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Autoren südosteuropäischer Herkunft im transkulturellen Kontext

von Milica Grujičić (Autor:in)
©2019 Dissertation 284 Seiten
Reihe: Symbolae Slavicae, Band 35

Zusammenfassung

In der Untersuchung wird aufgezeigt, wie deutschsprachige Autoren südosteuropäischer Herkunft transkulturelle Räume in ihren Werken artikulieren und die Variablen der deutschsprachigen Literatur refigurieren. Zu diesem Zweck werden die Raumkonstruktionen in vier postmodernen migrationsbezogenen Romanen untersucht und ihre Autoren, Florescu, Trojanow, Bodrožić und Stanišić, einer vergleichenden Analyse unterzogen. Das Buch untersucht die Frage nach strukturellen, inhaltlichen und narrativen Ähnlichkeiten zwischen den literarischen Werken, um festzustellen, ob bei Ihnen eine gemeinsame Raumästhetik nachweisbar ist. Die Verfasserin prüft die Tragbarkeit des Konzepts des „Southeastern Turn". Lotmans Raumtheorie zeigt sich dabei als besonders gewinnbringend, da sie das Infragestellen von Grenzen anspricht und sich auf transkulturell angelegte Vorstellungen stützt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • 1 Transkulturelle Impulse deutschsprachiger Autoren mit Migrationshintergrund
  • 1.1 Zugewanderte Autoren und die deutschsprachige Literatur in der neueren Geschichte
  • 1.2 Transkulturelle, kosmopolitische und hybride literaturwissenschaftliche Konzepte
  • 1.3 „Southeastern Turn“ in der deutschsprachigen Literatur?
  • 2 Die theoretischen Grundlagen
  • 2.1 Raum und Verflechtungen von Kulturen
  • 2.2 Einführung in das Raummodell Jurij Lotmans
  • 2.3 Lotmans Semiosphäre
  • 2.4 Chronotopos Michail Bachtins
  • 3 Interpretation des Romans „Wunderzeit“ von Cătălin Dorian Florescu
  • 3.1 Florescu und sein Werk
  • 3.2 Zusammenspiel von Ost und West, Gegenwart und Vergangenheit
  • 3.3 Motiv der Grenze
  • 3.4 Der südosteuropäische Raum als die „dunkle Seite“ des Westens
  • 3.5 Das Bild des sozialistischen Heimatlandes
  • 3.6 Darstellung des Westens
  • 3.7 Alins Welten
  • 3.8 Andere raumbezogene Semantisierungen
  • 4 Interpretation des Romans „Die Welt ist groß und Rettung lauert überall“ von Ilija Trojanow
  • 4.1 Trojanow und sein Werk
  • 4.2 Chronotopoi zu Beginn des Romans
  • 4.3 Flucht aus dem Land des Würfelspielens
  • 4.4 Alex’ Aufenthaltsorte
  • 4.5 „Bericht über das Gelobte Land“
  • 4.6 „Asyl“ und „Exil“ durch die Augen des Autors
  • 4.7 Ost-West-Versöhnung
  • 4.8 Heilende Reise um die Welt
  • 5 Interpretation des Romans „Der Spieler der inneren Stunde“ von Marica Bodrožić
  • 5.1 Bodrožić und ihr Werk
  • 5.2 Mystische Gedanken und Erinnerungen an die Kindheit
  • 5.3 Stadt vs. Land als leitende Binaritäten
  • 5.4 Warten als durchgehendes Prinzip des Romans
  • 5.5 Zusammenspiel anderer Chronotopoi
  • 5.6 Identitätsbezogene Problematik
  • 5.7 Vom Ereignis mit der Axt bis zur gelungenen Integration der Persönlichkeit
  • 6 Interpretation des Romans „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ von Saša Stanišić
  • 6.1 Stanišić und sein Werk
  • 6.2 Erzählen und Erinnern im thematischen Zentrum des Romans
  • 6.3 Aufbau des Romans
  • 6.4 Aleksandar als „Chefgenosse“ des Unfertigen
  • 6.5 „Der Krieg ist [uns] auf den Fersen“
  • 6.6 Chronotopos des Krieges
  • 6.7 Wer ist Asija?
  • 6.8 Rückkehr nach Bosnien
  • 7 Schlussbemerkungen
  • Zusammenfassung
  • Literatur- und Quellenverzeichnis
  • Primärliteratur
  • Weiter(führend)e Primärliteratur
  • Sekundärliteratur
  • Weiterführende Internetquellen

