Lade Inhalt...

Geschichte ordnen – L’Histoire mise en ordre

Interdisziplinäre Fallstudien zum Begriff «Generation» – Études de cas interdisciplinaires sur la notion de « génération »

von Catherine Mazellier-Lajarrige (Band-Herausgeber:in) Ina Ulrike Paul (Band-Herausgeber:in) Christina Stange-Fayos (Band-Herausgeber:in)
©2019 Sammelband 358 Seiten

Zusammenfassung

«Generation» ist in Frankreich und Deutschland ein inflationär gebrauchter Alltagsbegriff. Als Modewort lenken «génération Macron» oder «Generation beziehungsunfähig» Aufmerksamkeit auf scheinbar bedeutsame gesellschaftliche Gruppierungen oder Phänomene. Der wissenschaftlich präzisierte Kollektivbegriff «Generation» dieses Bandes wird auf politisch-gesellschaftliche Bewegungen und Institutionen, auf stilbildende Zeitschriften und künstlerische Strömungen und nicht weniger auf deren prägende Einzelpersönlichkeiten und ihre Netzwerke angewandt.
« Génération » est aujourd’hui un terme largement galvaudé en Allemagne comme en France. Des expressions à la mode comme « génération Macron » ou « génération Tanguy » focalisent l’attention sur des groupes ou des phénomènes sociétaux qui semblent dignes d’intérêt. Dans ce volume, cette notion générique est précisée dans son acception scientifique pour analyser des phénomènes et institutions socio-politiques, ainsi que des mouvements ou tendances artistiques à travers quelques-uns de leurs personnalités marquantes et leurs réseaux.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Vorwort
  • Avant-propos
  • Theoretisch-methodische Einführung: Introduction théorique et méthodologique
  • Transgénérationnel. De l’appropriation et de la transmission de passés inacceptables (Ulrike Jureit)
  • I. Politische Sozialisation und Generationalität: I. Socialisation politique et transmission entre les générations
  • 1789, 1830, 1933 – Trois générations de l’exil allemand en France : répétition, héritage et transmission (Lucien Calvié)
  • Deux générations völkisch (Uwe Puschner)
  • Generation und Familie. Intergenerationale Prozesse bei den Abgeordneten des Preußischen Landtags (1919-1933) (Barbara von Hindenburg)
  • II. Jung gegen Alt? Generation als Selbstthematisierungsformel der Politik: II. Jeunes contre vieux ? La notion de génération comme formule d’autothématisation en politique
  • „Die zionistische Situation im Wandel der Generationen“. Strategien der Selbstgenerationalisierung im deutschen Zionismus (Lisa Sophie Gebhard)
  • La mission de la « jeune génération » après 1918 chez Richard: Nikolaus Coudenhove-Kalergi et Karl Anton Rohan (Ina Ulrike Paul)
  • Zwischen Traditionsstiftung und radikalem Neuanfang. Zur Konstruktion eines „feministischen Erbes“ in den Frauenbewegungen (Anne Kwaschik u. Christina Stange-Fayos)
  • III. Kulturelles Erbe – Weitergabe und Erhalt: III. Transmettre et conserver un héritage culturel
  • Exhumer, rassembler et publier les lettres des Lumières autour de 1800. Les enjeux générationnels d’un héritage culturel (Sylvie Le Moël)
  • Génération-s Dessau : quelles influences de la pédagogie nouvelle (Reformpädagogik) des philanthropistes allemands sur le parcours des élèves ? (Alexa Craïs)
  • Intergenerationelle Strukturen bei Adalbert Stifter (Sarah Bachl)
  • Vererbte Kunst. Der Bildhauer und Maler Helmut Ammann (1907-2001) und sein Nachlass (Erich Kasberger u. Marita Krauss)
  • Die „Tagebuch-Generation[en]“ und das Vermächtnis des Wiener Tagebuch als Generationsobjekt (Marie-Christin Bugelnig)
  • IV. Identitätsstiftende Vorbilder: IV. Modèles et construction identitaire
  • Max Reinhardt, Bertolt Brecht : une filiation impossible ? (Marielle Silhouette)
  • Gide, Klaus Mann und Döblin: Homosexualität in der Literatur – transgenerationelle Aspekte (Alfred Prédhumeau)
  • Martin Heidegger und sein Gebrauch von Nietzsche: persönliches Vorbild, philosophische Leitfigur und Gegner (Thomas Rohkrämer)
  • Wilhelm Lehmann und Günter Eich: Vom Epigonentum zur gegenseitigen Ungültigkeitserklärung (Sandie Attia)
  • V. Verweigertes Erbe und Generationssprünge: V. Héritage refusé et sauts générationnels
  • Les troubles de la transmission intergénérationnelle chez Kafka (Florence Bancaud)
  • „Ein Nazi-Kind und nichts weiter ”? Aussagen von Exilanten und Remigranten über die im „Dritten Reich“ sozialisierte Jugend (Andrea Bunzel)
  • Le lien intergénérationnel et les mécanismes de la (non)transmission du passé nazi dans quelques « Vaterbücher » des années 2000 (Emmanuelle Aurenche-Beau)
  • Das Erbe der „68er-Generation“ in der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik am Beispiel von Rebekka Kricheldorf, Ulrike Syha und Darja Stocker (Catherine Mazellier-Lajarrige)
  • Synthese und Perspektiven: Synthèse et perspectives
  • Liens « (trans-)générationnels » avec Karl Mannheim – pour traverser les « tempêtes » de la contemporanéité – un essai en guise de conclusion (Françoise Lartillot)
  • Bibliographie
  • Verzeichnis der Autorinnen und Autoren: Présentation des contributrices et contributeurs
  • Index
  • Reihenübersicht

