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Die Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG im Freistaat Sachsen

Entwicklung und Handhabung am Beispiel des sächsischen Naturschutzrechts

von Christian Szmais (Autor:in)
©2019 Dissertation 330 Seiten

Zusammenfassung

Im Rahmen der Föderalismusreform 2006 fällt ein Reformgegenstand aufgrund seiner Neuartigkeit besonders ins Auge – die in Art. 72 Abs.3 GG statuierte Abweichungsgesetz-gebung. Mit dem in ihr angelegten Nebeneinander von Rechtssetzungen des Bundes und der Länder innerhalb einer Regelungsmaterie strapaziert sie die Funktionsweise des kooperativen Föderalismus ebenso wie den bundesstaatlichen Gedanken in seiner Gesamtheit. Ausgehend hiervon soll die vorliegende Publikation einen Bogen zwischen der Entwicklungsgeschichte der Abweichungsgesetzgebung bis hin zu ihrer konkreten Anwendung am Beispiel der Novellierung des sächsischen Naturschutzrechts schlagen. Der Autor nimmt dabei insbesondere das Sächsische Naturschutzgesetz vom 6. Juni 2013 unter abweichungsrechtlichen Problemstellungen in den Blick.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • A. Ausgangspunkt der Untersuchung
  • B. Gegenstand und Ziel der Untersuchung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Erstes Kapitel Zur Föderalismusreform 2006 – Ziele, Anspruch und Entstehungsgeschichte der Reform
  • A. Die niedergeschriebenen Ziele der Föderalismusreform 2006
  • I. Die Formulierung der Zielsetzungen
  • II. Die Ausbalancierung zwischen Solidarität und Kooperation auf der einen und Wettbewerb auf der anderen Seite
  • 1. Die Ausbalancierung im Bereich der Gesetzgebungszuständigkeiten
  • 2. Die Ausbalancierung durch Stärkung der Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit von Bund und Ländern
  • a) Die maßgeblichen Verflechtungsproblematiken des Bundesstaats
  • aa) Das Vetorecht des Bundesrates
  • bb) Die Auftragsverwaltung
  • b) Weitere Problemfelder der Verflechtung
  • B. Sonstige Ziele der Föderalismusreform 2006
  • C. Die Entstehungsgeschichte der Föderalismusreform 2006
  • I. Die Geschichte im Vorfeld der Reform
  • II. Die Bundesstaatskommission
  • 1. Zielsetzung
  • 2. Entstehung und Zusammensetzung
  • 3. Arbeit und Verfahrensablauf
  • 4. Scheitern
  • 5. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse
  • a) Gesetzgebungskompetenzen
  • b) Verwaltungskompetenzen
  • III. Lehren aus dem Scheitern der Bundesstaatskommission
  • IV. Reformvorhaben und Koalitionsvertrag
  • V. Die parlamentarische Umsetzung der Änderung des Grundgesetzes
  • 1. Redaktionskonferenz sowie letzte inhaltliche Unstimmigkeiten
  • 2. Gesetzgebungsverfahren und Verabschiedung
  • D. Zusammenfassung und Fazit
  • Zweites Kapitel Zu den Verfassungsänderungen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung unter besonderer Berücksichtigung der Abweichungsgesetzgebung
  • A. Geschichte und Systematik der konkurrierenden Gesetzgebung
  • I. Die konkurrierende Gesetzgebung in ihrer Herausbildung als Bestandteil der bundesstaatlichen Kompetenzordnung
  • II. Systematische Stellung und Aufbau des Art. 72 GG
  • B. Neuordnung und Umstrukturierung der konkurrierenden Gesetzgebung im Rahmen der Föderalismusreform 2006
  • I. Die Neuordnung der Kompetenztitel in Art. 74 GG
  • II. Die Vorranggesetzgebung des Art. 72 Abs. 1 GG
  • III. Die Erforderlichkeitsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 2 GG
  • IV. Die Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG
  • 1. Entstehung und Kontroverse
  • a) Erste Ansätze
  • b) Der Kompromisscharakter der Regelung
  • 2. Die verfassungsrechtliche Ausgestaltung
  • a) Gestalt und Wesen
  • aa) Das Bundesgesetz als abweichungsrechtlicher Anknüpfungspunkt
  • bb) Kollisionsregel und Reichweite
  • b) Grenzen und Beschränkungen des materiellen Abweichungsrechts der Länder
  • aa) Abweichen durch Landesgesetz
  • bb) Kennzeichnungspflicht der Abweichung
  • (1) Problemstellung und Herausforderung
  • (2) Kennzeichnungsmöglichkeiten des Landesgesetzgebers
  • (3) Konsequenzen fehlender Kennzeichnung
  • c) Formen und Ausprägungen des Abweichungsrechts der Länder
  • aa) Die Änderungsabweichung
  • bb) Die konkretisierende oder ergänzende Abweichung
  • cc) Widersprüchliche Abweichungen und Negativgesetzgebung
  • dd) Die Übernahme von Bundesrecht
  • ee) Der absichtsvolle Regelungsverzicht
  • d) Weitere befürchtete Probleme verfassungsrechtlicher Natur
  • 3. Die dem Abweichungsrecht unterfallenden Gesetzgebungsmaterien mit ihren abweichungsfesten Kernen
  • a) Das Jagdwesen (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GG)
  • b) Naturschutz und Landschaftspflege (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GG)
  • c) Die Bodenverteilung (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 GG)
  • d) Die Raumordnung (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 GG)
