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Transformatives Lernen im Erwachsenenalter

Kritische Überlegungen zur Theorie Jack Mezirows

von Saskia Eschenbacher (Autor:in)
©2018 Dissertation 344 Seiten

Zusammenfassung

Die Beschäftigung mit der Theorie Transformativen Lernens ist nicht nur deshalb lohnenswert, weil sie existenzielle Veränderungsprozesse Erwachsener adressiert. Sie fundiert diese auch theoretisch im Kontext der Erwachsenenbildung und macht sie einer empirischen Erforschung zugänglich. Ihre aktuelle Diskussionslage ist jedoch in Teilen defizitär. Dieses Buch konstruiert systematisch kritisch Begrifflichkeiten, theoretische Konstrukte und Grundannahmen der Theorie nach Mezirow für den deutschsprachigen Leserkreis. Der Fokus liegt hierbei auf Mezirows Rezeption der Arbeiten von Habermas. Die Autorin legt Inkonsistenzen und Widersprüche frei, identifiziert dem Ansatz inhärente Leerstellen und arbeitet Möglichkeiten einer Weiterentwicklung Transformativen Lernens heraus.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • 1. Grundsätzliche Vorüberlegungen
  • 2. Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit
  • 3. Methodisches Vorgehen
  • 4. Aufbau der Arbeit
  • II. Transformative Learning Theory: Eine kritische Rekonstruktion
  • 1. Genealogische Vorüberlegungen
  • 2. Kernelemente der Theorie des Transformativen Lernens – Eine kritische Rekonstruktion
  • 2.1 Eine Annäherung an den Begriff des Lernens bei Mezirow
  • 2.2 Transformatives Lernen als Lernen im Erwachsenenalter
  • 2.3 Die Rezeption der Ideen von Habermas im Kontext transformativen Lernens
  • 2.3.1 Rationalität und kritische (Selbst-)Reflexion
  • 2.3.2 Erkenntnisinteressen und Domains of Learning
  • 2.3.3 Der Reflective Discourse als Ort transformativen Lernens
  • 2.4 Meaning Structures: Schemes and Perspectives
  • 2.5 Die Perspektiventransformation
  • 2.5.1 Lernen als Transformation: Vorüberlegungen
  • 2.5.2 Verfälschte (Grund-)Annahmen – Oder die Antwort auf die Frage nach dem Gegenstand der Transformation
  • 2.5.3 Phasen der Transformation
  • 2.5.4 Kritische Reflexion
  • 2.5.5 Formen der Reflexion
  • 3. Zwischen Lernen im Erwachsenenalter und Mezirows Philosophy of Adult Education
  • 4. (Alternative) Theoretische Zugänge zum Phänomen transformativen Lernens
  • III. Die Rezeption der Theorie Transformativen Lernens: Theoretische Perspektiven, Kontexte erwachsenenpädagogischer Praxis und Methoden sowie Haltung(en)
  • 1. Theoretische Perspektiven, entwickelt zwischen Innen- und Außenperspektive
  • 2. Zwischen Einblick und Überblick: Kontexte erwachsenenpädagogischer Praxis
  • 2.1 Higher Education als Ort der Erwachsenenbildung
  • 2.2 Zwischen Verortung und Zieldimension: Community als Ort der Erwachsenenbildung und Social Action als Zieldimension von Veränderungsprozessen
  • 2.3 Zwischen Idee und Wirklichkeit, oder: Der Kontext bestimmt das Verhalten – Transformationsprozesse im Rahmen von Workplace Education
  • 3. Methoden – Oder eine Handlungsanleitung für transformatives Lernen
  • 4. Teaching for Change – Eine Frage der Haltung?
  • IV. Standortbestimmung: zwischen Kritik und Weiterentwicklung
  • 1. Die 1980er-Jahre: zwischen Aufbruch und Ankunft
  • 1.1 Kritische Auseinandersetzung
  • 1.2 Entgegnung
  • 1.3 Standortbestimmung
  • 2. Die 1990er-Jahre: zwischen Bewegung und Standortbestimmung
  • 2.1 Kritische Auseinandersetzung und Entgegnung
  • 2.2 Standortbestimmung zwischen Theorie und Empirie
  • 3. Die 2000er-Jahre: eine Theorie in der Entwicklung?
  • 3.1 Neue Schwerpunkte: eine Kritik, die sich weiterentwickelt, um über sich hinaus zu wachsen
  • 3.2 Standortbestimmung: zwischen Tradition und Innovation
  • V. Kursbestimmung: Forschungsdesiderate und Koordinaten einer sinnvollen Weiterentwicklung
  • 1. Deutsche Debatte: Rezeption und Ertrag der Theorie Transformativen Lernens
  • 2. Transkontinentale Debatte(n): eine Begegnung verschiedener Ansätze und Forschungsperspektiven
  • 3. Möglichkeiten und Grenzen der Implementierung der Ideen von Habermas im Kontext der Theorie Transformativen Lernens
  • VI. Bilanz und Perspektiven
  • Literatur
  • Reihenübersicht

