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Le Serment / Der Eid

De l’âge du Prince à l’ère des nations / Vom Zeitalter der Fürsten bis zur Ära der Nationen

de Hervé Bismuth (Éditeur de volume) Fritz Taubert (Éditeur de volume)
©2020 Collections 516 Pages

Résumé

Ce recueil, qui rassemble les actes des colloques internationaux de Vienne (2017) et de Mayence (2018), est l’aboutissement d’un travail interdisciplinaire de longue haleine conduit par de jeunes chercheurs et des chercheurs confi rmés provenant d’horizons divers et de plusieurs pays d’Europe. Il porte sur le serment, envisagé comme acte public performatif qui engage le corps de la personne qui le prononce, étudié depuis les débuts de l’Europe moderne jusqu’à nos jours. Ce parcours répartit les différentes périodes étudiées de part et d’autre d’un point de bascule : celui qui sépare l’époque où le serment est placé sous l’autorité de Dieu et de son représentant le Prince, et l’époque où, laïc, il repose sur le lien qui unit le citoyen à une abstraction, par exemple la Constitution de la nation dont il est le sujet.
Der vorliegende Band beinhaltet die Beiträge zu zwei internationalen Tagungen (Wien 2017 und Mainz 2018). Er ist das Ergebnis eines dreijährigen interdisziplinären Forschungsprojekts von Wissenschaftlern und Nachwuchsforschern unterschiedlicher Fachrichtungen aus verschiedenen europäischen Ländern. Das Projekt befasste sich mit dem Eid als performativem öffentlichem Akt, der die Person, die ihn leistet, physisch bindet, und beinhaltet Fallstudien von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. So wird auch eine interessante Umbruchzeit mit behandelt: von einer Epoche, in der der Eid unter die Aufsicht Gottes und seines Vertreters, des Fürsten, gestellt war, zu einer Epoche, in der er, in säkularisierter Form, den Bürger an eine abstrakte Größe – etwa die Verfassung der Nation – band und bis heute bindet.

Table des matières

  • Couverture
  • Titre
  • Copyright
  • À propos des directeurs de la publication
  • À propos du livre
  • Pour référencer cet eBook
  • Inhaltsverzeichnis/Table des matières
  • Einleitung
  • Introduction
  • I. Rechtliche Aspekte/Juridictions
  • Au crépuscule de la foi jurée : le serment politique des fonctionnaires sous la Monarchie de Juillet
  • Der Diensteid der Beamten in der Habsburgermonarchie in Revolution und Neoabsolutismus, 1848-1868
  • Les usages du serment officiel des fonctionnaires hongrois de la Double Monarchie
  • Eid und Loyalität in Zeiten politischer Transformation: Von der Habsburgermonarchie zur Ersten Republik
  • Diensteide, Gelöbnisse und „nationale Zugehörigkeit“ ehemaliger Bediensteter der Habsburgermonarchie 1918-1921
  • Der Eid in der Mainzer Republik
  • Ein Eid auf die Welt: Amt, Dienst und Loyalität vom Völkerbund zu den Anfängen der Vereinten Nationen
  • Eidesunmündige Afrikaner?
  • II. Vorstellungsformen/Représentations
  • Enjeux sémiologiques et psychomécaniques du serment
  • Topiques du serment dans le théâtre classique français
  • Les Révolutions du serment :
  • Der Eid zur Zeit des italienischen Risorgimento: herausragende Beispiele aus Literatur, Kultur und Künsten
  • Zwischen Treueeid und Verrat. Treuebezeugungen und ihre Umkehrungen in der Literatur der deutschen Romantik
  • Treue jenseits aller Verträge?
  • Rafael Sánchez Ferlosio et la critique du serment : anti-serment et témoignage historique
  • III. Praktiken/Pratiques
  • Le serment sous Ceauşescu : entre nationalisme étatique et épuration partisane
  • Prêter serment ou l’art de dire sans faire : le cas du roi Juan Carlos ier
  • Der Städtepartnerschaftseid: Bund für die Ewigkeit oder leeres Versprechen?
  • Serments de papier.
  • To really drive it home?
  • „Widerstand gegen die Tyrannei“? Die Eidesverweigerung des protestantischen Theologen Karl Barth im „Dritten Reich“
  • Le serment religieux chez les Scouts de France, incubateur et retardateur de l’engagement résistant face à l’Occupation et face au régime de Vichy (1940-1945)
  • Eid und Mensch, Masse und Individuum im Zweiten Weltkrieg und danach.
  • Présentation des auteurs
  • Index des noms
  • Titres de la collection