  • e) Der Wasserhaushalt (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 GG)
  • f) Hochschulzulassung und Hochschulabschlüsse (Art. 72 Abs. 3 Satz 1 Nr. 6 GG)
  • C. Zusammenfassende und wertende Überlegungen zur Abweichungsgesetzgebung
  • Drittes Kapitel Zur Abweichungsgesetzgebung im Naturschutzrecht – Der Umgang des sächsischen Gesetzgebers mit der Abweichungsgesetzgebung im Rahmen des Sächsischen Naturschutzgesetzes vom 6. Juni 2013
  • A. Das Naturschutzrecht im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes
  • I. Die Gesetzgebungskompetenzen im Umweltrecht vor der Föderalismusreform 2006
  • II. Naturschutz und Landschaftspflege als Teil der Abweichungsgesetzgebung
  • III. Die europarechtliche und völkerrechtliche Überformung des Naturschutzrechts
  • 1. Der Umweltschutz als Teil des europäischen Rechtssystems
  • 2. Europarechtliche Vorgaben als Einschränkung der Abweichungskompetenz der Länder im Bereich des Naturschutzes
  • 3. Völkerrechtliche Vorgaben im Naturschutz
  • B. Das Bundesnaturschutzgesetz als abweichungsrechtlicher Bezugspunkt
  • I. Die Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes und ihre Regelungstechnik
  • 1. Gesetzgeberische Zurückhaltung des Bundes und Einfluss der Abweichungsmöglichkeit der Länder auf die Regelungstechnik
  • a) Der Kompromisscharakter des Bundesnaturschutzgesetzes
  • b) Der Einfluss der Abweichungsgesetzgebung auf die Regelungstechnik des Bundes
  • 2. Bestimmung der abweichungsfesten Kerne
  • a) Auslegung des Begriffs der allgemeinen Grundsätze
  • b) Kompetenz des Bundes zur Bestimmung von Inhalt und Reichweite der allgemeinen Grundsätze
  • c) Übersicht und Wertung der allgemeinen Grundsätze
  • d) Das Recht des Artenschutzes und des Meeresnaturschutzes
  • II. Zusammenfassung und Fazit
  • C. Die Anpassung des Sächsischen Naturschutzrechts an das Bundesnaturschutzrecht
  • I. Idee der zweistufigen Novellierung
  • II. Die erste Stufe – Gesetz zur Anpassung des Landesumweltrechts an das neue Bundesrecht aufgrund der Föderalismusreform und Gesetz zur Vereinfachung des Landesumweltrechts
  • 1. Gesetz zur Anpassung des Landesumweltrechts an das neue Bundesrecht aufgrund der Föderalismusreform
  • a) Zielsetzung
  • b) Verfahren
  • c) Inhalt der Gesetzesänderungen im Hinblick auf das Naturschutzrecht
  • d) Gesetzestechnische Umsetzung der Abweichungsbefugnis
  • aa) Herausforderung der „Minimalnovellierung“
  • bb) Regelungstechnische Umsetzung des sächsischen Gesetzgebers
  • (1) Zuordnung der Normen des sächsischen Naturschutzrechts zum Bundesnaturschutzgesetz
  • (2) Regelungstechnische Darstellung der Abweichungen
  • (3) Verständlichkeit der Norm
  • e) Zusammenfassung und Fazit
  • 2. Gesetz zur Vereinfachung des Landesumweltrechts
  • a) Verfahren
  • b) Inhalt und Regelungstechnik
  • c) Zusammenfassung und Fazit
  • III. Die zweite Stufe – Gesetz zur Bereinigung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege
  • 1. Zielsetzung
  • 2. Inhaltlicher Überblick
  • 3. Verfahren
  • 4. Prüfung der abweichungsrechtlich relevanten Regelungen des Sächsischen Naturschutzgesetzes im Hinblick auf Inhalt und Regelungstechnik
  • a) Teil 1: Die allgemeinen Vorschriften
  • aa) Verwirklichung der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 1 SächsNatSchG, § 2 BNatSchG)
  • (1) Regelung des § 1 Abs. 1 SächsNatSchG
  • (a) Regelungsgegenstand
  • (b) Kompetenzgrundlage
  • (2) Regelung des § 1 Abs. 2 SächsNatSchG
  • (a) Regelungsgegenstand
  • (b) Kompetenzgrundlage
  • bb) Aufgaben und Befugnisse der Naturschutzbehörden (§ 2 SächsNatSchG, § 3 Abs. 2 BNatSchG)
  • cc) Vertragsnaturschutz (§ 3 SächsNatSchG, § 3 Abs. 3 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand
  • (2) Abweichungsrechtliche Zulässigkeit und Kompetenzgrundlage
  • dd) Begriffsbestimmungen (§ 4 SächsNatSchG, § 7 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand
  • (2) Kompetenzgrundlage
  • ee) Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft (§ 5 SächsNatSchG, § 5 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 und 4 BNatSchG)
  • (1) Regelung des § 5 Abs. 1 SächsNatSchG
  • (a) Regelungsgegenstand
  • (b) Kompetenzgrundlage
  • (2) Regelung des § 5 Abs. 2 SächsNatSchG
  • (a) Regelungsgegenstand
  • (b) Kompetenzgrundlage
  • b) Teil 2: Landschaftsplanung
  • aa) Landschaftsprogramm und Landschaftsrahmenpläne (§ 6 SächsNatSchG, § 10 BNatSchG)
  • bb) Landschaftspläne und Grünordnungspläne (§ 7 SächsNatSchG, § 11 Abs. 3 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand
  • (2) Kompetenzgrundlage
  • cc) Zuständigkeiten (§ 8 SächsNatSchG)
  • c) Teil 3: Allgemeiner Schutz von Natur und Landschaft
  • aa) Eingriffe in Natur und Landschaft (§ 9 SächsNatSchG, § 14 BNatSchG)
  • (1) Die Positivliste des § 9 Abs. 1 SächsNatSchG
  • (2) Die Negativliste des § 9 Abs. 2 SächsNatSchG