Vorwort

„Was du ererbt von deinen Vätern
erwirb es, um es zu besitzen
Was man nicht nützt,
ist eine schwere Last“

GOETHE: Faust I1

Goethes Doktor Faust steht in der Osternacht in seiner mit Büchern und Laborgerät angefüllten Studierstube. Nach einem dramatisch gescheiterten alchemistischen Experiment hält er sich selbst und sein ganzes Leben für gescheitert. Wohin sein Auge auch fällt, überall erblickt er nur „alt Gerät“ der Vorfahren, das er pietätvoll aufbewahrt, ohne seiner zu bedürfen. Ein Erbe müsse man sich tätig aneignen, also sinnvoll gebrauchen, solle es nicht zur schweren Lebenslast werden, resümiert Faust. Ihn drückt die Verpflichtung der Erbschaft nieder, in die er ungefragt als Bewahrer eingesetzt wurde, ohne sich der materiellen ‚Botschaft‘ der Erblasser entziehen zu können. Nun scheint es ihm, als hätte er den rechten Zeitpunkt verpasst, um sich davon zu befreien. Lebensmüde greift er zu einem – ebenfalls ererbten – Giftfläschchen, als ihn das einsetzende Ostergeläut mit neuer Zukunftshoffnung erfüllt; er legt die Phiole aus der Hand.

Aus den wenigen zitierten Goethe-Versen lassen sich Schlüsselbegriffe extrapolieren, die die reichhaltige Forschungsliteratur zu Erbe, Erbschaft und Vererbung, von Generation, Generativität und (Trans-)Generationalität bereithält.2 Die Übertragung von ideellem und materiellem Erbe, die aktive Übereignung oder die passive Überlieferung durch Erblasserinnen und Erblasser vorangegangener Generationen an die ‚Jüngeren‘ beschäftigten aus unterschiedlichen Blickwinkeln deshalb auch die aus den Sprach-, Geschichts-, Kultur- und Theaterwissenschaften stammenden Vortragenden, die sich im November 2016 zu der deutsch-französischen Tagung „Intergenerationelle Bindungen, Mechanismen der Weitergabe und Übertragung / Le lien intergénérationnel et les mécanismes de la transmission“ an der Universität Toulouse 2 Jean Jaurès versammelt hatten. Damit wurden sowohl die Fruchtbarkeit des transdisziplinären Dialogs als auch die Dynamisierung herkömmlicher Forschungsfelder durch den generationellen Ansatz ins Licht gerückt. Die Anwesenden vergegenwärtigten sich zunächst den Terminus „Generation“ als Alltagsbegriff, der derzeit grenzüberschreitend in inflationärem Gebrauch steht: In Frankreich schreibt und spricht man von der „génération Macron“, der „génération impatience“ oder der „génération z“, in Deutschland beherrscht die „Generation zero“, die „Generation beziehungsunfähig“ oder die „Generation Snowflake“ die öffentliche Debatte.3 Das Modewort „Generation“ hat dabei die Aufgabe, die öffentliche Aufmerksamkeit auf wechselnde gesellschaftliche Gruppen und Phänomene zu lenken. Im soziokulturellen Verständnis jedoch umfasst „Generation“ die erfahrungsgeschichtliche Gemeinschaft von Menschen einer Gesellschaft, wobei der Begriff der „Generation“ heute neben „Klasse“, „Schicht“ oder „Geschlecht“ zu jenen systematisierenden Kollektivbegriffen zählt, mit deren Hilfe historischer Wandel analysiert und erklärt werden kann. Manchmal wird „Generation“ in demographischen oder historischen Studien als „Altersklasse“ oder “Geburtskohorte“ verwendet; er läuft dabei Gefahr, andere Differenzierungsmerkmale (sozialer, geographischer oder kultureller Natur) auszuschließen.4 Als Mittel soziologischer Strukturierung und historischer Periodisierung, dessen Gebrauch sich dann auf Kultur- und Literaturgeschichte ausdehnt, lässt der Generationsbegriff verstehen, wie sich soziale Bewegungen oder Meinungsgruppen strukturieren. Man tut also besser daran, den Gebrauch des Begriffs einzugrenzen, als einfach auf dieses heuristische Werkzeug zu verzichten, wie es der Gründer der Annales-Schule, Lucien Febvre, 1928 vorgeschlagen hatte.

