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Die Beendigung von Schiedsvereinbarungen

von Christopher Benjamin Czibere (Autor:in)
©2019 Dissertation 224 Seiten

Zusammenfassung

Der Band befasst sich mit den verschiedenen prozess- und materiell-rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Beendigung von Schiedsvereinbarungen. Ausgehend von einer grundlegenden Analyse von Rechtsnatur und privatautonomer Charakteristik der Schiedsvereinbarung arbeitet der Autor die einzelnen Beendigungsmöglichkeiten aus. Die Untersuchung gliedert sich dabei in drei Hauptteile: die gemeinschaftliche (konsensuale Beendigung) durch die Parteien, einseitige Beendigungsmöglichkeiten sowie das Erlöschen der Schiedsvereinbarung ipso iure.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Gegenstand der Untersuchung
  • Erster Teil: Rechtliche Einordnung der Schiedsvereinbarung
  • A. Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung
  • § 1 Schiedsvereinbarungen als Prozessvertrag
  • § 2 Schiedsvereinbarungen als materiell-rechtliche Vereinbarung
  • I. Eine genuin materiell-rechtliche Vereinbarung
  • II. Eine materiell-rechtliche Vereinbarung über prozessuale Bestimmungen
  • § 3 Gemischt prozessual-materiell-rechtliche Vereinbarung
  • § 4 Stellungnahme
  • B. Schiedsverfahren als privatautonome Alternative zum Staatsgericht
  • § 1 Privatautonomie – Begriff und Bedeutung
  • I. Historischer Überblick
  • II. Verwendung der Privatautonomie in dieser Arbeit
  • § 2 Privatautonomie als Quelle des Schiedsverfahrensrechts
  • I. Privatautonomie als Leitgedanke des alten Schiedsrechts
  • II. Privatautonomie als Leitgedanke des neuen Schiedsrechts
  • 1. Freiwilligkeitskontrolle und Privatautonomie
  • a) Notwendigkeit eines freiwilligen Abschlusses der Schiedsvereinbarung
  • b) Gegenauffassung: keine Notwendigkeit einer Freiwilligkeitskontrolle
  • c) Einordnung und Bewertung
  • 2. Streitgegenstandserweiterung als Abkehr von der Privatautonomie
  • a) Darstellung der Auffassung
  • b) Einordnung und Bewertung
  • 3. Gleichwertigkeitsthese und Privatautonomie
  • 4. Ausprägungen der Privatautonomie im 10. Buch der ZPO
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Anwendbare Vorschriften
  • § 1 Anwendbarkeit des Allgemeinen Teils des BGB sowie des Schuldrechts
  • § 2 Anwendbarkeit des Gesellschaftsrechts
  • 1. Schiedsvereinbarungen als Vertrag
  • 2. Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks
  • 3. Schuldrechtliche Pflichten zur Zweckförderung
  • a) Verfahrensförderpflichten der Parteien
  • b) Treuepflichten der Parteien
  • 4. Innenverhältnis der Gesellschafter
  • 5. Einordnung und Rechtsfolge
  • D. Schlussbetrachtung Erster Teil
  • Zweiter Teil: Vertragliche Beendigung
  • A. Beendigung durch Aufhebungsvertrag
  • § 1 Aufhebungsangebot
  • I. Das formlose Aufhebungsangebot
  • 1. Form der Schiedsvereinbarung
  • 2. Das formlose Angebot zur Aufhebung der gesamten Schiedsvereinbarung
  • 3. Das formlose Angebot zur Teilaufhebung
  • a) Formbedürftigkeit von Änderungen
  • aa) Durch die Rechtsprechung anerkannte Ausnahmefälle
  • bb) Das Schrifttum zur Formbedürftigkeit von Änderungen
  • cc) Formbedürftigkeit der Änderung von Schiedsvereinbarungen
  • b) Eine formlose Teilaufhebung von Schiedsvereinbarung ist möglich
  • aa) Möglichkeit der formlosen Teilaufhebung
  • bb) Vorteil der Anerkennung einer Teilaufhebbarkeit von Schiedsvereinbarungen
  • 4. Sonderfall: das Angebot zur formlosen Aufhebung bei Verbraucherbeteiligung
  • 5. Exkurs: De lege ferenda Rückkehr zum formlosen Abschluss der Schiedsvereinbarung
  • 6. Ergebnis
  • II. Das konkludente Aufhebungsangebot
