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Die grenzüberschreitende Portabilität von On-Demand-Streaming-Diensten

von Michael Eginger (Autor:in)
©2021 Dissertation 388 Seiten

Zusammenfassung

Die derzeit üblichen territorialen Lizenzierungspraktiken der Filmindustrie führen im Online-Bereich zur Zersplitterung des europäischen Binnenmarktes, indem sie die grenzüberschreitende Nutzung von Video-on-Demand-Diensten einschränken. Der Autor zeigt auf, wie dieses Regulierungsproblem von der VO (EU) 2017/1128 zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt partiell gelöst wird. Dabei widmet er sich zunächst der Frage, wie die Vorgaben dieser Verordnung zu handhaben sind, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen aller beteiligten Akteure zu gewährleisten. Anschließend bettet er die Verordnung in einen vertragsrechtlichen Rahmen ein, der sowohl nationale als auch unionsrechtliche Vorgaben berücksichtigt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • § 1 Einleitung
  • A. Problemstellung
  • B. Rahmen der Untersuchung
  • C. Zielsetzung, Methodik und Gang der Untersuchung
  • § 2 Normzweck der Portabilitätsverordnung
  • A. Regulierungsproblem: Gebietslizenzen als Binnenmarkthindernis
  • I. Ursache der Gebietslizenzen
  • 1. Notwendigkeit von Mehrgebietslizenzen im Europäischen Binnenmarkt
  • 2. Anknüpfungspunkt zur Schaffung eines digitalen Binnenmarktes
  • a) Geoblocking
  • b) Territorialitätsprinzip
  • aa) Gebietslizenzen und Territorialität
  • bb) Kein rechtliches Fundament für Gebietslizenzen
  • c) Gebietslizenzierungspraktiken
  • II. Vereinbarkeit der Gebietslizenzierungspraktiken mit der Dienstleistungsfreiheit
  • 1. Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs
  • 2. Verhältnis des Urheberrechts zur Dienstleistungsfreiheit
  • a) Differenzierung zwischen Bestand und Ausübung
  • b) Spezifischer Gegenstand des Urheberrechts
  • 3. Bestimmung des spezifischen Gegenstandes
  • a) Angemessene Vergütung als Hauptkriterium
  • b) Dingliche Nutzungsrechte als Kriterium
  • aa) Dinglich wirkende Nutzungsrechte im Online-Bereich
  • bb) Stellungnahme
  • III. Vereinbarkeit der Gebietslizenzierungspraktiken mit dem Wettbewerbsrecht
  • 1. Gebietslizenzen in der Rechtsprechung des EuGH
  • 2. Der spezifische Gegenstand im Kartellrecht
  • 3. Strukturell vorgegebene Marktaufteilung
  • 4. Verbot passiver Verkäufe
  • 5. Freistellung nach Art. 101 III AEUV
  • IV. Bedeutung und Zulässigkeit gebietsbezogener Lizenzen im Online-Bereich
  • 1. Keine pauschale Übertragbarkeit der FAPL/Murphy-Entscheidung
  • a) Reichweite der FAPL/Murphy-Entscheidung
  • b) Stellungnahme
  • 2. Bedeutung der territorialen Rechtevergabe für die Filmindustrie
  • a) Finanzierung durch Presales
  • b) Presales im VoD-Sektor
  • c) Finanzierung durch öffentliche Fördermittel
  • d) Generelle Auswertung im Rahmen der Verwertungskaskade
  • e) Geringes Interesse an europäischen Lizenzen
  • 3. Europaweite Lizenzen als Chance
  • a) Aufrechterhaltung der bisherigen Strukturen
  • b) Mehr kulturelle Vielfalt
  • c) Positive strukturelle Veränderungen
  • d) Gesetzliche Vielfaltssicherung
  • e) Auswirkung auf die Zulässigkeit von Gebietslizenzen
  • V. Bedeutung für die grenzüberschreitende Portabilität
  • VI. Zwischenergebnis
  • B. Regulierungsbedarf: Sicherung legitimer Nutzungsfreiheiten
  • I. Sicherung des urheberrechtsfreien rezeptiven Werkgenusses
  • 1. Bedeutung des urheberrechtsfreien rezeptiven Werkgenusses
  • 2. Legitimation des urheberrechtsfreien Werkgenusses in der analogen Welt
  • a) Angemessene Vergütung als urheberrechtlicher Leitgedanke
  • b) Mittelbare Erfassung des rezeptiven Werkgenusses
  • c) Die mittelbare Erfassung des Werkgenusses als effizientes System
  • 3. Auswirkungen der Digitalisierung auf den Werkkonsum
  • a) Wandel des Werkkonsums
  • b) Verwertungsrechtliche Erfassung des rezeptiven Werkgenusses
  • aa) Der Werkgenuss als Vervielfältigungshandlung: Ein Paradigmenwechsel
  • bb) Sicherung des Werkgenusses als Zugangsregel
  • cc) Vertragsrechtliche Kontrolle des Werkgenusses
  • c) Die mittelbare Erfassung des Werkgenusses als Kontrollinstrument
  • aa) Faktische Kontrolle des Werkgenusses
  • bb) Rechtliche Absicherung
  • 4. Regulierungsbedarf im digitalen Umfeld
  • a) Legitimation des urheberrechtsfreien rezeptiven Werkgenusses in der digitalen Welt
  • b) Der Werkgenuss als legitime Nutzungsfreiheit
  • c) Versagen des Systems de lege lata vor der Portabilitätsverordnung