Vor diesem Hintergrund stand die erste Sequenz der Tagung unter dem Vorzeichen einer methodischen Exploration des wissenschaftlich fundierten Begriffs „Generation“, wie ihn der Soziologe Karl Mannheim in seinem klassischen und bis heute einflussreichen Aufsatz „Das Problem der Generationen“ (1928) mit der dreifachen Staffelung von Generationslagerung, Generationszusammenhang und Generationseinheit im Hinblick auf einen Erklärungsansatz seiner Gegenwart ausgeführt hatte.5 Diese Definitionen, insbesondere diejenige der „Generationsein- heit(en)“ – d. h. von Gruppen, die sich prägende historische Erfahrungen unterschiedlich aneignen, obwohl sie derselben generationellen Einheit angehören – bleiben weiterhin wissenschaftlich ertragreich und zeugen selbst wieder von der ← 11 | 12 „Notwendigkeit der fortwährenden Weitergabe des kulturellen Erbes“ und dessen Modalitäten. 6

Heute gilt Mannheims „zwischen Kultur und Natur vermittelnder“, allerdings auch zeitgebundener Ansatz als eines der klassischen Ordnungskonzepte der Geschichtswissenschaften, wie die Hamburger Historikerin Ulrike Jureit auch in ihrem die weitere Diskussion der Konferenz prägenden Einleitungsvortrag betonte und an anderer Stelle ausführte: „Generation“ diene „weiterhin als Instrumentarium, um vor allem eines zu tun: Geschichte zu ordnen“.7 Der „zeitheimatliche“ Generationenansatz lässt es zu, Menschen in Krieg und Frieden, in Revolutionen und Systemwechseln, als Erlebens- und Erfahrungsgemeinschaften zu erfassen und die Heterogenität und die Dynamik politischer wie gesellschaftlicher Strömungen an kollektive Handlungsträger zu binden.

Aus diesem Grund leitet ein Beitrag von Ulrike Jureit den Band ein, der den operativen Charakter des Generationsbegriffs aufzeigt. Dieser Generationsbegriff ist weniger eine essentialistisch konstruierte Kategorie im Dienst einer Periodisierung, die Kausalzusammenhänge in das bloße Neben- oder Nacheinander von Alterskohorten einführt, denn Ausdruck einer Selbstthematisierung, eines auf symbolischen Objekten und Erinnerungsgemeinschaften aufgebauten Identitätskonstrukts.

