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Utopia – Eine Welt von morgen im Spiegel utopischer Versuche

Thomas Morus: Eine Reise in gewesene Utopien zur Stadt-Region und neue Perspektiven

von Harald Kegler (Autor:in) Tatjana Fischer (Autor:in)
©2019 Monographie 258 Seiten

Zusammenfassung

Im Jahr 1516 erschien das «Goldene Buch» von Thomas Morus: «Utopia». Er ging in die Geschichte als Vater der Gesellschaftsutopie ein. Der Band geht den Ursprüngen von Utopia nach, diskutiert die Aktualität von Utopien und gibt einen Ausblick: Klimatopia. Das Buch rückt die räumliche Dimension der Utopie in den Mittelpunkt und zeigt, dass Morusʼ «Utopia» auch nach 500 Jahren in Zukunftsdebatten ausstrahlt. Dies erfolgt durch eine Auseinandersetzung mit dem «Utopie»-Begriff aus raumplanerischer Perspektive, die Analyse der Versuche, Utopien baulich umzusetzen und die Kritik am – oft missbrauchten – Utopie-Begriff. Mit dem Buch wird ein Beitrag zur Diskussion um die Richtungsorientierung für eine nachhaltige Entwicklung – im Zeitalter eines neuen Klimamodus der Menschheit geleistet.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Kurzfassung
  • Abstract
  • Inhaltsverzeichnis
  • Buch I Einblick
  • 1 Prolog
  • Eine Definition
  • Über utopische Orte
  • Technisch-soziale Phantasien
  • Zur Methode des Buches
  • Zur Aktualität von Utopia
  • Das Buch „Utopia“
  • Der Buchaufbau
  • Zu Retrotopia
  • Ein Ansatz
  • 2 Die Inspiration
  • Antwerpen und Leuven: Ein Streifzug durch die Orte der Utopia-Inspiration
  • 3 Die Entdeckung
  • 4 Die Stadt und die Insel
  • Die Hauptstadt Amaurotum
  • Die Planentstehung
  • Der Plan
  • Die räumliche Ordnung der Stadt
  • Struktur einer „Platonischen“ bzw. „bastidischen“ Stadt
  • 5 Die „neue“ Stadt
  • Die Werkssiedlung Le Grand Hornu
  • Die Werkssiedlung Analogie zu Utopia?
  • Amaurotum: 130 EW/ha (bei 7,68 qkm Fläche und einer Einwohnerzahl von umgerechnet ca. 100.000 für Amaurotum, eigene Untersuchungen)
  • Die „virtuelle“ Welt-Friedens-Stadt
  • Wer waren diese neuen „Utopier“?
  • Die Welt-Stadt
  • Buch II Ausblick
  • 6 Die „neue“ Stadt-Gesellschaft – Genesis des Sowjetischen Utopias
  • Einleitung
  • Der zweite Tag
  • Socgorod und neue Lebensweise (1929–1931)
  • Ernst Mays Standardstädte
  • Das Ende der Socgorod
  • 7 Die Reflexion: Atomium und Weltmaschine
  • Atomium in Brüssel und Weltmaschine in Kaag
  • Faszinierendes und Kritisches
  • Das Anagramm
  • Absurdes und Utopisches
  • 8 Das Utopia heute: Lambaréné, Auroville und Bauhaus
  • Lambaréné: ein ethisches Utopia
  • Auroville: ein sozial-ökologisches Reallabor
  • Bauhaus: ein sozial-ästhetisches Utopia-Laboratorium
  • Das Bauwerk
  • Der Ort
  • Die Industrie
  • Der Raum
  • Die Reflexion
  • Industrielles Gartenreich – ein Zwischenschritt
  • 9 Ein Utopia morgen – Brevier für die Raumplanung?
  • Zum Umgang mit Morus’ Ausführungen
  • Aufbau und Inhalt des Kapitels
  • Geographische Eckdaten Utopias
  • Siedlungssystem und Raumtypen
  • Alltag, Freizeit und Stadt-Land-Beziehungen
  • Einwohner*innen-Kennzahlen und Flächenbilanz
  • Warum Utopia funktionieren kann
  • Die Staatsverfassung
  • Die Wesenszüge der Utopier
  • Wandel gibt es nicht
  • Raumordnung ist eine zentrale Aufgabe des Staates
  • Utopia – eine Handlungsanleitung für eine zukunftsfähige Raumplanung?
  • Ökologischer Fußabdruck – ein Bewertungsmodell
  • 10 Epilog: Klimatopia – ein 100-Jahres-Plan
  • Miami Beach – pragmatisches „Utopia“
  • Jeffersons Nation-Utopia
  • „Utopia Florida“ – „Hauptstadt“ Miami Beach
  • Der zweite Aufstieg – eine Ikone entsteht und droht zu vergehen
  • Der größtmögliche Eingriff: Klimatopia – eine (neue) reale Utopie?
  • Mögliche „neue“ Inseln
  • Neue Entdeckungen
  • Backups der weiteren Entwicklung
  • Der „100-Jahr-Plan“ zu einem neuen Klimamodus
  • Utopia braucht einen Plan, ein Gedankenexperiment
  • Der Corner Stone: Europa aufs Neue gründen
  • Abbildungsverzeichnis
  • Autorenangaben
  • Literatur