  • II. Portabilität als berechtigte Verbrauchererwartung
  • 1. Der Begriff normativer Erwartungen
  • 2. Selektion und Stabilisierung normativer Erwartungen als Aufgabe des Rechts
  • 3. Portabilität als schützenswerte normative Erwartung
  • a) Normative Erwartungshaltung
  • b) Normativität durch das Recht
  • c) Schutzwürdigkeit der Erwartung
  • aa) Ökonomische Schutzwürdigkeit
  • bb) Rechtliche Schutzwürdigkeit
  • 4. Negative Selektion der Verbrauchererwartungen
  • III. Zwischenergebnis
  • C. Regulierungsantwort: Wirkungsmechanismus der Portabilitätsverordnung
  • I. Zwingendes Vertragsrecht
  • II. Fiktion
  • 1. Wirkung der Fiktion
  • 2. Auswirkung auf das Territorialitätsprinzip
  • III. Wandel von der negativen zur positiven Selektion der Verbrauchererwartungen
  • IV. Freiheit des rezeptiven Werkgenusses durch die Portabilitätsverordnung
  • V. Zwischenergebnis
  • § 3 Portabilität im trilateralen Rechtsverhältnis zwischen Rechteinhabern, Anbietern und Abonnenten
  • A. Trilaterale Interessenintegration
  • I. Grenzüberschreitender Zugang als Interessenkonflikt
  • II. Interessenberücksichtigung in den Rechtsverhältnissen
  • 1. Kein genereller grenzüberschreitender Zugriff
  • 2. Interessen der Rechteinhaber in der Vertragskette
  • 3. Bedeutung für die Interessen innerhalb einer Vertragskette
  • 4. Gefahrenpotenzial für die Interessen
  • III. Interdependenzen der Rechtsverhältnisse
  • 1. Rangverhältnis der Rechtsverhältnisse
  • 2. Auswirkungen der rechtlichen Dominanz
  • IV. Zwischenergebnis
  • B. Der vorübergehende Aufenthalt in einem Mitgliedstaat im trilateralen Rechtsverhältnis
  • I. Notwendigkeit einer zeitlichen Befristung
  • 1. Bedeutung der Grundrechte für den Begriff des „vorübergehenden Aufenthalts“
  • 2. Schutz des geistigen Eigentums über die GRCh
  • 3. Eingriffsintensität
  • a) Eigentumsentziehung
  • b) Eigentumsbeschränkung
  • 4. Zugang als überwiegender Allgemeinwohlbelang
  • a) Legitime Zielsetzung
  • b) Angemessenheit der Einschränkung
  • aa) Geringe Eingriffsintensität
  • bb) Zugangsinteresse der Verbraucher
  • 5. Wechselwirkung zwischen Grundfreiheiten und Grundrechten
  • 6. Dreistufentest
  • a) Bestimmter Sonderfall
  • aa) Bestimmtheit des Sonderfalls
  • bb) Sonderfall
  • b) Beeinträchtigung der normalen Auswertung
  • c) Ungebührliche Verletzung berechtigter Interessen
  • II. Verständnis des „vorübergehenden Aufenthalts“
  • 1. Das Kriterium des vorübergehenden Aufenthalts im Gesetzgebungsverfahren
  • a) Bedeutung im Kommissionsentwurf
  • b) Anschein einer zeitlichen Befristung
  • c) Keine abweichende Beurteilung durch die Formulierungsänderung
  • d) Bedeutung für die Auslegung
  • 2. Systematik
  • 3. Telos und effet utile
  • III. Vertraglicher Gestaltungsspielraum
  • 1. Schutz der unternehmerischen Freiheit
  • 2. Unzulässigkeit zeitlicher Einschränkungen
  • IV. Zwischenergebnis
  • C. Der Wohnsitzmitgliedstaat im trilateralen Rechtsverhältnis
  • I. Bedeutung des Wohnsitzmitgliedstaates
  • II. Wirkung der Überprüfung
  • III. Unbestimmtheit des Wohnsitzmitgliedstaates
  • IV. Rechtsaktübergreifende Begriffsbestimmung des Wohnsitzmitgliedstaates
  • 1. Binnenrechtsvergleich
  • 2. Rechtsvergleich mit nationalem Recht
  • 3. Erkenntnisgewinn des Rechtsvergleichs
  • 4. Teleologische Auslegung
  • V. Vertragliche Konkretisierung des Wohnsitzmitgliedstaates
  • 1. Vertraglicher Gestaltungsspielraum
  • 2. Definition über die Verifizierungsmaßnahmen
  • 3. Unvereinbarkeit mit Art. 3 I Portabilitäts-VO
  • VI. Verifizierung des Wohnsitzmitgliedstaates
  • 1. Einschränkungen bei der Auswahl der Verifizierungsmaßnahmen
  • a) Abschließender Maßnahmenkatalog
  • b) Nutzung vorhandener Daten
  • c) Bedeutung für die Verifizierungsmöglichkeiten
  • aa) Effektivität der Zahlungsinformationen als Überprüfungsmaßnahme
  • bb) Wahl der primären Überprüfungsmaßnahme
  • d) Auswirkungen der DSGVO
  • aa) Zweckbindung
  • bb) Bedeutung für die Überprüfung des Wohnsitzmitgliedstaates
  • cc) Zulässigkeit der Datenverarbeitung
  • e) Privatautonomer Gestaltungsspielraum
  • 2. Quantitative Einschränkungen bei den Überprüfungsmaßnahmen
  • a) Zwei Überprüfungsmaßnahmen als Ausnahmefall
  • b) Generelle Zulässigkeit von zwei Überprüfungsmaßnahmen
  • c) Vertragliche Festlegung von zwei Überprüfungsmaßnahmen
  • d) Zulässigkeit weiterer Überprüfungsmaßnahmen
  • 3. Zeitpunkt der Verifizierung
  • a) Überprüfung bei Vertragsschluss und -verlängerung
  • b) Begründete Zweifel am Wohnsitzmitgliedstaat
