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Aktionärsklagen

Ungeschriebene Rechtsschutzmöglichkeiten des Aktionärs gegen Maßnahmen der Verwaltungsorgane

von Robert Vollrath (Autor:in)
©2020 Dissertation 320 Seiten

Zusammenfassung

Seit der Holzmüller-Entscheidung 1982 sind ungeschriebene Rechtsschutzmöglichkeiten des Aktionärs gegen Maßnahmen der Verwaltungsorgane immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen. Der Autor arbeitet die Rechtsposition des Aktionärs sowie seine Stellung im Kompetenz- und Kontrollsystem der Aktiengesellschaft heraus. Anhand der Ergebnisse zeigt er auf, dass zur Begründung des notwendigen Rechtsschutzes entgegen der herrschenden Auffassung nicht auf die Mitgliedschaft zurückgegriffen werden muss. Deren unzureichender Schutz ist vielmehr erst die Folge einzelner Lücken im Aktiengesetz. Abgerundet wird die Untersuchung mit Ausführungen zur Bedeutung und den Voraussetzungen des einstweiligen Rechtsschutzes, zu materiell- und prozessrechtlichen Einzelheiten sowie einem Reformvorschlag.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Abkürzungsverzeichnis
  • 1. Teil: Einleitung
  • A. Einführung und Ziel der Untersuchung
  • B. Systematischer Überblick der Klageoptionen eines Aktionärs aus eigenem Recht
  • C. Terminologie
  • I. „Abwehrklage“
  • II. „Aktionärsklage“
  • III. „Aktionärsklage“ im hier verwendeten Sinne
  • D. Thematische Eingrenzung
  • I. Klagen aus eigenem Recht
  • II. Klagen aus fremdem Recht und actio pro socio
  • III. Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenzen
  • E. Gang der Untersuchung
  • 2. Teil: Die Entwicklung der Aktionärsklage in Rechtsprechung und Literatur
  • A. Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Aktionärsklage
  • I. Die Rechtsprechung vor dem BGH
  • II. Die BGH-Rechtsprechung
  • 1. „Holzmüller“
  • 2. „Siemens/Nold“
  • 3. „Mangusta/Commerzbank“
  • 4. Fazit
  • III. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte
  • B. Die Entwicklung der Literatur zur Aktionärsklage
  • I. Anstoß durch Knobbe-Keuk
  • II. Folgen der Holzmüller-Entscheidung
  • 1. Brondics – Die Aktionärsklage147
  • 2. Schulz-Gardyan – Die sogenannte Aktionärsklage161
  • III. Der 63. Deutsche Juristentag
  • 1. Das Gutachten von Baums
  • 2. Das Referat von K. Schmidt
  • 3. Die Abstimmung
  • 4. Würdigung
  • IV. Die grenzenlose Aktionärsklage
  • V. Nach dem 63. DJT
  • VI. Fazit
  • 3. Teil: Das Bedürfnis nach ungeschriebenem Rechtsschutz
  • A. Die Mitgliedschaft
  • I. Die Mitgliedschaft als Bündel von Einzelrechten und -pflichten
  • II. Die Mitgliedschaft als ein Recht
  • 1. Eigenständigkeit der Mitgliedschaft und Nähe zum Eigentum
  • 2. Die Mitgliedschaft als subjektives Recht
  • a. Was ist ein subjektives Recht?
  • b. Einordnung der Mitgliedschaft als subjektives Recht
  • 3. Die Mitgliedschaft als „sonstiges Recht“ i. S. v. § 823 I BGB
  • a. Folge der Eigenständigkeit der Mitgliedschaft
  • b. Die Mitgliedschaft als absolutes Recht
  • III. Fazit und Angreifbarkeit der Qualifizierung der Mitgliedschaft als subjektives Recht
  • 1. Doppelnatur der Mitgliedschaft
  • 2. Verhältnis zwischen Eigenständigkeit der Mitgliedschaft und Charakterisierung als ein subjektives Recht
  • B. Unzureichender Schutz der Mitgliedschaft
