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Souveränität in der Insolvenz

von Stephanie Dausinger (Autor:in)
©2019 Dissertation 260 Seiten

Zusammenfassung

Nicht nur die jüngste Geschichte der europäischen Staatsschuldenkrise hat gezeigt, dass das Phänomen der Staatsinsolvenz keinen Einzelfall darstellt. Trotzdem gibt es für dieses Phänomen bis heute keine einheitliche rechtliche Lösung. Vielmehr sind Staaten im Umfeld ihrer Insolvenz bis heute diversen rechtlichen Regimen unterworfen, durch welche sie teilweise erhebliche Beschränkungen hinnehmen müssen. Dabei sind Staaten als Souveräne ganz besondere Schuldner. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Konzept der Souveränität und ihren Grenzen, beschäftigt sich die Autorin mit den verschiedenen Regimen, die im Falle einer finanziellen Krise greifen und untersucht deren Auswirkungen auf die staatliche Souveränität.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1 Von der Staatsverschuldung zur Staatsinsolvenz
  • A. Historie
  • B. Die zentralen Begriffe: Staatsverschuldung und -insolvenz
  • I. Staatsverschuldung
  • II. Staatsinsolvenz
  • 2 Schrankenlose Souveränität? Grenzen der Beschränkbarkeit
  • A. Historische Bedingtheit
  • I. Souveränitätsverständnis im Mittelalter
  • II. Die Souveränitätskonzeption Jean Bodins
  • III. Thomas Hobbes: Der Gipfel des absoluten Souveränitätsverständnisses
  • IV. Entwicklungslinien der äußeren Souveränität
  • B. Trotz aller Kritik: Relevanz der souveränen Staatlichkeit
  • C. Aktuelle Souveränitätskonzeption und ihre Grenzen
  • I. Kategorisierung des Souveränitätsdogmas
  • II. Die aktuelle Konzeption der äußeren Souveränität
  • III. Grenzen der Souveränität
  • 3 Der Schuldnerstaat im Umfeld seiner Insolvenz
  • A. Präventive Instrumente
  • I. Ausgangspunkt: Anleihenmarkt
  • II. Haushaltsüberwachung
  • B. Krisenhilfe
  • I. Die Gewährung von Krisenhilfe durch den IWF
  • II. Europäische Krisenhilfe
  • III. Krisenhilfe und Souveränität
  • C. Die grundsätzlichen Optionen im Falle einer Staatsinsolvenz
  • I. Nichtbedienung der Schulden
  • II. Restrukturierung der Schulden
  • 4 Souveränität im Umfeld der Insolvenz
  • A. Der souveräne Staat als spezieller Schuldner
  • B. Die Ausnahmesituation des souveränen Staates in seiner Insolvenz
  • I. Weitgreifende Beschränkung der staatlichen Autonomie
  • II. Der insolvente Staat: Beschränkungen unterhalb der Schwelle der Souveränität
  • III. Der insolvente Staat: Beschränkungen außerhalb der Souveränität
  • C. Souveränität ohne Autonomie?
  • I. Tendenzen in der Lehre zu einer materiellen Dimension der Souveränität
  • II. Völkerrechtspraxis zur verminderten Staatsgewalt einzelner Staaten
  • III. Stellungnahme
  • D. Rechtspolitischer Ausblick: Wiederherstellung staatlicher Autonomie durch Rechtsetzung
  • I. Umfassende Lösung durch Etablierung eines Insolvenzmechanismus
  • II. Gestaltungsmöglichkeiten bei Fortführung eines fragmentierten Lösungsansatzes
  • Zusammenfassende Schlussbetrachtung
  • Schrifttumsverzeichnis

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Einleitung

„Beklagte man ehemals die Schuld der Welt, so sieht man jetzt mit Grausen auf die Schulden der Welt und, wie ehemals den jüngsten Tag, so prophezeit man jetzt die der einstige große σεισαχθεια, den universellen Staatsbankrott, jedoch ebenfalls mit der zuversichtlichen Hoffnung, ihn nicht selbst zu erleben.“1