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I.  Einleitung

1.  Grundsätzliche Vorüberlegungen

Der Ansatz des transformativen Lernens lässt sich als genuin erwachsenenpädagogisch respektive andragogisch in die nordamerikanische Theoriedebatte einordnen (Mezirow, 1991c) und gilt als der am meisten diskutierte und beforschte Ansatz im Feld der Erwachsenenbildung (Taylor, 2007, S. 173). Die Besonderheit dieser Theorie des Lernens im Erwachsenenalter ergibt sich aus deren transformativer Dimension. Sie adressiert existenzielle Veränderungsprozesse Erwachsener und entwirft eine Antwortmöglichkeit auf die Frage nach einer möglichen Umarbeitung von Krisen in Chancen im Kontext der Erwachsenenbildung. Transformatives Lernen betont die Freiheit und Möglichkeit des Menschen, sich selbst und die den Menschen umgebende Welt anders wahrzunehmen und in ihr zu leben, sie betont das emanzipatorische Potenzial, die Möglichkeit, die zur Wirklichkeit werden kann. Eine Beschäftigung mit der Theorie Transformativen Lernens ist nicht nur deshalb lohnenswert, weil sie uns Möglichkeiten eröffnet, die uns einengenden (Denk-)Gewohnheiten zu verlassen und zu überschreiten, sondern auch deshalb, weil die Theorie Transformativen Lernens im Kontext der Erwachsenenbildung insbesondere aufgrund der Erklärungskraft einer zentralen Dimension des Lernens Erwachsener die grundlegende, existenzielle Veränderungs- und Transformationsprozesse theoretisch fundiert und einer empirischen Erforschung zugänglich macht. Die Theorie ist in ihrem Selbstverständnis eine Theory in Progress (Mezirow, 2000a), sie hält sich die Möglichkeiten der Weiterentwicklung offen.

Gemessen an diesem Wesensmerkmal, dem ein gewisser Anspruch inhärent ist, ist die Diskussionslage der Theorie Transformativen Lernens allerdings defizitär. Ein Großteil der Forschung ist redundant, während der Notwendigkeit einer tief greifenden theoretischen Analyse und kritisch-reflexiven Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten, theoretischen Konstrukten und Grundannahmen nicht begegnet wird (Cranton & Taylor, 2012, S. 12).

Die vorliegende Arbeit1 widmet sich diesem Problem in mehrfacher Hinsicht. Sie folgt einem systematischen Erkenntnisinteresse und rekonstruiert die ← 11 | 12 → Theorie, die Mezirow vorgelegt hat, entlang zentraler Begrifflichkeiten, theoretischer Konstrukte und ihrer Grundannahmen in kritischer Perspektive. Sie schließt darüber hinaus die Rezeption der Theorie Transformativen Lernens sowie die kritische Auseinandersetzung in diese Analyse mit ein. Um eine theoretische Weiterentwicklung zu ermöglichen, müssen die der Theorie inhärenten Leerstellen identifiziert werden.

