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Haftungsverschonung im Anstellungsvertrag des Vorstands

Möglichkeit selbstbeschränkender Bindungen des Aufsichtsrats mit Bezug zu Entscheidungen im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Vorstandshaftung

von Maren Abraham (Autor:in)
©2019 Dissertation 338 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin befasst sich in der vorliegenden Untersuchung mit der Frage, ob und inwieweit der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft selbstbindende Vereinbarungen mit Blick auf die Haftung von Vorstandsmitgliedern eingehen kann. Hierbei werden zunächst die Grundzüge der in § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG kodifizierten Vorstandshaftung einschließlich des ARAG-Urteils des Bundesgerichtshofs sowie der Ansatz einer fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierung dargelegt. Sodann werden Möglichkeiten analysiert, auf die Entscheidungen des Aufsichtsrats über die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen einerseits und über den Abschluss eines Vergleichs andererseits präjudiziell einzuwirken. Die Untersuchung schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort und Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Erstes Kapitel: Einleitung
  • Zweites Kapitel: Die aktiengesetzliche Vorstandsinnenhaftung
  • A. Die gesetzliche Haftungsanordnung in § 93 Abs. 2 S. 1 AktG
  • I. Materielle Haftungsvoraussetzungen gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG
  • 1. Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds
  • a) Pflichten des Vorstandsmitglieds
  • b) Ausschluss einer Pflichtverletzung gemäß der Business Judgment Rule
  • 2. Verschulden
  • 3. Kausaler Schaden
  • 4. Beweislast
  • 5. Verjährung
  • II. Sinn und Zweck der Haftung
  • III. Absicherung der Haftung durch weitere aktiengesetzliche Vorschriften
  • IV. Kritik an der materiellen Haftungsanordnung
  • 1. Pflichten des Vorstands und Pflichtverletzung
  • 2. Verschulden
  • 3. Haftung für den infolge Pflichtverletzung entstehenden Schaden
  • 4. Beweislast
  • 5. Systematische, rechtsökonomische und rechtspolitische Erwägungen
  • 6. Blick auf die Beschlussfassung des 70. Deutschen Juristentags
  • B. Das ARAG-Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.04.1997
  • I. (Kognitiver) Erkenntnisbereich
  • II. (Voluntativer) Handlungsbereich
  • 1. Unternehmenswohl als Orientierungspunkt der Entscheidung über Verfolgung oder Nichtverfolgung
  • 2. Regelverfolgungspflicht und regelreduziertes bzw. intendiertes Ermessen
  • 3. Entscheidungsspielräume des Aufsichtsrats zum Absehen von Verfolgung
  • a) Möglichkeit der Differenzierung zwischen Tatbestand (Beurteilungsspielraum) und Rechtsfolge (Ermessensspielraum)
  • b) Ermessen des Aufsichtsrats bei der Verfolgungsentscheidung
  • aa) Rechtsnatur und Reichweite des eingeräumten Ermessens
  • (1) Kein freies Ermessen
  • (2) Unternehmerisches Ermessen?
  • (3) Wenigstens eng begrenztes, inhaltlich nicht genau konturiertes Ermessen
  • bb) Konzeptionelle Vereinbarkeit von Ermessen und Unternehmenswohlverpflichtung
  • (1) Generelle Ermessensreduzierung aufgrund übergeordneter Wertungen bzw. gebundene Entscheidung trotz Einräumung von Ermessen
  • (2) Koppelungsvorschriften
  • (a) Einheitliche Ermessensausübung anhand unbestimmten Rechtsbegriffs
  • (b) Kein über Beurteilungsspielraum hinausgehender Entscheidungsspielraum trotz Einräumung von Ermessen
  • (c) Verfolgungsentscheidung als „Koppelungsentscheidung“
  • c) Beurteilungsspielräume des Aufsichtsrats bei der Verfolgungsentscheidung
  • d) Entscheidung am Maßstab des Unternehmenswohls
  • aa) Zubilligung von Ermessen oder Beurteilungsspielräumen als akademische Streitfrage
  • bb) Verpflichtung zum Absehen von Verfolgung
  • cc) Teilregress auf Grundlage der Unternehmenswohlverpflichtung
  • e) Gerichtliche Nachprüfung der Verfolgungsentscheidung
  • aa) Implikationen des ARAG-Urteils in Bezug auf die gerichtliche Nachprüfbarkeit
  • bb) Disparates Meinungsbild in der Literatur
  • (1) Volle gerichtliche Nachprüfbarkeit
  • (2) Beschränkte gerichtliche Nachprüfbarkeit
  • f) Eigene Position im Hinblick auf Rechtsnatur und gerichtliche Nachprüfbarkeit der Verfolgungsentscheidung
  • 4. Tatbestandliche Konkretisierung des ausnahmsweisen Absehens von Verfolgung
  • a) Ausführungen des BGH in Bezug auf das Absehen von Verfolgung
  • b) Konvergenz des zum Absehen von Verfolgung berechtigenden Ausnahmefalls mit dem Unternehmenswohl
  • aa) Ausführungen im ARAG-Urteil
  • bb) Individuelle Interessen des Vorstandsmitglieds
  • (1) Vermögensbindung des Aufsichtsrats
  • (2) Fürsorgerechtlicher Einschlag des ARAG-Urteils?
  • (3) Betonung der Schadenskompensation bzw. des Gesellschaftsvermögens
  • (4) Erfordernis einer Konvergenz zwischen individuellen Interessen und Unternehmenswohl