Einleitung

Hervé Bismuth

Université Bourgogne-Franche-Comté

Fritz Taubert

Université Bourgogne-Franche-Comté

Das hier vorgestellte Projekt „Die Frage des Eides/La question du serment“ besaß von Beginn an einen interdisziplinären Charakter, da es auf der Zusammenarbeit zwischen einem Historiker (der in Frankreich „civilisation des pays germanophones“ in der Germanistik lehrt) und einem Literaturwissenschaftler (und Spezialisten der französischen Literatur) beruht.

Das Projekt hat uns von Frühjahr 2015 bis Herbst 2018, also drei Jahre lang, beschäftigt; die Ergebnisse liegen nun in diesem Band vor. Von Anfang an stand dabei im Zentrum der Eid als öffentliche Selbstverpflichtung eines Individuums, das eine transzendente Größe (Gott, den Fürsten, die Verfassung usw.) als Zeugen anruft. Hierbei interessierte uns nicht so sehr der Akt der Vereidigung an sich, sondern vielmehr die Tatsache, dass ein im öffentlichen Raum geleisteter Eid auf die (private) Person, die ihn leistet, einen Zwang ausübt. So haben wir im privaten Raum geleistete Eide nicht berücksichtigt, also etwa Eide im ökonomischen Kontext ebenso wie innerfamiliäre Eide und auch Gerichtseide. Liebeschwüre wurden nur berücksichtigt, sofern sie im öffentlichen Raum geleistet wurden, insbesondere wenn sie die Staatsräson betrafen oder diese in Frage stellten, oder auch wenn die Gesellschaft sie nicht anerkannte (vgl. hierzu die Beiträge von Hervé Bismuth und Catherine Dedié). Diese Vorentscheidung führte auch zur Begrenzung des ins Auge gefassten Zeitraums, nämlich den Übergang der westeuropäischen Gesellschaften vom Zeitalter der Fürstenherrschaft in die Ära der Nationalstaaten (daher auch der Untertitel des Bandes).

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Zu Beginn, während der Fürstenherrschaft, war der Eid Ausdruck der Unterwerfung unter eine transzendente Autorität, die Macht über Leben und Tod des Eidleistenden besaß; demnach verkörperte der Eid die göttliche Ordnung und gewisser Weise ihren Schöpfer selbst: auf den Fürsten einen Eid zu leisten, kam also einem Eid auf die göttliche Macht selbst gleich. Im Übergang zur Ära der Nationalstaaten, vor allem durch die europäischen Revolutionen, wurde der Eid dann in gewisser Weise definitiv säkularisiert: so wurde selbst der Eid auf den Fürsten nun letztlich zu einer Art vertraglicher Übereinkunft, da der Fürst nur noch als Verkörperung der Nation Autorität besaß (vgl. die Beiträge von Pierre-Paul Grégorio und Traian Sandu). Allerdings wurde diese Entwicklung des Eides von einem Akt der Unterwerfung zu einem Akt des Vertragsschlusses in der Zeit des Nationalsozialismus wieder in Frage gestellt, denn im „Führereid“ wurde der Vertragscharakter des Eides rückgängig gemacht. (vgl. den Beitrag von Karl B. Murr).