Schopenhauer stellte bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine kollektive Furcht vor Staatsbankrotten, hervorgerufen durch übermäßige Verschuldung, fest und attestierte ihr religiöse Ausmaße. Obwohl Staaten im Laufe der Geschichte in regelmäßigen Abständen insolvent wurden, war die Bevölkerung in den westlichen Industriestaaten seit Mitte des 20. Jahrhunderts lange Zeit von der „zuversichtlichen Hoffnung“ beseelt, dass sie in ihrem Staat einen Staatsbankrott nie erleben würde. In der kollektiven Erinnerung waren nur Entwicklungsländer und vor allem die Staaten Lateinamerikas von Insolvenzen betroffen. Getreu dem Motto des „Dieses Mal ist alles anders“-Syndroms ging man davon aus, „dass Finanzkrisen nur anderen Menschen in anderen Ländern und zu anderen Zeiten passieren; jetzt, hier und bei uns kann es keine Krise geben.“2 Entsprechend gewaltig war die Zäsur, als die Staatsschuldenkrise 2010 über Europa hereinbrach und plötzlich Zahlungsausfälle durch Mitgliedstaaten der Europäischen Union drohten. Insbesondere Griechenland war in einem Maße verschuldet, dass es außerstande war ohne fremde Hilfe seine Schulden in voller Höhe zu bedienen. Die Möglichkeit einer Staatsinsolvenz war mitten in Europa angekommen und damit das Dogma der Insolvenzunfähigkeit, das zumindest für westliche Industriestaaten angenommen wurde, gebrochen. Die Staatsinsolvenz als das „Armageddon“ der Moderne war wieder auferstanden.

Der Unterschied von Staatsinsolvenzen zu den alltäglich abgewickelten Unternehmensinsolvenzen, welchen in den allermeisten Fällen nur sehr wenig ←17 | 18→Aufmerksamkeit zuteil wird,3 ist die Staatlichkeit und damit der besondere Status des Schuldners. Herausstechendes Merkmal staatlicher Schuldner gegenüber privaten Schuldnern ist ihre Souveränität. Nicht umsonst werden Staatsschulden im Englischen als „sovereign debt“ und Staatsinsolvenzen als „sovereign default“ bezeichnet. Ihre Souveränität macht Staaten zu besonderen Schuldnern.

Allerdings wurde insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorgehen gegenüber dem Schuldnerstaat Griechenland immer wieder der Vorwurf erhoben, dass in der Insolvenz eines Staates dessen Souveränität verletzt werde. Insbesondere die Vorgabe massiver wirtschaftspolitischer Anpassungsmaßnahmen und konkreter empfindlicher Sparziele durch die sog. Troika aus IWF, Europäischer Zentralbank und Europäischer Union im Gegenzug für finanzielle Unterstützung durch den IWF und die Europäische Union, erweckten in der Öffentlichkeit den Eindruck, dass Griechenland nicht mehr in der Lage war, eigenständig über seine eigenen Angelegenheiten zu entscheiden und unter dem maßgeblichen Einfluss seiner Geldgeber stand. So betonte der griechische Ministerpräsident Tsipras im Umfeld des griechischen Referendums immer wieder die griechische Souveränität:

„Wenn Europa die Spaltung will und die weitere Unterwerfung, werden wir uns für ein "Nein" entscheiden und den Kampf für die Würde des Volkes und unsere nationale Souveränität führen“.4

Auch der ehemalige griechische Finanzminister Varoufakis stellte in einem persönlichen Gespräch klar:

„[Greece is] no sovereign country anymore. Greece declined its sovereignty.“ 5

Als es um die Aushandlung eines erneuten Griechenland-Rettungspakets mit den internationalen Geldgebern ging, stiegen in diese Bewertung öffentlichwirksam auch der Wirtschaftsnobelpreisträger Krugmann ein:

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„This [der Rettungspakt] goes beyond harsh into pure vindictiveness, complete destruction of national sovereignty, and no hope of relief.“ 6

Auch in den sozialen Netzwerken wurde unter #Thisisacoup die Bewertung geteilt, dass es sich bei der erneuten Einigung um einen Staatsstreich handele. Die Frage nach dem Umgang mit den Schulden wurde somit immer mehr zu einer Frage nach der Behauptung nationaler Souveränität.

