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Der Europäische Rechnungshof – Rechtsstellung und Befugnisse

von Karsten-Kristian Heudtlaß (Autor:in)
©2020 Dissertation 192 Seiten

Zusammenfassung

Der Europäische Rechnungshof gehört trotz seiner verfassungsrechtlichen Stellung als Unionsorgan zu den im europarechtlichen Schrifttum vernachlässigten Institutionen der Europäischen Union. Dieser Band widmet sich einerseits der Stellung des Rechnungshofes im Institutionengefüge der Union und andererseits seinen Aufgaben und Befugnissen. Dazu erörtert der Autor den institutionellen und instrumentellen Rahmen des Rechnungshofes und erarbeitet hieraus konkrete Hinweise zur Verbesserung dieses Rahmens. Als Quellen dienten neben der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur vor allem Praxisinformationen aus Gesprächen mit Mitgliedern und Mitarbeitern des Rechnungshofes sowie nationaler Rechnungskontrollbehörden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • 1. Externe Finanzkontrolle in der Europäischen Union
  • 2. Grundprinzipien und Aufgaben des Europäischen Rechnungshofes
  • 3. Prüfungsablauf des Europäischen Rechnungshofes
  • 4. Prüfungsdarstellung des Europäischen Rechnungshofes
  • 5. Rechtsstellung und Befugnisse
  • II. Entwicklung der Finanzkontrolle in der Europäischen Union
  • 1. Europäische Finanzkontrolle vor dem Europäischen Rechnungshof
  • 2. Gründung des Europäischen Rechnungshofes
  • 3. Entwicklung des Europäischen Rechnungshofes
  • III. Rechtsstellung des Europäischen Rechnungshofes und seiner Mitglieder
  • 1. Rechtsstellung des Europäischen Rechnungshofes
  • a) Der Europäische Rechnungshof als Organ
  • b) Gewaltenteilung in der Europäischen Union
  • c) Rechnungshöfe zwischen den Gewalten
  • aa) Stand der Wissenschaft
  • bb) Funktion von Rechnungshöfen
  • (1) Kontrollfunktion
  • (2) Beratungsfunktion
  • d) Der Europäische Rechnungshof als Judikativorgan
  • e) Der Europäische Rechnungshof als Legislativorgan
  • f) Der Europäische Rechnungshof als Exekutivorgan
  • g) Der Europäische Rechnungshof als Gewalt sui generis
  • h) Fazit
  • 2. Stellung der Mitglieder des Europäischen Rechnungshofes
  • a) Unabhängigkeit der Mitglieder in persönlicher, fachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht
  • b) Defizite der Unabhängigkeit
  • aa) Wiederwahlmöglichkeit
  • bb) Parlamentsbeteiligung
  • cc) Mitgliedstaatliche Interessenkonflikte
  • dd) Merkmal der besonderen Eignung
  • ee) Auslastungsdefizit
  • ff) Unterstützungspflicht
  • c) Fazit
  • 3. Rechtsstellung der Mitarbeiter des Europäischen Rechnungshofes
  • IV. Prüfungstätigkeit des Europäischen Rechnungshofes
  • 1. Grundsätze der internationalen Finanzkontrolle
  • 2. Prüfungskompetenz des Europäischen Rechnungshofes