Die vorliegende Arbeit ermöglicht diese Theorieentwicklung dadurch, dass die Theorie, wie Mezirow sie vorgelegt hat, einerseits systematisch kritisch rekonstruiert wird und gleichzeitig der Theorie inhärente Leerstellen aufgezeigt werden, um Möglichkeiten für eine theoretische Weiterentwicklung herauszuarbeiten. Eine dieser Schwächen wurde bereits in den späten 1980er-Jahren von Collard und Law (1989) formuliert. Die Autor*innen setzen sich vor allem damit auseinander, wie Mezirow die Ideen von Habermas2 (1971, 1984a) verwendet hat, auf denen die Theorie Transformativen Lernens wesentlich ruht. Die Fragen und Kritikpunkte, die sie aufwerfen, erfahren jedoch kein Echo in der internationalen Debatte und werden auch von Mezirow selbst nicht aufgegriffen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird darüber hinaus der Nachweis zu führen sein, dass die Rezeption der Ideen von Habermas (1971, 1984a) verkürzt und ungenau erfolgt ist. Die daraus resultierenden Inkonsistenzen und Widersprüche wurden bislang nicht adressiert, im Gegenteil, sie blieben bestehen und haben die letzten Jahrzehnte einer kritischen Auseinandersetzung unbemerkt überdauert. Daraus ergibt sich ein Grund für die Stagnation in der Theorieentwicklung.

Eine weitere Dimension des Problems ergibt sich für den deutschsprachigen Leserkreis. Bislang fehlt eine systematische Erschließung der Theorie Transformativen Lernens für die deutsche Debatte, die über das Erscheinen der Übersetzung der Monografie (1991c) “Transformative Dimensions of Adult Learning” 1997 unter dem Titel „Transformative Erwachsenenbildung“ hinaus geht. Um eine Weiterentwicklung auch in Auseinandersetzung mit deutschen Traditionsbegriffen wie Bildung und Theorien zu ermöglichen, ist ein systematischer Überblick über die wichtigen Stränge und Phasen der Rezeptionsgeschichte für die deutsche Erwachsenenbildung und deren kritische Rekonstruktion notwendig. ← 12 | 13 →

2.  Fragestellung und Zielsetzung der Arbeit

Die vorliegende Arbeit folgt einem systematischen Erkenntnisinteresse (Klafki, 1971). Die Fragestellung ergibt sich aus den transformativen Dimensionen des Lernens Erwachsener und nimmt das Problem der Perspektiventransformation im Rahmen der Theorie Transformativen Lernens, wie Mezirow sie vorgelegt hat, in den Blick. Gefragt wird zunächst nach dem Phänomen, das als transformatives Lernen beschrieben wird, nach dessen theoretischen Begrifflichkeiten und Grundannahmen. Gefragt wird dabei nach etwaigen Leerstellen respektive der Theorie inhärenten Schwachstellen, während gleichzeitig Möglichkeiten einer theoretischen Weiterentwicklung freigelegt werden. Die Frage nach transformativen Lernprozessen im Erwachsenenalter wird nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch aufgeworfen, allerdings immer im Rahmen einer theoretischen Rückbindung. Zentral ist hierbei die Frage, wie die Theorie Transformativen Lernens respektive Elemente dieser ihren Niederschlag kontextübergreifend (auch) in der Praxis gefunden hat, wie diese im Sinne einer Handlungsanleitung methodisch umzusetzen versucht wird und welche speziellen Anforderungen mit der Implementierung dieser Theorie in der Praxis einhergehen, insofern diese bestehen. Gefragt wird danach, wie sich theoretische Elemente respektive Dimensionen transformativen Lernens in der Praxis zeigen. Eingeschlossen ist auch die Frage danach, welche Theorieelemente kritisch diskutiert wurden, welche Aspekte von Mezirow selbst aufgenommen wurden und der Theorieentwicklung dienlich waren, welche nicht adressiert wurden (vor allem hinsichtlich der Implementierung der Ideen von Habermas) oder zurückgewiesen wurden. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit adressiert insbesondere die Kritikpunkte, die bis heute bestehen und Leerstellen innerhalb der Theorie bilden. Die Fragestellung der Arbeit geht über die nordamerikanische Debatte hinaus und bezieht die europäische, insbesondere die transkontinentale Debatte mit ein und fragt explizit nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden transformativer Dimensionen innerhalb verschiedener theoretischer Ansätze. Die Fragestellung wurde im Kontext einer hermeneutischen Herangehensweise (Klafki, 1971) erweitert und adressiert nicht nur transformative Dimensionen des Lernens im Erwachsenenalter im Kontext der Theorie, die Mezirow vorgelegt hat, sondern exploriert Möglichkeiten und Grenzen der Implementierung der Arbeiten von Habermas (1973, 1981a, 1981b) innerhalb der Theorie Transformativen Lernens.

