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Die Herabsetzung der Vergütung des Vorstandes nach § 87 Abs. 2 AktG vor dem Hintergrund der Vergütungsproblematik, der besonderen Rolle des Vorstandes und seiner Rechtsbeziehung zur Aktiengesellschaft

von Simon Krämer (Autor:in)
©2021 Dissertation 226 Seiten

Zusammenfassung

Dieses Werk befasst sich mit § 87 Abs. 2 AktG, einer Vorschrift, die in ihrer jetzigen Form im Zuge der Finanzkrise durch das so genannte VorstAG eingeführt wurde und in der Literatur zum Teil auf erhebliche Ablehnung gestoßen ist. Sie steht im Kontext des Prozesses zunehmender Verrechtlichung des Bereichs der aktienrechtlichen Vorstandsvergütung. Der Autor zeigt auf, inwieweit die Vorschrift in einem Spannungsverhältnis zur allgemeinen Zivilrechtsdogmatik steht und entwickelt daraus ein eigenes, restriktives Normverständnis. Er bettet seine Ausführungen und Ansätze dabei in eine ausführliche Darstellung aktienrechtlicher Grundlagen ein.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Problemstellung, Zielsetzung der Arbeit, Gang der Untersuchung
  • A. Problemstellung
  • B. Zielsetzung
  • C. Gang der Untersuchung
  • Erster Teil: Der Vorstand und seine Vergütung
  • A. Die Vorstandsvergütung als regelungsbedürftiges Problem
  • I. Regelungsdefizit als Anknüpfungspunkt
  • II. Praxis der Vorstandsvergütung in Deutschland
  • 1. Entwicklung der Vorstandsvergütung
  • 2. Verteilung der Vergütung
  • 3. Zusammensetzung der Vergütung
  • 4. Zusammenfassung
  • III. Ökonomische Grundlagen der Vergütung
  • 1. Prinzipal-Agenten-Theorie
  • 2. Management-Entrenchment-Perspektive
  • 3. Weitere Erklärungsansätze
  • 4. Zwischenergebnis
  • IV. Zusammenfassung
  • B. Die Stellung des Vorstandes in der Verfassung der Aktiengesellschaft
  • I. Die Aktiengesellschaft
  • II. Entstehung und Entwicklung der Aktiengesellschaft
  • 1. Entstehung der Aktiengesellschaft
  • 2. Entwicklung der Verfassung der Aktiengesellschaft
  • III. Das Prinzip der Fremdorganschaft
  • IV. Aktienrechtliche Zielvorgabe
  • 1. Vorbemerkung
  • 2. Der Interessensbegriff
  • 3. Das Gesellschaftsinteresse
  • 4. Das Unternehmensinteresse
  • a) Das Unternehmen als Anknüpfungspunkt
  • b) Interessenpluralismus
  • 5. Meinungsansätze
  • a) Shareholder-Value-Ansatz
  • b) Stakeholder-Value-Ansatz
  • c) Moderater Shareholder-Value-Ansatz
  • d) Vorbehalte gegen die herrschende Meinung
  • 6. Zwischenergebnis
  • V. Zusammenfassung
  • C. Rechtsbeziehung zwischen Vorstand und Gesellschaft
  • I. Trennungsgrundsatz
  • II. Organschaftliche Pflichten
  • 1. Eigenverantwortliche Unternehmensleitung
  • 2. Treuepflicht
  • a) Entwicklung des Rechtsinstituts
  • b) Treuhandlösung
  • c) Dogmatische Rechtfertigung
  • d) Zusammenfassung
  • III. Anstellungsvertrag
  • 1. Rechtsnatur des Anstellungsvertrags
  • 2. Abschluss des Anstellungsvertrags
  • 3. Anwendbarkeit des Arbeitsrechts
  • 4. Inhalt des Anstellungsvertrags
  • 5. Leistungsmaßstab
  • 6. Schadensersatz und Gewährleistungsrechte
  • 7. Dauer und Beendigung der Anstellung
  • 8. Abfindungszahlungen
  • 9. Zusammenfassung
  • IV. Rechtsrahmen der Vergütung
  • 1. Die Regelung des § 87 Abs. 1 AktG
  • a) Historische Entwicklung
  • b) Tatbestand des § 87 Abs. 1 AktG
  • (1) Allgemeines
  • (2) Gesamtbezüge
  • (3) Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitgliedes
  • (4) Lage der Gesellschaft
  • (5) Üblichkeit der Vergütung
  • (6) Ausrichtung auf die Nachhaltigkeit
  • (7) Variable Vergütungsbestandteile
  • c) Bewertung und Einordnung des § 87 Abs. 1 AktG
  • 2. Transparenzvorschriften
  • 3. Vergütungsvotum der Hauptversammlung und ARUG II
  • V. Zusammenfassung
  • D. Zwischenfazit
  • Zweiter Teil: Die Herabsetzung der Vorstands- vergütung nach § 87 Abs. 2 AktG
  • A. Entstehung und Vorgängernorm
  • I. Vorgängernorm
  • II. Dogmatisches Verständnis der Vorgängernorm
  • III. Neufassung durch das VorstAG
  • B. Tatbestandsmerkmale des § 87 Abs. 2 AktG
  • I. Allgemeines
  • II. Verschlechterung der Lage der Gesellschaft
  • III. Unbilligkeit der Weitergewährung der Bezüge
