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«Gemischtwarenladen» Wissenschaftsblog?

Eine textlinguistische Untersuchung der Musterhaftigkeit in Wissenschaftsblogs

von Nora Heinicke (Autor:in)
©2020 Dissertation 282 Seiten

Zusammenfassung

In Wissenschaftsblogs findet sich eine scheinbar unüberschaubare Vielfalt von Textelementen. Dass sich innerhalb dieser komplexen und heterogenen Textsammlung dennoch Musterhaftigkeiten abzeichnen, belegt die vorliegende Studie. Die Autorin rekonstruiert die musterhaften sprachlichen und visuellen Erscheinungsformen in der Kommunikationsform Wissenschaftsblog mit textlinguistischen Methoden. Dabei zeichnet sie nach, wie die Wahrnehmung der Musterhaftigkeit der Blogtexte zum (Wieder-)Erkennen ihrer Textsortenzugehörigkeit führt. Die Studie liefert damit wichtige Hinweise auf den Nutzen bewährter textlinguistischer Analyseparadigmen und -instrumentarien für die Untersuchung elektronisch vermittelter Schriftlichkeit.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Zum Gegenstand Wissenschaftsblog
  • 2.1 Begriffsbestimmungen
  • 2.1.1 Computervermittelte Kommunikation
  • 2.1.2 Kommunikationsform
  • 2.1.3 Weblog
  • 2.1.4 Wissenschaftsblog
  • 2.2 Forschungsstand zu Wissenschaftsblogs in der Linguistik
  • 3 Zum Thema Musterhaftigkeit
  • 3.1 Textlinguistik als Ausgangspunkt
  • 3.2 Begriffsbestimmung Muster(haftigkeit)
  • 3.3 Zum Zusammenhang von Musterhaftigkeit und Textsortenzugehörigkeit
  • 3.4 Zum Wandel von Muster(haftigkeite)n
  • 4 Ausgewählte linguistische Ansätze zur Analyse fachinterner und -externer Kommunikation
  • 4.1 Fachsprachenforschung
  • 4.1.1 Zum Verhältnis von Fach- und Wissenschaftssprache
  • 4.1.2 Merkmale von Fach- bzw. Wissenschaftssprache
  • 4.2 Fachtextlinguistik
  • 4.3 Transferwissenschaft
  • 5 Zum Vorgehen bei der Analyse der Musterhaftigkeit in Wissenschaftsblogs
  • 5.1 Textlinguistische Grundlagen
  • 5.2 Analyseebenen
  • 5.2.1 Das visuelle Gestaltungsmuster
  • 5.2.2 Die Muster aus je einer Art einer Vertextungsstruktur und einer dominierenden Textfunktion
  • 5.2.2.1 Die Vertextungsstruktur
  • 5.2.2.2 Die Textfunktion
  • 6 Das Wissenschaftsblogkorpus
  • 6.1 Datenauswahl und -erhebung
  • 6.2 Kurzbeschreibung der Daten
  • 6.3 Zwischenfazit
  • 7 Die Analyse der Musterhaftigkeit in Wissenschaftsblogs
  • 7.1 Die musterhafte Erscheinungsform
  • 7.1.1 Bestandteile und Begrifflichkeiten
  • 7.1.2 Vergleich der Erscheinungsform eines Blogs mit der einer Online-Zeitung
  • 7.1.3 Zusammenfassung
  • 7.2 Muster 1: Explanative Texte mit dominierender Darstellungsfunktion
  • 7.2.1 Signalisierung des Musters
  • 7.2.1.1 Explanative Strukturhinweise
  • 7.2.1.2 Ausgeprägte Themahinweise
  • 7.2.1.3 Bezugnahmen auf wissenschaftliche Wissensgebiete
  • 7.2.2 Hinweise auf die Textsorte populärwissenschaftlicher Text
  • 7.2.2.1 Verzögerte Auflösung des Erklärungszusammenhangs
  • 7.2.2.2 Zugespitzte Darstellung des Erklärungszusammenhangs
  • 7.2.2.3 Darstellung von Eingängigkeit
  • 7.2.2.4 Darstellung von Anschaulichkeit
  • 7.2.2.5 Inszenierung von Informalität
  • 7.2.2.6 Nachahmung von Interaktion
  • 7.2.3 Hinweise auf die Textsorte Lehrtext
  • 7.2.3.1 Schrittweise Darstellung des Erklärungszusammenhangs
  • 7.2.3.2 Handlungs- und Verstehensanleitungen
  • 7.2.4 Zusammenfassung
  • 7.3 Muster 2: Narrative Texte mit dominierender Darstellungsfunktion
  • 7.3.1 Hinweise auf die Textsorten Bericht und Erzählung
  • 7.3.1.1 Herausbildung der narrativen Vertextungsstruktur
  • 7.3.1.2 Signalisierung der dominierenden Darstellungsfunktion
  • 7.3.1.3 Szenisch darstellende Ereignisrepräsentation
  • 7.3.2 Zusammenfassung
  • 7.4 Muster 3: Argumentative Texte mit dominierender Steuerungsfunktion
  • 7.4.1 Signalisierung des Musters
  • 7.4.2 Hinweise auf die Textsorte Kommentar
  • 7.4.2.1 Argumentativer Angriff auf Geltungsansprüche
  • 7.4.2.2 Aufforderungen und Anleitungen
  • 7.4.2.3 Darstellung von Expertenschaft
  • 7.4.2.4 Inszenierung von Informalität
  • 7.4.2.5 Nachahmung von Interaktion
  • 7.4.3 Hinweise auf die Textsorte Glosse
  • 7.4.3.1 Argumentativer Angriff auf Geltungsansprüche
  • 7.4.3.2 Komisierung
  • 7.4.4 Hinweise auf die Textsorte Rezension
  • 7.4.4.1 Argumentative Stützung von Geltungsansprüchen
  • 7.4.4.2 Informationsdarstellung
  • 7.4.5 Zusammenfassung
  • 7.5 Weitere textuelle Erscheinungsformen
  • 8 Fazit und Ausblick
  • Literaturverzeichnis
  • Dank