  • bb) Zulässigkeit und Kompensation von Eingriffen (§ 10 SächsNatSchG, § 15 BNatSchG)
  • (1) Regelung des § 10 Abs. 1 SächsNatSchG
  • (a) Regelungsgegenstand
  • (b) Kompetenzgrundlage
  • (2) Regelungsgegenstand des § 10 Abs. 2 SächsNatSchG
  • (3) Regelungsgegenstand des § 10 Abs. 3 SächsNatSchG
  • (4) Regelungsgegenstand und Kompetenzgrundlage des § 10 Abs. 4 SächsNatSchG
  • cc) Ökokonto und Kompensationsflächenkataster (§ 11 SächsNatSchG, §§ 16 und 17 Abs. 6 und 11 BNatSchG)
  • dd) Allgemeines Verfahren bei Eingriffen (§ 12 SächsNatSchG, § 17 BNatSchG)
  • d) Teil 4: Geschützte Teile von Natur und Landschaft; Biotopverbund
  • aa) Erklärung zum geschützten Teil von Natur und Landschaft (§ 13 SächsNatSchG, § 22 BNatSchG)
  • bb) Naturschutzgebiete (§ 14 SächsNatSchG, § 23 BNatSchG)
  • cc) Nationalparke, Nationale Naturmonumente (§ 15 SächsNatSchG, § 24 BNatSchG)
  • dd) Biosphärenreservate (§ 16 SächsNatSchG, § 25 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand
  • (2) Kompetenzgrundlage
  • ee) Naturparke (§ 17 SächsNatSchG, § 27 BNatSchG)
  • ff) Naturdenkmäler (§ 18 SächsNatSchG, § 28 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand
  • (2) Kompetenzgrundlage
  • gg) Geschützte Landschaftsbestandteile (§ 19 SächsNatSchG, § 29 BNatSchG)
  • (1) Regelung des § 19 Abs. 1 Satz 2 SächsNatSchG
  • (a) Regelungsgegenstand
  • (b) Kompetenzgrundlage
  • (2) Regelungsgegenstand des § 19 Abs. 2 und 3 SächsNatSchG
  • hh) Verfahren bei Unterschutzstellung (§ 20 SächsNatSchG, § 22 Abs. 2 und 3 BNatSchG)
  • ii) Gesetzlich geschützte Biotope (§ 21 SächsNatSchG, § 30 BNatSchG)
  • e) Teil 5: Netz „Natura 2000“
  • aa) Schutz des Europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“ (§ 22 SächsNatSchG, § 32 Abs. 4 BNatSchG)
  • (1) Europarechtliche Vorgaben
  • (2) Regelungsgegenstand § 32 BNatSchG und § 22 SächsNatSchG
  • bb) Verträglichkeit und Unzulässigkeit von Projekten und Plänen (§ 23 SächsNatSchG, §§ 34 bis 36 BNatSchG)
  • f) Teil 6: Schutz der wild lebenden Tier- und Pflanzenarten, ihrer Lebensstätten und Biotope
  • aa) Ermächtigungen (§ 24 SächsNatSchG, § 45 Abs. 7 Satz 4 und § 54 Abs. 7 BNatSchG)
  • bb) Zoogenehmigung (§ 25 SächsNatSchG, § 42 Abs. 5 BNatSchG)
  • cc) Tiergehege (§ 26 SächsNatSchG, § 43 Abs. 4 und 5 BNatSchG)
  • g) Teil 7: Erholung in Natur und Landschaft
  • aa) Betreten der freien Landschaft (§ 27 SächsNatSchG, § 59 BNatSchG)
  • bb) Schranken des Betretungsrechts (§ 28 SächsNatSchG, § 59 BNatSchG)
  • cc) Pflichten der öffentlichen Hand (§ 31 SächsNatSchG, § 62 BNatSchG)
  • (1) Bundesrechtliche Grundlage
  • (2) Regelung des § 31 Satz 1 SächsNatSchG
  • (a) Regelungsgegenstand
  • (b) Kompetenzgrundlage
  • h) Teil 8: Mitwirkung der anerkannten Naturschutzvereinigungen
  • aa) Anerkannte Naturschutzvereinigungen (§ 32 SächsNatSchG, § 63 Abs. 2 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand des § 32 Abs. 1 SächsNatSchG
  • (2) Abweichung des § 32 Abs. 1 SächsNatSchG zur Bundesnorm
  • bb) Mitwirkungsrechte (§ 33 SächsNatSchG, § 63 BNatSchG)
  • cc) Rechtsbehelfe (§ 34 SächsNatSchG, § 64 BNatSchG)
  • i) Teil 9: Eigentumsbindungen, Befreiungen
  • aa) Auskunftspflicht und Betretungsbefugnis (§ 37 SächsNatSchG, § 65 Abs. 3 BNatSchG)
  • bb) Vorkaufsrecht (§ 38 SächsNatSchG, § 66 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand
  • (2) Herausbildung und Gestaltung der Norm
  • cc) Befreiungen (§ 39 SächsNatSchG, § 67 BNatSchG)
  • dd) Entschädigung und Härtefallausgleich (§ 40 SächsNatSchG, § 68 BNatSchG)
  • (1) Regelungsgegenstand
  • (2) Kompetenzgrundlage des § 40 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 1 SächsNatSchG
  • ee) Enteignung (§ 41 SächsNatSchG, § 68 Abs. 3 BNatSchG)
  • j) Teil 10: Naturschutzbeirat, Naturschutzdienst, Aus- und Fortbildung
  • k) Teil 11: Organisation und Zuständigkeit
  • l) Teil 12: Ahndung von Ordnungswidrigkeiten
  • aa) Bußgeldvorschriften (§ 49 SächsNatSchG, § 69 BNatSchG)
  • bb) Einziehung (§ 50 SächsNatSchG, § 72 BNatSchG)
  • m) Teil 13: Übergangs- und Schlussvorschriften
  • 5. Regelungstechnische Umsetzung der Abweichungsgesetzgebung durch den sächsischen Gesetzgeber
  • a) Anlehnung an die Gesetzessystematik des Bundesnaturschutzgesetzes
  • b) Negativgesetzgebung und wort- oder inhaltsgleiche Übernahme von Bundesrecht
  • c) Kennzeichnung der Abweichungen in der Paragraphenüberschrift und im Normtext
  • aa) Regelungstechnische Darstellung von Landesrecht und bundesrechtlicher Bezugsnorm
  • bb) Regelungstechnische Darstellung der Abweichungen im Normtext
  • d) Handreichung des SMUL zum Naturschutzrecht in Sachsen
  • 6. Zusammenfassung und Fazit
  • a) Zusammenfassende und länderübergreifende Darstellung von Abweichungsschwerpunkten
  • b) Abschließende Einordnung und Bewertung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege
  • D. Ergebnis
  • Schlussbetrachtung
  • Literaturverzeichnis

