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Die Vorsorgevollmacht in der Personengesellschaft

Eine gesellschaftsrechtliche Betrachtung unter besonderer Berücksichtigung des Abspaltungsverbots

von Julius Busold (Autor:in)
©2019 Dissertation 162 Seiten

Zusammenfassung

Weder die Betreuungsbedürftigkeit noch die Geschäftsunfähigkeit eines Gesellschafters führen zu seinem Ausschluss aus der Personengesellschaft. Um die Bestellung eines Betreuers zu vermeiden, werden vermehrt Vorsorgevollmachten verwendet. Der Autor beschäftigt sich mit der Vereinbarkeit dieser – mit Eintritt der Geschäftsunfähigkeit – faktisch unwiderruflichen Vollmachten mit den personengesellschaftsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere mit dem Abspaltungsverbot. Hierzu werden Vergleiche zu anderen Fällen der Fremdverwaltung von Gesellschafterrechten, wie der Betreuung und der Testamentsvollstreckung, gezogen. Damit ein Vorsorgebevollmächtigter aber sämtliche Gesellschafterrechte ausüben kann, ist die Zustimmung aller Mitgesellschafter erforderlich.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Herausgeberangaben
  • Ãœber das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • A. Einleitung
  • I. Gang der Darstellung
  • II. Definition Vorsorgevollmacht
  • 1. Bedingungsfrei erteilte Vollmacht
  • 2. Formfragen
  • B. Vergleichsfälle: Fremdverwaltung von Gesellschaftsanteilen und Abspaltungsverbot
  • I. Abspaltungsverbot
  • II. Ausübung von Gesellschafterrechten durch Dritte
  • 1. Ein Abspaltungsproblem?
  • 2. Gewöhnliche Vollmachten
  • 3. Testamentsvollstreckung
  • 4. Nießbrauch
  • 5. Treuhand
  • 6. Zwischenfazit
  • III. Ausübung von Gesellschafterrechten durch gesetzliche Vertreter
  • 1. Minderjährige Gesellschafter
  • 2. Betreuungsbedürftige Gesellschafter
  • 3. Zwischenfazit
  • IV. Ausübung von Gesellschafterrechten durch Mitgesellschafter
  • 1. Stimmbindungsverträge
  • 2. Vertreterklauseln bei obligatorischer Gruppenvertretung
  • 3. Zwischenfazit
  • V. Zusammenfassung
  • C. Folgerungen für die Vorsorgevollmacht; Vereinbarkeit mit dem Abspaltungsverbot
  • I. Vergleichbarkeit
  • II. Meinungsstand
  • III. Exkurs: Widerruf der Vorsorgevollmacht
  • 1. Durch den Vollmachtgeber
  • 2. Durch einen Kontrollbetreuer
  • 3. Durch einen Betreuer
  • 4. Durch das Betreuungsgericht
  • 5. Zwischenfazit
  • 6. Stellungnahme
  • IV. Vereinbarkeit mit dem Abspaltungsverbot; Stellungnahme
  • V. These: unwiderrufliche Vollmachten mit Abspaltungsverbot vereinbar
  • 1. „Loswerden“ gesetzlicher Vertreter
  • 2. Widerruf unwiderruflicher Vollmachten
  • 3. Zwischenfazit
  • VI. Die Zustimmung der Mitgesellschafter
  • 1. Zustimmungserfordernis
  • 2. Folgen fehlender Zustimmung
  • 3. Dogmatische Begründung des Zustimmungserfordernisses
  • 4. Konkludente Zustimmung
  • 5. Zustimmungspflicht
  • 6. Zwischenfazit
  • VII. Zusammenfassung
  • D. Ausgestaltung des Innenverhältnisses
  • I. Das Innenverhältnis
  • II. Regelungsort
  • III. Gestaltungsvorschläge
  • 1. Spannungsfelder bei der Gestaltung
  • 2. Auflistung einzelner Befugnisse
  • IV. Zusammenfassung
  • E. Zusammenfassung der Arbeit in Thesenform
  • I. Ausgangssituation: die Vorsorgevollmacht eines Gesellschafters
  • II. Abspaltungsverbot: Hindernis für die Erteilung einer Vorsorgevollmacht?
  • III. Fremdverwaltung von Gesellschafterrechten in Personengesellschaften
  • IV. Faktische Unwiderruflichkeit der Vorsorgevollmacht
  • V. Vereinbarkeit der Vorsorgevollmacht mit dem Abspaltungsverbot
  • VI. Auch unwiderrufliche Vollmachten mit Abspaltungsverbot vereinbar
  • VII. Zustimmungserfordernis und Zustimmungspflicht
  • VIII. Das Innenverhältnis
  • Literaturverzeichnis