Im Dezember 2016 fand an der Humboldt-Universität zu Berlin eine internationale Tagung zu „Making Sense of the Oath in Late Antiquitiy and the Earlier Middle Ages: Religious Act, Social Bond, Holy Sacrament“ statt. Zur gleichen Zeit bereiteten wir in Dijon und Paris den Antrag auf ein „Programme Formation Recherche“ (PFR) zur Finanzierung durch das Centre International d’Études et de Recherches sur l’Allemagne (CIERA) über die Frage des Eides vor, das als interdisziplinäres und internationales Forschungsprojekt ausgelegt war. Das Format eines PFR beruht auf dem Prinzip der Zusammenarbeit ausgewiesener Forscher mit fortgeschrittenen Studierenden (Master und Promotion) und Nachwuchsforschern, die im Rahmen von Seminaren und Tagungen auf ihre Aufnahme in die „Forschergemeinde“ vorbereitet werden. Das Konzept unseres Projektes „Die Frage des Eides/La question du serment“ hat in der Tat viel gemein mit dem Titel der Berliner Tagung, allerdings mit dem Unterschied, dass es zeitlich auf das 17. bis 21. Jahrhundert ausgerichtet ist. Dies liegt nicht zuletzt auch an der bis heute andauernden Aktualität des Eides, da er nach wie vor Teil der politischen Realität ist: In vielen Staaten legen Beamte einen Eid auf die Verfassung ab, auch Soldaten müssen in den meisten Ländern Europas einen Eid leisten.

Die geografische Begrenzung auf Europa (mit der Ausnahme zweier Beiträge, die sich mit deutschen Kolonien vor dem Ersten Weltkrieg bzw. der UNO befassen) ist dem Format des Projekts geschuldet, das auf ein ←12 | 13→geographisches und politisches Gebiet begrenzt ist, innerhalb dessen gemeinsame Ideologien und Rechtsprinzipien zirkulierten und noch zirkulieren. In diesem Sinne ist zu bedauern, dass keine Beiträger für Groß-Britannien gefunden werden konnten.

Betrachtet man die historische Forschung der letzten zwanzig Jahre, kann angesichts der Arbeiten von Paolo Prodi, Siegfried Weichlein, Vanessa Conze1 und anderen festgestellt werden, dass der politische Eid, um den es hier gehen soll, bereits Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen geworden ist. Von Beginn an war das PFR als interdisziplinäres Projekt geplant, das sowohl die Humanwissenschaften stricto sensu (Geschichts- und Rechtswissenschaften) als auch Literatur- und Kunstwissenschaften sowie Linguistik und Psychologie umfassen sollte. Aus diesem Grund trat schon am Anfang des Dreijahreszyklus eine Forschergruppe aus den genannten Disziplinen mit Kollegen aus Dijon, Paris, Wien und Mainz zusammen. Aus dem Projekt mit interdisziplinärem Arbeitsgebiet wurde demnach bald nachgerade ein „phénomène pluridimensionnel“2.

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Da die Université de Bourgogne-Franche-Comté in Dijon seit vielen Jahren mit der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz eng verbunden ist, lag es nahe, diese Partnerschaft für das Projekt zu nutzen. Anknüpfungspunkt war hier unter anderem das gemeinsame deutsch-französische Doktorandenkolleg in den Geisteswissenschaften. Eine weitere internationale Komponente ergab sich durch Beziehungen zum Institut für österreichische Geschichte (IÖG) in Wien; hier zeigte eine Reihe von Kolleginnen und Kollegen sowie Nachwuchsforschern an dem Thema Interesse. Aufgrund der ausgeprägten deutsch-französischen Ausrichtung des Projekts konnte eine Finanzierung durch die Deutsch-Französische Hochschule-Université Franco-Allemande (DFH/UFA) in Saarbrücken erfolgreich beantragt werden.