  • c) Schwelle der begründeten Zweifel
  • d) Privatautonomer Gestaltungsspielraum
  • aa) Vertragslaufzeit
  • bb) Begründete Zweifel
  • VII. Zwischenergebnis
  • D. Trilaterale Verknüpfung der Rechtsverhältnisse im Bereich der Haftung
  • I. Sorgfaltsmaßstab
  • II. Beweislastverteilung
  • III. Faktische Rechtssicherheit der Anbieter
  • IV. Privatautonome Vereinbarungen
  • V. Zwischenergebnis
  • § 4 Portabilität im bilateralen Vertragsverhältnis zwischen Abonnenten und Anbietern von Online-Inhaltendiensten
  • A. Auswirkungen des zwingenden Vertragsrechts
  • I. Vertraglicher Zugangsanspruch
  • II. Unwirksamkeitsfolge des Art. 7 I Portabilitäts-VO
  • 1. Mögliche Rechtsfolgen des Art. 7 I Portabilitäts-VO
  • 2. Auslegung des Art. 7 I Portabilitäts-VO
  • a) Autonome Auslegung
  • b) Wortlaut
  • c) Systematik
  • d) Telos
  • e) Auswirkung des effet utile auf die teleologische Auslegung
  • 3. Kein Rückgriff auf § 134 BGB und § 307 I 1 BGB
  • 4. Verbot der geltungserhaltenden Reduktion
  • 5. Auswirkungen auf den Bestand des Vertrages
  • a) Aufrechterhaltung nach dem Gesetzeszweck
  • b) Ergänzende Vertragsauslegung
  • aa) Grenze der ergänzenden Vertragsauslegung
  • bb) Geltungserhaltende Reduktion durch ergänzende Vertragsauslegung
  • c) Schließung vertraglicher Lücken
  • d) Kontrollverlust durch Unwirksamkeit
  • 6. Unwirksamkeit als Risiko der Anbieter
  • III. Bedeutung des Transparenzgebots
  • 1. Notwendigkeit von Transparenz
  • 2. Relevante Ausprägungen des Transparenzgebots
  • 3. Das Transparenzgebot im Rahmen der grenzüberschreitenden Portabilität
  • a) Intransparenz bei zwingenden Vorgaben
  • b) Klarheit durch Gesetzestext
  • c) Ausnutzung eines gesetzlichen Gestaltungsspielraumes
  • 4. Vertragsrechtliche Folgen von Intransparenz
  • a) Intransparenz bei zwingenden Vorgaben
  • b) Intransparenz bei vertraglichem Gestaltungsspielraum
  • 5. Das Verhältnis des Transparenzgebots zu Art. 7 I Portabilitäts-VO
  • IV. Zwischenergebnis
  • B. Mängel- und Sekundärrechte der Abonnenten
  • I. Mängelrechte der Digitale-Inhalte-RL
  • 1. Regelungskonzept und -inhalt
  • 2. Anwendbarkeit auf die Portabilität von Online-Inhaltediensten
  • 3. Einschränkungen der Portabilität
  • a) Nicht erfolgte Bereitstellung
  • aa) Voraussetzung der Bereitstellung
  • bb) Zugangsunterbrechung
  • b) Portabilität als Vertragsbestandteil
  • aa) Subjektive Anforderungen
  • bb) Anwendung auf die grenzüberschreitende Portabilität
  • cc) Objektive Anforderungen
  • dd) Anwendung auf die grenzüberschreitende Portabilität
  • c) Objektive Anforderungen der Portabilitätsverordnung
  • aa) Nutzung in derselben Form
  • bb) Zulässigkeit geringerer Qualitätsstandards
  • cc) Qualitätsgarantie und Verbot künstlicher Verschlechterung
  • dd) Informationspflichten
  • d) Vertraglicher Gestaltungsspielraum
  • aa) Portabilität und Verfügbarkeitsquoten
  • bb) Verfügbarkeitsquoten in der AGB-Kontrolle
  • cc) Auswirkungen der Digitale-Inhalte-RL
  • 4. Beweislastverteilung
  • a) Beweislast des Anbieters
  • b) Kein Haftungsrisiko für Anbieter
  • 5. Durchsetzbarer Portabilitätsanspruch über das Mängelgewährleistungsrecht
  • 6. Minderungs- und Kündigungsrecht
  • II. Bedeutung des nicht harmonisierten nationalen Rechts
  • 1. Bisherige Relevanz der Vertragstypologie
  • 2. Bedeutungsverlust der Vertragstypologie
  • a) Irrelevanz für das Mängelgewährleistungsrecht
  • b) Notwendigkeit eines vertraglichen Leitbildes
  • aa) Entbehrlichkeit der Leitbilder durch die Digitale-Inhalte-RL
  • bb) Verbleibende Relevanz der Leitbilder
  • 3. Schadensersatzansprüche
  • a) Bedeutung der Vertragstypologie
  • b) Haftung für Deckungsgeschäfte
  • c) Verletzung einer Vertragspflicht
  • d) Haftungsbeschränkungen
  • e) Beweislastverteilung
  • aa) Bedeutung der Digitale-Inhalte-RL
  • bb) Beweislastverteilung nach nationalem Recht de lege lata
  • (1) Beweislastverteilung nach Verantwortungsbereichen
  • (2) Sekundäre Behauptungslast
  • (3) Beweiserleichterung nach § 142 ZPO
  • (4) Widerlegung der Vermutung
  • III. Zwischenergebnis
  • § 5 Zusammenfassung der Ergebnisse und Ausblick
  • A. Zusammenfassung der Ergebnisse
  • I. Normzweck der Portabilitätsverordnung
  • II. Portabilität im trilateralen Rechtsverhältnis zwischen Rechteinhabern, Diensteanbietern und Abonnenten
  • III. Portabilität im bilateralen Vertragsverhältnis zwischen Abonnenten und Anbietern von Online-Inhaltediensten
  • B. Ausblick
  • Literaturverzeichnis

