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Das Ende der Schriftformheilungsklausel

Eine Betrachtung langfristiger Mietverträge nebst Gestaltungsempfehlung

von Johanna Rösch (Autor:in)
©2021 Dissertation 198 Seiten

Zusammenfassung

Das Schriftformgebot des § 550 BGB war seit jeher ein Schlupfloch für die Vertragsreue. Sowohl Mieter wie auch Vermieter befürchten in der Praxis regelmäßig die Entfristung ihrer langfristigen Mietverträge. Nachdem der Bundesgerichtshof die Schriftformheilungsklausel 2017 für unwirksam erklärt hat, herrscht Ratlosigkeit, wie dem Missbrauch des Formgebots in Zukunft begegnet werden kann. Dies ist der Anlass, aus dem sich die Autorin mit der Wirksamkeit der Schriftformheilungsklausel und vor allem den Konsequenzen ihrer Ungültigkeit beschäftigt. Sie untersucht, ob und wie der Formzwang durchbrochen werden kann und gibt in diesem Zusammenhang eine Gestaltungsempfehlung ab. De lege lata sieht die Autorin die einzige effektive Möglichkeit in der Vereinbarung einer konkreten Schriftformheilungsklausel. De lege ferenda empfiehlt sie die Überarbeitung des Gesetzes und postuliert insofern einen eigenen Reformvorschlag.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhaltsübersicht
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • A. Einführung in die Problematik
  • B. Untersuchungsziel
  • C. Gang der Untersuchung
  • Erstes Kapitel: Grundlegendes zur Schriftformklausel
  • A. Die Schriftformklausel als Untersuchungsgegenstand
  • I. Der Begriff der Schriftformklausel
  • II. Zweck der Schriftformklausel
  • 1. Im Allgemeinen
  • 2. Im Mietrecht
  • III. Die unterschiedlichen Ausgestaltungen im Einzelnen
  • 1. Gemeinsamer Regelungsinhalt
  • 2. Relevante Klauselarten
  • a) Einfache Schriftformklausel
  • b) Doppelte Schriftformklausel
  • c) Schriftformheilungsklausel
  • aa) Regelungsinhalt
  • bb) Vorsorge- und Nachholklausel
  • cc) Mietrechtliche Besonderheit
  • 3. Abgrenzung
  • a) Qualifizierte Schriftform-/Bestätigungsklausel
  • b) Vollständigkeitsklausel
  • c) Allgemeine salvatorische Klausel
  • aa) Regelungsinhalt
  • (1) Erhaltungsklausel
  • (2) Ersetzungsklausel
  • bb) Fehlende Anwendbarkeit auf Schriftformverstöße
  • IV. Zwischenergebnis
  • B. Dogmatische Einordnung der Schriftformklausel
  • I. Rechtsgrundlage
  • II. Rechtsgeschäftliche Schriftform
  • III. Wirkung
  • 1. Deklaratorische und konstitutive Wirkung im Allgemeinen
  • 2. Wirkung der Schriftformklausel im Mietrecht
  • a) Einfache bzw. doppelte Schriftformklausel
  • b) Schriftformheilungsklausel
  • IV. Spannungsverhältnis zwischen rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Form
  • C. Bedürfnis für rechtsgeschäftliche Schriftformklauseln
  • I. Ausgangspunkt: gesetzliche Formvorschrift
  • 1. Widerspruch zu dem von den Parteien verfolgten Sicherungsinteresse
  • 2. Fehlende gesetzliche Ausnahmeregelungen
  • II. Komplexität der Schriftformanforderungen
  • D. Die gegenwärtige Rechtsprechung und Reaktionen
  • I. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • II. Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis
  • 1. Der Treuwidrigkeitseinwand
  • 2. Alternative Gestaltungsmöglichkeiten
  • 3. Reaktion im Schrifttum
  • III. Reaktion des Gesetzgebers
  • Zweites Kapitel: Das Schriftformgebot des § 550 BGB
  • A. Rechtsfolge eines Formmangels
  • B. Tatbestand
  • I. Langfristiger Mietvertrag
  • II. Gesetzliche Schriftform
  • C. Entstehungsgeschichte des mietrechtlichen Schriftformgebotes
  • D. Normzweck
  • I. Erwerberschutz
  • II. Schutz der Mietvertragsparteien
  • 1. Wortlaut
  • 2. Historie
  • 3. Telos
  • a) Klarstellungs- und Beweisfunktion
  • b) Warnfunktion
  • 4. Ergebnis
  • a) Eigenständiger Schutzzweck zugunsten der Ursprungsparteien
  • b) Untrennbarkeit der Schutzzwecke
  • Drittes Kapitel: Die Schriftformanforderungen des § 550 BGB
  • A. Mietvertragsurkunde
  • I. Theorie der äußeren Form
