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Die Beschränkung der Haftung des abhängig beschäftigten GmbH-Geschäftsführers im Rahmen von § 43 GmbHG

von Arlette I. Sterl (Autor:in)
©2020 Dissertation 422 Seiten

Zusammenfassung

Diese Publikation erörtert die Haftung des GmbH-Geschäftsführers samt den Möglichkeiten seiner Haftungsbeschränkung im Innenverhältnis zur Gesellschaft. Beweggrund für das Thema ist die in Rechtsprechung und Literatur erkennbaren Tendenzen zur Ausweitung der Tatbestandsmerkmale des Haftungstatbestandes nach § 43 GmbHG, die zur Erhöhung des Haftungsrisikos des Geschäftsführers führen. Nicht selten wird der Geschäftsführer in seiner wirtschaftlichen Existenz aufgrund der Haftung bedroht, insolvent und zum Nachteil seines weiteren beruflichen Fortkommens stigmatisiert. Der Hauptuntersuchungsgegenstand der Publikation beschäftigt sich mit den Zielen der Haftung und den Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten für den Fall eines Haftungsereignisses und zeigt wirksame Modelle der Haftungsbeschränkung nebst Formulierungsvorschlägen für die Praxis zur Umsetzung auf.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Einleitung
  • I. Problemstellung
  • II. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes
  • 1. Innenrecht
  • 2. Formale Geschäftsführerstellung und Anstellungsvertrag
  • 3. Status und fakultative Organe der GmbH
  • 4. Rechtlicher Geltungsbereich
  • III. Ziel und Gang der Untersuchung
  • Teil 1. Haftungssystem der GmbH
  • I. Die GmbH
  • 1. Einleitende rechtshistorische Ausführungen zur Entstehung und Entwicklung des GmbH-Rechts
  • a. Geschäftsführerhaftung
  • b. Stammkapital
  • c. Gesetzesänderungen
  • 2. Wesen der GmbH und der Versuch einer Definition
  • 3. Die Strukturmerkmale der GmbH
  • II. Rechtsgrundlagen des Innenrechts der GmbH
  • III. Die Organe der GmbH
  • 1. Die Gesellschafter
  • 2. Der Geschäftsführer
  • a. Einordnung von Anstellungsverhältnis und Bestellungsverhältnis des Geschäftsführers
  • aa) Die Trennungstheorie und ihre Vorteile
  • bb) Die Einheitstheorie und ihre Vorteile
  • cc) Vorrangtheorie
  • dd) Stellungnahme
  • (1) Zur strikten Trennung beider Rechtsverhältnisse
  • (2) Auslegung des § 38 Abs. 1 GmbHG anhand des Art. 227 Abs. 3 ADHGB und des § 84 AktG
  • (3) Vielfalt von Vergütungsregelungen
  • (4) Keine Vergütungspflicht
  • (5) Keine Notwendigkeit eines Anstellungsvertrages
  • (6) Zwischenergebnis
  • b. Arbeitnehmerstellung des Geschäftsführers
  • aa) Der Anstellungsvertrag
  • bb) Gesetzliche Regelungen – Anwendbarkeit von Arbeitnehmerregelungen auf den Geschäftsführer, insbesondere unter Beachtung der Rechtsprechung
  • (1) Arbeitnehmerbegriff
  • (2) Sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis
  • (3) Unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff und zivilrechtliche Rechtsprechung
  • (4) Arbeitsgerichtliche Rechtsprechung
  • (5) Gesellschaftsrechtliche Betrachtung
  • (6) Zwischenergebnis
  • cc) Die Einordnung des Geschäftsführers in der Literatur
  • (1) Einordnung des Geschäftsführers auf Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberseite
  • (2) Kein Gleichlauf von Arbeitnehmereigenschaft und Verbrauchereigenschaft
  • dd) Gesetzgeberisches Ansinnen
  • ee) Zwischenergebnisse
  • ff) Geltung des Arbeitsrechts in Sonderfällen und Ausnahmen, die zur Arbeitnehmerstellung führen
  • (1) Fälle der Drittanstellung
  • (2) Typisierung nach der Teilhabe am Unternehmensgewinn infolge eigener Gesellschaftsanteile
  • (3) Zwischenergebnis
  • gg) Referentenentwürfe des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu § 611a BGB
  • c. Zwischenergebnis
  • IV. Die Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft
  • 1. Grundlagen
  • 2. Funktion und Schutzzweck der Haftung
  • a. Der Schadensbegriff im Gesellschaftsrecht
  • b. Regelungszweck des allgemeinen Schadensersatzrechts nach §§ 249 ff. BGB
  • aa) Kompensations- und Ausgleichsfunktion289
  • bb) Vergeltungs- und Bußfunktion
  • cc) Genugtuungsfunktion
  • dd) Präventionsfunktion
  • (1) Begriff der Prävention
  • (2) Ökonomische Analyse des Rechts
  • (3) Folgerungen aus der Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht
  • (4) Wahrung der Verhältnismäßigkeit
  • (5) Drohende Doppelsanktionierung
  • (6) Differenzierungsbedarf bei Personenverschiedenheit von Schadensersatzpflichtigem und Zahlendem
  • (7) Historische Betrachtung356
  • (8) Verhaltenssteuernder Sekundärzweck der Ausgleichspflicht
  • (9) Zusammenfassung
  • c. Regelungszwecke des Organhaftungsrechts
  • aa) Sanktionscharakter
  • bb) Ausgleichsfunktion
  • cc) Präventionsfunktion und Verhaltenssteuerung
  • (1) Begriffsdefinition der Prävention im Organhaftungsrecht
  • (2) Prävention im allgemeinen Haftungsrecht
  • (3) Wille des Gesetzgebers zur Verhaltenssteuerung und zum Strafen im GmbH-Recht
  • (4) Sonderfall gesamtschuldnerische Haftung
  • (5) Negativwirkungen einer überzogenen Haftung
  • (6) Freistellungsvereinbarungen
  • (7) Anspruchsrealisierung und D&O-Versicherung
  • (8) Die Business Judgement Rule
  • (9) Die selbstregulierende Haftungsabschreckung
  • (10) Zwischenergebnis
  • dd) Personenbezogene Schutzfunktionen
  • (1) Öffentliches Interesse
  • (2) Gesellschaftsschutz
  • (3) Gesellschafterschutz
  • (4) Gläubigerschutz
  • (g) Zwischenergebnisse
  • (5) Geschäftsführerschutz
  • (6) Die zwingenden Gläubiger- und Kapitalschutzvorschriften
  • d. Zusammenfassung
  • Teil 2. Rechtsgrundlagen mit Geltung für den Geschäftsführer
  • I. Gesetzliche Grundlagen aus dem GmbHG
  • II. Der Gesellschaftsvertrag
  • 1. Privatautonomie
  • 2. Rechtsnatur des Gesellschaftsvertrages