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§ 1 Einleitung

A. Problemstellung

Mit der „Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa“ vom 06.05.2015 setzte die Europäische Kommission die Etablierung des Binnenmarktprinzips im digitalen Bereich auf die Agenda. Als Grund dafür nannte sie den rasanten technologischen Fortschritt, der dazu führe, dass die Digitalisierung nicht nur das Wirtschaftsleben in den verschiedensten Sektoren zunehmend präge, sondern auch in den gesellschaftlichen und privaten Bereich Einzug halte und erheblich an Bedeutung gewinne.1 Damit Europa im Rahmen der digitalen Transformation mithalten oder sogar die Vorreiterrolle übernehmen könne, sei es notwendig, die Fragmentierung der Märkte innerhalb der EU zu überwinden und Barrieren zwischen den Mitgliedstaaten, welche es nicht erlauben, das gesamte wirtschaftliche Potenzial der Digitalisierung zu nutzen, abzubauen.2 Außerdem drohe ohne regulatorischen Eingriff der EU sogar eine zunehmende Zersplitterung des Binnenmarktes, da die einzelnen Mitgliedstaaten vor die Aufgabe gestellt wären, die mit der Digitalisierung einhergehenden Neuentwicklungen selbst in einen regulatorischen Rahmen einzubetten, was nicht nur erhebliche Schwierigkeiten für diese bedeuten, sondern unweigerlich in unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen in den einzelnen Mitgliedstaaten münden würde.3 Die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa fußt auf drei Pfeilern: (1.) Einem besseren Online-Zugang für Verbraucher und Unternehmen zu Waren und Dienstleistungen in ganz Europa. (2.) Der Schaffung der richtigen Bedingungen für florierende digitale Netze und Dienste und (3.) der bestmöglichen Ausschöpfung des Wachstumspotenzials der europäischen digitalen Wirtschaft.4

Der erste Rechtsakt der EU, der aus ihrem Versprechen, einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, hervorging, war die am 14.06.2017 verabschiedete und am 30.06.2017 im Amtsblatt der EU veröffentlichte Verordnung zur grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im europäischen Binnenmarkt,5 die dem ersten Pfeiler der Strategie zugehörig ist. Sie ermöglicht den ←15 | 16→Abonnenten6 von portablen7 Online-Inhaltediensten während eines vorübergehenden Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat auf die in ihrem Heimatland abonnierten Online-Inhaltedienste weiterhin zugreifen und diese nutzen zu können. Die Nutzbarkeit von Online-Inhaltediensten war zuvor meist auf den Mitgliedstaat beschränkt, in dem das Abonnement abgeschlossen wurde. Von allen in den 28 Mitgliedstaaten verfügbaren Video-on-Demand-Diensten (VoD-Dienste) ermöglichten weniger als 4 % ihren Abonnenten bei Auslandsaufenthalten den grenzüberschreitenden Zugriff auf den Dienst und dessen Nutzung.8 Vor dem Hintergrund, dass sowohl der Zugriff auf Online-Inhaltedienste über das Internet als auch die Nutzung portabler Abspielgeräte rasant zunimmt, gewinnt auch die grenzüberschreitende Nutzbarkeit von Online-Inhaltediensten stetig an Bedeutung.9

Die Kommission führte die fehlende grenzüberschreitende Portabilität auf vier Gründe zurück: (1.) „Die Territorialität im Urheberrecht“, (2.) die „Schwierigkeiten, die sich bei der Klärung der Rechte stellen“, (3.) „vertragliche Beschränkungen im Verhältnis zwischen Rechteinhabern“ und Anbietern oder auch die „Geschäftsentscheidungen“ der Anbieter selbst sowie zuletzt (4.) die „Bedeutung des Gebietsschutzes für die Finanzierung bestimmter Arten von (audiovisuellen) Werken“.10 Unmittelbar verantwortlich und damit auch ←16 | 17→die Hauptursache für die nicht vorhandene Möglichkeit der grenzüberschreitenden Portabilität sei der an dritter Stelle genannte Grund gewesen, die vertraglichen Vereinbarungen zwischen Diensteanbietern und Rechteinhabern.11 Wegen der auf einzelne Mitgliedstaaten oder Sprachgebiete beschränkten Lizenzen war es den Diensteanbietern sowohl vertraglich als auch urheberrechtlich untersagt, die Inhalte grenzüberschreitend zugänglich zu machen.12 Dies führte im Online-Bereich zu einer Zersplitterung des Binnenmarktes, wie man sie bei körperlichen Gütern niemals hinnehmen würde.13

In der FAPL/Murphy-Entscheidung des EuGH im Jahr 2011 hatte dieser unter anderem über die Zulässigkeit von territorialen Lizenzen in Verbindung mit vertraglichen Gebietsschutzklauseln im Anwendungsbereich der Satelliten- und Kabel-RL zu befinden.14 Nachdem er diese für unzulässig erklärte, wurde die Vereinbarkeit territorial beschränkter Lizenzen mit der Dienstleistungsfreiheit und den Wettbewerbsvorschriften erneut ins Schlaglicht gerückt. Es entbrannte die kontroverse Diskussion, ob mit der Entscheidung auch das Ende territorialer Lizenzen im Online-Bereich eingeläutet und beim grenzüberschreitenden Zugriff auf Online-Inhaltedienste ein digitaler Binnenmarkt nun Realität sei.15 Im Kern ging es dabei um die Frage, ob eine in den Gebietslizenzen begründete Beschränkung der Grundfreiheiten und ein in diesen liegender Wettbewerbsverstoß gerechtfertigt ist. Diese komplexe Frage kann nicht ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung der Gebietslizenzierungspraktiken für die Finanzierungs- und Verwertungssysteme der (europäischen) Filmindustrie erfolgen. In eine Rechtfertigungsprüfung sind sämtliche potenziellen negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, die der Wegfall der Gebietslizenzierungspraktiken mit sich bringen könnte, einzubeziehen. Letztlich ist es die Ungewissheit über diese Auswirkungen und die Angst davor, der kulturellen Filmvielfalt in Europa zu schaden, die dazu geführt haben, dass das Primärrecht bisher nicht fruchtbar gemacht wurde, um den territorialen ←17 | 18→Lizenzierungspraktiken den Riegel vorzuschieben und eine Zersplitterung des Binnenmarktes im Online-Bereich zu verhindern. Dies entspricht dem von der Kommission an vierter Stelle genannten Grund, der für die nicht vorhandene Möglichkeit der grenzüberschreitenden Portabilität verantwortlich sei.

