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Die kaiserliche Botschaft in Venedig zur Zeit Maria Theresias (1740-1780)

von Juliane Märker (Autor:in)
©2021 Dissertation 338 Seiten

Zusammenfassung

Bis heute ist erstaunlich wenig über die alltäglichen Arbeitsabläufe und Tätigkeiten frühneuzeitlicher Botschaften bekannt. In der vorliegenden Publikation beschäftigt sich die Autorin daher mit der Frage, welche Handlungsspielräume Botschafter und Residenten besaßen, um ihre Amtsausübung individuell auszugestalten, welche Strategien sie befolgten und welche Auswirkungen diese auf die Arbeit der Botschaft hatten. Als Untersuchungsgegenstand dient die kaiserliche Botschaft in Venedig während der Regierung Maria Theresias, eine der ältesten habsburgischen Botschaften. Durch eine Kombination aus institutionsgeschichtlichem Ansatz und akteurszentriertem Zugriff wurde die Tätigkeit der Botschaft analysiert. Somit konnte ein umfassendes Bild sowohl von den Rahmenbedingungen als auch den individuellen Tätigkeiten der Botschafter rekonstruiert und ausgewertet werden.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhalt
  • Danksagung
  • I. Einleitung
  • I.1 Zugriff
  • I.2 Forschungsgeschichte und -bericht
  • I.3 Vorgehensweise
  • II. Kontext
  • II.1 Beziehung Venedig-Wien
  • II.2 Das kaiserliche Gesandtschaftswesen
  • II.3 Die Leiter der kaiserlichen Botschaft in Venedig: Auswahlkriterien, Gemeinsamkeiten, besondere Merkmale
  • III. Die kaiserliche Botschaft: Organisation und Struktur
  • III.1. Aufbau, Ausstattung, Finanzierung
  • III.1.1 Standort
  • III.1.2 Personal
  • III.1.3 Finanzen
  • III.1.4 Nicht-monetäre Ressourcen
  • III.2 Aufgabenfelder und alltägliche Abläufe
  • III.3 Einbindung in das venezianische und österreichische Behördensystem
  • III.3.1 Venedig
  • III.3.2 Wien
  • III.3.3 Offizielle Netzwerke
  • IV. Zeremoniell
  • IV.1 Dienstantritt
  • IV.2 Die öffentliche Einfahrt
  • IV.3 Kontakt mit den venezianischen Behörden und innerhalb der diplomatischen Gemeinschaft
  • IV.4 Öffentliche Auftritte und Festakte
  • IV.5 Abwesenheit und Abreise
  • V. Der Botschafter als eigenständiger Akteur – Handlungsspielräume und persönliche Ausgestaltung
  • V.1 Ludovico Pio di Savoia// Luigi Antonio Pio di Carpi
  • V.2 Joseph (von) Rathgeb
  • V.3 Gian Antonio Turinetti, Marquis de Prié
  • V.4 Philipp Joseph Graf von Orsini-Rosenberg
  • V.5 Giacomo Durazzo
  • VI. Fazit
  • VII. Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Register – Personen und Orte
  • Reihenübersicht

Danksagung

Die vorliegende Studie wurde im Jahr 2019 dem Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz als Dissertation vorgelegt. Für die ausgezeichnete Betreuung während des Promotionsverfahrens und die vielfältige Unterstützung meiner Recherchen möchte ich Herrn Prof. Dr. Matthias Schnettger herzlich danken. Auch den weiteren Gutachtern Herrn Prof. Dr. Jan Kusber und Herrn Prof. Dr. Michael Mattheus danke ich für ihre Arbeit.

Ebenfalls möchte ich mich herzlichst beim Deutschen Studienzentrum in Venedig bedanken. Durch das dreimonatige Stipendium und der Unterbringung im Palazzo des Studienzentrums war es möglich, in Venedig grundlegendes Quellenmaterial für meine Studie zu sammeln und zu sichten. Ohne die enorme Unterstützung der Mitarbeiter des Studienzentrums, die mir bei der Kontaktaufnahme zu den venezianischen Archiven und Bibliotheken mit gutem Rat zur Seite standen, hätten einige zentrale Quellen nicht ihren Weg in meine Studie gefunden. An dieser Stelle daher nochmals herzlichen Dank an Frau Petra Schäfer M.A., Dott.ssa Michaela Böhringer und Simonetta Polo.

Auch meinen Mitstipendiaten, mit denen ich drei Monate lang die Räumlichkeiten im Pallazzo Barbarigo della Terrazza geteilt habe, möchte ich hier für die angeregten Diskussionen, die Hilfe beim Navigieren der italienischen Archiv- und Bibliothekslandschaft und die Unterstützung bei den Recherchen bedanken. Hier gilt mein Dank vor allem Lotte Kosthorst, Désirée Monsées und Ludwika Lengert.

Ebenfalls bedanke ich mich beim Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien für die Bereitstellung ihrer Akten, ohne diese die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen wäre.

Meinen Kollegen am Historischen Seminar an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz danke ich ebenfalls für ihre herzliche Unterstützung während meiner Promotion, vor allem Dr. Bettina Braun, die immer guten Rat zum Thema Maria Theresia und zum Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv wusste, meinem Büronachbarn Dr. Sebastian Becker und meinem Mit-Doktoranden Dr. Jan Turinski.