  • 1. Bestimmung des Willens zur Aufhebung einer Schiedsvereinbarung
  • a) Position der Rechtsprechung
  • b) Position im Schrifttum
  • c) Einordnung und Bewertung
  • aa) Maßstab zur Bestimmung des Aufhebungswillens
  • bb) Reichweite des Aufhebungswillens
  • (1) Streitgegenständliche Betrachtung des Aufhebungswillens
  • (2) Gesamtbetrachtung des Aufhebungswillens
  • (3) Eigener Ansatz: Sachverhaltsbetrachtung des Aufhebungswillens
  • (4) Ausnahmen
  • 2. Ergebnis
  • § 2 Annahme der Aufhebung
  • § 3 Zeitpunkt der Aufhebung
  • I. Aufhebungsvertrag nach Erlass des Schiedsspruchs
  • II. Aufhebungsvertrag nach Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs
  • III. Ergebnis
  • B. Beendigung durch Vereinbarung einer auflösenden Bedingung
  • C. Schlussbetrachtung Zweiter Teil
  • Dritter Teil: Einseitige Beendbarkeit der Schiedsvereinbarung
  • A. Beendigung durch Kündigung
  • § 1 Kündigung aus wichtigem Grund
  • I. Anwendbarkeit von § 723 BGB
  • 1. Zeitliches Element der Schiedsvereinbarung
  • 2. Ausschluss der ordentlichen Kündigung durch § 1032 ZPO
  • 3. Ergebnis
  • II. Anwendbarkeit von § 723 Abs. 1 S. 2/§ 314 BGB
  • 1. Vorliegen eines wichtigen Grundes
  • a) Verhaltensbezogene Kündigung
  • aa) Keine wichtigen Gründe gemäß der Rechtsprechung
  • bb) Wichtige Gründe gemäß der Rechtsprechung
  • b) Kündigung aufgrund von Undurchführbarkeit
  • aa) Fallgruppen der Undurchführbarkeit
  • (1) Verfahrensbezogene Undurchführbarkeit
  • (2) Vereinbarungsbezogene Undurchführbarkeit
  • (3) Undurchführbarkeit aufgrund äußerer Einflüsse
  • bb) Rechtsprechung: keine Kündigung mehr bei Undurchführbarkeit
  • cc) Schrifttum: Kündigung weiterhin erforderlich
  • dd) Stellungnahme
  • 2. Zwischenergebnis
  • 3. Erfordernis einer vorherigen Abmahnung/Abhilfefrist
  • 4. Möglichkeit der Teilkündigung
  • a) Subjektive Teilkündigung der Schiedsvereinbarung
  • b) Objektive Teilkündigung der Schiedsvereinbarung
  • 5. Form der Kündigung
  • 6. Zeitpunkt der Kündigung
  • 7. Zwischenergebnis
  • § 2 Kündigung bei Störung der Geschäftsgrundlage
  • I. Fallgruppen der Störung der Geschäftsgrundlage
  • II. Abgrenzung und Rechtsfolgen
  • § 3 Vereinbarung eines vertraglichen Kündigungsrechts
  • I. Vertragliche Definition von wichtigen Gründen
  • II. Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung
  • B. Beendigung durch Rücktritt
  • § 1 Anwendbarkeit des Rücktrittsrechts auf Schiedsvereinbarungen
  • I. Anwendbarkeit des Rücktrittsrechts auf Dauerschuldverhältnisse
  • II. Anwendbarkeit des Rücktrittsrechts auf nicht-synallagmatische Vertragsverhältnisse
  • § 2 Rücktrittsgrund und Rechtsfolge
  • C. Beendigung durch Anfechtung
  • § 1 Allgemeines
  • § 2 Zeitpunkt der Anfechtung
  • § 3 Rechtsfolge
  • § 4 Ergebnis
  • D. Schlussbetrachtung Dritter Teil
  • Vierter Teil: Wegfall der Schiedsvereinbarung
  • A. Erlöschen der Schiedsvereinbarung nach § 726 BGB
  • § 1 Erlöschen durch Zweckerreichung
  • § 2 Erlöschen durch Unmöglichkeit der Zweckerreichung
  • I. Definition und Prüfungsmaßstab
  • II. Fallgruppen
  • 1. Rechtliche Unmöglichkeit der Zweckerreichung
  • a) Fallgruppen der rechtlichen Unmöglichkeit
  • b) Sonderfall: Rechtliche Unmöglichkeit bei vorangehendem rechtskräftigen Urteil
  • aa) Verhältnis von vorangehendem rechtskräftigen Urteil zum Schiedsspruch
  • (1) Das Schrifttum zur Bindung des Schiedsgerichts
  • (2) Stellungnahme
  • bb) Auswirkungen auf die Schiedsvereinbarung
  • 2. Tatsächliche Unmöglichkeit der Zweckerreichung
  • III. Rechtsfolge
  • § 3 Ergebnis
  • B. Erlöschen nach § 727 BGB
  • C. Schlussbetrachtung Vierter Teil
  • Schlusswort
  • Endergebnis in Thesen
  • Literatur