  • IV. Soll-Vorschrift
  • V. Maß der Herabsetzung
  • VI. Herabsetzung von Versorgungsbezügen
  • VII. Zwischenfazit
  • C. Versuch einer dogmatischen Einordnung
  • I. Das Erfordernis einer dogmatischen Einordnung
  • 1. Bruch mit dem Vertragstreuegrundsatz
  • a) Der Vertragstreuegrundsatz
  • b) Grenzen der Vertragstreue
  • 2. Bruch mit der dienstvertraglichen Risikoverteilung
  • 3. Zusammenfassung
  • II. Die Entscheidung des BGH vom 27.10.2015
  • 1. Sachverhalt und Gang des Verfahrens
  • 2. Entscheidungsgründe
  • 3. Analyse der Entscheidung
  • III. Ansätze einer dogmatischen Einordnung
  • 1. § 87 Abs. 2 AktG als kodifizierter Fall der Treuepflicht
  • a) Vorstellung des dogmatischen Ansatzes
  • b) Vorbehalte gegen ein entsprechendes Normverständnis
  • c) Zusammenfassung
  • 2. Eingeschränkte Vertragstreue bei Fremdinteressenwahrung
  • a) Vorstellung des dogmatischen Ansatzes
  • b) Vorbehalte gegen ein entsprechendes Normverständnis
  • (1) Austauschvertragscharakter des Vorstandsvertrags
  • (2) Synallagmatische Beziehung von Leistung und Vergütung
  • (3) Keine im Gesetz angelegte Einschränkung der Vertragstreue
  • (4) Keine privilegierte Stellung des Vorstandes
  • c) Zusammenfassung
  • 3. § 87 Abs. 2 AktG als Sonderfall des § 313 BGB
  • a) Vorstellung des dogmatischen Ansatzes
  • b) Vorbehalte gegen ein entsprechendes Normverständnis
  • (1) Notbehelfscharakter der Norm
  • (2) Risikoverteilung
  • (3) Geschäftsgrundlage des Vorstandsvertrags
  • (4) Unterschiedlicher Normzweck
  • c) Zusammenfassung
  • 4. Weitere Ansätze
  • a) § 87 Abs. 2 AktG als Lösung eines Vertretungsproblems
  • b) Übermachtkontrolle
  • c) Zurechnungsnorm
  • IV. Zwischenergebnis
  • D. Die Verfassungskonformität des § 87 Abs. 2 AktG
  • I. Vorbemerkung
  • II. Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie
  • 1. Die Herabsetzung der laufenden Vergütung
  • 2. Die Herabsetzung von Ruhegehältern
  • III. Vereinbarkeit mit der allgemeinen Handlungsfreiheit
  • 1. Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragstreue
  • 2. Eingriff und Rechtsfertigung
  • 3. Zusammenfassung
  • E. Restriktive Auslegung von § 87 Abs. 2 AktG
  • I. Vormerkung
  • II. Reichweite von Wortsinn und gesetzgeberischem Willen
  • III. Erschöpfung der autonomen Finanzierungsfähigkeit
  • 1. Vorstellung des Ansatzes
  • 2. Vorbehalte gegen den Ansatz
  • IV. Anreiz zur nachhaltigen Unternehmensentwicklung
  • 1. Vorstellung des Ansatzes
  • 2. Vorbehalte gegen den Ansatz
  • V. Mittel zur Krisenbewältigung
  • 1. Vorstellung des Ansatzes
  • 2. Vorbehalte gegen den Ansatz
  • VI. Eigener Ansatz eines restriktiven Normverständnisses
  • 1. Vorbemerkung
  • 2. Der tatbestandliche Anknüpfungspunkt
  • 3. Restriktive Auslegung des Unbilligkeitskriteriums
  • a) Fehlverhalten im Rahmen der Billigkeitsprüfung
  • (1) Verhaltensspielraum des § 93 Abs. 1 S. 2 AktG
  • (2) Übertragung auf § 87 Abs. 2 AktG
  • (3) Unzureichende Verhaltenssteuerung durch Schadensersatzpflicht
  • (4) § 87 Abs. 2 AktG als weiteres Instrument der Verhaltenssteuerung
  • b) Systemkohärenz eines solchen Normverständnisses
  • (1) Das Fehlen eines dienstvertraglichen Minderungsrechts
  • (2) § 87 Abs. 2 AktG als spezialgesetzliches Minderungsrecht
  • 4. Die Lageverschlechterung als Einstiegsvoraussetzung
  • 5. Verzicht auf haftungsausfüllende Kausalität
  • 6. Anknüpfung am Gesetzeswortlaut
  • 7. Anknüpfung an die gesetzgeberische Intention des VorstAG
  • a) Verhaltenssteuerung als Ziel der Regelungen des VorstAG
  • b) Parallele zum zwingenden Selbstbehalt in § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG
  • c) Zurechnungserfordernis in der Gesetzbegründung
  • 8. Übereinstimmung mit der BGH-Rechtsprechung
  • 9. Ermessensspielraum und Maß der Herabsetzung
  • 10. Zwischenergebnis
  • F. Praktische Konsequenzen
  • I. Herabsetzung auf Null
  • II. Belastung mehrerer Vorstandsmitglieder
  • III. Anwendbarkeit auf Abfindungen
  • IV. Rückgängigmachung der Herabsetzung
  • V. Haftung des Aufsichtsrats
  • VI. Anwendbarkeit auf die GmbH
  • G. Ausblick
  • Fazit
  • Literaturverzeichnis