Vielen Dank auch dem Kollektiv an Doktoranden außerhalb der Universität, die immer wieder zum gemeinsamen Austausch zur Forschung, Recherchearbeit und den Schwierigkeiten der Verschriftlichung der eigenen Ergebnisse bereit waren. Viele produktive Diskussionen haben meine Arbeit weiter vorangetrieben und geholfen, ihr die heutige Form zu geben. Mein besonderer Dank gilt hier Dr. Charlotte Backerra, Dr. Cathleen Sarti und Catherine Ludwig, die immer ein offenes Ohr für meine Fragen hatten und mich auch bei der Erstellung und Überprüfung meines Manuskripts tatkräftig unterstützten.

Zu guter Letzt bedanke ich mich auch bei meiner Familie, die mich von Anfang an in meinem Vorhaben zu promovieren unterstützt haben, und bei meinen Freunden, die mich ebenfalls stets ermutigt haben, mein Projekt weiterzuführen. Auch Dank euch hat diese Arbeit ihre endgültige Form gefunden.

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I. Einleitung

I.1 Zugriff

Jede Gesellschaft oder politische Gemeinschaft erreicht einen Punkt, an der sie mit anderen Zivilisationen kommunizieren muss, um ihre Interessen über die Grenzen des eigenen Territoriums hinaus zu vertreten. Dieses grenzüberschreitende System der Kontaktaufnahme und -pflege entwickelte sich insbesondere seit der Renaissance im 15. Jahrhundert zu einer Disziplin, die ihre eigenen Rituale, Normen und Gesetze gestaltete und bis heute die internationale zwischenstaatliche Kommunikation prägt: die Diplomatie.1

Dabei etablierte sich ausgehend von den italienischen Fürstenstaaten und Republiken die Praxis, ständige Gesandtschaften zu errichten, um eine konstante Präsenz an fremden Höfen zu etablieren, bei Bündnispartnern, Konkurrenten und letztlich auch bei solchen Herrschaften, mit denen noch keine expliziten Verbindungen oder Interessensüberschneidungen existierten. Diese ständigen Gesandtschaften formierten sich bald zu Botschaften, das heißt festen, im Ausland verankerten Institutionen, die kontinuierlich durch Diplomaten und ihren Mitarbeitern besetzt und mit einem Strang permanenter Aufgaben betraut waren.2 Diese Botschaften ermöglichten eine höhere Frequenz an grenzübergreifender Kommunikation, etablierten Netzwerke mit Behörden im Heimat- und Gastgeberland sowie auch untereinander mit den Botschaften anderer Regierungen.

Zugleich förderte der Übergang zum ständigen Gesandtschaftswesen die Vereinheitlichung der diplomatischen Praxis, die bis dahin stark regional geprägt war. Es existierte zu Beginn der Frühen Neuzeit noch kein allgemeingültiges, normatives Regelwerk des Gesandtschaftswesens, jedes Territorium hatte seine eigene diplomatische Tradition, mit eigenen Amtsbezeichnungen, Wertzuweisungen und internen Verwaltungsstrukturen.3 Trotz der Reziprozität des Gesandtschaftswesens, welche die Herausarbeitung eines allgemein verständlichen Symbolsystems bedingte und somit auch die Entwicklung des diplomatischen Zeremoniells förderte, konnte eine Vereinheitlichung dieser regionalen Systeme nur in Ansätzen ←9 | 10→umgesetzt werden, unter anderem mit der sich im 14. Jahrhundert allmählich durchsetzenden Idee, dass das Recht zur Botschaftsentsendung souveränen Herrschern vorbehalten war.4 Mit der Etablierung ständiger Botschaften an unterschiedlichen Standorten wurde es jedoch notwendig, ein darüber hinausgehendes einheitliches Titulatur- und Repräsentationssystem zu entwickeln, um die sich verdichtende Kommunikation zu festigen und zu regulieren.

Dreh- und Angelpunkt des ständigen Gesandtschaftswesens waren dabei die Botschaft und der ihr vorstehende leitende Amtsinhaber, der Botschafter. Er war Repräsentant seines Monarchen beziehungsweise seiner Regierung im Ausland, hatte die Interessen seiner Heimat zu vertreten, die Vorgänge im Gastgeberland zu beobachten und über diese zu berichten. Wenn ein Standort für nicht bedeutend genug erachtet wurde, um einen Botschafter zu entsenden, wurde die Botschaft – dann Residentur genannt – von einem Residenten geleitet. Residenten waren in der diplomatischen Hierarchie den Botschaftern untergeordnet und besaßen nur eine eingeschränkte repräsentative Rolle, erfüllten darüber hinaus jedoch die gleichen Aufgaben wie ein Botschafter.5 Die räumliche Entfernung zum eigenen Auftraggeber und die dadurch bedingte Verzögerung im Austausch von Berichten und Weisungen erforderten, dass diese Botschafter und Residenten ein gewisses Maß an Autonomie in ihrer Amtsausübung entwickelten. Nicht immer war es möglich auf Instruktionen zu warten, wenn es um zeitlich kritische Entscheidungen ging, besonders dann, wenn der Postweg mehrere Tage oder gar Wochen in Anspruch nahm. Zugleich aber galt es, nicht die eigenen Befugnisse zu überschreiten oder gar Entscheidungen zu treffen, die den Interessen des eigenen Auftraggebers widersprachen. Hieraus ergab sich ein Spannungsfeld, das es galt, im täglichen Geschäft immer wieder neu auszuloten.

