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Sprache und literarische Gestalt des Buches Deuteronomium

Beobachtungen und Studien

von Georg Braulik (Autor:in) Norbert Lohfink (Autor:in)
©2021 Monographie 484 Seiten

Zusammenfassung

Das Deuteronomium unterscheidet sich in seiner Sprache und literarischen Gestaltung deutlich von den anderen alttestamentlichen Büchern. Es ist «deuteronomisch». Andere Bücher und Texte ähneln ihm, sie sind «deuteronomistisch». Man spricht von «deuteronomistischer Literatur» und von «deuteronomistischer Bewegung». Dahinter stehen inhaltliche Beziehungen, aber zugleich gemeinsame Sprache und literarische Technik. Unsere Kenntnis der Welt des alten Orients ist inzwischen immens gewachsen, die Sprachwissenschaft blüht auf, die Fragestellungen verändern sich, der Computer ermöglicht neue Zugriffsmöglichkeiten. Auch in Bezug auf Deuteronomium und Deuteronomismus ist es an der Zeit, die alten Basisfragen neu zu stellen und neu zu tasten nach Bestätigung, Abwandlung, Neukonzeption. Dieses Buch will dazu einen Beitrag leisten.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einführung
  • Kapitel 1: Lexeme und Lexemverbindungen
  • Zum Umgang mit dem deuteronomischen Sprachgebrauch
  • 1.1 ... mit vorangestellter Negation, „nicht gewillt sein“
  • 1.2 ..., „lieben“, ..., „Liebe“
  • 1.3 ..., „wie“
  • 1.4 ..., „essen“
  • 1.4.1 Außerhalb des Verheißungslandes: ... und ..., „essen“ und „trinken“
  • 1.4.2 Im Verheißungsland: ... und ..., „essen und satt sein / werden“
  • 1.4.3 Im Kult: ... und ..., „Opfermahl halten“ und „sich freuen“
  • 1.4.4 Die Speisevorschriften in 14,3-21a
  • 1.4.5 In den Fluchsanktionen Kapitel 28
  • 1.5 ..., Qal und Hifil, „von Lebenszeit: lang sein, lang machen“
  • 1.6 ..., „Gott des Vaters“
  • 1.7 ..., „zürnen“
  • 1.8 ..., „(ins Land) einziehen“, mit Israel als Subjekt
  • 1.9 ..., „erwählen, auswählen“
  • 1.10 ..., „Vertrag, Bund“, auch speziell „Vertragsabschluss“
  • 1.10.1 Statistisches
  • 1.10.2 Zu Bedeutung und Übersetzung
  • 1.10.3 Referenz
  • 1.10.4 Die einzelnen Referenzen von „Bund“
  • 1.10.5 Die Verteilung des Wortes ... im Buch
  • 1.10.6 Exkurs: Zu ... in Dtn 29,11
  • 1.10.7 Deuteronomium 4 und der dritte Buchteil
  • 1.11 ... Piel, „segnen“, verbunden mit ..., „zahlreich sein“
  • 1.12 ... + ..., „groß + furchterregend“
  • 1.13 ..., „großer Schrecken“
  • 1.14 ..., „Größe“
  • 1.15 ..., „festhalten, haften an“
  • 1.16 ..., „Worte“
  • 1.17 ..., „Weg“
  • 1.18 ..., „heute“, und ..., „an diesem Tag“
  • 1.18.1 Überblick über die Belege
  • 1.18.2 Gehäufter Gebrauch von ... in 29,9-14 und 30,15-20
  • 1.18.3 Die mit ... verbundenen Verben beim Bundesschluss
  • 1.18.4 Überblick über die Äußerungen zum Moabbundesschluss
  • 1.18.5 Zum „Heute“ des Bucherzählers
  • 1.19 ..., „hinter jemandem hergehen, nachfolgen“
  • 1.20 ..., „der vor jemandem herzieht“
  • 1.21 ... Qal, „leben“, und Gebotsgehorsam
  • 1.22 ... bzw. ..., „Gesetz“ (Plurale)
  • 1.23 ..., „Gesetze und Rechtsentscheide“
  • 1.24 ... als epitheton ornans zu ...
  • 1.25 ..., „starke Hand“, und ..., „hocherhobener Arm“
  • 1.26 ..., „wie heute“, „wie (es) heute (ist / geschieht / der Fall ist)“
  • 1.27 ..., „alle Tage“, das heißt „ein Leben lang“ bzw. „für alle Zeit“
  • 1.28 ... Qal, „gut sein, wohl ergehen
  • 1.29 ..., „JHWH fürchten“
  • 1.30 ... Qal, „in Besitz nehmen“
  • 1.31 ..., „Besitz“
  • 1.32 ..., „Herz und Seele“
  • 1.33 ..., „Tafeln“
  • 1.34 ... Nifal, „kämpfen“ + ..., „für“
  • 1.35 ... Qal und Piel, „lernen“ und „lehren“
  • 1.36 ..., „das Herz zerschmelzen“
  • 1.37 ..., „Arbeit, Tat, Machwerk“, und ..., „Unternehmen“
  • 1.38 ... und ..., „Gebot“ und „Gebote“
  • 1.39 ... Qal und Hifil, „sich auflehnen
  • 1.40 ... Plural, „Rechtsentscheide“
  • 1.41 ..., „mitten aus dem Feuer“, ..., „mitten aus der Finsternis“
  • 1.42 ... Hifil, „als Erbe übergeben“
  • 1.43 ..., „Erbbesitz“
  • 1.44 ... Qal, „geben“
  • 1.45 ..., „etwas / jemanden in die Gewalt von jemandem geben“
  • 1.46 ..., „etwas vor jemanden hinlegen“
  • 1.47 ... + ..., „abweichen von“
  • 1.48 ..., „sich umdrehen, sich wenden“
  • 1.49 ..., „Frucht“
  • 1.50 ... + ... Hištafel + ..., „dienen + sich niederwerfen vor“
  • 1.51 ..., „(den Jordan) überschreiten“, mit Israel als Subjekt
  • 1.52 ..., „Volk“
  • 1.53 ... (+ ... in zwei finiten Hauptsätzen)
  • 1.54 ... Imperativ
  • 1.55 ..., „deine / eure Augen haben gesehen“
  • 1.56 ... + dativus ethicus (...), „genug, fürwahr!“
  • 1.57 ... Qal „zahlreich werden“, Hifil „zahlreich machen“
  • 1.58 ... Qal, „sich freuen“
  • 1.59 ... Qal und Nifal, „vergessen“ und „vergessen werden“
  • 1.60 ... Nifal und Hifil, „beseitigen“
  • 1.61 ..., „auf die Stimme JHWHs hören“
  • 1.62 ... Nifal + dativus ethicus (...) + ..., „hüte dich, fürwahr, dass du nicht …“
  • 1.63 ..., „Unterweisung, Anweisung“ und verbindliche „Weisung“
  • 1.63.1 Der Sprachgebrauch
  • 1.63.2 Durchgang durch die ...-Belege im Buch
  • 1.63.3 ... und Moselied
  • 1.63.4 Zur Referenz von (...) ... im Deuteronomium
  • 1.63.5 ... im Pentateuchzusammenhang
  • Kapitel 2: Feste Verbreihen
  • Einleitung
  • 2.1 Der Zug Israels von Ägypten bis in sein Land
  • 2.2 Kriege und Eroberungen
  • 2.3 Gesetzesobservanz: Vom Hören bis zum Tun
  • 2.4 Personale Gottesbeziehung
  • 2.5 Gesetzesobservanz und Gottesbeziehung („gemischte Reihen“)
  • 2.6 Segenshinweise
  • Kapitel 3: Formeln auf Satzebene
  • 3.1 Beistandsformel
  • 3.2 Beruhigungsformel
  • 3.3 Vollentsprechungsformel
  • 3.4 Ermutigungsformel
  • 3.5 Geschichtstypologische Aussage
  • 3.6 Landsatz
  • 3.6.1 Definition
  • 3.6.2 Statistisches
  • 3.6.3 Die narrativen Basistexte des Landsatzes
  • 3.6.4 Die Hauptverben der Landaussagen
  • 3.6.5 ... im Landsatz; Verbindung mit ..., ... und ...
  • 3.6.6 Der Väterschwur im Landsatz
  • 3.6.7 Literarisch-rhetorische Funktion des Landsatzes
  • 3.6.8 Zwei diachrone Bemerkungen
  • 3.7 Rückverweissätze
  • 3.8 Verpflichtungsformel
  • 3.8.1 Die mit ... eingeleiteteVerpflichtungsformel mit partizipialem ...
  • 3.8.2 Verpflichtungsformel mit dem Verb ... im Perfekt
  • 3.8.3 Verpflichtungsformel in einem durch ... eingeleiteten Begründungssatz
  • 3.8.4 Verpflichtungsformel als Vergleichssatz / Umstandssatz mit ... und ...
  • 3.8.5 Zusammenfassung
  • 3.9 Wohlergehensformel
  • Kapitel 4: Satzübergreifende Kleinformen
  • 4.1 An- und Absagenotiz
  • 4.2 Beauftragungsschema
  • 4.3 Kriegsorakel
  • 4.4 Marschbefehle
  • 4.5 Paränetisches Schema
  • 4.6 Schema „Beruhigung – Beistand“
  • 4.7 Schema „Faktum – Appell“
  • 4.8 Schema „Erinnerung – Appell“
  • 4.9 Schema „Faktum – Erkenntnis – Appell“
  • 4.10 Zitatbeendigung: Techniken
  • Kapitel 5: Siebenerfiguren
  • Kapitel 6: Allgemeine Gesetzesparänese
  • 6.1 Direkte allgemeine Gesetzesparänese
  • 6.2 Indirekte allgemeine Gesetzesparänese
  • 6.3 Anhang: Zur Sprechaktbezeichnung der Paränese im Deuteronomium
  • Kapitel 7: Die literarische Gestalt des Buches
  • 7.1 Das Vierüberschriftensystem
  • 7.1.1 Zur Forschungsgeschichte
  • 7.1.2 Analyse der 4 „Überschriften“
  • 7.1.3 Die Reichweite der einzelnen Überschriften I
  • 7.1.4 Zwischenüberlegung: Weiteres zur Frage: Ist Überschrift III Überschrift oder Abschluss?
  • 7.1.5 Die Reichweite der einzelnen Überschriften II
  • 7.1.6 Gibt es auch pentateuchüberspannende Ansage-Absage-Systeme?
  • 7.2 Die Rahmung des Buches
  • 7.2.1 Zur augenblicklichen Gesprächssituation
  • 7.2.2 Die Rahmung der Teile I – III des Buches
  • 7.2.3 Die Rahmung des Gesamtbuches (Teile I – IV)
  • Kapitel 8: Die Fabel des Deuteronomiums
  • 8.1 Was meint „Fabel“?
  • 8.2 Der Stand der Diskussion
  • 8.3 Was wir nicht behandeln
  • 8.4 Was die 4 Überschriften im Buch ankündigen I
  • 8.5 Exkurs: Näheres zu der „Horeburkunde“ in Deuteronomium 5 – 28
  • 8.6 Was die 4 Überschriften im Buch ankündigen II
  • 8.7 Die Veränderung der Erzähltechnik des Bucherzählers ab 31,1
  • 8.7.1 Die Unterschiede
  • 8.7.2 Überblick über den dritten Buchteil
  • 8.7.3 Die Bucherzählerinterventionen in 31,1 – 32,47
  • 8.7.4 Anhang: Die Bucherzählerinterventionen in 32,48 – 34,12 (Buchteil IV)
  • 8.8 Ist Deuteronomium 29 – 30 eine Einheit oder ein Mosaik?
  • 8.9 Exkurs: Die Umrahmung der Tora durch Kapitel 4 und Kapitel 29 – 30
  • 8.10 Zweifacher Bundesschluss in den Kapiteln 26 – 27 und 29 – 30?
  • 8.11 Sonderproblem der deuteronomischen Fabel: Mose und sein Gott
  • 8.11.1 Mose verfällt dem Zorn Gottes
  • 8.11.2 Wann und wie hat Mose gesündigt?
  • 8.11.3 Das schweigende Ja der Wüstenjahre, die neue Hoffnung im Ostjordanland
  • 8.11.4 Das letzte Zaudern am Ende des Bundesschlusses
  • 8.11.5 Die Theophanie und die Gipfelschau als definitive Klärung
  • 8.11.6 Die Rolle des Bucherzählers
  • Zitierte Literatur
  • Autorenverzeichnis
  • Reihenübersicht