Gerade in den letzten beiden Jahrzehnten über die Fachgrenzen hinweg vielfach überarbeitet und Gegenstand sowohl groß angelegter Forschungsprojekte als auch vertiefender Fallstudien, wurde Mannheims Erläuterung des sozialen Phänomens „Generation“ terminologisch präzisiert und im Hinblick auf die zeittypische Blindheit der Theorie für Frauen oder für die Einbeziehung anderer gesellschaftlicher Schichten über die bürgerlichen Eliten hinaus überarbeitetet.8 Den Bogen zwi ← 12 | 13 schen „Generation(en)“ und „Erbe“ als Übertragung von einer Generation an die nächste schlug das transdisziplinäre Forschungsprojekt „Erbe, Erbschaft, Vererbung. Überlieferungskonzepte zwischen Natur und Kultur im historischen Wandel“, dessen wegweisende Ergebnisse Stefan Willer, Sigrid Weigel und Bernhard Jussen in dem Band Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur vorlegten.9 Davon ausgehend, aber auf die Geistes-, Sprach-, Geschichts- und Kulturwissenschaften fokussiert, wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Konferenz gebeten, im Rahmen ihrer Themen nach den Mechanismen und Medien der Weitergabe des jeweiligen geistigen, künstlerischen oder politischen „Erbes“ ebenso zu fragen, wie nach Verbindungen oder Abgrenzungen in und zwischen den Generationen. In den Konferenzvorträgen wie in den Beiträgen zu diesem Sammelband wurde der Terminus „Generation“ auf politisch-gesellschaftliche Bewegungen und Institutionen, stilbildende Zeitschriften oder künstlerische Strömungen angewandt; er wurde zugleich aber auch auf prägende Einzelpersönlichkeiten gemünzt wie auf die Aktivistinnen der Frauenbewegung, auf Philosophen und Theaterdichterinnen, Schriftsteller, Künstler und ihre Umgebungen oder Netzwerke. Somit verdeutlichen die vorliegenden Fallstudien die Relevanz des generationellen Ansatzes, ging es ja zudem um die intergenerationellen Bindungen bei der Übertragung materiellen oder immateriellen Erbes, des Vererbens und Erbens dieser Güter, die u.v.a. in Schriftform, als Darstellungspraxis oder in Nachlässen vorliegen können, im familiären und öffentlichen, politisch-gesellschaftlichen, kulturellen und künstlerischen Bereich. Dabei fanden auch die den Nachfahren unbeabsichtigt auferlegten oder bewusst übertragenen Verpflichtungen und die heimlichen oder offenen Botschaften aus den älteren Generationen an die jüngere(n) Berücksichtigung.

Um auf vergleichbare Weise die (inter-)generationellen Bindungen und die Mechanismen der Transmission im deutschsprachigen Raum untersuchen zu können, wurde den Beiträgerinnen und Beiträgern ein Frageraster an die Hand gegeben. Wann und woran lassen sich Generationswechsel feststellen? Wie verlief die so genannte „Stabübergabe“, wie war die „Nachfolge“ organisiert? Was hat es mit den transgenerationellen Übertragungen auf sich, bei denen kollektive Erinnerungen oder ungelöste Konflikte an die nächste Generation weitergegeben werden?

Der Ansatz umfasst die von der Psychoanalyse untersuchten „transgenerationellen“ Phänomene – im Sinn der Übertragung unbewusster Determinierung(en) auf mehr als zwei aufeinanderfolgende Generationen, insbesondere durch Traumata – die in den Beiträgen von Andrea Bunzel und Florence Bancaud angesprochen werden. ← 13 | 14

Im ersten Teil des Bandes geht es um die politische Sozialisierung und die intergenerationelle Weitergabe politischer und/oder konfessioneller Zugehörigkeit(en): so etwa in dem Aufsatz von Lucien Calvié über drei Generationen des deutschen Exils in Frankreich (1789, 1830, 1933), demjenigen von Uwe Puschner mit der Thematik „Zwei Generationen völkisch“ und dem von Barbara von Hindenburg über die Abgeordneten des Preußischen Landtags (1919-1933), in den erstmals weibliche Abgeordnete einzogen.

Eine „junge“ bzw. „jüngere“ Generation nimmt in der Regel Stellung, indem sie sich vom Alten, Vorangegangenen abgrenzt – manchmal über den Mythos des radikalen Neuanfangs, der unterschwellige Kontinuitäten verdeckt. Dies zeigen die Beiträge, die im zweiten Teil enthalten sind: Lisa Sophie Gebhard untersucht hier Strategien der Selbstgenerationalisierung im deutschen Zionismus, Ina Ulrike Paul die Mission der „jungen Generation“ in europäischen Bewegungen nach 1918 bei Richard Nikolaus Graf Coudenhove-Kalergi und Karl Anton Prinz Rohan. Anne Kwaschik und Christina Stange-Fayos fragen danach, wie die Frauenbewegungen der ersten und zweiten Generation ein „feministisches Erbe“ konstruierten.

