erbaulicher Erlebnisbericht, der als eigene Publikation ganz undiskutabel ist. Man kann einen derartigen Aufsatz, der literarisch und ideenmäßig ohne den geringsten Wert ist und auch inhaltlich nichts Neues zutage fördert, weder innerhalb der Dokumente noch sonst irgendwo im Verlagsprogramm unterbringen.30

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Klüger stellt treffend heraus, dass diese erste Phase der Veröffentlichungsgeschichte die Verdrängungsmechanismen der frühen Nachkriegszeit belegt.

Der Fall Koeppen-Littner eröffnet beispielhaft das eingangs angesprochene Spannungsfeld zwischen Ghostwriting und Holocaustliteratur, das die Grundlage der Untersuchung bildet:

Zunächst kann auf begrifflicher Ebene herausgestellt werden, dass allein die grundsätzlichen Bezeichnungen der beiden Protagonisten dieses Falls, also Littner als Autor und Verfasser sowie Koeppen als Bearbeiter, literarischer Rechercheur und Ghostwriter, gängig, aber zumindest diskutabel mit Blick auf die Unterscheidung von Autor und Ghostwriter sind: Indem Littners Aufzeichnungen von Koeppen zu einem Buch umgeschrieben wurden, Letzterer demnach die Vorlage literarisiert hat, ist Littner zwar der Autor von „Aufzeichnungen aus einem Erdloch“, aber streng genommen nicht der Verfasser der veröffentlichten Version seiner autobiografischen Erinnerungen. Zudem wurde dargestellt, dass Koeppen laut Klüger nach einem Manuskript gearbeitet hat, das nur im Rahmen stilistischer Feinheiten und Kürzungen geändert wurde. Döring vertritt jedoch nach seiner Analyse die Ansicht, dass das Werk umgeschrieben wurde. Um den Anschein der Authentizität zu wahren, seien lediglich spezifische sprachliche Mittel bewahrt worden.31 Weil unterschiedliche Auffassungen darüber vorherrschen, wie die Tätigkeit Koeppens auszulegen ist, muss notwendigerweise eine klare Differenzierung zwischen den Bezeichnungen Bearbeiter, literarischer Rechercheur und Ghostwriter stattfinden. Nur dann kann beurteilt werden, welche Funktion ein jeweiliger Schreiber im Einzelfall hat. Definitorische Abgrenzungen zwischen den Tätigkeiten liegen bisher literaturwissenschaftlich nicht explizit vor. Wo genau die theoretische und praktische Abgrenzung zwischen den Begriffen Bearbeiter und Ghostwriter gezogen werden kann, soll deshalb an späterer Stelle in der Einleitung geklärt werden.32 Koeppen ist ebenfalls auf Grundlage der vorliegenden Informationen der Erstausgabe zunächst als heimlicher Verfasser zu bezeichnen, der als Ghostwriter im wörtlichen Sinne nicht in Erscheinung trat, bis er sich die Geschichte Littners aneignete und sich selbst zum Autor machte.

Durch diesen Rollentausch und die damit einhergehende Aneignung der Autorenrolle wurde der Ghostwriter Koeppen später auch zum Fälscher, der ←18 | 19→die Geschichte eines Überlebenden plagiierte.33 Das Werk und seine Umstände wurden als literarische Fälschung zum Skandal, erst durch diesen Status stellte sich die Frage nach der genauen Unterscheidung der Tätigkeiten Koeppens.34 Der Fall ist daher relevant für diese Arbeit, da er eindrucksvoll verdeutlicht, wie wichtig die genaue Rezeption in der literaturwissenschaftlichen Untersuchung solcher literarischen Werke in der autobiografischen Holocaustliteratur ist und dass die Frage nach der Authentizität und der Faktizität nicht auf die Autor-Instanz verkürzt werden darf.35

Neben der Einordnung auf der begrifflichen Ebene gilt es, das literarische Werk innerhalb der Gattung zuzuordnen. Das Manuskript Littners und auch die später veröffentlichten autobiografischen Erinnerungen zählen eindeutig zur Holocaustliteratur, ganz gleich, ob Koeppen oder Littner als Autor genannt wird. Denn die aktuelle Holocaustforschung fasst nach dem Gießener Modell36 unter Holocaustliteratur alle literarischen Texte über die Geschehnisse des Holocaust von allen Beteiligten oder Unbeteiligten zusammen, die als Autoren die Absicht zur Kommunikation haben und mithilfe verschiedener literarischer Verfahren das Geschehene vermitteln wollen, ohne dabei wissenschaftlichen Kriterien oder Konventionen folgen zu müssen.37 Somit ist selbst mit der Person Koeppen als Unbeteiligter, der Verfasser/Ghostwriter oder auch Autor ist, eine Zuordnung zur Gattung Holocaustliteratur eindeutig.

