Lade Inhalt...

Die Entwicklung der Parteienrechtslehre

Eine Untersuchung der demokratischen Vorgaben des deutschen Parteienrechts und seiner Rezeption in Taiwan

von Ren-Jyun Huang (Autor:in)
©2019 Dissertation 228 Seiten

Zusammenfassung

Der Autor untersucht die Ideengeschichte der Parteienkontrolle und den Strukturwandel des Parteienrechts in Deutschland und Taiwan. Auf dieser Grundlage könnten sich die wehrhafte Demokratie, die parteienstaatliche Demokratie und die Konkurrenzdemokratie als Entstehungsorte des grundlegenden Parteienrechts erweisen. Die demokratischen Vorgaben des deutschen Parteienrechts werden in dem Dialog zwischen der VDStRL und dem BVerfG analysiert. Hierbei zeigt sich, dass der Charakter des Parteienrechts präventiv, an den jeweiligen Fall angepasst und pragmatisch ist. Jeder der erörterten Ansätze des Parteienrechts wirft wiederum eine Reihe neuer Problematiken im demokratischen Leben auf, daher findet das „Versteckspiel" des Staatrechts mit den Parteien kein Ende.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Erster Teil: Einleitung
  • A. Demokratie und Parteienrecht: Funktionelle Zusammenhänge
  • I. Grundlegung
  • II. Der Zusammenhang zwischen Parteienlehre und Parteienrechtslehre
  • III. Die staatliche Verfassung als Ordnungsfaktor für das Verhältnis von Demokratie und Parteiwesen
  • IV. Die Elemente des Parteienrechtssystems
  • V. Das Parteienrecht im Vergleich
  • B. Ziele und Methoden der Untersuchung
  • I. Rechtswissenschaftliche Relevanz und Positionierung einer Untersuchung der Parteienrechtsdogmatik
  • II. Fortgang der Untersuchung
  • 1. Übersicht
  • 2. Gliederung
  • a) Zweiter Teil: Die Grundsteine der Parteienrechtslehre
  • b) Dritter Teil: Der Dialog zur Parteienrechtslehre zwischen der VDStRL und dem BVerfG
  • c) Vierter Teil: Auf dem Weg der Parteienrechtsdogmatik oder Rechtsgewinnung?
  • d) Fünfter Teil: Die Parteienrechtsvergleichung zwischen Deutschland und Taiwan
  • III. Methode
  • 1. Zur historischen Analyse der Parteienrechtslehre
  • 2. Rechtsdogmatik und Rechtsgewinnung
  • 3. Rechtsvergleichung mit Taiwan
  • Zweiter Teil: Die Grundsteine der Parteienrechtslehre
  • A. Das Vier-Phasen-Schema von Heinrich Triepel
  • I. Bekämpfung
  • II. Ignorierung
  • III. Anerkennung
  • IV. Verfassungsmäßige Inkorporation
  • B. Die Vielfalt der Parteienstaatslehre in der Weimarer Republik56
  • I. Negative und positive Zuordnung von Staat und Parteien
  • 1. Die negative Zuordnung von Staat und Parteien
  • 2. Die positive Zuordnung von Staat und Parteien
  • II. Die Parteienstaatslehre von Otto Koellreutter
  • III. Die Parteienstaatslehre von Gustav Radbruch
  • C. Die Verfassungsdogmatik des Parteienartikels
  • I. Die Entstehungsgeschichte von Art. 21 GG.
  • 1. Der Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee
  • 2. Der Parlamentarische Rat
  • II. Die kontinuierliche Erläuterung im Lehrbuch und Kommentar
  • 1. Das klassische Lehrbuch „Deutsches Staatsrecht“ von Theodor Maunz
  • 2. Die Kommentare zum Grundgesetz und Parteiengesetz
  • D. Die Begründung der Parteienrechtswissenschaft
  • I. Die Ausgestaltung des Parteibegriffs und des Parteienrechts
  • 1. Empfehlungen des 38. Deutschen Juristentages
  • 2. Beratungen der Parteienrechtskommission
  • 3. Mitwirkung des Bundesverfassungsgerichts
  • II. Die zweite Generation des Parteienrechts
  • 1. Krisensymptome des Parteienstaats
  • 2. Kritik an der politischen Klasse
  • 3. Parteienrecht als Aufgabe der Rechtspolitik
  • III. Parteienrecht als Wettbewerbsrecht
  • 1. Ansätze der ökonomischen Theorie der Demokratie
  • 2. Die Analogie zwischen Parteien- und Wettbewerbsrecht
  • 3. Eine dogmatische Konstruktion auf dem vierfältigen Verfassungsstatus der Parteien
  • a) Parteienfreiheit – Wettbewerbsfreiheit
  • b) Chancengleichheit der Parteien – Wettbewerbsgleichheit
  • c) Öffentlichkeit
  • d) Innerparteiliche Demokratie