←14 | 15→

Einleitung

In fast regelmäßigen Rhythmus entflammt in Deutschland die kontroverse Diskussion über die Entlohnung von Managern. Jüngst war es der so genannte Abgasskandal bei einigen deutschen Automobilherstellern, der die Diskussion wieder anfachte.1 Die Diskussion kann insoweit schon als „Dauerbrenner“ bezeichnet werden.2

Besonders arbeitnehmernahe Organisationen und Parteien aus dem linken politischen Spektrum greifen dieses Thema gerne auf und kritisierten das grobe Missverhältnis zwischen dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeitnehmers und der „exorbitanten“ Vergütung eines DAX-Vorstandes.3 Die häufig sehr hohen Gehälter wurden und werden teilweise als unangemessen empfunden und Unternehmensleitern wird vorgeworfen, dass ihre Vergütung in keinem Verhältnis zu der von ihnen erbrachten Leistung stehen würde.4 Dies verletze „geltende […] Gerechtigkeitsvorstellungen“.5

Gerade zu Beginn der Finanzkrise im Jahr 2008 sah man in der Praxis der Vorstandsvergütung eine „Gerechtigkeitslücke6 und im Hinblick auf falsche Bonus- und Anreizsysteme auch eine der Ursachen für die Krise.7

Eng verwoben ist diese Diskussion mit der Forderung nach einer stärkeren Haftung von Managern und mehr Transparenz.8 Sie steht im Brennpunkt der allgemeinen Corporate Governance Debatte.9 Zugleich wird sich auch die Parallele zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Debatte, die sich mit dem Thema der Verteilungsgerechtigkeit auseinandersetzt, nicht leugnen lassen.

Der Gesetzgeber reagiert auf die Diskussion mit zunehmender Regulierung des Bereichs der aktienrechtlichen Vorstandsvergütung, jüngst mit dem Gesetz zur Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (abgekürzt ARUG II), ←15 | 16→welches der Bundestag am 14.11.2019 in der Fassung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 13.11.2019 in zweiter und dritter Lesung verabschiedet hat und welches voraussichtlich zum 1. Januar 2020 in Kraft treten wird.10

Die zunehmende Verrechtlichung der aktienrechtlichen Vorstandsvergütung erfolgt nicht allein auf nationaler, sondern auch auf europäischer Ebene.11 Sie erfolgt zunehmend auch, wie noch dargelegt werden wird, auf Kosten der Vertragsfreiheit.