Im dritten Teil geht es darum auszuloten, was generationell bei der Übergabe eines kulturellen Erbes im Rahmen eines Briefwechsels oder der Verwaltung eines Nachlasses auf dem Spiel steht; ein dynamischer Prozess, der dem Schaffen eines (Selbst-)Bildnisses gleichkommt. Dieser Teil beginnt mit dem Aufsatz von Sylvie Le Moël über die Korrespondenz von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, der seinen Großneffen Wilhelm Körte testamentarisch bestellt hatte, seinen Briefwechsel als Erbe seines Humanitätsideals zu edieren. Die Polemik über Körtes editorische Strategien erschütterte den generationellen Konsens der Aufklärung. Alexa Craïs variiert diese Form der Übertragung anhand der Reformpädagogik der deutschen Philantropisten und verfolgt deren Einfluss auf ihre Schüler. Sarah Bachl untersucht intergenerationelle Strukturen bei Adalbert Stifter (1805-1868), dessen Nachlass heute Teil des mitteleuropäischen Kulturguts geworden ist. Die Nachlassverwalter des Bildhauers, Malers und Grafikers Helmut Ammann (1907-2001), Marita Krauss und Erich Kasberger, zeigen, dass die Faszination der Kunst über die Generation hinweg zu einem Projekt für die Zukunft wird, das intergenerationelle Solidarität einfordert. Schließlich erforscht Marie-Christin Bugelnig das Wiener Tagebuch, eine aus dem KPÖ-Organ Tagebuch hervorgegangene, später eurokommunistische Kulturzeitschrift, die das (Überlebens-)Projekt einer Generation von Ex-Kommunisten darstellte.

Da sie identitätsschaffend wirken, brauchen generationelle Fragestellungen oft eine Konfrontation mit Vorbildern, wie es die im vierten Teil versammelten Beiträge veranschaulichen: so fragt sich zunächst Marielle Silhouette, inwiefern Berthold Brecht als ein Nachfolger Max Reinhardts betrachtet werden kann; Alfred Prédhumeau untersucht transgenerationelle Aspekte von Homosexualität in der ← 14 | 15 → Literatur; Thomas Rohkrämer analysiert, was das „Modell Nietzsche“ für Heidegger bedeutete und Sandie Attia widmet sich den komplexen Beziehungen zwischen den Dichtern Günter Eich (1907-1972) und Wilhelm Lehmann (1882-1968).

Manchmal erweisen sich Weitergabe und Übertragung als problematisch, ja gar unmöglich, wie es im fünften und letzten Teil erscheint, d.h. in den Aufsätzen von Florence Bancaud über Kafka und das Judentum, Andrea Bunzel über die im „Dritten Reich“ sozialisierte Jugend und Emmanuelle Aurenche über die Mechanismen der (verhinderten) intergenerationellen Weitergabe des NS-Gedächtnisses in den Vaterbüchern. Doch findet die Übertragung andere Wege, überspringt manches Mal eine Generation, um mit der vorletzten anzuknüpfen und die Fäden wieder aufzunehmen, wie es der Beitrag von Catherine Mazellier-Lajarrige über das Erbe der „68er Generation“ in der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik zeigt.

Wir wollen schließen mit einem herzlichen Dank nicht nur an unsere französisch- und deutschsprachigen Autorinnen und Autoren, mit denen gemeinsam wir an der Entstehung dieses Bandes arbeiteten, sondern auch an die Institutionen, ohne deren großzügige Unterstützung weder die Konferenz noch das Buch hätten entstehen können: so danken wir der Deutsch-Französischen Hochschule / Université franco-allemande Saarbrücken, dem Centre de Recherches et d’Études Germaniques (CREG), insbesondere ihrem Leiter Jacques Lajarrige, den Universitäten Toulouse – Jean Jaurès und Paul-Valéry-Montpellier, der Freien Universität Berlin und schließlich der Universität der Bundeswehr München. Für die zeitaufwändige Erstellung des druckfertigen Manuskriptes danken wir herzlich Herrn Stefan Noack M.A. (Freie Universität Berlin). Auch Frau Eve Ollier sei gedankt für die englischen Übersetzungen vieler Zusammenfassungen und nicht weniger dem Maler Milan Markovich, der so liebenswürdig war, uns sein heute in Privatbesitz befindliches Gemälde Jeune miracle als Titelbild zur Verfügung zu stellen.