Holocaustautoren verschriftlichten ihre subjektive Interpretation des Geschehenen in verschiedenen Formen. Hierzu zählen Texte, die zur Zeit des ←19 | 20→Geschehens entstanden sind, wie etwa Tagebücher und Chroniken sowie Texte, die nach den Ereignissen von Betroffenen verfasst wurden, beispielsweise Memoiren und Erinnerungen, oder aber auch fiktionale Texte, die in Form von Romanen, Gedichten und Dramen hervorgebracht werden.38 Die von Littner gewählte autobiografische Form seiner Erinnerungen ist besonders häufig. Um diese Subgattung soll es auch in der vorliegenden Arbeit gehen. Die Gattungskonventionen der Autobiografie39 erfordern die persönlichen Erinnerungen an selbst Erlebtes, die als das Authentische und Wahrhaftige der Überlebenden des Holocaust wahrgenomen werden, die schreiben, um das Geschehene zu verarbeiten, sich selbst zu verorten und Zeugnis abzulegen. Gerade deshalb, ist die Verschleierung der Autorschaft Littners durch Koeppen so skandalös.40

Ein Zusammenhang zwischen Autobiografien der Holocaustliteratur und Ghostwriting liegt nicht nur beim Koeppen-Littner-Fall auf der Hand: Die Werke sind meist keine Produkte von Schriftstellern, sondern vielmehr solche von traumatisierten, überlebenden und bezeugenden Menschen, die erst durch ihre Erfahrungen im Holocaust zum Schreiben veranlasst wurden und dies nicht auf Grundlage ihrer Profession tun, sondern eher als notwendiges Mittel, fast schon als Therapie, anwenden.41 Das betrifft auch den Fall des Briefmarkenhändlers Jakob Littner, der mit dem Schreiben einen Weg fand, das Geschehene zu verarbeiten und zu bezeugen. Da es sich bei den Autoren dieser Gattung also meist nicht um Schriftsteller handelt, kann die Autobiografie eines Überlebenden auch nicht immer im Sinne der Einhaltung bestimmter literarischer Konstruktionsmuster und Konventionen gelingen. Die einzigartigen Bedingungen, unter denen sich die Holocaustüberlebenden im Prozess der literarischen Verarbeitung befinden, kann die Erweiterung um eine dritte Instanz bedeuten: den Ghostwriter. Im Falle des Überlebenden Littner nahm diese Rolle Wolfgang Koeppen ein, der die Notizen Littners zu einem Buch umschrieb. Je größer die Zeitspanne zwischen im Holocaust Erlebtem und literarischer Verarbeitung, desto naheliegender kann die Beauftragung eines Ghostwriters sein. ←20 | 21→In Anbetracht der historischen, sozialen und emotionalen Voraussetzungen der Überlebenden für das Verfassen der Zeugnisse kann der Ghostwriter ein nützliches Instrument sein. Zudem haben die Tätigkeiten von Ghostwritern und der Paradigmenwechsel innerhalb der Holocaustforschung der letzten Jahrzehnte Konsequenzen für die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit der Holocaustliteratur42, wie der Koeppen-Littner-Fall hinsichtlich des Plagiatsvorwurfs gezeigt hat:

Die Zuhilfenahme von Ghostwritern in der literarischen Verarbeitung des Holocaust führt dazu, dass die Frage nach Authentizität und Wahrheit erneut behandelt werden muss, gerade wenn es sich wie bei Koeppen-Littner um einen Fälschungsfall handelt. „Authentizität“43 ist ein derzeit breit diskutiertes Themenfeld. Mit den folgenden Erläuterungen zum Verständnis dieses Begriffs sowie der notwendigen terminologischen Engführung für die Holocaustliteratur wird daher die gegenwärtige Konjunktur des Phänomens der „Authentizität“ berücksichtigt und für den Untersuchungsgegenstand aufgefächert.44 Es sei vorweggenommen, dass sich die Bedeutung des „Authentischen“ in der (Rezeption der) Holocaustliteratur deutlich von anderen Gattungen unterscheidet, nicht zuletzt da der Holocaust unvergleichbar ist. Dazu bemerkt Ganzfried: „Gerade vor der Faktizität der Todesfabriken, von den Nazis so angelegt, dass niemand ihre Existenz je für möglich gehalten haben würde, kommen der Zeugenschaft und dem Vertrauen eine besondere Bedeutung zu.“45

