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Die Legitimation der strafbewehrten Verschreibungspflicht bei Arzneimitteln

von Katja Bolender (Autor:in)
©2018 Dissertation 206 Seiten

Zusammenfassung

Die Legitimationsprobleme des Verbots der Arzneimittelabgabe entgegen der Verschreibungspflicht stehen im Mittelpunkt dieses Bandes. Ebenfalls erfasst die Autorin die sanktionenrechtlichen Probleme der Strafbewehrung. Sie arbeitet Fälle heraus, die zwar formal unter das strafbewehrte Verbot fallen, in denen aber das für die materielle Legitimation nötige Gefährdungspotential fehlt. Umgekehrt ermittelt sie Konstellationen, in denen zwar ein nicht unerhebliches Gefährdungspotential besteht, die aber nach dem derzeitigen Gesetzeswortlaut nicht unter das strafbewehrte Verbot fallen. Die differenzierten Beurteilungen bieten eine angemessene Grundlage für die sodann vorgeschlagenen Strafnormen, die einer sachgerechten Erfassung von Verhaltensunrecht gerecht werden können.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Impressum
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • A Einführung und Gang der Untersuchung
  • B Strafe und ihr Anknüpfungspunkt
  • I. Ausgangslage: Regelungsgehalt von Strafbarkeitsanordnungen – Sanktionsvoraussetzungen
  • 1. Der legitime Zweck von Strafe
  • 2. Die Geeignetheit und Erforderlichkeit von Strafe
  • 3. Die Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne)
  • 4. Die Bedeutung des Schuldgrundsatzes
  • 5. Die schuldangemessene Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß
  • II. Die Legitimation von Verhaltensnormen durch einen legitimen Zweck (verhaltensnormlegitimierende Rechtsgüterschutzinteressen)
  • 1. Der geltungserhaltende Schutz der Verhaltensnorm durch die Sanktionsnorm – Zur Unterscheidung der verschiedenen Schutzzwecke bei der Verhaltensnorm und bei der Sanktionsnorm
  • 2. Unmittelbarer Rechtsgüterschutz durch die Verhaltensnorm
  • a) Verhaltenserfassung und -bestimmung
  • b) Zur Legitimation von Verhaltensnormen bei (abstrakten) Gefährdungsdelikten
  • c) Zur „zwei-Säulen“-Konzeption
  • 3. Zusammenfassung
  • C Gesetzliche Grundlagen im Human- und Tierarzneimittelrecht
  • I. Die Zulassung von Human- und Tierarzneimitteln
  • 1. Die Zulassung von Humanarzneimitteln
  • 2. Die Zulassung von Tierarzneimitteln
  • II. Abgabe von Human- und Tierarzneimitteln
  • 1. Abgabe von Humanarzneimitteln
  • a) Abgabe durch den Apotheker
  • b) Abgabe durch pharmazeutische Unternehmer und Großhändler
  • c) Versand von Arzneimitteln
  • 2. Abgabe von Tierarzneimitteln
  • a) Durch den Apotheker
  • b) Tierärztliches Dispensierrecht, § 43 Abs. 4 AMG
  • c) Durch den Hersteller
  • d) Durch den pharmazeutischen Unternehmer und Großhändler
  • e) Der Versandhandel mit Tierarzneimitteln
  • III. Tierarzneimittelrechtliche Besonderheiten
  • 1. Umwidmung bei Therapienotstand
  • 2. Wartezeit und Rückstandsprüfungen
  • IV. Zwischenfazit
  • D Die Verschreibungspflicht
  • I. Die Verhaltensnorm der Verschreibungspflicht (§ 48 AMG)
  • 1. Historische Entwicklung der Verschreibungspflicht
  • 2. Adressatenkreise und Begriffsbestimmung
  • a) Verbraucher im Sinne von § 48 AMG
  • b) Adressat des § 48 AMG
  • c) Verschreibungsberechtigt
  • d) Apothekenpflichtige Arzneimittel
  • 3. Verbotsvoraussetzungen und Ausnahmen
  • a) Verschreibungspflichtige Arzneimittel
  • aa) Verschreibungspflicht kraft Rechtsverordnung, § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AMG
  • bb) Arzneimittel zur Anwendung bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen (§ 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AMG)
  • cc) Arzneimittel mit nicht allgemein bekannten Wirkungen, § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AMG
  • dd) Arzneimittel mit spezifischem Gefährdungspotential, § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 lit. a) AMG
  • ee) Arzneimittel mit qualifiziertem Missbrauchspotential (§ 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 lit. b) AMG)
  • ff) Arzneimittel, die zur Anwendung bei Tieren bestimmt sind, § 48 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 lit. c) AMG
  • gg) Verschreibungspflicht für Fütterungsarzneimittel
  • b) Aufhebung der Verschreibungspflicht – sog. „Switch“-Verfahren
  • aa) Verfahren zur Entlassung aus der Verschreibungspflicht
  • bb) Prüfkriterien des Sachverständigenausschusses für Verschreibungspflicht
