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Der Werdersche Markt in Berlin

Vier Jahrhunderte deutsche Geschichte an einem Ort

von Helmut Zschocke (Autor:in)
©2020 Monographie 138 Seiten

Zusammenfassung

Es sind teilweise weit über Berlin hinaus bekannt gewordene Persönlichkeiten, die am Werderschen Markt in Berlin zu historisch unterschiedlichsten Zeitpunkten wohnten und wirkten und an die keine Gedenktafel erinnert: Der kurfürstliche Premierminister, der im Kerker landet; der holländische Kaufmann, der Brandenburg in eine Seemacht verwandeln will, der Buchdrucker und Erfinder eines gemeinnützigen, auch außerhalb des Landes geschätzten Stadtmöbels, der Schöpfer des ersten Kaufhauses von Berlin, der Chef der Deutschen Reichsbank, der sich willig den NS-Machthabern andient, der Direktor des Reichskriminalpolizeiamts, der sich nach 1933 mittels Tricks, Intrigen, aber auch mit regimekonformen verbrecherischen Taten durchschlängeln will, der Kirchenmann, der sich mutig der nationalsozialistischen Ideologie widersetzt, der SED-Chef und Staatsratsvorsitzende, der wie sein Nachfolger versucht, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten und scheitert.
Viel ehrgeiziges Streben, aber auch Größenwahnsinniges hat der Werdersche Markt erlebt. Mit diesem Wissen ausgestattet, sieht mehr, wer dort wohnt, arbeitet, übernachtet oder flaniert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titelseite
  • Impressum
  • About the autor
  • About the book
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • 1. Der Friedrichswerder im Zeitenwandel
  • Die ersten repräsentativen Bauten am Werderschen Markt
  • Hofbediente und Hugenotten
  • Gewerbetreibende
  • Das Friedrichswerdersche Gymnasium
  • Die Zerstörung der kleinteiligen Stadtstruktur
  • Alte und neue Reichsbank
  • 2. Vom Premierminister zum Häftling. Eberhard von Danckelmann
  • 3. Brandenburg als Kolonialmacht? Benjamin Raule
  • 4. Reklamekönig und Patriot. Ernst Litfaß
  • 5. Der Kaufhaus-Pionier. Hermann Gerson
  • 6. Als Finanz-Autorität unantastbar? Hjalmar Schacht
  • 7. Kriminalpolizei unter NS-Willkür. Arthur Nebe
  • 8. Evangelischer Protest im Dritten Reich. Martin Niemöller
  • 9. Väter eines totgeweihten Kindes. Walter Ulbricht und Erich Honecker
  • 10. Epilog
  • Literaturverzeichnis
  • Bildnachweis

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Einführung

Die in Verlängerung der Französischen Straße auf das Berliner Schloss zulaufende Straße „Werderscher Markt“, bis zum Jahre 1999 „Werderstraße“, erinnert kaum an einen ehemaligen Marktplatz. Schwer vorstellbar, dass hier einst ein buntes Treiben herrschte und gackernde Hühner, in der Sonne leuchtende Äpfel oder Tontöpfe feilgehalten wurden. Allenfalls der unbebaute Raum vor Schinkels Friedrichswerderscher Kirche, der sich bis zur – noch immer als Blendwerk auftretenden - Bauakademie erstreckt, lässt an eine ehemals zentral angelegte Freifläche denken. Hugo Lederers später, im Jahre 1928 aufgestellter und 1958 erneuerter Brunnen, auf dem die Bärenmutter ihre spielenden Kinder beaufsichtigt sowie ein paar Bäume und Sitzbänke betonen die Unterbrechung der Häuserfront und laden zum Verweilen ein.

Das streng die Straßenfront einhaltende Auswärtige Amt gegenüber und ebenso das von dem Vier-Sterne-Arthotel dominierte Karree lassen hingegen keinen Platz für freie Fläche. Stutzig macht allerdings der Blick auf einen Wegweiser. Die Straße, die - beide Blöcke trennend - gegenüber der Kirche einmündet, trägt an ein- und demselben Pfahl zwei gleichermaßen nach Süden weisende Namensschilder: „Werderscher Markt“ und „Kurstraße →“. Letztere beginnt nach etwa achtzig Metern und erweist sich als Verlängerung der ersteren. Bis zur Scheidelinie, die sich in Höhe der Jägerstraße befindet, muss demnach einst die südliche Ausdehnung des Marktes gereicht haben. Ältere Stadtkarten bestätigen denn auch das Vorhandensein dieses Freiraums. Seine Bebauung, zu der das Rathaus gehörte, ging teilweise bis ins ausgehende 17. Jahrhundert zurück.