Susanne Knaller schreibt in ihrem gemeinsam mit Harro Müller verfassten Lexikonartikel im „Historischen Wörterbuch der ästhetischen Grundbegriffe“ zum Begriff Authentizität, dass es zu den Schwierigkeiten im Umgang mit dem ←21 | 22→Begriff gehöre, keine eindeutige Definition aus historischer sowie aus aktueller Perspektive geben zu können. Knaller führt verschiedene Gründe dafür an, denn der Begriff wurde „im Laufe der Geschichte in multiplen Bereichen angewendet und von unterschiedlichen Quellen gespeist: Recht, Theologie, Philosophie, Musik und Ethnologie“.46 Der Begriff „authentisch im Sinne von,sincère, juste, natural, vrai, non affecté‘ “47 wurde erst im 20. Jahrhundert verwendet und auch auf die Kunst und Literatur bezogen, so Knaller. In der aktuellen Bedeutung von authentisch/Authentizität seien die semantischen Komponenten „wahrhaftig, eigentlich, unvermittelt, unverstellt, unverfälscht“48 konstant. Jedoch sind die Vorstellungen von Echtheit, Eigentlichkeit, Unmittelbarkeit, Ursprünglichkeit dabei nach Michael Rössner und Heidemarie Uhl schwankend, weil sie als „gesellschaftlich bedingte, kontingente Konstrukte“ beschrieben werden, „die kommunikativ generiert und im Rahmen von Machtbeziehungen verhandelt werden“.49 Christoph Deupmann beschreibt in seinem Artikel im „Metzler Lexikon Literatur“50 den Begriff Authentizität im Sinne von authenticus als eigenhändig und verbürgt, von gr. Authéntes als Urheber, zum einen als „die Echtheit bzw. Zuverlässigkeit […] eines Textes“ und zum anderen als „[d];ie Wahrhaftigkeit a) des subjektiven Selbstausdrucks oder b) des objektiven Weltbezugs im lit[erarischen] Text“.51 Als literarisch-theoretischer Begriff, so Deupmann, beziehe sich Authentizität noch genauer auf „den glaubwürdigen Ausdruck der Autor-Subjektivität im lit[erarischen] Text“ und „auf dessen,unverfälschten‘ Darstellungsbezug zur außerlit[erarischen] Wirklichkeit“.52 Hierbei ist jedoch hervorzuheben, dass die aktuelle Forschung Authentizität eher als Darstellungseffekt versteht und somit bei Textformen wie Autobiografien nicht mehr zwangsläufig nach der subjektiven Autorpräsenz, sondern nach den Bedingungen und Verfahren ihrer textuellen Erzeugung oder Inszenierung fragt.53 Auf Grundlage der unterschiedlichen Definitionen wird deutlich, dass es zwar keine einheitliche Wortverwendung von „Authentizität“ gibt. Matias Martínez bemerkt in seiner Einführung zu dem Sammelband „Authentizität und Medialität in ←22 | 23→künstlerischen Darstellungen des Holocaust“, dass aber gerade ‚Authentizität‘ ein Hauptkriterium für die Beurteilung von Kunst über den Holocaust ist:

Während in der zeitgenössischen Literatur, Kunst und Ästhetik im Namen der Postmoderne Konzepte der Simulation, Ambiguität, Entreferentialisierung und der Tod des Autors propagiert werden, bestimmten und bestimmen Postulate wie Authentizität, Wahrhaftigkeit, moralische Integrität und Beglaubigung durch Autorschaft die Produktion, die Gestaltung, die Rezeption und die Bewertung von Kunst über den Holocaust.54

Martínez erachtet Authentizität als ein besonders charakteristisches Merkmal, die der Holocaustkunst zugeschrieben wurde, und stellt treffend heraus, dass anstelle von „authentisch“ in diesem Zusammenhang auch synonym häufig „‚wirklich‘, ‚wahr‘, ‚wahrhaftig‘, ‚echt‘, ‚original‘ oder ‚unmittelbar‘ verwendet und in einen Gegensatz zu ‚erfunden‘, ‚manipuliert‘, ‚simuliert‘ oder ‚künstlich‘ gestellt“55 werden. Die Anwendung dieser Gegensätze erklärt Martinez mit den Worten Primo Levis aus „Krieg gegen das Erinnern“. Die Kunst über den Holocaust stellt sich nach Levis Aussagen „gegen die ‚Fälschung der Erinnerung, Fälschung der Wirklichkeit, Verleugnung der Wirklichkeit, bis zur endgültigen Flucht vor eben dieser Wirklichkeit‘ “.56 Um die Frage nach der eigentlichen Forderung nach Authentizität zu beantworten, erläutert Martínez in seiner Einführung vier verschiedene Bedeutungsaspekte ästhetischer Authentizität,57 von denen Sascha Feuchert drei für wesentlich für die Holocaustliteratur hält:

Einmal auf der Ebene der Autorschaft (Werke lassen sich durch einen persönlichen Bezug des Autors zum Vernichtungsgeschehen legitimieren), dann hinsichtlich der Referenz (konkrete historische Personen und Ereignisse werden dargestellt und beglaubigen somit das Kunstwerk) und schließlich auf der Ebene der Gestaltung (in der Darstellung werden Mittel verwendet, die einen Wirklichkeitseffekt erzielen, sog. „Authentizitätsfiktionen“).58