1 Prolog

Vor 100 Jahren wurde eine Institution in Weimar gegründet, die zu einem Inbegriff des Utopischen im 20. Jahrhundert werden sollte und heute fast mythischen Charakter besitzt: das BAUHAUS (https://www.bauhaus100.de/de/index.html). Diesem Jubiläum vorausgegangen sind zahlreiche andere, eher weniger spektakulär rezipierte: Vor 50 Jahren, 1968, begann der Bau der vielleicht einzigen „Utopia“, einer Stadt, die diesen Namen verdient: Auroville. In Südindien machten sich „Aussteiger“, der Idee von einer neuen internationalen Gemeinschaft folgend, auf den Weg, eine symbolkräftige Stadt zu gründen, die friedliche Gemeinschaftsideale verkörpern sollte. Hier sollten viele der Kriterien, die dem historischen „Utopia“ von Thomas Morus attestiert werden können, umgesetzt werden. Diese Anlage ist keine „fertige“ Stadt, eher eine Denkfigur, doch ihr Nimbus ist ungebrochen. Konkrete Orte wären in Betracht zu ziehen, an denen sich ermessen ließe, was ein Utopia sein könnte, was es gewesen wäre oder welche inhaltlichen Dimensionen einer neu gedachten Gesellschaft und ihrer Orte zu bestimmen wären. Viele literarische Zeugnisse dazu sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstanden, die zu rezipieren das Buchvorhaben gesprengt hätte. Es war auch nicht die Absicht, ein solches Kompendium der Utopien zu liefern. Auch dazu gibt es zahlreiche Beispiele aus den unterschiedlichen Perspektiven, vom jüngst erschienenen Buch „utopisch dystopisch – Visionen einer ‚idealen‘ Gesellschaft“, herausgegeben von Irene Leser und Jessica Schwarz, zum „Ausstieg in die Zukunft“ von Ulrich Grober, bereits vor 20 Jahren herausgebracht, um nur die beiden stellvertretend zu nennen.

Der 500. Jahrestag des Erscheinens von „Utopia“ 2016, der den Anlass für das vorliegende Buch gibt, hat eine eher verhaltene Resonanz erfahren. Ist die Zeit nicht reif für Utopien? Projekte wie ein Bauhaus oder Auroville künden – real oder vermeintlich – noch immer von deren latenter Existenz. Sie wären kaum ohne den Roman von Thomas Morus denkbar gewesen.