  • c) Zusammenfassung
  • 4. Die Legitimation der Verschreibungspflicht – Konkretisierung der Verhaltensanforderungen
  • a) Möglichkeit der Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit
  • b) Der legitime Zweck der Verschreibungspflicht
  • aa) Der unmittelbare Schutz des Menschen
  • (1) Schutz der Körperintegrität des sich selbst gefährdenden Arzneimittelanwenders unter dem Blickwinkel des staatlichen Paternalismus
  • (2) Zwischenfazit
  • bb) Der mittelbare Schutz des Menschen
  • cc) Der Schutz des Tieres
  • c) Die zur Erreichung des Zwecks nötige Geeignetheit der Verschreibungspflicht
  • aa) Die Geeignetheit der Verschreibungspflicht bei fehlendem nötigen Gefährdungspotential
  • (1) Die Theorie des Gegenbeweises/Präsumtionstheorie
  • (2) Erfordernis einer sorgfaltswidrigen Handlung
  • (3) Die Kategorisierung „vergeistigtes Zwischenrechtsgut“ und „Massenhandlungen“
  • (4) Die Konzeption Kindhäusers
  • (5) Rechtsgüterschutz durch Zufallsbeherrschung
  • (6) Die korrekte Bewertung des Verhaltens bei fehlendem ausreichenden Gefährdungspotential – Konkretisierungsbeispiele
  • bb) Zwischenfazit
  • d) Die zur Erreichung des Zwecks nötige Erforderlichkeit der Verschreibungspflicht
  • e) Die Angemessenheit der Verschreibungspflicht (Verhältnismäßigkeit i. e. S.)
  • f) Zwischenergebnis
  • 5. Erfordernis der Aufstellung eines Verkehrspflichtensystems
  • a) Die Verantwortlichkeit des Apothekers und pharmazeutischen Personals
  • b) Die Verantwortlichkeit des Arztes bzw. des Tierarztes
  • c) Die Verantwortlichkeit des Pharmazeutischen Unternehmers und des Großhändlers
  • d) Die Verantwortlichkeit des Tierhalters
  • e) Die Verantwortlichkeit des Patienten
  • f) Zwischenergebnis
  • 6. Rechtsprechungspraxis
  • a) „Auf den Hund gekommen“
  • b) Abgabe ohne Rezept
  • c) Testkäufe
  • II Fazit zu Teil D
  • E Die Straftatbestände der §§ 95 und 96 AMG
  • I. Neue Arzneimittel und Produktgefahren: Fluch oder Segen?
  • II. Strafrechtskonzept des AMG
  • III. Legitimation der Strafbewehrung des Verbots der Abgabe ohne die erforderliche Verschreibung
  • 1. Der unmittelbare Schutz des Menschen
  • 2. Der mittelbare Schutz des Menschen
  • 3. Tierschutz
  • 4. Ergebnis de lege lata in Bezug auf die Dreiteilung – unmittelbarer und mittelbarer Schutz des Menschen sowie Tierschutz
  • IV. Konkretisierungsbeispiele auf der Ebene der Sanktionsnorm nach dem Strafrechtssystem de lege lata
  • 1. Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln bei fachfremder Verschreibung
  • 2. Switch-Verfahren
  • 3. Die Eigenmedikation des Arztes
  • 4. Der chronisch kranke Patient
  • 5. Die Sanktionsnormen der §§ 95 Abs. 1 Nr. 6 und 96 Nr. 13 AMG als staatlicher Paternalismus auf dem Prüfstand
  • 6. Die Anforderungen an das Gesetzlichkeitsprinzip und den Bestimmtheitsgrundsatz
  • a) Konformität der Anforderungen in Bezug auf § 95 Abs. 1 Nr. 6 AMG
  • b) Konformität der Anforderungen in Bezug auf § 96 Nr. 13 AMG
  • c) Prüfung der Ermächtigungsgrundlage anhand der Anforderungen des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG
  • V. Zwischenergebnis
  • F Die Differenzierung der Strafbarkeit bei der Abgabe von Human- und Tierarzneimitteln ohne die erforderliche Verschreibung
  • I. Ausgangslage: abstrakte Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Ungleichgewicht des Gefährdungspotentials?
  • II. Rechtfertigungsversuche
  • III. Sonderfall: Missbrauch von Humanarzneimitteln und einfachen Tierarzneimitteln bei Tieren, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen
  • G Anregungen zur Reform
  • I. Reformbedarf
  • II. Vorschläge einer Gesetzesformulierung de lege ferenda
  • 1. Strafbewehrter Schutz der menschlichen Gesundheit bei Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel entgegen der Verschreibungspflicht – Schutz der menschlichen Gesundheit bei Abgabe nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel
  • 2. Bußgeldbewehrter Schutz der menschlichen Gesundheit bei Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel entgegen der Verschreibungspflicht in formalisierter Form bei nur unerheblichen Gefahren
  • 3. Bußgeldbewehrter Schutz der Tiergesundheit bei Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel entgegen der Verschreibungspflicht
  • III. Zwischenfazit
  • H Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Reihenübersicht