Für die Abonnenten von Online-Inhaltediensten hatten die territorial begrenzten Lizenzen den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Online-Inhaltedienstes zur Folge, sobald sie eine Grenze innerhalb des europäischen Binnenmarktes überschritten. Die EU hatte ihr in Art. 3 III UAbs. 1 S. 1 EUV festgeschriebenes Versprechen, einen Binnenmarkt zu errichten, demnach nicht eingehalten. Dies führte in Kombination mit der ansteigenden Nutzung von Online-Inhaltediensten zu einer zunehmenden Verschlechterung der Position der Verbraucher.16 Während sie ein gebundenes Buch oder eine CD mit gespeicherten Daten nach dem Erwerb ohne Einschränkungen in jedem Land nutzen konnten, entfiel die Nutzungsmöglichkeit bei Online-Inhaltediensten im Moment des Grenzübertritts. Im Online-Bereich wurde der urheberrechtsfreie rezeptive Werkgenuss, wonach die Wahrnehmung eines Werkes und dessen Wahrnehmbarmachung für die eigene Person verwertungsrechtlich freigestellt und ohne Einschränkungen möglich ist, dadurch immer weiter zurückgedrängt. Wollten Abonnenten im europäischen Ausland in den Genuss eines Werkes kommen, hätten sie sich erneut kostenpflichtig Zugang zu diesem verschaffen müssen; es wäre dadurch zu einer finanziellen Doppelbelastung gekommen. Die territoriale Einschränkung der Nutzbarkeit von Online-Inhaltediensten führte bei Abonnenten auch zur Enttäuschung ihrer Erwartung, innerhalb der europäischen Union ohne Einschränkungen auf die von ihnen abonnierten Online-Inhaltedienste zugreifen und diese nutzen zu können.17 Natürlich ist nicht jeder Erwartung durch das Recht Geltung zu verschaffen, doch soweit diese sowohl ökonomisch als auch rechtlich schützenswert ist, sollte sie gesetzlichen Rückhalt finden.

Das Regulierungsproblem war demnach die Beseitigung der negativen Folgen der territorialen Lizenzen, die zur Zersplitterung des europäischen Binnenmarktes führten und die Nutzungsmöglichkeit von Online-Inhaltediensten entfallen ließen, sobald sich ein Abonnent im Vertrauen auf das Binnenmarktversprechen vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat aufhielt. Dies war jedoch nur eine Seite des Regulierungsproblems. Die andere Seite bestand ←18 | 19→darin, die negativen Folgen der Gebietslizenzierungspraktiken zu eliminieren, ohne intensiv in das geistige Eigentum der Rechteinhaber sowie deren Privatautonomie einzugreifen und eine Existenzgefahr für die (europäische) Filmindustrie zu schaffen. Die Portabilitätsverordnung ist die Antwort auf dieses Regulierungsproblem. Sie schafft einen digitalen Binnenmarkt für Abonnenten, die einen im Heimatland abonnierten Online-Inhaltedienst bei Auslandsaufenthalten in der EU nutzen möchten, wobei sie die Zulässigkeit territorial beschränkter Lizenzen per se nicht in Frage stellt und dadurch die Interessen aller beteiligten Akteure bestmöglich in Einklang bringt. Die generelle Möglichkeit, auf Online-Inhaltedienste anderer Mitgliedstaaten zugreifen zu können – wie es für die Vollendung eines digitalen Binnenmarktes notwendig wäre – ist von der grenzüberschreitenden Portabilität zu trennen und wird aufgrund ihrer kaum abzuschätzenden wirtschaftlichen Tragweite zunächst nicht zum Gegenstand einer Regulierung gemacht.18

Nachdem die grenzüberschreitende Portabilität bisher sowohl vertraglich als auch urheberrechtlich ausgeschlossen war, muss die Portabilitätsverordnung die grenzüberschreitende Nutzungsmöglichkeit der Online-Inhaltedienste sowohl vertragsrechtlich als auch urheberrechtlich sicherstellen, um ein in sich kohärentes System zu schaffen. Darüber hinaus war die Ursache der territorialen Zugriffsbeschränkungen sowohl im Rechtsverhältnis zwischen Diensteanbietern und Rechteinhabern begründet: konkret den Lizenzvereinbarungen; als auch dem Rechtsverhältnis zwischen Diensteanbietern und Abonnenten: konkret den Nutzungsbedingungen. Ein kohärentes System erfordert daher eine Regulierung der beiden Rechtsverhältnisse, die einen Gleichlauf zwischen diesen schafft. Dieser Gleichlauf ist notwendig, damit sich die Anbieter als Partei, die in einem Rechtsverhältnis sowohl mit den Abonnenten als auch den Anbietern steht, in keiner Konfliktsituation befindet. Die Verknüpfung der beiden durch die grenzüberschreitende Portabilität berührten Rechtsverhältnisse lässt ein trilaterales Rechtsverhältnis entstehen, wodurch die Interessen der einzelnen Akteure nicht nur in den bipolaren Rechtsbeziehungen Berücksichtigung finden. Die Vorgaben der Portabilitätsverordnung sind zum Teil sehr unbestimmt und lassen einigen Raum zur Interpretation. Dies gilt insbesondere für den Begriff des „vorübergehenden Aufenthalts in einem Mitgliedstaat“ sowie den des „Wohnsitzmitgliedstaates“, welche die zwei zentralen Kriterien der Portabilitätsverordnung sind, da sie darüber entscheiden, ob einem ←19 | 20→Abonnenten die grenzüberschreitende Portabilität zu ermöglichen ist. Für die Diensteanbieter bedeutet dies ein gewisses Risiko, da sie sich stets auf dem Grat zwischen einem Verstoß gegen die Lizenzvereinbarungen mit den Rechteinhabern und einem Verstoß gegen ihre Pflichten gegenüber den Abonnenten bewegen. Dadurch ist der vom Wirkungsmechanismus der Portabilitätsverordnung intendierte Ausgleich der Interessen aller beteiligten Akteure in Gefahr.