Die äußere Struktur des Forschungsprojekts, dessen Realisierung im März 2015 konkret ins Auge gefasst worden war, bestand in einer Reihe von Treffen und internationalen Tagungen, die 2016, 2017 und 2018 sukzessive in Dijon, Paris, Wien und Mainz stattfanden. Den Auftakt bildete ein Arbeitstreffen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern in Dijon, bei dem die inhaltliche Ausrichtung der drei vorgesehenen Tagungen geplant wurde. Ein Großteil der hier anwesenden Personen hat demnach von Anfang an unserem PFR teilgenommen, was auch erklärt, dass einige Beiträge in diesem Band in einer Art Dialog zu einander stehen. Das zweite Treffen – und somit die erste internationale Tagung – fand im Frühjahr 2017 an der École Normale Supérieure (ENS) in Paris statt und war dem Thema „Le serment de fidélité sous le national-socialisme: Représentations et pratiques/Darstellungen und Praktiken des Treueids unter dem Nationalsozialismus“ in historischer wie literaturwissenschaftlicher Perspektive gewidmet; wissenschaftliche „Gastgeberin“ war die Organisatorin der Tagung Marie-Bénédicte Vincent, Dozentin für Zeitgeschichte an der ENS-Ulm. Die zweite internationale Tagung im Herbst 2017 war ausschließlich historisch ausgerichtet, beschränkte sich mit dem Thema „Der Eid in der öffentlichen Verwaltung“ aber nicht auf eine bestimmte historische Epoche. Organisiert wurde sie vom IÖG der Universität Wien. Ein Jahr später, im Herbst 2018, fand schließlich die dritte internationale Tagung an der Johannes Gutenberg-Universität zu Mainz statt. Unter dem allgemeinen Oberthema „Die Frage des Eides vom Zeitalter der Fürsten zur Ära der Nationen“ wurden zwei Tage lang alle disziplinären Perspektiven unseres Projekts vorgestellt und diskutiert.

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Die Beiträge der Pariser Tagung werden aufgrund der engen historisch-thematischen Ausrichtung bereits vorab an anderer Stelle publiziert3. Im vorliegenden Band sind 23 Beiträge aus verschiedenen Fachrichtungen versammelt – überwiegend Beiträge der Tagungen in Wien und Mainz. Nach gründlicher Überlegung haben die Herausgeber sich entschieden, die Einzelstudien in drei Blöcken zusammenzufassen: 1. Juridictions/Recht, 2. Représentations/Vorstellungen sowie 3. Pratiques/Praktiken. Eine solche Strukturierung hat immer etwas Künstliches, nicht zuletzt deshalb, weil sie dazu nötigt, Abgrenzungen auch dort vorzunehmen, wo eigentlich Gemeinsamkeiten in Beiträgen verschiedener Blöcke vorliegen. Dies zeigt sich exemplarisch am Beitrag von Samir Bajrić: er weist nach, dass aus linguistisch-pragmatischer Perspektive der Sprechakt des Eides etwas nachgerade Absolutes darstellt, das weit über alle anderen Versprechen jeder Art hinaus geht; damit wird in gewisser Weise von jedem Eid – in der historischen Wirklichkeit, in der juristischen Verwaltungspraxis wie in Kunst und Literatur – ein a priori unveränderbarer Zwang ausgeübt. Mit eben dieser Einschränkung „a priori“ jedoch beschäftigen sich die meisten der anderen Beiträge.

Einer der charakteristischen Züge der Beiträge besteht auch darin, dass sich die Eidhandlungen nicht vom Kontext trennen lassen, in welchem sie vorgenommen wurden. So scheint etwa in dem Beitrag von Isabell Scheele („Eidesunmündige Afrikaner? Debatten für und wider die Vereidigung von “Eingeborenen” in den deutschen Schutzgebieten“) vordringlich der Eid während eines Prozesses vor Gericht behandelt zu werden: allerdings stellt sich heraus, dass es dabei zugleich um ein viel allgemeineres Problem geht, nämlich die Frage, wer überhaupt zu einem solchen „unveränderbaren Sprechakt“ berechtigt ist: die „Eingeborenen“ in den deutschen Kolonien in Afrika vor dem Ersten Weltkrieg durften jedenfalls keine Eide leisten…

