Lade Inhalt...

Zum Schwund der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in der Alltagssprache der kleinen Städte des ehemals polnisch-deutschen Grenzgebietes

von Hanna Biaduń-Grabarek (Autor:in) Sylwia Firyn (Autor:in)
©2018 Monographie 210 Seiten

Zusammenfassung

Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen infolge der Bekämpfung der Mundart und der Germanismen in der polnischen Alltagssprache viele Germanismen aus dem Gebrauch. Dieses Buch bildet einen Versuch, den Schwund der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in der Alltagssprache der polnischen Kleinstädte im ehemals deutschpolnischen Grenzgebiet (Żnin, Chełmża, Działdowo) zu erfassen. Jede Stadt liegt in einer anderen Region: Żnin (Pałuki, Gropolen), Chełmża (Kulmerland), Działdowo (der Süden von Masuren, Masowien).
Es wurden Vertreter von Generation der Großeltern, der Eltern und der Kinder befragt. Die Kenntnis der Mundart und dadurch auch der Germanismen sinkt von Generation zu Generation, wobei die Differenz zwischen den beiden älteren Generationen sehr groß ist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 1.1 Zur Sprachsituation im ehemals deutsch-polnischen Grenzgebiet
  • 1.2 Zu den deutsch-polnischen Sprachkontakten
  • 1.3 Zum Entlehnungsprozess und zur Assimilation
  • 1.4 Zum Verlauf der deutschen Siedlung im südlichen Ostseeraum
  • 2 Methodologisches
  • 2.1 Zur Wahl der Städte
  • 2.2 Die Gruppen der Befragten
  • 2.3 Zur Wahl und Überprüfung der Lexik
  • 2.4 Zum Fragebogen
  • 2.5 Zum Forschungsziel
  • 3 Die einzelnen Städte
  • 3.1 Żnin (Schinen, Dietfurt)
  • 3.1.1 Abriss der Geschichte von Znin
  • 3.1.2 Liste der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in der Alltagssprache von Żnin und Pałuki
  • 3.1.3 Zur Aufnahme der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in die polnische Standardsprache
  • 3.1.4 Zu den Beispielsätzen
  • 3.1.5 Zur Assimilation der deutschen lexikalischen Entlehnungen in der Alltagssprache von Żnin und Pałuki
  • 3.1.6 Ergebnisse der Befragung
  • 3.1.6.1 Generation der Großeltern
  • 3.1.6.2 Generation der Eltern
  • 3.1.6.3 Generation der Kinder
  • 3.1.6.4 Auswertung der Ergebnisse
  • 3.2 Chełmża (Kulmsee)
  • 3.2.1 Zur Geschichte von Chełmża
  • 3.2.2 Liste der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in der Stadtmundart von Chełmża
  • 3.2.3 Zur Aufnahme der Entlehnungen aus dem Deutschen in die polnische Standardsprache
  • 3.2.4 Auswahlliste der Beispielsätze
  • 3.2.5 Ergebnisse der Befragung
  • 3.2.5.1 Generation der Großeltern
  • 3.2.5.2 Generation der Eltern
  • 3.2.5.3 Generation der Kinder
  • 3.2.5.4 Auswertung der Ergebnisse
  • 3.3 Działdowo (Soldau)
  • 3.3.1 Zur Geschichte von Działdowo
  • 3.3.2 Liste der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in der Alltagssprache/Stadtmundart von Działdowo
  • 3.3.3 Zur Aufnahme der lexikalischen Entlehnungen aus dem deutschen in die polnische Standardsprache
  • 3.3.4 Zur Erforschung der masurischen Mundart
  • 3.3.5 Die Befragten
  • 3.3.6 Zur Befragungsmethode
  • 3.3.7 Beispielsätze
  • 3.3.8 Ergebnisse der Befragung
  • 3.3.8.1 Generation der Großeltern
  • 3.3.8.2 Generation der Eltern
  • 3.3.8.3 Generation der Kinder
  • 3.3.8.4 Auswertung der Ergebnisse
  • Zusammenfassung
  • Tabellenverzeichnis
  • Literatur
  • Internetquellen

←11 | 12→←12 | 13→

1 Einleitung

1.1 Zur Sprachsituation im ehemals deutsch-polnischen Grenzgebiet

Im Falle der kleineren Städte lässt sich im Gegensatz zu den großen Städten kaum von einer Stadtmundart reden. Die in einer kleineren Stadt gesprochene Sprache ist ein Kommunikationsmittel, das bestimmte Eigenschaften der Stadtmundart, des Mesolekts (Verkehrsdialekts) und des Regionaldialekts aufweist (vgl. Biaduń-Grabarek 2013: 11).

