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Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft- Annales Suisses de Musicologie- Annuario Svizzero di Musicologia

Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft- Annales Suisses de Musicologie- Annuario Svizzero di Musicologia Neue Folge / Nouvelle Série / Nuova Serie- 37 (2017)- Redaktion / Rédaction / Redazione: Luca Zoppelli

von Luca Zoppelli (Band-Herausgeber:in)
©2020 Dissertation 154 Seiten
Open Access

Zusammenfassung

Der vorliegende Band Schweizer Jahrbuch für Musikwissenschaft empfängt (in Übereinstimmung mit der aktuellen redaktionellen Linie der Zeitschrift) Arbeiten von aktiven schweizerischen und ausländischen Forschern. So wird eine Vielschichtigkeit, nicht nur linguistisch, sondern auch kulturell und methodologisch garantiert, die die wunderbare Vielfalt der Schweizerischen Eidgenossenschaft reflektiert.
Im Jahrbuch Nr. 37 berühren die Essays Themen mit antropologisch-kulturellen Ansätzen zur Archivforschung, die vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert und von der Sakralmusik zur Instrumentalmusik reichen. Sie legen den Schwerpunkt vor allem auf die symbolischen Mechanismen der Parodie in der gesungenen Liturgie (Therese Bruggisser-Lanker), auf die kompositorischen Gründe der Nichtvollendung der 7. Sinfonie von Schubert (Yusuke Takamatsu) und auf die ästhetische Autonomie der Kunst in Krisenzeiten dank den Vergleichen von verschiedenen künstlerischen Erfahrungen in der Mitte des 19. Jahrhunderts (Klaus Heinrich Kohrs). Die Briefe des berühmten Komponisten aus der französischen Schweiz, Gustave Doret, an wichtige französische Musiker (Delphine Vincent) sind in der neuen Dokumentenserie publiziert.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titelseite
  • Impressum
  • Inhalt / Sommaire / Sommario
  • Prefazione / Vorwort / Préface
  • Die Verkehrung des Allerheiligsten: Liturgieparodie zwischen Kult und Komik.
  • Warum blieb die «Unvollendete» von Franz Schubert D 759 unvollendet? Das Scherzo als möglicher Schlüssel zur Erklärung
  • Blumenstilleben und Te Deum. Die Avantgarde von 1830 in Februar-Revolution und Second Empire
  • Correspondances inédites de Gustave Doret avec Théodore Dubois, Gustave Charpentier, Henry Février, Florent Schmitt et Jacques Ibert
  • Autoren / Auteurs / Autori
  • Notes for Contributors

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Prefazione

Questo volume dell’Annuario Svizzero di Musicologia, coerentemente con gli intenti editoriali attuali della rivista, accoglie ricerche di studiosi attivi sia nelle università elvetiche sia in altri paesi, garantendo una pluralità culturale e metodologica, oltre che linguistica, che ben riflette la magnifica diversità alla base della Confederazione stessa.

I saggi che compongono il numero 37 dell’Annuario spaziano dal Medioevo al Novecento, dalla musica sacra a quella strumentale, da approcci di tipo antropologico-culturale a ricerche sulle fonti archivistiche. In particolare si riflette sui meccanismi simbolici della parodia nella liturgia cantata (Therese Bruggisser-Lanker), sulle ragioni compositive dell’incompiutezza della Sinfonia n. 7 di Schubert (Yusuke Takamatsu), e sull’autonomia estetica delle arti in tempi di crisi comparando differenti esperienze artistiche di metà Ottocento (Klaus Heinrich Kohrs). Nella nuova sezione documentaria, si pubblicano invece le lettere di Gustave Doret, celebre compositore della Svizzera Romanda, a importanti musicisti francesi (Delphine Vincent).

A partire dal volume precedente la rivista viene pubblicata non più solo in versione cartacea, ma anche elettronica, in formato open access, liberamente fruibile online da chiunque sul sito dell’editore. Trasformazione che, da un lato, ha comportato l’elaborazione di un nuovo layout, in linea con le direttive internazionali e le recenti prassi editoriali delle riviste open access, e che, dall’altro, assicura alla rivista la massima diffusione dei suoi contenuti.