1 Einleitung

Im Zuge des Aufkommens und der Verbreitung von Weblogs in der Wissenschaft1 wurden Sinn und Unsinn dieser Form der Online-Kommunikation für den wissenschaftlichen Bereich breit diskutiert (vgl. z. B. Littek 2012; allgemeiner zu Social Media: Neuberger 2014). In diesen Diskussionen spiegeln sich Hoffnungen auf eine Veränderung des wissenschaftlichen Publikationssystems und Erwartungen an neue Formen und Möglichkeiten der Vermittlung wissenschaftlichen Wissens. Zugleich sind diese Diskussionen Ausdruck der Vorbehalte gegenüber Online-Publikationen, die die in der Wissenschaft geläufige Qualitätskontrolle im Sinne fest geregelter Review-Prozesse nicht durchlaufen haben. Während diese Diskussionen seitens der sogenannten wissenschaftlichen Blogosphäre2 mit Ratgebern und Anleitungen dazu, wie gutes, d. h. wissenschaftlich integres, wissenschaftliches Bloggen auszusehen habe (vgl. z. B. Scheloske 2012a), zu beantworten versucht wurden, beschäftigte sich die wissenschaftliche Weblogforschung zentral mit der Frage, was denn überhaupt unter dem Gegenstand Weblog zu verstehen sei, wie er beschrieben werden könne, und mit welchen Antezedenzien er zu vergleichen sei. In der englischsprachigen linguistischen Forschung wurde – in genretheoretischer Tradition – vorerst das Vorkommen einzelner Ausprägungen von Webloggattungen (vgl. z. B. Herring u. a. 2004; Puschmann 2010) konstatiert, später wurde die Bestimmung von Blogs als genre(s) bzw. Gattung(en) jedoch wieder hinterfragt (vgl. Puschmann 2013; Miller/Shepherd 2009). In der deutschsprachigen Linguistik fallen Fragen um ←11 | 12→die Einordnung des Gegenstands Weblog zusammen mit Auseinandersetzungen um die Unterscheidung von „Kommunikationsformen“ (Holly 2011), die die Bedingungen der Möglichkeit für Kommunikation herstellen (vgl. Meiler 2013), und Gattungen bzw. Textsorten, die in diesen Kommunikationsformen realisiert werden. Weitestgehend Einvernehmen besteht heute in der Annahme, dass es sich bei Weblogs um eine Kommunikationsform handelt und dass Kommunikationsformen „durch situative und mediale Merkmale definiert, in kommunikativ-funktionaler Hinsicht also nicht festgelegt sind“ (ebd.). Die Multifunktionalität der Kommunikationsform Weblog liefert auch einen Erklärungsansatz für die enorme Bandbreite an Texthandlungen und Textsorten, die sich in Weblogs manifestiert – eine Beobachtung, die den Blogger Marc Scheloske beim 5. Forum Wissenschaftskommunikation 2012 in Dresden im Rahmen einer Diskussion um die Chancen von Weblogs für die Wissenschaft zu dem Tweet veranlasste: „Blogs sind ein Gemischtwarenladen. Inhaltlich, formal, stilistisch“ (Scheloske 2012b). Einen systematischen Einblick in die scheinbar unüberschaubare Vielfalt an Textelementen und -varianten in Wissenschaftsblogs (vgl. Fritz 2011) zu gewinnen, ist das Ziel der vorliegenden Studie.