Besonders entscheidend für die vorliegende Arbeit ist die Anmerkung von Martínez nach Klaus Kanzog, dass auch in der Textkritik die Authentizität mit der ←23 | 24→Autorschaft verbunden werde: „Editionsphilologen meinen mit der Authentizität eines Textes seine ‚Echtheit, Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit‘ – Eigenschaften, die von der ‚Verfasserfrage‘ abhängen.“59 Da in dieser Arbeit zwischen Autor und Verfasser im Hinblick auf den Ghostwriter oftmals unterschieden werden muss, kann die Frage nach der eigentlichen (inszenierten) Authentizität eines Textes, der von einem Ghostwriter und nicht vom Überlebenden selbst verfasst wurde, eine hohe Brisanz birgen.60 Neben Martínez ist auch James Youngs Studie „Beschreiben des Holocaust“ hier anzuführen: Unter Einbeziehung neuerer Erkenntnisse der Geschichtswissenschaft setzt sich Young mit dem konkreten Text auseinander. Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Qualität bzw. Faktizität der Erinnerung.61 Der Arbeitsschwerpunkt Youngs führte von älteren Autobiografietheorien, die von einem historischen Wahrheitsgehalt ausgingen und diesen aufgrund der Subjektivität einer Autobiografie prinzipiell nicht erfüllt sahen, hin zu einer jüngeren Autobiografieforschung. Diese stellt gerade das Zurückbleiben hinter einer historischen Zuverlässigkeit als das konstitutive Element der Subgattung heraus. Demnach wird die Autobiografie heute als ‚subjektive Geschichtsschreibung‘ verstanden. Trotz Youngs Konstruktionsthese, deren Begründungszusammenhang dieser vor allem auf den Historiker Hayden White stützt,62 hält Young an einem besonderen und mithin: authentischen Status autobiografischer Schriften fest. Young vertritt nämlich die Meinung, dass die aus der Retrospektive subjektiv erzählten Erlebnisse durchaus nicht an Faktizität verlören.63 Später entwickelte sich in der von Feuchert beschriebenen Gattung der Holocaustliteratur64 nachfolgend ein Problemhorizont zwischen „Wirklichkeitsabbildung“ und „literarischer Fiktionalität“, wobei die persönlich bezeugte, ←24 | 25→also: authentische Erinnerung, Hauptkriterium für die Beurteilung der Einordnung eines Textes in deren Subgattung Autobiografie ist. Die vorliegende Studie geht im Rahmen der Analysen zu Autoren des Holocaust und deren Autobiografien nicht von einer faktischen Authentizität, sondern vielmehr von einer Erinnerungsauthentizität und somit gleichsam von einer narrativen, d.h. einer inszenierten Authentizität aus.65

Für den Koeppen-Littner-Fall, um noch einmal auf diesen zu verweisen, wäre demnach zunächst herauszustellen, dass es hinsichtlich der (inszenierten) Authentizität der subjektiven Geschichtsschreibung Littners darauf ankommt, in welchem Maße hier der Ghostwriter Koeppen, der sich anschließend zum Autor machte, das Manuskript bearbeitet hat. Davon unberührt bleibt der Vorwurf des Plagiats durch die Änderung des Autornamens.

Durch die Fälschung und die skizzierte Begründung der Ablehnung von Littners Manuskript durch mehrere Verlage, die Literarisierung der Aufzeichnungen durch Koeppen, die Verschleierung der Autorschaft Littners und die Rezeption durch den Verlag zeigt dieser Fall beispielhaft einen typischen Umgang des Literaturbetriebs der Nachkriegszeit mit der Lagerliteratur. Die Authentizität und die Faktizität solcher Aufzeichnungen lag zu dieser Zeit nicht im primären Interessensbereich von Verlagen und der Gesellschaft. Prinzipiell ist eine Wellenbewegung in der Literatur seit 1945 zu beobachten. Ein grober Blick auf die Jahrzehnte mag verdeutlichen:66 Nach dem Kriegsende entwickelte sich die Nachkriegsliteratur67 wesentlich in zwei unterschiedlichen Strömungen: Ein Teil der Autoren wollte mit ihren Werken die nationalsozialistische Diktatur und die damit einhergegangenen Erlebnisse verarbeiten, der andere Teil der Autoren beabsichtigte, die jüngste Geschichte Deutschlands mehr oder weniger zu verdrängen.68 Die konservativen Autoren setzten sich trotz einer Zahl von Autoren durch, die in ihren Werken literarische Beschreibungsversuche aus Gefängnissen und Lagern machten, die sie selbst erdulden mussten, wie etwa Albrecht ←25 | 26→Haushofer,69 Günther Weisenborn,70 Eugen Kogon71 oder Ernst Wiechert72 oder eben auch Jakob Littner.73 Da die Gesellschaft nach 1945 mit persönlichen Nöten wie etwa Hunger konfrontiert wurde, fehlte der Raum für die Akzeptanz der tragischen Wirklichkeitsabbildung der jüngsten Ereignisse von Opfern des Nationalsozialismus. Eine große Anzahl der Autoren der frühen Nachkriegszeit, so stellt Jaiser in ihrer Dissertation über Zeugnisliteratur von Überlebenden fest, „korrespondierte mit der Motivation vieler […], ihre erzählten Erfahrungen würden auf großes Interesse stoßen und es würde ihnen, wenigstens im nachhinein, Gerechtigkeit widerfahren – eine Annahme, die bekanntlich weitgehend enttäuscht wurde“.74 Feuchert führt dazu Wolfgang Borchert als Beispiel an. Dieser beschreibt 1947 in seiner Sammelrezension „Kartoffelpuffer, Gott und Stacheldraht“ diesen Zustand wie folgt:

Kein Schwerkranker wird sich auf dem Krankenbett damit beschäftigen, Fieberkurven zu studieren, und es ist durchaus begreiflich, daß in dem Deutschland von 1947, wo der Hunger und die Kälte nahe Nachbarn geworden sind, die KZ-Literatur keine große Anhängerschaft gewinnen kann. Hatten die Häftlinge Hunger? Den haben wir auch. Haben die Häftlinge gefroren? Das tun wir auch. Häuften sich die Toten vor den Krematorien? Wenn es so weitergeht, werden sie es bald wieder tun. Waren die Häftlinge eingesperrt? Das sind Tausende von Kriegsgefangenen auch.75

