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Das internationale Nachlassinsolvenzverfahren

von Henning Grosser (Autor:in)
©2020 Dissertation 350 Seiten

Zusammenfassung

Nachlassinsolvenzverfahren mit Auslandsberührung werfen an der Schnittstelle zwischen internationalem Insolvenzrecht und internationalem Erbrecht eine Reihe dogmatischer Fragestellungen auf. Nach einer historischen und rechtsvergleichenden Untersuchung erfolgt eine Einordnung des Nachlassinsolvenzverfahrens im Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung sowie des autonomen internationalen Insolvenzrechts. Sodann geht der Autor der Frage nach, wie ein Nachlassinsolvenzverfahren auch bei Anwendbarkeit eines ausländischen Erbrechts als «hybrides» Nachlassinsolvenzverfahren durchgeführt werden kann. Der Band schließt mit einer Untersuchung der Problemstellungen im Fall einer Nachlassspaltung und fasst die wesentlichen Ergebnisse in Thesenform zusammen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Vorwort
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung und Gegenstand der Untersuchung
  • Erster Teil Grundlagen
  • A. Das Nachlassinsolvenzverfahren im deutschen Recht
  • I. Der Nachlass als vermögensrechtliche Fortsetzung des Erblassers
  • II. Das Nachlassinsolvenzverfahren als Insolvenzverfahren an der Schnittstelle zwischen Insolvenzrecht und Erbrecht
  • III. Systematischer Überblick
  • 1. Allgemeiner insolvenzrechtlicher Verfahrensgang
  • 2. Besondere Regelungen in den §§ 315 ff. InsO
  • B. Geschichtliche Entwicklung des Nachlassinsolvenzverfahrens in Deutschland
  • I. Einführung
  • II. Die Ursprünge: das römische Recht
  • 1. Das klassische römische Recht
  • 2. Das Justinianische Recht
  • III. Rezeption und Fortentwicklung: Vom Mittelalter bis zum Recht Preußens
  • 1. Das Mittelalter und die frühe Neuzeit
  • 2. Das preußische Recht
  • a) Landrechte
  • b) Die Konkursordnung von 1855
  • IV. Auf dem Weg zur Rechtsvereinheitlichung: Die Konkursordnung des Deutschen Reiches
  • 1. Der Weg zur Reichskonkursordnung
  • 2. Die Reichskonkursordnung von 1877
  • V. Systembruch und Neubeginn: Die Einführung des BGB
  • 1. Entwurf eines BGB Erster Lesung
  • 2. Entwurf eines BGB Zweiter Lesung
  • 3. Die Beratungen im Justizausschuss des Bundesrates
  • 4. Die Konkursnovelle von 1898
  • VI. Die folgenden 96 Jahre bis zur Insolvenzordnung: Neue Ansätze
  • 1. Das neue Konzept der Kommission für Insolvenzrecht
  • 2. Die Insolvenzordnung von 1994: (Fast) alles bleibt, wie es ist
  • VII. Zusammenfassung
  • C. Rechtsvergleichung: Die Abwicklung insolventer Nachlässe innerhalb der Europäischen Union
  • I. Einführung
  • II. Methode der Rechtsvergleichung
  • III. Der Ausgangspunkt: Deutschland
  • 1. Das Haftungssystem der unbeschränkten, aber beschränkbaren Erbenhaftung nach dem BGB
  • a) Universalsukzession und Vonselbsterwerb
  • b) Beschränkbare Erbenhaftung
  • c) Haftung mit dem Eigenvermögen bei pflichtwidriger Nachlassverwaltung
  • 2. Abwicklung des Nachlasses im Insolvenzverfahren
  • IV. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
  • 1. Inventarmodelle
  • a) Belgien
  • b) Bulgarien
  • c) Estland
  • d) Frankreich
  • e) Griechenland
  • f) Italien
  • g) Lettland
  • h) Litauen
  • i) Luxemburg
  • j) Malta
  • k) Niederlande
  • l) Österreich
  • m) Polen
  • n) Rumänien
  • o) Spanien (Gemeines Zivilrecht)
  • p) Tschechische Republik
  • 2. Von Gesetzes wegen beschränkte Haftung
  • a) Kroatien
  • b) Portugal