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Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des vorliegenden Buches wurden die Auf- und Umbrüche am Ende der 1960er Jahre mit verschiedenen Würdigungen begangen. Neben den politischen Akteuren der Studentenbewegung (die „68er“) in Westeuropa, dem Ende des „Prager Frühlings“ und dem 50. Gründungsjubiläum des Bauhauses, dessen Nachfolgeeinrichtung, die Hochschule für Gestaltung in Ulm, ein Jahr später aus politischen Gründen geschlossen wurde, prägten auch Namen wie der des Zukunftsforschers Naisbitt oder der Architekturavantgardegruppe Archigram, bis heute wirkende Zukunftsentwürfe oder die Zukunftsforschung (Wachsmann 2018 und Horx 2011, 64). All diese Initiativen der „60er“ oder des Jahrhundertbeginns „1919“ waren aber keineswegs die alleinigen Erben eines Thomas Morus. Bereits im 18. und 19. Jahrhundert entstanden zahlreiche Abhandlungen, Visionen und auch gebaute Versuche für „Utopien“ im Gefolge der „Klassiker“ wie dem von Thomas Campanella (1568–1639) „Der Sonnenstaat“ (1602) aus dem 16. Jahrhundert. Vor allem mit dem Beginn des Industriezeitalters und den sich damit verbindenden politischen, sozialen, ethischen, ökologischen und ästhetischen Problemen entstanden überbordende Versuche und Programme für eine neue Gesellschaft – jenseits der existierenden. Ob dies Charles Fouriers (1772–1837) Sozial-Kolonien in ←18 | 19→Frankreich waren oder die Versuche eines Henry David Thoreau (1817–1862) in den USA, ob es die Schriften von William Morris (1834–1896) oder Gartenstadtversuche wie in Hellerau bei Dresden (ab 1909) oder Selbstversorgersiedlungen wie Eden bei Berlin (ab 1893) waren – viele wären zu nennen und verdienten eine neue Würdigung, was zwar durchaus geschieht, wie in Hellerau zu erleben ist, jedoch verbleibt die Rezeption in spezifischen Adressatenkreisen (vgl. Grober 1998, 18ff sowie Schinker 2013). Eine Bilanz von Utopien aus fünf Jahrhunderten legte 2017 Alberto Manguel vor, die 2018 auf Deutsch erschien und als „Sehnsucht Utopie“ eine Reise zu markanten Beispielen des gedachten und z. T. realisierten Utopia von Morus bis John Lennon in aufwendiger bibliophiler Art beschreibt (Manguel 2018). Neue Bestrebungen zur Aktualisierung der Utopie-Idee gibt es zahlreiche, die wiederum in einer breiten Vielfalt daherkommen und je unterschiedliche Ziele verfolgen – ein Vergleich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts drängt sich auf, wenngleich es keine direkten Analogien gibt (z. B. https://www.clownfisch.eu/magazin/ausgaben/utopiastadt/). Eines haben alle gemeinsam: Utopia ist jedenfalls kein verlorenes Strandgut der Sozial-, Zeit- und Raumgeschichte. Dennoch haftet dem Utopischen ein Makel an, der des fortwährenden Scheiterns. Warum also einen weiteren Versuch starten, sich „Utopia“ zuzuwenden?

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Eine Definition

Was ist aber ein „Utopia“? Nehmen wir naheliegenderweise den Duden: Danach handelt es sich bei Utopia um ein „Traumland, erdachtes Land, wo ein gesellschaftlicher Idealzustand herrscht“ (https://www.duden.de/rechtschreibung/Utopia). Dieses fußt auf der griechischen Übersetzung als οὐτοπία utopía ‚Nicht-Örtlichkeit‘. Es kann aber auch „guter Ort“ bedeuten. Nach Oskar Wilde hingegen ist Utopia ein Land des Überflusses, oder, um eine komplementäre Kategorie einzuführen, „Fortschritt ist die Verwirklichung von Utopien.“ (Bauman 2017, 13). Danach würde sich die Gesellschaft fortwährend auf dem Wege nach Utopia befinden, gradlinig, immer aufwärts. Doch, so fragt Wilde, was befindet sich hinter dem Horizont des Überflusses? Seine Antwort: Leere (Bauman 2017, 13). Damit sind Fragen aufgeworfen und zugleich der Unterschied von Utopie und Utopia angedeutet.