Gegenstand der Untersuchung

Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung der Frage der Beendbarkeit von Schiedsvereinbarungen. Ausgangspunkt der Überlegung ist dabei, dass die Schiedsvereinbarung genau an der Schnittstelle von materiellem und prozessualem Recht angesiedelt ist und sich daraus eine Reihe von Wechselwirkungen und Spannungsfelder hinsichtlich der Beendigung einer Schiedsvereinbarung ergeben, die eine genauere Untersuchung verdienen.

Grundsätzlich gibt es zwei Ansatzpunkte, nach denen die Bindungswirkung einer Schiedsvereinbarung für Parteien entfallen könnte: auf der einen Seite eine materiell-rechtliche Beendigung der Schiedsvereinbarung, welche die Rechtsgrundlage für die schiedsrichterliche Streitbeilegung beseitigt und damit die Zuständigkeit der Schiedsgerichte entfallen lässt.

Fällt nicht schon die materielle Rechtsgrundlage weg, besteht auf der anderen Seite auch die Möglichkeit, dass es den Parteien nicht mehr möglich ist, sich noch auf die Schiedsvereinbarung zu berufen. Dieses prozessuale Element ist gerade in Ländern des Common-Law häufig anzutreffen. Das entsprechende Pendant im deutschen Recht wäre eine Verwirkung von Rechten aus der Schiedsklausel. Auf diese Problematik soll nicht eingegangen werden. Stattdessen konzentriert sich diese Arbeit auf die erste Frage, nämlich die Beendigung der vertraglichen Grundlage.

Der Schwerpunkt der Untersuchung liegt zunächst auf der (konsensualen) materiell-rechtlichen Beendbarkeit von Schiedsvereinbarungen. Im ersten Teil werden zunächst die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung und die Rechtsgrundlage des Schiedsverfahrensrechts herausgearbeitet, woraus sich ein Bewertungsmaßstab für die Beendigung ergibt. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung, ob die Schiedsvereinbarung auch nach dem neuen Schiedsverfahrensrecht seit 1998 noch eine privatautonome Alternative zur außergerichtlichen Streitbeilegung ist. In Teilen des Schrifttums wurde ihr durch Erweiterung der schiedsfähigen Streitgegenstände, der diskutierten Abkehr vom Prinzip der Notwendigkeit eines freiwilligen Abschlusses sowie der Behandlung als gleichwertige Alternative zum staatlichen Verfahren eine neue Charakteristik gegeben.

An diesen einleitenden Grundlagenteil schließt sich die Hauptuntersuchung an, welche sich in drei Abschnitte gliedert. Zunächst wird die beidseitige Beendbarkeit der Schiedsvereinbarung untersucht, insbesondere die Beendigung durch Aufhebungsvertrag. Im Anschluss daran werden die einseitigen ←19 | 20→Beendigungsmöglichkeiten untersucht und zum Abschluss das Erlöschen der Schiedsvereinbarung ipso iure.

Im ersten Abschnitt zur beidseitigen Beendbarkeit wird zunächst überprüft, ob tatsächlich immer dann ein vertragliches Loslösen von der Schiedsvereinbarung möglich ist, wenn dies dem Willen der Parteien in diesem Moment entspricht, unabhängig von der Form oder der Art und Weise, in der dies geschehen soll, denn grundsätzlich findet die Privatautonomie immer dort ihre Grenze, wo die Parteien durch ihr Verhalten den (bindenden) gesetzlichen Rahmen verletzen1.

Der zweite Abschnitt der Arbeit betrifft daran anschließend die einseitige Beendbarkeit von Schiedsvereinbarungen. Dabei wird schwerpunktmäßig auf die Beendbarkeit durch Kündigung oder durch Rücktritt eingegangen. Hier stellt sich insbesondere die Frage, welche Auswirkungen die im ersten Teil gewonnen Erkenntnisse über Rechtsnatur und privatautonomes Leitbild auf die unilaterale Beendbarkeit von Schiedsvereinbarungen haben. Weiterhin wird untersucht, ob gegebenenfalls zwischen „einfachen“ Zweiparteienschiedsvereinbarungen, Schiedsvereinbarungen, welche mehrere Verträge erfassen oder einseitigen Optionsschiedsvereinbarungen differenziert werden muss.