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Einleitung

I

Das Zeitalter fortschreitender Globalisierungsprozesse bringt große Veränderungen mit sich. Territorialgrenzen werden abgeschafft oder zumindest verstärkt infrage gestellt. Der Alltag wird durch eine zunehmende Mobilität von Gütern, Menschen und Ideen geprägt. Das Wechselspiel unterschiedlicher Kulturen, zu dem es infolge der globalen Migration gekommen ist1, wird von vielen Kulturschaffenden hervorgehoben:

„It celebrates hybridity, impurity, intermingling, the transformation that comes of new and unexpected combinations of human beings, cultures, ideas, politics, movies, songs. It rejoices in mongrelization and fears the absolutism of the Pure. Mélange, hotchpotch, a bit if this and a bit of that is how newness enters the world. It is the great possibility that mass migration gives to the world, and I have tried to embrace it“,

bemerkt Salman Rushdie (1991: 394) in Bezug auf seine „The Satanic Verses“ (1988).

Die von Homi K. Bhabha und Edward Said entwickelten Konzepte „hybride Identität“, „dritter Raum“ und „Orientalismus“ zeigen neue Perspektiven in Bezug auf Migration und Globalisierung auf. Sie bieten die Möglichkeit einer Vermischung von Eigen und Fremd und plädieren für eine Blickfelderweiterung in Richtung polykulturelle Identität.

In seinen Auseinandersetzungen mit dem Kolonialismus hinterfragt Said die dominante Rolle des Westens und kommt zu dem Schluss, dass abendländische Kulturen ihre eigenen Identitäten mitkonstruieren, wenn sie vom „Orient“ sprechen (Said 2014: 1f.). Bhabhas „dritter Raum“ hingegen fungiert als eine symbolisch verstandene Kontaktzone, in welcher stetig Austausch- bzw. Hybridisierungsprozesse stattfinden. Gebräuchliche Codes werden „neu belegt, übersetzt, rehistorisiert und gelesen“, beschreibt Bhabha die Eigenschaften des dritten Raumes wie ständige Interaktion, Vermischung und Polystrukturiertheit (Bhabha 2000: 57).

Die Soziologin Elisabeth Beck-Gernsheim erkennt im deutschsprachigen Raum „immer mehr und schnell wachsende Gruppen, deren grundlegende Erfahrungen anders aufgebaut, nämlich zwischen mehreren Ländern, Kulturen ←11 | 12→und Zentren aufgespannt sind“ (Beck-Gernsheim 2004: 17, Hervorhebung im Original). Das Koordinatensystem ihrer Welt sei Beck-Gernsheim zufolge „transnational“ und versperre sich jedem monokulturellen Blickwinkel der Mehrheitsgesellschaft (s. ebd.). Die Autorin Marica Bodrožić stellt in ähnlichem Tonfall fest: „Die nationalen Identitäten und Koordinaten funktionieren nicht mehr in unserem heutigen Europa und auch nicht in der Welt, in der wir leben“ (zit. nach Braun 2010b: 5).

Das aus dem 19. Jahrhundert stammende Konzept monokultureller Nationalliteratur erweist sich seit den letzten Jahrzehnten als zu eng und unpassend (s. Schmitz-Emans 2004: 235, Sturm-Trigonakis 2007: 17). Für eine ganze Reihe von literarischen Texten bietet es kein adäquates Beschreibungs- bzw. Evaluierungssystem an. Die Komplexität, Zerrissenheit und Universalität der in literarischen Werken entworfenen polykulturellen Identitäten lassen sich mithilfe nationaler Dimensionen kaum erfassen (s. Barilier 2004: 170). Deswegen heißt es für Horst Steinmetz, den bisherigen literaturwissenschaftlichen Modus zu verändern: „Globalisierung muss einen veränderten oder sich verändernden Zustand der Welt meinen, der […] eine neue Literaturgeschichtsschreibung notwendig oder jedenfalls wünschenswert erscheinen lässt“ (Steinmetz 2000: 191).