  • a. Die echten Satzungsbestandteile, sogenanntes Statut
  • b. Die unechten Satzungsbestandteile, sogenannte schuldrechtliche Nebenabreden
  • 3. Grenzen der Satzungsautonomie
  • a. Grenzen aus dem GmbHG
  • b. Konzessionspflicht
  • c. Publizitätspflicht
  • d. Ungeschriebene Prinzipien im GmbH-Recht
  • e. Sonstige relevante Vorschriften
  • aa) Anwendbarkeit der AGB-Regelungen
  • bb) Satzungskontrolle
  • f. Zusammenfassung
  • 4. Wirkung der Satzungsbestandteile für den Geschäftsführer
  • a. Haftungsbeschränkungen im Rahmen der unechten Satzungsbestimmungen
  • aa) Gründungssatzung
  • bb) Satzungsänderung
  • cc) Einordnung der schuldrechtlichen Haftungsbeschränkung zugunsten Dritter
  • dd) Schutz des Geschäftsführers vor Satzungsänderungen
  • b. Haftungsbeschränkungen im Rahmen der echten Satzungsbestimmungen
  • aa) Möglichkeit einer Haftungsbegrenzungsregelung
  • bb) Statutarischer Zustimmungsvorbehalt zugunsten des Geschäftsführers
  • (1) Satzungskompetenz und Zustimmungsrechte Dritter
  • (2) Zusammenfassung
  • (3) Die Auswirkungen eines Zustimmungsvorbehalts
  • cc) Durchsetzung des Haftungsanspruchs
  • dd) Möglichkeiten des Geschäftsführers bei Satzungsänderungs-oder Inanspruchnahmebeschluss der Gesellschafter entgegen der Satzungsregelung
  • c. Zwischenergebnis und Formulierungsvorschlag
  • d. Nachteile einer Regelung in dem Gesellschaftsvertrag
  • e. Zusammenfassung
  • III. Geschäftsordnung
  • IV. Beschluss
  • 1. Haftungsbeschränkung infolge Weisungen der Gesellschafter
  • 2. Haftungsbeschränkung aufgrund sonstiger Beschlüsse
  • V. Individualvertragliche Vereinbarungen
  • VI. Mündliche Zusagen der Gesellschafter
  • VII. Sonstige Vereinbarungen der Gesellschafter untereinander, insbesondere Verträge zugunsten Dritter
  • VIII. Observanz
  • IX. Innergesellschaftliche Übung
  • X. Verhältnis der Rechtsgrundlagen zueinander
  • 1. Vorrangige Regelung
  • 2. Satzungswidrige Anstellungsverträge
  • a. Satzungsdurchbrechung
  • b. Vorrang der älteren Regelung
  • aa) Divergenz infolge anstellungsvertraglicher Regelung nach Satzungsregelung
  • bb) Diskrepanz infolge Satzungsänderung nach anstellungsvertraglicher Regelung
  • (1) Echte Satzungsregelung
  • (2) Unechte Satzungsregelung
  • c. Schlussfolgerung
  • Teil 3. Die Haftungsnormen im Innenverhältnis und ihre Beschränkungsmöglichkeiten
  • I. Die Haftung aus dem Anstellungsvertrag
  • II. Die Haftung nach dem BGB
  • III. Haftung nach dem GmbHG
  • 1. Haftungsausschluss und Haftungsbeschränkungen bei § 43 Abs. 2 GmbHG
  • 2. Möglichkeiten einer nachträglichen Haftungsbeschränkung im Rahmen von § 43 GmbHG
  • a. Verzicht, Vergleich, Generalbereinigung
  • aa) Verzicht und Vergleich
  • (1) Rechtsnatur und Gestaltungsmöglichkeiten
  • (2) Zulässigkeitsbeschränkungen für einen Verzicht entsprechend § 93 Abs. 4 S. 3 AktG
  • (3) Umfang und Grenzen von Verzicht und Vergleich
  • bb) Generalbereinigung
  • (1) Bedeutung und Wirkung der Generalbereinigung
  • (2) Rechtsnatur der Generalbereinigung
  • (3) Voraussetzungen, Mängel und deren Folgen
  • (4) Umfang und Grenzen der Generalbereinigung
  • cc) Anspruch des Geschäftsführers
  • dd) Zwischenergebnisse
  • b. Entlastung gemäß § 46 Nr. 5 Var. 3 GmbHG
  • aa) Bedeutung, Umfang und Wirkung der Entlastung
  • bb) Rechtsnatur der Entlastung
  • cc) Voraussetzungen, Mängel und deren Folgen
  • dd) Sachlicher Umfang und Grenzen der Entlastung
  • (1) Art der Ansprüche
  • (2) Grenzen
  • ee) Anspruch des Geschäftsführers auf Entlastung
  • (1) Anspruch auf Erteilung einer (vollumfänglichen) Entlastung
  • (2) Ergebnis
  • ff) Definition der Entlastung
  • gg) Gerichtliche Überprüfbarkeit der Entlastungskomponenten
  • hh) Zusammenfassung und Lösungsvorschlag
  • c. Verwirkung des Schadensersatzanspruchs
  • d. Haftungsbeschränkungen im Rahmen der Schadensminderung
  • aa) Rechtmäßiges Alternativverhalten
  • bb) Vorteilsausgleichung
  • 3. Beschränkung der Haftung ex ante
  • a. Grundsätzliche (Un-) Zulässigkeit
  • b. Tatbestandsebene
  • aa) Zusammenhang von Pflichten- und Sorgfaltsmaßstab
  • bb) Pflichtenmaßstab
  • cc) Sorgfaltsmaßstab
  • (1) Verschulden
  • (2) Herabsetzung des Verschuldensmaßstabes
  • (3) Mitwirkendes Verschulden der Gesellschaft
  • (4) Grenzen der Herabsetzung des Sorgfaltsmaßstabes
  • (5) Zulässigkeit der Herabsetzung allein durch gesellschaftsvertragliche Regelung
  • c. Rechtswidrigkeit der Pflichtverletzung
  • d. Zurechenbarer Schaden
  • aa) Abmilderung des Schadensbegriffes
  • bb) Regelung bei rechtmäßigem Alternativverhalten
  • cc) Vorteilsausgleichung als Schadensminderung
  • dd) Höchsthaftungsbetragsbegrenzung
  • (1) Beschränkung der Privatautonomie
  • (2) Grundsatz der Einheitlichkeit der Rechtsordnung
  • (3) Erwägungen zur Spürbarkeit und Billigkeit
  • (4) Formulierungsvorschlag
  • ee) Zwischenergebnis
  • e. Beweislastverteilung
  • aa) Bezüglich Pflichtwidrigkeit und Verschulden
  • bb) Beweislast bei rechtmäßigem Alternativverhalten
  • cc) Beweislast und ehrenamtliche Tätigkeit
  • dd) Formulierungsvorschlag1445
  • f. Verjährung, § 43 Abs. 4 GmbHG
  • aa) Haftungsbereich aus der Organstellung
  • (1) Verjährungsverkürzung
  • (2) Ausschluss- beziehungsweise Verfallsklausel
  • (3) Grenzen
  • bb) Haftung nach dem Anstellungsverhältnis
  • cc) Verortung einer Regelung
  • g. Haftungsfreistellung
  • 4. Beschränkung der Haftung im Entstehungskontext
  • Teil 4. Zusammenfassung
  • I. Thesen und Empfehlungen für die Praxis
  • II. Empfehlung zur Verortung einer haftungsbeschränkenden Regelung
  • III. Ausblick
  • IV. Gesetzesvorschlag
  • Literaturverzeichnis