  • E. Zwischenergebnis
  • Dritter Teil: Der Dialog zwischen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer und dem Bundesverfassungsgericht
  • A. Parteienrechtslehre als Übergang zwischen Verfassungstheorie und -praxis
  • B. Die Entfaltung der streitbaren Demokratie
  • I. Karl Loewensteins Ansatz
  • II. Streitbare Demokratie als ein juristischer Begriff
  • 1. Die Festlegung der Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit von Parteien in § 46 Abs. 3 BVerfGG
  • 2. Kurt Georg Wernickes Erläuterung der Tatbestände
  • 3. SRP- und KPD-Verbot
  • III. Die Debatte zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung
  • 1. Die inhaltliche Neubestimmung der streitbaren Demokratie
  • a) Eine Übersicht zum Soldatenbeschluss
  • b) Eine Übersicht zum Abhörurteil
  • c) Eine Übersicht zum Radikalenbeschluss
  • 2. Die Kontroverse um die Auslegung der streitbaren Demokratie
  • a) Verfassungstreue in der Debatte
  • b) Verfassungsschutz in der Debatte
  • c) Verfassungsfeinde in der Debatte
  • C. Parteienstaatsdemokratie im Wandel
  • I. Die Parteienstaatslehre von Gerhard Leibholz
  • 1. Die Parteienstaatslehre in Leibholz’ Habilitationsschrift „Das Wesen der Repräsentation“
  • 2. Die Vertiefung der Parteienstaatslehre im Referat der Hallenser Staatsrechtslehrertagung 1931
  • 3. Die Fortentwicklung der Parteienstaatslehre in „Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert“
  • 4. Die Rezeption der Parteienstaatslehre in den Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts
  • II. Krise der parteienstaatlichen Demokratie
  • 1. Eine ideale Beziehung zwischen Parteien und dem demokratischen Verfassungsstaat
  • 2. Parteienstaatlichkeit als Krisensymptom
  • 3. Parteienrechtliche Vorschläge als Therapie
  • 4. Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts in der Parteienfinanzierung
  • D. Parteienwettbewerb als Konkurrenzdemokratie
  • I. Die Status-Lehre als Klassiker der Parteienrechtslehre
  • 1. Zur normativen Kraft der Verfassung
  • 2. Die verfassungsrechtliche Stellung der politischen Parteien im modernen Staat
  • a) Die Parteienfunktion im Sinne von „für das Volk“
  • b) Freiheit, Gleichheit und Öffentlichkeit der politischen Parteien
  • aa) Freiheit der politischen Parteien
  • bb) Gleichheit der politischen Parteien
  • cc) Öffentlichkeit der politischen Parteien
  • 3. Kooperation zwischen Parteienrechtslehrern und BVerfG
  • II. Demokratie als Wettbewerbsordnung
  • 1. Demokratie als Wettbewerbsordnung von Armin Hatje
  • 2. Demokratie als Wettbewerbsordnung von Markus Kotzur
  • III. Die Beschreibung des Parteienwettbewerbs in den Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts
  • 1. Die Fünfprozentklausel als Begrenzung im Wettbewerbszugang
  • 2. Das Parteiverbot als Auswahlbegrenzung
  • 3. Die staatliche Parteienfinanzierung als Wettbewerbsbeschränkung
  • E. Zwischenergebnis
  • Vierter Teil: Auf dem Weg der Parteienrechtsdogmatik oder Rechtsgewinnung?
  • A. Auf dem Weg der Rechtsdogmatik
  • I. Notwendigkeit und Grundzüge einer Parteienrechtsdogmatik
  • 1. Notwendigkeit einer Parteienrechtsdogmatik
  • 2. Möglichkeit der Ausarbeitung einer Parteienrechtsdogmatik
  • II. Das Wesen von Parteienrechtsprinzipien
  • 1. Unbestimmtheit von Verfassungsprinzipien des Parteienwesens und Parteienrechtsprinzipien
  • 2. Prinzipienkollision als modifizierbare Art der Parteienrechtsentfaltung
  • a) Die Prinzipientheorie von Robert Alexy
  • b) Die Prinzipienkollision zwischen Art. 21 und Art. 38 GG
  • c) Die Prinzipienkollision zwischen Art. 9 und Art. 21 GG
  • 3. Die duale Normstruktur des Parteienrechts
  • III. Maximen des Parteienrechts als eine Parteienrechtsdogmatik
  • 1. Differenz von Prinzipien und Maximen in der Parteienrechtsdogmatik
  • 2. Maximen des Parteienrechts
  • B. Auf dem Weg der Rechtsgewinnung
  • I. Parteienrechtslehre als Normhypothese