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Einführung

Wie im Vorwort angedeutet, ist dieses Buch verfasst worden als Teil der Einleitung eines Kommentars zum Deuteronomium, der nun leider nicht als solcher erscheinen kann. Der Text ist auch im Blick darauf konzipiert. Er beteiligt sich nur in neueren und für unsere Thematik wirklich bedeutsamen Fällen an Auseinandersetzungen. In solchen Fällen versuchen wir dann allerdings auch, gründlich zu sein und unsere Aussagen genau zu dokumentieren. Im Übrigen ist alles, was wir bringen, neu vom biblischen Text her erarbeitet, und wir versuchen nicht, bei Einzelheiten möglichst viele Vorgänger und Andersdenkende aufzuzählen.

Der von uns vorausgesetzte Deuteronomiumstext ist der masoretische Text, genauer: der glücklicherweise schon erschienene 5. Band der Biblia Hebraica Quinta.1 Dieser Band ist in Anlehnung an die Arbeit des Hebrew Old Testament Text Project (1969–1980)2 durch Carmel McCarthy erarbeitet worden und hebt sich deutlich von den älteren Fassungen der Biblia Hebraica ab. Norbert Lohfink gehörte zum Arbeitskreis dieses Projekts. Dessen Detaildiskussionen sind später im Namen aller Mitglieder durch Dominique Barthélemy veröffentlicht worden.3 Barthélemy sollte mit dem Buch Josua beginnen und den Pentateuch erst am Ende bearbeiten. Denn erst nach der Arbeit am Pentateuch fühlte sich der Arbeitskreis seiner Methode wirklich sicher. Die Hoffnung war, dass sich der sichere Bereich schneller erledigen lasse, so dass für den Pentateuch mehr zeitlicher Spielraum gegeben wäre. Leider ist Barthélemy gestorben, ehe er zum Pentateuch kam. Auch die anderen Mitglieder des Arbeitskreises waren damals schon tot oder in zu hohem Alter für die Weiterführung des Werkes. Das Deuteronomium wäre das letzte zu behandelnde Buch gewesen. Doch standen McCarthy die Unterlagen, die Barthélemy benutzt hätte, zur Verfügung. Was die Textkritik in unserem Buch angeht, so folgen wir den Prinzipien des Hebrew Old Testament Projects: Wir schlagen nur Veränderungen des Leningrader Manuskripts vor, wenn sie in erhaltenen Zeugen dokumentiert und bei rein textkritischen Argumentationen zwingend sind. Konjekturen ohne Textbasis lehnen wir zwar nicht grundsätzlich ab, doch wir arbeiten in unserem Falle nicht mit ihnen.

Wichtig ist unser Verhältnis zur Entstehungs- und Redaktionsgeschichte des Deuteronomiums. Diese beiden Forschungsrichtungen stehen heute weithin im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses. Sie fragen diachron. Wir arbeiten bewusst synchron. Wir wollen nicht aufzeigen, wann, wo und wie das Buch entstanden ist, sondern was das fertige Buch sagt und wie es das tut. Das herauszufinden ist die wichtigste Vorarbeit für jedes entstehungs- und redaktionsgeschichtliche Unternehmen. Da die Forschung schon lange läuft, gibt es aber Sprachprobleme. Ein wichtiges verbindet sich mit der Unterscheidung zwischen „deuteronomischen“ und „deuteronomistischen“ Texten. Längst gelten nicht mehr nur Texte außerhalb des Deuteronomiums als „deuteronomistisch“, sondern auch Teile des Deuteronomiums selbst. Die Hypothesen häufen sich. Was uns interessiert, wird immer nebensächlicher. Doch bei uns darf eine Unterscheidung zwischen deuteronomischen und deuteronomistischen ←13 | 14→Textbereichen nicht schon zur Argumentationsbasis gehören. Wir müssen mit einem offenen, nur am Buch selbst orientierten Begriff des Deuteronomischen arbeiten. Sonst kommt es zu Zirkelargumentationen. Entscheidungen, dass ein Textstück des Buches „deuteronomistisch“ sei, setzen das, was wir betreiben, immer schon voraus.

Ein weiteres Problem für den Gebrauch des Wortes „deuteronomisch“ kommt hinzu. Es gibt sprachliche und literarische Erscheinungen, die Büchergrenzen überschreiten und erst im nächsten Buch ihr Ende erreichen. Wir werden ein Beispiel ausführlich diskutieren, aber dann doch ablehnen müssen, das in Exodus beginnt, aber erst im Deuteronomium4 endet, dagegen ein anderes eindeutig akzeptieren müssen, das am Anfang des Deuteronomiums einsetzt und erst tief in Josua am Ziel ist.5 Solche buchübergreifende textliche Großphänomene sind inhaltlich, sprachcharakteristisch und in ihrer literarischen Eigenheit durchaus beschreibbar, aber mit der Unterscheidung von „deuteronomisch“ und „deuteronomistisch“ kaum einzufangen. Sehr wohl lösen sie sofort entstehungsgeschichtliche Betrachtungen aus. Diese sind unentbehrlich. Doch unser Buch bleibt im Vorfeld, wir erlauben uns höchstens kurze Hinweise. Wir benutzen dabei unter Umständen auch schon vorhandene, ursprünglich diachron gemeinte Terminologie.6 In unserem Buch enthalten wir uns der diachronen Analyse, scheuen uns aber nicht, auf die Zusammenhänge hinzuweisen. Vermutlich haben wir gerade wegen der diachronen Enthaltsamkeit vieles entdeckt, das bisher noch nicht wahrgenommen wurde.