Die Beschränkung der Haftung des abhängig beschäftigten GmbH-Geschäftsführers im Rahmen von § 43 GmbHG

Einleitung

I. Problemstellung

Die GmbH hat sich mit ihren rechtlichen Rahmenbedingungen des GmbH-Rechts in der Praxis durchgesetzt und zählt nach wie vor zu den am häufigsten verwendeten Rechtsformen in Deutschland.1 Bereits seit den ersten Regierungsentwürfen zum beabsichtigten Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG)2 sind die Haftung des GmbH-Geschäftsführers und die Möglichkeiten seiner Haftungsbeschränkung Gegenstand gegensätzlicher Diskussionen.3 Hintergrund ist das Fehlen eines einheitlichen Haftungssystems, einer sogenannten Managerhaftung im deutschen Recht. Durch die Rechtsprechung wird die Haftung des Geschäftsführers, die sich in die Innenhaftung4 und die Außenhaftung5 ←25 | 26→unterteilt6, seit einigen Jahren aufgrund einer Zunahme an Inanspruchnahmen der Geschäftsführer stetig erweitert, überwiegend verschärft, konkretisiert und modifiziert. Das Ausmaß der Haftung kann für den Geschäftsführer existenzbedrohend sein. Zugleich steigt das Risiko der strafrechtlichen Verfolgung.7 Der Gesetzgeber bessert zudem die Gesetzeslage mit Folgen für den Geschäftsführer stetig nach.8 Die Organhaftung war bei dem 70. Deutschen Juristentag im Jahr 2014 ebenfalls Gegenstand der Diskussionen. Dabei wurde der Schwerpunkt auf die Haftung des Vorstandes der Aktiengesellschaft (AG) gelegt und der Haftung des Geschäftsführers der GmbH lediglich ein minderer Stellenwert eingeräumt.