Aus der Fragestellung der vorliegenden Arbeit ergibt sich gleichermaßen deren Zielsetzung. Mezirows Theorie soll erstmals für den deutschsprachigen Leserkreis systematisch erschlossen werden. Dies beinhaltet eine kritische Rekonstruktion der Begriffe und Grundannahmen, die für das Verständnis der ← 13 | 14 → Theorie wesentlich sind. Hierzu werden neben den Arbeiten von Mezirow wichtige Beiträge ausgewertet, die sich seit dem Zeitpunkt ihrer Entstehung dieser bis heute kritisch widmen. Die Rezeptionsgeschichte wird ebenfalls kategorisiert und systematisch erschlossen.

Insgesamt werden systematisch der Theorie inhärente Schwach- respektive Leerstellen identifiziert und Möglichkeiten für deren Weiterentwicklung freigelegt. Im Zuge dessen wird mehrfach eine Standortbestimmung vorgenommen, von der aus die Theorie weiterentwickelt werden kann. Darüber hinaus wird der Nachweis einer ungenauen und verkürzten Rezeption der Arbeiten von Habermas im Rahmen der Theorie Transformativen Lernens geführt. In einem zweiten Schritt das freigelegte Desiderat adressiert, indem unter Hinzunahme der Primärtexte (von Habermas) die Ausführungen von Mezirow erweitert und ergänzt werden.

Sowohl aus der kritischen Rekonstruktion der Theorie Transformativen Lernens selbst wie auch der Rezeption von Habermas innerhalb der Theorie, die Mezirow vorgelegt hat, werden zentrale Probleme und Herausforderungen herausgearbeitet und im Anschluss daran weitere Forschungsfragen formuliert. Durch eine hermeneutische Analyse der vorliegenden, sehr heterogenen Literatur soll ein vertieftes Verständnis der Theorie ermöglicht und damit deren Weiterentwicklung forciert werden.

3.  Methodisches Vorgehen

Um eine systematische, kritische Rekonstruktion der Theorie Transformativen Lernens in ihren Begrifflichkeiten und Grundannahmen zu leisten und darüber hinaus den Nachweis einer verkürzten und ungenauen Rezeption der Arbeiten von Habermas in der Theorie Transformativen Lernens zu führen, sodass zentrale Probleme und Herausforderungen benannt und weitere Forschungsfragen formuliert werden, die zu einer Theorieentwicklung beitragen können, bedient sich die vorliegende Arbeit dem hermeneutischen Verfahren, das in einem weiten Sinne verstanden wird (Klafki, 1971, S. 126). Analysiert werden hierbei die Texte und Arbeiten, die Mezirow im Rahmen seiner Forschung zu transformativem Lernen vorgelegt hat. Darüber hinaus werden die Texte analysiert, die die Rezeption seiner Konzeption transformativen Lernens veranschaulichen und ihrerseits systematisiert und kategorisiert werden, die kritischen Stellungnahmen mit eingeschlossen. Die vorliegende Arbeit verfolgt dabei ein primär systematisches Erkenntnisinteresse (Klafki, 1971, S. 129). Die hermeneutische Vorgehensweise orientiert sich hierbei an den elf methodologischen Grunderkenntnissen, die Klafki bestimmt hat (Klafki, 1971, S. 134–153). Diese werden ← 14 | 15 → der Reihe nach kurz skizziert und mit Hinweisen versehen, wie sich diese im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zeigen. Ausgewählt werden hierbei jedoch nur einzelne Aspekte, die als beispielhaft für das hermeneutische Vorgehen angesehen werden können.