  • (5) Absehen von Verfolgung nicht als Ausnahme von der ausschließlichen Verpflichtung auf das Unternehmenswohl
  • c) Berücksichtigung von anderen Faktoren als der Schadenskompensation
  • aa) Grundsätzliche Berücksichtigungsfähigkeit von anderen Faktoren als der Schadenskompensation
  • bb) Nachweis bzw. Bezifferung der infolge Verfolgung konkret drohenden Vermögensnachteile
  • cc) Prozedurale Anforderungen an Entscheidungsvorbereitung und Informationsgrundlage
  • 5. Bewertung der Spielräume des Aufsichtsrats bei der Verfolgungsentscheidung
  • a) Spielräume zur Nichtverfolgung umfassender als vielfach angenommen, aber unternehmenswohlgebunden
  • b) Fehlen abschließender, transparenter Kriterien für eine Nichtverfolgung
  • c) Rechtsunsicherheit bezüglich prozeduraler Vorbereitungs- und Informationspflichten
  • d) Fazit zu Spielräumen bei der Verfolgungsentscheidung in der Praxis
  • C. Fürsorgepflichtbasierte Regressreduzierung
  • I. Entwicklung der Diskussion um eine Begrenzung des Innenregresses aus Gründen einer Fürsorgepflicht der Gesellschaft
  • II. Rechtstechnische Umsetzung einer fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierung
  • 1. Dogmatisches Fundament: Fürsorgepflicht
  • 2. Inhaltliche Konturierung: Wertungen der Arbeitnehmerhaftung
  • 3. Rechtsfolge: Auswirkung auf Bestand oder Geltendmachung des Anspruchs
  • III. Konflikt einer fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierung mit dem aktiengesetzlichen Haftungssystem
  • 1. Totalkompensation bei jeder Verschuldensform (§ 93 Abs. 2 S. 1 AktG)
  • 2. Verbot des Verzichts ohne Zustimmung der Hauptversammlung (§ 93 Abs. 4 S. 3 AktG)
  • IV. Methodische Absicherung einer fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierung bzw. Überlagerung von § 93 AktG aufgrund zwingender gesetzlicher Wertungen
  • 1. Keine direkte Anwendbarkeit der Grundsätze zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung
  • 2. Keine Analogie zu den Grundsätzen zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung
  • a) Fehlen einer Regelungslücke
  • b) Fehlen einer vergleichbaren Interessenlage
  • aa) Unvermeidbarkeit von Fehlern aufgrund menschlicher Unzulänglichkeit
  • bb) Arbeit als wirtschaftliche Existenzgrundlage
  • cc) Unzumutbare Haftungssummen und fehlende Äquivalenz zwischen Einkommen und Schaden
  • dd) Spezifische Risikozurechnung und -verteilung im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber
  • (1) Betriebsgefahr
  • (2) Organisationsrisiko, organisatorische Abhängigkeit und Eingliederung
  • ee) Fazit zur vergleichbaren Interessenlage
  • 3. Keine teleologische Reduktion aufgrund zwingender gesetzlicher Wertungen
  • a) Verwirklichung verfassungsrechtlich gebotenen Schuldnerschutzes über das Vollstreckungsrecht
  • b) Exorbitantes Schadensausmaß und begrenzte persönliche Leistungsfähigkeit des Schuldners keine Kriterien
  • c) Keine Berücksichtigung besonderer konstitutioneller Schadensanfälligkeit des Geschädigten
  • d) Ausnahmsweise bereits Beschränkung der materiell-rechtlichen Haftung
  • e) Fazit zur teleologischen Reduktion
  • 4. Wertungstransfer über eine Fürsorgepflicht?
  • a) Dogmatische Inkonsistenz
  • b) Anspruchsrestringierende Konzeption der Fürsorgepflicht
  • c) Position der Rechtsprechung zur fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierung
  • d) Fazit zur fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierung
  • Drittes Kapitel: Selbstbeschränkende Vereinbarungen des Aufsichtsrats mit Bezug zur Verfolgungsentscheidung
  • A. Zulässiger Inhalt des Anstellungsvertrags: Zwingendes Aktienrecht als Grenze
  • B. Konzeptionen von Verschonungsregelungen
  • I. Einbeziehung der D&O-Versicherung
  • II. Rechtsfolgenbezogene Regelungen
  • III. Tatbestandseinbeziehende Regelungen
  • IV. Bindung für typische Fälle und Abweichungsmöglichkeit für atypischen Fall
  • V. Deklaratorischer Hinweis auf Rechtslage
  • VI. Keine Bindung in Richtung eines bestimmten Erfolgs
  • 1. Nicht abschließende Enumeration der zu berücksichtigenden Aspekte
  • 2. Besondere Prüfungspflicht in bestimmten tatbestandlichen Konstellationen
  • 3. Ausschließliche Verpflichtung auf das Unternehmenswohl
  • C. Entscheidungsautonomie des Aufsichtsrats
  • I. Der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan im dualistischen System der Aktiengesellschaft
  • II. Grundsätze der Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat
  • 1. Kollegialverfassung
  • 2. Höchstpersönlichkeit
  • 3. Unabhängigkeit
  • 4. Ausschließliche Orientierung am Unternehmenswohl
  • 5. Beschlussmängel
  • 6. Verschonungsregelung
  • III. Entscheidungsautonomie des Aufsichtsrats
  • 1. Verbot von unzulässigem Entscheidungsdruck
  • a) Beschneidung von Entscheidungsmacht: Weisungsrechte, Zustimmungsvorbehalte, verbindliche Vorschlagsrechte