Auch sind die verschiedenen Disziplinen nicht immer klar voneinander zu trennen, wie man am Beitrag von Martine Jacques deutlich erkennt: sie beschreibt die Reflexion von vier Schriftstellerinnen – unter ihnen Madame de Staël – über ihr eigenes Verhalten angesichts der Eidflut während der Französischen Revolution („Les Révolutions du Serment. ←15 | 16→Métamorphoses et anamorphoses du Serment dans quelques Mémoires féminins post-révolutionnaires“). Hier vermischen sich Literatur und Geschichtsschreibung, sowohl bei diesen Autorinnen als auch bei der Analyse von deren literarischen Memoiren. Die Eidflut selbst, die durch die Schriftstellerinnen bezeugt ist, wird auch in dem Beitrag von Francesco Buscemi behandelt („Serments de papier. La bureaucratisation de la fidélité révolutionnaire“), der wiederum parallel zu dem von Benedikt Liermann über die Stadt Mainz zu lesen ist, in der in derselben Zeit immer wieder Eide an die ständig wechselnden Machthaber zu leisten waren („Der Eid in der Mainzer Republik“). Ein ähnliches Schicksal traf die Beamten in Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg, sie hatten in zwei Jahren bis zu vier verschiedene Eide abzulegen (Julia Bavouzet, „Les usages du serment officiel des fonctionnaires hongrois de la Double Monarchie“).

Bei vielen der Einzelstudien stellt sich dabei die Frage, wie die postulierte Unveränderbarkeit des Eides einer veränderlichen Wirklichkeit standhält. Wie kann und soll die (Selbst-)Verpflichtung, die aus dem Eid hervorgeht, in Situationen ausgelegt werden, die der ursprünglichen Situation nicht mehr entsprechen – ohne dass ein krasser Eidbruch ins Auge gefasst werden muss? Mit diesem Problem beschäftigen sich die Beiträge von Manon Radiguet über die französischen Pfadfinder in der Zeit von Vichy-Regierung und deutscher Besatzung („Le serment religieux chez les Scouts de France, incubateur et retardateur de l’engagement résistant face à l’Occupation et face au régime de Vichy, 1940-1945“), von Peter Becker („Eid und Loyalität in Zeiten politischer Transformation: Von der Habsburgermonarchie zur Ersten Republik“) und Therese Garstenauer („Diensteide, Gelöbnisse und “nationale Zugehörigkeit” ehemaliger Bediensteter der Habsburgermonarchie 1918-1921“) über die „Umeidungen“ in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg, sowie von Pierre-Paul Grégorio über Juan Carlos I., der sich beim Übergang Spaniens vom Franco-Regime zur Demokratie nicht an seine eigenen Eide hielt („Prêter serment ou l’art de dire sans faire: le cas du roi Juan Carlos“). Dass sich übrigens auch innerhalb eines Regimes die Eidesformeln ändern konnten, ohne dass ständig „umgeeidet“ werden musste, zeigt Thomas Stockinger am Beispiel Österreichs unter Kaiser Franz Joseph („Der Diensteid der Beamten in der Habsburgermonarchie in Revolution und Neoabsolutismus, 1848-1868“). Am radikalsten wird das Problem in Frankreich gelöst, wo Beamte seit 1848 nicht mehr vereidigt werden (François Quastana, „Au crépuscule de la foi jurée: le serment politique des fonctionnaires sous la Monarchie de Juillet“).

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Wenn es politisch erforderlich ist, hat der Eid die Aufgabe, die nationale Einheit zu gewährleisten. Im Italien des Risorgimento wurde der Eid genutzt, um den Zusammenhalt der „Verschwörer“ zu festigen, im Rahmen des Nation-buildings eines neu zu gründenden Staates (Grazia Folliero-Metz, „Der Eid zur Zeit des italienischen Risorgimento: herausragende Beispiele aus Literatur, Kultur und Künsten“). In einem ähnlichen Kontext kann der Eid gesehen werden, den Ceauşescu auf die rumänische Nation leistete und der – durch im Gegenzug geforderte Vereidigung der Mitglieder der kommunistischen Partei – letztlich seine Alleinherrschaft begründete (Traian Sandu, „Le serment sous Ceauşescu : entre nationalisme étatique et épuration partisane“). Treue zur Nation und zu ihrem Vertreter kann natürlich im Widerspruch zum persönlichen Gewissen stehen, v. a. in totalitären Regimen. Genau aus diesem Grund weigerte sich der Theologe Karl Barth im Jahr 1934, den Eid auf den „Führer“ Hitler abzulegen: er erkannte die Totalität der Treue gegenüber einer anderen Institution als Gott nicht an (Karl Borromäus Murr, „“Widerstand gegen die Tyrannei”? Die Eidesverweigerung des protestantischen Theologen Karl Barth im “Dritten Reich”“). Und die psychologische Analyse der Gewissenskonflikte der Wehrmachtsdeserteure durch Véronique Liard bezieht sich wiederum auf denselben historischen Kontext und dasselbe Phänomen: die Entscheidung gegen die Treue zum „Führer“ („Eid und Mensch, Masse und Individuum im Zweiten Weltkrieg und danach. Fahnentreue und Fahnenflucht bei deutschen Soldaten“).