 13→AEinführung und Gang der Untersuchung

Die Verschreibungspflicht ist ein wichtiges Instrument, um gesundheitlichen Gefahren zu begegnen und den sicheren Einsatz eines Arzneimittels, letztlich also den Schutz des Verbrauchers, zu gewährleisten. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Abgabe, Dosierung und Anwendung verschreibungspflichtiger Arzneimittel der Kontrolle und Überwachung durch fachlich geschulte Personen unterliegt.1 Die Bedeutung dieser Sicherstellung wurde durch den Wirkstoff Thalidomid2, welcher in den sechziger Jahren traurige Berühmtheit erlangte, eindrücklich vor Augen geführt. Mangels einschlägiger Regelungen, konnte der Hersteller Grünenthal erst im Mai 1961 für das bis dahin freiverkäufliche Arzneimittel Contergan einen Antrag stellen, das Arzneimittel der Verschreibungspflicht zu unterwerfen, ohne es jedoch gänzlich vom Markt nehmen zu müssen. Bereits 1959 war allerdings bekannt, dass der Wirkstoff zu schweren Nervenschäden führen kann. Beim Einsatz nebenwirkungsbehafteter und damit schädlicher Substanzen sind daher bestimmte Sicherungsmaßnahmen eine unverzichtbare Notwendigkeit, um den Bürger vor Gesundheitsgefahren zu schützen. Heute können thalidomidhaltige Arzneimittel auf Grundlage des § 3a der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV)3 nur auf Vorlage eines sog. T-Rezeptes abgegeben werden. Dieses besteht aus einem zweiteiligen amtlichen Vordruck (Original und Durchschrift) und wird ausschließlich durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) an Ärzte abgegeben, denen die medizinischen Informationsmaterialien auf der Basis der aktuellen Fachinformation vorliegen, die versichern, die Sicherheitsmaßnahmen bei der Verschreibung einzuhalten und die über ausreichende Sachkenntnis verfügen. Solche regulatorischen Besonderheiten, die von der üblichen Verschreibung abweichen, sind zum Schutz der menschlichen Gesundheit dringend notwendig.4←13 | 14→