  • b) Beeinflussung des Motivationsprozesses
  • aa) Sanktionsdruck
  • bb) Sonstiger unzulässiger Entscheidungsdruck
  • c) Verschonungsregelung
  • 2. Entscheidung auf aktueller Tatsachengrundlage in konkreter Situation: Verbot selbstbeschränkender Vereinbarungen?
  • a) Legitimation eines Einzelfallerfordernisses
  • b) Selbstbeschränkende Bindungen des Vorstands: Relative Zulässigkeit
  • c) Selbstbeschränkende Bindungen des Aufsichtsrats
  • aa) Generelle Unzulässigkeit von selbstbeschränkenden Bindungen des Aufsichtsrats?
  • bb) Differenzierung nach der dem Aufsichtsrat übertragenen Aufgabe
  • cc) Verfolgungsentscheidung des Aufsichtsrats: Absolute Unzulässigkeit von selbstbeschränkenden Bindungen?
  • (1) Innerorganschaftliche Prozesse und spezifische Organpflichten
  • (2) Starke Situationsabhängigkeit
  • (3) Zulässigkeit beschränkender Vereinbarungen trotz starker Situationsangemessenheit der Entscheidung
  • (a) Verwaltungsrechtliche Ermessensrichtlinien: Typisierung von Einzelfällen
  • (b) Gesellschaftsrechtliche Ermessensbeschränkungen: Unternehmenswohl und Verhältnismäßigkeit
  • (c) Abweichungsrecht bzw. Fiduciary Out-Regelung
  • (d) Implikationen für eine Verschonungsregelung
  • (4) Entscheidung über Anspruchsverfolgung und Regressreduzierung: Spezifisches Einzelfallerfordernis?
  • (a) Statutarische Ermessensbeschränkungen
  • (b) Verwaltungsrechtliche Ermessensrichtlinien
  • (c) Entscheidung des Aufsichtsrats über Anspruchsverfolgung und Regressreduzierung
  • (5) Fazit zum Einzelfallerfordernis bei der Verfolgungsentscheidung
  • (a) ARAG-Urteil: Konkrete Einzelfallbetrachtung
  • (b) Fürsorgepflichtbasierte Regressreduzierung: Existenzvernichtungsschutz (bei geringem Verschulden)
  • (c) Konstitutiver Anspruch aufgrund nicht anerkannter Regressreduzierungsfigur?
  • 3. Entscheidung in aktueller Aufsichtsratsbesetzung
  • a) Verbot von Fremdsteuerung und Fremdbeeinflussung durch gesellschaftsfremde Dritte und aufsichtsratsexterne Organe
  • b) Keine Bindung durch Beschlussfassung früheren Aufsichtsrats
  • c) Bindung des Aufsichtsrats durch Beschlussfassung früheren Aufsichtsrats
  • aa) Lediglich deklaratorische „Bindung“
  • bb) Bindungswirkung eines Handelns gemäß § 116 S. 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 S. 2 AktG
  • cc) Verpflichtung der Gesellschaft und interne Zuständigkeit des Aufsichtsrats
  • d) Aufsichtsratsbezogene Bindungen mit Wirkungen im Außenverhältnis
  • aa) Mangelnde Verpflichtungsfähigkeit des Aufsichtsrats im Außenverhältnis
  • bb) Verpflichtung der Gesellschaft und interne Zuständigkeit des Aufsichtsrats
  • cc) Mangelnde Dispositionsbefugnis der einzelnen Aufsichtsratsmitglieder
  • 4. Fazit zu Verschonungsregelungen vor dem Hintergrund der Entscheidungsautonomie des Aufsichtsrats
  • D. Restriktionen gemäß § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
  • I. Sinn und Zweck von § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
  • II. Erfasste Rechtshandlungen: Verzicht, Vergleich, sonstige gleichstehende Rechtshandlungen
  • 1. Verzicht und Vergleich
  • 2. Sonstige gleichstehende Rechtshandlungen
  • a) Materielle Betrachtung oder methodisches Vorgehen
  • aa) Materielle Betrachtung: Abheben auf wirtschaftliche Äquivalenz
  • bb) Teleologische Reduktion im Hinblick auf den Vergleich und Analogiebildung im Hinblick auf den Verzicht
  • b) Stundung und pactum de non petendo als verzichtsähnliche Rechtshandlungen
  • aa) Stundung und pactum de non petendo
  • bb) Irrelevanz der Verjährungshemmung
  • cc) Bezug zur Geltendmachung statt zum Bestand des Anspruchs
  • dd) Einrede bzw. Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners
  • ee) Dauerhaftes oder vorübergehendes Hindernis für die Geltendmachung
  • e) Eigene Position
  • III. Abgrenzung zur tatsächlichen Nichtgeltendmachung
  • 1. Faktisches Näheverhältnis zur Begründung von Regelverfolgungspflicht und Ermessensbeschränkung
  • 2. Passives Verjährenlassen statt aktiven Angriffs auf den Anspruch
  • 3. Eintritt endgültiger Vermögenseinbuße
  • 4. Vertrauen in Nichtinanspruchnahme: Internum statt rechtsverbindlicher Erklärung nach außen
  • 5. Reversibilität der Nichtverfolgung: Möglichkeit der einseitigen Entscheidung zu Gunsten Anspruchsgeltendmachung
  • IV. Verschonungsregelung
  • 1. Kein rechtlich-formeller Verzicht
  • 2. Verzichtsähnliche Rechtshandlung oder wertungsmäßig tatsächliche Nichtgeltendmachung?
  • a) Bezug zur Geltendmachung des Anspruchs
  • b) Rechtsverbindliche Erklärung nach außen und Vertrauenstatbestand bzw. Einrede
  • aa) Ungerechtfertigter Anspruch auf bestimmtes Verfolgungsverhalten bzw. konstitutive Einrede
  • bb) Wertungsmäßige Nähe zur tatsächlichen Nichtgeltendmachung bzw. deklaratorische Einrede?
  • cc) Bindung im Rahmen der Vertretbarkeit