Catherine Mazellier-Lajarrige, Ina Ulrike Paul u. Christina Stange-Fayos

Berlin, München u. Toulouse im Januar 2019 ← 15 | 16 →


1       Johann Wolfgang VON GOETHE: Faust I, Verse 682-684.

2       Vgl. die Auswahlbibliographie am Ende des vorliegenden Bandes.

3       „Generation zero“ bezeichnet das gleichnamige und offensichtlich beliebte Egoshooter-Videospiel und zugleich die jungen Leute, die sich seit der Gamescom 2018 mit diesem im Schweden der 1980er Jahre angesiedelten Spiel beschäftigen. „Generation beziehungsunfähig“ kennzeichnet eine angeblich zu dauerhafter Bindung unfähige Generation, eine Art „génération Tanguy“. „Generation Snowflake“ schließlich lautet die in den USA gängige Bezeichnung für die um 1980 Geborenen, die als emotional und psychisch leicht angreifbar und wenig resilient charakterisiert werden.

4       Siehe in Bezug auf diese Risiken die Synthese von Françoise Lartillot am Ende des vorliegenden Bandes.

5       Karl MANNHEIM: Das Problem der Generationen, in: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 7 (1928), S. 157-185, 309-330.

6       Ebd, S. 86-87, S. 79 f.

7       Ulrike JUREIT: Generation, Generationalität, Generationenforschung. Version 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 03.08.2017, http://docupedia.de/zg/Jureit_generation_v2_de_2017, Zugriff: 11.11.2018, S. 6, 9.

8       Ulrike JUREIT: Generationenforschung, in: Frank BÖSCH u. Jürgen DANYEL (Hrsg.): Zeitgeschichte – Konzepte und Methoden, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2012, S. 352-369; DIES.: Generationen-Gedächtnis. Überlegungen zu einem Konzept kommunikativer Vergemeinschaftungen, in: Lu SEEGERS u. Jürgen REULECKE (Hrsg.): Die Generation der Kriegskinder. Historische Hintergründe und Deutungen, Gießen (Psychosozial) 2009, S. 125-137; Beate FIETZE: Historische Generationen. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität, Bielefeld (Transcript) 2009; Ohad PARNES, Ulrike VEDDER u. Stefan Willer: Das Konzept der Generation. Eine Wissenschafts- und Kulturgeschichte, Frankfurt a.M. 2008; Christina BENNINGHAUS: Das Geschlecht der Generation. Zum Zusammenhang von Generationalität und Männlichkeit um 1930, in: Ulrike JUREIT u. Michael WILDT (Hrsg.): Generationen. Zur Relevanz eines geschichtlichen Grundbegriffs, Hamburg (Hamburger Edition HIS) 2005, S. 127-156; Jürgen REULECKE (Hrsg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München (Oldenbourg) 2003, S. 59-71.

9       Stefan WILLER, Sigrid WEIGEL u. Bernhard JUSSEN (Hrsg.): Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur, Berlin (Suhrkamp) 2013.

Avant-propos

« Ce que tu as hérité de tes pères,
Acquiers-le afin de le posséder.
Ce qu’on n’utilise pas est un fardeau pesant »

GOETHE : Faust I1

Dans la nuit de Pâques, le Faust de Goethe se tient dans son cabinet de travail, entouré de livres, de fioles et d’alambics. Après l’échec dramatique d’une expérience d’alchimie, il tient sa personne et sa vie tout entière pour un lamentable fiasco. Tout autour de lui, il ne voit que « vieil attirail » hérité des générations précédentes, et qu’il conserve pieusement sans en avoir besoin. Pour faire sien un héritage, il faudrait agir, c’est-à-dire en faire usage à bon escient, si l’on ne veut pas qu’il devienne un fardeau dans notre vie, résume Faust. Accablé par cet héritage dont on l’a obligé à être le conservateur sans lui demander son avis, il ne peut se soustraire à ce ‘message’ matériel confié par les testateurs. À présent, il lui semble avoir manqué le bon moment pour s’en libérer. Désespéré, il saisit un flacon de poison – dont il a également hérité –, lorsque les cloches de Pâques se mettent à carillonner, l’emplissant d’une nouvelle espérance. Il repose la fiole.

