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Graphematische Untersuchungen zur ostdeutschen «Apostelgeschichte» aus dem 14. Jahrhundert

von Piotr A. Owsiński (Autor:in)
©2017 Monographie 184 Seiten

Zusammenfassung

Die Monographie präsentiert die Ergebnisse der graphematischen Analyse der deutschen Übersetzung der «Apostelgeschichte» aus dem 14. Jahrhundert. Der Autor analysiert die Ergebnisse insbesondere im Hinblick auf die Ostkolonisation. Die Studie korrespondiert mit den Forschungen zum Mittel- und Frühneuhochdeutschen und den Kanzleisprachen, in denen die mundartlichen Sprachmerkmale aus dem ostmitteldeutschen Dialektkreis mit der Koexistenz von nieder- und oberdeutschen Elementen schriftlich fixiert wurden. Der Autor untersucht die Sprachmerkmale der sächsischen Kanzlei in ihrer regionalen, für die Kanzlei des Deutschordensstaates charakteristischen Prägung.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autoren-/Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Zur Frage des Phonem-Graphem-Verhältnisses
  • 2.1 Zur Frage des (sprachlichen) Zeichens
  • 2.2 Rede vs. Schrift und geschriebene Sprache
  • 2.3 Phonem vs. Graphem
  • 3 Zur allgemeinen Charakteristik des Mittelhochdeutschen
  • 3.1 Zeitliche Zuordnung
  • 3.2 Phonetische Neuerungen des Mittelhochdeutschen
  • 4 Graphematische Analyse der deutschen Übersetzung der Apostelgeschichte von St. Lukas
  • 4.1 Monophthonge
  • 4.2 Diphthonge
  • 4.3 Kontraktion
  • 4.4 Konsonanten
  • 5 Nebensilbenvokalismus
  • 5.1 Vorsilben
  • 5.2 Nachsilben
  • 6 Resümee: Schreibgewohnheiten des Übersetzers der Apostelgeschichte von St. Lucas
  • 6.1 Vokalismus
  • 6.2 Konsonantismus
  • 6.3 Großschreibung und Abkürzungszeichen
  • 6.4 Multidialektaler Wortschatz mit seinen lautlichen Merkmalen
  • Literatur
  • Reihenübersicht

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1 Einleitung

Die Bibel ist nicht antik, auch nicht modern. Sie ist ewig.1

Martin Luther

Die oben angeführten Worte des weltbekannten Mönches, der sein ganzes Leben lang nach der Gnade Gottes suchte und die Reform der Kirche Gottes auf Erden erstrebte, zeigen zweifellos sein tiefes Vertrauen zu Gott und zu Seinem den einfachen Menschen in der Bibel offenbarten Willen, sowie seine feste Überzeugung, dass die Heilige Schrift die Hauptrichtlinie des menschlichen Lebens sein sollte. Man kann also spüren, dass der berühmteste, deutsche Augustiner-Eremit den unbestrittenen und überzeitlichen Charakter dieses zum Weltliteraturkanon gehörenden Werkes betont und an ihn glaubt.

Für uns ist dieses Werk in anderer Hinsicht von großer Bedeutung. Nun wollen wir uns mit der Technik der Übertragung des Wortes Gottes ins Deutsche beschäftigen, um zu begreifen, welches Ziel sich ein Übersetzer bei seiner Übersetzungsarbeit setzte. An den Früchten seiner Arbeit lässt sich weiter die Sprache der Bevölkerung zu einem bestimmten Zeitpunkt untersuchen. In diesem Fall interessiert uns das 14. Jh., als sich die mittelhochdeutsche Epoche allmählich in das Frühneuhochdeutsche zu verwandeln begann. Damals maßen die mittelalterlichen Schreiber der Schreibung noch keine Bedeutung bei, was zur Folge hatte, dass die Schreibweise eines jeweiligen Textes schwankt. Sie strebten lediglich nach einer Wiederspiegelung des Gesprochenen mithilfe des Geschriebenen oder nach der Übertragung bestimmter Inhalte aus einer Sprache in eine andere. Eben an dieser Stelle beginnt schon die Aufgabe für einen Sprachwissenschaftler, der mit seiner Untersuchung zu ermitteln versuchen kann, welche Form die Sprache in der Vergangenheit hatte.

Die Druckausgabe der deutschen Übersetzung der ST. LUKAS zugeschriebenen Apostelgeschichte verdanken wir WALTER ZIESEMER (1882–1951) – dem deutschen Germanisten, der an der Albertus-Universität in Königsberg tätig war. Seine wissenschaftlichen Interessen kreisten um die Literatur der Ordenszeit und überhaupt um die mit Ostpreußen und mit dem Deutschen Orden zusammenhängenden Fragen, was die Titel seiner Publikationen zeigen. Für sein Hauptwerk könnte man jedoch sein Preußisches Wörterbuch (1935) halten. ← 9 | 10 →

Die Gründe der Veröffentlichung der Apostelgeschichte gibt er selbst in der Einleitung zur Ausgabe an, wobei er darauf hinweist, dass ihm die Druckausgabe des Dokuments umso wichtiger zu sein scheint, als sie den Studenten Nutzen bringend sei und ihnen die Möglichkeit gebe, sich mit den vor- und nachlutherischen Bibelübersetzungen bekannt zu machen. Als den zweiten Grund der Publizierung dieses Translats nennt er die Tatsache, dass die Übertragung eben im ostdeutschen Dialekt verfasst worden sei, was zu den Schlüssen über die Beteiligung dieses Dialekts an der Ausformung der neuhochdeutschen Schriftsprache auf kolonialer Basis berechtige. Dabei bemerkt er, dass die Ritter des Deutschen Ordens vorsätzlich auf den niederdeutschen Dialekt zugunsten des der schlesischen und obersächsischen Sprache ähnelnden Mitteldeutschen verzichteten, das als Amts- und Geschäftssprache fungierte. Die Ordensdichtung, zu der auch die Bibeldichtung gehört, war ebenso auf dieselbe Weise gestaltet (vgl. ZIESEMER 1927: 1f.). Außer Zweifel bleibt aber, dass die deutsche Übersetzung unserer Apostelgeschichte als Bibeldichtung anzusehen ist.

Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass die biblischen Geschichten, von welchen hier die Rede ist, für einheimische Neophyten zur geistigen Stärkung verfasst oder aus Deutschland mitgenommen wurden. Wenn wir aber an dieses Problem auf diese Weise herangehen würden, ließen wir uns leider aufs Glatteis führen, weil die Ordensdichtungen solcher Art lediglich zur innerlichen Anwendung geschrieben wurden. Die Wünsche von Neugetauften wurden also geringgeschätzt.

Was den Text der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Übersetzung anbelangt, so stammt sie aus dem 14. Jh. und ist höchstwahrscheinlich eine etwas frühere, mit einer Hand geschriebene Abschrift der originellen Übertragung, die ebenfalls aus dem 14. Jh. kommt (vgl. ZIESEMER 1927: 21). Obwohl das mit dem Symbol A 191 markierte Dokument noch zu Beginn des 20. Jh. im Staatsarchiv Königsberg aufbewahrt wurde, bleibt sein derzeitiges Schicksal unbekannt. ← 10 | 11 →

Die von uns in Betracht gezogene Apostelgeschichte entstand auf den dem Deutschen Orden gehörenden Gebieten. Der genaue Entstehungsort lässt sich aber nicht ganz sicher bestimmen: man vermutet, dass zwei Ordensburgen in Frage kommen: Königsberg, wo der Ordensmarschall seinen Sitz hatte, oder Marienburg, wo der Hochmeister amtierte.

Des Weiteren lässt sich nicht verkennen, dass die Übersetzung auf dem kolonialen Gebiet entstand und dem ostmitteldeutschen Sprachkreis angehört. Diese Besonderheit macht uns möglich, die Übertragung unserer Apostelgeschichte mit der Übersetzung Luthers in sprachlicher Hinsicht zu vergleichen. Solche Ähnlichkeiten erkennt man an der gleichsamen Wortwahl, Wortstellung und dem ähnlichen Satzbau.


1 Das Zitat entnommen aus: http://www.jesus-web.de/studien/grund/bibel/bibel03.htm (5.05.2017).

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2 Zur Frage des Phonem-Graphem-Verhältnisses

In principio erat Verbum, et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum. Hoc erat in principio apud Deum. Omnia per ipsum facta sunt, et sine ipso factum est nihil, quod factum est.2

(Johannes 1,1–3)

Man könnte feststellen, dass das oben angeführte, biblische Zitat aus dem Evangelium nach JOHANNES ein Element aus dem Bereich der Sprachwissenschaft beinhaltet und somit ein linguistisches Problem anbelangt. Es handelt sich selbstverständlich um das lateinische Verbum, das ins Deutsche als Wort übersetzt wird (s. Fußnote). Im Allgemeinen lässt sich das Wort als eine selbstständige, sprachliche Einheit definieren, die eine gesprochene oder geschriebene Form annehmen kann.

2.1 Zur Frage des (sprachlichen) Zeichens

Unsere theoretischen Erwägungen müssen also ihren Ausgangspunkt in der Feststellung haben, die uns eine allgemeine Definition der Sprache ermöglichen würde. Wohl die einfachste und am meisten angetroffene Definition der Sprache besagt, dass sie ein System von Zeichen ist (vgl. DE SAUSSURE 1991: 51). Eine der Definitionen der Sprache schuf der englische Anthropologe – SIR EDWARD BURNETT TYLOR (1832–1917), der in seiner Arbeit Anthropology: an introduction to the study of man and civilization folgendes behauptet:

Die Sprache ist einer der Äste einer großen Kunst der Bildung oder Zuordnung von Zeichen, und ihre Aufgabe beruht auf der Zuordnung von Lauten als entsprechenden Zeichen, d.h. Symbolen für jeden Gedanken. So viel dieser Laut schon ausgewählt wurde, hatte diese Wahl zweifelsohne ihre Ursache. (TYLOR 2012: 118; übersetzt von P.O.)

Details

Seiten
184
Jahr
2017
ISBN (PDF)
9783631728666
ISBN (ePUB)
9783631728673
ISBN (MOBI)
9783631728680
ISBN (Hardcover)
9783631728659
DOI
10.3726/b11438
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2017 (September)
Schlagworte
Sprachgeschichte Aposteltaten Ostsiedlung Graphematik Mittel- und Osteuropa Mittel-/Frühneuhochdeutsch
Erschienen
Frankfurt am Main, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2017. 184 S.

Biographische Angaben

Piotr A. Owsiński (Autor:in)

Piotr A. Owsiński hat an der Jagiellonen-Universität in Kraków promoviert und arbeitet dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Germanistik. Seine Forschungsgebiete umfassen unter anderem die Geschichte der deutschen Sprache, historische Grammatik des Deutschen, Graphematik von mhd. und fnhd. Texten, Lehnwortforschung, Übersetzung und Sprachbild der Welt.

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