Im Zentrum der Untersuchung stehen schriftsprachliche Erscheinungsformen in solchen Weblogs, die ausgeprägte Bezüge zum Funktionsbereich Wissenschaft aufweisen (im Folgenden: Wissenschaftsblogs). Wissenschaftsblogs werden von Wissenschaftlern3, Wissenschaftsjournalisten oder Wissenschaftsinteressierten geführt. Sie thematisieren Fragestellungen, Ergebnisse und Vorgehensweisen von Wissenschaft(en) in vielen Facetten: „von der Beschreibung und Erklärung eines wissenschaftlichen Phänomens über die Rezension einer neu veröffentlichten Studie, den Rückblick auf eine Tagung bis hin zu unterhaltsamer Populärwissenschaft“ (Heinicke 2016: 124). Diese Vielfalt an Textvorkommen lässt den Versuch ihrer Typologisierung bzw. Klassifizierung kaum handhabbar und wenig erfolgversprechend erscheinen. Die vorliegende Arbeit setzt sich aus diesem Grund nicht das Ziel, eine Typologie von Text(sort)en in Wissenschaftsblogs zu erstellen, sondern stellt die Frage in den Mittelpunkt, wie sich die vielfältigen Ausprägungen von Muster(haftigkeite)n in den Texten rekonstruieren lassen. Dabei wird die Annahme vorausgesetzt, dass es sich bei einem Muster um eine bewährte Art der Lösung eines kommunikativen Problems handelt, und dass es Muster nicht allein auf der Ebene textueller Ganzheiten gibt. Musterhaftigkeit findet sich nicht nur auf der Ebene von Textsorten, sondern ←12 | 13→auch ober- und unterhalb von Textsortenzugehörigkeit (vgl. Hausendorf u. a. 2017: 322; sowie Kapitel 3.2 dieser Arbeit), beispielsweise auf der Ebene der visuellen Erscheinungsform der Textvorkommen oder in der Art, wie der Zusammenhang der Texte global hergestellt wird. Es geht in dieser Arbeit also um die Rekonstruktion von Mustern auf verschiedenen Ebenen und um die Frage, wie diese Muster indiziert werden. Es soll nachgezeichnet werden, welche sprachlichen und nichtsprachlichen Erscheinungsformen in welcher Weise dazu beitragen, Musterhaftigkeit in Wissenschaftsblogs zur Geltung zu bringen. Es wird dabei auch der Frage nachgegangen, wie die Leser adressiert bzw. welche Gruppe(n) an Lesern antizipiert werden, d. h. ob suggeriert wird, es handle sich um fachinterne Kommunikation – Kommunikation von und für sogenannte Experten – oder um fachexterne Kommunikation – Kommunikation von Experten für sogenannte Laien.4