Neben der öffentlichen, politischen Diskussion rückte das Thema der Managervergütung vermehrt auch in den Fokus der Wissenschaften. Nicht nur Wirtschaftswissenschaftler, sondern auch Soziologen und Politikwissenschaftler und nicht zuletzt Juristen beschäftigten sich vermehrt mit dem vermeintlichen Problem der zu hohen Managergehälter und dessen Ursachen.12 Bei den juristischen Abhandlungen und Untersuchungen setzt man sich intensiv mit den neuen Vorschriften, die als Folge der politischen Diskussion verabschiedet wurden, auseinander. Man versucht Auslegungsansätze zu finden und verwirft teilweise auch Neuerungen als unpraktisch oder systemfremd.13 Zudem wird vermehrt versucht, die Erkenntnisse der Ökonomie zur Auslegung von Normen heranzuziehen.14

In der vorliegenden Arbeit soll ein Teilbereich des Themenkomplexes „Managergehälter“, nämlich die nachträgliche Herabsetzung dieser Gehälter gemäß § 87 Abs. 2 AktG ausführlich untersucht werden. Da der Gesetzgeber mit dem bereits erwähnten ARUG II derzeit weitere Regelungen zur Vorstandsvergütung schafft und insbesondere § 87 AktG um einen Abs. 4 ergänzt, sowie einen neuen § 87a AktG einfügt, gibt dies Anlass sich mit den bisherigen Regelungen zur Vorstandsvergütung in § 87 AktG auseinanderzusetzen.

Die Vorschrift steht nicht nur in einem engen Zusammenhang mit der allgemeinen Debatte über Vorstandsgehälter, sondern steht auch im besonderen Maße für den Prozess der zunehmenden Verrechtlichung des Bereichs der aktienrechtlichen Vorstandsvergütung auf Kosten allgemeiner zivilrechtlicher Dogmatik und des Grundsatzes der Privatautonomie.

←16 | 17→

Problemstellung, Zielsetzung der Arbeit, Gang der Untersuchung

Die häufig im Rahmen der öffentlichen Diskussion verwendete Überschrift „Managergehälter“ ist aus juristischer Sicht nicht präzise. Wenn über Managergehälter diskutiert wird, so ist nicht das Gehalt von Managern allgemein gemeint, sondern es geht in aller Regel vielmehr um die Vergütung der organschaftlichen Geschäftsleiter von Großunternehmen.

Diese Großunternehmen sind in aller Regel in der Rechtsform der Aktiengesellschaft (AG) organisiert. Bei der inzwischen immer beliebter werdenden Societas Europaea (SE) gelten die Vorschriften zur Anstellung und Vergütung eines Vorstandes nach dem AktG entsprechend (§ 40 Abs. 7 SEAG).

Das vermeintliche Problem überhöhter Managergehälter scheint also in besonderem Maße ein spezifisch aktienrechtliches Problem zu sein. Insoweit erscheint es nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber in Konsequenz der allgemeinen Debatte hier anknüpft und im Recht der Aktiengesellschaft versucht, der Vergütungsproblematik Herr zu werden.

A. Problemstellung

Wie dargelegt, ist ein besonderer Aspekt der zunehmenden Verrechtlichung des Bereichs der Vorstandsvergütung in der Aktiengesellschaft die einseitige Herabsetzungsmöglichkeit von als überhöht empfundenen Gehältern in der Krise (§ 87 Abs. 2 AktG).

Wenn ein Unternehmen floriert, Gewinne erwirtschaftet und Arbeitsplätze schafft, stört sich die Öffentlichkeit – abseits allgemeiner Debatten über Verteilungsgerechtigkeit – eher weniger an der hohen Vergütung eines Vorstandes. Dem zugrunde liegt wohl die Annahme, dass die Leistungen des Vorstandes zumindest mitursächlich für den Erfolg des Unternehmens seien und es deswegen legitim sei, wenn er an diesem Erfolg teilhat.

Gerät ein Unternehmen allerdings in die Krise und stehen insbesondere Arbeitsplätze auf dem Spiel, so wird es als ungerecht empfunden, wenn weiterhin eine hohe Vergütung an den Vorstand gezahlt wird.