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Die fünfziger Jahre76 waren eine Zeit, die mit den Worten Hermann Lübbes als „gewisse Stille“ und „kommunikative[s]; Beschweigen“ der Vergangenheit im Jahrzehnt des Wirtschaftswunders charakterisiert wird.77 So setzten sich auch Autoren durch, die die Literatur ihrer Auffassung nach vom nationalsozialistischen Diktat befreien und künftig eine zeitlose Poesie betreiben wollten, die eine Hoffnung für die Zukunft ab der sogenannten ‚Stunde Null‘ zum Ausdruck bringt. Besonders prägend für den Literaturbetrieb in den fünfziger und sechziger Jahren war die Gruppe 47, die versuchte, eine neue realistische Literatur in Deutschland zu etablieren.78 Dadurch kam es auch zu einer radikalen Neuausrichtung der Literatur als Ausdruck des gesellschaftlichen Neubeginns und als Hoffnungsträger für die Zeit nach dem Krieg.

In den frühen sechziger Jahren bildete sich jedoch auch das „dokumentarische Theater“79, eine bis in die Mitte dieses Jahrzehnts dominierende Gattungsform, die auch für die Auseinandersetzung mit dem Holocaust bedeutend wurde. Ziele von Autoren wie Peter Weiss80 oder Rolf Hochhuth81 waren die authentische, glaubwürdige Abbildung bzw. Darstellung von Wirklichkeit und eine daraus resultierende gesellschaftsverändernde Wirkung: Das „Dokumentartheater“ ←27 | 28→reagierte auf den Auschwitz-Prozess als bedeutende außerliterarische Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland. Dieser und einige vorangegangene NS-Prozesse zwangen die Gesellschaft zu einer bewussten Auseinandersetzung mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit.

Die siebziger Jahre werden von Ulrich Herbert trotz des Kniefalls von Willy Brandt am Denkmal im Warschauer Ghetto und der öffentlich anhaltenden Faschismusdebatte zwischen der jungen Generation und ihren Eltern, „als eine Phase der zweiten Verdrängung“ beschrieben.82 Am Ende des Jahrzehnts führte die Ausstrahlung des vierteiligen US-amerikanischen Fernsehfilms „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ von Marvin J. Chomsky im Heimatland zu emotionalen Reaktionen der Bevölkerung. Der Film erzählt die fiktive Geschichte der jüdischen Arztfamilie Weiss, die in Berlin zur Zeit des Nationalsozialismus lebt. „Daß ein kommerzieller Fernsehfilm für das amerikanische Publikum es geschafft hat, den Gemütszustand der bundesdeutschen Bevölkerung aufzuwühlen, ist eine Sensation ersten Ranges.“83 Der Fernsehfilm bewirkte, dass die nationalsozialistische Vernichtungspolitik überhaupt „Holocaust“ genannt wurde.84

In den achtziger Jahren hatte die Veröffentlichung des Fernsehfilms, aber auch der Historikerstreit85 zur Folge, dass deutlich mehr über die nationalsozialistische Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland gesprochen wurde. Zudem bemerkt Klüger für den kulturellen Bereich: „Erst in den siebziger und achziger Jahren wurde das Leiden der ermordeten Juden in ein Märtyrertum umstilisiert, und damit fielen auch die psychologischen Hemmungen. Der Holocaust wurde salon-, literatur- und filmfähig.“86 Durch die benannten Faktoren stieg das Interesse an der Vergangenheit, parallel dazu auch die Publikation fiktionaler Darstellungen der Vergangenheit sowie Zeugnisse über den Holocaust.87 ←28 | 29→Mitte der achtziger Jahre entstand infolgedessen eine Authentizitätswelle in der Gesellschaft die mitunter bis heute anhält.88 Ob der Anspruch auf Authentizität und Faktizität für jede Gattung und jedes Medium gerechtfertigt erscheint,89 soll in der vorliegenden Arbeit nicht Thema sein. Vielmehr ist hier ‚Authentizität‘ als ein Hauptkriterium für die Beurteilung von Autobiografien in der Holocaustliteratur als subjektive Geschichtsschreibung von Interesse. Gerade bei diesen Autobiografien ist die Problematik des Oszillierens zwischen den beiden Polen Faktualität und Fiktionalität in besonderem Maße erkennbar.90

Nicht nur der Koeppen-Littner-Fall verdeutlicht, wie wichtig die Unterscheidbarkeit von Faktualität und Fiktionalität innerhalb der Rezeption der Gattung Holocaustliteratur ist, im Besonderen in der Subgattung Autobiografie. Die Frage nach der Authentizität und Faktizität kann nicht nur auf die Person des Autors verkürzt werden. Der Fälschungsvorwurf sowie die moralische Problematik dieser Art von Textbearbeitungen, die die Originalvorlage nicht thematisiert oder auf diese verweist, bleibt jedenfalls bestehen. Dazu nochmals Klüger über den Fall Koeppen-Littner:

Hier hat einer aus der Tätergesellschaft, mochte er auch noch so einfühlsam sein und noch so gut schreiben können, dem Opfer das Letzte genommen, was ihm geblieben war, nämlich das gelebte Leben und das Recht, seine Erinnerungen in seinen eigenen ←29 | 30→Worten zu gestalten, so dass eine letzte Enteignung und Erniedrigung über das Grab hinaus stattfand.91