Diese Sprache unterscheidet sich von der kodifizierten Standardsprache dadurch, dass sie grundsätzlich eine gesprochene Sprache ist, deren Regeln auf den Regeln der Standardsprache basieren, wobei es aber bestimmte Abweichungen von der Standardsprache geben kann. Sie ist weniger konservativ als der Basisdialekt und wird ohne Kenntnisse der umliegenden Mundart verstanden, obwohl sporadisch spezifische in der Standardsprache nicht vorkommende Lexeme gebraucht werden. Im Falle der kleineren Städte lässt sich von einer mundartlich gefärbten Umgangssprache reden. Dieser Verkehrsdialekt wird nicht nur von der Stadtbevölkerung gesprochen, sondern auch von den Einwohnern der umliegenden Dörfer. Dazu haben u.a. die ständigen alltäglichen Kontakte der Dorf- und Stadtbewohner beigetragen. Dabei ist nicht nur an die pendelnden Arbeitnehmer und Schüler zu denken, sondern auch an Kontakte bei medizinischer Betreuung, beim Einkaufen und z.B. bei verschiedenen Dienstleistungen in Werkstätten und von Handwerkern (vgl. Wiesinger 1988 b: 19). Dieser Code hat einen mindestens z.T. gleichen intim-vertraulichen Charakter wie der Basisdialekt (vgl. Biaduń-Grabarek 2013: 12).

Bis zum Auftauchen der lokalen Massenmedien (lokale Rundfunksender, lokale Presse, oft auch lokales Fernsehen) wurde dieser Code grundsätzlich nur mündlich und in lokal-privaten Kontakten gebraucht. Es konnte aber vorkommen, dass die lokalen Lexeme in die standardsprachlichen Texte eingeflochten wurden. Im Falle der landesspezifischen Sprache der kleineren Städte lässt sich also kaum von einer Stadtmundart reden. Es ist eine mundartlich gefärbte Umgangssprache. In der polnischen Forschung tauchen in diesem Zusammenhang drei Begriffe auf:

←13 | 14→

narzecze – eine regionale Variante, die von der lokalen Bevölkerung gebraucht wird und sich in erster Linie durch lexikalische und phonetische Eigentümlichkeiten charakterisiert (vgl. Malczewski 1993: 123; Polański 2003: 118);

– gwara – eine Mundart, die auf einem kleinen Gebiet (vgl. Polański 2003: 232) gesprochen wird, manchmal aber auch als Synonym zu Dialekt oder Jargon (Sprache von Berufsgruppen oder sozialer Schichten – gwara uczniowska, gwara lekarzy) betrachtet wird

dialekt (miejski) – eine lokale/regionale Verkehrssprache (Mundart, Stadtmundart)

Im Falle der kleineren Städte lässt sich kaum von einer Stadtmundart reden, sondern eher von einer lokalen, mundartlich gefärbten Alltagssprache, die auch die Sprache der umliegenden Dörfer erfasst – z.B. gwara borowiacka lub gwara Borów Tucholskich (Mundart der Tucheler Heide), gwara Ziemi Chełmińskiej (Mundart des Kulmerlandes), gwara kurpiowska (Mundart des Kurpienlandes), gwara kociewska (Mundart von Kociewie – für Kociewie gibt es keine spezifische deutsche Bezeichnung) usw.