  • a) Prüfungsaufgabe des Europäischen Rechnungshofs
  • aa) Aufgabe von Rechnungshöfen
  • bb) Prüfungsauftrag in Abgrenzung zur Betrugsbekämpfung
  • cc) Prüfungsablauf
  • b) Prüfungsmaßstäbe des Europäischen Rechnungshofs
  • aa) Rechtmäßigkeit und Ordnungsmäßigkeit371
  • bb) Wirtschaftlichkeit382
  • c) Ort und Zeit der Prüfung
  • d) Kompetenzkonflikte mit nationalen Rechnungsprüfungsbehörden
  • aa) Einnahmen
  • bb) Ausgaben
  • 3. Prüfungsbefugnisse des Europäischen Rechnungshofes
  • a) Zugangsbefugnisse gegenüber Unionsorganen
  • aa) Zugang durch Kommunikation und Feststellung der Zusammenarbeitsdefizite
  • bb) Gerichtliche Geltendmachung der Zugangsrechte
  • b) Zugangsbefugnisse in den Mitgliedstaaten
  • aa) Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten
  • (1) Aktivlegitimation durch Rechtsfortbildung
  • (2) Fazit
  • bb) Zugangsrechte gegenüber Privaten
  • c) Fazit
  • d) Zusammenarbeit zwischen den Organen
  • aa) Interinstitutionelle Beziehungen
  • (1) Europäisches Parlament
  • (2) Kommission
  • (3) Rat
  • bb) Zusammenarbeit mit den mitgliedstaatlichen Rechnungskontrollbehörden
  • (1) Vertrauensvolle Zusammenarbeit
  • (2) Kooperation zwischen Rechnungshöfen am Beispiel INTOSAI und EUROSAI
  • (a) INTOSAI
  • (b) EUROSAI
  • (c) Zwischenfazit
  • (3) Perspektiven der vertrauensvollen Zusammenarbeit
  • 4. Prüfungsergebnisse des Europäischen Rechnungshofes
  • a) Handlungsformen
  • aa) Jahresberichte und Zuverlässigkeitserklärung
  • bb) Sonderberichte und Stellungnahmen
  • cc) Landscape-Analysen, Themenpapiere und Schnellanalysen
  • b) Kontradiktorisches Verfahren
  • c) Tragweite der Maßnahmen des Europäischen Rechnungshofes
  • aa) Der Europäische Rechnungshof als „moralische Instanz“
  • bb) Arbeits- und Ergebnisqualität als Garantie für Effektivität
  • V. Rechtsschutzmöglichkeiten
  • 1. Rechtsschutzmöglichkeiten der Unionsorgane und Institutionen
  • a) Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren
  • b) Klagerechte der Unionsorgane
  • 2. Rechtsschutzmöglichkeiten der Mitgliedstaaten
  • a) Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren
  • b) Klagerechte der Mitgliedstaaten
  • 3. Rechtsschutzmöglichkeiten Dritter
  • a) Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren
  • b) Klagerechte des einzelnen Prüfungsadressaten
  • VI. Resümee
  • 1. Der Europäische Rechnungshof als Zwischengewalt
  • 2. Der „unabhängige“ Rechnungsprüfer des Europäischen Rechnungshofes
  • 3. Zugangsbefugnisse des Europäischen Rechnungshofes
  • 4. Eingeschränkte vertrauensvolle Zusammenarbeit
  • 5. Schutzmechanismen gegen den Europäischen Rechnungshof
  • 6. Verbindliche Handlungskompetenzen für den Europäischen Rechnungshof
  • VII. Thesen
  • Literaturverzeichnis