Im Grunde enthält dieses Buch eine große Serie von Einzeluntersuchungen.7 Sie ruhen jeweils mehr oder weniger in sich. Die Frage war, wie man sie am besten ordnet. Wir haben uns entschieden, mit den kleinsten Phänomenen zu beginnen und bei den größeren und umfassendsten Phänomenen zu enden. Wir beginnen mit einem Kapitel (Kapitel 1), das einzelne Lexeme und feste Lexemverbindungen enthält. Sie sind unter sich dann alphabetisch nach dem jeweils entscheidenden hebräischen Wort geordnet. Dann folgen etwas größere, aber normalerweise noch satzinterne Phänomene: In Kapitel 2 werden feste Verbreihen untersucht, in Kapitel 3 Formeln auf Satzebene, in beiden Fällen geordnet nach dem Inhalt. Kapitel 4 behandelt satzübergreifende Formen, von An- und Absagenotizen bis zu Techniken der Zitatbeendigung. Kapitel 5 ist in relativ kurzer Form einem auch außerhalb Israels verbreiteten, in verschiedensten Gestalten auftretenden Stilmittel gewidmet, der Siebenzahl wichtiger ←14 | 15→Aussagen. Das ist eine relativ neue Entdeckung, ihre Bedeutung auch für diachrone Hypothesenbildung scheint kaum schon erkannt zu sein. Kapitel 6 konzentriert sich auf ein spezifisch deuteronomisches Phänomen, die allgemeine Gesetzesparänese. Mit Kapitel 7 erreichen wir die literarische Gestalt des Buches als Ganzheit. Dabei sind zwei oft nicht unterschiedene Realitäten zu trennen: das dem Deuteronomium eigene einmalige Vierüberschriftensystem und die mehrfache Rahmung des Ganzen. Da das Deuteronomium als Ganzes eine Erzählung ist, die an einem einzigen Tag spielt, folgt als Kapitel 8 ein Versuch, in methodischem Vorgehen die zugrundeliegende Fabel des Deuteronomiumstages zu erarbeiten. Was in unserem Buch nicht mehr geleistet werden kann, gewissermaßen ein Kapitel 9, wäre die Beschreibung der faktischen Erzählfolge und ihrer Darstellungsmittel (und damit zugleich der genauen Formulierung des Ziels des Buches). Sie können wir leider nicht liefern. Das auf angemessene Weise zu tun wäre schon die eigentliche Aufgabe eines Kommentars.

Diese knappe Vorschau auf den Aufbau unseres Buches mag auch behilflich sein, wenn man es benutzen will. Wir denken uns, dass man das Buch auch einfach lesen kann, vom Anfang bis zum Ende. Man sollte das sogar tun, denn nur so kann sich das neue Bild vom Deuteronomium, das wir anbieten wollen, in seiner Konkretheit zeigen. Aber zugleich haben wir den Eindruck, dass das Buch auch etwas von einem Lexikon an sich hat: man kann es an der jeweiligen Stelle aufschlagen, wenn man ganz bestimmte Einzelfragen hat. Deshalb jetzt noch einige kleine Hinweise auf unsere Darstellungstechnik.

Weil das Buch gewissermaßen eine Serie von Einzeldarstellungen enthält, ist es unvermeidlich, dass manche Stellen des Textes und manche Themen mehrfach vorkommen. Wir haben versucht, in solchen Fällen an einer Stelle ausführlicher, an den anderen kürzer zu sein.

Die Seitenzahlen ziehen sich in einem Stück von Anfang bis Ende des Buches durch. Dagegen beginnen die Nummern der Fußnoten in jedem Kapitel neu. Die Kapitel und Unterteile der Kapitel sind im Haupttext nach dem Dezimalsystem nummeriert. Diese Nummerierung wird auch in den Kopfzeilen angezeigt. Sie wird für die Querverweise innerhalb des Buches verwendet.

Bei hebräischen Zitaten, die wir aus Gründen der Exaktheit nicht übergehen können, fügen wir eine deutsche Übersetzung hinzu. In diesem Zusammenhang folgen wir nicht einer bestimmten deutschen Bibelübersetzung, sondern benutzen eine eigene Übersetzung, die den jeweiligen Text möglichst spezifisch wiedergibt. Keine deutsche Übersetzung folgt, wenn einzelne hebräische Wörter oder Wendungen sich im Zusammenhang mehrfach wiederholen. Bei einigen Tabellen, die praktisch nur volle Sätze nebeneinanderstellen, fehlen deutsche Paralleltabellen. Hier müsste man die Einzelsätze in einer Übersetzung nachschlagen.

Literaturverweise werden meistens in den Fußnoten gemacht. Sie sind immer in abgekürzter Form. Die volle Titulatur findet sich im Literaturverzeichnis. Wir geben als Veröffentlichungsjahr stets die Urveröffentlichung an und beziehen uns auf ihre Paginierung. Das ist wichtig, sobald es um Forschungsgeschichte geht. Wer – etwa um ein Buch zu kaufen – spätere Veröffentlichungsdaten und –orte sucht, kann diese ←15 | 16→leicht im Internet durch unsere Deuteronomiums-Datenbank ANABIDEUT erfahren8.

Die absoluten Zahlen des Gebrauchs eines bestimmten Lexems oder einer Lexemverbindung in der Hebräischen Bibel und die relative Dichte ihrer Verwendung, berechnet bei 10.000 Wörtern, entnehmen wir Francis I. Andersen – A. Dean Forbes, The Vocabulary of the Old Testament.

Für die Abkürzungen verwenden wir S. M. Schwertner, IATGW - Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, 3. Auflage.

Es mag auffallen, dass wir häufig eigene Veröffentlichungen erwähnen. Das hat vor allem zwei Gründe. Einerseits sind unsere älteren Ausführungen oft ausführlicher als unsere Darstellungen in diesem Buch. Sie können also als Ergänzung dienen. Andererseits haben wir inzwischen auch in manchen Punkten unsere Auffassungen korrigiert oder ergänzt. In diesem Fall scheuen wir uns nicht, auf solche Unterschiede aufmerksam zu machen. Unsere eigenen, in Form von Artikeln erschienenen Ausführungen sind zum größeren Teil im Zweitdruck in Sammelbänden der Stuttgarter biblischen Aufsatzbände erschienen.9 Dort finden sich auch manche notwendig gewordene spätere Ergänzungen zu einzelnen Artikeln.

Wir haben mehrfach Diskussionen mit den Vertretern anderer Meinungen in die Fußnoten verlagert. Der einzige Grund dafür ist die leichtere Lesbarkeit des Haupttextes.

Angesichts der Tatsache, dass unsere Untersuchung aus äußeren Gründen noch unvollständig ist, enthalten wir uns jeder zusammenfassenden Schlussfolgerung. Tragfähige Ergebnisse würden oft auch voraussetzen, dass ebenfalls an anderen biblischen Schriften, vor allem an solchen, die allgemein als „deuteronomistisch“ betrachtet werden, mehr analoge Untersuchungen zu Sprache und Darstellungsprinzipien vorgenommen wären. Erst dann lässt sich gründlich vergleichen.


1C. McCarthy, Biblia Hebraica, 5.

2Vgl. Wikipedia, unter diesem Stichwort (auf Englisch).

3D. Barthélemy, Critique textuelle.

4Vgl. Kapitel 7.1.6 „Gibt es auch pentateuchüberspannende Ansage-Absage-Systeme?“

5Vgl. vor allem Kapitel 3.5 „Geschichtstypologische Aussage“ und Kapitel 3.6 „Landsatz“. Zur Literatur: Kapitel 1 „Lexeme und Lexemverbindungen“ Anm. 1.

6Vor allem das Kürzel „DtrL“ (= „Deuteronomistische Landeroberungserzählung“).