Neben dem Plagiat Koeppens kann auch die vielfach diskutierte Autobiografiefälschung von Binjamin Wilkomirski, der seine fingierten Erinnerungen als Kind im Konzentrationslager als authentischen Lebensbericht präsentierte,92 als Auslöser einer weitzureichenden Debatte betrachtet werden: Dadurch wurde die Gattung der Holocaustliteratur und somit leider auch ihre Autoren, erstmals in Verbindung mit einer literarischen Fälschung gebracht.93 Auch in jüngster Zeit ist es immer wieder zu neuen Fälschungen bei angeblich autobiografischen Holocaustzeugnissen gekommen, die ähnliche Effekte hatten, wie etwa bei Texten von Herman Rosenblat, Conny Hannes Meyer oder Misha Defonseca.94

Bei der Subgattung Autobiografie ist also das Hauptkriterium der Authentizität95 gefordert, das durch die zahlreich entlarvten Fälschungen sogar noch verschärft wurde. Untersucht man eine Autobiografie auch auf ihre Authentizität und Faktizität hin, steht der Autor des Werks stets im Fokus, da er die moralische und juristische Verantwortung für den Inhalt gegenüber der Leserschaft trägt. Der Koeppen-Littner-Fall zeigt, dass der Autor nicht immer mit dem Verfasser gleichzusetzen ist, selbst wenn es sich um einen autobiografischen Text handelt. Ist also ein Ghostwriter der Verfasser der Autobiografie, wie Wolfgang Koeppen in diesem Fall, so ist demnach der Ghostwriter als Person und infolge seiner Tätigkeit der Textgestaltung hinter dem eigentlichen Autor genauso relevant für eine Analyse hinsichtlich des Authentischen wie der Überlebende als Autor seiner Lebensgeschichte selbst. An dieser Schnittstelle beginnt das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit.96

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Zusammengefasst stellt sie den Versuch einer neuen Herangehensweise an die Verbindung von Ghostwriting und Holocaustliteratur dar, der zu einer Vertiefung und Auffächerung der Holocaustliteraturforschung anregen möchte.

Die wichtigsten Fragen für die Arbeit seien im Folgenden formuliert:

1. Welchen allgemeinen Stellenwert und welche Relevanz hat die Figur des Ghostwriters vor dem Hintergrund eines Autobiografie-Booms und wie äußert sich der Umgang mit Ghostwritern hinsichtlich des Kenntlichmachens ihrer Tätigkeit?

2. Wie sind Co-Autoren und Ghostwriter begrifflich und hinsichtlich ihrer Tätigkeiten voneinander zu unterscheiden?

3. Welche Tätigkeitsfelder hat der Ghostwriter, und ist diese Bezeichnung vor dem Hintergrund aktueller Erscheinungsformen noch treffend?

4. Welche Kategorisierungen von Ghostwritern lassen sich hinsichtlich der unterschiedlichen Autobiografien ableiten?

5. Welche Eigenheiten und Motivlagen können für das Ghostwriting erhoben werden und vor allem, wie und an welcher Schnittstelle agiert der Ghostwriter?

6. Gelten für Ghostwriter von Autobiografien andere Anforderungen, wenn es sich speziell um autobiografische Zeugnisse in der Holocaustliteratur handelt?

7. Was sind die Schreibmotive der Autoren in der autobiografischen Holocaustliteratur, und wie lässt sich dabei die Erwartung nach Authentizität als Hauptkriterium für diese Werke formulieren?

8. Inwiefern haben die Motive von Ghostwritern und Autoren Relevanz in Bezug auf die Qualität und das Authentische sowie auf die Fälschungsanfälligkeit der Texte?

9. Lassen sich Motivverschiebungen und bewusste Einflussnahmen identifizieren, die das Fälschen einer Autobiografie im Spannungsfeld von Autor und Ghostwriter erklärbar machen?

10. Wie wirkt sich der Einsatz eines Co-Autors oder eines Ghostwriters auf die (inszenierte) Authentizität und Faktizität einer Autobiografie in der Holocaustliteratur und deren Rezeption aus?

1.2. Vorbemerkungen zur Terminologie

Ob Skandale im Literaturbetrieb oder die Authentizität von Autorinnen und Autoren zur Diskussion stehen, ob die Wertigkeit anonymer politischer Meinungsäußerungen ←31 | 32→im Internet debattiert wird oder es um die Zurechnung von wissenschaftlicher Reputation geht, ob literarische oder wissenschaftliche Plagiate oder die Verletzung von Persönlichkeitsrechten feuilletonistisch und juristisch zu verhandeln sind, ob ein Maßstab für Faktualität und Fiktionalität oder auch Autorität gesucht wird, all diesen heterogenen und aktuellen Fragen liegt immer der gemeinsame Problembereich zugrunde, wer denn der Autor von „etwas“ ist und die Verantwortung für Ergebnisse und Folgen seines Kommunizierens, Schreibens oder Handelns zu übernehmen hat – oder auch nicht!97