  • c) Slowakei
  • d) Slowenien
  • e) Spanien („Foralrechte“)
  • f) Ungarn
  • 3. Treuhandmodelle
  • a) Vereinigtes Königreich: England und Wales sowie Nordirland
  • b) Vereinigtes Königreich: Schottland
  • c) Irland
  • d) Zypern
  • e) Finnland
  • f) Schweden
  • 4. Ergebnis
  • a) Vier verschiedene Modelle der Haftungsbeschränkung
  • b) Verteilungsverfahren bei unzureichendem Nachlassvermögen
  • (1) Mitgliedstaaten, die ein Nachlassinsolvenzverfahren vorsehen
  • (2) Mitgliedstaaten mit Nachlassverteilung ohne Insolvenzverfahren
  • V. Bewertung und Schlussfolgerung
  • Zweiter Teil Nachlassinsolvenzverfahren mit Auslandsberührung
  • A. Das Nachlassinsolvenzverfahren mit Auslandsberührung zu Ländern innerhalb der Europäischen Union
  • I. Einführung
  • II. Die Anwendbarkeit der EuInsVO/EuInsVO 2017 auf das Nachlassinsolvenzverfahren
  • 1. Sachlich-persönlicher Anwendungsbereich
  • a) Wortlaut und Systematik der Verordnungen
  • (1) Gesamtverfahren / öffentliches Gesamtverfahren
  • (2) Insolvenz des Schuldners / Verfahren auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zur Insolvenz
  • (3) Vollständiger oder teilweiser Vermögensbeschlag gegen den Schuldner / Entzug der Verfügungsgewalt
  • (4) Bestellung eines Verwalters
  • (5) Zu Zwecken der Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation
  • (6) Ergebnis
  • b) Entgegenstehende Gründe aus dem nationalen Recht?
  • (1) Insolvenzverfahren als Nachlassliquidation
  • (2) Die enge Verbindung zum Erbrecht
  • (3) Versterben des Insolvenzschuldners während des Insolvenzverfahrens
  • 2. Räumlicher Anwendungsbereich
  • III. Internationale und örtliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte
  • 1. Keine Geltung des Gleichlaufgrundsatzes
  • 2. Die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens als Hauptinsolvenzverfahren nach der EuInsVO/EuInsVO 2017
  • a) Abgrenzung zum Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren
  • b) Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) im Nachlassinsolvenzverfahren
  • (1) Ungeeignetheit der Anknüpfung an den Erben oder andere Verwaltungspersonen
  • (2) Anknüpfung an den Erblasser als „Schuldner“?
  • (3) Der Nachlass als „Schuldner“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO/EuInsVO 2017
  • (4) Abwägung zwischen einer Anknüpfung an den Erblasser und an den Nachlass als „Schuldner“
  • (a) Dynamische Anknüpfung an den Nachlass
  • (b) COMI-Verlagerung ins Inland: Zuständigkeitsgewinne
  • (c) COMI-Verlagerung ins Ausland: mögliche Zuständigkeitsverluste
  • (d) Funktionsverlust des Nachlassinsolvenzverfahrens
  • (e) Ergebnis
  • 3. Das Nachlassinsolvenzverfahren als Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren
  • a) Niederlassung als gemeinsame Voraussetzung
  • (1) Der Begriff der Niederlassung
  • (2) Der Nachlass als „Schuldner“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO/EuInsVO 2017
  • (3) Beschränkung auf Unternehmernachlässe?
  • (4) Anordnung einer Nachlassverwaltung als Niederlassung?
  • b) Das Nachlassinsolvenzverfahren als Sekundärinsolvenzverfahren
  • (1) Vorrangiges Hauptinsolvenzverfahren
  • (2) Antragsbefugnis und -frist im Sekundär-Nachlassinsolvenzverfahren
  • c) Die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens als Partikularinsolvenzverfahren
  • (1) Sperrwirkung der EuInsVO/EuInsVO 2017 bei fehlender Niederlassung
  • (2) Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Erblassers in einem Mitgliedstaat