7Zu den Grenzen unserer Untersuchungen und dem, was noch aussteht, haben wir uns schon im Vorwort geäußert. Hier noch ein kleiner ergänzender Hinweis auf die beiden Themen, die schon von Kapitel 1 – 4 des Deuteronomiums her zu behandeln gewesen wären, die wir aber bewusst nicht aufgenommen haben, sondern erst im Kommentar bringen wollten. Es ist zunächst die rhetorische Gliederung des Textes in „Sprechzeilen“. Eine Erstuntersuchung dazu hat G. Braulik in „Die Mittel deuteronomischer Rhetorik“ vorgelegt, eine systematische Darstellung in dem weiterführenden Artikel „Beobachtungen zur vormasoretischen Vortragspraxis des Deuteronomiums“. Zweitens geht es um das Phänomen des „Numeruswechsels“, das vor allem im Zusammenhang mit Deuteronomium 4 behandelt werden sollte.

8AnaBiDeut (= Analytische Bibliographie zum Deuteronomium) ist eine frei zugängliche Internet-Datenbank zum Deuteronomium. Sie kann aufgerufen werden unter http://anabideut.univie.ac.at/. Sie ist von Georg Braulik und Norbert Lohfink erarbeitet und enthält die vollen Titelangaben aller uns bekanntgewordenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Deuteronomium bis zum Jahre 2018. Sie ist zweisprachig angelegt (deutsch und englisch). Sie teilt auch die verschiedenen Auflagen eines Buches mit. In einem leicht handhabbaren Suchsystem kann man nach Titel, Autoren und Autorinnen, Jahr, Zeitschrift/Reihe, biblischem Buch mit Kapiteln und Versen, Stichwörtern und Kategorien suchen und mehrere dieser Aspekte miteinander verbinden. Man erhält Listen, die man bearbeiten und kostenlos auf das eigene Gerät herunterladen kann. Die Erarbeitung und fortlaufende Pflege dieser inzwischen vielbenutzten Datenbank war eine der zeitraubendsten Arbeiten bei der Vorbereitung des Kommentars. Leider sind wir seit 2019 nicht mehr in der Lage, neu erscheinende Literatur zum Deuteronomium einzuarbeiten. Es gelang uns nicht, Personen und Geldquellen für die Fortführung zu finden. Für die Förderung unserer Arbeit in frühen Jahren sind wir Dr. Miroslav Varšo zu großem Dank verpflichtet.

9G. Braulik, Theologie (SBAB 2); Ders., Buch (SBAB 24); Ders., Nachgeschichte (SBAB 33); Ders., Methoden (SBAB 42); Ders., Buch und Sprache (SBAB 63); Ders., Tora und Fest (SBAB 69); N. Lohfink, Zum Deuteronomium I (SBAB 8); Ders., Zum Deuteronomium II (SBAB 8); Ders., Zum Deuteronomium III (SBAB 20); Ders., Zum Deuteronomium IV (SBAB 31); Ders., Zum Deuteronomium V (SBAB 38).

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Kapitel 1:Lexeme und Lexemverbindungen

Zum Umgang mit dem deuteronomischen Sprachgebrauch

In diesem Kapitel geht es um Lexeme und bestimmte Verbindungen solcher Lexeme, die zwar auch sonst im alttestamentlichen Hebräisch belegt sind, doch im Deuteronomium statistisch häufiger als sonst oder auf besondere Weise auftreten. Denn manche Lexeme werden im Deuteronomium in ihrer Verwendung spezifisch weiterentwickelt. Oder ganz bestimmte semantische Möglichkeiten von ihnen werden bevorzugt. Manchmal verbinden sich statistische Sondersituation und semantische Umakzentuierung. Diese Fälle sollen im Folgenden genannt und sprachlich charakterisiert werden. Sie müssen nicht, können jedoch auch in der weithin angenommenen, breiter gelagerten „deuteronomistischen“ Sprache aufgegriffen sein oder etwa der hypothetischen Größe „Deuteronomistische Landeroberungserzählung“ (DtrL) zugeordnet werden.1 Unsere Diskussion erfolgt auf Buchebene und ist verschieden ausführlich – je nachdem, ob die Sachverhalte bekannt sind oder ob wir neue Beobachtungen vorzulegen haben. Bisweilen müssen wir auch nur einfach nachweisen, dass gegen den ersten Eindruck oder die allgemeine Überzeugung kein spezifisch deuteronomischer oder deuteronomistischer Sprachgebrauch vorliegt. Unter „deuteronomisch“ verstehen wir hier einfach: „im Buch Deuteronomium auffindbar“; den Terminus „deuteronomistisch“ beziehen wir, wenn unser Zusammenhang nicht etwas anderes nahelegt, auf jene Textbereiche, die gewöhnlich als „deuteronomistisch“ betrachtet werden, und zwar mit Ausnahme vielfach angenommener „deuteronomistischer“ Texte innerhalb des Deuteronomiums. Wir orientieren uns hier also mehr als zurzeit üblich an den greifbaren äußeren Texteinheiten und setzen für unsere Argumentationen keine der vielen vorhandenen „literarkritisch“ erarbeiteten entstehungsgeschichtlichen Theorien voraus.

Wir betonen, dass es sich bei den im Folgenden untersuchten Lexemen nur um eine Auswahl handelt. Sie beschränkt sich auf die im ersten Buchteil des Deuteronomiums, den Kapiteln 1-4, belegten Lexeme. Trotz dieser engen Basis werden die meisten der für das ganze Deuteronomium spezifischen Lexeme erfasst. Näheres oben in der Einführung.

1.1mit vorangestellter Negation, „nicht gewillt sein“

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Die negierte Wendung ist 53-mal belegt. Das bedeutet eine Dichte von 2 Wörtern pro 10.000. Im Deuteronomium ist sie 7-mal belegt, was einer Dichte von 5 Wörtern pro 10.000 gleichkommt. Übertroffen wird diese Dichte nur noch in 2 Samuel (10 Belege = 9 pro 10.000) und in den Sprichwörtern (4 Belege = 6 pro 10.000). Es handelt sich im Deuteronomium aber um keinen für einen bestimmten Aussage- oder Motivzusammenhang benutzten Klischeeausdruck. Die Häufung in 2 Samuel hängt wohl an den dortigen dramatischen Geschichten, in denen Freiheitsentscheidungen überraschende Wendungen herbeiführen. So wird man nicht von „deuteronomistischer“ Sprache reden können, und auch im Deuteronomium ist höchstens die Siebenzahl bewusst gesetzt.2

1.2, „lieben“, , „Liebe“3

Das Verb ist im Deuteronomium 22-mal belegt: 4,37; 5,10; 6,5; 7, 9.13; 10,12.15.18.19; 11,1.13.22; 13,4; 15,16; 19,9; 21,15.15.16; 23,6; 30,6.16.20. Dazu kommt noch 1 Beleg des Nomens in 7,8, es sei denn, man rechnet in 21,15f mit einem eigenen Nomen, das dann 3-mal verwendet würde. Absolut höher ist die Belegzahl von Verb und Nomen nur in den Psalmen (41 Stellen) und im Sprichwörterbuch (32 Stellen). Es folgen Hosea (19 Stellen) und das Hohelied (18 Stellen), die allerdings wegen ihres geringeren Textumfangs eine höhere Dichte der Belege aufweisen. Fast alle Belege des Deuteronomiums stehen in den paränetischen Abschnitten, wobei die Schwerpunkte in 7,7-15; 10,12-11,25 und 30,1-20 liegen. 1 Beleg gehört zum Dekalog, 7 Belege – von denen 13,4 und 19,9 ebenfalls paränetischen Charakter haben – finden sich im Gesetzeskorpus. Durch 4,37 bzw. 6,5 und 30,6 bzw. 30,16.20 in der Anfangs- und Schlussparänese umgibt noch die deuteronomische Tora (5 – 28).

(1) Der typisch deuteronomische Sprachgebrauch besteht darin, dass an 19 Stellen einen Vorgang im wechselseitigen Verhältnis von JHWH und Israel bezeichnet. Einerseits liebt JHWH 5-mal Israel bzw. dessen Väter: 4,37; 7,8 (Nomen).13; 10,15; 23,6; einmal liebt er den Fremden: 10,18. Andererseits liebt Israel 13-mal, davon an 12 Stellen JHWH: 5,10; 6,5; 7,9; 10,12; 11,1.13.22; 13,4; 19,9; 30,6.16.20, und an 1 Stelle ebenfalls den Fremden: 10,19. An 4 Stellen, die sich alle im Kodex der Einzelgebote finden, sind einzelne Israeliten Subjekt, das Objekt ihrer Liebe bilden der Herr des hebräischen Schuldsklaven (15,16) bzw. eine Frau (21,15.15.16). Im Übrigen wird die JHWH-Israel-Beziehung im Deuteronomium trotz der in 1,31; 14,1; 32,5f.18f gebrauchten Metaphern nicht mit dem Eltern-Kind-Verhältnis in Verbindung gebracht, auch nicht mit dem zwischen Mann und Frau bestehenden.