Con questo numero l’attuale Redazione dell’Annuario conclude il suo mandato e si congeda dai lettori. Giunti al termine di questo lavoro, rivolgiamo un caloroso ringraziamento a tutti coloro che in tempi, modi e forme diverse hanno assicurato la loro collaborazione alla buona riuscita della rivista. Siamo grati agli autori, ai referenti internazionali, ai collaboratori di redazione, all’editore, e ai lettori che ci hanno seguito nell’ultimo decennio, a partire dal doppio volume 2008-2009. A chi proseguirà in questo cammino, speriamo di lasciare una rivista qualificata, plurale, internazionale, tanto attenta agli studi prodotti in Svizzera e sulla cultura musicale elvetica quanto aperta a studiosi di altri paesi, e non ultimo liberamente accessibile. In altre parole una rivista pronta per affrontare le nuove sfide culturali, scientifiche e tecnologiche del nostro tempo.

Andrea Garavaglia, Luca Zoppelli

Fribourg, aprile 2020

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Therese Bruggisser-Lanker (Zürich)

Die Verkehrung des Allerheiligsten: Liturgieparodie zwischen Kult und Komik

Das Lächerliche bleibt das Nichtige, das Ausfallende, das Irdische,
im Sinn der Theologie, aber es schattet nun als ‹verkehrte Welt›
das Unendliche ab, und das Lachen wird die Bewegung, die das von dem
Verstand Ausgegrenzte ergreift und dem Sein zuträgt, was Verstand
und der verständige Begriff nie fassen können:
seine unendliche Fülle und Tiefe.

Joachim Ritter, Über das Lachen (1940)

1.Das Erhabene und das Komische: Die Lachkultur im Mittelalter

«Erhaben, nennet sich der grosse Gott.» Der für die europäische Kultur seit der Antike so bedeutungsvolle Begriff des Erhabenen, welcher zusammen mit demjenigen des Schönen im 18. Jahrhundert zu einer zentralen Kategorie der sich herausbildenden Ästhetik aufrückte, wird nach der Definition des Zedlerschen Universal-Lexikons aus dem Jahre 1734 auf den religiösen Ursprung zurückgeführt, wo er in der (negativen) Theologie seine Wurzeln hat.1 Schon Longinus (ca. 25–40 n.Chr.), auf den sich die christliche Tradition beruft, weist dem hohen dichterischen Stil neben den rhetorischen und ethisch-psychologischen auch metaphysische Elemente zu, da er die Seele zum Göttlichen hinführe und den Menschen zu Ekstase und Enthusiasmus hinreisse. Besonders sein der Bibel entnommenes Wort aus der Genesis zur Macht und Würde des Göttlichen – «Gott sprach: Fiat lux – Es werde Licht, und es ward Licht» – wurde über Jahrhunderte für Denker und Dichter zum Ausgangspunkt für die Auslotung der jenseits intelligibler Erkenntnis liegenden Grenzerfahrung des ←11 | 12→Wunderbaren und Überwältigenden, wie sie das Erhabene charakterisiert. Als Ursprungslicht Gottes seinem Wesen nach transzendent, wohnt das Licht dem menschlichen Geist inne und befähigt ihn durch illuminatio («Einleuchtung») zur Selbst- und Gotteserkenntnis. Beim Bau der Kathedrale von Saint-Denis wurde es von Abt Suger bewusst durch ästhetische Mittel ins Werk gesetzt, denn er verfügte, dass sie «erstrahlen [solle] von dem wunderbaren und ununterbrochenen Licht der strahlenden Glasfenster, wenn dieses die Schönheit des Innenraums durchschien.»2 Die Grenzen der Erfahrung wurden hiermit in jeder Hinsicht durchlässig: In der von Licht durchfluteten Vision verschmolzen der in die Höhe strebende Kirchenraum, die prächtigen Zeremonien und der harmonische Gesang der Kirchweihliturgie – Abbild der Liturgie der ewigen Stadt Jerusalem, die nach der Johannesoffenbarung, da von der Herrlichkeit Gottes bzw. des Lammes erleuchtet, ohne Finsternis ist (Offb 21,23). Entsprechend lautet denn auch das Weihegebet in der Kirchweihe: «Die Kirche ist erhaben, denn sie ist die Stadt auf dem Berge, überall sichtbar. In ihr erstrahlt das Lamm als unvergängliches Licht, in ihr hallt wider das Danklied der Heiligen.»3 In der apokalyptischen Thronsaalvision des Johannes evozieren die Sanctus-Akklamationen an die Majestät Gottes sowie die «neuen Lieder» der Ältesten den nie endenden himmlischen Gottesdienst, dessen numinose Aura vorbildhaft die kirchliche Liturgie auszeichnete.4