  • (3) Zusätzliche Eröffnungsvoraussetzungen
  • (4) Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ist noch möglich
  • (a) Antragsbefugnis
  • (b) Insolvenzgrund
  • (5) Das unabhängige Partikularinsolvenzverfahren
  • 4. Die örtliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte
  • a) Nachlassinsolvenzverfahren als Hauptinsolvenzverfahren
  • b) Nachlassinsolvenzverfahren als Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren
  • IV. Das anwendbare Recht
  • 1. „Interne Verweisung“ auf das deutsche Erbrecht?
  • 2. Das Insolvenzstatut
  • a) Verordnungsautonome Qualifikation
  • b) Reichweite des Insolvenzstatuts nach der EuInsVO/EuInsVO 2017
  • c) Als insolvenzrechtlich zu qualifizierende Vorschriften des Nachlassinsolvenzverfahrens
  • (1) Unmittelbar verfahrensbezogene Bestimmungen
  • (a) Insolvenzfähigkeit, § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO
  • (b) Zulässigkeit der Insolvenzeröffnung, § 316 InsO
  • (c) Antragsberechtigung, §§ 317, 318 InsO
  • (d) Eröffnungsgründe, § 320 InsO
  • (2) Antragsfrist, § 319 InsO
  • (3) Kein Absonderungsrecht aus Zwangsvollstreckung, § 321 InsO
  • (4) Anfechtbarkeit der Erfüllung von Pflichtteilen, Vermächtnissen und Auflagen nach § 322 InsO
  • (5) Aufwendungen des Erben, § 323 InsO
  • (6) Rang der Forderungen im Nachlassinsolvenzverfahren, §§ 324, 327 InsO
  • (7) Beschränkung auf Nachlassverbindlichkeiten, § 325 InsO
  • (8) Ansprüche des Erben, § 326 InsO
  • (9) Zurückgewährte Gegenstände, § 328 InsO
  • (10) Nacherbfolge, § 329 InsO
  • (11) Erbschaftskauf, § 330 InsO
  • (12) Insolvenzantragspflicht und Insolvenzverschleppungshaftung nach § 1980 Abs. 1 BGB
  • 3. Das Erbstatut
  • a) Reichweite des Erbstatuts und verordnungsautonome Qualifikation
  • b) Als erbrechtlich zu qualifizierende Vorschriften des Nachlassinsolvenzverfahrens
  • (1) Beschränkung der Erbenhaftung auf das Nachlassvermögen, § 1975 BGB
  • (2) Aufhebung von Konfusion und Konsolidation, § 1976 BGB
  • (3) Wirkung auf eine Aufrechnung, § 1977 BGB
  • (4) Haftung des Erben für die bisherige Verwaltung des Nachlasses, § 1978 BGB
  • (5) Berichtigung von Nachlassverbindlichkeiten, § 1979 BGB
  • V. Die Anerkennung des Nachlassinsolvenzverfahrens innerhalb der Europäischen Union
  • 1. Unbeachtlichkeit fehlender Insolvenzfähigkeit des Nachlasses im Anerkennungsstaat
  • 2. Anwendungsausschluss von Art. 26 EuInsVO (Art. 33 EuInsVO 2017) – ordre public
  • 3. Wirkungserstreckung nach Art. 17 ff. EuInsVO (Art. 20 ff. EuInsVO 2017)
  • a) Das Nachlassinsolvenzverfahren als Hauptinsolvenzverfahren
  • b) Das Nachlassinsolvenzverfahren als Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren
  • 4. Keine Pflicht zur Anerkennung erbrechtlicher Sachverhalte aufgrund der EuInsVO/EuInsVO 2017
  • 5. Konkurrenz zwischen der Insolvenzeröffnung und erbrechtlichen Abwicklungsverfahren
  • a) Vorrang der insolvenzrechtlichen Wirkungen als leges speciales
  • b) Kein Einfluss des Insolvenzrechts auf Fragen des erbrechtlichen Status
  • B. Das Nachlassinsolvenzverfahren mit Auslandsberührung zu Ländern außerhalb der Europäischen Union
  • I. Einführung
  • II. Internationale und örtliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte
  • 1. Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens als Hauptinsolvenzverfahren
  • 2. Das Nachlassinsolvenzverfahren als Sekundär- und Partikularinsolvenzverfahren nach den §§ 354, 356 InsO
  • a) Zulässigkeitsvoraussetzungen
  • (1) Niederlassung im Inland