  • C. Kritik
  • D. Zwischenergebnis
  • 4. Teil: Grundsatz der restriktiven Handhabung von Aktionärsklagen
  • A. Kompetenzsystem
  • I. Vorstand
  • II. Aufsichtsrat
  • III. Hauptversammlung
  • IV. Fazit
  • V. Stellung des einzelnen Aktionärs im Kompetenzsystem
  • B. Kontrollsystem
  • I. Kontrolle des Vorstands
  • 1. Durch den Aufsichtsrat, § 111 I AktG
  • 2. Durch die Hauptversammlung
  • a. Entlastung, § 120 AktG
  • b. Erzwingung von Schadensersatz und Bestellung von Sonderprüfern, §§ 147, 142 AktG
  • II. Kontrolle des Aufsichtsrats
  • 1. Durch die Hauptversammlung
  • 2. Durch den Vorstand, § 93 III Nr. 7 AktG
  • III. Kontrolle der Hauptversammlung
  • 1. Durch Beschlussmängelklagen im Allgemeinen
  • 2. Durch Anfechtung eines Entlastungsbeschlusses
  • a. Meinungsstand zur Billigung i. S. v. § 120 II 1 AktG
  • b. Stellungnahme
  • c. Fazit
  • IV. Kontrolle innerhalb der Organe
  • V. Stellung des Aktionärs im Kontrollsystem
  • 1. Aktionärskontrolle in der Hauptversammlung und Einzelkontrolle
  • 2. Einschränkung der Einzelkontrolle durch die Treuepflicht
  • C. Folge der restriktiven Handhabung von Aktionärsklagen
  • 5. Teil: Die Lücken im Aktionärsrechtsschutz und deren Schließung
  • A. Allgemeine Lücke bei der Verwaltungskontrolle und der allgemeine Anspruch des Aktionärs auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten
  • I. Allgemeiner Anspruch des Aktionärs auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten der Verwaltungsorgane nach Paefgen und Becker
  • II. Allgemeiner Anspruch des Aktionärs auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten der Verwaltungsorgane nach Knobbe-Keuk
  • III. Folgen eines allgemeinen Anspruchs des Aktionärs auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten der Verwaltungsorgane
  • IV. ROHG-Rechtsprechung als Argument für einen allgemeinen Anspruch
  • V. Der allgemeine Anspruch im Kompetenz- und Kontrollsystem
  • 1. Kompetenzsystem
  • a. Kompetenzkonflikt
  • b. Vermeidung des Kompetenzkonflikts durch Einschränkung der Klagbarkeit
  • 2. Kontrollsystem
  • VI. Unterschied zum US-amerikanischen Kontrollsystem
  • VII. Der allgemeine Anspruch und quorumsabhängige Rechte
  • 1. Einberufung der Hauptversammlung auf Verlangen einer Minderheit, § 122 AktG
  • 2. Geltendmachung von Schadensersatz, § 148 I 1 AktG
  • 3. Feststellungen der Sonderprüfer zur Unterbewertung im Jahresabschluss, § 260 AktG
  • 4. Gerichtliche Bestellung von Abwicklern, § 265 III AktG
  • 5. Fazit
  • VIII. Vergleich zum öffentlichen Recht
  • IX. Missbrauchsgefahr
  • 1. Missbrauch durch räuberische Aktionäre
  • 2. Missbrauch durch Publizität in Gerichtsverfahren
  • 3. Fazit
  • X. Hemmung der Entscheidungsfreude
  • XI. Aktionärskontrolle und Achtung des Gemeinwohls durch die Gesellschaft
  • XII. Ergebnis zur allgemeinen Lücke bei der Verwaltungskontrolle und zum allgemeinen Anspruch auf gesetz- und satzungsmäßiges Verhalten
  • B. Lücke im Kontrollsystem und das Recht auf Wahrung der Hauptversammlungskompetenzen
  • I. Lücke im Kontrollsystem
  • 1. Lücke – Wer kontrolliert die ordnungsgemäße Beteiligung der Hauptversammlung?
  • 2. Aufsicht durch den Aufsichtsrat – Ersatzaufsichtsrecht des Aktionärs?
  • 3. Keine Lücke wegen der Regelungsdichte des AktG?