Ebenso wird untersucht, ob bei der einseitigen Beendigung eine zeitliche Komponente zu beachten ist, es also einen Unterschied macht, wann die Beendigung der Schiedsvereinbarung angestrebt wird. Hier lassen sich grundsätzlich vier Zeiträume ausmachen, die eine Betrachtung verdienen: die Beendigung der Schiedsvereinbarung vor Beginn des Schiedsverfahrens, die Beendigung bei laufenden Verfahren, die Beendigung nachdem bereits ein Schiedsspruch erlassen wurde und letztlich eine Beendigung nach Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs.

Der dritte Abschnitt der Arbeit untersucht sodann die Beendigung von Schiedsvereinbarungen ipso iure, das bedeutet ohne eigene Gestaltungserklärung der Parteien. Dabei wird analysiert, ob ein solches Erlöschen möglich ist, welche Rechtsnormen dafür als Grundlage dienen könnten und ob sich eine ipso iure Beendigung mit der Privatautonomie der Parteien in Einklang bringen lässt.

Zusammenfassend sind folgende Thesen zu untersuchen beziehungsweise zu überprüfen:

Das Schiedsverfahrensrecht ist – auch nach neuem Schiedsrecht – immer noch eine auf der Privatautonomie basierende Möglichkeit der Streitbeilegung.
←20 | 21→
Für eine konsensuale Aufhebung der Schiedsvereinbarung ist der Gedanke der Privatautonomie der Leitgedanke. Eine Schutzwürdigkeit des Schiedsverfahrensrechts „als solches“ gibt es nicht. Die Schiedsvereinbarung kann damit jederzeit, unabhängig von Form, Stand des Verfahrens oder Fristen aufgehoben werden. Dies gilt auch für eine teilweise Aufhebung der Schiedsvereinbarung.
Die Parteien haben unter bestimmten Voraussetzungen während des gesamten Verfahrens die Möglichkeit, sich einseitig von der Schiedsvereinbarung zu lösen. Die Voraussetzungen hierfür bestimmen sich nach der Phase des Schiedsverfahrens.
Der privatautonomen Natur der Schiedsvereinbarung widerspricht es nicht, dass diese unter bestimmten Voraussetzungen ohne Gestaltungserklärung einer Partei ipso iure erlischt.
←21 |
 22→←22 | 23→

 

1 Olzen in Staudinger, BGB (2009), Einleitung zum Schuldrecht, Rn. 50.

Erster Teil: Rechtliche Einordnung der Schiedsvereinbarung

Bevor die Beendbarkeit von Schiedsvereinbarungen im Detail untersucht werden kann, ist eine Reihe von Vorfragen zu klären. Im ersten Schritt wird ein Überblick über die Rechtsnatur des Schiedsvertrages gewonnen, um sich auf diesem Wege der Schiedsvereinbarung rechtlich anzunähern (A). Im zweiten, zentralen Abschnitt des ersten Teils wird die erste These der Arbeit untersucht und die Frage beantwortet, ob das Schiedsverfahrensrecht (weiterhin) seine Basis in der Privatautonomie der Parteien findet (B). Dabei wird nach einer kurzen isolierten Einordnung der Privatautonomie sowie einer Auseinandersetzung mit den wesentlichen Grundbegriffen ein Schwerpunkt auf der Charakteristik des Schiedsverfahrensrechts in Deutschland ab der Reform im Jahre 1998 liegen. Im Anschluss daran werden die anwendbaren Rechtsvorschriften auf die Beendbarkeit der Schiedsvereinbarung bestimmt und damit die Grundlage der Untersuchung der folgenden Teile gelegt (C).

A. Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung

Um sich mit den Beendigungsmöglichkeiten einer Schiedsvereinbarung auseinandersetzen zu können, stellt sich zunächst die Frage nach der Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung. Denn nur wenn klar ist, welche Natur der Schiedsvereinbarung tatsächlich beigemessen werden kann, wird man auch untersuchen können, welche Maßstäbe zu der Beendbarkeit herangezogen werden können.