Zunächst zeichnet sich eine Utopie durch drei Merkmale aus: „1. Eine Utopie ist entweder ein Gedankenexperiment in verschiedener Form oder ein Plan. 2. Die Utopie enthält ein gesellschaftskritisches Moment. 3. Utopie basiert auf einem Vernunftverständnis.“ (Cojocaru 2012, 123). Entlang dieser drei Kriterien kann eine Utopie als solche bewertet werden, was noch keine ethische Präjudizierung und Verräumlichung bedeutet. Deswegen ist ein viertes Kriterium anzufügen: 4. Utopie bedarf der (öffentlichen) Reflexion von Experiment bzw. Plan. Morus hat gerade dieses Kriterium in spezifischer Weise erfüllt, indem er Zweifel säte, Interpretationen ermöglichte, den öffentlichen Diskurs (wenngleich zunächst nur für die Elite) anregte und nicht direkt zur Umsetzung seiner Ideen aufrief. Als abgeleitete Kriterien sind Raum- und Zeitutopien zu unterscheiden, worauf noch einzugehen sein wird (Cojocaru 2012, 123 oder Erzgräber 1986, 40).

Das vorliegende Buch kann und will keine umfängliche Kulturgeschichte der Utopien-Begrifflichkeiten liefern, was sicher auch sinnvoll wäre, wie es eine für den Nachhaltigkeitsbegriff gibt (Grober 2010). Vielmehr werden kaleidoskopartig historische Beispiele utopischer Versuche betrachtet, also Topos gewordene Utopien – soweit dies deutbar erscheint – und im Kontext von Morus’ Werk hinsichtlich ihrer räumlichen Ausprägung und der entsprechenden semantischen Interpretationen mit Blick auf eine anzunehmende Zukunft untersucht. Dabei gewinnt der Ortsbezug einen zentralen Stellenwert als Orte, die gesellschaftliche oder naturbezogene Verhältnisse in besonderer Weise repräsentieren, d.h., in einer unüblichen Weise, also heterotop sind. Foucault hat die abweichenden Orte als „wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplatzierungen oder Widerlager, ←20 | 21→tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können.“ (Foucault 1993, 39). Die im vorliegenden Buch jeweils behandelten Orte stehen für bestimmte Momente dieser „Gegenplatzierungen“, ausgewählt nach ihrer denkbaren Bedeutsamkeit für einen Blick in eine Zukunft, auf ein Utopia in 100 Jahren.

Letztlich rückt ein Utopia in den Vordergrund, dass es, so die Hypothese, angesichts einer historisch neuartigen Tendenz, dem Erreichen eines neuen Klimamodus’, neu zu entdecken gilt und grundsätzlich fruchtbar gemacht werden sollte (Gebauer, Trojanow 2018, 252). Das Denken eines neuen Heterotopias bedarf, so die These, eines utopischen Geistes, der vergangene Heterotopien reflektiert, ohne in ein Retrotopia (Bauman 2017) zu münden.

Über utopische Orte

Details

Seiten
258
Jahr
2019
ISBN (PDF)
9783034339308
ISBN (ePUB)
9783034339315
ISBN (MOBI)
9783034339322
ISBN (Hardcover)
9783034339018
DOI
10.3726/b16315
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Raumordnung Klimawandel Stadtentwicklung Kulturgeschichte Planungsgeschichte
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2019. 258 S., 57 s/w Abb.

Biographische Angaben

Harald Kegler (Autor:in) Tatjana Fischer (Autor:in)

Harald Kegler ist Professor für Planungsgeschichte und nachhaltige Raumplanung an der Universität Kassel. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Städtebau- und Stadtplanungsgeschichte sowie urbane Resilienz. Tatjana Fischer ist promovierte wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung der Universität für Bodenkultur Wien. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: nachhaltige Raumentwicklung und Infrastrukturplanung vor dem Hintergrund des demographischen Wandels.

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