  • dd) Sicherung der Pflichtgemäßheit der Verfolgungsentscheidung bzw. (fehlende) Generalisierbarkeit der Verfolgungsentscheidung
  • V. Zustimmung der Hauptversammlung vor Eintritt des Haftungsfalls?
  • VI. Alternative Gestaltung einer Verschonungsregelung
  • 1. Deklaratorischer Hinweis auf Rechtslage
  • 2. Keine Bindung in Richtung eines bestimmten Erfolgs
  • E. Unbeschränkte Haftung bei jeder Verschuldensform
  • I. § 93 Abs. 2 S. 1 als zwingendes Recht
  • II. Unzulässigkeit von Haftungsbeschränkungen nach geltendem Recht
  • III. Kein Verstoß gegen § 93 Abs. 2 S. 1 AktG bei Nichtverfolgung in Einklang mit ARAG-Vorgaben und bei zwingender fürsorgepflichtbasierter Regressreduzierung
  • Viertes Kapitel: Selbstbeschränkende Vereinbarungen des Aufsichtsrats mit Bezug zur Entscheidung über einen Haftungsvergleich zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied
  • A. Einvernehmliche Regelung der Vorstandshaftung im Wege eines Vergleichs
  • I. Interesse der Parteien an einem Vergleich an Stelle einer Anspruchsverfolgung
  • 1. Vermeidung langandauernden Prozesses
  • 2. Vermeidung von Kosten
  • 3. Reaktion auf begrenzte persönliche Leistungsfähigkeit des Vorstandsmitglieds
  • 4. Wahrung der Reputation
  • II. Verfahren beim Vergleich über Organhaftungsansprüche
  • 1. Verhandlungs- und Abschlusskompetenz des Aufsichtsrats
  • 2. Letztentscheidungsbefugnis der Hauptversammlung
  • 3. Materielle Bedeutung von Aufsichtsrat und Hauptversammlung beim Vergleich
  • B. Konzeptionen von vergleichsbezogenen Regelungen
  • I. Einbeziehung der D&O-Versicherung
  • II. Regelungen mit Bezug zum Abschluss des Vergleichs
  • III. Regelungen mit Bezug zum Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats gegenüber der Hauptversammlung
  • IV. Regelungen mit Bezug zu den Vergleichsverhandlungen
  • V. Deklaratorischer Hinweis auf Vergleichsbereitschaft
  • VI. Problematische Aspekte
  • C. Allgemeine Vergleichsvoraussetzungen gemäß § 779 BGB
  • I. Streit oder Ungewissheit der Parteien gemäß § 779 BGB
  • 1. Streit im Rahmen der Vorstandshaftung
  • 2. Ungewissheit im Rahmen der Vorstandshaftung
  • a) Anforderungen an die rechtliche Ungewissheit gemäß § 779 Abs. 1 BGB
  • b) Rechtliche Ungewissheit in Bezug auf fürsorgepflichtbasierte Regressreduzierung
  • 3. Fazit zu Streit oder Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis
  • II. Gegenseitiges Nachgeben
  • D. Pflichtenbindung des Aufsichtsrats bei einem Vergleich über Organhaftungsansprüche
  • I. Verhältnis zwischen Anspruchsverfolgung und Vergleich
  • II. Bindung des Aufsichtsrats an die Vorgaben des ARAG-Urteils beim Vergleich?
  • 1. Übertragung der für einen Verzicht etablierten Forderung auf einen Vergleich
  • a) (Nähe-)Verhältnis zwischen Verzicht und Vergleich
  • b) Rechtshandlung statt rein tatsächlicher Handlung
  • 2. Methodische Korrektheit der Übertragung der ARAG-Grundsätze auf Verzichte und Vergleiche
  • a) Unvereinbarkeit binärer Verfolgungsentscheidung mit gegenseitigem Nachgeben beim Vergleich
  • b) Drohende Umgehung der Hauptversammlung
  • c) § 93 Abs. 4 S. 3 AktG als abschließende Regelung
  • d) Fazit zur Übertragung der ARAG-Grundsätze auf den Vergleich
  • III. Rechtsnatur der Entscheidung des Aufsichtsrats über den Vergleich
  • 1. Unternehmerische Entscheidung
  • 2. Freies Ermessen
  • 3. Eigene Position
  • a) Qualifizierung als unternehmerische Entscheidung
  • b) Auswirkung der Qualifikation der Vergleichsentscheidung auf Entscheidungsspielräume des Aufsichtsrats
  • IV. Sorgfaltsmaßstab des Aufsichtsrats beim Vergleich
  • 1. (Originäre) Pflichtenbindung des Aufsichtsrats
  • a) Allgemeiner Sorgfaltsmaßstab gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 AktG
  • b) Treuhänderische Pflichtenbindung des Aufsichtsrats
  • 2. (Weitergehende) Spielräume des Aufsichtsrats bei seiner unternehmerischen Entscheidung über den Vergleich
  • a) Allgemeine Vergleichsmerkmale gemäß § 779 Abs. 1 BGB
  • aa) Rechtliche Ungewissheit
  • bb) Gegenseitiges Nachgeben
  • b) Autonome, unvoreingenommene Bestimmung des Unternehmenswohls: Keine Vorprägung der Vergleichsentscheidung durch das Kompensationsinteresse
  • c) Bedeutung der Zustimmung der Hauptversammlung gemäß § 93 Abs. 4 S. 3 AktG für den Pflichtenmaßstab des Aufsichtsrats
  • aa) Freie Dispositionsbefugnis der Hauptversammlung
  • bb) Inhaltliche Richtigkeitsgewähr bei einem Beschluss der Hauptversammlung
  • cc) Keine Befugnis der Hauptversammlung zur Initiierung eines ihrem Willen entsprechenden Vergleichs
  • dd) Berücksichtigung eines antizipierten Willens der Hauptversammlung
  • ee) Pflichtgemäße Herbeiführung des Hauptversammlungsbeschlusses
  • 3. Fazit: Erweiterung der Entscheidungsspielräume des Aufsichtsrats beim Vergleich über Organhaftungsansprüche
  • V. Enthaftung des Aufsichtsrats beim Vergleich