  • II. Parteienrechtslehre als vernunftrechtliche Entscheidung in einem offenen Erwägungs- und Entscheidungsspielraum
  • 1. Die Positionierung der politologischen Ansätze in juristischer Entscheidung
  • 2. Folgenorientierte Interpretation des Parteienrechts
  • a) Die Orientierung an den Maximen
  • b) Die Erwägung der Folgen der Maximen
  • c) Die Unparteilichkeit der Abwägung
  • aa) Die Vorstellung der Folgen der Entscheidungsmaximen
  • bb) Die Vorausschätzung der Folgen der Entscheidungsmaximen
  • cc) Die Folgenabwägung der Entscheidungsmaximen
  • III. Demokratische Leitbilder in der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung
  • 1. Das Leitbild der streitbaren Demokratie
  • 2. Das Leitbild der repräsentativen Demokratie
  • 3. Das Leitbild in der Konkurrenzdemokratie
  • C. Facetten der Parteienrechtswissenschaft im Spiegel der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft
  • I. Die steuerungswissenschaftliche Perspektive
  • II. Der differenziert-integrative Ansatz
  • III. Die praktische Relevanz der Rechtsvergleichung
  • D. Zwischenergebnis
  • Fünfter Teil: Die Parteienrechtsvergleichung zwischen Deutschland und Taiwan
  • A. Die Rezeption des deutschen Parteienrechts als Ausgangspunkt
  • B. Die Institution der politischen Parteien in Taiwan
  • I. Geschichtlicher und rechtlicher Rahmen
  • 1. Parteibildung
  • a) Historischer Überblick: Republik China und Taiwan
  • aa) 1912–1949: Republik China auf dem Festland
  • bb) 1945–1949: Rückgabe Taiwans an die Republik China
  • cc) 1949–1971: Republik China auf Taiwan als alleinig legitimierter Vertreter Chinas in den Vereinten Nationen
  • dd) 1971–1991: Die internationale Isolation der Republik China und der Taiwan-Konflikt
  • ee) 1991–2016: Demokratisierung Taiwans
  • ff) Überblick zur gegenwärtigen Parteienstruktur: Polarisierung des Parteienkampfs
  • 2. Der verfassungsrechtliche Rahmen
  • a) Gleichheit politischer Parteien
  • b) Wehrhafte Demokratie und Parteiverbot
  • II. Die politische Partei und deren Stellung im Verfassungsgefüge
  • 1. Der Parteibegriff
  • 2. Funktion und Status der politischen Partei in der Verfassungsordnung
  • III. Die innere Ordnung der politischen Partei
  • 1. Bestandsaufnahme
  • a) Parteiengesetz und Parteiensatzung
  • b) Innere Struktur der Parteien in der Verfassungsrechtswirklichkeit
  • c) Nebenorganisationen der Parteien
  • d) Parteipresse
  • e) Öffentlichkeitsarbeit der Parteien
  • 2. Die innerparteiliche Demokratie
  • a) Innerparteiliche Demokratie als Gesetzgebot
  • b) Parteilobbyismus
  • c) Kandidatenaufstellung
  • d) Parteimitglieder, innerparteiliche Minderheitsrechte und der Parteiausschluss
  • IV. Die Rechte der politischen Parteien
  • 1. Überblick
  • 2. Die Grundrechte der politischen Parteien
  • a) Gründungsfreiheit
  • b) Allgemeine Parteienfreiheit
  • c) Chancengleichheit
  • d) Andere Grundrechte
  • e) Verfassungstreue und Parteiverbot
  • 3. Politische Parteien und öffentlicher Dienst
  • a) Verfassungstreue und öffentliche Ämter
  • b) Einfluss auf die Ämterbesetzung
  • c) Politische Beamte
  • V. Die Finanzen der politischen Parteien
  • 1. Die Parteienfinanzierung
  • a) Staatliche Parteienfinanzierung
  • b) Weitere Finanzierungsmöglichkeiten
  • c) Offenlegung der Finanzlage der Parteien
  • d) Kontrollmöglichkeit
  • e) Besonderheiten
  • VII. Die Prägung der Verfassungsorgane durch die Institutionalisierung der politischen Parteien
  • 2. Parteienrechtswandel in der Demokratisierung Taiwans
  • b) Repräsentative Demokratie, bürgerschaftliches Engagement und Populismus
  • C. Die Reflexion des Parteienrechts
  • Schlussteil: Zusammenfassung und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Anhang 1 DIE ERARBEITETE THESE VOM REDAKTIONSKOMITEE
  • Anhang 2 EMPFEHLUNG
  • Anhang 3 Gliederungsplan591
  • Anhang 4 Gesetz über die politischen Parteien in Taiwan (PartG-Taiwan)