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Wie gewichtig diese Besonderheit des Deuteronomiums ist, zeigt ein Vergleich mit dem Gebrauch von und in der übrigen Hebräischen Bibel. Im Tetrateuch ist JHWH überhaupt niemals Subjekt. Im Lesegefälle des Pentateuchs wird also erstmals im Deuteronomium von der Liebe Gottes gesprochen. Das Volk Israel ist nur im Exodus-Dekalog Subjekt der Liebe zu JHWH (Ex 20,6). Im Heiligkeitsgesetz soll Israel den Nächsten (Lev 19,18) bzw. den Fremden (Lev 19,34) lieben. Die vielen Belege des Deuteronomiums und insbesondere die Wechselseitigkeit der Liebe zwischen Gott und Volk sind also für dieses Buch vor allem als „Gesetzeswerk“ einmalig. Ähnliches gilt für die „imitatio dei“ in der Liebe zu den Fremden.4 In den Vorderen Propheten gilt die Liebe JHWHs nur in 1 Kön 10,9 Israel. Umgekehrt sind nach Ri 5,31die Israeliten diejenigen, „die JHWH lieben“ bzw. nach Jos 22,5 und 23,11 diejenigen, die ihn lieben sollen. Diese wenigen Stellen reichen nicht, um bei + Subjekt JHWH / Israel von einem deuteronomistischen Sprachgebrauch reden zu können. Seine Beschränkung auf Deuteronomium und Josua wird noch von der ebenfalls nur in diesen beiden Büchern belegten Verbindung von + Israel als Subjekt mit in Dtn (10,20); 11,22; 30,20; Jos 22,5 und 23,8+11 unterstrichen. In den Hinteren Propheten liebt JHWH zwar Israel in Jes 43,4; Jer 31,3; Hosea 11,1(4); Mal 1,2; liebt er die Israeliten in Hos 3,1a; 9,15; 14,5; nach Zef 3,17 erneuert er seine Liebe (Nomen) zu Israel. Dagegen bezieht sich die Liebesaktivität Israels in Hosea und Jeremia nicht auf JHWH, sondern auf Götter bzw. Göttinnen und deren Kultgegenstände, sprengt also das einzigartige Liebesverhältnis zu JHWH. Nur Jer 2,2 spricht von „der Liebe [Nomen] deiner Jugend“, die einst JHWH galt. Dass JHWH Israel liebt findet sich in der restlichen Hebräischen Bibel nur in 2 Chr 9,8 (= 1 Kön 10,9), sonst noch in Ps 47,5 („Jakob“) und 2 Chr 2,10 („sein Volk“). Von Israels Liebe zu JHWH sprechen nur Neh 1,5 und Dan 9,4, die beide Dtn 7,9 zitieren. Im Hohelied, das die Liebe zwischen Bräutigam und Braut besingt, ist das JHWH-Israel-Verhältnis vielleicht erst auf der allegorisch-typologischen Ebene anzutreffen. Es gibt also zusammenfassend (mit Ausnahme Hoseas) vergleichsweise wenige Belege für eine Beziehung von und zwischen Gott und Israel. Was aber im alttestamentlichen Wortgebrauch außerhalb des Deuteronomiums überhaupt fehlt, ist die wechselseitige Beziehung der Liebe Gottes und Israels aufeinander.

(2) wird im Deuteronomium nur im Qal gebraucht und verbindet sich stets mit einem Akkusativobjekt. Es bezeichnet eine Tat bzw. Tätigkeit, die eine Gefühlsbewegung einschließt. Auch bestimmte grammatische Formen – die weqatalti-Form, der (7-mal, also unterstreichend verwendete) Infinitivus constructus + JHWH als Objekt und + enklitischem Personalpronomen – gehören zum sprachlichen Sondergut des Deuteronomiums. Syntaktisch ist die Forderung, zu lieben, charakteristisch; sie findet sich fast ausschließlich in diesem Buch, während die Hebräische Bibel sonst über die von Menschen geübte Gottesliebe in indikativischer Form spricht. Die an Israel gerichteten Appellative, seinen Gott zu lieben, gehören also zum Spezifischen deuteronomischer Theologie. Dagegen handelt es sich bei der Liebe Gottes immer um „Darstellung“: dass Gott geliebt hat bzw. liebt.5 Ausdrücklich oder einschlussweise bildet seine Liebe immer die Begründung für sein Handeln an Israel bzw. seinen Vätern. Der Satz „weil er geliebt hat“ gehört ebenfalls zu den Besonderheiten deuteronomischer Theologie.

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(3) Das Deuteronomium hat seinen Wortgebrauch von wahrscheinlich zusammen mit dem Vertragsdenken der altorientalischen Vertragsrhetorik entnommen.6 Vom „Lieben“ sprechen vor allem auch die dem ursprünglichen Deuteronomium zeitlich nahestehenden Vereidigungen der Vasallenkönige anlässlich der Thronfolgeregelung des Assyrerkönigs Asarhaddons im Jahr 672 v. Chr. Bei der „Umbuchung“ dieser politischen Terminologie auf JHWH als „Großkönig“ drückt dann der Zusatz „mit ganzem Herzen“, der in der Bibel für das Deuteronomium charakteristisch ist, seinen Ausschließlichkeitsanspruch auf Israel aus, aber auch eine emotionale Anhänglichkeit.7 Wie gefühlsgeladen im Deuteronomium ist, zeigen auch zwei mit ihm öfters verbundene Verben: Wenn Gott es ist, der liebt, dann durch , „ins Herz schließen, an jemandem hängen“ (7,7; 10,15); wenn dagegen Israel liebt, dann durch , „sich festhalten an, jemandem fest anhangen“ (11,22; 13,5; 30,20; vgl. Jos 22,5; 23,8) – zu beiden Verben s. unten. Beide Ausdrücke beweisen im Deuteronomium: Die Liebe ist trotz ihrer Herkunft aus der juristischen Rhetorik altorientalischer Vasallenverträge und trotz ihres rechtlich verbindlichen Charakters durchaus emotionell konnotiert. Im Übrigen kann der juristische Traditionshintergrund von auch erklären, weshalb im Deuteronomium „befohlen“ wird, Gott zu lieben.8

(4) Die Aussagen über die Liebe JHWHs sind vor allem in Geschichtsrückblicke eingebettet, seiner Liebe entspringt alles Handeln für sein Volk (4,37; 7,8; 10,15; 23,6). Dagegen wird vom Lieben Israels fast ausschließlich im Zusammenhang der „Hauptgebotsparänese“ und im Rahmen der „Segen-Texte“ gesprochen. Das Verb fehlt in allen bedingten oder historisierten Sanktionen für Israels Schuld („Fluch“-Texte). Bei diesen Sanktionen geht es nie um Aussagen über die Vergangenheit oder Gegenwart, sondern um Mahnungen oder Bedingungszusammenhänge für die Zukunft.

Das Deuteronomium drückt die enge Verbindung der Liebe Gottes zu Israel und der von Israel erwarteten Liebe zu seinem Gott vor allem dadurch aus, dass innerhalb der Hauptgebotsparänese, also in den Kapiteln 4 – 11, die beiden Subjekte des Verbs „lieben“ abwechseln.9 Erst in den Texten konditionaler oder historisierter Segensformulierungen in den Kapiteln 11 und 30 geht es sachbedingt nur mehr um die Liebe Israels. Insbesondere verweben die Perikopen 7,7-13 und 10,12-19 die Liebe Gottes und die Liebe Israels aufs Engste miteinander. Bei diesem Wechsel zwischen Gottes- und Israelliebe im Ablauf des Buches wird auch herausgearbeitet, wie sich beide gegenseitig bedingen. Somit wird fortschreitend verdeutlicht, was „lieben“ heißt. Mehr noch: Die Information darüber wird im Lesegefälle gezielt aufgebaut: Erstaussagen werden später kommentiert (z. B. 5,9f in 7,9f), das Wortmaterial früherer Belege wird zusammengefasst (z. B. 4,37f und 7,7f in 10,15). Wie reflektiert über die Liebe Israels gesprochen wird, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Aussagen fast immer an Schlüsselstellen im Aufbau des Buches und an Struktureinschnitten einzelner Perikopen stehen, also an rhetorisch gewichtigen Orten. Sie markieren Neueinsätze (z. B. 6,5; 10,12; 11,1.13.22) oder bilden die literarische Mitte bzw. den Abschluss eines Textes (z. B. 30,6 oder 30,20). Diese Beobachtungen beweisen, dass im Deuteronomium thematisch und stilistisch weitgehend systematisiert eingesetzt wird. Man kann deshalb wohl zu Recht von einer „Theologie der Liebe“ im Deuteronomium sprechen.