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I. Einleitung

Die Finanzkontrolle eines Staates oder im Falle der Europäischen Union eines Staatenverbundes teilt sich in die interne und die externe Finanzkontrolle auf.2 Die interne Finanzkontrolle befindet sich dabei innerhalb der zu kontrollierenden Einrichtung oder Institution selbst.3 Die externe Finanzkontrolle gehört dagegen nicht der zu kontrollierenden Einrichtung oder Institution an, sondern ist eine separate Kontrolleinrichtung innerhalb der Verfassungsstruktur eines Staates.4 Hinsichtlich der internen Finanzkontrolle ist die Unabhängigkeit bestmöglich zu gewährleisten, wobei eine organisatorische Abhängigkeit durch die Zugehörigkeit zu der kontrollierten Einrichtung oder Institution unvermeidbar ist.5 Primäraufgabe der externen Finanzkontrolle ist es, die Funktionsfähigkeit der internen Finanzkontrolle zu kontrollieren und festzustellen.6 So funktioniert ein effektives Finanzkontrollsystem nur in einem Wechselspiel zwischen interner und externer Finanzkontrolle. Die externe Finanzkontrolle dürfte dabei entscheidenden Anteil an der letztendlichen Gewährleistung der Haushaltszuverlässigkeit eines Staates haben. Die Finanzkontrolle ist dabei ein „unerlässlicher Bestandteil eines Regelsystems, [um] Abweichungen von der Norm und Verletzungen der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit, der Wirtschaftlichkeit, der Zweckmäßigkeit und der Sparsamkeit der Gebarung so rechtzeitig aufzuzeigen, dass korrektive Maßnahmen im einzelnen Fall ergriffen, die verantwortlichen Organe haftend gemacht, Schadensersatz erlangt oder Maßnahmen ergriffen werden können, die eine Wiederholung derartiger Verstöße in der Zukunft verhindern oder zumindest erschweren.“7 Finanzkontrolle trägt innerhalb der Verfassungsstruktur eines Staates folglich vordergründig der ordnungsgemäßen Mittelverwendung Rechnung und schafft darüber hinaus eine Transparenz der Mittelverwendung, die eine Korrektur umgehend ermöglichen soll. So kann eine „sachgerechte und wirksame Verwendung öffentlicher Mittel, das Streben nach ←15 | 16→einer straffen Wirtschaftsführung, die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltungstätigkeit und die Information sowohl der staatlichen Stellen als auch der Öffentlichkeit durch die Veröffentlichung von objektiven Berichten für die Stabilität und Fortentwicklung der Staaten“8 dienen. Darüber hinaus schafft eine „ordnungsgemäße und rationelle Verwendung öffentlicher Mittel eine der wesentlichen Voraussetzungen für die richtige Handhabung der öffentlichen Finanzen und die Wirksamkeit der von den zuständigen Behörden getroffenen Entscheidungen.“9

Der Europäische Rechnungshof ist das Leitorgan der europäischen externen Finanzkontrolle.10 Er blickt mittlerweile auf eine Entwicklung von 40 Jahren zurück, in denen sich die Europäische Union selbst und die Bedeutung von Finanzkontrolle auf europäischer Ebene erheblich weiterentwickelt haben. In Zusammenhang mit dem EuRH lässt sich die Bezeichnung des „Hüters der Finanzen“11 finden. Dies ist eine Bezeichnung, die sich bei den Organen der EU häufiger wiederfindet.12 Schon diese Tatsache vermittelt den Eindruck, dass die Finanzkontrolle in der EU einen besonderen Stellenwert hat. Unterstützt wird dieser Eindruck darüber hinaus durch die Stellung des EuRH als eines der obersten Unionsorgane.13 Dieser Status ist für ein Rechnungsprüfungsorgan nicht selbstverständlich; so gehören Rechnungsprüfungsorgane in den Mitgliedstaaten nicht immer zu den obersten Staatsorganen. An dieser Stelle sei nur auf den Bundesrechnungshof verwiesen, der eine Art Zwischenstellung zwischen Verfassungsorgan, oberstem Bundesorgan und einer einfachen Verwaltungsbehörde einnimmt.14

Diese Arbeit soll nach 40 Jahren europäischer Finanzkontrolle durch den EuRH die Struktur, die Befugnisse und die Prüfung des EuRH näher beleuchten. ←16 | 17→Dabei soll nach einer kurzen Darstellung der Entstehung des EuRH und seiner Entwicklung über die letzten 40 Jahre die rechtliche Einordnung in das europäische Organgefüge im Vordergrund stehen. Im zweiten Teil sollen die konkreten Befugnisse des EuRH bei der Rechnungsprüfung herausgearbeitet und analysiert werden, wie der EuRH im Rahmen dieser rechtlichen Voraussetzungen arbeitet und seine Rolle im Verfassungsgefüge der Europäischen Union ausfüllt.