Jedem Bürger kommt das Recht zu, vor bestimmten Gefahren beschützt zu werden und diese vermeiden zu können. Insbesondere dort, wo dem Bürger nicht aus eigenen Kräften Selbstschutz möglich ist, erfordert die Rechtsordnung die Übernahme eines Schutzauftrags zugunsten von Leib und Leben als vornehmlich zu nennende Rechtsgüter des Verbrauchers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Der staatliche Schutzauftrag, den Bürger vor Gefahren zu bewahren, wo dessen Selbstschutz fehlt oder unzureichend ist, ist als solcher anerkannt.5 Es ist daher Aufgabe des Staates, grundrechtsrelevante Güter zu schützen und zu fördern.6 Diese Verwirklichung des Schutzauftrages ist mitunter auch mit strafrechtlichen – und damit den schärfsten – Mitteln unseres Rechtssystems zu verwirklichen. Dass diese Verwirklichung als Kehrseite der Medaille wiederum grundrechtsrelevante Rechte des von einer strafbewehrten Verhaltensnorm Betroffenen einschränkt, bedingt die Erfüllung gewisser Voraussetzungen. Zu nennen sind hier die Interessen desjenigen, der verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne die erforderliche Verschreibung abgibt, oder des mündigen Bürgers, der eine Freiheitseinschränkung zum Zwecke des Schutzes seiner selbst nicht hinnehmen möchte. Diese konfligierenden Interessen gilt es in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Maßgeblich geht es – um unangemessene Freiheitsbeschränkungen und staatliche Sanktionen zu vermeiden – zunächst um die genaue Bestimmung, welches Verhalten als fehlerhaft einzuordnen ist und dadurch überhaupt erst einer strafrechtlichen Sanktionierung unterfallen kann und welches Verhalten demgegenüber als erlaubt einzustufen ist. Die Einordnung als rechtlich missbilligtes Verhalten kann nur vorgenommen werden, wenn eine entsprechende Verhaltensnorm ihrerseits rechtlich legitimiert ist. Dies ist der Fall, wenn die Verhaltensnorm einen legitimen Zweck verfolgt und das Mittel geeignet, erforderlich und angemessen ist. Die spezifische Konkretisierung eines Verhaltensunrechts ermöglicht es, basierend auf einer tragfähigen Methodik, rechtliche Pflichten beispielsweise jener, die verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben, konkret zu erfassen. Hierdurch wird vermieden, dass lediglich einzelne strafrechtliche Sachverhalte erfasst werden können. Denn eine zu kasuistische und zu punktuelle Regelungssystematik, die vor allem im Sanktionsnormbereich dazu führt, dass nicht jedes rechtlich durchaus zu missbilligende Verhalten erfasst werden kann, vermag dem staatlichen Schutzauftrag nicht gerecht zu werden. Die vorliegende Arbeit verfolgt daher das Ziel, mit einem allgemeingültigen Konzept, exemplarisch aufgezeigt an der ←14 | 15→arzneimittelrechtlichen7 Verschreibungspflicht als Verhaltensreglementierung, rechtlich legitimierbare Verhaltensnormen systemgerecht zu konkretisieren und zu erfassen und auf diese Weise zu klären, welche Verhaltensweisen entsprechend rechtlich zu missbilligen sind. Erst im Anschluss daran ist die Angemessenheit der auf der Verschreibungspflicht basierenden Sanktionsnormen zu klären.8 Nach erfolgter Untersuchung der Legitimation der Verhaltensnormen des § 48 AMG soll daher die Legitimation ihrer Strafbewehrung in den einschlägigen Sanktionsnormen einer näheren Untersuchung unterzogen werden. Schließlich ist die differenzierte Strafbarkeit der Abgabe verschreibungspflichtiger Human- und Tierarzneimittel einer auch rechtspolitisch ausgerichteten Untersuchung zu unterziehen. Dass der Verbraucherschutz gleichermaßen (wie bei der Abgabe von Humanarzneimitteln an Menschen) tangiert ist, wenn (Human- und/oder Tier-) Arzneimittel bei Tieren zum Einsatz kommen, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, steht außer Frage.