  • 4. Zwischenergebnis
  • II. Schließung der Lücke im Kontrollsystem durch das Recht auf Wahrung von Hauptversammlungskompetenzen
  • 1. Das Recht auf Wahrung der Hauptversammlungskompetenzen
  • 2. Der Anspruch auf Unterlassung und Beseitigung der Verletzung des Rechts auf Wahrung der Hauptversammlungskompetenzen
  • a. Keine Einschränkung des Beseitigungsanspruchs
  • b. Ausschluss der Nachholung eines Hauptversammlungsbeschlusses gem. § 93 IV 3 AktG
  • c. Ausschluss des Beseitigungsanspruchs wegen Unmöglichkeit
  • 3. Verschuldensunabhängigkeit des Anspruchs
  • 4. Dogmatische Herleitung
  • a. Deliktische Ansätze
  • aa. § 823 I BGB gegen die Mitglieder der Verwaltungsorgane
  • bb. § 823 I BGB und § 1004 BGB gegen den Verband
  • b. Gesellschaftsrechtliche Ansätze
  • c. Stellungnahme und Kritik am Anknüpfungspunkt Mitgliedschaft
  • aa. Zu den deliktischen Ansätzen
  • (1) Abgrenzung § 823 I zu § 1004 I 1 BGB
  • (2) Geeignetheit des § 1004 BGB bei Verletzung des Rechts auf Wahrung der Hauptversammlungskompetenzen
  • (3) Innergesellschaftlicher deliktischer Schutz der Mitgliedschaft
  • bb. Zu den gesellschaftsrechtlichen Ansätzen
  • (1) Unterschiede aus der Doppelnatur der Mitgliedschaft
  • (2) Pflichtverletzung der Aktiengesellschaft im Rechtsverhältnis Mitgliedschaft
  • (3) Eingriff in das subjektive Recht Mitgliedschaft
  • cc. Zwischenergebnis
  • d. Herleitung aus der Gesamtschau von §§ 119, 245 AktG
  • aa. Auslegung von § 119 AktG
  • (1) Wortlaut von § 119 AktG
  • (2) Regelungszusammenhang von § 119 AktG
  • (3) Normzweck von § 119 AktG
  • (4) Normgeschichte von § 119 AktG
  • (5) Fazit
  • bb. Anfechtungsrecht und § 245 AktG
  • cc. Gesamtschau von § 119 und § 245 AktG
  • e. Gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung
  • 5. § 118 I AktG und das Recht auf Wahrung der Hauptversammlungskompetenzen
  • 6. Bedenken wegen fehlendem Individualrecht auf Einberufung der Hauptversammlung
  • 7. Bedenken wegen fehlendem Individualrecht auf Ergänzung der Tagesordnung
  • 8. Ergebnis zum Recht auf Wahrung der Hauptversammlungskompetenzen
  • III. Lücke bei der Befolgung eines Urteils einer Beschlussmängelklage
  • IV. Lücke bei der Durchführung eines Hauptversammlungsbeschlusses
  • V. Zwischenergebnis
  • C. Weitere Lücken bei Aktionärsrechten und der Anspruch auf Achtung der Mitgliedschaftsrechte des Aktionärs durch die Verwaltungsorgane
  • I. Sperrwirkung durch Beschlussmängelklagen
  • 1. Lücke und Rechtsschutz beim Recht auf Teilnahme an der Hauptversammlung
  • a. Interessenlage am Beispiel des Rechts auf Zugang zur Hauptversammlung
  • b. Interessenlage am Beispiel des Rederechts
  • c. Lücke wegen des Fehlens einer interessengerechten Rechtsschutzmöglichkeit
  • d. Ausdehnung der Aktionärsklagen durch interessengerechte Rechtsschutzmöglichkeit
  • 2. Lücke und Rechtsschutz beim Stimmrecht
  • 3. Ergebnis zur Sperrwirkung und Folge für den Grundsatz der restriktiven Handhabung von Aktionärsklagen
  • II. Lücke bei dem Schutz des Bezugsrechts
  • 1. Rechtswidrige Ausnutzung eines genehmigten Kapitals mit Bezugsrechtsausschluss
  • a. Rechtsschutzlücke
  • b. Schutz des Bezugsrechts und Verletzung der Hauptversammlungskompetenzen
  • c. Fazit
  • 2. Durchsetzung des Bezugsrechts