Doch der Vorwurf der Souveränitätsverletzung im Zusammenhang mit staatlichen Insolvenzen beschränkte sich bei Weitem nicht auf Griechenland. Erst 2014 reichte Argentinien wegen der Verletzung seiner Souveränität im Zusammenhang mit der Restrukturierung seiner Staatsschulden eine Klage vor dem IGH gegen die USA ein.7 Hold-out-Gläubiger, unterstützt durch Entscheidungen der US-amerikanischen Justiz, verhinderten damals die erfolgreiche Restrukturierung argentinischer Staatsschulden, obwohl Argentinien sich mit der überwiegenden Mehrheit der Gläubiger einig war. Aufgrund der fehlenden Zustimmung der USA kam es jedoch dann zu keiner Verhandlung.

Trotz der vermehrten Vorwürfe aus politischen sowie ökonomischen Kreisen, blieb eine Diskussion der Situation insolventer Staaten und deren Souveränität auf juristischer Ebene bisher aus. Diese Lücke versucht die vorliegende Arbeit schließen. Das Phänomen der Staatsinsolvenz und dessen Umfeld wird aus dem bisher vernachlässigten Blickwinkel des betroffenen Schuldnerstaates beleuchtet, um dadurch die Auswirkungen auf die staatliche Souveränität in der Phase der Insolvenz zu identifizieren und einzuordnen.

Den Ausgangspunkt bildet eine Auseinandersetzung mit den für die Beantwortung der Fragestellung erforderlichen Grundlagen. In Kapitel 1 werden daher zunächst die Historie staatlicher Insolvenzen beleuchtet und die zentralen Begriffe der Staatsverschuldung und Staatsinsolvenz geklärt. In Kapitel 2 wird dann unter Berücksichtigung der historischen Bedingtheit des Souveränitätsverständnisses die aktuelle Souveränitätskonzeption mitsamt ihren Grenzen herausgearbeitet. Anschließend steht die komplexe Situation des Schuldnerstaats im Umfeld seiner Insolvenz aus dem Blickwinkel eines insolventen Staates im ←19 | 20→Mittelpunkt der Betrachtungen, dabei wird in chronologischer Abfolge zwischen den einzelnen Phasen der präventiven Instrumente (Kapitel 3.A.), der Krisenhilfe (B.) und den grundsätzlichen Optionen der Nichtbedienung (C.I.) und der Restrukturierung der Schulden unterschieden (C.II.). Die gewonnenen Ergebnisse sollen abschließend aus dem Blickwinkel der Souveränität bewertet und insbesondere rechtspolitische Möglichkeiten zu Verbesserung der Situation der Schuldnerstaaten aufgezeigt werden (Kapitel 4).

1 Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Band II, 2. Aufl. 1862, S. 276. Unter Seisáchtheia versteht man den durch Solon durchgeführten allgemeinen Schuldenerlass 594/593 v. Chr., durch den die Schuldknechtschaft im antiken Athen abgeschafft wurde, vgl. Bajohr, Kleine Weltgeschichte des demokratischen Zeitalters, 2014, S. 19.

2 Syndrom behandelt durch Reinhart und Rogoff in ihrer gleichnamigen Monographie: Reinhart/Rogoff, Dieses Mal ist alles anders, 6. Aufl. 2013, S. 63.

3 In Deutschland alleine wurden für 2015 127.683 Insolvenzfälle gezählt, vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 93 vom 11.3.2016, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2016/03/PD16_093_52411.html;jsessionid=E4DEEFFECB170664710C4757BF0CA48B.cae2, zuletzt aufgerufen am 20.3.2017.

4 Alexis Tsipras, http://de.reuters.com/article/topNews/idDEKBN0OT0MZ20150613, zuletzt aufgerufen am 20.3.2017.

5 Informelles Gespräch mit dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis am 29.5.2015 in Athen.

6 Paul Krugman in seinem Blog in der New York Times, abrufbar unter http://krugman.blogs.nytimes.com/2015/07/12/killing-the-european-project/?_r=1.