Der durch Selbstverpflichtung entstandene Zwang zur Treue zur Nation wird in bestimmten Situationen mit einem supranationalen Kontext, in dem höhere oder auch konkurrierende Interessen eingefordert werden, zu einem Problem. Ein solcher Fall wird von Elisabeth Röhrlich analysiert, die sich mit dem Eid beschäftigt, den bis heute UNO-Angestellte zu leisten haben und der sie der Eide entbindet, die sie möglicherweise vorher auf nationaler Ebene geleistet haben („Ein Eid auf die Welt: Amt, Loyalität und Politik vom Völkerbund zu den Anfängen der Vereinten Nationen“). Derartige Konkurrenzsituationen zwischen lokalen und zwischenstaatlichen Eiden erscheinen jedoch bereits im Europa des ausgehenden 17. Jahrhunderts (Stephan Mai: „To really drive it home? Der Amtseid des frühneuzeitlichen Diplomaten”). Supranational sind auch die Eide, die von den Stadtoberhäuptern der deutsch-französischen Partnerstädte geleistet werden – kurioserweise wird dieser rechtlich nicht wirksame Eid in Frankreich von den ←17 | 18→Bürgermeistern geleistet, die sonst nicht vereidigt werden… (Tanja Herrmann, „Der Städtepartnerschaftseid: Bund für die Ewigkeit oder leeres Versprechen?“).

Dass Eid ohne Eidbruch – also Verrat – häufig nicht denkbar ist, liegt auf der Hand. Eidbruch und somit Verrat ist Thema zunächst sehr unterschiedlich erscheinender Beiträge, zumal, wenn es um die zentrale Konsequenz eines eingehaltenen Eides, um die Treue geht. Hervé Bismuth behandelt die Treue zum gegebenen Wort als ein Wesensmerkmal des klassischen französischen Dramas („Topiques du serment dans le théâtre classique français“): Es muss unterschieden werden zwischen dem Eid in der Komödie (der grundsätzlich nicht eingehalten wird) und dem in der Tragödie (der eingehalten wird, wodurch die Protagonisten eben in eine gefahrvolle Lage geraten). In der deutschen Literatur der Romantik verkompliziert sich die Sache allerdings, wie der Beitrag von Catherine Dedié zeigt, die das Spiel zwischen Eid und Verrat untersucht („Zwischen Treueeid und Verrat. Treuebezeugungen und ihre Umkehrungen in der Literatur der deutschen Romantik“). Hier geht es im Grunde um eine ähnliche Problematik wie bei den UNO-Beamten (Elisabeth Röhrlich) sowie den Diplomaten zu Beginn des 18. Jahrhunderts (Stephan Mai), wenn sich die Frage stellt: Was ist Verrat? Dabei erweitert Dedié ihre Ausdeutung des Treuebegriffs in Richtung „Werktreue“ und später „Nibelungentreue“. Bewegt man sich dann von ihren Überlegungen zeitlich weiter jenseits der Romantik, trifft man auf Richard Wagner, einen erklärten Gegner des Eides, da dieser die Treue einer Person gleichsam institutionalisiere und damit entwerte (Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann, „Treue jenseits aller Verträge? Zur Ambivalenz von Eid und Treue bei Richard Wagner“). In dieselbe Kerbe schlug der spanische Schriftsteller und Denker Rafael Sánchez Ferlosio eineinhalb Jahrhunderte später, wenn er den Eid als ultimative Form des Determinismus bezeichnet, welcher die Menschen jeglicher Wahlmöglichkeit beraube (Henri Garric, „Rafael Sánchez Ferlosio et la critique du serment : anti-serment et témoignage historique“).