  • (2) Vorhandensein von Vermögenswerten im Inland
  • (a) Das Erfordernis des „besonderen Interesses“
  • (b) Fehlende Insolvenzfähigkeit des Nachlasses im Ausland
  • (c) Die Abwicklung des Nachlasses durch den Erben
  • (d) Abweichende Befriedigungsreihenfolgen
  • b) Antragsberechtigung
  • c) Örtliche Zuständigkeit
  • d) Unabhängiges Partikular-Nachlassinsolvenzverfahren auch bei Anwendbarkeit fremden Erbrechts?
  • III. Anwendbares Recht
  • IV. Die Anerkennung des Nachlassinsolvenzverfahrens außerhalb der Europäischen Union
  • V. Die Anerkennung drittstaatlicher Nachlassabwicklungsverfahren in Deutschland
  • Dritter Teil Nachlassinsolvenzverfahren mit Auslandsberührung bei Auseinanderfallen von Insolvenzstatut und Erbstatut
  • A. Einführung in die Problematik
  • I. Der Charakter des Nachlassinsolvenzverfahrens
  • II. Die Verschiedenheit der Kollisionsnormen
  • III. Das „hybride“ Nachlassinsolvenzverfahren
  • B. Die Zulässigkeit des Auseinanderfallens von Insolvenz- und Erbstatut – Pluralität der Haftungssysteme
  • I. Kollisionsrechtliche Offenheit des insolvenzrechtlichen Sachrechts
  • 1. Unabhängigkeit von der erbrechtlichen Haftungsordnung
  • 2. Verfahrenszweck: Gemeinschaftliche Befriedigung der Nachlassgläubiger
  • 3. Historisches Argument
  • II. Vorrang der insolvenzrechtlichen Wirkungen gegenüber dem Erbstatut
  • C. Fremdes Erbrecht im Nachlassinsolvenzverfahren
  • I. Die Wirkungsweise des fremden Erbrechts im Nachlassinsolvenzverfahren
  • 1. Kollisionsrechtliche Berufung der erbrechtlichen Haftungsordnung
  • 2. Vorfragen innerhalb insolvenzrechtlicher Sachnormen
  • a) „Nachlass“: Aktiva und Passiva
  • b) Fragen des erbrechtlichen Status
  • 3. Möglichkeit der Substitution von Tatbestandsvoraussetzungen einer insolvenzrechtlichen Sachnorm
  • a) Keine „Geschlossenheit“ der Norm
  • b) „Funktionelle Gleichwertigkeit“ der Rechtsverhältnisse
  • II. Wertungswidersprüche zwischen insolvenzrechtlicher und erbrechtlicher Haftungsordnung
  • 1. Möglichkeiten einer Anpassung im „hybriden“ Nachlassinsolvenzverfahren
  • a) Kollisionsrechtliche Anpassung
  • b) Materiellrechtliche Anpassung auf Sachnormebene
  • 2. Die kennzeichnenden Normen des Nachlassinsolvenzverfahrens vor dem Hintergrund eines fremden Erbrechts
  • a) Rang der Gläubiger
  • b) Schlechterstellung von Pflichtteilsberechtigten und letztwillig Bedachten
  • c) Insolvenzantragspflicht und persönliche Haftung des Erben oder Nachlassverwalters bei verspäteter Insolvenzantragstellung
  • (1) Nachlassinsolvenzverfahren als Hauptinsolvenzverfahren
  • (2) Nachlassinsolvenzverfahren als Partikularinsolvenzverfahren
  • III. Ergebnis: Die Durchführung des „hybriden“ Nachlassinsolvenzverfahrens
  • D. Behandlung von Spaltnachlässen
  • I. Der gesetzliche Ausgangspunkt: insolvenzrechtliche Abwicklung „eines Nachlasses“ nach § 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO
  • II. Theorie der verfahrensrechtlichen Aufspaltung der Vermögensmassen – Eröffnung von Insolvenzverfahren über Teilnachlässe
  • 1. Vereinbarkeit mit der Systematik der EuInsVO/EuInsVO 2017
  • 2. Folgeprobleme der Zersplitterung des Gesamtnachlasses in einzelne Insolvenzverfahren
  • III. Theorie der materiellrechtlichen Aufspaltung der Vermögensmassen – Bildung von „Untermassen“
  • 1. Überwindbarkeit der Gegenargumente
  • 2. Systematische Vorteile der Bildung von „Untermassen“
  • Vierter Teil Zusammenfassung
  • Literaturverzeichnis
  • Materialienverzeichnis
  • Series index

