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Schreibwissenschaft methodisch

von Carmen Heine (Band-Herausgeber:in) Dagmar Knorr (Band-Herausgeber:in)
©2021 Sammelband 270 Seiten

Zusammenfassung

»Schreibwissenschaft methodisch« beleuchtet die Methodenvielfalt der Schreibwissenschaft und zeigt bestehende Forschungslücken auf. Im Zentrum stehen die Verfahren, mit denen in unterschiedlichen Bereichen und aus verschiedenen Perspektiven systematisch Erkenntnisse über den Gegenstand »Schreiben« gewonnen werden können. Hierzu gehören unter anderem Key-Stroke-Logging, korpuslinguistische Analyse, Lautes Denken, Screen-Capturing und Videographie. Die Anforderungen von Forschungen im Bereich des Real-Life-Writing werden ebenso diskutiert wie die Notwendigkeit der Datentriangulation und der Nachnutzung von Daten. Hinzu kommt der Bereich der Textfeedback-Forschung, in dem nach Möglichkeiten des strukturierten Gebens von Feedback und den Effekten von Feedback gefragt wird.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Forschungslinien und Methoden in der Schreibwissenschaft (Dagmar Knorr und Carmen Heine)
  • Einblicke und Perspektiven
  • Anfänge der Schreibforschung im deutschsprachigen Raum (Gerd Antos)
  • Methodentriangulation bei der Erforschung von fremdsprachlichen Schreibprozessen (Marlene Aufgebauer)
  • Nachnutzen und nachnutzen lassen: Datenaufbereitung im Rampenlicht (Melanie Andresen)
  • Anwendungen
  • Schreibprozesse im Real Life Writing explorativ erforschen (Sabine Dengscherz)
  • Grundlagen und Perspektiven einer korpusgeleiteten Schreibwissenschaft (Sarah Brommer)
  • Das FöBesS-Beurteilungsraster Schritte der Entwicklung (Marlen Fies und Claudia Spanier)
  • Wissenschaftliche Textkompetenz von Schülerinnen und Schülern messen. Konstruktion und Evaluation eines holistisch-analytischen Ratingverfahrens (Muhammed Akbulut, Christopher Ebner und Sabine Schmölzer-Eibinger)
  • Textfeedback
  • Das Textkompetenzentwicklungsraster (TeKoER) zur Messung der Qualität akademischer Texte (Nora Hoffmann und Anna Tilmans)
  • Der Effekt von direktiven und nicht-direktiven schriftlichen Feedbackkommentaren von Schreibberaterinnen auf Texte von EFL-Studierenden (Günther Sigott, Melanie Fleischhacker, Stephanie Sihler, Hermann Cesnik)
  • Korrektives Feedback beim wissenschaftlichen Arbeiten in einer L2. Ein Forschungsdesign mit Videographie und VLE (Gayeon Choi)
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Dagmar Knorr und Carmen Heine

Forschungslinien und Methoden in der Schreibwissenschaft

Die Schreibwissenschaft ist dabei, sich als eigenständiges interdisziplinäres Forschungsfeld zu etablieren (Huemer et al. 2021). Dieser Erfolg ist Ergebnis einer mehr als 30-jährigen Forschungsgeschichte, die sich entlang der in der Schreibwissenschaft untersuchten Fragestellungen und den verwendeten Forschungsmethoden entwickelt hat. Hierbei sind verschiedene Trends1 zu beobachten, die einerseits in der Ausdifferenzierung der Methoden (cf. für einen Überblick Prior/Thorne 2014), andererseits auch in der Terminologie sichtbar werden.

Diese Trends blicken aus unterschiedlicher Perspektive auf:

  • den Text,
  • die schreibende Person,
  • den Kontext, in dem die schreibende Person agiert.

Damit verbunden sind Forschungslinien und Paradigmen, die die Methoden der Schreibwissenschaft prägen:

  • die Textanalyse – vor allem die genre studies und – für den deutschsprachigen Raum – der Ansatz der Funktionalen Pragmatik,
  • die kognitiv orientierte Schreib(prozess)forschung und das Problemlöse-Paradigma,
  • die real-life Schreibforschung und dem Paradigma des Handelns als sozialen Praktik.