Als Grundlage dieser Arbeit sollen einerseits die einschlägige Literatur wie auch vor allem die Veröffentlichungen des EuRH selbst dienen. Tatsächlich beschäftigen sich zahlreiche Autoren mit den rechtlichen Voraussetzungen, die hinsichtlich des EuRH durch den europäischen Gesetzgeber getroffen wurden. Rechtliche Befugnisse sind zwar elementar zur effektiven Aufgabenwahrnehmung, entscheidend dürfte jedoch sein, inwieweit die rechtlichen Voraussetzungen nationalen Finanzkontrollstandards genügen und inwieweit sich die rechtlichen Festsetzungen bei der Aufgabenwahrnehmung in die Realität umsetzen lassen. Exemplarisch dürfte dafür einerseits die Unabhängigkeit der Mitglieder des EuRH sein. Hier lässt sich an keiner Stelle eine Analyse finden, die die Schwächen der europäischen Unabhängigkeitsregelungen konsequent aufdeckt, bewertet und diese auch einem Vergleich mit internationalen Finanzkontrollstandards unterzieht, um letztlich bewerten zu können, ob die Unabhängigkeit der Mitglieder des EuRH rechtlich und tatsächlich vollständig gewährleistet ist. Andererseits wird beispielsweise im Rahmen der Befugnisse immer wieder auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten verwiesen, wie sie mittlerweile in Art. 287 Abs. 3 AEUV geregelt ist. Offen bleibt jedoch die Frage, inwieweit eine solche in der Realität überhaupt besteht, was für eine Rolle sie für die Arbeit des EuRH spielt und inwiefern sich seit der Gründung des EuRH die Zusammenarbeit zwischen den Rechnungsprüfungsbehörden weiterentwickelt hat. Während die Literatur als Grundlage dient, sollen Einblicke inform von Gesprächen mit Mitgliedern des EuRH und nationaler Rechnungsprüfungsbehörden dazu dienen, die rechtlichen Voraussetzungen mit den tatsächlichen Gegebenheiten und Abläufen vergleichen zu können. Gezielte Gespräche mit Mitgliedern des EuRH sowie auch nationaler Rechnungshöfe und in diesen gewonnene Einblicke in den Prüfungsablauf des EuRH vor Ort sollen dazu dienen, die Rechtsstellung und die Befugnisse des EuRH näher zu beleuchten und damit über die Analysen der bisherigen Literatur hinauszugehen. Immer wieder wird sich in dieser Arbeit folglich in den Feststellungen auf Äußerungen und Eindrücke bezogen, die durch die geführten Gespräche und erhaltenen Einblicke im EuRH und in den Gesprächen mit Mitgliedern nationaler Rechnungsprüfungsbehörden gewonnen wurden. Eine ausdrückliche Nennung der Interviewpartner soll dabei nicht geschehen, vor allem auch um in den Gesprächen möglichst ←17 | 18→umfangreiche und ungefilterte Erkenntnisse zu gewinnen, die in dieser Arbeit genutzt werden sollen.

Der EuRH ist ein Organ, das sich über 40 Jahre seines Bestehens rechtlich und tatsächlich immens weiterentwickelt hat; eine Fortentwicklung, die sich in der sich stetig weiterentwickelnden Normierung der EU wiederspiegelt. Aufgrund des wachsenden Haushalts der EU ist davon auszugehen, dass der EuRH in der Zukunft eine große Bedeutung für die EU und die Transparenz der europäischen Mittelverwaltung einnehmen wird. Daher sollen in dieser Arbeit die Stärken und Schwächen der europäischen Finanzkontrolle beleuchtet werden und aufgezeigt werden, an welchen Stellen noch Weiterentwicklungsmöglichkeiten und Nachbesserungsbedarf besteht.