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Einführung

A. Ausgangspunkt der Untersuchung

Der Kern deutscher Staatlichkeit ist in Art. 20 des Grundgesetzes (GG) mit seinen staatsorganisatorischen Leitlinien eindrucksvoll gezeichnet. Ausgehend vom Wertgedanken des Art. 79 Abs. 3 GG dienen die Prinzipien des Art. 20 GG1 der Verwirklichung und Ausgestaltung der materiellen Verfassungsziele des Art. 1 GG sowie der nachfolgenden Grundrechte.2 Sowohl die Bestimmung des Art. 1 GG wie auch die des Art. 20 GG erhalten über die genannte Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG eine sie verbindende und gleichsam einander zuweisende Stellung innerhalb der deutschen Verfassungsstruktur.

Während die Ideen der Menschenrechte, der Gewaltenteilung und der demokratischen Grundordnung zumindest in den Verfassungsstaaten des Westens Gegenstand jeder konzipierten Verfassung und auch innerhalb dieser Gesellschaften als Selbstverständlichkeit und unbedingte Notwendigkeit verwurzelt sind, zeichnet sich die Bundesstaatlichkeit des Grundgesetzes in Art. 20 Abs. 1 GG als besondere Bedeutungsfacette der deutschen Verfassungskultur ab.3 Das dem Gedanken der Bundesstaatlichkeit innewohnende Prinzip des Föderalismus als Zusammenschluss eigenständiger Staatlichkeit zu einem ebenfalls Staatsqualität genießenden Gesamtgebilde beansprucht im Gegensatz zu den anderen genannten Staatsprinzipien und Staatsfundamenten keine universelle Geltung, sondern bildet in seiner besonderen Eigenständigkeit eine individuelle und radizierte Staatsidee, deren Primat in besonderer Weise in der Rechtsquelle des geschriebenen Verfassungsrechts niedergelegt ist.4 Diese starke Verankerung der Bundesstaatlichkeit und des Föderalismus am positiven Verfassungsrecht hat zur Konsequenz, dass die in der eigenen Dynamik der bundesstaatlichen Ordnung angelegte Entwicklungsgeschichte zuvörderst durch „Bundesstaatsreformen“ oder „Föderalismusreformen“ des verfassungsändernden Gesetzgebers gestaltet wird. Die besondere Anpassungsbedürftigkeit, aber auch Anpassungsfähigkeit des deutschen Bundesstaats zielt dabei vor allem auf ein ausbalanciertes ←25 | 26→Verhältnis zwischen den beiden föderalen Ebenen des Bundes und der Länder ab. Die grundsätzlich gegenläufigen Bestrebungen der bundesstaatlichen Protagonisten werden in Deutschland durch das eine sinnvolle Zusammenarbeit fordernde Prinzip des kooperativen Bundesstaats kanalisiert.5

Die Funktionsfähigkeit dieses kooperativen Bundesstaats wird in gesteigerter Form in den mitunter äußerst komplexen und komplizierten Verhandlungen und Entwicklungen im Rahmen der erwähnten Föderalismusreformen auf die Probe gestellt. Eine besonders umfangreiche und weitreichende Umgestaltung erfuhr der deutsche Föderalismus durch die bislang letzte Föderalismusreform im Jahr 2006. Insoweit galt es, der in bis dahin vollzogenen Grundgesetzänderungen zu verzeichnenden Tendenz entgegenzuwirken, den Status des Bundes innerhalb des föderalen Systems zu stärken und damit das gesamte Prinzip der bundesstaatlichen Ordnung einer Unitarisierung zu unterziehen. Vielmehr sollten durch einen ambitionierten Entflechtungsprozess Position und Entscheidungsbefugnisse der Länder gestärkt und weiterentwickelt werden.6 Das dem Bundesstaat eigene Spannungsfeld zwischen Einheit und Vielfalt beziehungsweise Autonomie und Solidarität sollte in maßgeblichen Bereichen der Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenzen ausgewogen werden.