Diese thematischen wie strukturellen Querverbindungen – und es wären viele weitere denkbar – erweisen den Eid in der Tat als ein „phénomène pluridimensionnel“, dem die hier unternommene interdisziplinäre Untersuchung angemessen ist. Die Wahl eines PFR für unser Projekt und damit die Einbindung einer ganzen Reihe von Nachwuchsforscherinnen und -forschern, die spontan Beitragsvorschläge eingesendet haben, erweist die Aktualität unseres Themas. Wir haben ←18 | 19→die Hoffnung, dass sie miteinander in Kontakt bleiben und dass so vielleicht eine Art Netzwerk entsteht, das auch im Hinblick auf den weiter bestehenden Forschungsbedarf zum Thema „Eid“ nützlich wäre.

Es bleibt uns an dieser Stelle noch, verschiedenen Institutionen und Personen zu danken. So danken wir zunächst dem Centre International d’Études et de Recherches sur l’Allemagne (CIERA) für die Aufnahme unseres Projekts unter die förderungswürdigen „Programmes Formation Recherche“. Sodann sind wir der Deutsch-Französischen Hochschule/Université Franco-Allemande (DFH/UFA) für ihre großzügige Förderung dankbar, die uns den nötigen Freiraum für die Forschung gegeben hat. Das Arbeitstreffen und die Tagungen wurden zudem von den Universitäten Dijon, Wien und Mainz sowie der École Normale Supérieure (ENS) Paris mit organisiert und teilfinanziert. Ein besonderer Dank sei zudem Marie-Bénédicte Vincent von der ENS ausgesprochen, die beim CIERA die Rolle der „Patin“ des Projekts übernommen hat, sowie Thomas Stockinger und Benedikt Liermann, unseren Organisatoren vor Ort in Wien und Mainz. Ein ganz besonderer Dank gilt unserer Kollegin und Freundin Frau Myriam Segura-Pineiro, der Ingénieure d’Études unserer Forschungsgruppe Centre interlangues TIL (Texte-Image-Langage) an der Université de Bourgogne-Franche-Comté, die in oft schwierigen Situationen klaren Kopf behalten hat. Ohne ihre Hilfe hätten wir das Projekt nicht bewältigen können.

Unser Dank gilt natürlich auch den Institutionen, die durch ihre Finanzierung die Publikation der Beiträge ermöglicht haben. Unsere Forschungsgruppe an der Université de Bourgogne-Franche-Comté Texte-Image-Langage (TIL) sei hier bedankt. Wir danken auch der Deutsch-Französischen Hochschule / Université Franco-Allemande (DFH/UFA) sowie dem Centre Interdisciplinaire d’Études et de Recherches sur l’Allemagne (CIERA) für die großzügige Unterstützung, die beide unserem Projekt – einschließlich der Publikation – gewährt haben.

Und schließlich möchten wir allen Kolleginnen und Kollegen danken, die unser Projekt mit ihrer Teilnahme bereichert haben; ein besonderer Dank gilt denjenigen, die seit Ende 2017 geduldig auf das Erscheinen des Bandes gewartet haben.

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1 Wir zitieren hier nur die in den Beiträgen meist genannten Publikationen zum Thema.