7 “In brief, the decisions of the US Judiciary are abusive, arbitrary, beyond its jurisdiction, ignore the sovereign immunities of Argentina, frustrate the sovereign restructuring of Argentina’s external debt and are thus measures seeking to force its sovereign will.”, ICJ, Application instituting proceedings, Argentina v. United States, S. 28, liegt der Verfasserin vor.

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1 Von der Staatsverschuldung zur Staatsinsolvenz

A. Historie

Entsprechend dem bereits zitierten und viel diskutierten „Dieses Mal ist alles anders“-Syndrom8 existiert die Überzeugung, dass Finanzkrisen immer wo anders und jemand anderem passieren. Diese Grundannahme erweist sich jedoch schon mit einem kurzen Blick auf die Geschichte als kurzsichtig und falsch. Staatliche Zahlungsausfälle sind beileibe – auch in Europa – kein neuartiges Phänomen, sondern ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Staaten.9 Dabei ist die staatliche Schuldenaufnahme, so wie wir sie heute kennen, eng mit der Entstehung der Staatlichkeit als einem modernen gesellschaftlichen Konstrukt verbunden.10

Noch im 18. Jahrhundert erfolgte die Schuldenaufnahme vorwiegend persönlich durch die regierenden Herrscher. Die Verbindlichkeit dieser Schulden hing von der Lebenserwartung des Regenten, aber auch von dessen Macht ab.11 Die Fugger mussten dies 1557 leidlich erfahren, als der hochverschuldete Phillipp II. ihre Forderungen einseitig per Dekret in sehr niedrig verzinste königliche Rentenbriefe umwandelte, später die Zahlung gänzlich einstellte und sogar die Einräumung neuer Kredite verlangte.12 Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde der Staat an sich zur Rechtsperson und damit selbst zum Schuldner. Als solcher haftete insbesondere mit seinen zukünftigen Steuereinnahmen.13 Doch es sollte noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts dauern, bis sich schließlich das Dogma ←21 | 22→der rechtlichen Verbindlichkeit von Staatsschulden durchsetzte. Zuvor stufte man Staatsschulden, vor allem wegen ihrer mangelnden rechtlichen Einklagbarkeit, als Ehrenschulden ein.14 Hinter dieser als Drago-Doktrin15 bekannten Ansicht stand die Überlegung, dass die Begebung der Anleihen Akte souveräner Staaten seien, die als solche nicht Adressaten rechtlicher Verpflichtungen sein könnten.16 Gewiss spiegelt dieser Ansatz ein sehr weites Verständnis der staatlichen Souveränität wider, welches heute nicht mehr tragbar ist,17 aber auch damals schon rege kritisiert wurde.18

Dass staatliche Zahlungsausfälle beileibe kein neues Phänomen sind zeigt, wie bereits erwähnt, ihre absolute Häufigkeit. Dabei beschreibt die absolute Häufigkeit staatlicher Zahlungsausfälle meist eine wellenförmige Kurve. Die größte Welle folgte nach dem Ersten Weltkrieg in der Großen Depression in den 30er Jahren des 20. Jahrhundert0. Jahrhunderts. Den Anfang machte 1931 Bolivien, bis Ende 1933 beinahe alle Staaten Zentral- und Südamerikas zahlungsunfähig waren.19 Diese gigantische Welle machte auch vor den europäischen Toren nicht halt und so stellte beispielsweise auch Deutschland 1933 die Zahlung auf seine Schulden ein.20 Die nächsten größeren Wellen folgten in den 1980er (Lateinamerika und Afrika) und den 1990er Jahren (Asien). Den ersten Aufsehen erregenden Fall eines staatlichen Zahlungsausfalls im 21. Jahrhundert stellte 2002 die Ankündigung Argentiniens dar, keine Zahlungen mehr auf seine ←22 | 23→internationalen Anleihen zu leisten.21 Aufgrund seiner Komplexität ist der Fall Argentiniens bis heute noch nicht endgültig aufgearbeitet. So sind immer noch diesbezügliche Klagen von Gläubigern vor staatlichen Gerichten und internationalen Schiedsgerichten anhängig.22