Ihre primäre Wirkung entfaltet die Portabilitätsverordnung im Rechtsverhältnis zwischen Diensteanbietern und Abonnenten. Durch die Zugangsverschaffungspflicht, die sie den Diensteanbietern in Art. 3 I Portabilitäts-VO auferlegt, nimmt sie unmittelbar Einfluss auf das von den Anbietern vertraglich geschuldete Leistungsprogramm. Die Portabilitätsverordnung sieht keine eigenen Mängelgewährleistungs- und Sekundärrechte für den Fall vor, dass die Anbieter gegen die Verpflichtung, die grenzüberschreitende Portabilität ordnungsgemäß zu ermöglichen, verstoßen. Diese richten sich nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten, wobei die Digitale-Inhalte-RL19 das Mängelgewährleistungsrecht für digitale Inhalte und Dienstleistungen zukünftig harmonisiert, sodass ein EU-weiter Gleichlauf bestehen wird.

B. Rahmen der Untersuchung

Der Rahmen der Untersuchung unterliegt einigen Einschränkungen. Dieser entspricht nicht dem gesamten Anwendungsbereich der Portabilitätsverordnung. Nach Art. 1 I, 3 I Portabilitäts-VO müssen die Anbieter von portablen Online-Inhaltediensten, die gegen Zahlung eines Geldbetrages im Wohnsitzmitgliedstaat eines Abonnenten rechtmäßig bereitgestellt werden, den Abonnenten bei vorübergehenden Aufenthalten in anderen Mitgliedstaaten ermöglichen, auf den Dienst zuzugreifen und diesen in derselben Form zu nutzen. Der in Art. 2 Nr. 5 Portabilitäts-VO definierte Begriff des Online-Inhaltedienstes ist sehr weit gefasst und erstreckt sich auf sämtliche audiovisuelle Mediendienste im Sinne des Art. 1 lit. a der RL 2010/13/EU sowie auf Dienste, deren „Hauptmerkmal die Bereitstellung von, der Zugang zu und die Nutzung von Werken, sonstigen Schutzgegenständen oder Übertragungen von Rundfunkveranstaltern in linearer Form oder auf Abruf ist“. Der Anwendungsbereich der Portabilitätsverordnung erstreckt sich damit auf Dienste verschiedenster Art, sei es ←20 | 21→die Bereitstellung von Musik, e-Books, Filmen oder Computerspielen.20 Darüber hinaus ist die Portabilitätsverordnung technologieneutral ausgestaltet. Sie erfasst die Bereitstellung von Online-Inhalten auf beliebige Weise, sei es durch Streaming, Herunterladen oder sonstige Techniken.21

Die Untersuchung beschränkt sich auf entgeltlich zur Verfügung gestellte VoD-Dienste, die Nutzern für eine monatliche Abonnementgebühr ein Repertoire an audiovisuellen Inhalten zur Verfügung stellen, auf welches diese im Wege des nicht-linearen On-Demand-Streamings, also orts- und zeitunabhängig zugreifen können.22 Dem On-Demand-Streaming ist im Rahmen dieser Untersuchung ein technologieneutrales Verständnis zugrunde zu legen. Darunter sind sämtliche technische Verfahren zu subsumieren, mit denen Online-Inhalte über das Internet zugänglich gemacht werden, damit sie unverzüglich wiedergegeben werden können, ohne dass es zu einer dauerhaften Vervielfältigung des bereitgestellten Inhalts auf dem Wiedergabegerät oder einem Speichermedium des Rezipienten kommt.23

Der Grund für diesen Fokus der Arbeit ist, dass die Portabilitätsverordnung in diesem Sektor ihren Hauptanwendungsbereich hat. Während die Möglichkeit der grenzüberschreitenden Portabilität im Musik-, e-Book- und Computerspielesektor bereits vor Inkrafttreten der Portabilitätsverordnung weitestgehend Realität war,24 sodass sich dort überhaupt kein Regulierungsproblem stellte, war sie im audiovisuellen Bereich eine Rarität.25 Außerdem stellt sich das Regulierungsproblem beim On-Demand-Streaming anders als beim Download bestimmter Inhalte in besonderem Maße. Heruntergeladene Inhalte konnten ohnehin leichter im Ausland genutzt werden.

←21 | 22→

Ausgenommen von der Untersuchung sind sämtliche Online-Inhaltedienste, die nicht gegen Zahlung eines Gelbetrages angeboten werden, weshalb die grenzüberschreitende Portabilität nach Art. 3 I Portabilitäts-VO nicht zwingend zu ermöglichen ist, deren Anbieter jedoch von der Opt-in Möglichkeit des Art. 6 I Portabilitäts-VO Gebrauch machen, wodurch sich die Portabilitätsverordnung gemäß ihrem Art. 6 III auf diese erstreckt. Nach Art. 9 I Portabilitäts-VO findet die Portabilitätsverordnung nicht nur auf Verträge, die nach ihrem Geltungsbeginn am 01.04.2018 abgeschlossen wurden, Anwendung, sondern auch auf sämtliche davor abgeschlossenen Bestandsverträge. Diese sowie die damit einhergehenden Auswirkungen auf das Rechtsverhältnis zwischen Anbietern und Abonnenten sowie das Rechtsverhältnis zwischen Anbietern und Rechteinhabern sind ebenfalls nicht Gegenstand der Untersuchung. Ausgeklammert ist zudem die Untersuchung der international privatrechtlichen sowie steuerrechtlichen Auswirkungen der Portabilitätsverordnung.