  • 1. Enthaftung bei unternehmerischer Entscheidung gemäß § 93 Abs. 1 S. 2 AktG
  • a) Handeln auf Grundlage angemessener Information
  • b) Handeln zum Wohle der Gesellschaft
  • c) Kein Handeln im Interessenkonflikt
  • aa) Verfolgung unternehmenswohlfremder Interessen
  • bb) Interessenkonflikt wegen Überwachungspflichtverletzung
  • 2. Enthaftung infolge Zustimmung der Hauptversammlung analog § 93 Abs. 4 S. 1 AktG
  • a) Entsprechende Anwendung von § 93 Abs. 4 S. 1 AktG bei explizitem Vorbehalt der Zustimmung der Hauptversammlung
  • b) Keine Enthaftung bei pflichtwidriger Herbeiführung des Hauptversammlungsbeschlusses und bei unvollständiger oder fehlerhafter Information
  • 3. Fazit zur Enthaftung
  • E. Formale Vergleichsvoraussetzungen gemäß § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
  • I. Dreijahresfrist: Ablauf von drei Jahren seit Entstehung des Anspruchs
  • 1. Schutzzweck der Dreijahresfrist und fehlende Legitimationsbasis
  • a) Überblickbarkeit von Pflichtverletzung und Schadensausmaß
  • b) Sicherung der Sorgfalt bei Verzichts- und Vergleichsvereinbarungen
  • c) Verhinderung von Rücksichtnahmen
  • d) Präventive Verhaltenssteuerung
  • e) Minderheitenschutz und Gläubigerschutz
  • f) Fazit: Generelles Legitimationsdefizit
  • 2. Unternehmensinteresse und entgegenstehende Wertungen der Rechtsordnung
  • 3. Nichtanwendung bzw. Annullierung der Dreijahresfrist
  • a) Nichtanwendung der Dreijahresfrist in Einzelfällen de lege lata
  • b) Generelle Annullierung der Dreijahresfrist de lege ferenda
  • c) Dreijahresfrist zwingendes Recht
  • II. Verbot von Verzicht, Vergleich und sonstigen gleichstehenden Rechtshandlungen vor Ablauf von drei Jahren
  • 1. Erfasste Rechtshandlungen: Verzicht, Vergleich und sonstige gleichstehende Rechtshandlungen
  • a) Verzicht und Vergleich
  • b) Sonstige gleichstehende Rechtshandlungen
  • 2. Reichweite des Verbots von verzichts- und vergleichsbezogenen Handlungen vor Ablauf von drei Jahren
  • a) Urteil des Reichsgerichts vom 19.05.1931
  • b) Bedeutung des Urteils für die Dreijahresfrist gemäß § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
  • III. Vorwegregelung von vergleichsbezogenen Handlungen
  • 1. Verpflichtung zum Abschluss eines Vergleichs
  • 2. Verpflichtung zu Beschlussvorschlag gegenüber der Hauptversammlung
  • 3. Verpflichtung zu Vergleichsverhandlungen
  • a) Begriff der Verhandlungen
  • b) Kein Erfordernis von Vergleichsbereitschaft
  • c) Hemmung der Verjährung
  • d) Bezug zur Geltendmachung des Anspruchs und nicht zu seinem Bestand
  • e) Keine Betroffenheit des Anspruchs in vermögensgefährdender Weise
  • f) Erschwerung der Möglichkeit jederzeitiger Geltendmachung
  • g) Unverbindliches Inaussichtstellen eines Vergleichs
  • h) Fazit in Bezug auf eine Verpflichtung zu Vergleichsverhandlungen
  • 4. Deklaratorischer Hinweis auf Vergleichsbereitschaft
  • F. Entscheidungsautonomie des Aufsichtsrats
  • Fünftes Kapitel: Zusammenfassung in Thesen und Schlussfazit
  • A. Die aktiengesetzliche Vorstandsinnenhaftung (zweites Kapitel)
  • I. Die gesetzliche Haftungsanordnung in § 93 Abs. 2 S. 1 AktG
  • II. Das ARAG-Urteil
  • III. Fürsorgepflichtbasierte Regressreduzierung
  • B. Anstellungsvertragliche Verschonungsregelungen mit Bezug zur Verfolgungsentscheidung des Aufsichtsrats (drittes Kapitel)
  • I. Gestaltungsgrenze von schuldvertraglichen Vereinbarungen
  • II. Der Aufsichtsrat und die Entscheidungsfindung im Aufsichtsrat
  • III. Selbstbeschränkende Vereinbarungen des Aufsichtsrats
  • IV. Selbstbeschränkende Vereinbarungen des Aufsichtsrats mit Bezug zur Verfolgungsentscheidung
  • V. Verzichtsähnlichkeit selbstbeschränkender Vereinbarungen des Aufsichtsrats mit Bezug zur Verfolgungsentscheidung
  • VI. Keine Zustimmungsfähigkeit im Hinblick auf künftige Schadensersatzansprüche und abstrakte Vermögensgefahren
  • VII. Zulässige Regelung mit Bezug zur Verfolgungsentscheidung
  • C. Anstellungsvertragliche Verschonungsregelungen mit Bezug zum Vergleich (viertes Kapitel)
  • I. Interesse an Vergleich zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied über Organhaftungsansprüche
  • II. Verhältnis zwischen Anspruchsverfolgung und Vergleich über Organhaftungsansprüche
  • III. Pflichtenbindung des Aufsichtsrats beim Abschluss des Vergleichs zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied
  • IV. Erweiterte Spielräume des Aufsichtsrats
  • V. Enthaftung des Aufsichtsrats bei der Entscheidung über den Vergleich
  • VI. Dreijahresfrist gemäß § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
  • VII. Verzichtsähnlichkeit von Vereinbarungen mit Bezug zu einem Vergleich
  • VIII. Unzulässige Regelungen mit Bezug zur Entscheidung über den Vergleich
  • IX. Zulässige Regelung mit Bezug zur Vergleichsentscheidung
  • D. Schlussfazit
  • Literaturverzeichnis