Aus dem vorangegangenen kurzen historischen Abriss kann bei aller Einzigartigkeit jedes einzelnen Zahlungsausfalls gefolgert werden, dass sich souveräne Schuldner auch in Zukunft in prekären, finanziellen Lagen wiederfinden werden. Auch wenn ihre Position sicherlich nicht mit der früherer, absolutistischer Herrscher zu vergleichen ist, soll im Rahmen dieser Arbeit beleuchtet werden, wie souverän die souveränen Schuldner heute überhaupt noch sind. In jüngster Zeit standen mit der drohenden Staatsinsolvenz Griechenlands und der erneuten Insolvenz Argentiniens insbesondere zwei Fälle (drohender) staatlicher Zahlungsausfälle im Fokus des Interesses der gesamten Weltöffentlichkeit. Auch wenn diese Arbeit sich nicht mit der Aufarbeitung dieser speziellen Fälle beschäftigt, sondern vielmehr allgemeingültige Überlegungen anstellt, ist deren Kenntnis dennoch wichtige Voraussetzung für das Verständnis der aktuellen Debatte.

B. Die zentralen Begriffe: Staatsverschuldung und -insolvenz

Die Auseinandersetzung mit dem Problem der Staatsinsolvenz verlangt anfangs eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Staatsinsolvenz an sich. Begriffsnotwendig geht der Staatsinsolvenz jedoch eine Verschuldung des Staates voraus; deshalb soll das Phänomen der Staatsverschuldung zunächst in seinen ökonomischen Grundlagen sowie der heute vorherrschenden Formen umfasst werden.

I. Staatsverschuldung

Als Staatsschulden werden im weiteren Sinne alle Rechtsverhältnisse verstanden, in welchen der Staat Schuldner ist.23 Dies bedeutet, dass eine Staatsschuld ←23 | 24→beispielsweise auch aus einem völkerrechtlichen Delikt erwachsen kann. Für die folgende Untersuchung erscheint es wegen der wirtschaftlichen Relevanz jedoch sinnvoll, den engeren Begriff der Staatsschuld zu wählen, der nur die aus einer Kreditaufnahme resultierenden Staatsschulden umfasst.24 Kein Unterschied soll jedoch zwischen der Kreditaufnahme bei öffentlichen und privaten Schuldnern gemacht werden, da sich hier zwar Unterschiede ergeben können, doch beide Arten der Kreditaufnahme für den in der Krise befindlichen Staat von großer Relevanz sind und deshalb Grundlage dieser Arbeit bilden sollen.25

Da es für das Verständnis der noch zu behandelnden Regime, die im Umfeld einer Staatsinsolvenz greifen, unerlässlich ist einen groben Überblick über die ökonomische Zusammenhänge zu vermitteln, sollen kurz die ökonomischen Ansätze zur Staatsverschuldung dargestellt werden. Anschließend werden die Arten der Staatsverschuldung beschrieben und insbesondere untersucht, inwiefern eine Unterteilung in Inlands- und Auslandsschulden sinnvoll ist.

1. Ökonomische Ansätze

Der Ökonom David Ricardo bezeichnete die Staatsverschuldung einst als „eine der schrecklichsten Geißeln, die je zur Plage der Nation erfunden wurde“26 und David Hume prophezeite sogar „either the nation must destroy public credit, or public credit will destroy the nation“ 27. Verfolgt man die öffentliche Diskussion, die seit der Entstehung der europäischen Staatsschuldenkrise geführt wurde, so ist man geneigt diesem vernichtenden Urteil über die Staatsverschuldung zuzustimmen. Doch wird die Staatsverschuldung in der heutigen Volkswirtschaftslehre ←24 | 25→durchaus kontrovers betrachtet und aus bestimmten Gründen sogar befürwortet.28

Zum einen wird die Verschuldung für die Tätigung langfristiger Investitionen zur intergenerativen Lastenverteilung grundsätzlich als sinnvoll erachtet.29 Denn dadurch kann verhindert werden, dass nur die aktuelle Steuern zahlende Generation die Lasten einer Investition tragen muss, die schließlich auch den zukünftigen Generationen zugutekommt. Auf dieser Überlegung basiert letztlich auch die „goldene Regel der Finanzpolitik“, die Grundlage des Art. 115 GG a.F. war und besagt, dass die öffentliche Verschuldung durch den gleichzeitigen Anstieg des öffentlichen Netto-Vermögens begrenzt sein sollte.30