Dies ist aber keinesfalls als Signal für das Ende eines Nationaldiskurses zu betrachten (s. Fohrmann 2004: 32), denn die Vorstellung von Nationen besteht fort, selbst wenn die Parameter des Nationalen modifiziert werden (s. Huyssen 2003a: 151). Im 2013 publizierten Band „Transatlantische Germanistik. Kontakt, Transfer, Dialogik“ prognostiziert auch Paul Michael Lützeler eine weitere Aufrechterhaltung der Nationalliteraturen. Die unterschiedlichen „Phänomene […] transnationaler Art“ (Lützeler 2013: 190) und die Besonderheit der deutschsprachigen Literatur berücksichtigend (mehrere Nationen mit unterschiedlichen kollektiven Identitätsgeschichten), konstatiert er:

„Das Paradigma Nationalliteratur – ein Ergebnis philologischer Konstruktionen des 19. Jahrhunderts – verliert bei den kulturellen Hybridbildungen im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert an Attraktivität. Trotzdem ist kaum jemand bereit, das Konzept einer Nationalliteratur preiszugeben. So wenig in Europa mit der kontinentalen Integration die Einheiten der Staaten verschwinden werden, so wenig wird sich das Spezifische der Nationalliteraturen in Nichts auflösen“ (ebd.: 191).

Der Akzent soll demnach sein, eine Revision des bestehenden Konzeptes der Nationalliteraturen in Betracht zu ziehen und den Kategorien des Austauschs und der Verschmelzung Vorrang zu geben, damit den Ansprüchen zeitgenössischer Literatur – aber auch denen anderer Disziplinen – gerecht wird.

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Im Hinblick auf die deutschsprachige Literatur spielen in diesem Zusammenhang Autoren2 nichtdeutscher Herkunft eine wichtige Rolle, da die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit ihren Werken eine Refiguration von Variablen des Nationalen präsupponiert: Menschen mit unterschiedlichem kulturellem und ethnischem Hintergrund, so die grundlegende literatursoziologische Annahme der vorliegenden Arbeit, überwinden nationale Grenzen (Glick-Schiller/Basch/Blanc-Szanton 1997: 81) und verbinden „[…] bei ihrer kulturellen Identitätsbildung eine Vielzahl von Elementen unterschiedlicher Herkunft“ (Welsch 2010: 463). Explizit oder implizit integrieren die Literaten nichtdeutscher Herkunft kulturübergreifende Impulse in ihr Schaffen, verändern dadurch die Perspektiven der „heimischen“ Leserschaft und erweitern deren Blickfeld (Stocker 2009: 7). In ihren Werken literarisieren sie „Verflüssigungen, Verwischungen, Verflechtungen, Vernetzungen“ (Iljassova-Morger 2009: 47) der Kulturen. Nicht zuletzt zeugen die von ihnen thematisierten Motive, Figuren und Topoi sowie angewandten narrativen Techniken und Strukturen, welche ebenso auf kulturübergreifende Tendenzen hinweisen, von den Beschränkungen einer homogen erfassten Nationalliteratur.

An dieser Stelle gilt es, die Frage nach der grundsätzlichen Beschäftigung mit biographischen Daten eines Autors zu stellen. In den literaturwissenschaftlichen Studien werden die Biographien zugewanderter Literaten immer wieder in den Blick genommen. Eine Erklärung gibt Bettina Spoerri im 2008 publizierten Artikel „Mobile Grenzen, neue Sprachräume“:

„Ein außerliterarischer Zugang ist es, die Frage nach der geographischen Herkunft, der Migrationsgeneration und der ersten Sprache eines Autors zu stellen. Aber es verhält sich so, dass eine grosse Zahl von Autorinnen und Autoren in der deutschsprachigen Literatur in der Schweiz heute aus Osteuropa stammen: Entweder gehören sie zur ersten Generation, die noch in Mittel- und Osteuropa geboren wurden, oder sie sind Kinder von Immigranten mit dieser geographischen Herkunft. Von Belang sind die biographischen Voraussetzungen der Schriftstellerinnen und Schriftsteller insofern auch für Literatur, als sie das Verhältnis zur Sprache, in der die Autoren schreiben, prägen“ (Spoerri 2008: 200).