Die große Schwierigkeit bei der Bestimmung der Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung liegt in ihrer Verortung an der Schnittstelle von materiellem und prozessualem Recht. Gerade weil sie Wirkungen in beiden Rechtsbereichen entfaltet, ist ihre Einordnung Gegenstand kontroverser Diskussionen sowohl im Schrifttum als auch der Rechtsprechung2. Nähert man sich der Frage abstrakt, ←23 | 24→kommen drei Vertragstypen in Betracht: ein materiell-rechtlicher Vertrag, ein Prozessvertrag sowie, als Mischform beider Varianten, ein doppelfunktionaler Vertrag mit sowohl prozessualer als auch materieller Rechtsnatur.

§ 1 Schiedsvereinbarungen als Prozessvertrag

Vielerorts wird die Schiedsvereinbarung als Prozessvertrag eingestuft3. Hierfür wird insbesondere angeführt, dass die primäre Rechtsfolge der Schiedsvereinbarung eine prozessuale sei, nämlich der Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs bei gleichzeitiger Eröffnung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts4. Dabei wird die Abgrenzung von Prozessvertrag und materiell-rechtlichem Vertrag anhand der Fallgruppen des „Verpflichtungsvertrags“ auf der einen Seite, sowie des „Verfügungsvertrags“ auf der anderen Seite vorgenommen5. Der Prozessvertrag sei demnach ein Verfügungsvertrag, weil er unmittelbar gestaltende Wirkung auf die prozessuale Lage hat6. Konstitutives Merkmal des Prozessvertrages sei damit eine unmittelbar verfügende Wirkung.

Eine andere, insbesondere im Schrifttum vertretene, Auffassung legt den Prozessvertrag dagegen weiter aus und will auch die Verpflichtung erfassen, ein bestimmtes Prozessverhalten später vorzunehmen. Dies umfasst beispielsweise die Vereinbarung, später keine Rechtsmittel einzulegen oder auf die Verwendung bestimmter Beweismittel zu verzichten beziehungsweise diese zurückzunehmen7.

←24 | 25→

Als typisches Beispiel für den Prozessvertrag im engeren Sinne wird regelmäßig die Prorogation genannt, da hier durch die Vereinbarung die gesetzliche Zuständigkeitsregelung unmittelbar modifiziert wird und eine Klage am de lege zuständigen Gericht unzulässig wäre8. Ausschließlich zuständig ist stattdessen das in dem Prorogationsvertrag vereinbarte Gericht. Gleiches soll nach in Teilen des Schrifttums vertretener Auffassung auch für die Schiedsvereinbarung gelten. Kernfunktion einer Schiedsvereinbarung sei es, dass sich die Parteien darauf einigten, den nach § 1055 ZPO bindenden Schiedsspruch zu akzeptieren und gleichzeitig zur Durchsetzung ihrer Vereinbarung die Schiedseinrede nach § 1032 ZPO zur Verfügung zu stellen9. Dieser Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs und das Unterwerfen unter den Schiedsspruch werden als ein solches, verfügendes, Element gesehen10. Dass sich aus der Schiedsvereinbarung auch bürgerlich-rechtliche Pflichten ergeben könnten, ändere an der schwerpunktmäßig prozessrechtlichen Einstufung nichts11. Eine solche bürgerlich-rechtliche Pflicht ist insbesondere die Prozessförderungspflicht der Parteien, welche ihnen die Verpflichtung auferlegt, alles Notwendige zu tun, um einen Schiedsspruch zu ermöglichen12. Dies beinhaltet die Pflicht zur Bestellung eines Parteischiedsrichters, sofern die entsprechende Verfahrensordnung dies vorsieht, die Zahlung von Gebühren an die Schiedsinstitution, um das Verfahren betreiben zu können sowie die Zahlung von Vorschüssen an die Schiedsrichter13. Parallel zu diesen „Förderungspflichten“ entstehen gleichzeitig „Loyalitätspflichten“ gegenüber der anderen Partei, alles zu unterlassen, was den erfolgreichen Abschluss des Schiedsverfahrens gefährden könnte14.

Verfechter der Qualifikation der Schiedsvereinbarung als Prozessvertrag führen zudem an, dass sich nur aus der prozessualen Qualifikation die Handhabung ausländischer Schiedssprüche durch deutsche Gerichte erklären lasse: erfüllt ein ausländischer Schiedsspruch nicht die Voraussetzungen zur Vollstreckung in Deutschland, etwa weil er nicht auf einer wirksamen Schiedsvereinbarung beruhe, sei die Rechtsfolge des § 1061 ZPO15 nur die fehlende Anerkennung ←25 | 26→ausländischer Schiedssprüche, nicht jedoch deren Aufhebung16. Ausländische, privatrechtliche Vereinbarungen dagegen werden durch die deutsche Rechtsprechung auch aufgehoben17. Daran sei erkennbar, dass durch den ZPO-Gesetzgeber schon von vornherein von einer prozessvertraglichen Natur der Schiedsvereinbarung ausgegangen worden sei, ohne dass dies ausdrücklich niedergelegt worden ist.