←8 | 9→

A. Einleitung

Die demographische Entwicklung ist geprägt durch die Alterung der Gesellschaft.1 Die Auswirkungen dieser Entwicklung treffen viele Bereiche des Lebens, auch die anwaltliche und notarielle Gestaltungspraxis. Hierbei werden die Steigerung der Lebenserwartung und ihre Wechselwirkung auf die Vertragsgestaltung zukünftig noch stärker zu berücksichtigen sein als bisher. Dies gilt insbesondere für Unternehmensübertragungen, die Gestaltung von Gesellschaftsverträgen und den Umgang mit betreuungsbedürftigen oder geschäftsunfähigen Gesellschaftern.2

Insbesondere die Frage nach dem Umgang mit betreuungsbedürftigen oder geschäftsunfähigen Gesellschaftern besitzt eine große praktische Relevanz. Denn dies betrifft nicht nur den älter werden Gesellschafter selbst, sondern wirkt sich auch auf seine Erben, die Mitgesellschafter und die Gesellschaft, und damit mittelbar auch auf die dortigen Arbeitsplätze, aus. Aber nicht nur älter werdende Gesellschafter können von diesem Schicksal ereilt werden. Auch junge und vollkommen gesunde Menschen können betreuungsbedürftig oder geschäftsunfähig werden, wie der Skiunfall von Michael Schumacher in tragischer Weise verdeutlicht hat.

Dass eine Vorsorge für diesen Fall notwendig ist, gilt erst recht, wenn man sich vor Augen führt, dass die deutsche Wirtschaft maßgeblich durch mittelständische Unternehmen geprägt ist. Viele dieser Unternehmen sind als Personengesellschaften organisiert und zeichnen sich durch eine starke Stellung des (Mehrheits-)Gesellschafters aus.3 Aufgrund ihrer prägenden Bedeutung für ihre Gesellschaft wiegt der Ausfall eines solchen Gesellschafters oftmals schwer; erst recht, wenn der Unternehmer – wie so oft – nicht nur kapitalmäßig an der Gesellschaft beteiligt ist, sondern auch seine Arbeitskraft in den Dienst des Unternehmens stellt. In diesen Fällen ist eine entsprechende Vorsorge besonders wichtig; vor allem wenn es zum Verlust der Geschäftsfähigkeit kommt.4 Entsprechendes gilt auch für Freiberufler in vergleichbaren Positionen. Ein möglicher Ausfall des ←9 | 10→Unternehmers sollte also bereits im Vorfeld bedacht werden und entsprechende Regelungen sollten rechtzeitig getroffen werden.5