À partir des quelques vers de Goethe placés en exergue, il est possible d’extrapoler des notions-clés que propose l’abondante littérature scientifique consacrée aux phénomènes de legs, d’héritage et de transmission, de génération, de générativité et de (trans-)générationnel.2

La transmission d’héritage matériels ou immatériels aux plus ‘jeunes’ par les générations précédentes, qu’elle soit un acte volontaire ou bien la perpétuation passive d’une tradition, a été au centre des préoccupations des chercheuses et chercheurs réunis à l’Université Toulouse – Jean Jaurès, en novembre 2016, pour le colloque franco-allemand « Intergenerationelle Bindungen, Mechanismen der Weitergabe und Übertragung / Le lien intergénérationnel et les mécanismes de la transmission ».3 Les contributions, issues de disciplines diverses – Études germaniques, histoire, Études culturelles et théâtrales –, ont pu éclairer ces notions de différents points de vue, soulignant le caractère fécond du dialogue pluri-, voire transdiscipli ← 16 | 17 naire, mais aussi la dynamisation des champs disciplinaires traditionnels par l’approche générationnelle.

Dans un premier temps, il s’est agi de définir la notion de « génération », présente de manière exponentielle dans le langage courant, à travers des expressions comme « génération Macron », « génération impatience », « génération z » en France, ou bien « Generation zero », « Generation beziehungsunfähig » ou « Generation Snow »4 en Allemagne. Le terme, très en vogue, est utilisé pour attirer l’attention sur des groupes et des phénomènes sociaux dans un très large spectre.

Dans son acception sociologique, toutefois, une génération est une communauté de personnes partageant, au sein d’une société, un même horizon d’expérience, cette notion étant utilisée aujourd’hui à côté de celles de « classe », « champ » ou « lignée » pour analyser et expliquer les transformations historiques. Dans certains cas, elle est employée comme synonyme de « classe d’âge » ou de « cohorte de naissance » dans des études démographiques ou historiques, avec le risque de méconnaître d’autres facteurs de différenciation – distinctions sociales, géographiques ou culturelles – et d’essentialiser le modèle.5

Outil de structuration sociologique et – a minima – de périodisation historique, dont l’usage s’est étendu par la suite à l’histoire culturelle et à l’histoire littéraire, la notion de génération permet de comprendre comment se forment des mouvements sociaux ou des mouvements d’idées. Plutôt que d’abandonner cette notion comme outil heuristique, comme le prônait l’historien Lucien Febvre – fondateur de l’école des Annales – en 1928, mieux vaut donc en circonscrire l’usage.

Details

Seiten
358
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631798621
ISBN (ePUB)
9783631798638
ISBN (MOBI)
9783631798645
ISBN (Hardcover)
9783631796559
DOI
10.3726/b16010
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
Generation, Generativität und (Trans-)Generationalität Erbe, Erbschaft und Vererbung Transmission = Weitergabe, Übertragung Karl Mannheim Identitätsstiftung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019., 345 S., 1 s/w Abb., 1 Graf.

Biographische Angaben

Catherine Mazellier-Lajarrige (Band-Herausgeber:in) Ina Ulrike Paul (Band-Herausgeber:in) Christina Stange-Fayos (Band-Herausgeber:in)

Catherine Mazellier-Lajarrige ist Maître de Conférences für Germanistik an der Universität Toulouse Jean Jaurès und Herausgeberin der Theaterreihe „Nouvelles Scènes" (PUM). Catherine Mazellier-Lajarrige est Maître de conférences en Études germaniques à l'Université Toulouse Jean Jaurès et directrice des collections "Nouvelles Scènes" aux Presses Universitaires du Midi. Ina Ulrike Paul ist Professorin für Neuere deutsche und europäische Geschichte am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin und Leiterin des Zentralinstituts studium plus der Universität der Bundeswehr München. Ina Ulrike Paul est Professeure d'histoire (allemande et européenne) moderne à la Freie Universität de Berlin et dirige le Zentralinstitut de l’Universität der Bundeswehr à Munich. Christina Stange-Fayos ist Professorin (civilisation allemande) an der Universität Toulouse Jean Jaurès und Vizepräsidentin für europäische und internationale Beziehungen. Christina Stange-Fayos est Professeure de civilisation allemande et Vice-Présidente Déléguée aux Relations Européennes et Internationales à l'université Toulouse Jean Jaurès.

Zurück

Titel: Geschichte ordnen –  L’Histoire mise en ordre
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
359 Seiten