Die spezifischen Sprachmerkmale der lokalen Varietät, die die regionale Zuordnung des jeweiligen Sprechers ermöglichen, werden Schibbolethe (vgl. Schibboleth, in: http://de.wikipedia.org/wiki/Schibboleth (20.11.2016) genannt. Es gibt auch Schibbolethe der Jargons. (Berufssprachen, Soziolekt). (Biaduń-Grabarek 2013: 17)

Diese lokalen Mundarten lassen sich auf keinen Fall als Slangs bezeichnen, denn Slang (frz. Argot) ist eine nicht-standarisierte Varietät, die von einer kulturell, beruflich oder sozial abgegrenzten Gruppe gebraucht wird und sich durch neuartige Verwendung der Lexeme der Standardsprache und durch spezifische Wortbildungsformen auszeichnet (vgl. Bußmann 1990: 698).

Zutreffend ist in diesem Falle auch die Bezeichnung „mundartlich gefärbte Umgangssprache“, die im Falle einer Region auch Regiolekt bezeichnet wird, das sich durch spezifische Lexik, z.T. auch durch spezifische Grammatik auszeichnet. Die Mundarten der großen Städte (z.B. Poznań, Kraków, Warszawa, Łódź) werden auch Metrolekte genannt. Im Gegensatz zu der Mundart ist der Regiolekt in Polen nicht stigmatisiert und er wird auch Akrolekt genannt, wenn er keine mundartlichen Einflüsse aufweist.

Im Grenzgebiet der deutschen und polnischen Sprache, das um das Jahr 1900 im Deutschen Kaiserreich lag, lebten damals Deutsche und Polen nebeneinander.

←14 | 15→

In der Provinz Westpreußen bildeten die Deutschen im Jahre 1905 die absolute Mehrheit, d.h. 64,51% der Bevölkerung und in der Provinz Ostpreußen bildeten die Deutschen im Jahre 1910 74,2% der Gesamtbevölkerung. In den meisten Teilen der Provinz Posen überwog die polnische Bevölkerung. Die Deutschen bildeten hier etwa 32,0% aller Einwohner.

Nach dem Ersten Weltkrieg kam es mit Ausnahme von Ostpreußen zu einer starken Reduktion der deutschen Einwohner. In Großpolen und in der Wojewodschaft Pommern sank der Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung auf knapp 5,5% der Gesamtbevölkerung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es im Polnischen infolge der Umsiedlung aus dem Osten in die ehemals deutschen Gebiete zur Vermischung der östlichen Dialekte mit den westlichen. Die Umsiedler aus einer Gegend wurden in verschiedene Gebiete geschickt, was den Untergang der aus der alten Heimat mitgebrachten Mundarten und dadurch den Abbruch der Bindung an die alte Heimat zur Folge hatte. Auf den an Polen angeschlossenen Gebieten entstanden die sog. neuen Mischdialekte (poln. nowe dialekty mieszane). Diesem Zweck diente auch die Sprachpolitik der kommunistischen Machthaber. Der Gebrauch der Mundart in der Alltagskommunikation wurde bekämpft, indem die Meinung verbreitet wurde, dass nur primitive Menschen eine Mundart sprechen. Ein Kulturmensch verwende in der Kommunikation die Standardsprache. Dies hatte auch den mindestens teilweisen Untergang der Mundarten in den ehemals westlichen und, nach der Verschiebung der Grenzen, zentralpolnischen Gebieten zur Folge. Zugleich begann der Schwund der Stadtmundarten, der aber nicht in jeder Großstadt mit gleicher Stärke erfolgte. Die schlesischen Städte Posen, z.T. auch Krakau und Warschau haben ihre Stadtmundarten mindestens teilweise bewahrt.