Zwar verbieten sich für die Frage, welche Regelungen für den Ausfall eines Gesellschafters getroffen werden sollen, pauschale Ratschläge, jedoch können die Vor- und Nachteile der Gestaltungsmöglichkeiten losgelöst von einem konkreten Beratungsfall diskutiert werden. Ausgangspunkt ist der, dass die Geschäftsunfähigkeit eines Gesellschafters weder zu dem Verlust der Gesellschafterstellung noch zu dem Verlust der Geschäftsführungsbefugnis führt.6 Denn für Letztere bestehen für Personengesellschaften keine mit § 6 Abs. 2 S. 1 und S. 2 Nr. 1 GmbHG bzw. § 76 Abs. 3 S. 1 und 2 Nr. 1 AktG vergleichbaren Regeln, die geschäftsunfähigen oder unter Betreuung stehenden Personen die Geschäftsführungsbefugnis nehmen. Auch eine analoge Anwendung scheidet aus, da § 6 Abs. 2 GmbHG in einem engen Zusammenhang mit dem Prinzip der Fremdorganschaft steht, eine Personengesellschaft aber durch den Grundsatz der Selbstorganschaft geprägt ist.7 Für Gesellschaften, in denen der Erfolg stark von den individuellen Fähigkeiten und den Persönlichkeiten der einzelnen Gesellschafter abhängt, wird für den Fall der Handlungsunfähigkeit teilweise vorgeschlagen, dass der Gesellschaftsvertrag das Ausscheiden des Gesellschafters vorsehen soll.8 Eine solche Regelung dürfte aber häufig am Widerstand der (Mehrheits-)Gesellschafter scheitern.

Verbleibt der Gesellschafter trotz Betreuungsbedürftig- oder Geschäftsunfähigkeit in der Gesellschaft, werden seine Gesellschafterrechte durch einen gem. § 1896 Abs. 1 BGB zu bestellenden Betreuer ausgeübt.9 Dies ist nur dann nicht ←10 | 11→der Fall, soweit eine Vorsorgevollmacht der Betreuerbestellung entgegensteht, § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB.10

Die Tätigkeit eines Betreuers in der Gesellschaft ist mit einer Reihe von Nachteilen11 verbunden, die vor allem daraus resultieren, dass das Betreuungsverfahren ein formelles staatliches Verfahren ist. Hinzu kommt die Gefahr, dass der Betreuer die Gesellschaftsangelegenheiten nicht im Sinne des Betreuten fortführt und dass die Mitgesellschafter unter Umständen mit einer ihnen unliebsamen und möglicherweise wenig sachkundigen Person kooperieren müssen,12 da sie deren Auswahl kaum steuern können.13 Außerdem können die Gesellschafter die Befugnisse eines Betreuers nicht beschränken. Begründet wird dies damit, dass auch die Befugnisse eines gesetzlichen Vertreters eines minderjährigen Gesellschafters nicht eingeschränkt werden können und dass übergeordnete Gesichtspunkte dem entgegenstünden.14 Dies wird teilweise kritisiert, da nicht nachvollziehbar sei, warum die Gesellschafter vorab nicht festlegen können sollen, dass bestimmte Gesellschafterrechte mit dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit ruhen oder eingeschränkt werde, zumal dies für das Erreichen eines gewissen Alters zulässig sei. Außerdem überzeuge der Vergleich mit einem Minderjährigen nicht, da dieser zuvor nicht selber in die Beschränkung seiner Rechtsstellung einwilligen konnte.15