1. Externe Finanzkontrolle in der Europäischen Union

Der EuRH ist ein Organ, das erheblich weniger im Vordergrund europäischer Aufmerksamkeit steht als beispielsweise die Kommission oder das EuP. Daher gilt es im ersten Teil dieser Arbeit vor allem herauszuarbeiten, inwieweit sich die rechtliche und tatsächliche Bedeutung des EuRH im Laufe der letzten 40 Jahre verändert hat. Die Einnahmen und die Ausgaben der Europäischen Union beliefen sich im Jahr 2014 jeweils auf ungefähr 143 Milliarden Euro.15 Auch wenn das nur ungefähr 1 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung der Mitglieder der EU ausmacht,16 hat sich der Haushaltsrahmen der EU um ein Vielfaches vergrößert. Kurz nach Einführung des EuRH lagen die Einnahmen und Ausgaben der EU im Jahr 1978 jeweils bei umgerechnet ungefähr 12 Milliarden Euro.17 Die Zahlen lassen sich aufgrund der wachsenden Anzahl von Mitgliedstaaten und einer fortschreitenden europäischen Entwicklung nur eingeschränkt vergleichen, verdeutlichen jedoch, dass die Europäische Union einen stark gestiegenen und immer noch weiter steigenden Haushalt zu verwalten hat. Ein Großteil des Haushaltes fließt dabei in die Mitgliedstaaten zurück,18 um vor allem gezielt ←18 | 19→strukturschwächere Gebiete, die einheimische Wirtschaft, Forschung und Technologie in der Europäischen Union sowie natürliche Ressourcen zu fördern und alles in allem die Wettbewerbsfähigkeit Europas im internationalen Vergleich zu steigern.19 Vor 1977 wurde die externe Kontrolle20 europäischer Finanzen durch den Kontrollausschuss sowie den Rechnungsprüfer der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl ausgeübt.21 In den Mitgliedstaaten wurden die nationalen Rechnungshöfe tätig.22 Der EuRH wurde im Jahr 1975 gegründet,23 nachdem die Idee der Einrichtung eines übergeordneten Rechnungsprüfungsorgans bereits 1973 durch das Europäische Parlament eingebracht worden war.24 Der Haushalt der Europäischen Gemeinschaft begann sich zu dieser Zeit auf Eigeneinnahmen zu stützen25 und so war der Ruf nach einer eigenständigen, den nationalen Standards vergleichbaren Finanzkontrolle eine logische Folge. Der EuRH hatte zum Zeitpunkt seiner Gründung keine organschaftliche Stellung26 und kann wohl als erster Schritt zu einer intensiveren gemeinsamen europäischen Finanzkontrolle gedeutet werden. Die stetige Vergrößerung der finanziellen europäischen Ressourcen ließ den Ruf nach einer entsprechend qualifiziert ←19 | 20→ausgestalteten Finanzkontrolle lauter werden.27 Im Laufe der Jahre gewann der EuRH als Kontrollorgan zunehmend an Bedeutung. Dies führte im Jahr 1993 innerhalb des Vertrags von Maastricht dazu, dass der EuRH zu einem gleichberechtigten Organ der Union wurde.28 Diese rechtliche und politische Aufwertung wurde durch den Vertrag von Amsterdam weiter vertieft, indem die durch die organschaftliche Stellung des EuRH bereits implizierte Aktivlegitimation vor dem EuGH vertraglich niedergelegt wurde.29 Der EuRH war nun also auch vertraglich ermächtigt, Verfahren vor dem EuGH anzustrengen.

2. Grundprinzipien und Aufgaben des Europäischen Rechnungshofes

Der EuRH ist ein Organ, dessen Aufgaben sich grundlegend von denen anderer Organe unterscheiden. Er hat als Rechnungsprüfungsbehörde in der EU keinerlei eigene gestaltende Befugnisse.30 Er ist das unabhängige finanzielle Kontrollorgan der Europäischen Union, das vollumfänglich und unabhängig alle finanziellen Vorgänge, bei denen Geld der Gemeinschaft betroffen ist, systematisch kontrolliert und überprüft. Dabei ist der EuRH als unabhängiger Zuarbeiter des EuP tätig,31 das im Rahmen seiner Haushaltskontrollbefugnisse ohne die Stellungnahmen und Kontrollen des EuRH seinen Aufgaben gar nicht ausreichend nachkommen könnte. Gerade diese unabhängige Stellung des EuRH macht eine Einordnung in das Gewaltengefüge der EU schwer, schließlich handelt es sich beim EuRH weder um ein klassisches Legislativ-, noch ein Exekutivorgan und, auch wenn der Name es zumindest vermuten lassen könnte,32 ist der EuRH ebenso kein Judikativorgan.