Aber auch zur Stabilisierung konjunktureller Schwankungen wird eine Kreditaufnahme befürwortet. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass durch die Schulden die Effektivität automatischer Stabilisatoren finanziert wird. Strittiger ist hingegen eine darüber hinausgehende Finanzierung diskretionärer Finanzpolitik.31

Zum anderen ist ebenfalls anerkannt, dass eine Finanzierung der Staatsausgaben durch Kredite auch Nachteile mit sich bringen kann. So kann Staatsverschuldung unter bestimmten volkswirtschaftlichen Voraussetzungen zu einem sog. „crowding-out“-Effekt führen, der dadurch entsteht, dass der Staat durch seine erhöhte Schuldenaufnahme die Zinsen in die Höhe treibt, sodass es in ←25 | 26→Folge zu einer Verdrängung der privaten Investitionen kommt.32 Auch wurde empirisch erwiesen, dass eine Zunahme der Staatsverschuldung das Wirtschaftswachstum negativ beeinflusst. Ab einer Schuldenstandquote von 90 % des Bruttoinlandsprodukts steigt der negative Effekt auf das Wirtschaftswachstum sogar noch überproportional an.33

Es lässt sich festhalten, dass die Schuldenaufnahme durch den Staat einerseits volkswirtschaftlich angezeigt sein kann, andererseits auch enorme Risiken birgt insbesondere bei einer erhöhten Schuldenstandquote.

Eines dieser Risiken ist die Insolvenz des Schuldnerstaates. Ist die Schuldenstandquote eines Staates so hoch, dass die Märkte das Vertrauen in die Fähigkeit des Staates die Kredite zurückzuzahlen verlieren, so ist es dem betroffenen Staat nicht mehr möglich sich an den Kapitalmärkten zu refinanzieren und schließlich ist seine Zahlungsunfähigkeit unausweichlich. Die kritische Schwelle der Staatsverschuldung ist vor allem für das Eingreifen präventiver Instrumente wichtig, durch die eine Staatsinsolvenz vermieden werden soll. Allerdings ist es schwierig eine solche Schwelle zu bestimmen und müsste wohl für jedes Land eigens ermittelt werden.34 Eine empirische Berechnung der kritischen Schwellen haben beispielsweise Ostry et al. versucht. Laut ihrer Berechnung hätte Deutschland bei einer geschätzten Schuldenstandquote im Jahre 2015 von 81,5 % noch einen finanzpolitischen Spielraum bis zu einer Schuldenstandquote von 154,1 %. Allerdings sind die berechneten Quoten von vielfältigen Annahmen abhängig und schon eine kleine Abweichung von den prognostizierten Annahmen kann zu einer großen Verschiebung im ←26 | 27→Endergebnis führen.35 Die Ergebnisse können daher nicht als belastbar eingestuft werden. Bedeutend mehr Studien gibt es zu der Frage,ab welcher Schuldenstandquote die Staatsverschuldung einen negativen Effekt auf das Wachstum einer Volkswirtschaft hat. Hier wird die relevante Grenze bei einer Schuldenstandquote von 85–95 % gezogen.36 Oft wird ein Wert von 90 % deshalb auch im Zusammenhang mit der Gefahr einer Staatsinsolvenz genannt.37 Bei allen diesen Werten, darf die geringe Verlässlichkeit von starren Schwellen nicht außer Acht gelassen werden. Schließlich verhält sich jede Volkswirtschaft anders und starre Schwellen können schwerlich die vielen relevanten länderspezifischen Faktoren berücksichtigen.38

Details

Seiten
260
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631774175
ISBN (ePUB)
9783631774182
ISBN (MOBI)
9783631774199
ISBN (Paperback)
9783631773383
DOI
10.3726/b15467
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Regime Staatsinsolvenz Staatsbankrott Staatsschulden Umschuldung IWF
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2019. 260 S. 2 s/w Tab.

Biographische Angaben

Stephanie Dausinger (Autor:in)

Stephanie Dausinger studierte Rechtswissenschaften an der Universität Passau und der Universidad Autónoma in Madrid. Sie war als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau tätig.

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