←16 | 17→

Erster Teil:  Einleitung

A. Demokratie und Parteienrecht: Funktionelle Zusammenhänge

I. Grundlegung

Betrachtet man die Vielfalt der Parteienrechtslehre, so findet sich in der Literatur die Meinung, die janusköpfige Stellung der Parteien in ihren öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnissen zum Staat beruhe auf einer nicht hinreichend konsequenten Verwirklichung der parteienstaatlichen Grundentscheidung des Art. 21 GG durch den Gesetzgeber, die Lehre und insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht. Sie sei weder verfassungsrechtlich indiziert noch werde sie – jenseits des bundesverfassungsgerichtlichen Kontrollzugriffs – auch nicht durch einen tragenden Gedanken gestützt.1 Vor diesem Hintergrund wird es in der vorliegenden Arbeit vor allem darum gehen, die Bedeutung und die Entwicklung der Parteienrechtslehre auszuloten, um die parteienrechtswissenschaftliche Argumentation an der Judikatur zu orientieren.

Die Parteienrechtswissenschaft erweist sich als ein Sammelbegriff mit einer Vielzahl von rechts-, politik- und sozialwissenschaftlichen Dimensionen.2 In der Erörterung des Verhältnisses zwischen Parteienstaat und Verfassungsdogmatik aus verfassungsrechtlicher Perspektive gilt es, die legitime und systemimmanente Entwicklung des Sinns und Zwecks der Parteikontrolle im Verfassungsleben zu bedenken. Dies betrifft nicht nur die Entstehung und Entwicklung der Parteienrechtslehre, sondern auch die rechtlichen Anforderungen und ihre optimale Ausgestaltung für eine rationale parteipolitische Struktur. Die grundlegende Beziehung, die zwischen Parteienrechtslehre, staatlicher Verfassung und parlamentarischer Demokratie besteht, soll am Anfang der vorliegenden Arbeit dargestellt werden.