Eine erste methodologische Grunderkenntnis beschreibt die vorgängige Fragestellung (Klafki, 1971, S. 137), die sich im Rahmen der vorliegenden Arbeit in den transformativen Dimensionen des Lernens Erwachsener ausdrückt, damit verbunden ist ein Vorverständnis, das diese Dimensionen als zentral für die Erwachsenenbildung ansieht. Die zugrunde liegenden Texte werden auf Leerstellen und inhärente Schwachstellen untersucht, während gleichzeitig Möglichkeiten einer Weiterentwicklung herausgearbeitet werden.

Im Zuge der zweiten methodologischen Grunderkenntnis kann durch die Analyse eines Textes die anfängliche Fragestellung verändert werden, woraufhin die vorgängige Fragestellung überprüft werden muss (Klafki, 1971, S. 137–138). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist dies insofern erfolgt, als dass sich eine zweite Fragestellung ergeben hat, die die erste ergänzt. Gefragt wird auch nach der Rezeption der Arbeiten von Habermas durch Mezirow im Rahmen der Theorie Transformativen Lernens, die daraufhin neu analysiert werden muss.

Im Rahmen der Quellen- bzw. Textkritik wird im Zuge der dritten methodologischen Grunderkenntnis die Arbeit mit sogenannten kritischen Ausgaben gefordert, die in ihrer ursprünglichen Form vorliegen (Klafki, 1971, S. 139). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird ausschließlich mit Quellen gearbeitet, die von Mezirow selbst verfasst wurden. Darüber hinaus werden die Veränderungen, die Mezirow vorgenommen hat, nicht nur in seinen Arbeiten nachgezeichnet, sondern seine Reflexion auf diese Veränderungen wird ebenfalls aufgegriffen und diskutiert. Gleiches gilt für andere Quellen, auf die zurückgegriffen wird.

Eine vierte methodologische Grunderkenntnis befasst sich mit dem semantischen Aspekt (Klafki, 1971, S. 141–142). Im Rahmen der Arbeit wird dieser Aspekt stets mit berücksichtigt. Es wird explizit nach der Bedeutung einzelner Worte, die für das Verständnis der Theorie von zentraler Bedeutung sind, gefragt, wie etwa dem Begriff des Lernens, des transformativen Lernens, der Reflexion oder des Diskurses, um nur einige wenige zu nennen.

Die Theorie Transformativen Lernens wird als Stellungnahme im Zusammenhang mit Kontroversen (in diesem Fall dem vorherrschenden Paradigma in der Erwachsenenbildung zu der Zeit der Entstehung der Theorie) entwickelt, die Theorie ergreift gewissermaßen Partei (in diesem Fall für kommunikatives Lernen und der emanzipatorischen Dimension des Lernens) und kann als Ausdruck eines praktischen Engagements nur verstanden werden, wenn auch über ← 15 | 16 → Lernen gesprochen wird, das nicht transformativ ist (etwa in Abgrenzung zum formativen Lernen, das in Kindheit und Jugend verortet wird, im Gegensatz zum Lernen im Erwachsenenalter). Auf einer höheren Abstraktionsebene tritt diese fünfte methodologische Grunderkenntnis (Klafki, 1971, S. 142–144) zum Vorschein, wenn die verschiedenen theoretischen Zugänge innerhalb transformativen Lernens (vier respektive acht theoretische Zugänge) skizziert und anhand ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert werden. Durch diese Abgrenzung wird der rationale Zugang, den Mezirow gewählt hat, deutlicher.