Selbstverständlich sind zugewanderte Autoren, welche in ihren Werken eigene Migrationserfahrungen thematisieren, nicht die Ersten, die sich mit Austauschprozessen von Kulturen, Nationen, Regionen und Sprachen in Verbindung ←13 | 14→bringen lassen – man denke nur an Goethe, Rilke oder Thomas Mann, um lediglich einige „deutschmuttersprachige Autoren“ (Previšić 2009: 203) zu nennen, deren Werke als „Medien kultureller Selbstauslegung“ (Bachmann-Medick 1996: 9) fungieren. Transkulturelle literarische Einflüsse sind keine Erscheinung des zwanzigsten Jahrhunderts. Dies exemplifiziert Wiebke Sievers (2012: 223) am Beispiel des westeuropäischen Romans, der sich seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts von Paris und später auch von London aus langsam über die ganze Welt verbreitete – zunächst in den breiteren europäischen Raum, danach in die USA, in die Kolonien und anschließend nach Japan und China. Westeuropäische Literaturformen wurden zu internationalen Normen – sie wurden nachgeahmt und verdrängten dadurch andere Modelle wie zum Beispiel den chinesischen Roman (s. ebd.). Wolfgang Welsch weist darauf hin, dass die Rekonstruktion der japanischen Kultur „ohne Berücksichtigung ihrer Verflechtungen mit der chinesischen, koreanischen, indischen, hellenistischen und der modernen europäischen Kultur“ ganz unmöglich sei (Welsch 2010: 51). Im Spiegel des neuerlich wachsenden Bewusstseins um die Alterität einerseits und Interaktion zwischen „Eigen“ und „Fremd“ andererseits sowie infolge der erhöhten Wahrnehmung von einer hybriden4, polylingualen Literatur werden zugewanderte Künstler als Vorreiter der Ausbreitung einer transkulturellen bzw. transnationalen5 Wirkung verstanden. Sie überwinden Grenzen klassischer Nationalstaaten und verknüpfen zugleich verschiedene Kulturen miteinander. Sie wecken das Bewusstsein dafür, dass es keine fixen nationalen Identitäten gibt und dass unterschiedlichste Gesellschaften miteinander verflochten sind.

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Doch welche Ausdrucksweisen sind bei der Konkretisierung von transnationalen und -regionalen Austauschbeziehungen in den Werken zugewanderter Autoren zu erkennen? Welche Perspektiven werden durch kulturübergreifende Impulse ihrer Texte eröffnet? Wie lassen sich die in den literarischen Werken artikulierten kulturellen Verflechtungen rekonstruieren? In der vorliegenden Studie wird der Versuch unternommen, anhand einer Raumuntersuchung über diese Gedanken zu reflektieren.

In der Studie über die Grundlagen der transkulturellen Kunstvermittlung (2016) verdeutlicht Inga Eremjan die Essenz des Konzeptes:

„Transkulturalität thematisiert Transformationsprozesse, verbunden mit sozialen Beziehungen und Verknüpfungen sowie gegenseitiger Wahrnehmung und wechselseitiger Durchdringung, die sich von territorialen, sozialen, politischen, nationalen und kulturellen Grenzen befreit haben“ (Eremjan 2016: 37).

Laut Eremjan beinhaltet die Transkulturalität „[…] die Vorstellung der Einzelkultur, dekonstruiert diese jedoch und verdeutlicht den Übergang zu einer transkulturellen Form der Kulturen, die sich ‚jenseits‘ des monokulturellen Designs befindet“ (ebd.: 38). Das Konzept plädiert dafür, dass Kulturen jenseits jeglicher binären Kategorien, jenseits des Verhältnisses zwischen Eigen- und Fremdkultur betrachtet werden: „Es entstehen neue Formen der Verzahnung von Eigenem und Fremdem. Der Andere soll als ein Teil der eigenen Kultur oder als Hinweis auf das Fremde in uns selbst anerkannt werden“ (ebd.: 35).

Die Autorin stellt ferner fest, dass hier Gegensätze überwunden und Grenzen überschritten werden, wobei es gleichzeitig zur Bildung von neuen Grenzen kommt, die nun im Dienste einer „kulturellen“ Öffnung stehen. Sie erklärt:

„Daher bringt Entgrenzung ebenfalls neue Grenzen hervor, die quer durch nationale und kulturelle Einheiten hindurchschließen und macht kulturelle Differenzen sichtbar, erfahrbar und eröffnet Möglichkeiten, an der Konstruktion kultureller Differenzen aktiv teilzuhaben“ (ebd.: 36).

Das Konzept der „Transkulturalität“ wurde im deutschsprachigen Raum zunächst durch die Schriften des Jenaer Philosophen Wolfgang Welsch in die Diskussion eingebracht. Welsch geht von der These aus, dass Kulturen durch Verflechtungen und Gemeinsamkeiten und keinesfalls durch klare Abgrenzung voneinander gekennzeichnet sind (Welsch 2010: 42, Hervorhebung von M. G.). Die Komplexität wird laut Welsch von dieser Makroebene auf die Identitätsstruktur der Individuen übertragen. Das „Ich“ wird fragmentiert bzw. hybridisiert: Es weist gleichzeitig auf mehrfache kulturelle Prägungen hin (Welsch 2010: 45).