←17 | 18→

II. Der Zusammenhang zwischen Parteienlehre und Parteienrechtslehre

Parteien sind Forschungsgegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Angesichts der Vielfalt der Disziplinen setzt sich der Kernbereich der Parteienforschung aus verschiedenen miteinander verflochtenen interdisziplinären Ansätzen zusammen und wird in dieser komplexen Form dargestellt. Die Parteienforschung beschäftigt sich mit den folgenden Forschungsgebieten:

Die Parteienrechtslehre als Teilgebiet der Parteienforschung konzentriert sich nicht auf empirisch-analytische Studien, in denen der Wandel des Parteiensystems, die Struktur der Parteimitgliedschaften, Parteientypen usw. im Rahmen der Sozialwissenschaften nach der deskriptiven Richtung der Disziplin repräsentiert werden,4 sondern sie umfasst rechtliche Grundlagen als Kern, in denen normative Gedanken und Parteienkontrolle miteinander verbunden sind und die Dimensionen von Norm und Wirklichkeit widerspiegeln.5 Die Analyse der frühen bedeutsamen parteienrechtlichen Literatur führt zu der Feststellung, dass der Rechtswandel der Parteien im Schnittstellenbereich von Parteienlehre und Parteienrechtslehre ein wichtiger Baustein zur Weiterentwicklung der Parteienrechtswissenschaft geworden ist.6 Im Rahmen dieser interdisziplinären ←18 | 19→Betrachtungsweise ist es unvermeidlich, dass die idealtypische Beschreibung der Parteienfunktion mit dem Verfassungskontext kollidiert.

III. Die staatliche Verfassung als Ordnungsfaktor für das Verhältnis von Demokratie und Parteiwesen

Während die Parteien in zahlreichen staatsrechtlichen Literaturen der Weimarer Zeit ignoriert wurden,7 hat die Parteienfunktion nach dem Zweiten Weltkrieg in Art. 21 Absatz 1 Satz 1 GG Verankerung gefunden. Der funktionsfähige Parteienartikel regelt das Verhältnis von Parteiwesen und Demokratie auf die folgende Weise: Einerseits wird die von unten nach oben gesicherte Funktionsgarantie der politischen Parteien in der repräsentativen Demokratie gewährleistet;8 andererseits werden Rechte und Pflichten der politischen Parteien, die in Art. 21 GG teilweise aufgeführt werden, durch den Gesetzgebungsauftrag des Art. 21 V GG als Vorschriften zur Gestaltung des Parteiengesetzes gefordert.9 Auf diese Weise werden in Art. 21 GG die Begriffe der Gründungsfreiheit, der innerparteilichen Demokratie, der Offenlegung der Parteienfinanzierung und der wehrhaften Demokratie als Grundsätze des Parteienrechts erkennbar. Diese Grundsätze treten darüber hinaus in der Verfassungspraxis bzw. -interpretation unter dem Gebot optimaler Entfaltung und Verwirklichung der Norm bei Staatsrechtslehrern und im Bundesverfassungsgericht in großer Deutlichkeit zutage.10 Das Strukturmodell des Parteienartikels beeinflusst das Parteienrechtssystem, das die verschiedenen Demokratietheorien, Funktionen politischer Parteien und ←19 | 20→(verfassungs-) rechtlichen und rechtlichen Vorgaben für die politischen Parteien und Rollen des Bundesverfassungsgerichts miteinander vermengt.

IV. Die Elemente des Parteienrechtssystems

Die Parteienfunktion findet mit lediglich einem einzigen Satz in Art. 21 I 1 Erwähnung: Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. In wissenschaftlichen Diskussionen existieren bezüglich der Parteienfunktion jedoch vielfältige Metaphern, z.B. „Kreationsorgane“, „Vorformungsorgane“, „Integrationsorgane“, „Bindeglieder“, „Zwischenkörper“, „Transmissionsriemen“, „notwendige Handlungseinheiten“, „Flaschenhälse“, „Sprachrohre“ und „Zahnräder“.11 Daraus ist ersichtlich, dass kein festgelegtes Modell einer idealen Parteienfunktion vorliegt; vielmehr sind die Beschreibung und Regelung der Parteien an verschiedene Demokratietheorien gebunden.

Betrachtet man die heutige Rechtsstruktur der Parteienrechtswissenschaft, so fällt auf, dass die wehrhafte Demokratie, die parteienstaatliche Demokratie und die Konkurrenzdemokratie sich als Entstehungsorte des grundlegenden Parteienrechts erweisen könnten.12 Um den politischen Parteien den Weg zu einer Demokratie zu bahnen, erschöpften sich die Parteienrechtslehrer in der Umsetzung von Theorien zur Parteienkontrolle in der Staatsrechtlehre und Judikaturen. Gustav Radbruch bezeichnete dies als „ein Versteckspiel des Staatsrechts gegenüber den Parteien“.13 Diese Tendenz zu einem Versteckspiel besteht noch heute. Es lohnt sich daher, einen Blick auf das langfristige Versteckspiel zu werfen, um durch die Betrachtung der Entwicklung der Parteikontrolle neue Perspektiven zu gewinnen, bereits bekannte Ansichten zu prüfen und im Kontext stehende Fragestellungen zu bewältigen.