Aber bereits zweihundert Jahre später ist dieser Teil des Werderschen Markts historischen Unterlagen zufolge verschwunden. Wertvolle, von der Geschichte der Stadt und derjenigen Preußens zeugende Gebäude werden der berüchtigten Berliner Abrisswut geopfert. Die aufstrebende Weltstadt bringt stattdessen ihre eigenen architektonischen Zeugnisse hervor.

Jedoch auch deren Jahre sind gezählt. Was in den Dreißigern des vorigen Jahrhunderts folgt und nur wegen des Krieges unvollendet bleibt, ist einmalig in Berlin. Im Zuge des Kahlschlags für den Erweiterungsbau der Reichsbank (den heute das Auswärtige Amt nutzt) verschwinden zugunsten dieses einen neuen Bauwerks nicht weniger als 69 eigenständige bebaute Grundstücksparzellen. Zugleich fallen dem bombastischen Bauvorhaben vier komplette Straßen zum Opfer; weitere Straßenzüge verlieren die Häuser auf einer Seite.

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Nichts erinnert heute südlich der West-Ost-Straße Werderscher Markt (die übrigens ihren neuen Namen gleichzeitig mit der Arbeitsaufnahme des Auswärtigen Amts erhielt) an die Vergangenheit. Nur wenige Beamte und Angestellte des Ministeriums dürften wissen, was für ein buntes städtisches Leben unter ihren Füßen einst stattgefunden hat. Und wer von den im Hotel oder in den Büros des Karrees Tätigen, wer von den Bewohnern der dortigen Appartements ahnt die dramatischen Veränderungen, die sich hier vor dem Krieg vollzogen – ein Wandel von Stätten voller Gewerbefleiß, Alltagsleben und Gemütlichkeit in einen Ort von Repression und Menschenverachtung!

Gewiß lohnt es, an verschwundene wertvolle Bausubstanz des Werderschen Markts und seines Umfelds zu erinnern. Aber unbedingt zu würdigen sind - häufig weit über Berlin hinaus bekannt gewordene - Persönlichkeiten, die hier zu historisch unterschiedlichsten Zeitpunkten wohnten und wirkten und an die keine Gedenktafel erinnert: Der kurfürstliche Premierminister, der trotz seiner Verdienste im Kerker landet; der holländische Kaufmann, der im Auftrag des Großen Kurfürsten versucht, Brandenburg in eine Seemacht zu verwandeln und nach anfänglichen Erfolgen scheitert; der Buchdrucker, Erfinder eines gemeinnützigen, auch außerhalb des Landes geschätzten Stadtmöbels, der trotz aller Umtriebigkeit nicht die Anerkennung „ganz oben“ erlangt, wie sie anderen Unternehmern zuteil wird; der Schöpfer des ersten Kaufhauses von Berlin, dessen Lebenswerk der sog. Arisierung zum Opfer fällt; der Chef der Deutschen Reichsbank, der sich willig den NS-Machthabern andient und den zu keiner Zeit Schuldgefühle quälen; der Direktor des NS-Reichskriminalpolizeiamts, der sich mittels Tricks, Intrigen, aber auch mit regimekonformen verbrecherischen Taten durchschlängelt – und zugrunde geht; der Kirchenmann, der sich mutig der NS-Ideologie widersetzt; der SED-Chef und Staatsratsvorsitzende, der wie sein Nachfolger versucht, eine sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten, was zum Scheitern verurteilt ist.

Viel ehrgeiziges Streben, aber auch Größenwahnsinniges hat der Werdersche Markt erlebt. Mit diesem Wissen ausgestattet, sieht mehr, wer dort wohnt, arbeitet, übernachtet oder flaniert.

Details

Seiten
138
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631830895
ISBN (ePUB)
9783631830901
ISBN (MOBI)
9783631830918
ISBN (Paperback)
9783631829097
DOI
10.3726/b17346
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Juni)
Schlagworte
Gerson Nebe Schacht Niemöller Ulbricht Honecker Litfaß
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 138 pp., 86 fig. b/w.

Biographische Angaben

Helmut Zschocke (Autor:in)

Helmut Zschocke studierte Volkswirtschaft und Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er war zunächst an einem Wirtschaftsforschungsinstitut in Berlin-Ost tätig, dann im Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg, Potsdam. Seit einigen Jahren veröffentlicht er Bücher zu bisher wenig bearbeiteten und weitgehend unbekannten Themen aus der Berliner Geschichte (Akzisemauer, Königliche Bahnhofs-Verbindungsbahn, Studentenviertel rings um das Oranienburger Tor, Umsetzung Alt-Berliner Bauten, Alsenviertel am Bundeskanzleramt).

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Titel: Der Werdersche Markt in Berlin
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