Die teilweise erhaltenen Mundarten im Raum des großpolnischen Dialekts sind:

die großpolnische Mundart i.e.S. (Poznań/Posen, Gniezno/Gnesen, Jarocin/Jarotschin usw.);

die Mundart der Tucheler Heide, auch Tucholaer Mundart genannt (Tuchola/Tuchel und Umgebung – Bory Tucholskie/Tucheler Heide);

die Kociewer Mundart (Świecie/Schwetz, Starogard Gdański/Preußisch Stargard, Tczew/Dirschau);

die Kulmer-Dobriner Mundart (Brodnica/Straßburg, Wąbrzeźno/Briesen, Chełmno/Kulm, Glub-Dobrzyń/Gollub-Dobrin),

die nordostgroßpolnische Mundart von Krajna (Złotów/Flatow, Nakło n. Notecią/Nakel an der Netze) und Pałuki (Znin/Schinen/Dietfurt, Szubin/Schubin)

Im Raum des masowischen Dialekts seien hier die Überreste der masurischen (u.a. Pisz/Jońsbork/Johannesburg, Nidzica/Nibork/Neidenburg, Szczytno/Ortelsburg, Mrągowo/Ządzbork/Sensburg Ełk/Łek/Lyck, Działdowo/Soldau) und der ermländischen Mundart (Olsztyn/Allenstein, Lidzbark Warmiński/Heilsberg, Pieniężno/Mehlsack, Braniewo/Braunsberg) erwähnt.

Lange Zeit bildeten die polnisch-ermländisch sprechenden Einwohner die Mehrheit der Bevölkerung in diesem Land. Die alte Mundart/Umgangssprache begann mit der Spätaussiedlung zu schwinden.

Infolge der starken Vermischung der Mundarten, an der außer der einheimischen Alltagssprache auch zentralpolnische Dialekte und die Mundarten der aus dem Osten zugewanderten Umsiedler beteiligt waren, entstanden Mischmundarten. Hierzu werden die masurische, die ermländische und die Kociewer Mischmundart gezählt.

1.2 Zu den deutsch-polnischen Sprachkontakten

Die deutsch-polnischen Sprachkontakte in Pommerellen begannen noch vor der Ordenszeit, denn schon die pommerellischen Herzöge Swantopolk I., dann Swantopolk II. und Mestwin I. haben deutsche Geistliche und Handwerker ins Land geholt. Die eigentliche deutsche Siedlung begann aber erst mit der Gründung des Ordensstaates und der Zerschlagung der altpreußischen Verbände. Es lassen sich dabei folgende Perioden unterscheiden:

die Zeit bis zum Zweiten Thorner Frieden (1231–1466),

die Zeit von Königlich und Herzöglich Preußen (1466 bis Ende des 18. Jh.)

die Zeit der preußischen und dann er deutschen Herrschaft nach den Teilungen Polens (Ende des 18. Jh. bis etwa 1920),

die Jahre 1920–1939 (die Zwischenkriegszeit),

die Zeit des Zweiten Weltkrieges (1939–1945),

die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, d.h. nach 1945.

Die deutsche Siedlung in diesem Raum war ein Bestandteil der deutschen Ostkolonisation, während der folgende Gebiete mit deutscher Bevölkerung mindestens teilweise besiedelt wurden:

das Land der Westslawen, d.h. das Land westlich der Lausitzer Neiße und der Oder,

Schlesien und Galizien (u.a. Walddeutsche),

Pommern,

Ordensland mit Pommerellen und die angrenzenden Gebiete (auch das Baltikum),

Details

Seiten
210
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631768662
ISBN (ePUB)
9783631768679
ISBN (MOBI)
9783631768686
ISBN (Hardcover)
9783631763896
DOI
10.3726/b14704
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Januar)
Schlagworte
Germanismen Polnische Mundarten Befragung Generationen Belebung der Mundart Bekämpfung der Mundarten Volkspolen
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 207 S., 29 Tab., 1 Graf.

Biographische Angaben

Hanna Biaduń-Grabarek (Autor:in) Sylwia Firyn (Autor:in)

Hanna Biaduń-Grabarek, Sylwia Firyn und Józef Grabarek (Universität Gdańsk/KPSW Bydgoszcz) promovierten und habilitierten in Wrocław, Gdańsk und Poznań. Ihre Hauptarbeitsgebiete sind Sprachgeschichte, Syntax und Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache, deutsch-polnische Sprachkontakte.

Zurück

Titel: Zum Schwund der lexikalischen Entlehnungen aus dem Deutschen in der Alltagssprache der kleinen Städte des ehemals polnisch-deutschen Grenzgebietes
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
212 Seiten