Die Motivation innerhalb dieser Forschungslinien ist sehr häufig eine didaktische: Die Prozesse und Prinzipien des Schreibens sollen verstanden werden, um sie lehrbar zu machen. Die literacy-Forschung im US-amerikanischen Raum hat ihren Ursprung in der literacy-crisis (cf. Prior/Thorne 2014: 31) – in der deutschsprachige Schreibwissenschaft fließen ←9 | 10→Forschungen aus den Bereichen Angewandten Linguistik, der Psychologie, der Kultur- und Sozialwissenschaften, der Erziehungswissenschaft und (Fremd-)Sprachendidaktik zusammen (cf. Becker-Mrotzek et al. 2017; Brinkschulte et al. 2021). Die Bildung eines eigenen schreibwissenschaftlichen Paradigmas ist noch nicht abgeschlossen. Hinzu kommt im deutschsprachigen Raum noch eine vierte Forschungslinie, die die didaktische Perspektive auf das Schreiben bei Erwachsenen fokussiert:

  • die prozessorientierte Schreibdidaktik und das Paradigma der nicht-direktiven Beratung.

Diese vier Forschungslinien sollen im Folgenden kurz vorgestellt und im Hinblick auf die verwendeten Methoden charakterisiert werden.

Der Text ist und bleibt Gegenstand schreibwissenschaftlicher Forschung. Die Methoden der Textanalyse sind vielfältig. Die deutschsprachige schreibwissenschaftliche Forschung nutzt Erkenntnisse aus den Genre-Studies (cf. Hyland 2015; Swales 1990) ebenso wie die, die sich auf der Basis funktionalpragmatischer Analysen ergeben (cf. Ehlich 2007). Methoden der Korpuslinguistik werden zunehmend eingesetzt, um mit maschinellen Verfahren zu Erkenntnissen zu gelangen, die zu schreibdidaktischen Zwecken aufbereitet werden können (cf. Brommer 2018). Die Verbindung zwischen Textanalyse und Schreibdidaktik ist als ein konstituierendes Element der Schreibwissenschaft anzusehen. Diese Verbindung ist durch die kognitiv orientierte Schreib(prozess)forschung (cognitive oriented writing research) möglich geworden.

Diese entwickelte sich in den 1980er mit einem Schwerpunkt auf dem Verstehen und dem Modellieren von Schreibprozessen. Schreiben wird dabei als komplexer Problemlöseprozess verstanden (Molitor-Lübbert 1996: 1005). Die Daten, die für die Modellierungen herangezogen wurden, wurden vielfach mit Hilfe der Methode des Lauten Denkens erhoben. Diese wurden dann in Verbindung mit Textanalysen gesetzt. Als Beispiel für die Anwendung dieser Methode sei hier auf Hayes und Flower (1980: 4–10) verwiesen. Dieses Vorgehen, aus dem die Modellierung des Schreibprozesses entwickelt wurde, prägt die deutschsprachige Schreibwissenschaft bis heute (cf. Heine 2013).

Die Methode des Lauten Denkens wurde (und wird auch in diesem Band) vielfach hinterfragt. Der Hauptkritikpunkt ist, dass die zusätzliche ←10 | 11→Belastung durch das Formulieren den eigentlich zu untersuchenden Prozess beeinflusst. Jedoch scheint dieser Einfluss in bestimmten Settings nicht ins Gewicht zu fallen (cf. Leow/Morgan-Short 2004). Dengscherz (2020: 130) legt ihren Schwerpunkt auf eine ganz andere Art der Kritik: Sie gibt nämlich zu bedenken, dass beim Lauten Denken gar nicht – wie der Begriff nahe legt – das Denken beobachtet wird, sondern das Verhalten, woraus „Rückschlüsse auf das Denken“ gezogen werden. Bei den Daten, die das Laute Denken produziert, handelt es sich also nicht um objektive Prozessdaten – wie es bei der Protokollierung von Tastaturanschlägen (key logging) der Fall ist, sondern um solche, die einer Perspektivierung unterliegen.

Das Laute Denken als Datenerhebungsmethode hat nach wie vor seine Daseinsberechtigung in der Schreibwissenschaft. Um jedoch weniger invasiv zu forschen und den damit verbundenen Nachteil auszugleichen, bedarf es weiterer Methoden. So forderte Krings bereits 1992 einen „Methodenpluralismus“, um „spezifische Unzulänglichkeiten“ einzelner Verfahren durch „‚Triangulation‘ aus[zu]schalten“ (Krings 1992: 100). Die Anforderung nach einem Zugang zum „inneren Sprechen“ (Vygotskij 2000: 410–467) und den damit verbundenen kognitiven Prozessen bleibt jedoch erhalten.