Während ein Teil der im Rahmen dieser Reform in Angriff genommenen Neuerungen herausgebildete Probleme des Bundesstaats zu korrigieren versuchte, fällt ein Reformgegenstand im Bereich der Gesetzgebungskompetenzen aufgrund seiner Neuartigkeit und Beispiellosigkeit besonders ins Auge – die in Art. 72 Abs. 3 GG statuierte Abweichungsgesetzgebung. Mit dem in ihr angelegten Nebeneinander von Rechtssetzungen des Bundes und der Länder innerhalb einer Regelungsmaterie strapaziert sie die Funktionsweise des kooperativen Föderalismus ebenso wie den bundesstaatlichen Gedanken in seiner Gesamtheit. Dabei wird dieses Nebeneinander von Bundes- und Landesrecht im Vergleich zu der im Zuge der Föderalismusreform 2006 abgelösten Rahmengesetzgebung noch potenziert, da insoweit der Landesgesetzgeber nicht nur ausfüllend, sondern auch abweichend in Bezug auf die bundesrechtliche Regelung agieren kann.

Aufgrund dieser Neuartigkeit der Abweichungsgesetzgebung war den Ländern eine gewisse Erprobungsphase ihrer Legislativtätigkeit auf den Gebieten des die Abweichungsmaterien zeichnenden Art. 72 Abs. 3 Satz 1 GG zuzugestehen. Im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege (Art. 74 Abs. 1 ←26 | 27→Nr. 29 GG) sollten sich die Länder gerade nach der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes vom 29. Juli 2009 (BNatSchG)7 zu einer eigenen und mitunter auch abweichenden Gesetzgebung herausgefordert fühlen. Während sich nun einige Landesgesetzgeber zu einer umgehenden und gleichwohl umfassenden Kodifizierung ihres Landesnaturschutzrechts berufen sahen, verfolgte der sächsische Gesetzgeber das Ziel, die Neuordnung des sächsischen Naturschutzrechts in zwei Stufen zu verwirklichen. Dabei sollte der Spagat zwischen der Beibehaltung bereits bewährter Regelungen und der notwendigen Anpassung an das neue Bundesrecht bewältigt werden.8

B. Gegenstand und Ziel der Untersuchung

Ausgehend vom gerade gezeichneten Ansatzpunkt soll die vorliegende Arbeit einen Bogen zwischen der Entwicklungsgeschichte der Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG, vor allem im Zuge der Föderalismusreform 2006 bis hin zu ihrer konkreten Anwendung am Beispiel des sächsischen Naturschutzrechts schlagen. Dabei soll untersucht werden, ob sich die Abweichungsgesetzgebung im Referenzgebiet des Naturschutzrechts in der Rechtspraxis bewährt hat. Zugleich soll insoweit die Arbeit des sächsischen Gesetzgebers im Zuge des Sächsischen Naturschutzgesetzes vom 6. Juni 2013 (SächsNatSchG)9 im Spiegel der Herausforderungen und alternativen Lösungsvarianten, welche die Abweichungsgesetzgebung bietet, bewertet werden. Die Ausgangsfrage lautet demzufolge, ob mit der Abweichungsgesetzgebung ein praktisch handhabbarer Gesetzgebungsmechanismus geschaffen und ob von diesem im Sächsischen Naturschutzrecht in verfassungsrechtlich adäquater Weise Gebrauch gemacht worden ist.

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Hingegen möchte die Arbeit keine Antwort auf die Frage geben, ob die vom sächsischen Gesetzgeber vorgenommenen und gegebenenfalls abweichenden Regelungen im Sächsischen Naturschutzgesetz jeweils unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten begrüßenswert sind. Dementsprechend werden sowohl das Bundesnaturschutzgesetz wie auch die Anpassungsgesetze des sächsischen Gesetzgebers nicht auf ihre spezifisch naturschutzrechtlichen Qualitäten hin untersucht. Kernpunkt soll es vielmehr sein, die Vorschriften in Bezug auf die in Art. 72 Abs. 3 GG gezeichneten verfassungsrechtlichen Möglichkeiten zu überprüfen und darüber hinaus eine Bewertung darüber zu treffen, ob die Vorgehensweise des sächsischen Gesetzgebers, im Hinblick auf die Novellierung des sächsischen Naturschutzrechts wie auch die Gestaltung der jeweiligen Anpassungsgesetze, verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch angemessen war.