Das Erkenntnisinteresse dieser Untersuchung liegt daher in der Frage, wie groß der Handlungsspielraum eines Botschafters oder eines Residenten in der Frühen Neuzeit war und wie er genutzt werden konnte. War es diesen Diplomaten möglich, ihre Amtsausübung individuell auszugestalten und ihrer Rolle als Botschafter ←10 | 11→beziehungsweise Residenten eine persönliche Ausprägung geben? Waren die ihnen gegebenen Freiräume so umfassend, dass sie nachvollziehbare Auswirkungen auf den Einfluss und den Erfolg der Botschaft und ihrer Arbeit hatten? Um dies zu erfassen, muss geprüft werden, welche Rolle langfristige Strukturen und Institutionen spielten und inwiefern die Botschafter und Residenten durch die von der eigenen Regierung und dem Gastgeber vorgegebenen Rahmenbedingungen trotz vermeintlicher Selbständigkeit gebunden waren. Wie restriktiv waren diese Vorgaben und in welchem Ausmaß konnten sie die individuelle Ausgestaltung des Amtes eines Botschafters oder eines Residenten einschränken?

Als Gegenstand für diese Untersuchung dient die kaiserliche Botschaft in Venedig in den Jahren 1740 bis 1780, der Regierungszeit Maria Theresias. Sie ist aus mehreren Gründen für eine solche Untersuchung besonders geeignet und stellt zugleich einen Sonderfall dar, der wegen der im Folgenden aufgezeigten Aspekte besondere Aufmerksamkeit beanspruchen kann. Die zugrundeliegenden Strukturen der kaiserlichen Botschaft in Venedig fielen im Vergleich zu anderen diplomatischen Institutionen besonders restriktiv und rigide aus. Zum einen gehörten die Habsburger Kaiser und ihr diplomatisches Corps im frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesen zu den konservativen Kräften, sie übernahmen Neuerungen nur mit Verzögerung und traten selbst selten als Innovator auf.6 Zum anderen stellte die Doppelrolle der Habsburger als Erzherzöge von Österreich und Könige von Böhmen-Ungarn auf der einen und als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation7 auf der anderen Seite ihre Gesandten vor besondere Herausforderungen. So beanspruchten die Habsburger für sich als traditionelle Inhaber der Kaiserkrone einen zeremoniellen Vorrang vor allen anderen weltlichen Herrschern. Ein Anspruch, der vor allem von der französischen, aber auch von der spanischen Monarchie im Laufe der Neuzeit mit steigender Vehemenz angefochten wurde.8 Diese Umstände forderten von den kaiserlichen Gesandten konstante Wachsamkeit bei allen öffentlichen Auftritten, um die Wahrung dieses kritisierten zeremoniellen Anspruches zu sichern. Zugleich schränkte es sie in ihrer eigenen ←11 | 12→Beweglichkeit und Spontanität ein, da sie jeden Versuch der zeremoniellen Herabstufung meiden sollten.

Die Republik Venedig als Standort stellt zudem in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall dar. Die habsburgischen Kaiser unterhielten seit dem 16. Jahrhundert fast ununterbrochen eine Botschaft in Venedig, nur in Rom und Madrid ist eine vergleichbare langfristige Präsenz festzustellen.9 Dadurch festigten sich vor Ort die institutionellen Strukturen der Botschaft. Venedig stellte zudem an die kaiserlichen Diplomaten besondere Herausforderungen, handelte es sich doch bei der dortigen Regierung nicht wie in der Frühen Neuzeit üblich um eine Monarchie, sondern um eine Republik, zudem eine, die auf ein knapp tausendjähriges Bestehen zurückblicken konnte.10 Nebst dem dadurch fehlenden Hof war vor allem die Einstellung der venezianischen Regierung gegenüber Ausländern, insbesondere ausländischen Diplomaten, ein steter Quell von Konfrontation und Frustration für die Gesandten. Denn es herrschten für sie in Venedig strenge Verhaltensregeln: Man durfte mit dem einheimischen Adel, und dadurch mit sämtlichen an der Regierung beteiligten Personen, nicht persönlich Kontakt aufnehmen, sie aufsuchen oder auch nur mit ihnen korrespondieren.11 Jedwede Kommunikation war streng reglementiert und wurde über einzelne venezianische Behörden in dezidiert festgelegte Abläufe geleitet. Eine Missachtung dieser Verbote konnte die Ausweisung des Gesandten und finanzielle wie strafrechtliche Sanktionen gegen die betroffenen Venezianer zur Folge haben. Durch diese Restriktionen waren die kaiserlichen Gesandten in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und von der venezianischen Adelsgesellschaft weitgehend abgeschnitten.

Weitere Argumente, die für eine Untersuchung der kaiserlichen Botschaft in Venedig sprechen, sind vor allem der fast lückenlos erhaltene Bestand der Botschaftsberichte und -weisungen aus dem vorliegenden Zeitraum sowie die vergleichsweise gute wissenschaftliche Erschließung des kaiserlichen Gesandtschaftswesens allgemein. Die Regierungszeit Maria Theresias ist in diesem Bereich bisher jedoch vernachlässigt worden, wenn überhaupt, findet sie nur in Überblicksdarstellungen kurz Erwähnung. Dabei ist besonders der Zeitraum von 1740 bis 1780 ←12 | 13→von besonderem Interesse für die Erforschung der kaiserlichen Diplomatie, bot er doch nochmals eigene Herausforderungen, in deren Rahmen die Botschaft als Institution weiterentwickelt wurde. Der kurzzeitige Verlust der Kaiserkrone 1740 bis 1745 machte eine Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der habsburgischen Diplomatie notwendig, die auch in der Botschaftskorrespondenz und im viel diskutierten Zeremoniell reflektiert wurde.12 Die in den folgenden Jahrzehnten durchgeführten Reformen veränderten außerdem grundlegend das österreichische Behördensystem und auch die kaiserlichen Botschaften. Damit bietet sich ein Einblick sowohl in die bisher üblichen Strukturen und Abläufe als auch in das von der kaiserlichen Regierung in Wien entwickelte Idealbild einer effizienten, zielgerichtet arbeitenden Botschaft. Nicht zuletzt birgt die Zeitperiode auch ein sich zunehmend verschärfendes Spannungsverhältnis zwischen der einflussreicher werdenden Habsburgerdynastie und der wirtschaftlich wie politisch angeschlagenen Republik Venedig. Mit vier in dieser Zeitspanne aktiven Botschaftern und einem Residenten, Pio di Savoia, Rathgeb, Turinetti, Rosenberg und Durazzo, liegen zudem genügend Aufzeichnungen unterschiedlicher Diplomaten vor, durch deren Vergleich sich Unterschiede sowie Gemeinsamkeiten in ihrer Amtsausübung feststellen und somit Handlungsspielräume und deren Grenzen eruieren lassen.