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Einordnung der Schiedsvereinbarung etwas plakativ als Gerichtsstandsvereinbarung sui generis, beziehungsweise als Vereinbarung über einen privaten Gerichtsstand, was den prozessvertraglichen Charakter noch einmal unterstreichen soll18. Begründet wird dies damit, dass die Schiedsvereinbarung zunächst eine ähnliche Funktion wie eine Gerichtsstandsvereinbarung erfüllt. So wird dem gesetzlich zuständigen Gericht die Zuständigkeit durch Parteiwillen entzogen und stattdessen eine andere Stelle für zuständig erklärt. Zusätzlich zur Modifikation der sachlichen und örtlichen Zuständigkeit tritt dazu noch die Entscheidung für ein privates Streitentscheidungsforum.

§ 2 Schiedsvereinbarungen als materiell-rechtliche Vereinbarung

Gerade im Hinblick auf die mannigfaltigen Pflichten, welche die Parteien im Zuge der Vereinbarung einer schiedsrichterlichen Streitbeilegung treffen19, ist die Schiedsvereinbarung auch als materiell-rechtlicher Vertrag qualifiziert worden. Diese Strömung ist dabei selbst nicht komplett kohärent, sodass hier noch einmal zwischen denjenigen unterschieden werden muss, welche die Schiedsvereinbarung als genuin materiell-rechtlichen Vertrag ansehen20 und denjenigen, welche sie als materiell-rechtlichen Vertrag über prozessuale Bestimmungen qualifizieren21.

←26 | 27→

I. Eine genuin materiell-rechtliche Vereinbarung

In der Mitte des vergangenen Jahrhunderts kamen eine Reihe von Stimmen auf, welche die Schiedsvereinbarung als genuin materiell-rechtliche Vereinbarung einordnen wollten22. Diese Auffassung folgt einem rechtshistorischen Ansatz. So sei das Äquivalent im römischen Recht, das Compromissum, als privatrechtliche Vereinbarung einzuordnen gewesen. Es wurde als Verfahren beschrieben, in dem Streitigkeiten „durch einem Privatmann“ aufgrund eines von den Parteien geschlossenen Vergleichs entschieden wurden. Ein wesentlicher Unterschied zur heutigen Ausgestaltung des Schiedsverfahrens besteht jedoch darin, dass das Compromissum weder zu einer Unzuständigkeit des staatlichen Gerichts bei Anrufung trotz bestehenden Kompromissvertrag führte noch vollstreckbar war23. Aufgrund der fehlenden prozessualen Wirkung blieb damit im Ergebnis auch keine andere Möglichkeit als die Einordnung als eine materiell-rechtliche Vereinbarung24.

Die Verfechter der materiellen Theorie sehen somit auch heute noch die Schiedsvereinbarung in der Tradition und der Weiterentwicklung dieses Compromissums. So sah die Ausgestaltung des Schiedsverfahrens in der Civilprozessordnung von 1877 zunächst auch nur eine materiell-rechtliche Wirkung vor. Der Entwurf der Civilprozessordnung ordnete die Schiedsvereinbarung lediglich als Vergleich ein25, ferner wurde erst mit der ZPO-Reform 1924 die Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen gesetzlich festgeschrieben26. Entsprechend galt zu dieser Zeit auch die Rechtsnatur des Schiedsvertrags entweder ganz allgemein als Vergleichsvertrag oder „privat-rechtlicher Feststellungsvertrag“27.

Details

Seiten
224
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631781906
ISBN (ePUB)
9783631781913
ISBN (MOBI)
9783631781920
ISBN (Paperback)
9783631780558
DOI
10.3726/b15287
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Schiedsverfahren Aufhebungsvertrag Kündigung Rücktritt Anfechtung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 224 S.

Biographische Angaben

Christopher Benjamin Czibere (Autor:in)

Christopher Benjamin Czibere studierte Rechtswissenschaften an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf sowie als Fulbright Stipendiat an der Columbia University in New York (LL.M.). Nach dem Studium arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht in Düsseldorf.

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