Paolo Prodi, Il sacramento del potere. Il giuramento politico nella storia costituzionale dell'Occidente, Bologna, Il Mulino, 1992, auf Deutsch: Das Sakrament der Herrschaft. Der Eid in der europäischen Verfassungsgeschichte des Okzidents, Berlin, Duncker & Humblot, 1997; Giorgio Agamben, Das Sakrament der Sprache – Eine Archäologie des Eides, Homo sacer II.3), Berlin, Suhrkamp 2010, auf Französisch: Le Sacrement du langage. Archéologie du serment (Homo sacer II, 3, Paris, Vrin, 2009; Siegfried Weichlein, „Der Verfassungseid und die Verfassung der Eide“, in Marcus Llanque, Daniel Schulz, Verfassungsidee und Verfassungspolitik, De Gruyter, Berlin 2015; Vanessa Conze, „Ich schwöre Treue…“. Der politische Eid im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts, erscheint 2020.

Introduction

Hervé Bismuth

Université Bourgogne-Franche-Comté

Fritz Taubert

Université Bourgogne-Franche-Comté

« La question du serment » : né d’une rencontre entre deux enseignants-chercheurs, un historien professeur de civilisation germanique et un littéraire spécialiste de langue et de littérature françaises, ce projet s’est construit depuis ses tout débuts dans une ambition pluridisciplinaire.

Le domaine d’étude qui nous a rassemblés pendant plus de trois ans, du printemps 2015 à l’automne 2018, et dont cet ouvrage est tout autant le témoignage que le résultat, reposait dès son début sur le choix de travailler autour de la question du serment envisagé sous l’angle de l’engagement public d’un individu prenant à témoin une transcendance (Dieu, le Prince, la Constitution, etc.) : ce n’est donc pas tant le fait de prêter serment qui nous intéressait que le fait que le serment exerce dans la sphère publique une contrainte sur la personne privée de son énonciateur. Nous avons donc d’emblée écarté de notre champ d’étude les serments de la sphère privée : serments commerciaux, serments familiaux, serments judiciaires. Les serments amoureux ont été abordés dans la seule mesure où ils sont portés sur une scène publique, en particulier lorsque ces serments engagent, croisent ou contredisent la raison d’État ou lorsque la société les rejette (on se reportera aux contributions d’Hervé Bismuth et Catherine Dedié). Ce choix a immédiatement dicté celui de la période considérée : de part et d’autre de cette bascule historique faisant passer les sociétés occidentales de l’âge du Prince à l’ère des nations, bascule dont nous avons décidé de rendre compte dès le titre même de cet ouvrage.

En deçà de cette bascule, le serment est le rappel d’une soumission à une instance transcendante ayant droit de vie et de mort sur celui qui le prononce, dans la mesure où il est le représentant de l’ordre divin ←21 | 22→et en quelque sorte celui de son créateur : prêter serment au Prince revenait en effet à prêter serment sur la divinité. Le passage à l’ère des nations, dans l’entourage des révolutions européennes, a définitivement sécularisé le serment : même le serment au Prince est devenu, de fait, un serment contractuel, le Prince n’étant plus que l’autorité représentant la nation, caractéristique présente dans les communications de Pierre-Paul Grégorio et Trajan Sandu. Le fait que la naissance de l’ère des nations a fait passer le serment public de l’état de témoignage de soumission à celui de contrat problématise du même coup la spécificité de la période nazie, où la notion de contrat dans le serment de fidélité est sujette à caution (voir la communication de Karl B. Murr).

Résumé des informations

Pages
516
Année
2020
ISBN (PDF)
9782807615823
ISBN (ePUB)
9782807615830
ISBN (MOBI)
9782807615847
ISBN (Broché)
9782807615816
DOI
10.3726/b17177
Langue
français
Date de parution
2020 (Octobre)
Published
Bruxelles, Berlin, Bern, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020. 516 p., 6 ill. en couleurs, 1 ill. n/b., 2 tabl.

Notes biographiques

Hervé Bismuth (Éditeur de volume) Fritz Taubert (Éditeur de volume)

Hervé Bismuth est maître de conférences en Littérature française. Fritz Taubert est professeur de Civilisation germanique. Ils appartiennent au Centre Interlangues-Texte, Image, Langage (EA482) de l’Université Bourgogne Franche-Comté.

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Titre: Le Serment / Der Eid
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