Die dieser Arbeit zugrunde liegenden Fragen werden mit den Methoden der Textlinguistik zu beantworten versucht. Damit geht es in der Studie auch darum, herauszustellen, wie sich bewährte printorientierte textlinguistische Analyseinstrumentarien für die Untersuchung elektronisch vermittelter, schriftsprachlicher Erscheinungsformen in der Kommunikationsform Wissenschaftsblog eignen. Die Arbeit knüpft damit an eine Diskussion an, die in der Textlinguistik selbst geführt wurde (vgl. dazu z. B. Fix u. a. 2002), und die die Frage in den Mittelpunkt stellt, ob die etablierten textlinguistischen Konzepte und Methoden tatsächlich genutzt werden können, um diese Art von Texten, die nicht mehr druckschriftlicher, sondern computerschriftlicher, elektronischer Natur sind, zu untersuchen oder ob diese Texte womöglich Eigenschaften aufweisen, die sich textlinguistisch nur unzureichend erfassen lassen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es sodann, aufzuzeigen, dass die Modelle und Methoden der Textlinguistik durchaus einen fruchtbaren Beitrag zur Analyse von Hypertext – einem Gegenstand, dessen Untersuchung genuin eher im Bereich der Medienlinguistik ←13 | 14→verortet ist – zu leisten vermögen. Denn sie haben sich – und dies soll die Analyse veranschaulichen – in den letzten Jahren in und mit der Auseinandersetzung mit Texten aus elektronischen Schreib- und Leseumgebungen weiterentwickelt und somit durchaus auf diese Art neuer Texte reagiert, indem beispielsweise der Aspekt der visuellen Erscheinungsform verstärkt Berücksichtigung findet (siehe dazu Kapitel 5.2.1). Die Arbeit soll zudem einen textlinguistisch motivierten Beitrag zur neuerdings insbesondere im Rahmen korpuslinguistischer Untersuchungen (vgl. dazu z. B. Brommer 2017; Bubenhofer 2013) vielfach aufgegriffenen Thematik der Musterhaftigkeit leisten und damit Hinweise darauf liefern, wie ein textlinguistisch informiertes Konzept von Musterhaftigkeit korpuslinguistisch untersucht werden könnte.

Im Zentrum der Studie stehen Texte als Ganzheiten und nicht etwa einzelne Textelemente und -passagen, während in der meinem Kenntnistand nach bisher einzigen Studie zur Beschreibung und Typologisierung der Textvorkommen in Wissenschaftsblogs von Fritz (2011) einzelne Textbausteine fokussiert wurden. Indem die Arbeit aufzeigt, wie und in welchen musterhaften textuellen Formen und Ausprägungen in Wissenschaftsblogs kommuniziert wird, soll sie einerseits einen Beitrag leisten zur Präzisierung des Verständnisses des Untersuchungsgegenstands, andererseits soll sie eine Aussage dazu ermöglichen, welche Zwecksetzungen mit der Kommunikation in dieser Kommunikationsform verbunden sind und damit auch – an die oben skizzierte Diskussion anschließend – nachvollziehbar machen, wie die Potenziale dieser Kommunikationsform im wissenschaftlichen Bereich bisher genutzt werden. Denn nicht zuletzt kann ein Zugang zur Analyse der Leistungsfähigkeit von Wissenschaftsblogs darin bestehen zu bestimmen, in welchen Arten von Texten sich die Nutzung dieses digitalen Formats manifestiert (vgl. Fritz 2011: 206).

Die empirische Grundlage der Untersuchung besteht aus einem Korpus an Texten aus dem deutschsprachigen Blogportal ScienceBlogs.de, welches im Jahr 2012 im Rahmen der Vorarbeiten für die vorliegende Studie erhoben wurde. Die Auswahl der Korpustexte basierte dabei nicht auf einer der Analyse vorangestellten Definition einer Textsorte Wissenschaftsblogtext. Für die Auswahl war es auch nicht grundlegend, ob die Daten eine Musterhaftigkeit von Texten in Wissenschaftsblogs repräsentieren. Hingegen war die Auswahl ausschließlich durch die vorwissenschaftlich beobachteten Gemeinsamkeiten der Texte motiviert. Die Beschreibung der Musterhaftigkeit der Texte stellt also das Ziel, nicht aber den Ausgangspunkt der Analyse dar (vgl. zu diesem Vorgehen auch Kesselheim 2011: 343). Der Schwerpunkt der Arbeit liegt entsprechend im empirischen Bereich und nicht in der Bildung einer Theorie zur Musterhaftigkeit computervermittelter Textvorkommen. Ich beschränke mich im Folgenden somit darauf, ←14 | 15→die für die Untersuchung der Musterhaftigkeit(en) in Wissenschaftsblogs relevanten theoretischen Grundlagen zu beleuchten.