Um die individuellen Handlungs- und Gestaltungsspielräume der Botschafter und Residenten zu ermitteln und darzustellen, müssen im ersten Schritt der Untersuchung also die zugrundeliegenden Strukturen und Rahmenbedingungen der Botschaften identifiziert und analysiert werden. Erst wenn bekannt ist, welchen Anweisungen, Restriktionen und Verhaltensvorgaben die Botschafter und Residenten unterlagen, kann ermessen werden, inwiefern sie sich durch oder trotz dieser Vorgaben in ihrer Amtsausübung profilierten. Daher muss zuerst die Botschaft als Institution erfasst werden, bevor das Amt des Botschafters und des Residenten untersucht werden kann. Dabei stellt sich die Frage, wie die Botschaft organisiert war, mit welchen Aufgaben sie sich befasste und wie der Alltag ablief. Auch die Beziehung zum Gastgeberland, zu seiner Regierung und Gesellschaft waren entscheidend. Wie war Botschaft und Botschafter institutionell, gesellschaftlich und persönlich integriert? Wo ließen sich Restriktionen, wo Freiräume im Umgang mit den einheimischen Institutionen, Personen und Traditionen finden? Welche Ressourcen standen den Gesandten zur Verfügung? Welche waren ←13 | 14→an das Amt, welche an die Person des Botschafters beziehungsweise des Residenten gebunden? Wie wurden sie verwendet?

Die Beantwortung der Fragen zur Institution der Botschaft ist zusätzlich von Interesse, da noch keine umfassenden Studien dazu existieren. Die Geschichtswissenschaft hat sich bisher nur vereinzelt mit der Botschaft als Institution im Zeitraum der Frühen Neuzeit befasst, trotz ihrer immensen Bedeutung für die Entwicklung des Gesandtschaftswesens. Zahlreiche Studien zum Thema Diplomatie und Gesandtschaftswesen sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten entstanden, jedoch behandeln nur wenige die zugrundeliegenden Strukturen der Botschaft selbst, sodass immer noch erstaunlich wenig über interne Abläufe, Arbeitsalltag und somit auch über die Leistungen einer Botschaft abseits der großen Verträge und Auftritte ihrer Botschafter und Residenten bekannt ist.

Die Institutionsgeschichte, die für eine solche Untersuchung prädestiniert wäre, hat sich kaum mit den Botschaften der Frühen Neuzeit beschäftigt. Diese Forschungsrichtung beschäftigt sich vornehmlich auf der Makroebene mit der Genese und Entwicklung von Institutionen jeder Art, häufig über einen langen, Jahrzehnte oder auch Jahrhunderte umspannenden Zeitraum hinweg. Dabei werden nicht nur die Institutionen selbst, sondern auch ihr Einfluss auf die politischen, militärischen und kulturellen Begebenheiten und Entwicklungen ihres Umfeldes berücksichtigt.13 In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden so zahlreiche Arbeiten zu zentralen Verwaltungs- und Regierungsorganen Europas, vor allem des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und Österreichs, veröffentlicht. Doch diese berücksichtigten die Botschaften kaum und keine Studie widmete sich ihnen ausschließlich. Selbst Arbeiten zur Entwicklung der österreichischen Staatskanzlei, die im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend die Zuständigkeit für die Außenpolitik Österreichs übernahm, gehen kaum auf die ihr zuarbeitenden Institutionen wie die Botschaften ein.14 Diese auf Langfristigkeit ausgelegte, systematische Perspektive der Institutionsgeschichte wird in der Arbeit verwendet, um die Strukturen der Botschaften zu erfassen.

Im Kontrast zur Perspektive der Institutionsgeschichte fokussiert sich die aktuelle Forschung vor allem auf die Diplomaten als handelnde Personen. Dabei werden die Gesandten, ihr Verhalten, ihre Aktivitäten und Netzwerke untersucht und dadurch ihr Einfluss auf die Diplomatie und auf die Beziehungen ←14 | 15→von Auftraggeber und Gastgeber eruiert. Diese akteurszentrierte Perspektive erwuchs im Laufe der 1990er Jahren aus dem sich neu herausbildenden Forschungsfeld der Kulturgeschichte des Politischen, die im folgenden Unterkapitel näher vorgestellt werden wird.15 Bei diesen Arbeiten stehen einzelne Personen in ihrem Umfeld im Vordergrund, auf die zugrundeliegenden Strukturen wird jedoch meist kaum eingegangen. So wird zwar das von den Diplomaten verwendete Zeremoniell ausgiebig analysiert, da dieses ihre öffentlichen Auftritte reglementierte und die sichtbare Repräsentation bestimmte. Wenige Arbeiten fragen jedoch nach der darüberhinausgehenden Organisation der Botschaft. Man erfährt kaum etwas über tagtägliche Arbeitsabläufe, die Zusammensetzung und Aufgaben des restlichen Botschaftspersonals oder die Integration in die Behördenstruktur des Gastgeberlandes, obwohl all diese Punkte ebenfalls die Position des Botschafters beeinflussten. Zugleich bietet diese akteurszentrierte Perspektive einen idealen Ansatz, um sich mit den Handlungsspielräumen der Botschafter auseinanderzusetzen und vor allem den individuellen Einfluss einzelner Personen zu ermitteln.