Zahlreiche auch in den Medien verbreitete und nicht abreißende Meldungen um Tierskandale untermauern die Bedeutung einer korrekten Erfassung von Verhaltensunrecht im Sinne eines effektiven Schutzes der menschlichen Gesundheit. In der Pilotstudie „VetCAb-Pilot“ (Veterinary Consumption of Antibiotics)9 haben Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen die Verbrauchsmengen von Antibiotika in der Nutztierhaltung kontinuierlich erfasst und ermittelt, dass einem Hähnchen während der Dauer seiner Mastzeit von in Deutschland circa 39 Tagen, durchschnittlich an circa 10,1 Tagen ein Antibiotikum verabreicht wurde.10 Insgesamt wurden im Erhebungsjahr 2011 25.641 kg an antibiotischen Wirkstoffen bei Rindern, Schweinen und Hähnchen eingesetzt.11 Der Antibiotikaeinsatz führt zur Bildung von Resistenzen, welche sich über die Nahrung auf ←15 | 16→den Menschen übertragen können.12 Im Rahmen der Gewinnung von Lebensmitteln kann es zur Übertragung dieser resistenten Keime auf Lebensmittel, wie beispielsweise Milch oder Fleisch, kommen.13

Die aktuelle Diskussion um den Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren betrifft nur einen von vielen Problempunkten, welche die Brisanz des Themas ausmachen. Zu denken ist etwa an den Pferdefleischskandal, der Anfang 2013 auf Deutschland überschwappte.14 Seit dem 01. 07. 200915 müssen Tierhalter für ihre Pferde einen sogenannten Equidenpass besitzen, in welchem festgelegt werden muss, ob das Tier zur Gewinnung von Lebensmitteln dienen soll oder nicht. Die Verpflichtung soll dem Verbraucherschutz dienen und verhindern, dass medizinisch behandelte Equiden und damit Arzneimittelrückstände, die sich bei Pferden insbesondere in Muskelfleisch absetzen, in die Lebensmittelkette gelangen. Die einmalige Festlegung ist nicht widerrufbar.16 Trotz dieser in der Europäischen Union geltenden Gesetzeslage, kommt es zu gesetzlichen Umgehungen, an dessen Ende der Verbraucher als Leidtragender steht. Der britische Umweltminister erklärte im Januar 2013, dass in mehreren in Großbritannien geschlachteten Pferden Phenylbutazon nachgewiesen wurde, obwohl der Wirkstoff nur verwendet werden darf, wenn das Tier nicht zur Schlachtung zwecks Gewinnung von Lebensmitteln freigegeben ist.17 Zu diesem Zeitpunkt ←16 | 17→wurde das Fleisch bereits zum Teil verarbeitet und nach Frankreich verkauft. 2015 wurde bekannt, dass mehr als 200 Pferde, die in der Arzneimittel- genauer in der Serumherstellung zur Produktion von Antikörpern eingesetzt werden, zu Fleisch verarbeitet und als Lebensmittel verkauft wurden.18 Dies vor Augen geführt, zeigt sich die Unabdingbarkeit der systematischen strafrechtlichen Aufarbeitung von Sachverhalten im Bereich des Arzneimittelstrafrechts.

Vor diesem Hintergrund bildet die genaue Erfassung der Legitimation bestimmter Verhaltensnormen in Form von Ver- und Geboten die Basis für die korrekte Erfassung von Fehlverhalten. In einem weiteren, hiervon zu differenzierenden Schritt, ist der Legitimation der Strafbewehrung der Verschreibungspflicht als Verhaltensnorm besondere Aufmerksamkeit zu schenken. In der Untersuchung sind jeweils arzneimittelrechtlich geltende Besonderheiten zu berücksichtigen und auch relevante Unterscheidungen im Human- und Tierarzneimittelrecht herauszuarbeiten. Im Kontext der Untersuchung der Legitimation der Sanktionsnorm speziell zu beachten ist das derzeit bestehende Differenzierungskonzept der verschreibungslosen Abgabe von Humanarzneimitteln und solchen Tierarzneimitteln, die zur Anwendung an Tieren bestimmt sind, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen.19

1Der besseren Lesbarkeit wegen wird nachfolgend hinsichtlich der Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Humanarzneimitteln und Humanmedizinern gesprochen. Nur sofern es auf den Unterschied ankommt wird von Tierarzneimitteln und Tierärzten gesprochen.