V. Das Parteienrecht im Vergleich

Betrachtet man die Rechtsvergleichung des Parteienrechts, so findet sich in der Literatur die Meinung, dass das jeweilige nationale Parteienrecht durch den Blick ←20 | 21→in andere Länder in Selbstverständlichkeiten erschüttert und in Gestaltungs- und Deutungsmöglichkeiten bereichert werden könne.14 In der vorliegenden Arbeit wird auf Basis der Rechtsrezeption eine Parteienrechtsvergleichung zwischen Deutschland und Taiwan erarbeitet. So wie der Funktionsbegriff der Parteien, die Gründungsfreiheit der Parteien, die innerparteiliche Demokratie, die Offenlegung der Parteienfinanzierung und die wehrhafte Demokratie in Art. 21 GG verankert sind,15 finden sich solche parteienrechtlichen Bestimmungen auch im Parteiengesetz Taiwans wieder. Aufgrund der Rechtsrezeption sind die rechtlichen Vorgaben für die politischen Parteien in Taiwan nach den Grundsätzen des deutschen Parteienrechts ausgestaltet. Die miteinander verflochtene Rechtsstruktur Deutschlands und Taiwans erlaubt die Entwicklung eines Rechtsvergleichs als pragmatische Rechtsmethode.

B. Ziele und Methoden der Untersuchung

I. Rechtswissenschaftliche Relevanz und Positionierung einer Untersuchung der Parteienrechtsdogmatik

Zwar ist der Strukturwandel des Parteienrechts bereits früh und immer wieder in den Mittelpunkt der Parteienrechtsforschung getreten, doch richtet diese den Fokus stets auf das bundesdeutsche oder das europäische Parteienrecht.16 Bis heute fehlt jedoch eine systematische Untersuchung der Parteienrechtsforschung, die die gemeinsame Entwicklung der deutschen Parteienrechtswissenschaft und den damit einhergehenden Rezeptionswandel herausarbeitet. Die vorliegende Arbeit soll diesbezüglich eine Änderung bewirken, indem die verschiedenen konstruktiven Zusammenhänge zwischen der Funktion des Parteienrechts und dem Stellenwert der Demokratisierung illuminiert werden. Die Arbeit widmet sich dabei zum einen der Ideengeschichte der Parteienkontrolle ←21 | 22→und der Entwicklung des dogmatischen Parteienrechts in Deutschland; zum anderen werden darüber hinaus der Rezeptionswandel des Parteienrechts in Taiwans Demokratisierung und ihre normativen und pragmatischen Folgen in Taiwan erörtert.

II. Fortgang der Untersuchung

1. Übersicht

Das Thema „Die Entwicklung der Parteienrechtslehre“ erfordert eine Erörterung der Schlüsselfaktoren des historischen Wandels. Zu diesem Zweck gliedert sich diese Arbeit entlang des historischen Wandels und unter Berücksichtigung von Makro- bis hin zu Mikrostrukturen in sechs Teile.

2. Gliederung
a) Zweiter Teil: Die Grundsteine der Parteienrechtslehre

Die Betrachtung von Heinrich Triepels Vortrag „Die Staatsverfassung und die politischen Parteien“ als ein Grundstein der Parteienrechtslehre erlaubt eine tiefgehendere Analyse der parteienrechtlichen Literatur durch das Vier-Phasen-Schema. Die Initiative zur Parteikontrolle, die zeitgenössischen Debatten über die Parteienfunktion im Parlamentarismus, die Entstehungsgeschichte des Parteienartikels im Grundgesetz, die Gestaltung des Parteiengesetzes sowie die Begründung der Parteienrechtswissenschaft sollen in diesem Teil grundlegend dargestellt werden, um ein Vorverständnis zu ermöglichen.