Einleitung und Gegenstand der Untersuchung

Im Nachlass einer Person sammeln sich sowohl die Aktiva als auch die Passiva. Die Universalsukzession bewirkt dabei einen einheitlichen Übergang des gesamten Vermögens auf den Erben. Dieser wird unmittelbar Eigentümer aller Aktiva und Schuldner aller Passiva des Erblassers, auch wenn der Nachlass überschuldet ist. Möchte sich der Erbe von dieser Last befreien, erlaubt ihm das deutsche Recht dies neben einer rechtzeitigen Erbausschlagung nur über die Beantragung einer amtlichen Nachlassadministration. Deckt der Nachlass die vererbten Verbindlichkeiten, wird eine Nachlassverwaltung angeordnet, andernfalls kommt es zur Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens. Mit dessen Eröffnung verliert der Erbe die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den Nachlass, der nunmehr von einem Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren abgewickelt wird. Die Haftung des Erben für die Verbindlichkeiten des Nachlasses beschränkt sich dann auf den Nachlass.

Das Nachlassinsolvenzverfahren fristet in Deutschland ein Randdasein.1 In der Literatur wird dies damit erklärt, dass das Recht des Nachlassinsolvenzverfahrens für die Praxis „zu kompliziert“ sei, weshalb die (frühe) Erbausschlagung mit der Folge der vollständigen Beseitigung der Erbenstellung einer späteren Insolvenzbeantragung oftmals vorgezogen werde.2 Dennoch ist das Nachlassinsolvenzverfahren nach der Systematik des deutschen Erbrechts unverzichtbar und in der Folge auch immer wieder praktisch relevant.

Das Nachlassinsolvenzverfahren ist ein Insolvenzverfahren an der Schnittstelle von Insolvenzrecht und Erbrecht. Diese Schnittstelle erlangt besondere Bedeutung, wenn im Nachlassinsolvenzverfahren internationale Bezüge auftreten.

Soweit es die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens betrifft, stellt sich die Frage, ob die Vorschriften der Europäischen Insolvenzverordnung EuInsVO (ab dem 26.6.2017 der EuInsVO 2017) oder das autonome internationale Insolvenzrecht in den §§ 335 ff. InsO zur Anwendung kommen.3 In beiden Fällen ergeben sich eine Reihe von Folgefragen. So ist im Rahmen der EuInsVO/EuInsVO 2017 insbesondere zu klären, wer als „Schuldner“ des Verfahrens anzusehen ist und wie der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) im Nachlassinsolvenzverfahren bestimmt werden soll. Im autonomen internationalen Insolvenzrecht stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Eröffnung eines Sekundär- und Partikular-Nachlassinsolvenzverfahrens in Betracht kommt.