Auch betriebswirtschaftliche Erwägungen sprechen gegen die Tätigkeit eines Betreuers. Denn während des oftmals mehrere Monate dauernden Zeitraums16 zwischen dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit und der Bestellung ←11 | 12→eines Betreuers ist die Gesellschaft nur eingeschränkt handlungsfähig. Wegen der Geschäftsunfähigkeit des Gesellschafters können nämlich Gesellschafterversammlungen nicht stattfinden, da dieser bereits nicht wirksam geladen werden kann.17 Auch wenn sich die Geschäftsunfähigkeit erst später herausstellt oder ignoriert wird, sind dennoch gefasste Gesellschafterbeschlüsse nichtig.18 Aber auch nach der Bestellung eines Betreuers kommt es zu weiteren Verzögerungen und Rechtsunsicherheiten, da der Betreuer für viele Strukturentscheidungen der Zustimmung des Betreuungsgerichts bedarf. Dies verlangsamt die Entscheidungsprozesse in der Gesellschaft. Erschwerend kommt hinzu, dass oft strittig ist, ob eine Genehmigung im Einzelfall erforderlich ist.19 Außerdem führen das Genehmigungserfordernis und die Überwachung des Betreuers durch das Betreuungsgericht dazu, dass der Staat einen tiefgehenden Einblick in die Gesellschaft erhält und so vertrauliche und wirtschaftlich sensible Informationen nach außen gelangen.20 Problematisch ist das Zustimmungserfordernis auch vor dem Hintergrund, dass die unternehmerische Risikobereitschaft des Betreuungsgerichts wenig ausgeprägt sein dürfte und so erforderliche, aber gegebenenfalls risikoreiche Maßnahmen an der fehlenden Zustimmung des Betreuungsgerichts scheitern.21 Ähnlich ist die Situation für den Betreuer selbst. Dieser besitzt oftmals keinen persönlichen Bezug zum Betreuten und dessen Unternehmen22 und hat sich ausschließlich an den Interessen des Betreuten zu orientieren. Um Haftungsgefahren für sich zu vermeiden, wird sein Augenmerk auf der Erhaltung der Vermögenswerte liegen.23 Hierbei droht der langfristige Unternehmenserfolg, der auch das Eingehen kaufmännischer Risiken erfordert, in den Hintergrund zu treten. Außerdem wird ein Betreuer in der Regel weniger risikobereit sein, als es der betreute Gesellschafter wäre.24 Letztlich besteht bei einem Betreuer auch die Gefahr, dass er für die Tätigkeit in der Gesellschaft ←12 | 13→nicht hinreichend qualifiziert ist, denn die Geeignetheit im Sinne des § 1897 BGB setzt nicht voraus, dass der Betreuer über spezielle Kenntnisse im unternehmerischen Bereich verfügt.25

Aufgrund dieser Nachteile wird es für Gesellschafter als sinnvoller erachtet, die Bestellung eines Betreuers mit Hilfe unternehmensbezogener Vorsorgevollmachten entbehrlich zu machen.26 Anders als bei einem Betreuer können die Gesellschafter die Befugnisse eines Vorsorgebevollmächtigten nämlich vorab frei ausgestalten. Auch der Gefahr der zeitweisen Handlungsunfähigkeit der Gesellschaft kann so begegnet werden.27 Als weiterer Vorteil wird teilweise auf die im Verhältnis zur Betreuung geringeren Kosten verwiesen, da die Kosten des Gerichts (gem. Nr. 11101 KV-GNotKG jährlich 10 Euro je 5000 EUR), die Kosten für Verfahrenspfleger und Gutachten sowie die Vergütung des Betreuers nach §§ 1836, 1908 i BGB, §§ 4, 5 VBVG vermieden werden.28 Jedoch relativiert sich dieses Argument, wenn man berücksichtigt, dass der Vollmachtgeber seinen Vorsorgebevollmächtigten für dessen – gerade in mittelständischen Gesellschaften oftmals umfangreiche – Tätigkeit jedenfalls dann entlohnen sollte, wenn er eine ordnungsgemäße und qualitativ hochwertige Wahrnehmung seiner Interessen wünscht. Dann aber werden die Kosten für die Vergütung die Kosten des Betreuungsverfahrens schnell übersteigen. Für den Betroffenen selbst dürfte ein weiterer Vorteil einer Vorsorgevollmacht insbesondere darin bestehen, dass er sich keiner medizinischen Begutachtung unterwerfen muss29 und ihm erspart bleibt, staatlich attestiert zu bekommen, dass er geschäftsunfähig ist; zumal der Betreuer dies durch Vorlage seines Betreuerausweises im Rechtsverkehr ständig manifestieren würde.30 Dem größten Nachteil einer Vorsorgevollmacht, einem möglichen Vollmachtmissbrauch, der sich dadurch ergibt, dass sich der Vorsorgebevollmächtigte außerhalb der Kontrolle des Betreuungsgerichts bewegt, kann durch entsprechende Gestaltungen im Vorfeld begegnet werden.31