Um die Frage nach den Handlungsspielräumen der Botschafter beantworten zu können, werden daher diese beiden Forschungsansätze, die Institutionsgeschichte und die akteurszentrierte Perspektive der Diplomatiegeschichte, kombiniert. Zuerst werden die internen Strukturen der Botschaft untersucht und möglichst genau erfasst, darunter Standort und Ausstattung der Botschaft, Personal und Finanzierung, ihre rechtliche Stellung und ihre Einbindung in die jeweiligen Behördensysteme.16 Dadurch wird ein Bild von den Arbeitsumständen der Botschaft gewonnen, das aufzeigt, welchen Vorschriften und Einschränkungen die Botschafter und Residenten unterworfen waren, und wo es Freiheiten gab, Vorgaben fehlten oder diese nur nachlässig definiert waren. Ebenso werden dabei die Veränderungen der Rahmenbedingungen erfasst und ihre Auswirkungen auf die Botschaftsarbeit eruiert.

Erst nach der Beschreibung und Analyse dieses Rahmens werden die Handlungsspielräume der Botschafter und Residenten untersucht.17 Die These ist, dass ←15 | 16→die Strukturen den Raum vorgaben, in dem sich die Gesandten bewegten und die Grundnorm für das jeweils zwischen den verschiedenen Handlungspartnern variierende Zeremoniell bildeten. Wie die Botschafter und Residenten diesen Raum ausfüllten, war dann meist von ihren eigenen Fähigkeiten, Interessen und Netzwerken abhängig, die über die akteurszentrierte Perspektive analysiert werden können. Dabei wird nach den persönlichen Ressourcen der Gesandten gefragt, ihren Prioritäten, Stärken und Schwächen, die die individuelle Ausprägung ihres Amtes bestimmten. Daher müssen auch ihre Biographien und Karrieren vor der Amtsaufnahme berücksichtigt und ihre Netzwerke so weit wie möglich rekonstruiert werden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse werden dann genutzt, um das Verhalten der Botschafter und Residenten zu analysieren.18

Ein besonderer Schwerpunkt der Analyse liegt dabei auf den Netzwerken, die als mitunter einflussreichster Faktor die persönliche Amtsausgestaltung des Diplomaten prägten. Dabei wird unterstellt, dass die Netzwerke der Gesandten in ein offizielles und in ein inoffizielles Netzwerk unterteilt werden können, auch wenn es natürlich Überschneidungen gab. Das offizielle Netzwerk bestand dabei aus Verbindungen, die an das Amt des Botschafters gebunden waren, nicht an seine Person. Es waren formale Beziehungen, die zur Ausführung beruflicher Aufgaben dienten, oftmals von Wien vorgegeben wurden und keine persönliche oder anderweitige vorherige Bekanntschaft voraussetzten. Dementsprechend überdauerten manche Korrespondenzen des offiziellen Netzwerkes mehrere Botschafterwechsel, denn man interagierte vornehmlich als Amtsträger, nicht als Individuen miteinander.

Außerdem ist ein Vergleich zwischen mehreren Botschaftern notwendig, um die Handlungsspielräume zu erfassen, denn nur unter Berücksichtigung mehrerer Amtsinhaber kann ermittelt werden, welche signifikanten Unterschiede und Parallelen es in ihrer Amtsausübung gab, die auf deren Person und nicht auf eine eventuelle Veränderung der zugrundeliegenden Strukturen zurückgeführt werden können.19 Durch ←16 | 17→den Vergleich zwischen den Botschaftern können dann relevante Faktoren erkannt und analysiert werden, die personenübergreifend ihre Handlungsspielräume prägten, erweiterten oder einschränkten, und wie die Botschafter selbst mit diesen Gegebenheiten umgingen. Zugleich lässt sich mit dieser Vorgehensweise herausarbeiten, welche individuellen Ressourcen oder Fähigkeiten von den Botschaftern genutzt wurden, um solche Einschränkungen zu umgehen oder außer Kraft zu setzen.

Selbstverständlich bietet die Arbeit durch ihre Eingrenzung auf eine spezifische Botschaft und einen Zeitrahmen von 40 Jahren keine allumfassende Untersuchung zu Aufbau und Funktionsweise der frühneuzeitlichen Botschaft. Sie ist ein Ausschnitt dieses weiten Themenfeldes, anhand dessen untersucht wird, ob durch die Kombination der Institutionsgeschichte, deren Perspektive generell auf der Makroebene liegt, und der akteurszentrierten Perspektive, deren Fokus auf die Untersuchung der Mikroebene gerichtet ist, die zum Ziel gesetzten Erkenntnisse gewonnen und dargestellt werden können. Zugleich trägt die Studie dazu bei, eine Forschungslücke zu schließen, da bisher zwar einige wenige Arbeiten zu einzelnen Diplomaten der kaiserlichen Botschaft in Venedig im 18. Jahrhundert existieren, aber keine grundlegenden Studien zur Botschaft als Institution und ihre Entwicklung in dieser Zeit.

