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Tigellinus

Im Dienste Kaiser Neros zwischen Genuss und Gewalt

von Raimund Merker (Autor:in)
©2019 Monographie 196 Seiten

Zusammenfassung

Gaius Ofonius Tigellinus, Sprössling eines sizilianischen Vaters, Verbannter, Pferdezüchter, politischer Emporkömmling und seit 62 n. Chr. Gardepräfekt unter Kaiser Nero (54-68 n. Chr.), gilt nach Sueton und Tacitus als der Inbegriff eines verkommenen und bösartigen Machtmenschen, der über Jahre hinweg als enger Freund, erster Berater und willfähriger Handlanger, unheiligen Einfluss auf Nero und dessen Entscheidungen ausübte. So gelegen ist sein Name untrennbar mit den zahlreichen blutigen Ereignissen der neronischen Epoche verbunden. Der Autor stellt Ofonius Tigellinus in den Mittelpunkt der Abhandlung und lässt anhand der überlieferten Quellen seine Lebensgeschichte und sein Wirken lebendig werden. Dabei spannt sich der erzählerische Bogen über sechs römische «Imperatores Romani», von Tiberius bis zu seinem unrühmlichen Ende unter Kaiser Otho.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • I. Kind, Knabe, Kerl (10/14-41/43 n. Chr.)
  • II. Zurück in Rom (41/43-50 n. Chr.)
  • 1. Exkurs: Römische Pferdezucht
  • III. Alte und neue Verbindungen (50-54 n. Chr.)
  • IV. Aufstieg (54-62 n. Chr.)
  • 2. Exkurs: praefectus vigilum
  • V. Im Genuss der Macht (62-66 n. Chr.)
  • 3. Exkurs: praefectus praetorio
  • VI. Fall, Finale, Fazit (66-69 n. Chr.)
  • VII. Das Nachleben des Tigellinus in Musik, Film und Literatur
  • Anhang
  • Zeittafel
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Bildnachweise
  • Personen- und Ortsregister
  • Stammtafel des julisch-claudischen Kaiserhauses
  • Bilderkatalog

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„Bemerkst du,

wie die Leute bewundernd auf dich blicken? Das widerfährt

keinem in der Stadt außer dir. Man rühmte dich gestern in

der Halle“. Mehr als dreißig Personen hätten nämlich da-

gesessen, und als die Rede darauf gekommen sei, wer der

Beste sei, seien alle, ohne an einen anderen zu denken,

gleich auf „seinen“ Namen verfallen.

Theophrast, Charaktere, Der Schmeichler
(Übers. K. Steinmann)

Calumniare audacter, semper aliquid haeret1

Francis Bacon (1561–1626)

Einleitung

Unter uns gesagt, wo geherrscht und regiert wird, ist seit Anbeginn jeglichen politischen Denkens und Handelns die wenig angenehme Kaste der Nutznießer, Protegés und Opportunisten unmittelbar in den Schaltzentralen der Entscheidungen mit anwesend. Besonders in Herrschaftsmodellen und politischen Systemen, die sich im Umbruch oder in Krisen befinden und sich deshalb oft durch Unklarheit und personelle Führungs- und Entscheidungsschwäche kennzeichnen, gelingt es einem Menschentypus mit besonderen charakterlichen Eigenschaften und Instinkten hochgradig gut, im Windschatten dieser agitativen Übergänge und Verwerfungen sich bei dem oder den ausübenden politischen Entscheidungsträger(n), bei Herrschern, Kaisern, Königen und sonstigen höheren Vorgesetzten, welche sich in ihrer Regentschaft auf abschüssige Wege begeben haben, unentbehrlich zu machen.

Als ein gängiges und probates Mittel, in solchen Situationen die eigene Karriere gezielt voranzutreiben, sind – neben einem Paar bruchsicheren Ellenbogen, einer scharfen Nase und einem ledernen Magen – vor allem die Launen und vorherrschenden Allmachtsphantasien als auch die politischen Irrwege der oder des Regierenden keinesfalls infrage zu stellen, sondern ist ihnen im Gegenteil, ←11 | 12→durch konsequente und zweckgerichtete Unterstützung wirksam Vorschub zu leisten, was, in strategisch entscheidenden Momenten präzise und kreativ dargebracht, den gesinnungslosen Parteigänger zwangsläufig zu hohen und höchsten Ämtern mit weitreichender Machtfülle führt. Mit amtlichen Würden, Gunst und Vertrauen eines Vorstehers ausgestattet, erhält Mann oder Frau so schlussendlich als Nutznießer einer sowieso korrupten politischen Gesellschaft tiefere Eingriffsmöglichkeiten in das tagespolitische Geschehen und kann beziehungsweise wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit nachhaltigen Einfluss auf die anstehenden Entscheidungen und Geschehnisse nehmen. Dieses glattzüngige Gesindel, das nur allzu gerne in dunklen Winkeln lauert und nach Macht auf Kosten des Gemeinwohls strebt, versteckt seinen gemeinen Ehrgeiz bewusst im Gewand einer dubiosen Prinzipientreue und heißt dabei in der Regel alles Schlechte gut, nur um seine perfiden Ziele zu erreichen. Entsprechend kommt seinem abstoßenden Mangel an Moral nur sein ausgeprägtes Geltungsbedürfnis gleich.