←13 | 14→

Zwar ist es zutreffend, dass eine Vorsorgevollmacht, insbesondere aufgrund der aufgezeigten Nachteile des Betreuungsverfahrens, empfehlenswert ist. Die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte durch einen Vorsorgebevollmächtigten wirft aber weitere – insbesondere gesellschaftsrechtliche – Fragen auf. Die Ausübung der Gesellschafterrechte durch einen gesellschaftsfremden Dritten könnte womöglich zu einem Verstoß gegen das Abspaltungsverbot aus § 717 S. 1 BGB führen.32 Denn es kommt wirtschaftlich gesehen zu einem Auseinanderfallen von Rechtsinhaberschaft und Rechtsausübung. Dies gilt erst recht nach dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers, da dieser seine Gesellschafterrechte dann nur noch mittels des Vorsorgebevollmächtigten ausüben kann. Diesem kann er aber weder Weisungen erteilen noch ihn anderweitig kontrollieren, sodass es letztlich zu einer dauerhaften Fremdverwaltung des Gesellschaftsanteils kommt. Bedenken ergeben sich auch daraus, dass der Vorsorgebevollmächtigte aus dieser Rechtsposition im starken Maße in die Rechtssphäre anderer, namentlich der Mitgesellschafter, eingreifen kann.33 Die wirtschaftliche Bedeutung dieser nicht gänzlich ausdiskutierten Problemkreise ist immens, denn die Tätigkeit des Vorsorgebevollmächtigten hat, wie aufgezeigt, nicht nur Folgen für den Gesellschafter, sondern auch für andere Beteiligte, wie etwa Erben und Mitgesellschafter. Dies gilt insbesondere für Personengesellschaften. Für Kapitalgesellschaften, die nicht durch den Grundsatz der Selbstorganschaft, sondern durch den der Fremdorganschaft geprägt sind, ist die Frage der gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit weniger relevant.34

I. Gang der Darstellung

Ziel der Arbeit ist es, die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit einer Vorsorgevollmacht in einer Personengesellschaft unter der besonderen Berücksichtigung des Abspaltungsverbots zu klären. Hierfür wurde bereits in allgemeiner Form in die Problematik eingeleitet. Unter A. II. wird sodann der Begriff der Vorsorgevollmacht definiert.

Unter B. I. werden zunächst ganz allgemein das Abspaltungsverbot und seine Bedeutung für die Personengesellschaft dargestellt. Ausgehend von dem ←14 | 15→normativen Anknüpfungspunkt des Abspaltungsverbots in § 717 S. 1 BGB werden dessen Inhalt, der Sinn und Zweck sowie der zwingende Charakter dieses personengesellschaftsrechtlichen Grundsatzes erläutert. Dies soll die Grundlage für die späteren Untersuchungen bilden.

Der Gliederungspunkt B. II. dient der Darstellung der Auswirkung des Abspaltungsverbots auf die Wahrnehmung von Gesellschafterrechten durch gesellschaftsfremde Personen. Ausgehend vom Wortlaut des § 717 S. 1 BGB, wonach Ansprüche der Gesellschafter aus dem Gesellschaftsverhältnis nicht übertragen werden dürfen, wird zunächst die Frage untersucht, warum bei gewöhnlichen Vollmachten ebenso wie bei der Testamentsvollstreckung, dem Nießbrauch und der Treuhand diskutiert wird, ob es zu einem Verstoß gegen das Abspaltungsverbot kommt. Diesen Fallgruppen, auf die unter B. II. 2. – II. 5 einzeln und vertieft eingegangen wird, ist nämlich gemein, dass es sich jedenfalls formell betrachtet nicht um eine Übertragung von Rechten, sondern um eine Bevollmächtigung bzw. Ermächtigung zur Ausübung handelt. Die Darstellung der einzelnen Fallgruppen der Ausübung von Gesellschafterrechten durch einen gesellschaftsfremden Dritten, durch einen gesetzlichen Vertreter oder einen Mitgesellschafter (= Fälle der Fremdverwaltung) ist zumeist so aufgebaut, dass auf die allgemeine gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit dieser Konstruktionen ebenso eingegangen wird wie auf die Vereinbarkeit mit dem Abspaltungsverbot im Besonderen. Ziel ist es hierbei, eine ausreichende Vergleichsbasis für die Vorsorgevollmacht zu schaffen. Hierzu wird in Abschnitt B. III. auf die Ausübung von Gesellschafterrechten durch einen gesetzlichen Vertreter eingegangen. Unter B. IV. werden die typischen Fälle der Ausübung von Gesellschafterrechten durch Mitgesellschafter besprochen. Die Darstellung der Fallgruppen beginnt also bei der Ausübung von Gesellschafterrechten durch eine gesellschaftsfremde Person. Es folgen Ausführungen zu der Ausübung von Gesellschafterrechten durch einen gesetzlichen Vertreter sowie durch einen Mitgesellschafter.