Das Untersuchungsobjekt wird dabei durchgängig als „kaiserliche“ Botschaft in Venedig bezeichnet. Die Titulierung als kaiserlich entspricht dabei der Selbstbezeichnung in der offiziellen Botschaftskonferenz, in der stets von der kaiserlichen Botschaft oder der „ambasciata cesarea“ gesprochen wird. Auch die Gegenseite, venezianische Behörden wie der Senat und die Staatsinquisition, nutzten diese Bezeichnung. Eine Ausnahme bilden die fünf Jahre zu Beginn des Untersuchungszeitraumes, als nach dem Tod Karls VI. 1740 die Kaiserkrone mit der Wahl und Krönung Karls VII. im Jahr 1742 an das Haus Wittelsbach verloren ging, wo sie bis zum Tode Karls VII. im Jahr 1745 verblieb. In den öffentlichen Dokumenten waren alle Botschaften der Habsburger und damit auch die in Venedig nunmehr nur „königliche“ Institutionen, da nun offiziell der Titel als König von Ungarn der ranghöchste der Habsburger war. Allerdings behielt man in internen Schreiben und Berichten konsequent die Selbstbezeichnung als kaiserliche Botschaft bei. Begründet wird dies nicht explizit, es lässt sich aber herauslesen, dass man den Wittelsbacher Kaiser als Usurpator ansah,20 der unrechtmäßig den Titel des Kaisers ←17 | 18→führte. Somit wurde weiterhin Anspruch auf die Kaiserkrone erhoben. Im Jahr 1745 gelangte mit der Wahl von Franz I., dem Ehemann Maria Theresias, die Kaiserkrone wieder zurück zur Habsburgerdynastie. Diese Selbstbezeichnung wird daher auch in der folgenden Arbeit durchgehend beibehalten und die Botschaft auch in den Jahren 1740 bis 1745 als „kaiserlich“ bezeichnet, um den internen Sprachgebrauch in den Quellen zu reflektieren.21

Wie eingangs geschildert, mangelt es in der Geschichtswissenschaft bisher an grundlegenden Studien zum Botschaftswesen. Daher basiert diese Arbeit vor allem auf ungedrucktem Quellenmaterial aus Wien und Venedig. Für den Großteil der Informationen zur kaiserlichen Botschaft und ihrer Arbeit wird die offizielle Korrespondenz der Botschaft herangezogen, die im Haus-, Hof- und Staatsarchiv (HHStA) in Wien gelagert ist. Die Berichte der Botschafter, Residenten und Legationssekretäre sowie die Weisungen aus Wien von unterschiedlichen Behörden wie der Staats- und Reichshofkanzlei bilden den Grundstock. Hinzu kommen unterschiedliche Unterlagen aus anderen Beständen der HHStA, so unter anderem Kontobücher mit Gehaltsverzeichnissen und Spesenrechnungen sowie die sogenannten Varia, eine Sammlung unterschiedlicher Dokumente, welche die Botschaft in Venedig betreffen. Die Berichte sind für den Untersuchungszeitraum fast komplett erhalten, auch wenn viele in den Berichten erwähnte Beilagen nicht mehr vorhanden sind. Auch die Weisungen sind nicht vollständig erhalten. Zwar decken die vorhandenen Dokumente den gesamten Untersuchungszeitraum ab, beim Vergleich der in den Berichten erwähnten Schreiben mit dem archivierten Material wird jedoch deutlich, dass zahlreiche Schreiben fehlen.

Die Finanzunterlagen sind noch fragmentierter, auch da im Laufe des 18. Jahrhunderts die zuständigen Behörden mehrmals wechselten und somit verschiedene Formen der Kontoführung genutzt wurden. So sind die Rechnungsunterlagen bis 1748 in den Kameralzahlamtsbüchern notiert, spätere Jahrgänge wurden durch den Justizpalastbrand 1927 zerstört.22 Teilweise parallel zu den Kameralzahlamtsbüchern ←18 | 19→wurden außerdem Kontobücher geführt, in denen ebenfalls Verzeichnisse der Botschaftsgehälter und weiterer Ausgaben zu finden sind. Diese reichen über das Jahr 1780 hinaus, sodass sich hier sämtliche Gehälter der Botschafter, Residenten und Legationssekretäre nachvollziehen lassen.23 Minutiae wie Spesenrechnungen und ähnliches haben sich leider kaum erhalten, abgesehen von vereinzelten Einträgen in den sogenannten Kameralen, die im Jahr 1762 einsetzen.24

Dieses Wiener Archivmaterial erlaubt es, die Botschaft sowohl aus Sicht der Botschafter im Spiegel ihrer Berichte zu untersuchen, als auch aus Perspektive der Wiener Zentralbehörden durch ihre Weisungen und die erhaltenen Rechnungsdaten. Damit können die Strukturen der Institution Botschaft erfasst und analysiert werden, sowie die Auswirkungen der Amtszeiten einzelner Botschafter auf die Strukturen. Ebenso ermöglicht es das umfangreiche Quellenmaterial zu erkennen, wie die Amtsinhaber im Einzelnen ihr Amt während ihres Aufenthaltes in Venedig ausgestalteten.