←26 | 27→

Die fortlaufende Ausweitung der Haftung des Geschäftsführers wird unter anderem mit der sogenannten Steuerungswirkung und eines Präventionsziels des Organhaftungsrechts begründet.9 Demnach soll der Geschäftsführer zur ordnungsgemäßen Leitung gezwungen sein, um einer (existenzbedrohenden) Haftung zu entgehen und den Interessen der Gesellschaft sowie denen der Gläubiger nachzukommen.10 Im Schrifttum findet sich die gegensätzliche Ansicht, die sich gegen die Ausweitung der Haftung zulasten des Geschäftsführers erklärt und auf eine unangebrachte Überspannung der Geschäftsführerpflichten hinweist, die sich allmählich zu einer unerwünschten Garantiehaftung entwickeln würde.11 Misslich für den der Haftung ausgesetzten Geschäftsführer ist darüber hinaus die zunehmend einschränkende Handhabung der Risikoausschlüsse der nicht einheitlichen Versicherungsbedingungen der D&O-Versicherer in Deutschland, wonach das Haftungsrisiko des Geschäftsführers nicht vollumfänglich ausgeschlossen wird.12 Die D&O-Versicherungen bieten dem Geschäftsführer keine gänzliche Haftungsbefreiung. Deckungsbeschränkungen für Haftungshöchstbeträge, Selbstbehalte und diverse Ausschlusstatbestände sind in der neuerlichen praktischen Handhabung regulär.13 Eine Regelung über einen obligatorischen Selbstbehalt entsprechend § 93 Abs. 2 S. 3 AktG beinhaltet das GmbHG nicht. Eine vergleichbare Deckelung kann durch eine Regelung in den Versicherungsbedingungen jedoch enthalten sein.14 Da der Geschäftsführer aufgrund des Vertragsabschlusses über eine Firmen-D&O-Versicherung zwischen der Gesellschaft, oftmals vertreten durch die Gesellschafter, und dem Versicherer lediglich Dritter im Sinne des § 328 Abs. 1 BGB ist,15 müssen ihm die Versicherungsbedingungen, insbesondere zu Haftungshöchstbegrenzungen, nicht zwingend vollumfänglich bekannt sein. Allein durch die Übernahme der Prämienzahlungen durch die Gesellschaft wird der Geschäftsführer darüber hinaus von seiner Haftung nicht umfassend befreit. Der Vertragsabschluss kann zudem nicht mit ←27 | 28→einem Verzicht der Gesellschaft auf gegebenenfalls entstehende Haftungsansprüche gleichgesetzt werden. Vielmehr haftet die Versicherung ausschließlich neben dem Geschäftsführer und ist somit im Haftungsfall ein weiterer Haftungsschuldner der Gesellschaft neben dem Geschäftsführer.16 Daraus ergeben sich für den Geschäftsführer unberechenbare Problemstellungen, insbesondere falls nicht er, sondern die Gesellschafter den Versicherungsvertrag stellvertretend für die Gesellschaft ausgehandelt und gezeichnet haben. Womöglich hat(te) der Geschäftsführer keine Einwirkungsmöglichkeiten auf den Versicherungsvertrag, auf Absprachen mit der Versicherung, auf den Bestand des Versicherungsvertrages17, auf den Haftungsumfang sowie die Auswirkungen im Haftungsfall. Ein mangelnder Versicherungsschutz kann für den Geschäftsführer unbemerkt bleiben, wonach er einer Inanspruchnahme infolge eines Haftungsfalles vollends ausgesetzt ist.

Die stetige Konkretisierung der Haftungstatbestände, einhergehend mit der Verschärfung der Haftung des Geschäftsführers, macht eine gegebenenfalls zukünftig entstehende weitere Verschärfung der Rechtslage unberechenbar. Die benannten Umstände können bei einem Geschäftsführer zu starker Verunsicherung führen, dem das Bedürfnis, die eigene Haftung weitestgehend zu vermeiden oder einzuschränken, erwächst. Es ist daher nachvollziehbar, dass sach- und fachkundige potentielle Manager Möglichkeiten der Haftungsbeschränkungen erfragen, von einer Übernahme der Organfunktion als Geschäftsführer zurückweichen18 oder zum Zwecke der Verlagerung der Organhaftung juristische Personen als Verwaltungsgesellschaften gegründet werden19. Die Frage nach den Gestaltungsmöglichkeiten einer zulässigen Haftungsbeschränkung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft ist bislang nicht rechtsklar gesetzlich geregelt. Sie drängt sich vor allem im Rahmen der zentralen Haftungsnorm des § 43 Abs. 2 GmbHG auf und soll daher Gegenstand der folgenden Untersuchung sein.

←28 | 29→

II. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes

Der Untersuchungsgegenstand wird wie folgt eingegrenzt:

1. Innenrecht

Die Untersuchung beschränkt sich allein auf die Innenhaftung des Geschäftsführers nach der zentralen Haftungsnorm des § 43 Abs. 2 GmbHG gegenüber der Gesellschaft. Die Haftung und die Möglichkeiten der Haftungsbeschränkung im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigern der GmbH im zivilrechtlichen, strafrechtlichen oder steuerrechtlichen Bereich können ebensowenig wie die Haftung nach Delikt gemäß §§ 823 ff. BGB entsprechend ihres bedeutsamen Stellenwertes behandelt werden.

2. Formale Geschäftsführerstellung und Anstellungsvertrag

Ausgangspunkt der Untersuchung wird die (formale) Geschäftsführerstellung eines abhängig beschäftigten Geschäftsführers sein. Dabei wird nicht berücksichtigt, ob es sich bei dem Geschäftsführer zugleich um einen (Mehrheits-) Gesellschafter, womöglich sogar den Alleingesellschafter, einen Gläubiger (etwa wegen ausstehender Gehaltszahlungen und Boni) oder Schuldner der Gesellschaft handelt. Die Gesellschaft definiert sich in diesem Zusammenhang als die mitbestimmungsfreie, privatrechtliche Gesellschaft. Bei der Untersuchung wird stets davon ausgegangen, dass der Geschäftsführer den privatrechtlichen Anstellungsvertrag mit der Gesellschaft und nicht mit einem Dritten, etwa einem Mehrheitsgesellschafter, einer Muttergesellschaft bei einem GmbH-Konzern oder einem sonstigen Dritten, abgeschlossen hat, sofern nicht explizit darauf eingegangen wird. Unter einem abhängig beschäftigten Geschäftsführer ist im Rahmen der Untersuchung ein Fremdgeschäftsführer oder ein Minderheitsgesellschaftergeschäftsführer zu verstehen, dem keine Sonderrechte oder keine Sonderrechte, die einer Beteiligungsquote von mehr als 49 % entsprechen, zustehen. Besonderheiten bei einem bestellten Geschäftsführer im Anschluss eines (gegebenenfalls noch bestehenden oder ruhenden) Arbeitsverhältnisses werden ebenfalls nicht betrachtet.