Matthias Schaffrick und Marcus Willand umreißen im Prolog über die Ausgangslage der Autorschaft im 21. Jahrhundert in ihrem Werk „Theorien und Praktiken der Autorschaft“98 pointiert die Problembereiche, die bekanntlich allesamt auf den Autor als Person oder Konstruktion rekurrieren. Dieser Zugang über die genannten alltäglichen und praktischen Begegnungen mit den Phänomenen von Autorschaft verdeutlicht gleich mehrere relevante Aspekte, die auch für die vorliegende Arbeit von Interesse sind:

Verantwortung kann hier als Schlüsselbegriff für den Autor herausgestellt werden, insofern als an ihn die Forderung nach der Übernahme eben dieser gestellt wird. Die folgenden Kapitel dieser Arbeit beschäftigen sich mit Skandalen des Literaturbetriebs, also möglichen „Ergebnisse[n]; und Folgen [des] Kommunizierens“.99 Diese werden hier vornehmlich im Rahmen der Diskussion um die Authentizität und Faktizität von autobiografischen Texten beleuchtet (respektive von literarischen Fälschungen und Plagiaten in der Holocaustliteratur), was die Frage nach dem Maßstab für Faktualität und Fiktionalität100 impliziert. Der Ausgangspunkt dieser Dissertation ist demnach mit dem von Schaffrick und Willand vergleichbar, jedoch mit einer anderen Schwerpunktsetzung: Ihre nachgestellte Bemerkung „[…] – oder auch nicht!“101 eröffnet das Diskussionsfeld der Analyse hinsichtlich der Forderung nach Übernahme der Verantwortung, die auch für eine mögliche Person hinter einem Autor gelten muss, dem Ghostwriter:

Es gab sie schon immer: die Leute, die im Auftrag von anderen schrieben und selbst anonym blieben. Sie gehören zur Gesellschaft wie Bäcker, Lehrer und Pfarrer, aber trotzdem weiß man so gut wie nichts über sie. Wer für wen, aus welcher Motivation heraus ←32 | 33→was schreibt, ist genauso tabu wie eine Krankheit, von der niemand etwas erfahren soll. Wozu die Geheimnistuerei? Betrug, sagen die einen, Beruf wie jeder andere, sagen die anderen. Und keiner vermag zu erklären, was dahinter steckt.102

So kommentiert Ulrike Mielke schon 1995 in ihrer Untersuchung zur Bedeutung des Ghostwriters und verdeutlicht das Spannungsfeld, in dem sich der Ghostwriter bewegt.

In den meisten literaturwissenschaftlichen Diskussionen steht der Autor im Zentrum, wenn es um die Rezeption literarischer Texte geht.103 Dies soll anhand der stereotypen Pole zwischen Poststrukturalisten und Hermeneutikern deutlich werden. Als Urheber und Verfasser des Textes sind der Autor und seine Intention den hermeneutischen Intentionalisten zufolge ein unverzichtbares Element bei der Beurteilung des Geschriebenen. Im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussionen zur Autorintention verwies Nehamas schon seit 1981 als einer der wenigen auf die Relevanz der Verfasserintention.104 Da aber der Autor in der Holocaustliteratur öfter nicht mit dem Verfasser gleichzusetzen ist und an diese Stelle etwa ein Ghostwriter tritt, welchem jedoch in der wissenschaftlichen Debatte keine größere Aufmerksamkeit geschenkt wird, ergibt sich ein Dilemma. Dieses sollte in germanistischer, philosophischer, aber auch alltäglicher Hinsicht zu einem kritischeren Umgang mit dieser „Seitenfigur“ führen. Heide Volkening formuliert in der Einleitung ihres Buches „Am Rand der Autobiographie“ zum Thema Ghostwriting, dass die vermeintliche Randfigur keine Berücksichtigung finde,

deren Status als unwichtige Seitenfigur immer schon gesichert zu sein scheint, die aber die Problematik einer Gattungsdefinition deutlich vor Augen führen kann: der Ghostwriter. Wenn der Ghostwriter ins Blickfeld gerät, dann (nicht nur) um eine hochwertige, literarische Autobiographie von einer populären Form abzugrenzen, deren Subjekte prominente Sportler, Schauspieler oder Politiker sind und die in der Regel von Ghostwritern geschrieben werden.105

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Spätere Analysen im Kapitel zu „Ghostwriting und Autobiografien“ werden im Bereich der Populärautobiografie zwar zeigen, dass Martina Wagner-Egelhaaf zugestimmt werden kann, dass auf den ersten Blick Ghostwriter „literarisch anspruchslose“ und „in der Nähe des Enthüllungsjournalismus angesiedelte […] Darstellungen des Lebens von Personen aus dem Bereich der Medien- und Unterhaltungsbranche“106 verfassen. Allerdings ist es ein Trugschluss anzunehmen, dass Ghostwriter vornehmlich im Bereich der Populärautobiografien tätig sind. Es ist vielmehr so, dass Ghostwriter in diesem Gebiet heute häufiger ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten, da sie selbstverständlicher in Erscheinung treten dürfen und sollen. Bei Texten der Holocaustliteratur ist dies, wie zu zeigen sein wird, deutlich anders.