Zu den Wiener Quellen ergänzend hinzugezogen werden Unterlagen aus dem venezianischen Staatsarchiv (ASV), wobei hier vor allem die Berichte der Staatsinquisitoren ergiebig sind, welche die kaiserlichen Gesandten kontinuierlich beobachten ließen. Jedem Botschafter und Residenten war während seiner Amtszeit ein Spitzel zugeteilt, der sich in dessen Bekanntenkreis einschleuste und regelmäßige, mindestens monatliche Berichte verfasste.25 Hier finden sich vor allem Hinweise auf Aktivitäten der kaiserlichen Gesandten, die nicht in der offiziellen Botschaftskorrespondenz erwähnt wurden, da sie entweder persönlicher Natur waren oder in einigen Fällen offensichtlich gegen die Vorgaben der kaiserlichen Regierung verstießen.26 Hinzu kommen Beschlüsse der zentralen venezianischen Regierungsorgane zu diplomatischen und außenpolitischen Angelegenheiten. Vor allem Beschlüsse und Gesetzgebung zu den ausländischen, in Venedig stationierten Botschaften und ihren Privilegien wurden generell vom Senat formuliert und verkündet.27 Besonders ergiebig sind hier die Akten des ←19 | 20→Colleggio28, darunter vor allem die Cerimoniali, ein Verzeichnis aller öffentlichen Auftritte ausländischer Gesandter oder deren Vertreter vor dem Colleggio, stets mit ausführlicher Beschreibung des verwendeten Zeremoniells und der besprochenen Themen.29 Hier finden sich wichtige Hinweise auf das in Venedig verwendete, streng reglementierte Zeremoniell und dadurch auf die öffentlichen Auftritte der Botschafter und die Repräsentation ihre Auftraggeber sowie auf die Aufnahme durch die venezianischen Behörden und ihre Behandlung der Gesandten.

Hinzu kommen vereinzelte Gerichtsakten, wenn Mitglieder der Botschaft, meist Bedienstete, in seltenen Fällen auch die Botschafter beziehungsweise Residenten oder deren Familienangehörige, mit dem venezianischen Gesetz in Konflikt gerieten. Hier zeigen sich deutlich die unterschiedlichen Rechtsauffassungen von Gesandten und venezianischer Regierung, die dabei greifenden rechtlichen und politischen Regelungen sowie die Konsequenzen für die Straftäter selbst. Ergänzend können die Berichte der venezianischen Gesandten in Wien, der Nuntien und der französischen Botschafter in Venedig aus dieser Zeit genannt werden, die jedoch nur wenige für diese Arbeit relevante oder verwertbare Informationen bieten.

Nicht in dieser Arbeit berücksichtigt werden die privaten Aufzeichnungen der kaiserlichen Gesandten. Nur von einigen sind diese überhaupt erhalten, andere verschwanden nach ihrer Pensionierung aus den Unterlagen des Wiener Staatsarchivs und sind nicht mehr aufzufinden. Da es das Ziel der Arbeit ist, die Botschafter und Residenten vor allem in ihrer amtlichen Betätigung zu analysieren um ihre Handlungsspielräume zu erfassen, wurde darauf verzichtet, diese vereinzelten Quellenbestände miteinzubeziehen. Damit beruht die Studie zur Botschaft und zum Verhalten der Gesandten fast vollständig nur auf den amtlichen Quellen oder zumindest auf solchen, die letztlich ihren Weg in die Sammlungen der offiziellen Botschaftsunterlagen fanden.30←20 | 21→

Insgesamt bietet die Analyse dieser Quellen die Möglichkeit, die Botschaft unter verschiedenen Aspekten zu untersuchen und ihre Strukturen und Entwicklungen zu eruieren. Den größten Raum nehmen die Botschaftsberichte und die Darstellung der Begebenheiten und Ereignisse durch die kaiserlichen Gesandten ein, da dieses Quellenkorpus mit Abstand das umfangreichste unter den vorliegenden Materialien ist. Zur kritischen Gegenprüfung dieser Darstellungsweise sind vor allem die Wiener Weisungen sowie die venezianischen Spitzelberichte der Inquisition wertvoll, welche die Aussagen der Gesandten oftmals ergänzen oder diesen auch widersprechen.

I.2 Forschungsgeschichte und -bericht

Diplomatie war als Thema in der Geschichtswissenschaft schon immer präsent, auch wenn es lange eher als Randphänomen wahrgenommen wurde. Die klassische Politikgeschichte konzentrierte sich mehr auf die Resultate der Diplomatie, auf Verträge, Kriege und deren Auswirkungen auf staatlicher Ebene als auf die Institutionen und Personen, die diese Verträge aushandelten.31 Mit der Konzipierung einer Kulturgeschichte des Politischen entstand in den 1990er Jahren ein neuer Ansatz zur Annäherung an das Thema Diplomatie, dessen Fokus zum einen auf den Akteuren der Diplomatie, also den Botschaftern, Residenten und Konsuln lag, zum anderen auf dem zuvor von der Geschichtswissenschaft als nebensächlich abgeschriebenen Zeremoniell und die im diplomatischen Gebaren eingebetteten Rituale und symbolische Kommunikation.32 Betont werden die Personen, ihre ←21 | 22→Rollen, ihr Wirken und ihr Einfluss. Im Rahmen dieser Neuausrichtung entstanden in den letzten Jahren und Jahrzehnten zahlreiche Einzelstudien zu bestimmten Botschaftern, doch auch hier wird nur selten auf die Botschaft als Institution eingegangen, der Fokus liegt stattdessen ausschließlich auf den Handlungsspielräumen der involvierten Personen und deren Verhalten.