Erstes Kapitel:  Einleitung

Die Vorstandsinnenhaftung gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG wird zunehmend kritisch betrachtet. Die Kritik entzündet sich sowohl am materiellen Haftungstatbestand als auch an der Haftungsdurchsetzung, die maßgebend durch das ARAG-Urteil aus dem Jahr 1997, das die Möglichkeit des Aufsichtsrats zum Absehen von Anspruchsverfolgung restringiert, bestimmt wird. Da legislative Reformen auf dem Gebiet der Vorstandshaftung nicht zu erwarten stehen1, untersucht die gesellschaftsrechtliche Literatur vielfach die Zulässigkeit von Konstruktionen, welche die Vorstandshaftung auf Grundlage des geltenden Rechts entschärfen sollen2. Neben statutarischen und vertraglichen Haftungsbegrenzungen in Gestalt von Reduzierungen des Sorgfaltsmaßstabs und Haftungshöchstsummen ist vor allem der Ansatz einer Regressreduzierung auf Basis einer Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied zu benennen.

In der Dissertation soll die Möglichkeit, bereits vor dem Eintritt des Haftungsfalls – beispielsweise im Anstellungsvertrag zwischen Vorstandsmitglied und Aktiengesellschaft – privatautonom eine Eingrenzung der Haftungsfolgen bzw. eine Verbesserung der Haftungssituation des Vorstandsmitglieds zu erreichen, untersucht werden. Ziel ist es nicht, im Anstellungsvertrag eine Abmilderung des Sorgfaltsmaßstabs oder eine Haftungshöchstsumme zu etablieren. Ebenso wenig soll die Vereinbarung eines adäquaten D&O-Versicherungsschutzes untersucht werden.3 Vielmehr ist zu erörtern, ob und inwieweit bereits vor dem Eintritt des Haftungsfalls – etwa im Anstellungsvertrag – auf Entscheidungen des Aufsichtsrats, der für die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied zuständig ist und der die Verhandlungen über einen Haftungsvergleich zwischen Vorstandsmitglied und Gesellschaft führt und einen solchen namens der Gesellschaft abschließt, eingewirkt werden kann mit der Folge, dass zu Gunsten des Vorstandsmitglieds eine Besserstellung ←31 | 32→im Hinblick auf seine Position im Haftungsfall, wenigstens aber Rechtssicherheit in Bezug auf seine Haftungssituation, erreicht wird.

Konzeptionell soll dieses Ziel im Wege selbstbeschränkender Vereinbarungen des Aufsichtsrats umgesetzt werden. Es ist in den Blick zu nehmen, ob und inwieweit die Präjudizierung bzw. Antizipation der vom Aufsichtsrat im Zusammenhang mit der Vorstandsinnenhaftung zu treffenden Entscheidungen, jedenfalls die Einflussnahme auf diese Entscheidungen, bereits zu einem Zeitpunkt, in dem der Haftungsfall noch nicht eingetreten ist und Organhaftungsansprüche noch nicht feststehen, zulässig ist und ob der Aufsichtsrat künftige Entscheidungs- und Handlungsspielräume in bevorstehenden Entscheidungssituationen durch im Vorfeld selbst eingegangene Bindungen beschränken kann.

In Bezug auf den Vorstand erfährt diese Problematik unter der Bezeichnung „Vorwegbindungsverbot“ eine umfangreiche Diskussion, die vor allem im Zusammenhang mit Investorenvereinbarungen und Business Combination Agreements zu Tage tritt und relevant wird. Die Zulässigkeit von selbstbeschränkenden Bindungen bzw. Vorwegbindungen des Aufsichtsrats soll mit einem Blick, nicht jedoch unter unbesehenem Rekurs auf den Meinungsstand bezüglich Vorwegbindungen des Vorstands analysiert werden. Sollen Zulässigkeit und Reichweite selbstbeschränkender Vereinbarungen des Aufsichtsrats bestimmt werden, so hat die Untersuchung vorrangig bei der aktiengesetzlichen Konzeption des Aufsichtsrats und der ihn treffenden Rechte und Pflichten anzusetzen.

Ansatzpunkt für eine vor Eintritt des Haftungsfalls erfolgende Vereinbarung, die auf die Haftungssituation des Vorstandsmitglieds einzuwirken sucht, kann zum einen die Entscheidung des Aufsichtsrats über die Verfolgung oder Nichtverfolgung von Schadensersatzansprüchen der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied sein und zum anderen die Entscheidung des Aufsichtsrats über den Abschluss eines Haftungsvergleichs zwischen Gesellschaft und Vorstandsmitglied über Organhaftungsansprüche. Sowohl bei der Verfolgung von Organhaftungsansprüchen der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied als auch bei den Verhandlungen und beim Abschluss eines Haftungsvergleichs über Organhaftungsansprüche gegen das Vorstandsmitglied vertritt der Aufsichtsrat die Gesellschaft.