Erklimmen diese rückgratlosen Gestalten ihre Stellungen und Ämter in der Regel doch nicht durch ein ganzheitliches Engagement und uneigennütziges Handeln an dem jeweilig vorherrschenden Gesellschafts- und Regierungsmodell mit dem klaren Willen zur Verbesserung für alle Bevölkerungsgruppen, entweder durch kluge und kenntnisreiche Beratertätigkeit oder durch effizientes Krisenmanagement und diplomatisches Geschick nach Innen und Außen, nein, für sie gilt das unveränderliche politische Motto „Ego schlägt IQ“ oder, wenn man so will, „Mentalität besiegt Qualität“, und es ist zuallererst die überdurchschnittlich ausgeprägte rücksichtslose Gier nach Einfluss, nach Entscheidungsgewalt sowie das damit einhergehende gesellschaftliche Prestige von monumentalen Projekten, die mit ihrem Namen verbunden sind, das diesen Menschenschlag durch alle historischen Epochen hindurch antreibt.

Dieser rücksichtslose Ehrgeiz als eine hierfür notwendige Form der charakterlichen Grundausstattung ist es auch, der sie schon in jungen Jahren erkennen lässt, dass die gesellschaftlichen Klassenschranken nicht hermetisch abgeschlossen sind, dass gekonntes Gipfelstürmen zeit- und kraftaufwendig ist und dass man – wenn man sich für diesen Weg entschieden hat – sich nicht zu früh verausgaben darf, um sein erklärtes Ziel an der Spitze der Macht zu erreichen. Und so ist es – wie die Geschichte an prägenden Beispielen uns vielfach bereithält – nicht selten ein brachialer Aufstieg aus ärmlichen und familiär benachteiligten Kreisen, ja aus niederen und niedrigsten Verhältnissen, worin oftmals die tieferen Beweggründe ihres ausgeprägten Egoismus und Machtwillens gesehen werden. Denn nur wenn man gelitten und gehungert hat, ist man auch bereit, getrieben von Instinkten, die das Herz, das Hirn und die Muskeln hart machen, diesen Weg bis zur letzten Konsequenz zu Ende zu gehen.

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Aber natürlich hat die Geschichte des politischen Handelns nicht nur fragwürdige Windsäcke und opportunistische Kleingeister hervorgebracht, die, korrumpiert von ihren erschlichenen Ämtern, im Schatten ihre eigenen vergifteten Ziele verfolgten, welche nur allzu oft im krassen Widerspruch zum Wohle des Staates und der Allgemeinheit stehen. Sie hat selbstredend auch brillante Denker, Lenker, Strategen und Organisatoren hervorgebracht, die, häufig aus der zweiten und dritten Reihe heraus und gelegentlich mit unorthodoxen Mitteln, sich klar gegen ihren persönlichen Vorteil für eine höherstehende Sache, für größere Ziele einzusetzen verstanden. Aber um solch eine historisch wirkungsvolle Persönlichkeit soll es in dieser kleinen Schrift nicht gehen, und unsere titelgebende Hauptperson anhand der Quellen zu solch einem erlesenen Führungskreis dazuzuzählen, wäre sicherlich mehr als vermessen.

Gaius Ofonius Tigellinus, um den es hier gehen soll, hat es – in Anbetracht der bei ihm im Übermaß vorhandenen soeben skizzierten charakterlichen DNA – im Laufe seines fragwürdigen und unheilvollen Lebens vom Vorbestraften über die (erfolgreiche) Zucht von Pferden und deren Handel2 (also eine frühe Form des Neu- und Gebrauchtwagenhandels) durch die zentrale stadtrömische Amtsstellung eines praefectus vigilum3 zum Inhaber eines der wichtigsten Ämter in der Reichsverwaltung der römischen Kaiserzeit, nämlich zum Präfekten der Prätorianergarde gebracht. Gemeinsam mit der nicht weniger zwielichtigen zweiten ←13 | 14→Ehefrau des herrschenden Princeps beeinflusste er ab 62 n. Chr. als oberster Staatsrat – manche würden hier den Begriff Schattenkaiser4 nicht scheuen – über mehrere Jahre die römische Innenpolitik und das Privatleben des Kaisers Nero, welches sich wie wir wissen durch exzentrische Ausschweifungen und paranoiden Terror auszeichnete.