Die Insolvenzordnung geht aus historischen Gründen davon aus, dass im Nachlassinsolvenzverfahren das Erbrecht des BGB Anwendung findet. Das anwendbare Insolvenzrecht und das anwendbare Erbrecht können aber auch auseinanderfallen. Dies liegt darin begründet, dass die Anknüpfungsmomente für die Bestimmung des anwendbaren Insolvenzrechts und des Erbrechts verschieden sind. Ein Nachlassinsolvenzverfahren kann deshalb auch bei ausländischem Erbstatut durchzuführen sein, etwa weil der Erblasser mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland testamentarisch eine Rechtswahl zugunsten seines ausländischen Heimatrechts getroffen hat.

Solche Fälle sind in der Rechtsprechung bislang rar geblieben. Dennoch wirft ein solches „hybrides“ Nachlassinsolvenzverfahren eine Vielfalt von Rechtsfragen auf. Um zu klären, welche Vorschriften im Nachlassinsolvenzverfahren zur Anwendung kommen, muss eine Qualifikation der Normen erfolgen, um sie dem Insolvenzstatut oder dem Erbstatut zuzuordnen.

Auch führt die praktische Anwendung eines fremden Erbrechts im Nachlassinsolvenzverfahren zu Problemen. Das fremde Erbrecht ist mit dem heimischen Insolvenzrecht weder besonders verknüpft noch inhaltlich abgestimmt. Hierdurch treten Widersprüche und Auslegungsprobleme auf. Hinzu tritt, dass kaum ein Rechtsgebiet so sehr von traditionellen nationalen Vorstellungen geprägt ist, wie das Erbrecht.4 Um Widersprüche auszuräumen, muss gegebenenfalls eine Anpassung vorgenommen werden.

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung soll es sein, das Nachlassinsolvenzverfahren vor dem Hintergrund des insolvenzrechtlichen und des erbrechtlichen Kollisionsrechts zu betrachten. Hierbei wird sich zeigen, dass das Nachlassinsolvenzverfahren aufgrund seiner Eigenheiten eine Reihe besonderer Fragen aufwirft.

Zunächst soll im Ersten Teil der Arbeit ein Überblick über das Recht des Nachlassinsolvenzverfahrens erfolgen, der auch eine historische Betrachtung einschließt. Im nächsten Schritt wird untersucht, wie in den anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Frage der Abwicklung eines insolventen Nachlasses und die Beschränkung der Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten geregelt ist.

Im Anschluss soll das Nachlassinsolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO/EuInsVO 2017 sowie des autonomen internationalen Insolvenzrechts untersucht werden. Untersuchungsgegenstand ist jeweils die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung der Wirkungen des Nachlassinsolvenzverfahrens im Ausland.

Im Dritten Teil der Arbeit wird der Frage nachgegangen, wie ein in Deutschland eröffnetes Nachlassinsolvenzverfahren, das deutschem Insolvenzrecht als lex fori concursus unterliegt, mit einem fremden Erbrecht durchgeführt werden kann. Es wird zu klären sein, ob die Rechtsnatur des Nachlassinsolvenzverfahrens ein Auseinanderfallen von Insolvenzrecht und Erbrecht überhaupt zulässt oder ob das Nachlassinsolvenzverfahren undurchführbar wird. Hält man das Nachlassinsolvenzverfahren für durchführbar, muss den zahlreichen Folgefragen nachgegangen werden. Zu diesen gehört auch die Auflösung von Widersprüchen zwischen Insolvenzrecht und Erbrecht mittels Anpassung.

Ein Nachlassinsolvenzverfahren kann auch bei Nachlassspaltung, also der gleichzeitigen Berufung mehrerer Erbrechtsordnungen, durchgeführt werden. In diesem Fall ist es erforderlich, eine methodische Grundentscheidung zu treffen zwischen der Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens über jeden Spaltnachlass und der Eröffnung eines einheitlichen Nachlassinsolvenzverfahrens über den Gesamtnachlass.


1 Im Jahr 2015 entfielen auf 925.000 Sterbefälle 2.969 beantragte Nachlassinsolvenzverfahren (einschließlich Gesamtgut), was einer Quote von 0,32 % entspricht (Quelle: Destatis).