Eng mit dieser letzten Frage verbunden ist ein weiterer Untersuchungsgegenstand der Arbeit. Die Abweichungsgesetzgebung beansprucht neben ihrer inhaltlichen Vielschichtigkeit auch eine besondere Regelungstechnik. Insoweit kommt dem Landesgesetzgeber die Aufgabe zu, in seinen Normen klar zu verdeutlichen, ob und in welcher Art und Weise von einer bundesrechtlichen Regelung abgewichen wird. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied im Vergleich zur alten Rahmengesetzgebung, bei welcher grundsätzlich kein Anlass bestand, bestehende normtechnische Abhängigkeiten zwischen einer Bundes- und einer Landesnorm gesetzestechnisch darzustellen.10

Im Rahmen der eben kurz skizzierten verfassungsrechtlichen und normtechnischen Problemstellungen soll dabei das Sächsische Naturschutzgesetz vom 6. Juni 2013, welches als Art. 1 des Gesetzes zur Bereinigung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege am 22. Juli 2013 in Kraft trat,11 den Gegenstand der Untersuchung bilden.

C. Gang der Untersuchung

Zur Beantwortung der aufgeworfenen Kernfrage ist es zunächst notwendig, die Föderalismusreform 2006 als Ursprung zahlreicher Verfassungsänderungen darzustellen. Denn nur ausgehend hiervon lässt sich die verfassungsrechtliche Struktur sowie der Charakter der hier näher zu untersuchenden Abweichungsgesetzgebung hinreichend begreifen.

←28 | 29→

Bevor auf die Entstehungs- und Verlaufsgeschichte der Föderalismusreform 2006 eingegangen wird, sollen im Rahmen des ersten Kapitels der Anspruch und die Ziele der Reform dargestellt werden. Nur so können die Zielsetzungen und Beweggründe des verfassungsändernden Gesetzgebers, welche Reichweite und Anknüpfungspunkt der schließlich geschaffenen Regelungen mitbestimmen, in die Bewertung des Ergebnisses einfließen. Auch soll hier die Reformnotwendigkeit ausgehend von den zahlreichen bundesstaatlichen Verflechtungen auf Gesetzgebungs- wie Verwaltungsebene dargestellt werden.

Sodann soll die Entstehungs- und Verlaufsgeschichte der Föderalismusreform 2006 skizziert werden, wobei auf die Herausbildung der Abweichungsgesetzgebung ein besonderes Augenmerk gelegt wird. Die Darstellung von Verlaufs- und Entscheidungsprozessen soll dabei den Kompromisscharakter dieser Abweichungsgesetzgebung, welcher vor allem in der Arbeit der Bundesstaatskommission ersichtlich wird, deutlich machen.

Als für diese Arbeit relevanteste Neuerung im Zuge der Föderalismusreform 2006 widmet sich das zweite Kapitel den Verfassungsänderungen im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung unter besonderer Berücksichtigung der Abweichungsgesetzgebung. Diese wird dabei einer historischen wie auch strukturellen Untersuchung unterzogen. Besondere Beachtung wird dabei der Frage geschenkt, welchen Grenzen das materielle Abweichungsrecht der Länder unterworfen ist und welche Ausprägungen im Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung möglicher Abweichungen denkbar sind. Schließlich sollen die dem Abweichungsrecht unterfallenden Gesetzgebungsmaterien mit ihren abweichungsfesten Kernen kurz dargestellt werden.

Den Hauptteil der Arbeit nimmt das dritte Kapitel ein, welches den Umgang des sächsischen Gesetzgebers mit der Abweichungsgesetzgebung im Rahmen des Sächsischen Naturschutzgesetzes vom 6. Juni 2013 zum Gegenstand hat. Um den naturschutzrechtlichen Gesichtspunkt in die Betrachtung einzuführen, soll einleitend das Naturschutzrecht im Kompetenzgefüge des Grundgesetzes dargestellt werden, ehe das Bundesnaturschutzgesetz in der am 1. März 2010 in Kraft getretenen Fassung als abweichungsrechtlicher Bezugspunkt vorgestellt wird. Dabei soll wiederum keine naturschutzrechtliche Bewertung desselben erfolgen, sondern lediglich auf einige verfassungsrechtliche Problemstellungen, deren Betrachtung für die anschließende Bewertung der abweichungsrechtlichen Arbeit des sächsischen Gesetzgebers im Zuge des Sächsischen Naturschutzgesetzes notwendig ist, eingegangen werden.

Den Kernpunkt dieses Kapitels bildet die Darstellung und Untersuchung der einzelnen Novellierungsstufen des Sächsischen Naturschutzgesetzes. Dabei sollen jeweils Zielsetzung, Verfahren und inhaltliche Ausgestaltung der ←29 | 30→Anpassungsgesetze Gegenstand der Betrachtung sein, wobei der Fokus auf der zweiten Novellierungsstufe liegt, da diese insoweit die, von kleineren Änderungen abgesehen, bis heute maßgebliche Fassung des Sächsischen Naturschutzgesetzes beinhaltet. Verfassungsrechtliche Problemstellungen, welche in den Regelungen der ersten Stufe der Neuregelung des sächsischen Naturschutzrechts enthalten sind und im Rahmen der zweiten Stufe aufgrund der Beibehaltung der entsprechenden Normen erhalten bleiben, sollen nur an zuletzt genannter Stelle betrachtet werden. Grund für diese Vorgehensweise ist es, dem Leser ein umfassendes und zusammenhängendes Bild der naturschutzrechtlichen Regelungen und ihren verfassungsrechtlichen Problemstellungen im Rahmen der geltenden Rechtslage zu verschaffen.

Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch auf die regelungstechnische Vorgehensweise des sächsischen Gesetzgebers gelegt, bei welcher Gesetzessystematik, problematische Abweichungsformen sowie die Kennzeichnung von Abweichungen in der Paragraphenüberschrift oder im Normtext einer Betrachtung unterzogen werden.

Die Schlussbetrachtung soll die in der Arbeit gefundenen Ergebnisse in ihrem wesentlichen Gehalt zusammenfassen und zu einer Beantwortung der aufgeworfenen Kernfrage führen.


1 Insbesondere das republikanische Prinzip, das Bundesstaatsprinzip, das Demokratieprinzip, das Rechtsstaatsprinzip und das Sozialstaatsprinzip.

2 Sommermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Bd. 2, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 2.

3 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 2.

4 Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 126 Rn. 6.

5 Vgl. zum US-amerikanischen Konzept des „cooperative federalism“ Kewenig, AöR 1968, S. 433 ff.

6 Vgl. hierzu Erstes Kapitel, A.

7 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 15. September 2017 (BGBl. I S. 3434).

8 Vgl. insoweit zum Gesetz zur Anpassung des Landesumweltrechts an das neue Bundesrecht aufgrund der Föderalismusreform, Drittes Kapitel, C., II., 1., a) sowie zum Gesetz zur Bereinigung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, Drittes Kapitel, C., III., 1.

9 Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege im Freistaat Sachsen (Sächsisches Naturschutzgesetz – SächsNatSchG) vom 6. Juni 2013 (SächsGVBl. S. 451), zuletzt geändert durch Artikel 25 des Gesetzes vom 29. April 2015 (SächsGVBl. S. 349). Die beiden nach dem 6. Juni 2013 vorgenommenen Änderungen vom 2. April 2014 (SächsGVBl. S. 234, 235) und vom 29. April 2015 (SächsGVBl. S. 349, 362) wurden berücksichtigt, haben für die hier zu betrachtende verfassungsrechtliche Problemstellung aber keine größere Relevanz.

10 Der Gesetzesvollzug richtete sich bis auf wenige Ausnahmen stets nach der landesrechtlichen Vorschrift, vgl. Krings, NordÖR 2010, S. 181 (182 f.).

11 Die §§ 46 Abs. 2 Satz 2 und 48 Abs. 3 Satz 1 SächsNatSchG traten am 6. Juli 2013 in Kraft.

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Erstes Kapitel Zur Föderalismusreform 2006 – Ziele, Anspruch und Entstehungsgeschichte der Reform

Die Darstellung der Ziele der Föderalismusreform 2006 findet ihre Ansätze zunächst in jenen Punkten, die ausdrücklich in die Begründung des Entwurfs zum 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes eingeflossen sind.12

Motiv für die Föderalismusreform 2006 als Teil eines föderalismuspolitisch laufenden Modernisierungsprozesses13 war danach vor allem die eingetretene Verflechtung und das sichtbar gewordene Ungleichgewicht der verschiedenen Ebenen des Föderalismus – die des Bundes und die der Länder.14 Die daraus resultierenden Problemkreise sind auch mitentstanden durch die Grundgesetzänderungen der 1960er Jahre sowie der primär bundesstaatlich inspirierten Verfassungsnovelle des Jahres 1994.15 Folgt man nun den Aussagen der Gesetzesbegründung, so stellt eben die Ausbalancierung jener entstandenen Verflechtungen ein Hauptanliegen der Föderalismusreform 2006 dar.

Die Darstellung der vielschichtigen Zielsetzungen der Föderalismusreform 2006 sind damit ebenso Gegenstand des folgenden Abschnitts wie ein kurzer Überblick über die Verflechtungen des Bundesstaats vor dieser Reform.

A. Die niedergeschriebenen Ziele der Föderalismusreform 2006

Die Reformziele, wie sie in der Begründung des Entwurfs zum 52. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes bezeichnet sind, haben ihren Ursprung in einem Beschluss der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten der Länder vom 14. Dezember 2005.16

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I. Die Formulierung der Zielsetzungen

Die niedergeschriebene Zielsetzung der Föderalismusreform 2006, welche sich allgemein mit der Entflechtung föderaler Beziehungen17 beschreiben lässt, umfasst im Wesentlichen vier Punkte:

Ein grundlegendes Ziel der Reform war demnach zunächst die Stärkung der Gesetzgebung von Bund und Ländern, insbesondere durch eine deutlichere Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen.18 Eine Konsequenz im Zuge dieser Zielsetzung war der Wegfall der bis dahin geltenden Rahmengesetzgebung.19

Ein zweites Ziel der Reform war der Abbau von Zustimmungsrechten des Bundesrates. Anlass dieser Zielsetzung war die Vermeidung gegenseitiger Blockaden zwischen Bundestag und Bundesrat.20 Beiden bisher genannten Zielen der Föderalismusreform 2006 liegt das Bestreben zugrunde, die Zuordnung von bundesstaatlicher Verantwortung, insbesondere geregelt durch die im Grundgesetz formulierten Gesetzgebungskompetenzen, wieder deutlicher hervortreten zu lassen.21 Durch die Herabsetzung der Blockademöglichkeiten des Bundesrates gegenüber dem Bundestag sollte die Möglichkeit für Bund und Länder gestärkt werden, unabhängig voneinander gesetzgeberisch tätig zu werden.