Doch wer war dieser Ofonius Tigellinus, dem es aufgrund seiner unerfreulichen charakterlichen Eigenschaften gelang, aus dem Heer der kaiserlichen Höflinge – die alle ihren Anteil am politischen Einfluss suchten – in die erste Reihe der Macht des gewaltigsten Reiches seiner Zeit vorzudringen? Wer war jener, der sich schon in seiner frühesten Jugend einen höchst prekären Ruf erwarb und der nicht im Geringsten davor zurückschreckte, für seine Ziele und Bedürfnisse bedingungslos Mord-, Folter- und Verbannungsbefehle über Mann, Frau und Kind auszusprechen, auszuführen oder Anordnungen mit selbigem Inhalt vorbehaltlos an Untergebene zu delegieren sowie als oberster Einpeitscher für Neros normbrechende Extravaganzen eine ganz Stadt, ja einen ganzen Staat in moralische und finanzielle Schieflage zu bringen?

Was die antiken Quellen zu Tigellinus betrifft, deren Lückenhaftigkeit eine konzentrierte biographische Annährung erheblich erschwert, wären dies – zusätzlich zu einigen dürren Aussagen bei weniger bekannten antiken Autoren – die gleichen, die uns zu den Kaisern des julisch-claudischen Hauses vorliegen. Doch sind es zumeist die Lebensbeschreibungen zu Kaiser Claudius und Nero, die uns einen verschwommenen Seitenblick auf Tigellinus und sein Wirken in der römischen Geschichte gestatten. Entsprechend ist es unabdingbar, die Geschichte und Herrschaft Kaiser Neros zu erzählen, um über das Leben und Wirken des Gaius Ofonius Tigellinus überhaupt berichten zu können.

Die wichtigsten Informationen erhalten wir demnach von den römischen Autoren Tacitus, Sueton, Cassius Dio und Juvenal, die aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebensdaten und Wirkungskreise in kleineren und größeren zeitlichen Abständen zur neronischen Epoche die historischen Geschehnisse in ihren literarischen Werken kommentierten und analysierten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass wir zu den gleichen geschichtlichen Ereignissen oftmals unterschiedliche, ja widersprüchliche Aussagen vorliegen haben. Denn selbstredend schrieb jeder dieser Autoren, die fast alle dem ritterlichen oder senatorischen Stand angehörten, seine Schriften unter dem Einfluss ihrer Zeit, und eine ←14 | 15→unbefangene Sicht der Dinge ist somit kaum zu erwarten, wie auch der völlig unbefangene Autor beziehungsweise der neutrale Historiker, kritisch betrachtet, in das Reich der geistes- und kulturwissenschaftlichen Fabeln gehört.

Von allen vier genannten Literaten gilt nach einhelliger Forschungsmeinung Tacitus mit seinen beeindruckenden Werken Annales und Historiae als der Faktenreichste. Im kritischen Bezug auf Kaiser Nero hebt er in seinen Schriften gezielt die zahlreichen abzulehnenden Aspekte seiner Herrschaft besonders hervor. Noch desaströser als Nero kommt bei ihm Tigellinus weg, an dem er – sicherlich völlig zu Recht – kein einziges gutes Haar findet. Selbst wenn wir nur 50 Prozent seiner Berichte und Aussagen zu Tigellinus und seinen Taten als authentisch deklarieren, würde das Endergebnis – und zwar in jeder noch so wohlwollenden Hinsicht – vernichtend bleiben.

Details

Seiten
196
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631794197
ISBN (ePUB)
9783631794203
ISBN (MOBI)
9783631794210
ISBN (Hardcover)
9783631790014
DOI
10.3726/b15822
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (Juni)
Schlagworte
Kaiserzeit Neronische Epoche Biographie Rezeption Praefectus vigilum Prätorianerpräfekt
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 196 S., 3 farb. Abb., 23 s/w Abb.

Biographische Angaben

Raimund Merker (Autor:in)

Raimund Merker studierte Klassische Archäologie, Klassische Philologie, Alte Geschichte und Altertumskunde an der Universität Wien. Promotion 2009 mit einer Arbeit zur Figur des Agamemnon. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen, die die Geschichte und Kultur des klassischen Altertums zum Thema haben. Forschungs- und Lehrtätigkeiten u.a. an der Universität Wien.

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