Im Rahmen von Abschnitt C. werden Rückschlüsse aus den Fällen der Fremdverwaltung auf die Vorsorgevollmacht gezogen. Zunächst werden hierfür die Vergleichbarkeit der Fallgruppen untereinander sowie die der Fallgruppen mit der Situation einer Vorsorgevollmacht exemplarisch an einzelnen Vergleichspunkten herausgearbeitet. Daran anschließend wird in Abschnitt C. II. der Stand der wissenschaftlichen Diskussion zur Frage der Vereinbarkeit der Ausübung von Gesellschafterrechten durch einen Vorsorgebevollmächtigten mit dem Abspaltungsverbot dargelegt. Ausgehend davon wird unter C. III. auf den Einwand, dass eine Vorsorgevollmacht spätestens ab dem Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vollmachtgebers faktisch unwiderruflich sei, eingegangen und anhand der Darstellung der in Betracht kommenden Widerrufsmöglichkeiten ←15 | 16→überprüft. Sodann werden unter C. IV. Argumente für die Vereinbarkeit einer Vorsorgevollmacht mit dem Abspaltungsverbot aufgezeigt. Hierauf aufbauend werden bei C. V. Schlussfolgerungen für den Inhalt des Abspaltungsverbots gezogen, die in der These der Arbeit münden. Die dann folgenden Unterpunkte C. V. 1. und 2. dienen zur Untermauerung der aufgestellten These.

Unter Punkt C. VI. soll auf das Zustimmungserfordernis der Mitgesellschafter eingegangen werden. Der Schwerpunkt soll hierbei auf der unter C. VI. 3. behandelten Frage liegen, auf welcher Grundlage das Zustimmungserfordernis beruht, und auf der im Rahmen des Punktes C. VI. 5. behandelten Frage, ob die Gesellschafter verpflichtet sind, die Zustimmung zu erteilen. Anschließend werden in Abschnitt D. Vorschläge zur Ausgestaltung des Innenverhältnisses unterbreitet. Abschnitt E. dient der Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse der Arbeit in Thesenform.

II. Definition Vorsorgevollmacht

Das Gesetz definiert den Begriff der Vorsorgevollmacht nicht. Eine Definition hat sich deshalb an der Funktion der Vorsorgevollmacht zu orientieren. Diese besteht darin, dem Betroffenen zu ermöglichen in Zeiten geistiger Frische für den Fall der Gebrechlichkeit privat vorzusorgen und durch die Bevollmächtigung einer bestimmten Person nach §§ 164 ff. BGB eine Betreuung im Sinne des §§ 1896 ff. BGB so weit wie möglich überflüssig zu machen.35 Entsprechend wird eine Vorsorgevollmacht als eine Vollmacht definiert, mit der eine Person dazu bevollmächtigt wird im Namen und mit Wirkung für den Vollmachtgeber Erklärungen abzugeben, zu denen der Vollmachtgeber infolge des Verlustes der Geschäftsfähigkeit nicht mehr in der Lage ist.36 Diese Definition erscheint jedoch zu eng, da die Vorsorgevollmacht regelmäßig nicht erst im Fall des Eintritts der Geschäftsunfähigkeit greifen soll. Um die Bestellung eines Betreuers effektiv verhindern zu können, ist es vielmehr erforderlich, dass auch solche Situationen erfasst werden, in denen der Vollmachtgeber zwar noch geschäftsfähig, aber schon betreuungsbedürftig ist. Genauer dürfte es somit sein, die Vorsorgevollmacht als eine Vollmacht zu definieren, die zielgerichtet einer bestimmten Vertrauensperson erteilt wird, um für die Zeit künftiger eigener Hilfslosigkeit ←16 | 17→so vorzusorgen, dass die spätere Anordnung einer Betreuung erheblich eingeschränkt ist oder sich erübrigt.37