In Frage steht insbesondere, ob und inwieweit die Verfolgungsentscheidung präjudiziert und eine Bindung dergestalt installiert werden kann, dass unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen ganz oder teilweise von einer Anspruchsverfolgung gegenüber dem Vorstandsmitglied abgesehen wird. Weiter ist fraglich, inwieweit bereits vor dem Eintritt des Haftungsfalls Dispositionen getroffen werden können, die dazu führen, dass im Haftungsfall ein Haftungsvergleich – eventuell sogar bestimmten Inhalts – geschlossen wird. Ganz allgemein ←32 | 33→gilt die Untersuchung der Frage, ob und inwieweit bereits vor dem Eintritt des Haftungsfalls Dispositionen im Hinblick auf Entscheidungen des Aufsichtsrats mit Bezug zum Haftungsfall getroffen werden können.

In Bezug auf den Vergleich stellt sich zusätzlich die spezifische Problematik, dass § 93 Abs. 4 S. 3 AktG für Verzichte auf und Vergleiche über aktiengesetzliche Organhaftungsansprüche formale Voraussetzungen normiert und die Möglichkeit vergleichsbezogener Vereinbarungen vor Ablauf von drei Jahren restringiert. Die Reichweite der Dreijahresfrist und die Frage, welche Vereinbarungen vor ihrem Ablauf zulässigerweise getroffen werden dürfen, ist wesentlich zur Beantwortung, welche haftungsbezogenen Vereinbarungen vor dem Eintritt des Haftungsfalls getroffen werden können.

Bevor die Untersuchung der Zulässigkeit von selbstbeschränkenden Dispositionen des Aufsichtsrats im Hinblick auf Entscheidungen, die er im Fall einer künftigen Haftung des Vorstandsmitglieds zu treffen hat, einsetzen kann, sind zunächst im zweiten Kapitel die Grundlagen der Vorstandsinnenhaftung aufzuzeigen. Unter Zugrundelegung des materiellen Haftungstatbestands gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG ist darzulegen, unter welchen tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorstand haftet und woraus sich die vielfach angemerkte Strenge der Vorstandsinnenhaftung ergibt. Sodann ist die Haftungsdurchsetzung unter Bezugnahme auf das ARAG-Urteil, das die Entscheidungsfreiheit des Aufsichtsrats beim Absehen von Anspruchsverfolgung restringiert, darzulegen. Schließlich ist auf den in der Literatur vielfach beachteten und befürworteten Ansatz einer fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierung einzugehen, nach dem Schadensersatzansprüche der Gesellschaft aufgrund einer Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied nicht in voller Höhe durchzusetzen sein sollen.

Die Untersuchung des ARAG-Urteils und des fürsorgepflichtbasierten Regressreduzierungsansatzes werden zeigen, dass die Spielräume zur Abmilderung der Vorstandsinnenhaftung auf Grundlage des geltenden Rechts sehr gering sind, wenigstens aber eine erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich der Spielräume, die eine Entschärfung der Vorstandsinnenhaftung ermöglichen, besteht. Angesichts dessen zeigt sich ein Bedürfnis für Rechtssicherheit vermittelnde, privatautonome Vereinbarungen mit Bezug zur Haftung von Vorstandsmitgliedern in der Praxis. Die Zulässigkeit von privatautonomen Vereinbarungen, die im Wege selbstbeschränkender Bindungen des Aufsichtsrats eine Abmilderung der Vorstandsinnenhaftung bzw. ihrer Folgen zu erreichen suchen, soll den Hauptteil der Arbeit im dritten Kapitel, das die Verfolgungsentscheidung des Aufsichtsrats betrifft, und im vierten Kapitel, das sich der Entscheidung des Aufsichtsrats über einen Haftungsvergleich widmet, bilden.

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Am Ende der Dissertation sind im fünften Kapitel die gewonnenen Erkenntnisse zusammenzufassen und es ist ein realistisches Resümee zu ziehen, welche Vereinbarungen mit Bezug zur Vorstandsinnenhaftung, die im Wege der Selbstbindung des Aufsichtsrats in Bezug auf die im Haftungsfall zu treffenden Entscheidungen über Anspruchsverfolgung und Haftungsvergleich eine Abmilderung der Haftungsfolgen erreichen sollen, rechtssicher vorab getroffen und in den Anstellungsvertrag aufgenommen werden können.

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1 Brommer, Beschränkung der Vorstandsinnenhaftung, 2015, S. 186; Gaul, AG 2015, 109, 115.

2 Zu in Betracht kommenden Ansätzen zur Begrenzung der Vorstandsinnenhaftung bzw. ihrer Rechtsfolgen vgl. umfassend Brommer, Beschränkung der Vorstandsinnenhaftung, 2015, S. 158 ff.; Wilsing, in: FS Haarmann, 2015, S. 257, 263 ff.

3 Zum D&O-Versicherungsschutz vgl. ausführlich Seyfarth, VorstandsR, § 15; Sieg, in: Krieger/U.H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, § 15.