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Schon auf mitgliedstaatlicher Ebene ergeben sich bei der Einordnung der Finanzkontrollorgane Probleme hinsichtlich einer eindeutigen Zuordnung.33 Die Einordnung von Rechnungshöfen war schon immer eine kontrovers geführte Diskussion, in der bis heute verschiedenste Einordnungen vertreten werden. Mit Blick auf die nationalen Rechnungsprüfungsbehörden in den einzelnen Mitgliedstaaten muss man feststellen, dass die nationalen Ausprägungen verschiedene Einordnungen der jeweiligen Rechnungsprüfungsbehörden zulassen. Teilweise sind die Rechnungshöfe in einigen Mitgliedstaaten als Teil der Judikative tätig.34 In anderen Mitgliedstaaten stellt sich dagegen eine eindeutige Zuordnung der Rechnungshöfe als schwierig heraus, da die Rechnungshöfe Aufgaben der Exekutive und Legislative vereinen.

In dieser Arbeit soll eine Einordnung des EuRH vorgenommen werden, die einerseits die Rechtsstellung des EuRH im Verhältnis zu den anderen Unionsorganen und andererseits auch das Verhältnis gegenüber nationalen Rechnungsprüfungsbehörden verdeutlicht. Im Vordergrund der dogmatischen Einordnung des EuRH soll vor allem eine funktionelle Betrachtung des EuRH stehen. Dabei sollen die Funktionen des EuRH im Organgefüge der EU herausgearbeitet werden, um die Funktion von Rechnungshöfen generell und die Funktion des EuRH innerhalb der EU in die Gewaltenteilungsstruktur einzuordnen. Die Frage, die sich diesbezüglich geradezu aufdrängt, ist, welche Funktion der EuRH innerhalb der EU einnimmt und wie sich diese im Laufe der Jahre verändert hat, sodass ihm beispielsweise eine organschaftliche Stellung zuerkannt worden ist? Darüber hinaus gibt eine funktionelle Einordnung Aufschluss über die Bedeutung der externen Finanzkontrolle innerhalb der EU, die diese im Laufe der Zeit gewonnen hat.

Daneben soll auch die Stellung des einzelnen Rechnungsprüfers in der EU untersucht werden. Im Zentrum der Regelungen in den Art. 285 ff. AEUV steht die Unabhängigkeit des EuRH und seiner Mitglieder, für die Mitglieder darüber hinaus konkretisiert in ihrer Weisungsunabhängigkeit und Inkompatibilität.35 ←21 | 22→In diesem Teil soll im Fokus stehen, inwieweit die Unabhängigkeit der einzelnen Rechnungsprüfer im Rahmen der rechtlichen Voraussetzungen umgesetzt werden konnte und auch den Anforderungen internationaler Rechnungsprüfungsstandards entspricht. Hierbei sollen vor allem noch bestehende Schwächen der Unabhängigkeit der Mitglieder des EuRH auf europäischer Ebene herausgearbeitet werden.

Konkret ist die Aufgabe des EuRH, dessen Mitglieder durch den Rat ernannt werden, die Überprüfung der Ausgaben und Einnahmen der Europäischen Union auf Rechtmäßigkeit, Ordnungsmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit. Das sind Begriffe, die den internationalen Standards der Rechnungsprüfung entsprechen.36 Zweck ist es, eine größtmögliche Transparenz des Unionshaushaltes für den einzelnen Unionsbürger zu schaffen und eine effektive Mittelverwendung zu gewährleisten.37