Ein drittes Ziel der Reform wurde in dem Abbau der Mischfinanzierung gesehen. Darin enthalten war die Neufassung der Möglichkeiten für Finanzhilfen des Bundes, mit welchen auch im Hinblick auf den Solidarpakt II Zusagen für die neuen Länder bekräftigt werden sollten.22

Ein vierter und letzter Punkt liegt in der Stärkung der Europatauglichkeit des Grundgesetzes, welche durch eine Neuregelung der Außenvertretung und durch ←32 | 33→Bestimmungen zum nationalen Stabilitätspakt „sowie zur Verantwortlichkeit für die Einhaltung von supranationalem Recht“ erreicht werden sollte.23

II. Die Ausbalancierung zwischen Solidarität und Kooperation auf der einen und Wettbewerb auf der anderen Seite

Das Verhältnis der einzelnen Zielsetzungen zueinander besteht in der schwerpunktmäßigen Neuausrichtung der Entflechtung der föderalen Beziehungen auf der einen Seite und die Stärkung der Europatauglichkeit des Grundgesetzes auf der anderen Seite.24

Die Gesetzesbegründung formuliert dabei die Ausbalancierung zwischen Solidarität und Kooperation, welche dem Wettbewerb gewissermaßen gegenüberstehen. Jene durch bisherige Grundgesetzänderungen notwendig gemachten Korrekturen des Föderalismus sollten durch den Abbau von Kooperation und durch die Stärkung des föderalen Wettbewerbs erreicht und zudem beide föderalen Ebenen in ihrer selbstständigen Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Die Etablierung eines „Wettbewerbsföderalismus“ war dabei zumindest eine im Hintergrund angesiedelte Grundidee.25

Zur oben genannten Ausbalancierung sollten entsprechend der Gesetzesbegründung wieder klarere Verantwortlichkeiten geschaffen sowie jene Verflechtungen zwischen Bund und Ländern abgebaut werden, welche sich als demokratie- und effizienzhinderlich erwiesen hatten.26

1. Die Ausbalancierung im Bereich der Gesetzgebungszuständigkeiten

Das Grundgesetz sieht in seinem Art. 70 Abs. 1 GG die grundsätzliche Kompetenz zur Gesetzgebung bei den Ländern. Entgegen des unmittelbaren Wortlautes war diese grundsätzliche Regelungskompetenz der Länder jedoch bereits zu Beginn der Verfassungswirklichkeit des Grundgesetzes als Festlegung einer Restkompetenz statuiert.27 Das insoweit bereits überschaubare Maß der Gesetzgebungskompetenzen der Länder wurde seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes ←33 | 34→vor allem im Zuge zahlreicher Verfassungsänderungen einer kontinuierlichen Erosion ausgesetzt.28 Die Zuständigkeiten der Länder schrumpften trotz der Regelung des Art. 79 Abs. 3 GG, welche mit den Worten des Bundesverfassungsgerichts den Ländern garantiert, dass ihnen auch im Bereich der Gesetzgebung ein „Hausgut eigener Zuständigkeit unentziehbar verbleibt“, auf einige wenige Sachbereiche zusammen.29 Dennoch lässt sich der Vorwurf, dass in den Jahren nach 1949 eine nicht mehr hinnehmbare Kompetenzverschiebung zugunsten des Bundes und zulasten der Länder vollzogen wurde, in gewissem Umfang dadurch entkräften, dass es sich bei den durch den Bund nach 1949 beanspruchten Materien der konkurrierenden Gesetzgebung nicht selten um solche gehandelt hat, die 1949 noch nicht ins Blickfeld des Verfassungsgebers treten konnten.30 Insoweit geht es nicht um Kompetenzverschiebungen, sondern vielmehr um die richtige Zuordnung neu entdeckter Gesetzgebungskompetenzen.31 Zudem hat es nach dem Jahr 1949 auch echte Kompetenzverschiebungen zugunsten der Länder und zulasten des Bundes gegeben. So hat der Bund die Kompetenz über die Staatsangehörigkeit in den Ländern (Art. 74 Nr. 8 des Grundgesetzes in der Fassung bis zum 31. August 2006 [GG a.F.]) ebenso aufgegeben wie das Gesetzgebungsrecht über das Erschließungsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG). Auch wurde das Recht zum Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ins Ausland (Art. 74 Nr. 5 GG a.F.) zur Rahmenkompetenz herabgestuft. Zudem scheint sich der Vorwurf eines stetigen Kompetenzverlusts der Länder ein Stück weit dadurch zu relativieren, wenn man die erheblichen Mitsprachegewinne des Bundesrates seit 1949 berücksichtigt.32

Details

Seiten
330
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631791899
ISBN (ePUB)
9783631791905
ISBN (MOBI)
9783631791912
ISBN (Hardcover)
9783631785430
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juli)
Schlagworte
Föderalismusreform 2006 Bundesstaatlichkeit Konkurrierende Gesetzgebung Abweichungskompetenz Zweistufige Novellierung Regelungstechnik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 330 S.

Biographische Angaben

Christian Szmais (Autor:in)

Christian Szmais studierte Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig. Er war dort als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatskirchenrecht von Professor Dr. Jochen Rozek tätig, wo auch seine Promotion erfolgte.

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Titel: Die Abweichungsgesetzgebung des Art. 72 Abs. 3 GG im Freistaat Sachsen
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