Die Darstellung der theoretischen Hintergründe fokussiert sich dabei auf eine Skizzierung der linguistischen Grundlagen, auf denen die empirischen Analysen aufruhen. So werden in Kapitel 2 zuerst die für die Analyse grundlegenden Begriffe Computervermittelte Kommunikation (2.1.1), Kommunikationsform (2.1.2), Weblog (2.1.3) und Wissenschaftsblog (2.1.4) bestimmt und anschließend ein kurzer Überblick über den für diese Arbeit relevanten linguistischen Forschungsstand zu Wissenschaftsblogs (2.2) gegeben.

In Kapitel 3 gehe ich auf das dieser Arbeit zugrunde liegende, textlinguistisch fundierte Verständnis des Begriffs Muster(haftigkeit) (3.2) ein, beschreibe dann, welcher Zusammenhang von Musterhaftigkeit und Textsortenzugehörigkeit in dieser Arbeit zugrunde gelegt wird (3.3), und gebe darauf einen Überblick über die in der (text-)linguistischen Forschung diskutierten Fragen in Bezug auf den – in den letzten Jahren insbesondere mit dem Aufkommen der computervermittelten Kommunikationsformen in Zusammenhang gebrachten – Wandel von Muster(haftigkeiten) (3.4).

Kapitel 4 beschäftigt sich mit einer Auswahl linguistischer Ansätze zur Analyse fachinterner bzw. fachexterner Kommunikation.5 Die Skizzierung dieser Ansätze dient als Grundlage für die empirische Untersuchung der Frage, wie sich feststellen lässt, welche (Gruppen an) Leser(n) in und mit den Wissenschaftsblogtexten adressiert werden, bzw. wie suggeriert wird, dass es sich entweder um fachinterne oder fachexterne Kommunikation, um eine Mischung dieser Ausprägungen oder um eine gänzlich andere Art der Kommunikation handelt.

In Kapitel 5 wird das methodische Vorgehen bei der Analyse der Korpustexte erläutert. Dabei werden zuerst die textlinguistischen Grundlagen beschrieben (5.1): Das Vorgehen orientiert sich an dem von Hausendorf/Kesselheim (2008) entwickelten textlinguistischen Ansatz, in dem einige der analytischen Grundprinzipien von Ethnomethodologie und Konversationsanalyse auf den ←15 | 16→Gegenstand Text angewandt werden (vgl. dazu auch Kesselheim 2011: 341).6 Der konversationsanalytischen Analyseperspektive folgend lautet eine Grundannahme dieses Ansatzes, dass Texte im Moment bzw. Prozess der Lektüre hervorgebracht werden, indem Leser bestimmte Hinweise auswerten, die sie aus dem gewinnen, was in der Lektüresituation lesbar oder wahrnehmbar ist oder was wissensbasiert wiedererkannt werden kann (vgl. ebd.). Demzufolge ist das Ziel einer textlinguistischen Analyse, „Potenziale für bestimmte Lesarten, bestimmte Lesewege, bestimmte thematische Erwartungen usw. zu identifizieren, die von Alltagslesern bei ihrer Lektüre aktiviert werden können“ (ebd.: 342). Es geht also um die Frage, wie Texte bei der Lektüre hergestellt werden. Auf die hier interessierende Frage nach der Musterhaftigkeit der Wissenschaftsblogtexte übertragen bedeutet dies: Mittels der Analysen soll nachgezeichnet werden, wie Musterhaftigkeit in Wissenschaftsblogs im Prozess der Lektüre zustande kommt. Bei der Untersuchung dieser Frage wird – im Sinne der Konversationsanalyse – analytisch nur das berücksichtigt, was bei der Lektüre auch tatsächlich lesbar und sinnlich wahrnehmbar ist.