3. Status und fakultative Organe der GmbH

Geltende Sonderregelungen bei einer GmbH mit Aufsichtsrat finden in dieser Arbeit ebenfalls keine umfassende Beachtung. Außerdem wird die Haftung gegenüber den Gesellschaftern oder den fakultativen Organen im Innenverhältnis nicht betrachtet. Darüber hinaus werden die Haftungsmöglichkeiten im Vorgründungs-, Gründungs-, und Liquidationsstadium nicht beleuchtet. So ist ←29 | 30→lediglich darauf hinzuweisen, dass Haftungsbeschränkungen und Haftungsausschlüsse jeglicher Art gegebenenfalls auch erfolgreich angefochten werden können. Im Rahmen der §§ 129 ff. InsO kann dies durch den Insolvenzverwalter geschehen. Als Folge fallen Zinsen an. Der Geschäftsführer schuldet diese Zinsen neben dem Haftungsanspruch zugunsten der Insolvenzmasse. Insbesondere bei längeren Anfechtungsprozessen kann dadurch ein beachtlicher, zusätzlicher Betrag aus der Zinslast anfallen.20

4. Rechtlicher Geltungsbereich

Die Arbeit beschränkt sich auf die Untersuchung der Beschränkungsmöglichkeiten der Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft im geltenden deutschen Recht.

III. Ziel und Gang der Untersuchung

Die vorliegende Arbeit zeigt die Beschränkungsmöglichkeiten der Haftung eines Geschäftsführers im Innenverhältnis21 gegenüber der bereits gegründeten und eingetragenen GmbH auf und überprüft deren Wirksamkeit. Dabei wird dem Gläubigerschutz ein großer Stellenwert eingeräumt, der jedoch nicht allein zulasten des Geschäftsführers gehen soll, ihm allerdings keinen Raum zum Missbrauch verschaffen darf. So wird der Frage nach rechtlich möglichen Beschränkungsmöglichkeiten der Haftung mit allen Vorüberlegungen nachgegangen. Im Rahmen der relevanten Vorüberlegungen wird der Grund für eine Haftung des Geschäftsführers und den für ihn geltenden Regelungswerken Relevanz beigemessen. Die Haftungsbeschränkungen des Geschäftsführers werden sodann im Voraus und im Nachgang eines Haftungsfalles aufgezeigt, überprüft und sowohl im Umfang als auch in ihrer Reichweite untersucht. Zugleich wird der Frage nachgegangen, in welchem Umfang dem Geschäftsführer ein Anspruch auf eine Haftungsbefreiung zustehen kann. Sofern eine Haftungsbeschränkung zulässig ist, wird ein Formulierungsvorschlag für die Praxis geboten.


1 Kornblum, GmbHR 2018, 669 ff., insbesondere die Statistik in Tabelle 1 auf S. 669 f.; Kornblum, GmbHR 2013, 693 ff., insbesondere die Statistik in Tabelle 1 auf S. 694; Roth, in: Roth/Altmeppen, Einl. Rn. 8 ff.

2 S.u. unter: 1. Einleitende rechtshistorische Ausführungen zur Entstehung und Entwicklung des GmbH-Rechts, S. 31 ff.

3 U.a. Bayer, GmbHR 2014, 897 ff.; Fleischer, BB 2011, 2435 ff.; Heisse, Beschränkung; Mand, Geschäftsführerhaftung; Hoffmann, NJW 2012, 1393 (1397).

4 Die Innenhaftung des Geschäftsführers besteht als Organ gegenüber der Gesellschaft und den Gesellschaftern. Die Innenhaftung ergibt sich aus gesellschaftsspezifischen Pflichten gemäß dem GmbHG, etwa der Haftungsnorm des § 43 GmbHG und aus den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen. Hierzu zählen die Regelungen nach dem BGB zur Rechtsscheinhaftung und den Delikttatbeständen sowie aus vertraglichen Gesichtspunkten bei Verträgen mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Dem Geschäftsführer obliegt primär gemäß der allgemeinen Norm des § 43 Abs. 2 GmbHG die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte der Gesellschaft. Die Gläubiger werden lediglich mittelbar geschädigt. Der BGH, Urt. v. 16.07.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 (257), benennt diese mittelbare Haftung als reflexartig. Weitere Haftungsnormen des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft sind in §§ 30, 43a, 64 S. 1 und 3 GmbHG sowie § 15a InsO zu sehen. Darüber hinaus ergeben sich Innenhaftungsansprüche aus dem mit der Gesellschaft geschlossenen Anstellungsvertrag und nach allgemeinen deliktsrechtlichen Vorschriften des BGB, vgl. v. Woedtke, NZG 2013, 484 (485).

5 Die Haftung nach Außen besteht zugunsten den Gläubigern, die nicht mit dem Unternehmen identisch sind. Des Weiteren ergibt sie sich aus speziellen Einzeltatbeständen, die dem Geschäftsführer konkret die Haftung bei Verletzung der Norm gegenüber Dritten auferlegen (u.a. § 11 Abs. 2 GmbHG, § 40 Abs. 3 GmbHG, § 69 AO, § 26 Abs. 3 InsO) und aus den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen. Im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB können dies auch Schutzgesetze zugunsten Dritter aus dem GmbHG sein, die einen eigenen Anspruch des Gläubigers gegen den Geschäftsführer begründen, vgl. Zöllner/Noack, in: Zöllner/Noack, § 43 Rn. ff.