Typisch deuteronomisch ist schließlich, dass zum Wortfeld von (lieben) neben den schon erwähnten Verben (ins Herz schließen) und (sich festhalten an) noch die Verben (erwählen), (kennen) und (bewahren) gehören und damit die Themen Erwählung, Gotteserkenntnis, Bewahren des Vätereides und der Gebote. Dazu s. bei den einzelnen Lexemen.

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1.3, „wie“

Diese Form ist seltener als die Kurzform (18 Belege in der Hebräischen Bibel gegenüber 61 – bei Mitzählung von 2 Kön 6,13). Im Pentateuch steht in Genesis – Numeri nur (6 Belege), im Deuteronomium dagegen nur (5 Belege: 1,12; 7,17; 12,30; 18,21; 32,30). Ähnliche Dominanz von gibt es noch in den Klageliedern (4 Belege) und im Hohelied (2 Belege). Josua – 2 Könige folgen mit ganz wenigen Ausnahmen dem Sprachgebrauch von Genesis – Numeri (16 gegen 3 Belege), ebenso die Hinteren Propheten (30 gegen 3 Belege) und die Schriften ohne Hohelied und Klagelieder (8 Belege gegen 1 Beleg). Könnte man vom Hohelied und den Klageliedern aus auf eine fast nur der Poesie eigene Langform des Wortes schließen, dann hätte das Deuteronomium zur Erhöhung der rhetorischen Wirkung bewusst auf eine poetische Form zurückgegriffen. Der Samaritanus hat die Langform nur in 1,12 beibehalten (vgl. auch in 5QDeut 7,17). Im Deuteronomium dient das Wort fast nur der ratlos-verzweifelten (allerdings einmal rhetorischen) Frage, die an der 1. Person Präfixkonjugation erkennbar ist (1,12; 7,17; 18,21). Auch Dtn 12,30 ist hier einzuordnen, da der 2. Satz im Parallelismus in die 1. Person geht. Mit ist dieser Gebrauch sonst nur noch in 2 Kön 6,15 belegt. So hat das Deuteronomium für die von ihm einzig benutzte Langform auch eine für diese sonst nicht gebräuchliche Verwendung. Die Beobachtungen zu treffen nur für die Sprachgestalt des Deuteronomiums selbst zu, nicht für den deuteronomistischen Sprachgebrauch.

1.4, „essen“10

Das mit 821 Belegen im Qal, Nifal und Hifil in der Hebräischen Bibel häufige Verb findet sich im Deuteronomium 76-mal im Qal – das wären bei relativer Dichteberechnung auf 10.000 Wörter 53 Belege. Dagegen steht es bloß jeweils 2-mal im Nifal und im Hifil. In absoluter Zählung und in relativer Dichte wird Qal innerhalb des Pentateuchs nur in Levitikus noch öfter als im Deuteronomium verwendet, nämlich 83-mal, was relativ auf 69 Belege käme. Von den übrigen alttestamentlichen Schriften ist vor allem das Jesajabuch erwähnenswert. In ihm steht das Verb 51-mal im Qal, was relativ sogar auf 88 Belege käme.11

Wie qualifiziert das Verb im Deuteronomium trotz seiner zahlreichen Belege eingesetzt wird, zeigt ein für dieses Buch typisches Stilmittel, theologisch wichtige Lexeme bzw. Lexemverbindungen hervorzuheben – ihre Organisation in Siebenerfiguren.12 wird im Deuteronomium in mehreren unterschiedlichen Siebenergruppen systematisiert. Drei von ihnen sind theologisch besonders gewichtig. Dazu ein knapper Vorblick, der auch eine Dispositionsangabe für das Folgende bildet.

Eine erste Siebenergruppe (2,6.28; 8,3.16; 9,9.18; 29,5) verbindet sieben Aussagen aus der Zeit zwischen dem Auszug aus Ägypten und dem Einzug ins Land – das Deuteronomium konnte diese Zeit und den dabei durchschrittenen Raum geradezu ←21 | 22→als „die Wüste“ bezeichnen, obwohl es sich im Ostjordanland auch um besiedelte Gebiete handelte. Fünf dieser sieben Aussagen (2,6.28; 9,9.18; 29,5) sind mit den Verben und , „essen und trinken“, konstruiert, einem ersten wichtigen Verbpaar. Eine zweite Siebenergruppe (6,11; 8,10.12; 11,15; 14,29; 26,12; 31,20) fügt und , „essen und satt sein“, zu einer festen Wendung zusammen, dem zweiten wichtigen Verbpaar. Sie kennzeichnet das spätere alltägliche Leben im Verheißungsland. Eine dritte Siebenergruppe (12,7.18; 14,23.26; 15,20; 16,7; 27,7) ist für das Fest, verstanden „als das Andere des Alltags“13, charakteristisch. Ein Teil ihrer Stellen verbindet und , „essen“ und „sich freuen“, das dritte wichtige Verbpaar (12,7.18; 14,26; 27,7). Diese dritte Siebenergruppe ist komplexer gebaut. Zwar sind die beiden Verben nur 4-mal miteinander verknüpft, doch gehören sowohl „essen“ als auch „sich freuen“ zu weiteren Siebenergruppen von Aussagen, die dann ihrerseits von neuem mit weiteren Siebenergruppen von Lexemen vernetzt sind. Entscheidend ist: Jede der drei genannten Siebenergruppen mit ihrem zugehörigen Verbpaar ist einem bestimmten räumlichen Bereich und einer bestimmten Geschichtsepoche bzw. bestimmten Anlässen im Leben Israels zugeordnet. Aufgrund des verschiedenen Kontexts hat dabei unterschiedliche Konnotationen. Sie steigern die mit dem Essen verbundene materielle Fülle und die Intensität der Verbundenheit der miteinander Essenden: Geht es in der „Wüste“ um Essen im Sinn von sich ernähren, so im Land um Sattwerden, auch im Sinn von Genießen, und schließlich an Festen – sei es bei Opferfeiern oder an den Wallfahrtsfesten – um gemeinsames Mahlhalten im Überfluss.

Neben diesen drei Verbverbindungen liegt ein systematisierter deuteronomischer Sprachgebrauch von außerdem in zwei geschlossenen Zusammenhängen vor: in zwei Siebenerreihen innerhalb der Speisevorschriften 14,3-21 und in einer Siebenerreihe im Rahmen der Fluchsanktionen von Kapitel 28. Nun soll es ins Einzelne gehen.

1.4.1Außerhalb des Verheißungslandes: und , „essen“ und „trinken“

Auf die beiden Verben stößt man im Deuteronomium im Rückblick Moses auf den Aufenthalt Israels in der „Wüste“. Diese beginnt am Ostrand Ägyptens und umfasst noch das gesamte Ostjordanland. Entsprechend bezieht sich die für das Deuteronomium typische 40-jährige Wüstenwanderung (1,3; 29,4)14 auf die Zeit vom Exodus aus Ägypten bis zu dem Augenblick, in dem Mose im Land Moab seine Reden hält und im Moabbund gewissermaßen einen Schlussstrich unter den Zeit-Raum „Wüste“ zieht (vgl. 1,1; 9,7; 29,3-5).15 In 2,1-13; 8,1-20; 29,1b-8, die von dieser Zeit in der Wüste sprechen, und in der Horeberzählung über die Sünde am Gottesberg in 9,8-21 bildet ein Leitverb. Es steht hier 5-mal im Qal (2,6.28; 9,9.18; 29,5) und 2-mal im Hifil ←22 | 23→(8,3.16), zusammen also 7-mal. Qal verbindet sich dabei in seinen 5 Belegen stets mit , „trinken“. Dieser Doppelausdruck findet sich zwar im Deuteronomium noch an zwei weiteren Stellen (28,39 und 32,38), ist also selbst auch 7-mal belegt. Doch scheiden für unseren Zusammenhang 28,39 und 32,38 wegen ihres völlig verschiedenen Kontextes aus.16 Bei Hifil fehlt . „Essen“ ist ja in der Regel der umfassendere Begriff und kann, wenn er allein steht, einfach „sich ernähren“ meinen.17 Obwohl also Gott in der Wüste Israel nur „gespeist“18 hat, ist doch in 8,3 und 16 vom Kontext her das Trinken mitausgesagt – vgl. 8,15, wonach Gott „für dich Wasser aus dem Felsen der Steilwand hervorsprudeln ließ“.19