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Seit seinem Erscheinen im Jahre 1992 wurde Welschs Ansatz einer umfassenden Kritik unterzogen. Der erste Punkt, auf welchen Kritiker immer wieder zurückgreifen, bezieht sich auf den Widerspruch, den das Konzept in sich trägt: Es weise auf die Auflösung von traditionellen Monokulturen hin, setze aber deren Existenz und sogar deren Fortdauern voraus (Welsch 2000: 341). Welsch erklärt dies durch eine doppelte Operationalisierbarkeit der Übergangsphase, nach welcher Kulturen „transkulturell“ verstanden werden (Iljassova-Morger 2009: 41): Die Einzelkulturen (daher auch die Nationalliteraturen) verschwinden nicht; sie existieren weiter und übernehmen die Rolle eines „Reservoirs“ für neue „Netze“ (Welsch 2000: 341).

Ferner wurde Welsch der Anspruch auf absolute Gültigkeit (Mall 1995: 8), der Rückgriff auf das traditionelle Kulturkonzept sowie eine übertriebene Vereinfachung des Herder’schen Kulturbegriffs (Kramer 1999: 13f., Drechsel 1999: 181), das Außerachtlassen von Kulturtheorien der letzten Jahrzehnte (Blum-Barth 2016: 116), der nachlässige Umgang mit kulturellen Differenzen (Drechsel 1999: 186, Kramer 1999: 14) sowie das Verständnis von der Interkulturalität als konkurrierende Form zur Transkulturalität (Fornet-Betancourt 1998: 16) moniert.

In ihrem Beitrag „Transkulturalität als Herausforderung“ fasst Olga Iljassova-Morger die Schwachstellen dieses Konzepts zusammen und betont, dass die Kritik an vielen Stellen gerechtfertigt ist (Iljassova-Morger 2009: 37–46). Sich an die Meinung von Raúl Fornet-Betancourt (1998: 16) anlehnend, behauptet sie, dass sich die Konzepte der Interkulturalität und der Transkulturalität in der Literaturwissenschaft als keinesfalls einander ausschließende, sondern nur als einander ergänzende Strukturen erschließen (Iljassova-Morger 2009: 46, s. dazu auch Schulze-Engler 2006: 41). Sie stimmt zu, dass eine universelle Gültigkeit heutzutage nicht beansprucht werden kann (ebd.: 41), weist aber darauf hin, dass man transkulturelle „Züge praktisch in allen Lebensbereichen findet“ (ebd., 42, Hervorhebung im Original). Welschs simplifizierte Interpretation des Herder’schen Kulturkonzepts erklärt sie durch technische Gründe, durch welche das Konzept prägnanter profiliert wird (Iljassova-Morger 2009: 39, Fußnote 4).

Die Literaturwissenschaftlerin nennt im Folgenden die Pluspunkte des Konzepts. Sie hebt die Vereinheitlichungs- und Partikularisierungstendenzen des Konzepts und seine ergiebige Anwendung sowohl auf der globalen als auch auf der lokalen Ebene hervor (ebd.: 40). Im Unterschied zu den anderen Konzepten werden laut Iljassova-Morger in diesem Ansatz „unterschiedliche Kulturelemente als integrativer Teil eines komplexen, fluiden Netzwerks mit verschieden gerichteten, nicht kontinuierlichen Strömungen und Transfers“ erfasst (ebd.: 47).

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Für eine andere Literaturwissenschaftlerin, Theresa Specht, steht diese transkulturell angelegte Vorstellung von Netzwerken im engen Zusammenhang mit den Ideen der Mehrdeutigkeit und Unermesslichkeit (Specht 2011: 45)6.

Olga Iljassova-Morger unterstreicht ferner die Strukturiertheit des Konzeptes und fasst zusammen:

Details

Seiten
284
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631779828
ISBN (ePUB)
9783631779835
ISBN (MOBI)
9783631779842
ISBN (Hardcover)
9783631775714
DOI
10.3726/b15189
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (März)
Schlagworte
Saša Stanišić Ilija Trojanow Raum Migration Raumdarstellung Southeastern Turn Cătălin Dorian Florescu Marica Bodrožić
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien. 2019. 284 S.

Biographische Angaben

Milica Grujičić (Autor:in)

Milica Grujičić war Stipendiatin des DFG-Graduiertenkollegs 1412 „Kulturelle Orientierungen und gesellschaftliche Ordnungsstrukturen in Südosteuropa" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Im Dezember 2017 erfolgte ihre Promotion. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen komparatistische Fragestellungen und migrationsbezogene Literatur.

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