Zweites Kapitel: Die aktiengesetzliche Vorstandsinnenhaftung

Die Haftung des Vorstandsmitglieds gegenüber der Aktiengesellschaft für schuldhafte Pflichtverletzungen wird durch den materiellen Haftungstatbestand in § 93 Abs. 2 S. 1 AktG sowie durch das ARAG-Urteil, das die Pflichten des Aufsichtsrats bei der Anspruchsverfolgung konturiert, flankiert. Da, wie sich zeigen wird, die materielle Haftung des Vorstands sehr streng ausgestaltet ist und das ARAG-Urteil an ein Absehen von Verfolgung strenge Voraussetzungen stellt, soll es nach vielfacher Ansicht einer mit einer Fürsorgepflicht der Gesellschaft gegenüber dem Vorstandsmitglied zu begründenden Regressreduzierung bedürfen.

A. Die gesetzliche Haftungsanordnung in § 93 Abs. 2 S. 1 AktG

Mittelpunkt der aktiengesetzlichen Haftungsverfassung ist die Haftungsanordnung in § 93 Abs. 2 S. 1 AktG, die durch weitere aktiengesetzliche Normen, namentlich etwa § 93 Abs. 4 S. 3 AktG, § 142 ff. AktG, § 147 AktG und § 148 AktG, flankiert wird.

I. Materielle Haftungsvoraussetzungen gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG

Gemäß § 93 Abs. 2 S. 1 AktG sind Vorstandsmitglieder, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens als Gesamtschuldner verpflichtet. § 93 Abs. 2 S. 1 AktG ordnet eine gesetzliche Organhaftung an4, die bei einer Verletzung von organschaftlichen Pflichten des Vorstandsmitglieds im Innenverhältnis eingreift5.

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1. Pflichtverletzung des Vorstandsmitglieds

Das Vorstandsmitglied muss seine internen, organschaftlichen Pflichten gegenüber der Gesellschaft verletzt haben.

a) Pflichten des Vorstandsmitglieds

Das Aktiengesetz entbehrt eines letztverbindlichen Katalogs an Pflichten des Vorstandsmitglieds und normiert stattdessen eher punktuell explizite Pflichten, wie die Pflicht zur Vorbereitung von Hauptversammlungsbeschlüssen und bestimmten Verträgen (§ 83 Abs. 1 AktG), zur Berichterstattung gegenüber dem Aufsichtsrat (§ 90 AktG), zum Führen von Handelsbüchern (§ 91 Abs. 1 AktG), zur Installation eines Überwachungssystems (§ 91 Abs. 2 AktG) oder zur Einberufung der Hauptversammlung unter den Voraussetzungen von § 92 Abs. 1 AktG.6 § 93 Abs. 1 S. 3 AktG verpflichtet die Vorstandsmitglieder zudem zur Verschwiegenheit über vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft.7 Auch außerhalb des Aktiengesetzes werden dem Vorstand Pflichten auferlegt. Zu nennen sind etwa kapitalmarktrechtliche Pflichten nach dem WpHG oder WpÜG.8 Eine besondere Beachtung widmet die gesellschaftsrechtliche Literatur der Legalitätspflicht des Vorstands.9 Im Grundsatz ist anerkannt, dass die Wahrung der Rechtsordnung im Außenverhältnis bei der Amtswahrnehmung durch das Vorstandsmitglied zugleich im Innenverhältnis verpflichtend ist.10 Die generelle Gleichsetzung eines Verstoßes gegen die Rechtsordnung im Außenverhältnis mit einer Pflichtverletzung im Innenverhältnis bleibt jedoch nicht ohne Kritik.11 Ein über einen Verstoß gegen Rechtsnormen vermittelter gewinnbringender Nutzen für die Gesellschaft – illustrativ ist etwa das Beispiel kartellrechtsrelevanter Verstöße – vermag jedenfalls den Charakter als Pflichtverletzung nicht ←36 | 37→aufzuheben12, obgleich die Berücksichtigung von Vorteilen für die Gesellschaft, die mit der Pflichtverletzung verbunden sind, im Rahmen des schadensrechtlichen Vorteilsausgleichs möglich bleibt13.

Ist eine Pflicht nicht explizit normiert, fungiert § 93 Abs. 1 S. 1 AktG, wonach Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben, als Generalklausel für objektive Verhaltens- und Sorgfaltspflichten.14 § 93 Abs. 1 S. 1 AktG kommt eine Doppelstellung insofern zu, als er neben der Bezeichnung objektiver Verhaltensanforderungen den Maßstab des Verschuldens bildet.15 Will man die den Vorstand treffenden Verhaltensanforderungen konturieren, so ist ein objektiver und dynamischer Maßstab anzulegen.16 Maßgebend ist, wie ein pflichtbewusster, selbständiger Geschäftsleiter, der fremde Vermögensinteressen treuhänderisch wahrnimmt und der ein nach Art und Umfang vergleichbares Unternehmen führt, gehandelt hätte.17 Bei der Bestimmung der den Vorstand im Einzelnen treffenden Sorgfaltspflichten kann auf eine breite, nicht abschließende Kasuistik rekurriert werden.18 Schließlich obliegen dem Vorstandsmitglied neben Sorgfaltspflichten auch Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft.19

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b) Ausschluss einer Pflichtverletzung gemäß der Business Judgment Rule

Details

Seiten
338
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631795958
ISBN (ePUB)
9783631795965
ISBN (MOBI)
9783631795972
ISBN (Hardcover)
9783631794289
DOI
10.3726/b15890
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (August)
Schlagworte
Aktiengesellschaft ARAG-Urteil Fürsorgepflichtbasierte Regressreduzierung Haftungsverfolgung Haftungsvergleich Haftungsbeschränkung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 338 S.

Biographische Angaben

Maren Abraham (Autor:in)

Maren Abraham studierte Rechtswissenschaften an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und wurde an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf promoviert.

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Titel: Haftungsverschonung im Anstellungsvertrag des Vorstands
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