Die Grundkonzeption der vorliegenden Arbeit ist dabei signifikant von der Kulturgeschichte des Politischen33 inspiriert. Viele der Faktoren, die in dieser Arbeit thematisiert werden, wurden bereits in den Vordergrund des geschichtswissenschaftlichen Interesses gerückt. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Forschungsrichtung gehört Barbara Stollberg-Rillinger, die sich ausführlich mit dem diplomatischen Zeremoniell als Ritual und seiner zuvor meist angezweifelten und unterschätzten realpolitischen Dimension auseinandersetzt.34 Sie definiert das Zeremoniell als normativen Rahmen, welchen Diplomaten verwendeten, um über Landes-, Kultur- und Kriegsgrenzen hinweg zu verhandeln. André Krischer liefert eine detaillierte Beschreibung und Kategorisierung des Zeremoniells, indem er es zum einen in seiner Rolle als symbolische Kommunikation definiert. Zugleich zeigt er seine Wirkung in der Ständegesellschaft auf, vor allem die Signifikanz von Ehre, Hierarchie und das Problem der nur langsam voranschreitenden Normierung.35 ←22 | 23→Das sich ständig weiterentwickelnde zeremonielle Regelwerk von Verhaltensmustern und Symbolen ermöglichte erst durch seine höchst formalisierte und stilisierte Form die Kommunikation zwischen Herrschaften trotz ihrer problematischen, meist antagonistischen Beziehungen. Durch symbolische Handlungen konnten Diplomaten als Vertreter ihrer Souveräne diese negativen Beziehungen darstellen, ohne direkte realpolitische Konsequenzen zu provozieren. Der formelle, ritualisierte Rahmen erlaubte eine Freiheit in der Kommunikation, die außerhalb des Zeremoniells so nicht gegeben war.36

Dieser Interpretation des diplomatischen Zeremoniells als parallele, formalisierte Kommunikationsform folgt auch diese Untersuchung und fragt nach dessen Bedeutung im Alltag des Botschaftspersonals. Die diplomatischen Vertreter waren kontinuierlich an die Einhaltung des Zeremoniells gebunden, sowohl, um der Repräsentation ihres eigenen Monarchen in seiner diplomatischen Stellung gerecht zu werden, als auch um den verlangten Respekt gegenüber den Gastgebern auszudrücken. Auch erlaubte die symbolische Ebene des Zeremoniells den Ausdruck von Wertschätzung wie Geringschätzung, wie er gerade im alltäglichen Gebrauch einer ständigen Gesandtschaft oft zum Tragen kam, wenn der Schein „freundschaftlicher“ Beziehungen gewahrt werden musste, unabhängig von den politischen Krisen zwischen Heimat und Gastgeber.

Ebenfalls dem kulturgeschichtlichen Ansatz verbunden ist der Zugriff auf frühneuzeitliche diplomatische Themen über die akteurszentrierte Perspektive, die sich auf die Politik der Mikroebene konzentriert. Sie untersucht einzelne, in der Diplomatie und in anderen politischen Bereichen tätige Personen, um deren Handlungsspielräume zu erschließen sowie ihren Einfluss über die Mikroebene hinaus ←23 | 24→auf die Makroebene der institutionellen und nationalen Geschichtsschreibung darzustellen.37 Hillard von Thiessen und Christian Windler gehören zu den prominentesten Fachvertretern, die diesen Ansatz entwickelt haben und verwenden.38

Eng damit verbunden ist auch die von Wolfgang Reinhard, dem Lehrer von Windler und von Thiessen, begründete historische Netzwerkforschung.39 Reinhard widmete sich in seinen Arbeiten der Mikrogeschichte, untersuchte die Vernetzung historischer Personen in formellen und vor allem informellen Beziehungen sowie die Nutzung solcher Netzwerke. Gerade im Bereich der frühneuzeitlichen Diplomatie hing der Erfolg oder Misserfolg einer Mission häufig von der Fähigkeit der Diplomaten ab, Beziehungen aufzubauen oder bereits existierende Verbindungen zu nutzen. Deswegen werden solche Netzwerke in der Frühneuzeitforschung der letzten Jahrzehnte vor allem im Bereich der Politikgeschichte bearbeitet. Reinhard war in den 1970er Jahren einer der ersten, der die zuvor hauptsächlich von der Soziologie verwendete Methode der Netzwerkanalyse auf historische Studien übertrug und unter dem Namen Verflechtungsgeschichte verwendete.40 Dadurch etablierte sich in den letzten zwanzig Jahren die Mikrogeschichte als Forschungsrichtung, ←24 | 25→die den „mehr oder weniger planmäßigen Einsatz eines Netzes informeller persönlicher Beziehungen zu politischen Zwecken[…]“41 untersucht.

Details

Seiten
338
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631843147
ISBN (ePUB)
9783631843154
ISBN (MOBI)
9783631843161
ISBN (Hardcover)
9783631843130
DOI
10.3726/b17897
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Juli)
Schlagworte
Gesandtschaftswesen Diplomatiegeschichte Handlungsspielräume Akteurszentrierte Perspektive Diplomatie Institutionsgeschichte
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 338 S.

Biographische Angaben

Juliane Märker (Autor:in)

Juliane Märker studierte Geschichte und Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Sie war als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Seminar in Mainz tätig, wo auch ihre Promotion erfolgte.

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Titel: Die kaiserliche Botschaft in Venedig zur Zeit Maria Theresias (1740-1780)
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340 Seiten