Die sieben Belege für das Essen Israels bzw. Moses in der „Wüste“ sind also aufgrund des Wechsels zwischen im Qal und Hifil sowie der bloß teilweisen Verbindung mit formulierungsmäßig inhomogen. Dazu kommt, dass sich die beiden Verben „essen“ und „trinken“ auf verschiedene Objekte, also auf unterschiedliche Nahrungsmittel beziehen. Beim bevorstehenden friedlichen Zug Israels durch die Völker benennen , „Essen, Lebensmittel“ (vgl. Dtn 23,20), und , „Wasser“ (2,6.28), gemeinsam „Speis und Trank“. Bei Hifil ist es , das „Manna“, mit dem Gott Israel in der Wüste ernährt hat (8,3.16).20 An den übrigen Stellen bezeichnet ←23 | 24→die alltägliche Nahrung.21 So verzichtet Mose bei seinem vierzigtägigen Aufenthalt auf dem Gottesberg auf und (9,9.18). Und nach 29,5 hat Israel in der Wüste weder gegessen noch , „Wein und Bier“, getrunken.22

Trotz dieser Unterschiede wird die Ernährung im Bereich außerhalb des Verheißungslandes mit einer gewissen Systematik dargestellt. Die folgende Tabelle zeigt eine planmäßige thematische wie sprachliche Vernetzung der sieben Belege von Qal und Hifil. Sie bilden vier Textblöcke: (I) Die vorbereitete Versorgung Israels auf seinem friedlichen Weg bei zwei Völkern im Ostjordanland (2,6.28), (II) die wunderbare Speisung mit dem Manna in der eigentlichen Wüste (8,3.16), (III) das Nicht-essen und Nicht-trinken Moses auf dem Horeb (9,9.18) und (IV) das Nicht-essen und Nichttrinken Israels in der Wüste (29,5).

Eine erste Systematik der Siebenergruppe besteht darin, dass die beiden Stellen (1) und (2) innerhalb der Textblöcke (I), (II) und (III) aufeinander bezogen sind. Zugleich gehören die Aussagen stets zum sprachlichen Eigengut des Deuteronomiums. Der folgende Vergleich dieser Stellen mit den sachlich und formulierungsmäßig dem Deuteronomium am nächsten stehenden Belegen von im hebräischen Bibeltext besagt nichts über ihr traditionsgeschichtliches Verhältnis, verdeutlicht aber die Eigenständigkeit und Besonderheit der deuteronomischen Aussagen und Formulierungen:

(I) Die Beschaffung von Nahrungsmitteln mit Silber: Während Israel in Num 20,19 nur die Bezahlung von Trinkwasser anbietet, und das erst als sekundäre Erweiterung seines Angebots, soll es aufgrund des Gottesbefehls in Dtn 2,6 Nahrung und Wasser mit Geld erwerben.23 Bei der Bitte an König Sihon von Heschbon spricht Num 21,22 im Gegensatz zu Dtn 2,28 überhaupt nicht vom Kauf des Lebensnotwendigen.

(II) Das zuvor unbekannte Manna, mit dem Gott das Volk speiste und damit einen bestimmten Zweck verfolgte: Zwar findet sich Qal mit dem Manna als Objekt in Ex 16,35 (2-mal) und Ps 78,24. Gegenüber diesen Stellen unterstreicht jedoch Hifil in Dtn 8,3.16 über das Manna als Nahrung hinaus das Besondere – seine Funktion für eine „Erkenntnis“, die Gott damit Israel machen ließ (8,3 „um dich erkennen zu lassen, dass der Mensch nicht nur vom Brot lebt“; zum Erziehungsprogramm Gottes vgl. 8,5), und für die „Wohltat“, die er damit Israel erwiesen hat (vgl. 8,16 „um dir zuletzt Gutes zu tun“). Außerdem expliziert das Deuteronomium über Ex 16,15 hinaus, dass weder die Väter (8,3.16) noch Israel (8,16) das Manna kannten.

(III) Nicht-essen von Brot und Nicht-trinken von Wasser: Verglichen mit der einmaligen Aussage in Ex 34,28 kennen Dtn 9,9 und 18 den vierzigtägigen Aufenthalt ohne Essen und Trinken sowohl beim ersten wie beim zweiten Bergaufenthalt Moses.

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(IV) „Wein und Bier“: Zwar kann die Wendung und den Doppelausdruck zum Objekt haben.24 Doch wird dabei in der Hebräischen Bibel nur in Dtn 29,5 mit verbunden.

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Systematisiert ist ferner die paarweise Zuordnung der Textblöcke: (I) und (II) sprechen von der Ernährung auf dem Zug durch die Völker mit gekauften (2,6.28) bzw. auf der Wüstenwanderung durch gottgeschenkte Lebensmittel (8,3.16).(III) und (IV) betonen den Nichtgenuss von Speisen – von Mose 40 Tage vor der Übernahme der Bundestafeln am Horeb (9,9) bzw. auch wegen der Sünde Israels (9,18), von Israel 40 Jahre lang vor der Erkenntnis JHWHs (29,5). Dieses Fasten Moses25 und die Enthaltung Israels dienen der Vorbereitung auf die Gottesbegegnung beim Horeb- bzw. Moabbund.26

Ferner bestehen zwischen den Blöcken auch Stichwortbrücken. So sind (I) und (III) durch „Essen essen“ bzw. „Brot nicht essen“ und „Wasser trinken“ bzw. „nicht trinken“ miteinander verklammert. (II) und (IV) haben neben den Verbwiederholungen27 „essen“ und „trinken“ auch syntaktische Gemeinsamkeiten: Es sind durch eingeleitete Finalsätze über den Zweck der Speisung mit dem Manna bzw. des Entzugs von Brot, Wein und Bier. Sie münden in einer mit , „dass“, angeschlossenen Erkenntnisaussage ( Hifil bzw. Qal): Israel sollte in der Wüste einsehen, dass der Mensch nicht nur vom Brot lebt (8,3), und es sollte im Augenblick des Moabbundes – nach 29,3 bei der ersten wirklichen Gottesbegegnung Israels – wahrnehmen, dass JHWH sein Gott ist (29,5). In beiden Kapiteln geht es also um eine Gotteserkenntnis. Nach Kapitel 8 gründet sie schon in den Wüstenwundern, doch erst Kapitel 29 erklärt, warum die Erkenntnis nicht sofort eingetreten ist.

1.4.2Im Verheißungsland: und , „essen und satt sein / werden“

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Gegenüber der Versorgung in der „Wüste“ bedeutet die Ernährung im verheißenen Land mit dem ausdrücklichen Hinweis auf Sättigung eine Steigerung. Der Kontrast wird in Deuteronomium 8 entworfen. Zwei Blöcke mit Aussagen über die vergangene Wüstenzeit mit ihrer Prüfung Israels, den Schrecken und der wunderbaren Hilfe Gottes (8,2-5 und 8,14b-16, hier erweitert um die Herausführung aus Ägypten) stehen zwei Blöcken über den Reichtum des Landes (8,7-10) und die zukünftige Gefährdung durch den noch gesteigerten Wohlstand (8,12-14a) gegenüber. Der Gegensatz der beiden Landschaften spiegelt sich in den Erfahrungen von Hunger und Sättigung. Die „große und furchterregende Wüste“ (8,15; vgl. 1,19), ein „Dürrland ohne Wasser“ (8,15), ist der Ort, an dem Gott Israel durch Hunger gefügig machte (8,2f). Dagegen ist das den Vätern zugeschworene (8,1) und Israel gegebene Land (8,10) , ein „prächtiges Land“ (8,7.10) mit nahezu „paradiesischen“ Zügen28. Israel braucht in diesem Land nicht in „Armut, Elend“ zu „essen“ (); es wird hier nichts „entbehren“ (8,9). Das Verb rsx Nifal „fehlen, entbehren“, mit Israel als Subjekt findet sich im Deuteronomium nur in 2,7 und 8,9. Diese Intertextualität will sagen: Wie auf dem Wüstenzug wird es auch im Land keine materielle Not geben. Der natürliche Reichtum des wunderbaren Landes steht Israel immer zur Verfügung. Ja, er kann unter diesen Voraussetzungen sogar noch vergrößert werden (8,12f). Das Deuteronomium fasst das Leben in solchem Überfluss abschließend in der Formel , „essen und satt sein / werden“, zusammen (8,10 und 12). Selbstverständlich schließt bei dieser Sprachregelung das Trinken ein. Diese Grunderfahrung der reichhaltigen (vgl. 8,7-9) und sättigenden Ernährung Israels im Verheißungsland durchzieht als Leitwort im Rahmen einer Siebenergruppe die Hauptgebotsparänese und die deuteronomische Gesetzessammlung.