Insoweit wird in der öffentlichen Wahrnehmung der wirtschaftliche Misserfolg des Unternehmens ebenso wie der Erfolg dem Vorstand zugerechnet. Scheidet ein Vorstandsmitglied im Krisenfall gar aus der Gesellschaft aus und erhält es eine hohe Abfindung, erregt das die Gemüter umso mehr. Wenn wirtschaftlicher Misserfolg als Ursache für das Ausscheiden eines Vorstandes ←17 | 18→wahrgenommen wird, so wirkt es auf viele befremdlich bzw. evident ungerecht, dass der Abgang mit goldenem Handschlag versüßt wird.

Insoweit wird offenbar die Vergütung eines Vorstands als Belohnung für den von ihm verursachten wirtschaftlichen Erfolg betrachtet. Bleibt dieser Erfolg aus – so die laienhafte Erwartung – müsse dies auch unmittelbar Auswirkungen auf die Vergütung haben.

Aus zivilrechtsdogmatischer Sicht lässt sich diese Einschätzung nicht teilen. Der Anstellungsvertrag eines Vorstandes ist, worauf im Folgenden noch näher eingegangen werden wird, in der Regel dienstvertraglicher Natur (§ 611 ff. BGB) in Form eines entgeltlichen Geschäftsbesorgungsvertrags (§ 675 BGB). Im Gegensatz zum Werkvertrag wird bei einem Dienstvertrag grundsätzlich nicht ein bestimmter Erfolg, also ein bestimmtes Arbeitsergebnis geschuldet, sondern die lediglich die Leistung von Diensten.15

Nach der gesetzlichen Konzeption des Dienstvertrages gibt es also keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistungserfolg und Leistungsvergütung, es sei denn, dass ein solcher etwa in Form variabler Vergütungsbestandteile zwischen den Parteien vereinbart wurde.16 Grundsätzlich kann ein zur Dienstleistung Verpflichteter daher unabhängig davon, ob seine Dienstleistung den vom Dienstherren erwarteten Erfolg hat oder nicht, die vereinbarte Vergütung verlangen. Die Hoffnung auf eine Steigerung eines Unternehmenserfolgs dürfte vielmehr als ein außervertragliches Motiv des Dienstherrn zu sehen sein.17

Daran ändert im Grundsatz auch die unternehmerische Krise des Dienstherren nichts. Der zur Dienstleistung Verpflichtete hat auch in der Krise Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung. Das unternehmerische Risiko liegt insoweit alleine bei dem Dienstherrn.

Dass insoweit nach der gesetzlichen Grundkonzeption auch vermeintliches Missmanagement keine Auswirkungen auf den Vergütungsanspruch des Vorstandes einer Aktiengesellschaft hat, wird bereits seit langer Zeit als ungerecht empfunden.

Schon das Unrechtsregime der Nationalsozialisten reagierte hierauf im Jahr 1937 mit der Schaffung des damaligen § 78 AktG, heute § 87 AktG.18 Nach ←18 | 19→Absatz 2 dieser Vorschrift, wurde der Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ermächtigt, bei einer wesentlichen Verschlechterung der Lage der Gesellschaft die Vergütung des Vorstandes herabzusetzen, wenn die Weitergewährung der Bezüge eine schwere Unbilligkeit darstellen würde.

Diese Regelung wurde bereits in der damaligen Kommentierung als „äußerster Notbehelf“ bezeichnet.19 Dementsprechend führte sie auch nur ein Schattendasein und kam selten zur Anwendung, was sich unter anderem daran zeigte, dass es kaum Rechtsprechung zu dieser Vorschrift gab.20 Insoweit galt die Vorschrift als „papierne[s]; Recht21 oder „tote[s] Recht“.22

Der Gesetzgeber ist gegen dieses Vollzugsdefizit im Jahr 2009 vorgegangen und wollte mit einer klareren, verschärften Fassung der Norm „neues Leben einhauchen“.23

Durch das VorstAG24 wurde § 87 Abs. 2 AktG grundlegend neugestaltet und die Voraussetzungen für die Herabsetzung der Vergütung wurden erheblich erleichtert.