Die Unabhängigkeit der Mitglieder des EuRH stellt eine der zentralen Eigenschaften dar. Sie teilt sich nach der gesetzgeberischen Vorstellung in eine persönliche, sachliche und wirtschaftliche Unabhängigkeit.38 Verankert ist diese einerseits in Art. 285 Abs. 2 S. 2 AEUV und andererseits vertiefend in Art. 286 Abs. 3, Abs. 4 AEUV. Dabei dürfen Mitglieder des EuRH Weisungen einer Regierung oder einer anderen Stelle nicht entgegennehmen und darüber hinaus keiner entgeltlichen oder unentgeltlichen Tätigkeit neben der Rechnungshoftätigkeit nachgehen. Damit sollen jegliche Interessenskonflikte, die durch eine andere Tätigkeit hervorgerufen werden könnten, vermieden werden. Einzuordnen wäre diese Regelung als Ausgestaltung der persönlichen und sachlichen Unabhängigkeit. Generell ist dies natürlich insofern notwendig, als ein Kontrollorgan wie der EuRH nur dann effizient arbeiten kann, wenn dieser nicht Interessen anderer berücksichtigt und bereit ist andere Unionsorgane, Mitgliedstaaten und auch Private, die Unionsgelder erhalten, ausnahmslos zu kontrollieren. Auch nationale Rechnungshöfe nehmen ihre Aufgaben daher in vollständiger Unabhängigkeit wahr.39 Fraglich bleibt, inwieweit diese Unabhängigkeit abseits der bloßen Formulierung und der eher selbstverständlich erscheinenden Grundsätze aus Art. 286 AEUV tatsächlich gewährleistet werden kann und inwieweit der EuRH dabei an mitgliedstaatliche Standards anknüpft. Mögliche Defizite der ←22 | 23→Unabhängigkeit sollen im weiteren Verlauf noch eine Rolle spielen. Die Unabhängigkeit der Mitglieder des EuRH könnte beispielsweise durch eine Abhängigkeit vom Rat gefährdet sein. Schließlich werden die Mitglieder gemäß Art. 286 Abs. 2 AEUV des EuRH durch den Rat ernannt und auch eine Wiederernennung ist möglich.40 Hierin liegt nur ein Ansatz, der dazu geeignet erscheint, genau solche persönlichen Abhängigkeiten entstehen zu lassen, die durch die Vorschrift des Art. 286 AEUV gerade vermieden werden sollen. Es stellt sich dementsprechend die Frage, ob gewisse Defizite im Rahmen der Unabhängigkeit vielleicht auch hinzunehmen sind oder innerhalb der Befugnisse des EuRH keine entscheidende Rolle spielen, da eine unabhängige Finanzkontrolle trotzdem gewährleistet ist und daneben auch nationalen Standards entsprochen wird.

3. Prüfungsablauf des Europäischen Rechnungshofes

Des Weiteren soll der Prozess der Rechnungsprüfung und Finanzkontrolle durch den EuRH näher beleuchtet werden. Dabei stellt sich die Frage, in welcher Weise neben den Kontrollmöglichkeiten gegenüber anderen Unionsorganen und Institutionen auch die Mitgliedstaaten und insbesondere Private, die Unionsgelder erhalten, von der Kontrollmöglichkeit des EuRH erfasst und vor allem wie diese Befugnisse in der Realität umgesetzt werden. An dieser Stelle könnten sich einerseits Konkurrenzprobleme zwischen dem EuRH und den nationalen Rechnungshöfen ergeben und darüber hinaus die Mitgliedstaaten oder Private den Zugang zu erforderlichen Informationen und Unterlagen verweigern.41 In Art. 287 Abs. 3 UAbs. 1 S. 3 AEUV formuliert der Gesetzgeber, dass der EuRH und nationale Rechnungshöfe vertrauensvoll zusammenarbeiten sollen.42 Grundsätzlich können nationale Rechnungshöfe nach Art. 287 Abs. 3 UAbs. 1 S. 4 AEUV aber entscheiden, ob sie an einer Prüfung des EuRH teilnehmen wollen. Diese Formulierung erscheint als Kompromiss zugunsten der nationalen Rechnungshöfe unter Wahrung ihrer Unabhängigkeit gedacht, ←23 | 24→damit diese einerseits bei einer Prüfung im eigenen Zuständigkeitsbereich nicht übergangen werden können und keine Kompetenzverkürzung stattfindet und andererseits wiederum nicht verpflichtet sind, sich an der Prüfung des EuRH beteiligen zu müssen. Es stellt sich jedoch diesbezüglich die Frage, ob nicht möglicherweise umgekehrt sogar eine Mitwirkungspflicht der nationalen Rechnungshöfe zugunsten des EuRH besteht oder zumindest bestehen müsste, damit der EuRH seine Befugnisse vollumfänglich ausüben kann. Die Formulierung der vertrauensvollen Zusammenarbeit erscheint in diesem Zusammenhang unbestimmt und auslegungsbedürftig und es dürfte die Frage bleiben, welche Rolle die Zusammenarbeit der Rechnungshöfe in der europäischen Haushaltskontrolle tatsächlich spielt.