b) Dritter Teil: Der Dialog zur Parteienrechtslehre zwischen der VDStRL und dem BVerfG

Art. 21 I 1, 2 und II GG sind nach Ansicht des BVerfG unmittelbar anwendbares Recht.17 Mit der Rechtsprechung vom BVerfG wird die Funktionalität der Parteienrechtslehre im Sinne des Art. 21 GG in den Vordergrund der Betrachtung gestellt. Denn die Parteienrechtslehre als ein Übergang von Verfassungstheorie zur Verfassungspraxis wurde von drei Seiten eingekesselt: dem Prinzip der streitbaren Demokratie, der Parteienstaatslehre von Gerhard Leibholz und der verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien. Diese bedeutsame Parteienrechtslehre wurde nicht nur anhand der Referate der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer – Die Reform des Wahlrechts (1931), Die verfassungsrechtliche ←22 | 23→Stellung der Parteien im modernen Staat (1958), Verfassungsstreue und Schutz der Verfassung (1978), Parteienstaatlichkeit– Krisensymptome des demokratischen Verfassungsstaats? (1985) und Demokratie als Wettbewerbsordnung (2010) – in den wissenschaftlichen Diskussionen präsentiert, sondern auch in den Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichts herangezogen und weiterentwickelt. In diesem Teil werden die Verfassungstheorie und -praxis der Parteienrechtslehre dargestellt.

c) Vierter Teil: Auf dem Weg der Parteienrechtsdogmatik oder Rechtsgewinnung?

Zur Bildung einer eigenen Disziplin – der Parteienrechtswissenschaft – bedingen parteienrechtliche Überlegungen die Konstruktion einer Spezialdogmatik zur Etablierung einer Parteienrechtsdogmatik. Dieser Ansatz wurde bereits in Martin Morloks Aufsatz „Notwendigkeit und Grundzüge einer Parteienrechtsdogmatik“ erhellt.18 Hinsichtlich der Methodik auf dem Wege der Rechtsgewinnung wird der Sachverhalt der Parteienstaatlichkeit oder anderer einseitiger Parteienkritiken in den Fokus der Überlegungen gestellt und das diesbezüglich bestehende juristische Problem, d.h. der Sachverhalt der Parteienstaatlichkeit oder anderer einseitiger Parteienkritiken, umschrieben. In der Rechtsgewinnungstheorie Krieles19 besteht die Aufgabe der Parteienrechtslehre darin, eine vernunftrechtliche Entscheidung in einem offenen Erwägungs- und Entscheidungsspielraum zu finden. Beide Vorgehensweisen werden in diesem Teil erörtert, um den pragmatischen Charakter des Parteienrechts im Spiegel der Neuen Verwaltungsrechtswissenschaft zu verdeutlichen.

d) Fünfter Teil: Die Parteienrechtsvergleichung zwischen Deutschland und Taiwan

Das Gesetz über die politischen Parteien (PartG-Taiwan)20 trat in Taiwan am 6. Dezember 2017 in Kraft. Während der Funktionsbegriff der Parteien, die Gründungsfreiheit der Parteien, die innerparteiliche Demokratie, die Offenlegung der Parteienfinanzierung und die wehrhafte Demokratie unmittelbar in Art. 21 GG verankert sind, finden sich solche parteienrechtlichen Bestimmungen sowohl in ←23 | 24→Taiwans Verfassung als auch im einfachgesetzlichen Recht der politischen Parteien wieder. In diesem Kontext ist das PartG-Taiwan nach den Grundsätzen des deutschen Parteienrechts ausgestaltet. Ziel dieses Teils der vorliegenden Arbeit ist es zu klären, welche (verfassungs-)rechtlichen Grundlagen der politischen Parteien in Taiwan bestehen.

Darüber hinaus wurde am 25. Juli 2016 das „Gesetz über die Behandlung des unrechtmäßig erworbenen Vermögens der Parteien und Massenorganisationen (PartG-KMT)“21 erlassen. In diesem Gesetz wird der aus dem ehemaligen KMT-Regime stammenden Parteivermögen geregelt, indem das Gesetz über Parteien und andere politische Vereinigungen (PartG-DDR) als Vorbild betrachtet wird.