In der nunmehr seit 2009 geltenden Fassung lautet der Wortlaut des in dieser Arbeit behandelten § 87 Abs. 2 AktG:

Verschlechtert sich die Lage der Gesellschaft nach der Festsetzung so, dass die Weitergewährung der Bezüge nach Absatz 1 unbillig für die Gesellschaft wäre, so soll der Aufsichtsrat oder im Falle des § 85 Absatz 3 das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats die Bezüge auf die angemessene Höhe herabsetzen. Ruhegehalt, Hinterbliebenenbezüge und Leistungen verwandter Art können nur in den ersten drei Jahren nach Ausscheiden aus der Gesellschaft nach Satz 1 herabgesetzt werden. Durch eine Herabsetzung wird der Anstellungsvertrag im übrigen nicht berührt. Das Vorstandsmitglied kann jedoch seinen Anstellungsvertrag für den Schluß des nächsten Kalendervierteljahrs mit einer Kündigungsfrist von sechs Wochen kündigen.

Ausweislich der Gesetzesbegründung zum VorstAG soll Vorstandsversagen mit der erleichterten Herabsetzungsmöglichkeit sanktioniert werden. ←19 | 20→Dies solle nicht nur gelten, wenn der Vorstand pflichtwidrig gehandelt habe, sondern auch dann, wenn ihm zwar kein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen sei, die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft ihm jedoch zurechenbar sei.25

Diese erklärte Absicht des Gesetzgebers stieß zu Recht auf erhebliche Bedenken in der Literatur.26 Schließlich lässt sich die einseitige Möglichkeit zur Änderung des Vertragsinhalts sich kaum mit dem Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) vereinbaren. Dieser Grundsatz entspringt wie auch die Vertragsfreiheit der Privatautonomie, die in Anbetracht der heutigen Gesetzgebung in zunehmender und besorgniserregender Weise auf dem Rückzug begriffen zu sein scheint.27

Überdies zeichnet sich mit der Andeutung einer Zurechnung jenseits der Pflichtwidrigkeit ein systematisch kaum zu begründender „Paradigmenwechsel hin zu einer Misserfolgshaftung“ ab, worauf Dauner-Lieb zu Recht hinweist.28

Zudem zeigt ein Blick auf die Praxis, dass ein nicht unerheblicher Teil der Vorstandsvergütung bei Aktiengesellschaften variabel ausgestaltet ist.29 Dies berücksichtigte auch der VorstAG-Gesetzgeber, als er in § 87 Abs. 1 dezidierte Vorgaben für die Vereinbarung variabler Vergütungsbestandteile schuf.30 Ein variabel vergüteter Vorstand nimmt bereits Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung der Aktiengesellschaft. Auch vor diesem Hintergrund fragt es sich, wieso es überhaupt der Regelung des § 87 Abs. 2 AktG bedarf.

Sein Ziel, nämlich das Vollzugsdefizit der Vorschrift zu bekämpfen, hat der Gesetzgeber mit der Verschärfung insoweit erreicht, als dass es nunmehr tatsächlich höchstrichterliche Rechtsprechung zu der neugefassten Vorschrift gibt. In einer „Grundsatzentscheidung31 hat sich der II. Zivilsenat des BGH im Jahr 2015 intensiv mit der einseitigen Herabsetzungsmöglichkeit auseinandergesetzt und in dem zugrundeliegenden Fall die Herabsetzung auch grundsätzlich für wirksam erachtet.32 In dieser Entscheidung, auf die im Folgenden noch ausführlicher eingegangen wird, stellt der BGH auf den in der ←20 | 21→Gesetzesbegründung zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers ab. Zugleich rechtfertigt er die weite Auslegung des Anwendungsbereichs der Vorschrift mit der Treuepflicht eines Vorstandes, in deren Rahmen es geboten sei, ihn „an dem Schicksal der Gesellschaft teilhaben zu lassen“.33