In Bezug auf die sechste methodologische Grunderkenntnis lesen wir bei Klafki Folgendes: „Zur Interpretation eines einzelnen Textes ist es häufig notwendig, über den immanenten Zusammenhang hinauszugehen und weitere Quellen hinzuzuziehen“ (Klafki, 1971, S. 145). Dies betrifft in besonderem Maße die Rezeption der Ideen von Habermas durch Mezirow, die nur unter dem Rückgriff auf die Primärquelle (in diesem Fall die Schriften von Habermas) interpretiert und eingeordnet werden können. Nur so können auch eine Anreicherung der ursprünglichen Texte im Kontext des Theoriegebäudes unter Rückgriff auf die Primärquelle (Habermas) erfolgen und wiederum das Verständnis für die Theorie Transformativen Lernens erweitert werden. Klafki verweist jedoch auch auf den umgekehrten Fall, wenn die „textimmanenten Informationen zur Klärung textübergreifender Zusammenhänge beitragen können“ (Klafki, 1971, S. 145), beispielsweise, wenn es um die Frage nach der Unterscheidung von transformativen Lernprozessen und Lernprozessen generell geht. Klafki geht weiter davon aus, dass „prinzipiell von einem Verhältnis wechselseitiger Erklärung textimmanenter und textübergreifender Zusammenhänge“ (Klafki, 1971, S. 145) auszugehen ist. Dieses wechselseitige Verhältnis zeigt seine besondere Bedeutung wieder hinsichtlich des Rückgriffs auf die Arbeiten von Habermas durch Mezirow im Rahmen der Theorie Transformativen Lernens. Auf dieses wechselseitige Verhältnis wird auch im Laufe der Arbeit immer wieder Bezug genommen.

Eine siebte methodologische Grunderkenntnis widmet sich der Ermittlung des Argumentationszusammenhanges eines Textes und stellt die syntaktischen Mittel in den Fokus (Klafki, 1971, S. 145–146). Der Aspekt der Syntax wird vor allem im Rahmen der kritischen Auseinandersetzung innerhalb der Debatte um das transformative Lernen berücksichtigt.

Die achte methodologische Grunderkenntnis adressiert die gedankliche Gliederung der Texte in Hauptthesen, Begründungen, Nebengedanken und Exkurse (Klafki, 1971, S. 146–148), um nur einige zu nennen. Diese verschiedenen Aspekte sollen voneinander abgehoben werden und ihren Niederschlag in einem ← 16 | 17 → differenzierten Gliederungsschema finden. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurden diese verschiedenen Ebenen aufgegriffen und so weit wie möglich kenntlich gemacht. Abhängig von der Stellung, die Mezirow diesen Aspekten beigemessen hat, werden seine Hauptthesen entsprechend ausführlicher rekonstruiert und diskutiert als etwaige Nebengedanken oder Diskurse. Sein Gliederungsschema findet explizit in der Struktur der vorliegenden Arbeit eine entsprechende Berücksichtigung.

Im Rahmen einer weiteren, der neunten methodologischen Grunderkenntnis adressiert Klafki das Kriterium der logischen Folgerichtigkeit und inneren Widerspruchsfreiheit innerhalb der des Analysegegenstandes (Klafki, 1971, S. 149). Er hebt weiter den Gesichtspunkt der logischen Stringenz hervor und betont die Notwendigkeit, Folgerungen und Begründungen kritisch zu rekonstruieren, und die Möglichkeit logischer Fehler mitzudenken (Klafki, 1971, S. 149). Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden diese Aspekte vor allem in Zusammenhang mit der Rezeption der Arbeiten von Habermas in der Theorie, die Mezirow vorgelegt hat, aufgegriffen. Unter anderem hinsichtlich der Bezugnahme auf die verschiedenen domains of learning (Mezirow) respektive Erkenntnisinteressen (Habermas) oder den Diskurs, der für Ziele der privaten Vervollkommnung respektive der individuellen Persönlichkeitsentwicklung nur bedingt geeignet erscheint, vor allem in Anbetracht des Erkenntnisinteresses, das Habermas selbst verfolgt.