Auf diesen Grundlagen wird in diesem Teil eine Rechtsvergleichung der miteinander verflochtenen Parteienrechtsstruktur Deutschlands und Taiwans erarbeitet, um den Zusammenhang zwischen den Parteienrechtsinstitutionen und der Demokratisierung zu erhellen.

III. Methode

1. Zur historischen Analyse der Parteienrechtslehre

Betrachtet man das Vier-Phasen-Schema als Ausgang der Parteienrechtslehre, so wird das korrelative Verhältnis zwischen politischem Wandel und rechtlichen Auswirkungen deutlich. In diesem Sinne sind die Parteienrechtsforschung und der parteienrechtliche Wandel eng miteinander verwoben. Die zwischen der Parteipolitik und dem Parteienrecht bestehenden Wechselwirkungen reflektieren nicht nur das Versteckspiel des Staatsrechts gegenüber den Parteien, sondern stellen auch eine unauflösbare Verbindung dar, die sich aus den vielfältigen Rechtsformen zusammensetzt, die sich entsprechend den unterschiedlichen Funktionen der Parteien und dem Zweck der Parteienkontrolle bilden. Durch dieses Gedankenmodell lässt sich mithilfe einer historischen Analyse beweisen, dass sich der Zweck des Parteienrechts gemäß dem Strukturfunktionalismus entwickelte.

←24 | 25→
2. Rechtsdogmatik und Rechtsgewinnung

Das Parteienrecht ist nicht kodifiziert. Das Parteiengesetz regelt nur einen Teil des Wirkungsfeldes politischer Parteien, weitere rechtliche Bestimmungen befinden sich im Vereins-, Wahl- und Parlamentsrecht.22 In diesem Kontext bedarf es einer Konstruktion der Parteienrechtsdogmatik, um Sinn und Zweck einer Norm zu ermitteln, eine systematisch-teleologische Erwägung zu ermöglichen und zwei Parallelrechtsordnungen in einer festgelegten Beziehungsstruktur zu etablieren.23

Das Parteiengesetz ist auch ein Sonderrecht. Die Gesetzgebungsbefugnis umfasst nach Ansicht des BVerfG insbesondere die Befugnis zur Konkretisierung des Parteibegriffs und zur Regelung der Rechtsstellung der Parteien im Rechtsverkehr und im gerichtlichen Verfahren, ferner die innere Ordnung und die Rechnungslegungspflicht sowie das Verfahren und den Vollzug des Parteiverbots.24 In diesen Rechtsanwendungsgebieten besteht daher eine systematische Verortung jener Rechtsnormenrelevanz. Mit einer Konstruktion der Parteienrechtsdogmatik kann die Methode der Rechtsanwendung in den verschiedenen Rechtsanwendungsgebieten rationalisiert werden.

Details

Seiten
228
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783631800577
ISBN (ePUB)
9783631800584
ISBN (MOBI)
9783631800591
ISBN (Paperback)
9783631800188
DOI
10.3726/b16208
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Parteiengesetz Parteienrechtswissenschaft Parteienstaat Parteienkontrolle Parteienartikel Parteienwettbewerb Parteiendemokratie
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019., 228 S.

Biographische Angaben

Ren-Jyun Huang (Autor:in)

Ren-Jyun Huang studierte Rechtswissenschaft an der National University of Kaohsiung und an der National Taiwan University. Seine Promotion erfolgte 2019 an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Zurück

Titel: Die Entwicklung der Parteienrechtslehre
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
book preview page numper 7
book preview page numper 8
book preview page numper 9
book preview page numper 10
book preview page numper 11
book preview page numper 12
book preview page numper 13
book preview page numper 14
book preview page numper 15
book preview page numper 16
book preview page numper 17
book preview page numper 18
book preview page numper 19
book preview page numper 20
book preview page numper 21
book preview page numper 22
book preview page numper 23
book preview page numper 24
book preview page numper 25
book preview page numper 26
book preview page numper 27
book preview page numper 28
book preview page numper 29
book preview page numper 30
book preview page numper 31
book preview page numper 32
book preview page numper 33
book preview page numper 34
book preview page numper 35
book preview page numper 36
book preview page numper 37
book preview page numper 38
book preview page numper 39
book preview page numper 40
230 Seiten