Die Verbverbindung ist dort 7-mal belegt: 6,11; 8,10.12; 11,15; 14,29; 26,12; 31,20. Nur in 31,20 wird der Doppelausdruck mit Qal, „fett werden“, zu einer dreigliedrigen Reihe erweitert, zu einer Übersättigung, die singulär ist (vgl. aber Hos 13,6). Außerdem wird in Dtn 23,25 mit dem Nomen , „Sättigung“, zusammengestellt. In der gesamten Hebräischen Bibel gibt es 32 Belege, an denen die beiden Verben „essen und satt sein“ auf verschiedene Weisen beieinander stehen. Von ihnen findet sich also ein Viertel im Deuteronomium. Das heißt in absoluten Zahlen: die Verbreihe wird hier mit Abstand am häufigsten gebraucht. Im Tetrateuch wird sie nur in der Manna- und Wachtelerzählung Ex 16 verwendet, nämlich beim Murren der Israeliten im Rückblick auf ihren Ägyptenaufenthalt in 16,3; ferner in den Zusagen des Manna- und Wachtelwunders in 16, 8 und 12.29 Schließlich steht sie in den Segensverheißungen Lev 25,19 sowie in 26,5 – jeweils verbunden mit Israels Wohnen in Sicherheit – und in Lev 26,26, wo das Sattwerden verneint wird. Der Doppelausdruck fehlt in Josua bis 2 Könige, ist also nicht deuteronomistisch.

Der Sprachgebrauch des Deuteronomiums ist ziemlich einheitlich. Das Verbpaar + wird nie in übertragenem Sinn verwendet, sondern bezieht sich auf eine elementare Funktion menschlichen Lebens. Sein Subjekt ist in 6,11; 8,10.12; 11,15; 31,20 das Volk Israel, in 14,29 und 26,12 sind es dagegen bestimmte Personen in Israel, nämlich die Leviten, Fremden, Waisen und Witwen. Im Gegensatz zum Gebrauch von in den Wüstenstellen fehlt hier stets ein direktes Objekt des Essens und der Sättigung. Die beiden Verben stehen immer in finiten Formen und folgen parataktisch und in der logischen Reihung von Essen und Sattwerden aufeinander. Die Wendung „essen und nicht satt werden“ gibt es im Deuteronomium nicht.30 Andere Verben können an + anschließen – in 8,10 Piel, „preisen“, und in 8,12 + , „bauen“ und „bewohnen“, – niemals allerdings (wie in Ps 90,14). Denn + ist, wie sich zeigen wird, den Höhepunkten des Jahres, den Opferfeiern und Wallfahrtsfesten, reserviert. Syntaktisch steht die Wendung + mit einer Ausnahme immer in einem Konditionalsatz (in der Protasis 6,11; 8,10; 11,15; 26,12; 31,20; in der Apodosis 8,12). Nur 14,29 setzt die vorausgehende Regelung mit einem Folgesatz fort. Insgesamt tendiert die Verbverbindung zur Anfangs- (8,10.12) oder Schlussposition im Satzgefüge (6,11; 11,15; 26,12; vgl. 14,29; 31,20).

←27 | 28→

Welche Funktionen erfüllt die Aussage von „essen und satt sein / werden“ jeweils in ihrem Kontext? Zunächst zu den mit Israel als Subjekt formulierten Stellen. In 6,11; 8,10.12; 11,15 steht der Doppelausdruck in einem Ermahnungsprozess. Charakteristisch ist dabei die Verbindung mit der Formel rmvh, „nimm dich in Acht, dass nicht“, die häufig ein Hauptgebot einleitet.31 Die Stellen 6,11; 8,10.12 weisen zahlreiche Parallelen auf. Denn unabhängig von diachroner Abhängigkeit wird im Lesegefälle des Buches 6,10-15 durch 8,7-19 kommentiert.32 Der Vordersatz der Bedingungssatzgefüge in 6,10f und 8,7-9 entwirft das überreiche Land als Raum, in dem Israel essen und satt werden wird. Im Nachsatz folgt die Warnung, JHWH nicht zu „vergessen“ ().33 Sie leitet in 6,12 die Formulierungen des Hauptgebots ein (6,13f) und bildet in 8,11 und 14 (und 19) das Leitwort der Hauptgebotsverkündigung. 11,15 zeigt zwar Gemeinsamkeiten mit den drei besprochenen Stellen, formuliert aber anders. Der Vers gehört in den Nachsatz des Segens. Die auch hier beschriebene Fruchtbarkeit des Landes ist bedingt – sie hängt an der Liebe Israels zu JHWH und am Hören auf seine Gebote (11,13-15). Erfüllt Israel diese Voraussetzung, kann es aufgrund der Ernte, die der von Gott geschenkten Regen ermöglicht, „essen und satt werden“. Die in 11,16 asyndetisch einsetzende Mahnung, sich in Acht zu nehmen, warnt vor der Verführung, das erste Dekalogsgebot zu übertreten. Schließlich findet sich auch in 31,20 die Abfolge von JHWHs Führung in ein Land von Milch und Honig, von Essen und Sattwerden Israels und von seinem Abfall zu anderen Göttern. Doch fehlt hier die Formel „nimm dich in Acht“. In den vier Belegen der Kapitel 6 – 11 und 31 ist „essen und satt sein“ somit als Feststellung oder Warnung stets in den Segen Gottes hineingezogen. Doch ist die Wirkung dieser Sättigung ambivalent34 und differiert im Fortgang der Geschichte. Sie kann zum theologischen Problem werden. Genauer: „Nicht das Sattwerden, das als Ausdruck der Hilfe und Zuneigung JHWHs und als Wohlergehen Israels positiv gewertet wird, sondern Israels Reaktion darauf erfährt Kritik“.35

←28 | 29→

Die beiden restlichen Belege 14,29 und 26,12 betreffen die Leviten, Fremden, Witwen und Waisen. Die beiden Texte sichern die soziale Gerechtigkeit und dienen der Teilhabe aller an der Segensfülle des Landes. In jedem dritten Jahr soll der ganze Zehnte der Jahresernte nicht zum Tempel gebracht werden, sondern verbleibt als eine Art Sozialversicherung am Heimatort und wird dort zur Verteilung eingelagert (14,28f). Angesichts dieser „Säkularisierung“ des Zehnten muss im Zentralheiligtum ein Bekenntnis abgelegt werden, das die soziale Bindung des Drittjahreszehnten religiös absichert (26,13). Jeder Israelit trägt also die Verantwortung für das Abliefern aller Zehntanteile seiner Ernte „für die Leviten, Fremden, Waisen und Witwen“, sodass „sie davon in deinen Stadtbereichen essen und satt werden“ können (26,12). Ihre Ernährung ist zugleich die Voraussetzung dafür, dass Gott alles Arbeiten (14,29) und das Land segnet (26,15). Anders als auf dem Zug durch die Wüste nach Moab gibt es also, wenn Israel im Verheißungsland lebt, gesellschaftliche Unterschiede. Aber sie dürfen nie das Essen und Sattwerden beeinträchtigen.

Das Deuteronomium fasst die soziale Funktion des Landbesitzes und, dass niemand im Gottesvolk hungern bzw. Mangel leiden soll, nochmals weiter. Das zeigt die Verbindung von mit dem Nomen in 23,25. Nur hier wird ausdrücklich die Speise genannt, die ein einzelner Israelit isst und an der er satt wird, nämlich Trauben im Weinberg eines anderen. Die Bestimmung gestattet bei spontanem Appetit einen „Mundraub“36 (23,25). Und die gleiche Generosität gilt, obwohl die „Sättigung“ nicht eigens wiederholt wird, auch vom Herausreiben der Körner aus den Ähren eines Kornfeldes (23,26). Beides darf allerdings nicht zur Ernte entarten – vor einem solchen Missbrauch der Gastfreiheit wird der Besitzer in beiden Fällen geschützt.

Details

Seiten
484
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631857359
ISBN (ePUB)
9783631857366
ISBN (MOBI)
9783631857373
ISBN (Hardcover)
9783631857342
DOI
10.3726/b18534
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Lexeme satzübergreifende Syntax Überschriftensystem Fabel – Erzählfolge Synchron – Diachron
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 484 S.

Biographische Angaben

Georg Braulik (Autor:in) Norbert Lohfink (Autor:in)

Georg Braulik, geboren 1941, Benediktiner, war Alttestamentler an der Universität Wien. Er ist Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seine Forschung gilt vor allem den Büchern Deuteronomium und Psalmen, außerdem bearbeitet er bibeltheologische und biblisch-liturgische Themen. Norbert Lohfink, geboren 1928, Jesuit, war Alttestamentler in Rom (Pontificio Istituto Biblico) und Frankfurt am Main (Hochschule Sankt Georgen). Sein Spezialgebiet war der Pentateuch, sonst noch Psalmen, Hosea und Kohelet. Er war Mitglied des «Hebrew Old Testament Text Project».

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Titel: Sprache und literarische Gestalt des Buches Deuteronomium
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486 Seiten