C. Zielsetzung, Methodik und Gang der Untersuchung

Im ersten Abschnitt (§ 2) befasst sich die Arbeit mit dem Normzweck der Portabilitätsverordnung. Es drängt sich die Frage auf, weshalb es Jahrzehnte nach vermeintlicher Schaffung des europäischen Binnenmarktes einer Regelung wie der Portabilitätsverordnung überhaupt bedarf. Die europäischen Grundfreiheiten und das Wettbewerbsrecht hätten aufgrund ihrer binnenmarktintegrativen Wirkung dafür sorgen müssen, dass weder vertragliche Vereinbarungen, die zur Zersplitterung des Binnenmarktes führen, noch gesetzliche Regelungen der Mitgliedstaaten existieren, die solchen binnenmarktschädlichen Handlungen gesetzlichen Rückhalt geben. Im Rahmen dieses Abschnitts befasst sich die Arbeit zunächst mit der unmittelbaren Ursache dafür, dass die grenzüberschreitende Portabilität von Online-Inhaltediensten vor Inkrafttreten der Portabilitätsverordnung eine Rarität war: den Gebietslizenzierungspraktiken der Rechteinhaber. Dabei wird der Konflikt der territorial beschränkten Lizenzen im Online-Bereich mit der Dienstleistungsfreiheit und dem Wettbewerbsrecht aufgezeigt. Im Mittelpunkt steht zum einen die potenzielle Rechtfertigung eines Verstoßes gegen die Binnenmarktvorschriften über den „spezifischen Gegenstand des Urheberrechts“ und zum anderen die Frage, inwieweit die nationalen Lizenzmärkte strukturell bedingt sind, sodass es an einer künstlichen Marktsegmentierung fehlt. Der Dreh- und Angelpunkt der Rechtfertigungsproblematik ist die wirtschaftliche Bedeutung der Gebietslizenzierungspraktiken für die (europäische) Filmindustrie. In methodischer Hinsicht verfolgt die Arbeit in diesem Abschnitt keine vollumfängliche Untersuchung der primärrechtlichen ←22 | 23→Zulässigkeit von territorialen Lizenzen im Online-Bereich. Ziel ist es, den Konflikt zwischen den Gebietslizenzen und den Binnenmarktvorschriften aufzuzeigen, um dessen Komplexität und Vielschichtigkeit zu verdeutlichen, die verantwortlich dafür sind, dass die primärrechtlichen Vorschriften bisher nicht fruchtbar gemacht wurden, um dem Binnenmarktprinzip im Online-Bereich Geltung zu verschaffen. Aus diesem Grund werden auch die derzeitigen Finanzierungs- und Verwertungsmodelle der Filmindustrie sowie mögliche Alternativen, die ohne die territorialen Beschränkungen der Lizenzen auskommen, keiner ausführlichen rechtsökonomischen Analyse unterzogen, sondern die Ausführungen haben primär deskriptiven Charakter, um für die wirtschaftliche Bedeutung der Gebietslizenzen zu sensibilisieren. Dadurch tritt das vor Inkrafttreten der Portabilitätsverordnung bestehende Regulierungsproblem sowohl aus rechtlicher als auch ökonomischer Perspektive deutlich zu Tage.

Daran schließt sich die Untersuchung an, weshalb die nicht vorhandene Möglichkeit der Portabilität im europäischen Binnenmarkt ein untragbarer Zustand war und es das zuvor aufgezeigte Regulierungsproblem zu lösen galt. Zur Begründung eines Regulierungsbedarfs stützt sich die Arbeit auf zwei verschiedene Ansätze, wobei der erste von beiden der urheberrechtsfreie rezeptive Werkgenuss ist. Methodisch wird dabei im Ausgangspunkt der Grundsatz der Technologieneutralität herangezogen, wonach eine urheberrechtliche Bewertung unabhängig von der eingesetzten Technologie zu erfolgen hat.26 Der Grundsatz der Technologieneutralität wird allerdings dahingehend eingeschränkt, dass er den urheberrechtsfreien rezeptiven Werkgenuss nur zu stützen vermag, soweit durch die Berücksichtigung des technischen Verfahrens den Rechteinhabern und Werkvermittlern eine sowohl rechtlich als auch ökonomisch ungerechtfertigte Kontrolle über den Werkgenuss ermöglicht würde, die zu Lasten legitimer Nutzungsfreiheiten der Werkrezipienten ginge.27 Der ←23 | 24→zweite Begründungsansatz basiert auf der rechtssoziologischen Annahme, dass es Aufgabe des Rechts ist, schützenswerte normative Erwartungen – konkret die Erwartung der grenzüberschreitenden Portabilität – kontrafaktisch zu stabilisieren.28 Die Schutzwürdigkeit stützt sich sowohl auf rechtliche als auch ökonomische Erwägungen; in diesem Punkt finden die beiden im methodischen Ausgangspunkt verschiedenen Ansätze ihren gemeinsamen Kern. Anschließend wird der Wirkungsmechanismus, den die Portabilitätsverordnung als Antwort auf das eingangs genannte Regulierungsproblem bereithält, dahingehend analysiert, inwieweit er dem zuvor identifizierten Regulierungsbedarf gerecht wird.

Im zweiten Abschnitt (§ 3) thematisiert die Arbeit die Auswirkungen der Portabilitätsverordnung auf das trilaterale Rechtsverhältnis zwischen Rechteinhabern, Diensteanbietern und Abonnenten. Ziel der Untersuchung ist zunächst die Identifizierung der zum Teil konträren Interessen aller beteiligten Akteure. Anschließend wird zum einen herausgearbeitet, wie sich diese in den Kriterien der Portabilitätsverordnung niedergeschlagen haben, zum anderen, wie sich diese auf die beiden im Rahmen der grenzüberschreitenden Portabilität berührten Rechtsverhältnisse auswirken und beide Rechtsverhältnisse dadurch verknüpft sind. Der Fokus ist dabei auf das Verständnis der zentralen Kriterien der Portabilitätsverordnung gerichtet, mit denen ihr Wirkungsmechanismus – in dem sich sämtliche Interessen der beteiligten Akteure vereinen – arbeitet: „dem vorübergehenden Aufenthalt in einem Mitgliedstaat“ und dem „Wohnsitzmitgliedstaat“ eines Abonnenten sowie dessen Überprüfung durch die Diensteanbieter. Methodisch bemüht die Untersuchung an dieser Stelle den gesamten juristischen Auslegungskanon, wobei die Auslegung primärrechtskonform erfolgt und daher sowohl grundrechtliche Erwägungen sowie die Grundfreiheiten berücksichtigt werden, wobei beide im Wege der praktischen Konkordanz in Einklang gebracht werden. Außerdem fließen die Wertungen des im Völkerrecht verankerten Dreistufentests in die Auslegung ein. Darüber hinaus wird sich dem Begriff des Wohnsitzmitgliedstaates sowohl über einen Binnenrechtsvergleich auf EU-Ebene als auch einen Rechtsvergleich mit dem nationalen Recht genähert. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse ←24 | 25→fließen in die teleologische Auslegung des Wohnsitzmitgliedstaates bzw. des Wohnsitzes im Sinne der Portabilitätsverordnung ein. Abschließend wird eine Verknüpfung beider Rechtsverhältnisse in dem von der Portabilitätsverordnung nicht geregelten Bereich der Haftung thematisiert.