2 MünchKomm-InsO/Siegmann, Vorb. vor §§ 315 bis 331 InsO Rn. 16.

3 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABl. EG Nr. L 160 v. 30.6.2000, S. 1 (EuInsVO). Für Insolvenzverfahren, die ab dem 26.6.2017 eröffnet werden, gilt die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren, ABl. EU Nr. L 141 vom 5.6.2015, S. 19 (EuInsVO 2017).

4 „One of the most indigenous branches of the law“, De Waal, Comp Succession Law, S. 1073.

Erster Teil Grundlagen

A. Das Nachlassinsolvenzverfahren im deutschen Recht

I. Der Nachlass als vermögensrechtliche Fortsetzung des Erblassers

Das Vermögen eines Erblassers findet mit dessen Tod seine Fortsetzung im Nachlass.5 Das Prinzip der Universalsukzession bewirkt hierbei, dass Vermögen und Verbindlichkeiten gleichermaßen im Nachlass aufgehen, §§ 1922, 1967 BGB. Der Nachlass umfasst damit sämtliche Aktiva und Passiva des Erblassers, soweit sie vererblich sind.6 Mit dem Tod des Erblassers bildet der Nachlass eine besondere Vermögensmasse. Dieser Vermögensmasse kommt im deutschen Recht anders als in einigen anderen Rechtsordnungen keine eigenständige Rechtsfähigkeit zu.7 Vielmehr geht das gesamte Nachlassvermögen direkt auf den oder die Erben über, die mit dem Erbfall im Wege des Vonselbsterwerbs unmittelbar Eigentümer sämtlicher Aktiva und Schuldner sämtlicher Verbindlichkeiten werden.8 Der Erbe ist fortan alleiniger Rechtsträger des Nachlasses.9

Trotz dieses unmittelbaren Vermögensüberganges auf den Erben geht der Nachlass als solches in rechtlicher Hinsicht nicht unter, sondern bleibt unterscheidbar vorhanden. Das Nachlassvermögen ist zwar keine rechtsfähige, aber doch eine rechtlich besondere Vermögensmasse.10 Dies zeigt sich, sobald der Erbe darum bemüht ist, die mit dem Erbfall eingetretene Vermischung des Nachlassvermögens mit seinem Eigenvermögen wieder zu beseitigen und seine Haftung auf den Nachlass zu beschränken. § 1975 BGB sieht für diese Haftungsbeschränkung des Erben die Anordnung einer Nachlassverwaltung oder die Beantragung eines Nachlassinsolvenzverfahrens vor. Diese Möglichkeiten stehen dem Erben zeitlich unbeschränkt zur Verfügung.11 Sowohl die Vorschriften über die Anordnung einer Nachlassverwaltung als auch diejenigen über die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens ordnen in den §§ 1984 Abs. 1 Satz 1 BGB, 80 Abs. 1 InsO die unmittelbare Abtrennung des Nachlassvermögens vom Eigenvermögen des Erben an. Die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den Nachlass geht damit unmittelbar auf den Nachlassverwalter bzw. den Insolvenzverwalter über. Eine solche Abtrennung ist (zumal nach einigen Jahren) nur möglich, wenn der Nachlass als solches noch unterscheidbar vorhanden bleibt. Mag dies in tatsächlicher Hinsicht durchaus Schwierigkeiten bereiten, etwa aufgrund verloren gegangener Unterlagen, so ist die Unterscheidung in rechtlicher Hinsicht dagegen auch nach Jahren noch möglich und sogar zwingend erforderlich. Durch die Vermischung mit dem Eigenvermögen des Erben verliert der Nachlass seine Eigenschaft als rechtlich definierte Vermögensmasse nicht. So kann etwa der noch nicht vom Eigenvermögen des Erben abgesonderte Nachlass (drohend) zahlungsunfähig oder überschuldet sein.12 Nur wenn dies der Fall ist, liegt überhaupt ein Insolvenzgrund vor, der die Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens rechtfertigt. Erst mit der Anordnung einer Nachlassverwaltung oder der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens wird der Nachlass als solches aber rechtlich selbständig.13 Dennoch bleibt der Erbe auch nach der Anordnung einer Nachlassverwaltung oder der Eröffnung des Nachlassinsolvenzverfahrens Rechtsträger des Nachlasses, denn dem Nachlass fehlt die eigene Rechtspersönlichkeit.14