6 Am Beispiel des § 41 GmbHG zur Buchführungspflicht, die dem Geschäftsführer obliegt, gilt dies exemplarisch zu verdeutlichen: Der Geschäftsführer haftet der Gesellschaft gegenüber bei Verletzung der Buchführungspflicht nach § 43 Abs. 2 GmbHG im Innenverhältnis. Hat der Geschäftsführer mittels der fehlerhaften Buchhaltung vorsätzlich einen Kredit zugunsten der Gesellschaft in Anspruch genommen, kann sich für ihn eine Außenhaftung gegenüber dem Kreditgeber wegen Kreditbetrugs gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, wegen vorsätzlicher Schädigung gemäß § 826 BGB oder aus culpa in contrahendo (c.i.c.) gemäß § 311 Abs. 2 BGB ergeben, vgl. Büteröwe, in: Henssler/Strohn, § 41 Rn. 15 ff.

7 Vgl. Kiethe, WM 2007, 722 (722, 728). Ein strafrechtlicher Verstoß ergibt sich etwa bei Nichtzahlung fälliger Sozialversicherungsbeiträge aus § 266a StGB und bei Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen aus § 266 StGB. Als wegweisend zum Untreuetatbestand kann das Mannesmann-Urteil gesehen werden, BGH Urt. v. 21.12.2005 – 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331 ff. Entscheidungsgegenständlich war die Bewilligung einer Sonderzahlung zugunsten eines Vorstandsmitgliedes, die im Dienstvertrag nicht vereinbart war, wobei der Sonderzahlung ein belohnender Charakter zukam und sie für das Unternehmen keinen zukunftsbezogenen Nutzen brachte. Eine solche kompensationslose Anerkennungsprämie, die der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft dem Vorstandsmitglied gewährt, begründet nach Ansicht des BGH „eine treupflichtwidrige Schädigung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens“. Der BGH äußerte, dass die Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht zur Erfüllung des Untreuetatbestands „bei unternehmerischen Entscheidungen eines Gesellschaftsorgans nicht zusätzlich ‚gravierend‘ sei“.

8 Letztmals ist dies im größeren Umfang durch das MoMiG (Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl. 2008 Teil I Nr. 48, S. 2026) geschehen.

9 Sodann unter: c. Regelungszwecke des Organhaftungsrechts, S. 119 ff.

10 Mand, Geschäftsführerhaftung, S. 13.

11 U.H. Schneider, in: Scholz, § 43 Rn. 12.

12 S.u. unter: (7) Anspruchsrealisierung und D&O-Versicherung, S. 126. Die sog. D&O-Versicherungen (Directors-and-Officers-Versicherung) werden gleichbedeutend ebenso Organ- oder Manager-Haftpflichtversicherung benannt.

13 Vgl. Habersack, FS Ulmer, 151 (155); s.u.a. die Versicherungsbedingungen der R+V Versicherung AG, https://ga.ruv.de/de/uec/bedingungen/aktuell/ruv-kfh_firmenkunden_haftpflicht_verbraucherinfo.pdf (Stand: 31.10.2018).

14 Vgl. Bayer, GmbHR 2014, 897 (704).

15 Koch, GmbHR 2004, 160 (160).

16 Bauer/Krets, DB 2003, 811 (814).

17 Insbesondere im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wird der Insolvenzverwalter in der Regel aufgrund der Kosten zulasten der Masse nicht in den Versicherungsvertrag eintreten. Der Geschäftsführer kann sodann einem Schadensersatzanspruch vollends ausgesetzt sein. Dem Geschäftsführer steht hingegen kein (Aufrechnungs-)Anspruch gegen die Masse oder den Insolvenzverwalter wegen Nichtaufrechterhaltung der Versicherung zu, BGH Beschl. v. 14.04.2016 – IX ZR 161/15, ZIP 2016, 1126 (1128).

18 Vgl. U.H. Schneider, FS W. Werner, 795 (798).

19 U.H. Schneider, in: Scholz, § 4 Rn. 13.

20 Seit der Reform der Insolvenzanfechtung durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz (BGBl. I, Nr. 16/2017, S. 654 ff.) dürfen Zinsen nicht mehr ab dem Tag der Verfahrenseröffnung, sondern erst ab dem Tag des Schuldnerverzuges oder bei Klage ab Rechtshängigkeit, geltend gemacht werden, § 143 Abs. 1 S. 3 InsO.

21 Zur Außenhaftung u.a.: Ziemons, in: Michalski, § 43 Rn. 594 ff.; Schnorbus, in: Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 43 Rn. 107 ff.; U.H. Schneider, in: Scholz, § 43 Rn. 307 ff.; Sandberger, Die Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers.

Teil 1. Haftungssystem der GmbH

Die geschichtliche Entwicklung des GmbH-Gesetzes, speziell im Hinblick auf die Haftung des Geschäftsführers im Innenverhältnis, sowie die Strukturmerkmale der GmbH und die Rechtsgrundlagen des Innenrechts der GmbH werden im Folgenden beleuchtet. Der wesentlichen Frage der Einordnung des Geschäftsführers in eine Arbeitnehmerstellung soll tiefgehend nachgegangen werden, da sich hieraus Besonderheiten zur Haftungsbeschränkung nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen zugunsten des Geschäftsführers ergeben könnten. Die Funktion und der Zweck der Haftung nach dem allgemeinen Schadensersatzrecht gemäß §§ 249 BGB und des besonderen Organhaftungsrechts werden im weiteren Verlauf der Arbeit dargestellt. Die Präventions-, Kompensations-, Vergeltungs-, Buß- und die Genugtuungsfunktion werden in diesem Rahmen auf ihre Immanenz zur Haftung überprüft. Die Schutzfunktionen gegenüber diversen Personengruppen sowie deren Interessen, die an der Haftung des Geschäftsführers gegenüber der Gesellschaft in Abhängigkeit oder Widerspruch stehen können, werden ebenfalls erörtert. Zudem werden diese Interessen daraufhin überprüft, ob sich aus ihnen eine Unzulässigkeit oder Grenzen zu den Haftungsbeschränkungsmöglichkeiten des Geschäftsführers ergeben können.