Der dritte und letzte Teil der Arbeit (§ 4) behandelt die vertragsrechtlichen Auswirkungen der Portabilitätsverordnung auf das bilaterale Rechtsverhältnis zwischen Diensteanbietern und Abonnenten von Online-Inhaltediensten. Dabei wird zum einen herausgearbeitet, welche vertragsrechtliche Auswirkung die Verwendung von Vertragsbestimmungen hat, die gegen die Portabilitätsverordnung verstoßen und zum anderen, welche Bedeutung dem Transparenzgebot im Rahmen der grenzüberschreitenden Portabilität zukommt. Die Rechtsfolge des Art. 7 I Portabilitäts-VO wird mittels sämtlicher Auslegungsmethoden untersucht, wobei dem effet utile der Portabilitätsverordnung besondere Bedeutung zukommt. Im zweiten Teil dieses Abschnitts wird analysiert, welche Mängel- und Sekundärrechte den Abonnenten von Online-Inhaltediensten zustehen, wenn die Anbieter gegen ihre Pflicht, die grenzüberschreitende Portabilität zu ermöglichen, verstoßen. Methodisch nähert sich die Untersuchung dieser Fragestellung über die klassische Rechtsdogmatik. Mit ihr wird analysiert, wie sich die Vorgaben der vollharmonisierenden Digitale-Inhalte-RL, welche die vertragsrechtlichen Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und Dienstleistungen im europäischen Binnenmarkt zukünftig einheitlich festlegt, auf die grenzüberschreitende Portabilität von Online-Inhaltdiensten auswirken. Dies beinhaltet sowohl die Anforderungen an eine vertragsgemäße Leistung als auch die Mängelrechte der Abonnenten gegenüber den Anbietern bei Verstößen gegen die Vorgaben der Portabilitätsverordnung. Überdies wird die verbleibende Relevanz des nicht harmonisierten nationalen Rechts thematisiert und dessen Bedeutung für die Portabilität, insbesondere der Haftung auf Schadensersatz, eruiert. Ziel des letzten Abschnitts ist die rechtsdogmatische Einbettung der Portabilitätsverordnung in einen vertragsrechtlichen Rahmen.

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1 Europäische Kommission, Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, COM(2015) 192 final, S. 3.

2 Europäische Kommission (Fn. 1), S. 3.

3 Europäische Kommission (Fn. 1), S. 3.

4 Europäische Kommission (Fn. 1), S. 4.

5 EU-ABl. L 168/1 v. 30.6.2017.

6 Unter einem Abonnenten versteht die Portabilitätsverordnung gemäß Art. 2 Nr. 1 Portabilitäts-VO jeden Verbraucher, der auf der Grundlage eines Vertrages mit einem Anbieter über die Bereitstellung eines Online-Inhaltedienstes gegen Zahlung eines Geldbetrages oder ohne Zahlung eines Geldbetrages berechtigt ist, im Wohnsitzmitgliedstaat auf diesen Dienst zuzugreifen und ihn zu nutzen. Verbraucher ist gemäß Art. 2 Nr. 2 Portabilitäts-VO jede natürliche Person, die bei einem von dieser Verordnung erfassten Vertrag nicht für die Zwecke ihrer gewerblichen, geschäftlichen, handwerklichen oder beruflichen Tätigkeit handelt.

7 Nach Art. 2 Nr. 6 Portabilitäts-VO bedeutet portabel, dass ein Abonnent in seinem Wohnsitzmitgliedstaat auf den Online-Inhaltedienst tatsächlich zugreifen und ihn nutzen kann, ohne auf einen bestimmten Standort beschränkt zu sein.

8 Europäische Kommission, Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, COM(2015) 192 final, S. 8.

9 Europäische Kommission (Fn. 8), S. 2; Europäische Kommission, Impact Assessment, SWD(2015) 270 final, S. 10; zum Wachstum des VoD-Sektors, siehe Goldmedia, Wirtschaftliche Bedeutung der Filmindustrie in Deutschland, S. 188; Grece, Trends in the EU SVOD market, S. 1 ff.; PwC, Global Entertainment and Media Outlook 2017-2021, S. 16.

10 Europäische Kommission, Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, COM(2015) 192 final, S. 8.

11 Erwägungsgrund 4 Portabilitäts-VO; Europäische Kommission, Vorschlag Portabilitätsverordnung, COM(2015) 627 final, S. 2; Europäische Kommission, Impact Assessment, SWD(2015) 270 final, S. 12 f.

12 Europäische Kommission, Strategie für einen digitalen Binnenmarkt für Europa, COM(2015) 192 final, S. 8; Europäische Kommission, Impact Assessment, SWD(2015) 270 final, S. 13.

13 Grünberger, AcP 218 (2018), 213, 263.

14 EuGH, Urt. v. 4.10.2011, verb. Rs. C-429/08, C-403/08 – FAPL/Murphy, ECLI: EU:C:2011:231.

15 Ausführlich dazu, siehe § 2 A. IV. 1.

16 Ohly, ZUM 2015, 942, 949.

Details

Seiten
388
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631840979
ISBN (ePUB)
9783631840986
ISBN (MOBI)
9783631840993
ISBN (Paperback)
9783631829486
DOI
10.3726/b17807
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Portabilität Gebietslizenz Streaming Wohnsitz Wohnsitzmitgliedstaat Werkgenuss Vorübergehender Aufenthalt Filmfinanzierung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 388 S.

Biographische Angaben

Michael Eginger (Autor:in)

Michael Eginger studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bayreuth. Er war dort anschließend als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschafts- und Technikrecht von Prof. Dr. Michael Grünberger, LL.M. (NYU) tätig, wo auch seine Promotion erfolgte.

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