Die vorletzte methodologische Grunderkenntnis hebt auf die Interpretation ab, die sich im hermeneutischen Zirkel respektive der „hermeneutischen Spirale“ (Klafki, 1971, S. 150) bewegt. Einzelne Aussagen respektive Theorieelemente werden im Kontext größerer Aussagenzusammenhänge ausgelegt, gleichzeitig können Letztere nicht ohne die Einzelelemente verstanden werden (Klafki, 1971, S. 150). Dies zeigt sich vielfach im Rahmen der vorliegenden Arbeiten. So kann beispielsweise transformatives Lernen nicht ohne die Bezugnahme auf die Arbeiten von Habermas verstanden werden oder ohne die Abgrenzung zu anderen Lernprozessen. Die Theorie Transformativen Lernens kann weiterhin kaum ohne deren Rezeption oder Kritik verstanden werden, die ihrerseits wiederum auf das Verständnis von der Theorie zurückwirkt. Gleiches gilt für die Entstehungssituation und das Erkenntnisinteresse der Theorie oder der Spezifik des theoretischen Zugangs, den Mezirow gewählt hat und der im Kontext dieser verstanden werden muss. Hier zeigt sich ein wechselseitiger Erläuterungsvorgang zwischen den Theorieelementen einerseits und den größeren Zusammenhängen und der Fragestellung der konkreten Textanalyse andererseits. ← 17 | 18 →

In einer letzten methodologischen Grunderkenntnis verweist Klafki auf die Notwendigkeit der ideologiekritischen Frage, die den Zusammenhang von gesellschaftlicher Lage und Bewusstsein adressiert (Klafki, 1971, S. 150–153). Diese zeigt sich etwa in dem rationalen Zugang, den Mezirow wählt, oder dem Seminar an der Universität, das er als Beispiel einer idealen Sprechsituation anführt. Auch im Rahmen der Kritik muss laut Klafki diese Frage reflektiert werden (Klafki, 1971, S. 153). Diese Zusammenhänge lassen sich beispielsweise hinsichtlich verschiedener anderer theoretischer Zugänge aufzeigen, die sich in Abgrenzung zu der Theorie Transformativen Lernens, wie Mezirow sie vorgelegt hat, entwickelt haben.

Die vorliegende Arbeit folgt, wie ausführlich dargestellt wurde, den Prinzipien der hermeneutischen Methode (Klafki, 1971, S. 153).

4.  Aufbau der Arbeit

Nachdem bereits eine begrifflich definitorische Annäherung an das Phänomen transformativen Lernens und dessen Zieldimension erfolgt ist, wurde außerdem begründet, warum eine Beschäftigung mit der Theorie Transformativen Lernens nicht nur lohnend, sondern auch notwendig ist. Im Zuge dessen wurden einige Dimensionen des Problems skizziert. Darüber hinaus wurden die Fragestellung und die Zielsetzung der Arbeit thematisiert und das methodische Vorgehen dargelegt. Abschließend soll nun im Sinne der Leser*innenführung die Vorgehensweise anhand der Struktur der Arbeit kurz skizziert werden.

Details

Seiten
344
Jahr
2018
ISBN (PDF)
9783631768068
ISBN (ePUB)
9783631768075
ISBN (MOBI)
9783631768082
ISBN (Hardcover)
9783631768020
DOI
10.3726/b14755
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2018 (November)
Schlagworte
Transformative Learning Theory Perspektiventransformation Transkontinentale Debatte Kritische Rekonstruktion Jürgen Habermas
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 341 S.

Biographische Angaben

Saskia Eschenbacher (Autor:in)

Saskia Eschenbacher forscht und lehrt seit mehreren Jahren als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Erwachsenenbildung, zunächst an der Universität Augsburg und derzeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Sie ist Systemische Einzel-, Paar- und Familientherapeutin (SG) mit Weiterbildungen im Bereich Systemische Sexualtherapie (IGST) und Klinische Hypnotherapie (MEG).

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