  • III. Lücke bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 53a AktG
  • 1. Zwei Stufen zur Beurteilung des Rechtsschutzes bei Verstößen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
  • a. Differenzierung hinsichtlich der bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten (1. Stufe)
  • b. Differenzierung hinsichtlich der Struktur eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (2. Stufe)
  • 2. Anwendungsbereich eines die Aktionärsklage rechtfertigenden Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs aus § 53a AktG
  • 3. § 53a AktG im Kompetenzsystem
  • a. Unterlassungsanspruch gegen einen drohenden Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
  • b. Beseitigungsanspruch wegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
  • 4. Schlussfolgerung und Ergebnis
  • IV. Lücke bei Verstößen gegen § 57 AktG
  • 1. Gesetzliche Rechtsschutzmöglichkeiten
  • 2. Ergänzender Rechtsschutz durch Aktionärsklage?
  • 3. Ergebnis
  • V. Beschränkung der Aktionärsklage infolge der Voraussetzungen ungeschriebener Hauptversammlungskompetenzen
  • VI. Ergebnis
  • D. Systematisierung der Fälle der Aktionärsklage
  • I. Aktionärsklagen im sachlichen Anwendungsbereich der Beschlussmängelklagen
  • II. Aktionärsklagen außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Beschlussmängelklagen
  • 1. Verletzung der Hauptversammlungskompetenzen
  • 2. Durchsetzung von Vermögensrechten
  • 6. Teil: Klagearten der Aktionärsklage
  • A. Die Aktionärsklage als Gestaltungsklage – Möglichkeit einer Analogie
  • I. Meinungsstand
  • II. Vergleichbare Interessenlage
  • III. Planwidrige Regelungslücke
  • IV. Ergebnis und Folgen
  • B. Die Aktionärsklage als Feststellungsklage
  • I. Analogie zur Nichtigkeitsklage gem. § 249 AktG
  • II. Allgemeine Feststellungsklage gem. § 256 ZPO
  • 1. Rechtsverhältnis
  • a. Feststellung eines Drittrechtsverhältnisses im Allgemeinen
  • b. Feststellung eines Drittrechtsverhältnisses im Verbandsrecht der Aktiengesellschaft
  • c. Ergebnis zum Rechtsverhältnis
  • 2. Feststellungsinteresse
  • a. Gefährdung
  • b. Eignung
  • III. Ergebnis
  • C. Einstweiliger Rechtsschutz
  • I. Verfügungsanspruch
  • II. Verfügungsgrund
  • 1. Dringlichkeit
  • a. Objektive Gefahr für spätere Rechtsdurchsetzung
  • b. Zeitmoment
  • 2. Interessenabwägung
  • a. Prognose über den Ausgang des Hauptsacheverfahrens
  • b. Betroffenheit der Parteien
  • 3. Vorwegnahme der Hauptsache
  • 4. Gerichtliche Prüfung des Verfügungsgrunds
  • III. Glaubhaftmachung
  • 7. Teil: Materiell- und prozessrechtliche Einzelheiten
  • A. Die AG als richtige Beklagte
  • B. Verteilung der Beweislast
  • C. Klagebefugnis des Aktionärs
  • D. Zeitliche Begrenzung
  • I. Anknüpfung an Kenntnisnahme und Kennenmüssen
  • II. Frist(en) oder Verwirkung
  • III. Prozessuale oder materiell-rechtliche Frist
  • IV. Zeitliche Begrenzung der Aktionärsklage in Gestalt einer Feststellungsklage
  • V. Fazit zur zeitlichen Begrenzung der Aktionärsklage
  • E. Urteilswirkung
  • F. Streitwert
  • G. Analogien zu weiteren Modalitäten der Anfechtungsklage und zuständiges Gericht
  • 8. Teil: Zusammenfassung
  • A. Ergebnisse der Untersuchung
  • B. Empfiehlt sich eine gesetzliche Regelung?
  • Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