Fraglich ist, ob der EuRH in seiner Arbeit nicht von den nationalen Kontrollbehörden abhängig ist. Schließlich besteht für den EuRH zwar die Möglichkeit an Ort und Stelle und somit auch eigenständig zu kontrollieren, der Umfang einer solchen Kontrolle dürfte jedoch sehr zeit- und ressourcenaufwendig sein. Deutlich praxisrelevanter erscheint es demnach, dass der EuRH in mancher Angelegenheit die Möglichkeit wahrnimmt, sich relevante Unterlagen aushändigen zu lassen und diese nicht vor Ort zu kontrollieren. Dabei scheint es jedoch durchaus sinnvoll und notwendig, den Weg zu diesen Unterlagen über die nationalen Kontrollbehörden zu gehen und im Übrigen Kontrollergebnisse der nationalen Rechnungskontrollbehörden zu berücksichtigen und zu verwenden. Haben diese jedoch keine Mitwirkungspflicht, dann dürfte die Arbeit des EuRH zumindest erschwert sein, sollten diese ihre Mitarbeit verweigern. Zudem würde sich nachfolgend die Frage stellen, inwieweit der EuRH seine Befugnisse gegenüber den Mitgliedstaaten geltend machen kann, schließlich besteht die Möglichkeit eines Vertragsverletzungsverfahrens nur seitens der Kommission.43 Zuletzt stellt sich die Frage, ob der EuRH überhaupt eine Möglichkeit hat, sich gegen eine Verweigerungshaltung beispielsweise von privaten Adressaten einer Kontrolle zu wehren? Die rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen der Durchsetzung seiner Zugangsbefugnisse erscheinen unter dieser Maßgabe problematisch. Ist die fehlende Aktivlegitimation im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens ein Versäumnis der Europäischen Union bei der Entwicklung des gesetzlichen Grundgerüstes des EuRH? Ist diese Abhängigkeit zur Kommission umgekehrt nicht wieder problematisch für die generelle Gewährleistung der Unabhängigkeit des EuRH?

Details

Seiten
192
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631805855
ISBN (ePUB)
9783631805862
ISBN (MOBI)
9783631805879
ISBN (Paperback)
9783631803592
DOI
10.3726/b16455
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (November)
Schlagworte
Finanzkontrolle Rechtsstellung Prüfungstätigkeit Prüfungsergebnisse Rechtsschutzmöglichkeiten Prüfungsbefugnisse
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020., 192 S., 1 Tab.

Biographische Angaben

Karsten-Kristian Heudtlaß (Autor:in)

Karsten-Kristian Heudtlaß studierte an der Universität Hamburg sowie an der Karls-Universität Prag Rechtswissenschaft mit Schwerpunkt im Europa- und Völkerrecht. Diese Publikation verfasste er nach Abschluss seines Studiums an der Universität Hamburg am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Europarecht von Prof. Dr. Armin Hatje.

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