I. Die GmbH

Im Rahmen dieser Arbeit ist es unerlässlich, einen Blick auf die Intentionen des historischen Gesetzgebers und die folgende Entwicklung des GmbH-Gesetzes zu werfen. Ebenso sollen die Strukturmerkmale der GmbH und die Rechtsgrundlagen des Innenrechts der GmbH untersucht werden, um die Möglichkeiten zur Haftungsbeschränkung des Geschäftsführers herausarbeiten zu können.

1. Einleitende rechtshistorische Ausführungen zur Entstehung und Entwicklung des GmbH-Rechts

Die im Jahr 1892 vom deutschen Gesetzgeber ins Leben gerufene GmbH22 ist der am häufigsten gewählte Gesellschaftstyp der zur Verfügung stehenden ←31 | 32→Rechtsformalternativen unter den Kapitalgesellschaften des deutschen Rechts.23 Die Schaffung der neuen Gesellschaftsform war notwendig, da die Aktiengesellschaft für kleinere und mittlere Unternehmen unattraktiv geworden war. Diese Veränderung war Folge der Verschärfung durch die Novelle zum Aktienrecht im Jahr 188424, welche auf den massiven Missbräuchen der Gründerjahre basierte25. So wurde in der Novelle die Gründungsprüfung, die Publizität der Gründung, die Funktionen des Aufsichtsrates und dessen Überwachungspflichten sowie die Gründerhaftung im Aktienrecht im Vergleich zur vorher bestehenden Rechtslage26 strengeren Regelungen unterworfen.27 Dem nunmehr bestehenden verschärften Aktienrecht sollte für (der Größe nach) kleinere und mittlere Unternehmen durch Schaffung einer neuen Gesellschaftsform vordringlich entgegengewirkt werden. Unklar war anfänglich, ob diese neue Gesellschaftsform von personalistischen oder kapitalistischen Merkmalen geprägt sein soll. Außerdem blieb zu erörtern, ob eher individualistischen oder kollektivistischen Merkmalen eine Rolle beizumessen war.

Justus Wilhelm Oechelhäuser28 brachte die seinerseits erachtete Notwendigkeit der gesetzlichen Etablierung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Verweis auf das Modell der englischen Limited (limited liability)29 zum ←32 | 33→Ausdruck.30 Sein erster Gesetzesvorschlag umfasste lediglich acht Paragraphen.31 Oechelhäuser forderte mit Zustimmung der Ältesten der Berliner Kaufmannschaft die Einführung einer „offene[n]; Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftung“ mit den folgenden Worten: „Ich glaube, dass der Zug, der unser ganzes Erwerbsleben beherrscht, der Zug nämlich, der von der solidarischen Haftbarkeit der offenen Handelsgesellschaft, zur beschränkten Haftbarkeit hinführt, uns noch einen bedeutenden Schritt weiter führen muss. [. . .] Nehmen Sie einmal eine Gesellschaftsform an, die auf der Basis unserer jetzigen offenen Handelsgesellschaft steht, bei der aber die solidarische Haftbarkeit auf bestimmte Kapitaleinlagen beschränkt ist, dann haben Sie in dieser Gesellschaftsform alle Vorzüge der individualistischen offenen Handelsgesellschaft mit den Vorzügen einer Aktiengesellschaft vereinigt, ohne die Nachteile und Gefahren der offenen Handelsgesellschaft und die Komplikation des Aktienwesens in den Kauf nehmen zu müssen.“32 Oechelhäuser befürwortete damit eine an die offene Handelsgesellschaft (OHG) angelehnte Personengesellschaft mit der beschränkten Haftung der Gesellschafter auf das gezahlte Grundkapital.

Dennoch gab es Gegenstimmen,33 die für eine „vereinfachte Aktiengesellschaft“ in Gestalt einer kollektivistischen Gesellschaftsform als juristische Person plädierten, gemäß derer unter anderem die verschärften Gründungsvorschriften der Aktienrechtsnovelle aus dem Jahr 1884 nicht gelten und die Anteilsübertragungen erschwert werden sollten.34 Zugleich sollte „auf die beschränkte Haftung (Deckungspflicht) der Genossen durch einen obligatorischen Firmenzusatz hingewiesen werden“.35 Friedrich Hammacher, der rechtspolitische Wortführer dieses Lagers, erklärte im Reichstag: „Ich persönlich stehe auf dem Standpunkt, dass es für koloniale wie für eine ganze Menge von anderen Privathwirtschaftsaufgaben, ←33 | 34→für welche die Gesellschaftsform Bedürfnis ist, im Prinzip keine glücklichere Einrichtung gibt als gerade die Form der Berggewerkschaft, die auf der einen Seite die Vorzüge der Aktiengesellschaft insofern hat, als jedes Mitglied der Gewerkschaft nicht uneingeschränkt zu den Beiträgen und Bedürfnissen der Sozietät herangezogen werden kann, vielmehr das Recht hat, durch Hergabe seines Antheils sich von weiteren Verbindlichkeiten zu befreien, auf der anderen Seite aber im Gegensatz zur Aktiengesellschaft wieder den großen Vortheil gewährt, dass nicht von Hause aus die Verpflichtungen des Einzelnen auf eine bestimmte Einlage beschränkt sind.“36