1. Bedingungsfrei erteilte Vollmacht

Da das Gesetz nicht nur auf eine Definition der Vorsorgevollmacht verzichtet, sondern auch keine speziellen Regelungen für die Vorsorgevollmacht normiert38, finden die allgemeinen Grundsätze des Vertretungsrechts Anwendung. Danach ist die Vorsorgevollmacht eine gewöhnliche Vollmacht im Sinne der §§ 164 ff. BGB. Damit sie ihrem Zweck, der Vorsorge für den Fall der Betreuungsbedürftigkeit, dienen kann, ist eine entsprechende Ausgestaltung der Vollmacht erforderlich. Diese sollte im Außenverhältnis sofort wirksam, also frei von Bedingungen, sein,39 da eine aufschiebend bedingte Vollmacht erhebliche praktische Probleme verursacht und zu Durchsetzungs- und Akzeptanzproblemen im Rechtsverkehr führen kann. Oftmals dürfte nämlich unklar sein, ob und wann die fragliche Bedingung eingetreten ist; zumal der Bevollmächtigte für den Bedingungseintritt beweispflichtig ist und der Rechtsverkehr diesen in der Regel nicht überprüfen kann.40 Dies hätte zur Folge, dass es zu einer Betreuung kommt, obwohl dies gerade verhindert werden sollte. Deshalb sollten dem Vorsorgebevollmächtigten etwaige Beschränkungen nur im Innenverhältnis, also im Verhältnis zwischen ihm und dem Vollmachtgeber, auferlegt werden.41 Daher ist es ratsam in der Vollmachtsurkunde auf Formulierungen wie „Altersvorsorgevollmacht“ oder „Vollmacht für den Fall einer psychischen Erkrankung“ zu verzichten. Solche Formulierungen können nämlich eine Bedingung nahelegen und somit zu den aufgezeigten Akzeptanzproblemen führen.42 Wenn eine ←17 | 18→Vollmacht gleichwohl als „Vorsorgevollmacht“ bezeichnet wird, sollte jedenfalls klargestellt werden, dass die Vorsorge keine Bedingung und keine ausschließliche Zweckrichtung der Vollmacht ist.43 Gleiches gilt bei der zeitlichen Geltung der Vollmacht. Obgleich mit §§ 168, 672 S. 1, 675 BGB eine dahin gehende Auslegungsregelung besteht, sollte die Weitergeltung der Vorsorgevollmacht über die Geschäftsunfähigkeit oder den Tod des Vollmachtgebers hinaus ausdrücklich angeordnet werden.44 Sonst bestünde die Gefahr, dass eine Beschränkung der Vollmacht auf diesen Zeitraum angenommen wird. Außerdem wird durch eine solche Formulierung zugleich die Abstraktheit der Vollmacht von ihrem Grundverhältnis unterstrichen.45