←22 | 23→

1. Teil: Einleitung

A. Einführung und Ziel der Untersuchung

Die vorliegende Untersuchung handelt von ungeschriebenen Rechtsschutzmöglichkeiten des Aktionärs gegen Maßnahmen der Verwaltungsorgane, kurz gesagt: Aktionärsklagen.

In das Blickfeld der mit dem Aktienrecht befassten Juristen gelang die Aktionärsklage vor allem durch die berühmte und viel zitierte Holzmüller-Entscheidung1. In dieser hatte sich der BGH infolge einer Ausgliederung eines Unternehmensteils aus der – noch heute existierenden – J. F. Müller & Sohn AG erstmals mit einer Aktionärsklage zu befassen und befürwortete eine solche Rechtsschutzmöglichkeit. Die Entscheidung löste eine ganze Welle an rechtswissenschaftlichen Reaktionen aus. Die Thematik der Aktionärsklagen stand dabei zunächst weniger im Vordergrund. Größere Aufmerksamkeit wurde den ungeschriebenen Hauptversammlungskompetenzen gewidmet. Marcus Lutter brandmarkte diese Gewichtung nicht ganz zu Unrecht als Fehler2. Unterdessen wird dieser als bereinigt gelten dürfen.

Auf dem 63. Deutschen Juristentag (DJT) im Jahr 2000 hat Karsten Schmidt festgestellt, dass die nach der Holzmüller-Entscheidung erwartete Flut von klagenden Aktionären ausgeblieben ist3. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Aktionärsklagen bilden nach wie vor eine Ausnahme. Daraus sollte aber nicht auf ihre rechtspolitische Bedeutungslosigkeit geschlossen werden4. Einerseits ist mit über 4,5 Millionen Aktionären5, die auf ca. 16.300 Aktiengesellschaften verteilt sind6, durchaus ein latentes Potential vorhanden. Andererseits zerbrechen sich Vorstände, Rechtsabteilungen und Anwälte in der Praxis ihre Köpfe über Kompetenzgrenzen und mögliche Rechtsbehelfe von Aktionären7. An diesen ←23 | 24→Umständen ist auch das Bedürfnis nach Rechtssicherheit zu messen. Zudem ist der Minderheitenschutz ein Aspekt, dem die Aktionärsklage dienen kann8. Mehrheitsaktionäre haben nicht selten Aufsichtsratsämter inne oder besitzen allein aufgrund ihres Stimmgewichtes einen starken Einfluss auf den Vorstand. Ist der Vorstand für diesen Einfluss empfänglich, kann es zu fremdmotivierten Kompetenzüberschreitungen und Verletzungen von Aktionärsrechten kommen9.

Wird die Materie der Aktionärsklage angeschnitten, sehen sich alle Beteiligten häufig mit Ungewissheiten konfrontiert. Eine gesetzliche Regelung ist nicht vorhanden und die höchstrichterliche Rechtsprechung hilft nur in Teilen weiter. Es gibt Aktionärsklagen, soviel ist sicher10 – wann und unter welchen Umständen es sie gibt, ist allerdings fraglich. Die Ansichten zur Reichweite der Aktionärsklagen reichen von dessen Ablehnung11 bis hin zu einer grenzenlosen Klage, mit der ein Aktionär die Einhaltung von Gesetz und Satzung erzwingen kann12. Zur Begründung des Rechts, welches den Aktionär zur Erhebung einer Klage berechtigt, wird vorwiegend auf die Mitgliedschaft zurückgegriffen13. Andererseits wird auf gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung abgestellt14.