2Zum Contergan-Fall in Gänze s. Kirk, Der Contergan-Fall.

3Weitere regulatorische Besonderheiten für den Apotheker finden sich in § 17 Abs. 2 lit. b) und Abs. 6 lit. b) ApBetrO.

4Nicht zu Unrecht warnte das BfArM im Jahr 2013 Apotheker davor, fehlerhafte oder unvollständig ausgefüllte T-Rezepte zu beliefern; vgl. Pressemitteilung des BfArM vom 14. 05. 2013 Nr. 05/13.

5St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 77, 170, 214; 79, S. 174, 201 f.; BVerfG NJW 1997, 2509.

6Hufen, Staatsrecht II, § 5 Rn. 5 f.

7Die Thematik der Verschreibungspflicht von Medizinprodukten wird indes nicht abgehandelt.

8Zur Differenzierung von Verhaltens- und Sanktionsnormen s. MüKo/Freund, StGB, Vor §§ 13 ff. Rn. 27 ff.; ders., AT, § 1 Rn. 5 ff.

9Die Studie wurde im Auftrag des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) von der tierärztlichen Hochschule Hannover und der Universität Leipzig durchgeführt.

10Repräsentative Verbrauchsmengenerfassung von Antibiotika in der Nutztierhaltung – Kurzbericht über die Ergebnisse der Studie „VetCAb-Pilot“, Fachinformation (Stand: 9. Juli 2013); abgerufen unter www.vetcab.de (zuletzt aufgerufen: 18. 03. 2015).

11Repräsentative Verbrauchsmengenerfassung von Antibiotika in der Nutztierhaltung – Kurzbericht über die Ergebnisse der Studie „VetCAb-Pilot“, Fachinformation (Stand: 9. Juli 2013); abgerufen unter www.vetcab.de.

12S. unter anderem: M. Wadl/K. Heckenbach/I. Noll/S. Ziesing/W. Pfister/J. Beer/S. Schubert/T. Eckmanns Increasing Occurrence of Multidrug-Resistance in Acinetobacter baumanii Isolates From Four German University Hospitals, 2002–2006, Infection 2010; 38, 47–51.

13Das 16. Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (16. AMG-Novelle; Sechzehntes Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 10. Oktober 2013, BGBl. I, S. 3813) verfolgt daher das Ziel, den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung einzudämmen, indem Nutztierhalter den Einsatz von Antibiotika kontrollieren und falls erforderlich reduzieren sollen. Korrelierend hierzu erhalten die Überwachungsbehörden mehr Kontrollbefugnisse.

14Hier ging es maßgeblich um kennzeichnungsrelevante Aspekte, weil verwendetes Pferdefleisch nicht als solches deklariert wurde, Verbraucher hierdurch somit getäuscht wurden.

15Verordnung (EG) Nr. 504/2008 der Kommission vom 06. Juni 2008 zur Umsetzung der Richtlinien 90/426/EWG und 90/427/EWG des Rates in Bezug auf Methoden zur Identifizierung von Equiden, ABl. L 149 vom 07. 06. 2008, S. 3 ff.

Details

Seiten
206
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631761014
ISBN (ePUB)
9783631761021
ISBN (MOBI)
9783631761038
ISBN (Paperback)
9783631749449
DOI
10.3726/b14355
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (Juli)
Schlagworte
Arzneimittelstrafrecht Verhältnismäßigkeit Rezeptpflicht Humanarzneimittel Tierarzneimittel Apothekenpflicht
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 206 S.

Biographische Angaben

Katja Bolender (Autor:in)

Katja Bolender studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg sowie der University of Stellenbosch (Südafrika). Sie spezialisierte sich auf den Bereich des Pharmarechts. Das Zweite Juristische Staatsexamen legte sie am Oberlandesgericht Frankfurt am Main ab.

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