In § 87 Abs. 4 AktG-E, welcher durch das ARUG II eingeführt wird, geht es auch um die Herabsetzung der Vergütung. Allerdings geht es hierbei um die im Vergütungssystem nach § 87a AktG-E (ebenfalls durch das ARUG II neu eingeführt) festgelegte Maximalvergütung (§ 87a Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 AktG-E). Das vom Aufsichtsrat nach § 87a Abs. 1 AktG-E zu beschließende Vergütungssystem und die entsprechende Begrenzung („cap“) auf eine Maximalvergütung binden den Aufsichtsrat und haben insoweit mittelbaren Einfluss auf den Vorstandsanstellungsvertrag und die dort vereinbarte Vorstandsvergütung. Der Aufsichtsrat soll gemäß § 87a Abs. 2 S. 1 AktG-E die Vorstandsvergütung in Übereinstimmung mit dem der Hauptversammlung nach § 120a Absatz 1 zur Billigung vorgelegten Vergütungssystem festsetzen. Eine Abweichung ist gemäß § 87a Abs. 2 S. 2 AktG-E allerdings zulässig, wenn die dies im Interesse des langfristigen Wohlergehens der Gesellschaft notwendig ist und das Vergütungssystem eine entsprechende Abweichung im Hinblick auf das Verfahren und die Bestandteile vorsieht. Der durch das ARUG II neu eingeführte § 87a AktG-E beinhaltet insoweit – wie auch § 87 Abs. 1 AktG – eine Pflicht des Aufsichtsrats und keine unmittelbare zwingende Vorgabe von Vertragsinhalt im Verhältnis zwischen Aktiengesellschaft und Vorstandsmitglied. Er unterscheidet sich somit grundlegend von § 87 Abs. 2 AktG, der unmittelbar an der Vertragsbeziehung zwischen Aktiengesellschaft und Vorstandsmitglied ansetzt.

B. Zielsetzung

Die anhaltende Diskussion zu § 87 Abs. 2 AktG, die zwischenzeitlich ergangene höchstrichterliche Rechtsprechung zu der Vorschrift sowie die neuen mit dem ARUG II eingeführten Vorschriften zur Vorstandsvergütung bieten Anlass sich auch tiefergehend mit § 87 Abs. 2 AktG auseinanderzusetzen.

Dies erfordert zunächst eine Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Problem der Vorstandsvergütung und der besonderen, verfassungsmäßigen Rolle des Vorstandes einer Aktiengesellschaft sowie der Rechtsbeziehung zwischen Aktiengesellschaft und Vorstand.

Schließlich kann § 87 Abs. 2 AktG nur vor dem Hintergrund der besonderen Rolle des Vorstandes und im Kontext der allgemeinen Debatte über ←21 | 22→Vorstandsgehälter verstanden werden, die letztlich auch zur Schaffung der Vorschrift in ihrer jetzigen Form geführt haben und auch Anlass für die neuen Vorschriften im Rahmen des ARUG II waren.

Die Diskussion insbesondere auch zu dem hier behandelten § 87 Abs. 2 AktG, wird ganz überwiegend in Form von Zeitschriftenaufsätzen, Kommentierungen und Gerichtsentscheidungen geführt. Hierbei ist es schon alleine im Hinblick auf den üblichen Umfang kaum möglich, sich tiefergehend mit den beschriebenen Grundlagen auseinanderzusetzen. Insoweit drängt es sich geradezu auf, bei einer Abhandlung, wie der vorliegenden, zunächst diesen Gesamtkontext zu erarbeiten. Dies gilt umso mehr, wenn man bezogen auf einzelne Fragen auch nicht die herrschende Meinung teilt.

Wie aufgezeigt, scheint sich die Vorschrift des § 87 Abs. 2 AktG, in der sich eine Zurechnung jenseits der Pflichtwidrigkeit andeutet, nicht so richtig in das System von dienstvertraglicher Anstellung und gesellschaftsrechtlicher Organstellung des Vorstandes der Aktiengesellschaft einzufügen. Dies bietet Anlass sich auch tiefergehend mit der besonderen, verfassungsmäßigen Rolle des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, der Rechtsbeziehung zwischen Aktiengesellschaft und Vorstand und dem Problem der Vorstandsvergütung auseinanderzusetzen. Vor diesem Hintergrund soll sodann die Vorschrift des § 87 Abs. 2 AktG untersucht werden und ein systemkohärentes Normverständnis entwickelt werden.

Details

Seiten
226
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631841099
ISBN (ePUB)
9783631841105
ISBN (MOBI)
9783631841112
ISBN (Hardcover)
9783631822029
DOI
10.3726/b17812
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Vorstandsvergütung Vertragstreue Vergütungsherabsetzung VorstAG
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 226 S.

Biographische Angaben

Simon Krämer (Autor:in)

Simon Leonhard Krämer studierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn und absolvierte anschließend einen LL.M.-Studiengang an der Universität zu Köln. Er promovierte neben der Ableistung des Rechtsreferendariats am Landgericht Köln und ist seitdem als Rechtsanwalt tätig.

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