Den mitgliedschaftlichen Ansatz wählte auch Klaus Brondics, der als Erster eine ausführliche Monografie zur Aktionärsklage vorlegte15. Wenige Jahre später folgte die Dissertation von Olaf Schulz-Gardyan, mit der dieser Ansatz und überdies eine Aktionärsklage à la Holzmüller abgelehnt wurde16. Beide Arbeiten sowie andere Untersuchungen17, die sich mitunter den Aktionärsklagen widmen, haben folgende Schwachstelle: Die Rechtsposition des Aktionärs in der ←24 | 25→AG sowie in deren Kompetenz- und Kontrollsystem wird nicht deutlich genug herausgearbeitet, bevor zu der Frage Stellung genommen wird, inwieweit man dem einzelnen Aktionär eine Einflussnahme auf die AG erlauben will oder muss. Die vorliegende Untersuchung soll zur Beseitigung dieses Defizits beitragen. Es gilt – wie auch überall sonst – einen Weg zu finden, der Rechtsmissbrauch ausschließt und dennoch Rechtsgebrauch zulässt18. Dieser Beitrag versucht die materiell-rechtlichen Grundlagen der Aktionärsklage zu analysieren und die Optionen für eine angemessene Beschränkung solcher Rechtsschutzmöglichkeiten abzustecken.

B. Systematischer Überblick der Klageoptionen eines Aktionärs aus eigenem Recht

Die einem Aktionär aus eigenem Recht gegebenenfalls zustehenden Klagemöglichkeiten sind zunächst in die drei Klagearten des Zivilprozessrechts19 zu untergliedern: Die Leistungsklage20, die Gestaltungsklage und die Feststellungsklage21.

Mit diesen drei Klagearten könnten grds. verschiedene Maßnahmen angegriffen werden: Hauptversammlungsbeschlüsse, Beschlüsse der Verwaltung und Ausführungshandlungen der Verwaltung22.

Das Aktiengesetz regelt nur einen Teil dieser Klageoptionen. Von Bedeutung ist insbesondere der siebente Teil des aktienrechtlichen Regelwerks und die darin statuierten Klagen gegen fehlerhafte Hauptversammlungsbeschlüsse (§§ 241 ff. AktG). Hinzukommen einzelne Sonderfälle, wie Klagen des Aktionärs auf Feststellung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 98 I, II Nr. 3 AktG) oder die Klage auf Nichtigerklärung der Gesellschaft (§§ 275 ff. AktG). Die für Hauptversammlungsbeschlüsse geregelten Klagemöglichkeiten werden in Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen unterteilt, sie haben jedoch den gleichen Gegenstand und das gleiche Ziel23. Gegenstand ist ein Hauptversammlungsbeschluss. Ziel ist die gegenüber jedermann wirkende Unwirksamkeit24.

←25 | 26→

Alle übrigen anerkannten Klagemöglichkeiten haben sich in der Literatur und der Rechtsprechung entwickelt25, wobei diese Entwicklung von einer wechselseitigen Einflussnahme geprägt ist26. Die Möglichkeit solcher Rechtsbehelfe ist inzwischen gefestigte Rechtsprechung27, gleichwohl wird deren „Zulässigkeit“28 im Hinblick auf das aktienrechtliche System oft stiefmütterlich behandelt. Das wird schon an schwammigen Bezeichnungen wie „sogenannte Aktionärsklage“29 oder „Abwehrklage“30 deutlich.

C. Terminologie

Die Begriffe „Aktionärsklage“ und „Abwehrklage“ sollen einige dieser eben aufgezeigten Klagemöglichkeiten betiteln oder zusammenfassen. Was die einzelnen Begriffe aber umfassen und was nicht, wird von der Literatur31 und der Rechtsprechung32 unterschiedlich verstanden. Häufig werden sie auch synonym ←26 | 27→gebraucht. Hinzu kommt, dass Begriffe wie „Beseitigungsklage“33 oder „Ausführungsunterlassungsklage“34 in diesem Zusammenhang verwendet werden.

All diese begrifflichen Unterschiede können zu Missverständnissen führen. Die verschiedenen Klagearten haben unterschiedliche Zulässigkeitsvoraussetzungen und sind auf verschiedene Ziele gerichtet (Leistungs-/Unterlassungsurteil, Gestaltung oder Feststellung eines Rechtsverhältnisses)35. Das begriffliche Durcheinander verleitet auch dazu, pauschale und undifferenzierte Aussagen über die verschiedenen Klagen zu treffen36.