Die Elektronisierung des Schreibens ermöglichte es, Schreibbewegungen direkt zu protokollieren. Es war die Geburtsstunde der Key-Logging-Programme, wie Input-Log (cf. Leijten/van Waes 2013). Protokollierte Tastaturanschläge lassen eine automatische Analyse und Visualisierung der Schreibprozesse zu. Pausen- und Überarbeitungsverhalten (cf. zum Beispiel Bowen/Van Waes 2020) sowie die Flüssigkeit von Schreibprozessen (cf. zum Beispiel Breuer 2015) lassen sich mit dieser Methode beobachten und analysieren.

Allerdings zeigten und zeigen sich auch Einschränkungen dieser Datenerhebungsmethode. Denn Schreiben ist mehr als das Produzieren von Buchstaben. Leseprozesse außerhalb des Dokuments, in dem der Text produziert wurde, Einbeziehung von anderen Quellen und Medien sollten mitbetrachtet werden können. Eine Kombination verschiedener Datenerhebungsmethoden wurde schon in den 1990er Jahren gefordert (cf. Van der Geest 1996). Die technischen Möglichkeiten, den Bildschirm oder die gesamte Schreibsituation aufzuzeichnen, werden zusätzlich zu ←11 | 12→traditionellen Beobachtungsprotokollen genutzt, um Einschränkungen durch nur eine Datenerhebungsmethode auszugleichen. Die Verwendung verschiedener Methoden wird heutzutage daher als notwendig angesehen (cf. Grésillon/Perrin 2014; Heine et al. 2014; Perrin 2014), wie auch die Beiträge in diesem Band zeigen, und erfüllt somit die von (Krings 1992: 100) aufgestellte Forderung nach Triangulation von Daten.

Neben der kognitiv orientierten Schreib(prozess)forschung entwickelt sich eine Forschungsrichtung, die Schreiben als soziales Phänomen untersucht. Nicht einzelne Schreibende stehen hierbei im Fokus, sondern Schreibende als Agierende in einer Gemeinschaft. Die grundlegende Annahme hierbei ist, dass Schreibende, aber auch ihr Schreibprozess und das Ergebnis ihrer Arbeit, also die Texte, nicht nur individuellen Einflüssen unterliegen, sondern auch Einflüssen, die sich aus der Gemeinschaft ergeben, für die geschrieben wird. Schreiben wird als soziale Praxis (commuities of practice) und als Handeln im Fach verstanden (cf. Pogner 1999). In dieser Forschungsrichtung wird Schreiben in verschiedenen Domänen in das Geflecht von fachspezifischen Konventionen und Regularien sowie kulturellen Einflüssen eingebunden. Innerhalb dieses Paradigmas haben sich weitere Forschungsfelder etabliert, die unter anderem nach Domänen spezifiziert werden können. Domänen, zu denen vielfältig Forschung betrieben wird, sind Wissenschaft (cf. Lillis/Curry 2010), Technik (cf. Heidrich/Schubert 2020), Journalismus (cf. Perrin 2013) und das literarische (cf. Grésillon/Perrin 2014) und kreative Schreiben (cf. Girgensohn/Sennewald in Vorbereitung). Um in größere Kontexte eingebundene Schreibprozesse zu erfassen, werden mit verschiedenen Methoden (Interviews, Befragungen, Beobachtungen etc.) Daten erhoben und je nach Fokus mit linguistischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Methoden ausgewertet.

Details

Seiten
270
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631862612
ISBN (ePUB)
9783631862629
ISBN (Hardcover)
9783631812884
DOI
10.3726/b18733
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (August)
Schlagworte
Real-Life-Writing Datenerhebungsmethoden Mixed-Methods-Design Triangulation Videographie Beurteilungsraster Datennachnutzung korpuslinguistische Analyse Key-Stroke-Logging, Screen-Capturing Feedback
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 270 S., 20 s/w Abb., 18 Tabs.

Biographische Angaben

Carmen Heine (Band-Herausgeber:in) Dagmar Knorr (Band-Herausgeber:in)

Carmen Heine ist Associate Professor an der School of Communication and Culture der Universität Aarhus. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind an der Schnittstelle von Schreib- und Übersetzungswissenschaft angesiedelt: technisches Schreiben und Übersetzen, web-basierte Kommunikation, akademisches Schreiben, Schreibdidaktik und Textproduktionsforschung. Dagmar Knorr leitet das bilinguale Schreibzentrum / Writing Center der Leuphana Universität Lüneburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind wissenschaftliches Schreiben unter Bedingung von Mehrsprachigkeit und Digitalität, Schreibdidaktik und Textproduktionsforschung. Gemeinsam leiten sie die Sektion Schreibwissenschaft in der Gesellschaft für Angewandte Linguistik (GAL).

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