Die Beschreibung der textlinguistischen Grundlagen liefert den Hintergrund, vor dem die Analyseebenen beschrieben werden (5.2). Die Darstellung der Analyseebenen folgt also vor der eigentlichen empirischen Analyse, was aber nicht bedeutet, dass diese Ebenen bereits vor der Untersuchung der Daten festgelegt wurden. Die Entwicklung der Analyseebenen verlief hingegen quasi im Zuge der Analyse; es handelt sich bei den Analyseebenen um das Resultat der intensiven Auseinandersetzung mit den Daten. Die beiden Ebenen, auf denen sich im Verlauf der Analysen korpusübergreifend Muster(haftigkeiten) abzeichneten, sind die visuelle Gestaltung der Korpustexte (5.2.1) und Kombinationen aus einer Art einer „globalen Vertextungsstruktur“ (Hausendorf/Kesselheim 2008: 90) und einer Ausprägung von „pragmatischer Nützlichkeit“ (ebd.: 28) der Texte (5.2.2). Auf die Skizzierung der textlinguistischen Hintergründe zu den beiden Analyseebenen folgt die Beschreibung der Daten in Kapitel 6. In einem ersten Schritt werden die Grundlagen für die Auswahl und der Datenerhebungsprozess erläutert (6.1), worauf eine Beschreibung der Daten, d. h. des jeweiligen Inhalts und der Struktur der Korpustexte (6.2), folgt.

Die Ergebnisdarstellung der empirischen Analysen in Kapitel 7 orientiert sich an den Resultaten selbst. Die Gliederung des Kapitels entspricht damit den beiden Analyseebenen: Kapitel 7.1 widmet sich der Beschreibung der visuellen Erscheinungsform der Daten am Beispiel eines Blogs. Die Beschreibung der ←16 | 17→visuellen Form dieses Blogs ist zugleich eine Beschreibung der visuellen Musterhaftigkeit meiner Daten, da sich – wie die intensive Beschäftigung mit dem Material zeigte – die einzelnen Weblogs meines Korpus visuell weitestgehend gleichen. Die exemplarische Analyse des Blogs fokussiert auch auf die Frage, ob und wie die Untersuchung der Musterhaftigkeit auf der Ebene der wahrnehmbaren Erscheinungsform des Blogs eine Aussage über die Textsortenzugehörigkeit des in dem Blog enthaltenen Blogposts ermöglicht.

In Kapitel 7.2 bis 7.4 werden drei verschiedene Muster aus je einer Art einer Vertextungsstruktur und einer dominierenden Textfunktion analysiert und präsentiert, die sich innerhalb des Spektrums der untersuchten Korpustexte herauskristallisierten. Es handelt sich dabei

um ein Muster aus primär explanativer Vertextungsstruktur und dominierender Darstellungsfunktion (7.2), d. h. um Texte, in denen etwas erklärt wird zu dem Zweck, Wissen und Information bei den Lesern zu vermehren,

ein Muster aus primär narrativer Struktur und dominierender Darstellungsfunktion (7.3), d. h. um Texte, in denen Ereignisse rekonstruierend dargestellt werden, um die Leser über diese zu informieren,

und ein weiteres Muster aus argumentativer Struktur in Kombination mit einer dominierenden Steuerungsfunktion (7.4), d. h. um solche Texte, in denen ein Geltungsanspruch für eine bestimmte Einstellung im Sinne einer positiven oder negativen Bewertung begründet wird mit dem Ziel, die Leser von dieser Einstellung zu überzeugen.

Details

Seiten
282
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631811702
ISBN (ePUB)
9783631811719
ISBN (MOBI)
9783631811726
ISBN (Hardcover)
9783631790793
DOI
10.3726/b16531
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
Textlinguistik Muster Computervermittelte Kommunikation Weblog Fachsprache Textsorte Medienlinguistik Wissenschaftskommunikation
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 282 S., 8 s/w Abb., 2 Tab.

Biographische Angaben

Nora Heinicke (Autor:in)

Nora Heinicke studierte Germanistik und Psychologie in Göttingen und Lausanne. Nach ihrem Studium arbeitete sie in der Forschungsabteilung der Pädagogischen Hochschule Zürich und am Department of German der New York University. Heute absolviert sie das Studium zum Lehrdiplom für Maturitätsschulen in Zürich.

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