Wird eine Vorsorgevollmacht wie vorstehend beschrieben gestaltet, birgt dies die Gefahr, dass der Vorsorgebevollmächtigte von der Vollmacht unabhängig von dem Eintritt der inneren Bedingung, d. h. dem Eintritt der Betreuungsbedürftigkeit, Gebrauch macht.46 Diese Missbrauchsgefahr dürfte aber hinzunehmen sein und ist im Vergleich zu den gravierenden Nachteilen einer bedingten Vorsorgevollmacht vernachlässigbar. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Vorsorgebevollmächtigten fast immer um eine Vertrauensperson des Vollmachtgebers handelt. Außerdem ist der Vorsorgebevollmächtigte dem Vollmachtgeber im Innenverhältnis gegenüber rechenschafts- und ggf. auch schadensersatzpflichtig, was ebenfalls einem Vollmachtmissbrauch vorbeugt. Gleiches gilt für die strafrechtliche Sanktionierung des Vollmachtmissbrauchs durch § 266 StGB.47 Daneben steht es dem Vollmachtgeber frei, sich anderweitig vor einem Vollmachtmissbrauch zu schützen.48 Hierzu kann er bspw. mehrere Bevollmächtigte, die sich gegenseitig kontrollieren, ernennen49 oder einen sog. Überwachungsbevollmächtigten bestellen, dem er das Recht einräumt, den ←18 | 19→Bevollmächtigten zu überwachen.50 Außerdem könnte der Vollmachtgeber die Originalvollmacht bei sich aufbewahren, anstelle sie dem Vorsorgebevollmächtigten sofort auszuhändigen, und diesen darauf hinweisen, wo er die Vollmacht im Bedarfsfall findet.51

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Vorsorgevollmacht im Außenverhältnis unbeschränkt formuliert sein sollte und dem Bevollmächtigten etwaige Beschränkungen nur im Innenverhältnis auferlegt werden sollten.52

2. Formfragen

Für die Praxistauglichkeit einer Vorsorgevollmacht ist neben der inhaltlichen Ausgestaltung auch ihre Form entscheidend. Grundsätzlich kann eine Vorsorgevollmacht, wie jede gewöhnliche Vollmacht, formlos, also auch mündlich, erteilt werden.53 Dies ist bereits aus Beweisgründen nicht sinnvoll; es sollte jedenfalls die Schriftform gewählt werden. Da der Vorsorgebevollmächtigte oftmals auch Grundstücks-, gesellschafts- und handelsrechtliche Geschäfte tätigen muss, ist eine notarielle Beurkundung ratsam.54 Dies gilt unabhängig von einem möglichen rechtlichen Erfordernis bereits aus allgemeinen Erwägungen. Eine Bevollmächtigung erfährt nämlich durch eine notarielle Beurkundung zumeist eine allgemein anerkannte Legitimation,55 denn einer notariell beurkundeten Vollmacht wohnt eine gewisse Vermutung inne, dass der Betroffene jedenfalls bei ihrer Errichtung geschäftsfähig war. Eine notariell beurkundete Vollmacht ist somit wesentlich rechtssicherer als eine lediglich privatschriftlich abgefasste ←19 | 20→Vollmacht.56 Der Notar hat nämlich gem. § 17 BeurkG umfassend zu belehren und die für die Beurkundung erforderlichen Feststellungen der Identität und der Geschäftsfähigkeit des Vollmachtgebers nach §§ 10, 11 BeurkG, § 418 Abs. 1 ZPO zu treffen.57

Auf die weiteren Voraussetzungen einer wirksamen Vorsorgevollmacht soll hier ebenso wenig eingegangen werden wie auf weitere Formfragen oder die Möglichkeit der Hinterlegung der Vollmacht. Dies würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen.58


1 Heckschen NZG 2012, 10; Winkler Vorsorgeverfügungen S. 1; Müller/Renner/Renner Teil 2 A. II. 1. Rn. 234; Jocher notar 2014, 3, 4.

Details

Seiten
162
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631788578
ISBN (ePUB)
9783631788585
ISBN (MOBI)
9783631788592
ISBN (Paperback)
9783631785195
DOI
10.3726/b15569
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (April)
Schlagworte
Vorsorgevollmacht Personengesellschaft Abspaltungsverbot Betreuung Gesellschafterrechte Höchstpersönlichkeit
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 162 S.

Biographische Angaben

Julius Busold (Autor:in)

Julius Busold studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und promovierte an der Ruhr-Universität Bochum bei Herrn Prof. Dr. Andreas Jurgeleit. Er ist Rechtsanwalt im Bereich Gesellschaftsrecht in einer wirtschaftsberatenden mittelständischen Kanzlei.

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