Angesichts eines solchen Liturgieverständnisses lässt sich die Frage stellen, ob es nicht als Blasphemie aufzufassen sei, den ernstesten und erhabensten Gegenstand der in der Liturgie musikalisch überhöhten heiligen Gottesworte ins Lächerliche zu ziehen. Überblickt man mittelalterliche Feste der Umkehr wie das Narren- oder Eselsfest, die Wahl eines Kinderabts oder –bischofs oder die verballhornten Messetexte der Säufer- oder Spielermessen, durch welche die Hierarchien und Normen der Kirche temporär ausser Kraft gesetzt wurden, so wird bewusst, dass im Mittelalter das befreiende Lachen über das Heilige innerhalb gewisser Grenzen geduldet, ja institutionalisiert war. Das jedoch, was als ‹das Heilige› zu gelten hatte, musste in einem andauernden Abgrenzungsprozess stets wieder bestätigt oder neu definiert werden. Diese Dialektik zwischen dem Erhabenen und Komischen, dem Unendlichen und Endlichen, dem Hohen und dem Niedrigen, dem Jenseitigen und dem Diesseitigen durchdrang die Formen des Kults. Das Komische ist denn auch nur auf der Folie des Allgemeingültigen, der sakrosankten Liturgie, zu verstehen, wo der Umschlag in die Parodie beim Fest der Unschuldigen Kinder an einer bezeichnenden Textstelle innerhalb des Magnificat erfolgte: «[Dominus] deposuit potentes de sede et ←12 | 13→exaltavit humiles.»5 Die Fallhöhe zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, wie sie sich im Kult spiegelt, wird überbrückt, indem die biblische Aussage wortwörtlich genommen wird, um unerwartet und abrupt soziale Wirklichkeit in Erinnerung zu rufen. Diese genuin christliche, an die Mächtigen dieser Welt gerichtete Botschaft zur Demut, die zum Anlass für den Einbruch des Komischen in Anspruch genommen wird, präfiguriert auf paradoxe und hintergründige Weise die moderne Definition nach Odo Marquard, dass «komisch ist und zum Lachen bringt, was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden lässt.»6

Erklärungsversuche zu den aus heutigem Blickwinkel teilweise krassen Formen der Liturgieparodie, die den Kern – das Allerheiligste – des römischen Ritus-Verständnisses berühren, gibt es mittlerweile aus verschiedenen Perspektiven.7 Die Musikwissenschaft, die sich zwar eingehend mit dem Parodie-Begriff als einer ernsthaften musikalischen Bearbeitungstechnik im Sinne der nach- oder wetteifernden imitatio beschäftigt,8 hält sich bislang zu dieser speziellen, auf der Textebene sich vollziehenden komisch-satirischen Parodie vornehm zurück. Doch lohnt sich ein diesbezüglicher Seitenblick durchaus, um zur Einsicht zu gelangen, dass im mittelalterlichen heiligen ‹Drama› der Liturgie wie in der griechischen Tragödie das Erhabene das Komische als sein notwendiges Gegenbild hervorruft, wo die Komödie als dionysisches Satyrspiel den tiefen Ernst und das Pathos der Tragödie in Entspannung auflöst: «Nach den Tränen kam das Gelächter.»9 Es braucht anscheinend ein gewisses Mass an relativierendem Unernst, damit der Mensch in seiner rituellen Annäherung an Höchstes ←13 | 14→und Heiligstes nicht der Gefahr unfreiwilliger Komik unterliegt. Dazu kommt, dass in der spätmittelalterlichen Liturgie zunehmend Gewicht auf die zu erzeugenden inneren Bilder und Affekte gelegt wurde: Sie wandelte sich vom Officium Dei zum Sacrum Theatrum, einer verinnerlichten Dramatik in der memorativen Inszenierung des vergangenen Heilsgeschehens, die in der gestischen und zeichenhaft-sinnlichen Akzentuierung dessen leibhaftige Vergegenwärtigung anstrebte.10 Im Vordergrund stand das Kreuzesopfer Christi und damit eine neue Passionsfrömmigkeit, die in der mitleidenden Passionsbetrachtung der compassio und im mimetischen Nachvollzug der imitatio Christi neue Innenerfahrungen stimulierte. Extreme Askese oder gar Selbstgeisselung waren radikaler Ausdruck einer religiösen Praxis, welche die glühende Liebe bis hin zur mystischen Vereinigung mit Christus zum Ziel hatte. In der Logik von Liebe und Leid wurden Modelle der körperlichen und affektiven Identifikation mit dem Menschen Jesus bereitgestellt, die in ihrer Hinwendung zum Humanen zu einer Subjektivierung des Einzelnen führte.