Diese Probleme lassen sich bedauerlicherweise kaum vermeiden, da es im Kern um materiell-rechtliche Fragen geht37, die mit dem prozessualen Teilterminus „Klage“ überschrieben werden. Häufig erschließt sich aber aus dem Kontext, was genau bezeichnet werden soll. Allenfalls eine gesetzliche Normierung könnte hier Abhilfe schaffen.

I. „Abwehrklage“

Der Begriff der Abwehrklage verdeutlicht, dass es sich um Rechtsschutz zur Abwehr handelt. Er lässt allerdings keinen Schluss auf konkrete Klagearten zu oder die davon umfassten materiell-rechtlichen Sachverhalte. Aus ihm geht noch nicht einmal hervor, dass lediglich Klagemöglichkeiten des Aktionärs umschrieben werden sollen.

Entscheidend für das Verständnis dieses Begriffs ist zunächst der Bezugspunkt für die „Abwehr“. Abgewehrt werden soll ein Eingriff in die Rechte des Aktionärs38. Der Bezugspunkt wäre demnach der Eingriff. Da die Ursache für einen Eingriff immer in einer Handlung zu suchen ist, kann der Bezugspunkt ←27 | 28→weiter konkretisiert werden. Der Aktionär soll mit der „Abwehrklage“ rechtswidrige Handlungen abwehren können, die in seine Rechte eingreifen39.

Auf den zweiten Blick scheint der Begriff der „Abwehrklage“ allerdings nah an einem Pleonasmus zu liegen. Allgemein betrachtet dient eine Klage bekanntlich immer der Abwehr: Mit ihr soll die Durchsetzung und der Schutz von Rechten erreicht werden. Handlungen, die rechtswidrige Eingriffe zur Folge haben, gilt es abzuwehren. Ferner dienen auch Feststellungsklagen der Abwehr, denn sie richten sich auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses und damit auf die vorsorgliche Abwehr von drohenden Rechtsverletzungen. Der Begriff der Abwehrklage ist insofern unvorteilhaft und deshalb zu vermeiden.

II. „Aktionärsklage“

Der Begriff der „Aktionärsklage“ ist etwas präziser. Er verdeutlicht immerhin, dass es sich um ein Rechtsschutzinstrument des Aktionärs handelt. Er umfasst begrifflich allerdings sämtliche Klagemöglichkeiten eines Aktionärs.

Er wird daher einerseits gebraucht, um Klagemöglichkeiten des Aktionärs aus eigenem Recht zu umschreiben. Hierunter fallen zunächst die gesetzlich geregelten Beschlussmängelklagen (§§ 241 ff. AktG). Außerdem werden Sonderfälle wie die Klage des Aktionärs auf Feststellung der Zusammensetzung des Aufsichtsrats (§ 98 I, II Nr. 3 AktG) oder die von der Rechtsprechung in Anlehnung daran entwickelte Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Bestellung eines nach § 101 II AktG entsendeten Aufsichtsratsmitglieds40 erfasst41. Darüber hinaus zählen auch die gesetzlich nicht geregelten Klagemöglichkeiten der Aktionäre aus eigenem Recht gegen Maßnahmen der Verwaltungsorgane zu den Aktionärsklagen, die den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung bilden werden. Für diese letztgenannten Klagen wird der Begriff „Aktionärsklage“ zum Teil mit dem Zusatz „eigentliche“42 oder „sogenannte“43 versehen.

Details

Seiten
320
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783631812532
ISBN (ePUB)
9783631812549
ISBN (MOBI)
9783631812556
ISBN (Paperback)
9783631804889
DOI
10.3726/b16566
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (Februar)
Schlagworte
Mitgliedschaft Kompetenzsystem Kontrollsystem Rechtsschutzlücke Hauptversammlungskompetenzen Beschlussmängelklage Feststellungsklage Eilrechtsschutz Bezugsrecht Gleichbehandlungsgrundsatz
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 320 S., 1 s/w Abb., 1 Tab.

Biographische Angaben

Robert Vollrath (Autor:in)

Robert Vollrath studierte Rechtswissenschaften an der Universität Leipzig, wo auch seine Promotion erfolgte. Nach dem Referendariat trat er in den höheren Justizdienst des Freistaats Sachsen ein.

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