Als Fundament der vorliegenden Arbeit wird im Weiteren eine Definition des Konstrukts Autor vorangestellt, aus der sich die Darstellung und Rechtslage des Autors als Urheber und Schöpfer eines Textes ableitet. In einem weiteren Schritt wird vor dem Hintergrund des deutschen Urheberrechts auch der Co-Autor107 definiert und somit verdeutlicht, dass es eine Verbindung zwischen Rechtsanspruch und Verantwortung für einen Text geben muss. Die Thematisierung des Co-Autors ist für diese Arbeit unerlässlich, scheint er doch als Bindeglied und/oder artverwandte Form von Autoren und Ghostwritern aufzutreten. Aus dieser Beobachtung heraus soll der Co-Autor zunächst im Rahmen der juristischen und moralischen Urheberschaft von Autor definiert und diskutiert werden, um später vor dem Hintergrund der Positionsbestimmung des Ghostwriters im Gefüge zwischen Autor und Text als Abgrenzung zu dienen. Im Anschluss wird eine Definition von Ghostwriter vorgenommen, wobei die aktuellen Erscheinungsformen von Ghostwritern und die erneute Thematisierung des Co-Autors zeigen werden, dass die (noch) aktuelle Benennung des Ghostwriters nicht zwangsläufig mit seinen Handlungen und Erscheinungsformen konform geht, daher Benennung und Tätigkeit nicht zusammenpassen. Infolgedessen wird die literarische Autobiografieforschung vor neue Herausforderungen gestellt werden.108

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Nach Klärung der definitorischen Grundlagen wird ein kurzer Überblick über die historischen Modelle von Autorschaft und eine Skizzierung der jüngsten Theoriegeschichte von Autorschaft präsentiert, um zu zeigen, dass die Diskussion über die Relevanz und die Funktion des Autors zwischen Hermeneutikern und Poststrukturalisten wesentlich auseinanderläuft. Der Diskurs verdeutlicht zwei gegensätzliche Positionen, die sich jedoch einander in einigen Punkten annähern. Die Skizzierung dieser Entwicklung und der Positionen soll einerseits die Komplexität der Diskussion um Autorschaftstheorien im 21. Jahrhundert aufzeigen. Andererseits gilt es infolge der Beschäftigung mit Autoren und Ghostwritern von Autobiografien der Holocaustliteratur, zu demonstrieren, wieso der vorliegenden Arbeit eine hermeneutische Haltung zugrunde liegen muss, wenn der Umgang mit der Verantwortung von Autoren und Ghostwritern und ihrer damit einhergehenden Intention das Hauptinteresse der Arbeit ist. Im Anschluss widmet sich ein Unterkapitel dem Berufsfeld des Ghostwriters, das aus dem Vorangegangenen überhaupt erst hervorgeht, und zeichnet dessen Genealogie nach. Abschließend werden die aktuellen Tätigkeitsfelder von Ghostwritern vorgestellt, hier vor allem das Genre Autobiografie, um die Relevanz der Wirkungsweise des Ghostwriters in Verbindung mit Autorschaft zu verdeutlichen.

1.2.1. Autor, Co-Autor, Ghostwriter: Begriffsbestimmungen anhand des deutschen Urheberrechts

Laut Definition des „Metzler Literatur Lexikons“ ist der

Autor, m. [von lat. auctor = Urheber], neben dem Text und dem Leser eine der Grundinstanzen lit[erarischer] Kommunikation: der Verfasser eines Textes, der geistige Urheber eines (schriftlichen) Werks, im Unterschied zu Redaktor oder Editor, der nur das Werk eines anderen bearbeitet oder herausgibt.109

Diese kurze und enggefasste Definition des Begriffs begreift den Autor als Urheber und Verfasser, der mit seinem Werk eine kommunikative Situation zwischen Autor, Text und Leser evoziert. Der geistige Akt, aus dem das Verfassen des Textes als schöpferischer Prozess folgt, ist in unserem kulturellen Verständnis höher gestellt als die Bearbeitung oder Herausgabe eines Textes. Demzufolge wird dem Autor nicht nur per Begriffsdefinition [auctor = Urheber], sondern ←35 | 36→auch aus juristischer Perspektive eine Urheberschaft als Rechtssubjekt zugesprochen: Unter Urheberrecht ist „die Gesamtheit der Rechtsnormen, welche die materiellen und ideellen Interessen der Schöpfer von Geisteswerken schützen […]“, daher „das subjektive Recht des Urhebers an seinem Werk“,110 zu verstehen.

Details

Seiten
474
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631791073
ISBN (ePUB)
9783631791080
ISBN (MOBI)
9783631791097
ISBN (Hardcover)
9783631791066
DOI
10.3726/b15672
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
Ghostwriter Autor (literarische) Fälschung Denis G. Avey Autobiografie Holocaust
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 474 S., 18 s/w Abb.

Biographische Angaben

Sabrina Semmelroth (Autor:in)

Sabrina Semmelroth studierte Germanistik, Politik und Wirtschaft sowie Bildende Kunst an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Sie war als externe Mitarbeiterin der Arbeitsstelle Holocaustliteratur am Institut der Germanistik tätig, wo auch Ihre Promotion erfolgte. Sie arbeitet als Gymnasiallehrerin in Hamburg.

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