Das Lachen ist Vorrecht und charakteristisches Wesensmerkmal des Menschen, wie es bereits Aristoteles festgestellt hat.11 Dass es eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen gibt, lässt sich dem Buch des Predigers Kohelet entnehmen, der die Vanitas, die Vergänglichkeit allen Lebens, als menschliche Grundkonstante beschwört. In der christlichen Tradition ist dieser Antagonismus laut der Bergpredigt Jesu dahingehend aufgelöst, dass den hienieden Trauernden und Weinenden das Lachen für das kommende Gottesreich verheissen wird – «Selig seid ihr, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen» , während die im hiesigen Leben lachenden Sünder verdammt sein werden: «Weh euch, die ihr jetzt lacht, denn ihr werdet weinen und klagen (Koh 3,4).»12 Es ist das naiv-kindliche, stillheitere, ja glückliche Lachen, das als Jenseitsutopie den Gläubigen vor Augen stand, etwa in der Weltgerichtsdarstellung über dem Fürstenportal am Bamberger Dom (Abb. 1a-b ). Doch die zur Hölle Verdammten lachen ebenfalls, wenn auch aus diesem Lachen ein hässliches, aus Scham und Schrecken verzerrtes, verzweifeltes Grinsen geworden ist (Abb. 1c).13

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Abb. 1a: Weltgericht. Tympanon über dem Fürstenportal am Bamberger Dom, 1230.

Abb. 1b: Weltgericht. Tympanon über dem Fürstenportal am Bamberger Dom, 1230: Die lachenden Seligen.

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Abb. 1c: Weltgericht. Tympanon über dem Fürstenportal am Bamberger Dom, 1230: Die grinsenden Verdammten.

Die ungezählten Veranlassungen und Ausdrucksformen des Lachens sind dementsprechend aus dogmatisch-moralischer Sicht klar gewertet. Zuunterst in der Skala stehen das alberne, zügellose, schändliche Lachen sowie das hämisch-verächtliche Lachen derer, die sich über das Leid der Unterdrückten und sonstige Abscheulichkeiten diabolisch freuen. Die Ambivalenz, aber auch die Sprengkraft des Lachens war den kirchlichen Kreisen oft genug ein Dorn im Auge, die sich darin spiegelnden menschlichen Abgründe boten fortwährend Anlass für einschränkende Vorschriften und Verbote. Dem gottesfürchtigen Mittelalter wurde deshalb lange Zeit eine eigentliche Lachfeindlichkeit unterstellt, auch wenn die noch erhaltenen schriftlichen und bildlichen Quellen ein viel differenzierteres Bild erlauben.

Details

Seiten
154
Jahr
2020
ISBN (PDF)
9783034341080
ISBN (ePUB)
9783034341097
ISBN (MOBI)
9783034341103
ISBN (Paperback)
9783034340861
DOI
10.3726/b17113
Open Access
CC-BY-NC-SA
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2022 (Februar)
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2020, 154 S.

Biographische Angaben

Luca Zoppelli (Band-Herausgeber:in)

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