Der Nachlass stellt demzufolge ein Sondervermögen dar, das rechtlich unterscheidbar und damit auch definierbar ist, jedoch eines Rechtsträgers bedarf, in dessen Gesamtvermögen es sich eingliedert.15 Durch den Mangel an Rechtspersönlichkeit und Rechtsfähigkeit steht der Nachlass als Sondervermögen dabei durchaus einem reinen „Rechenposten“ nahe, vor allem wenn es nur einen Erben gibt.16 Dies ändert sich, sobald die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den Nachlass auf den Nachlassverwalter oder den Nachlassinsolvenzverwalter übergeht. Mit der Anordnung der vermögensrechtlichen Abtrennung des Nachlasses vom Eigenvermögen des Erben wird der Nachlass zu einer verfahrensrechtlich weitgehend selbständigen Masse, denn die Befugnis zur Verwaltung und Verfügung über das Nachlassvermögen liegt nunmehr ausschließlich bei einer Amtsperson.17

Hierdurch nähert sich der Nachlass aus insolvenzrechtlicher Sicht an den Rechtszustand bei einer juristischen Person an. Wie eine juristische Person ist auch der Nachlass insolvenzrechtlich eine beschränkte Vermögensmasse, da es keinen Neuerwerb aus eigener menschlicher Arbeitskraft des Nachlasses geben kann.18 Der Erbe ist lediglich Rechtsträger des Nachlasses und wird in seinem Eigenvermögen und in seiner Arbeitskraft durch die Insolvenzeröffnung nicht erfasst.19

II. Das Nachlassinsolvenzverfahren als Insolvenzverfahren an der Schnittstelle zwischen Insolvenzrecht und Erbrecht

Für beschränkte Vermögensmassen besteht im deutschen Recht allgemein eine Rechtspflicht zur Abwicklung in einem Insolvenzverfahren, wenn die Aktiva die Passiva nicht mehr decken (Überschuldung) oder eine Erfüllung der Verbindlichkeiten bei Fälligkeit nicht mehr möglich ist (Zahlungsunfähigkeit).20 Als beschränkte Vermögensmasse gilt dies auch für den Nachlass.21 Zum Schutz der Nachlassgläubiger, denen im Fall der Haftungsbeschränkung des Erben ausschließlich der Nachlass haftet, besteht nach § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB die Pflicht zur rechtzeitigen Beantragung eines Nachlassinsolvenzverfahrens, um bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes deren frühestmögliche gemeinschaftliche Befriedigung herbeizuführen. Verstößt der Verpflichtete schuldhaft hiergegen, haftet er persönlich mit seinem Eigenvermögen. Die Insolvenzantragspflicht nach § 1980 Abs. 1 Satz 1 BGB trifft den oder die Erben oder gegebenenfalls einen Nachlassverwalter.22

Details

Seiten
350
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631813805
ISBN (ePUB)
9783631814734
ISBN (MOBI)
9783631814741
ISBN (Hardcover)
9783631800492
DOI
10.3726/b16647
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (März)
Schlagworte
EuInsVO Europäische Insolvenzverordnung internationale Zuständigkeit anwendbares Recht Fremdes Erbstatut Vorfrage Substitution Nachlassspaltung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 350 S.

Biographische Angaben

Henning Grosser (Autor:in)

Henning Grosser studierte Rechtswissenschaften in Hamburg und Lyon. Sein Referendariat absolvierte er in Hamburg. Er promovierte an der Bucerius Law School in Hamburg.

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Titel: Das internationale Nachlassinsolvenzverfahren
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