Der Deutsche Handelstag gab infolge einer Umfrage bei allen deutschen Handelskammern im Jahr 1888 an, „daß in den Kreisen des Handels und der Industrie eine Ergänzung des bestehenden Rechts durch Einführung neuer Rechtsformen für gesellschaftliche Privatunternehmen als ein dringendes Bedürfnis“ gesehen werde und eine Gesetzgebung erforderlich sei, „welche die Errichtung von individualistischen und collektivistischen Erwerbsgesellschaften auf der Grundlage der in Antheile zerlegten Mitgliedschaft und der beschränkten Haftbarkeit der Mitglieder zuläßt.“.37 Der zuständige Ausschuss des Deutschen Handelstages legte sodann am 07.12.1888 dem preußischen Handelsministerium einen zwölf Artikel umfassenden, auf dem Vorschlag Oechelhäusers basierenden, Entwurf über die „Grundzüge für die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftbarkeit“ nebst Gutachten vor. Der Vorschlag wurde als Anlage in der amtlichen Begründung des Entwurfes eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung von 1890 vom Referent des Reichsjustizamtes Eduard Hoffmann38 aufgenommen.39 Der Gesetzesentwurf wurde infolge kleinerer Änderungen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens am 11.02.1892 vom Reichstag an den Bundesrat verabschiedet, der am 07.04.1892 vollinhaltlich zustimmte.40 Sodann fertigte der Kaiser das GmbHG am 20.04.1892 aus, welches am 26.04.1892 im Reichsgesetzblatt verkündet wurde und mit Wirkung zum 10.05.1892 in Kraft trat. Im Jahr 1898 erfolgte eine Neuverkündung des GmbH-Gesetzes, wobei die ursprünglich in § 54 GmbHG enthaltenen Bestimmung in § 53 GmbHG verortet ←34 | 35→wurde.41 Der neue Gesellschaftstypus erlangte in anderen Ländern schnell Befürworter, in denen alsbald zum deutschen GmbHG vergleichbare Gesetze erlassen wurden.42

Das umgesetzte Ziel des neuen Gesellschaftstyps „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ war nun ein minder starres und erschwertes System43 und barg die Möglichkeit zur vielseitigen Verwendbarkeit und einer weitgehenden freien Gestaltungsmöglichkeit durch einen auf den jeweiligen Gesellschaftszweck zugeschnittenen, privatautonomen und flexibel gestaltbaren Gesellschaftsvertrag44 sowie eine Vereinfachung der Anteilsübertragung im Vergleich zu den teilweise bestehenden Regelungen im Aktiengesetz45. Es wurde mehr Wert auf ein personalisiertes System, ähnlich wie bei einer OHG oder Kommanditgesellschaft ←35 | 36→(KG) gelegt,46 ohne dabei auf die entsprechenden Vorschriften des Handelsgesetzbuches (HGB)47 zu verweisen. So gab bereits Oechelhäuser nach Vorlage eines Gesetzesentwurfes zur GmbH im Jahr 1892 an, der Entwurf habe „eine Mittelstellung […] zwischen den bisherigen Individualgesellschaften, representiert durch die offene Handelsgesellschaft, und zwischen den kapitalistischen Gesellschaften, representiert durch die Aktiengesellschaft“ eingenommen. „Vom Standpunkt dieser Mittelstellung aus ist nun ein ganz selbsständiger Gesetzentwurf ausgearbeitet worden. Er hat sich also weder an die gesetzlichen Bestimmungen für die offene Handelsgesellschaft, noch für die Aktiengesellschaft angelehnt, was ich als einen großen Vorzug betrachte. […] Es gereicht dem Entwurf zu ganz besonderem Vortheil, daß er mit außerordentlicher Schärfe das zwingende Recht von dem dispositiven Recht scheidet, welches letztere der Regelung durch den autonomen Gesellschaftsvertrag vorbehalten wird. […] Das zwingende Recht ist in diesem Gesetzentwurf aufs äußerste Maß beschränkt […].“48

Das Streben nach einer neuen Gesellschaftsform mit personalistischen und kapitalistischen Merkmalen führte schließlich zur Schaffung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die GmbH geht als Mittelweg zwischen der Kapital- und Personengesellschaft grundsätzlich von einer kapitalgesellschaftsrechtlichen Grundlage aus und bietet gegenüber den Personengesellschaften nicht nur die oftmals gewünschte Haftungsbeschränkung, sondern ist auf eine Dauerbeteiligung eines bestimmten Personenkreises ausgerichtet.49 Die GmbH vereint die Strukturmerkmale einer juristischen Person sowie einer Kapitalgesellschaft, die eines Formkaufmannes, der Haftungsbeschränkung, der Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis, der Drittorganschaft (Fremdgeschäftsführung) und des Mehrheitsprinzips.50 Die Haftungsbeschränkung ist jedoch nicht grenzenlos. Sie beinhaltet vielmehr die Haftungsbeschränkung der Gesellschafter.

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a. Geschäftsführerhaftung

Details

Seiten
422
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631819227
ISBN (ePUB)
9783631819234
ISBN (MOBI)
9783631819241
ISBN (Paperback)
9783631813249
DOI
10.3726/b16838
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Mai)
Schlagworte
Zentrale Haftungsnorm§ 43 Abs. 2 GmbHG Beschränkungsmöglichkeiten Innenhaftung Haftungsbeschränkung Haftungssystem
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 422 S.

Biographische Angaben

Arlette I. Sterl (Autor:in)

Arlette I. Sterl studierte Rechtswissenschaften an der Juristischen Fakultät der Technischen Universität Dresden. Sie war während ihres Referendariats für die Deutsch-Arabische Industrie- und Handelskammer in Kairo/Ägypten tätig. Nach Erlangung der Anwaltszulassung praktizierte sie in einer bundesweit vertretenen, führenden Kanzlei für Insolvenzrecht und Restrukturierung. Aus diesem beruflichen Kontext heraus entstand das Thema der Promotion.

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Titel: Die Beschränkung der Haftung des abhängig beschäftigten GmbH-Geschäftsführers im Rahmen von § 43 GmbHG
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