  • II. Einhaltung der inneren Form als materielle Voraussetzung
  • 1. Umfang
  • a) Vertreterproblematik
  • b) Problematik hinsichtlich Angebot und Annahme
  • aa) Verspätete Annahme
  • bb) Abändernde Annahme
  • cc) Zugang
  • 2. Begründung
  • 3. Reaktionen im Schrifttum
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Einhaltung der äußeren Form als formelle Voraussetzung
  • 1. Anforderungen an die Urkunde
  • a) Auflockerungsrechtsprechung
  • b) Einheitlichkeit der Urkunde
  • aa) Haupturkunde
  • bb) Anlagen
  • cc) Nachträge
  • c) Zwischenergebnis
  • 2. Anforderungen an die Unterzeichnung
  • a) Allgemeines zur Unterschrift
  • b) Vertreterproblematik
  • aa) Eine natürliche Person als Vertreter
  • bb) Personenmehrheiten
  • (1) Erbengemeinschaft
  • (2) Gesellschaft bürgerlichen Rechts
  • (3) Juristische Personen
  • 3. Zwischenergebnis
  • B. Wesentlicher Vertragsinhalt
  • I. Umfang des formbedürftigen Vertragsinhaltes
  • 1. Essentialia und wesentliche Nebenabreden
  • 2. Bestimmbarkeit
  • II. Wesentliche Vertragsbestimmungen
  • 1. Mietparteien
  • a) Korrekte Bezeichnung
  • b) Änderung der Mietparteien
  • 2. Mietgegenstand
  • a) Lage und Beschaffenheit
  • b) Änderungen in der Bauausführung
  • 3. Mietdauer
  • a) Mietbeginn und Mietende
  • b) Verlängerungsklauseln
  • 4. Miete
  • a) Mietanpassungsklauseln
  • b) Änderungen der Miethöhe
  • c) Änderung des Fälligkeitszeitpunktes
  • 5. Wesentliche Nebenabreden
  • III. Unwesentliche Vertragsbestimmungen
  • 1. Kurzfristige bzw. widerrufliche Vereinbarungen
  • 2. Zeitablauf
  • 3. Erläuterungen und Konkretisierungen
  • 4. Formwirksame antizipierende Vereinbarungen
  • 5. Selbstständige Zusatzvereinbarungen
  • IV. Zwischenergebnis
  • Viertes Kapitel: Die rechtliche Beurteilung der Schriftformklausel
  • A. Wirksamkeit formfreier Absprachen trotz vereinbarter Schriftformklausel
  • I. Stand der Diskussion
  • 1. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • a) Einfache Schriftformklausel
  • b) Doppelte Schriftformklausel
  • 2. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte
  • 3. Das Schrifttum
  • a) Einfache Schriftformklausel
  • b) Doppelte Schriftformklausel
  • II. Stellungnahme
  • 1. Formularvertragliche Schriftformklausel
  • 2. Individualvertragliche Schriftformklausel
  • a) Einfache Schriftformklausel
  • b) Doppelte Schriftformklausel
  • B. Unwirksamkeit der Schriftformheilungsklausel
  • I. Stand der Diskussion
  • 1. Abgrenzung zur sogenannten Vorsorgeklausel
  • 2. Überblick über die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten
  • 3. Zusammenspiel von § 307 BGB und § 242 BGB
  • 4. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes
  • a) Keine Bindung eines Grundstückserwerbers
  • b) Keine Bindung der Ursprungsparteien
  • 5. Die Rechtsprechung der Instanzgerichte
  • a) Generelle Wirksamkeit
  • b) Unwirksamkeit gegenüber einem Grundstückserwerber
  • c) Wirksamkeit zwischen den Ursprungsparteien
  • d) Generelle Unwirksamkeit
  • 6. Das Schrifttum
  • a) Generelle Wirksamkeit
  • b) Unwirksamkeit gegenüber einem Grundstückserwerber
  • c) Wirksamkeit zwischen den Ursprungsparteien
  • d) Generelle Unwirksamkeit
  • 7. Zusammenfassung
  • II. Stellungnahme
  • 1. Keine Bindung eines Grundstückserwerbers
  • 2. Keine Bindung der Ursprungsparteien
  • a) Eigenständiger Schutzzweck zugunsten der Ursprungsparteien
  • b) Untrennbarkeit der Schutzzwecke
  • Fünftes Kapitel: Notwendige Durchbrechung des Formzwangs
  • A. Gestaltungsmöglichkeiten de lege lata
  • I. Modifizierte Schriftformklausel
  • II. Treuwidrigkeitseinwand
  • III. Mieterdienstbarkeit
  • IV. Vorvertragsklausel
  • V. Gestaltungsempfehlung: Konkrete Schriftformheilungsklausel
  • 1. Vorzüge
  • 2. Wirksamkeit
  • a) Kein Verstoß gegen zwingendes Recht
  • aa) Formwirksame antizipierende Vereinbarung
  • bb) Zulässige Rechtsfolgenbeschränkung im Einzelfall
  • cc) Zwischenergebnis
  • b) Vereinbarkeit mit dem Schutzzweck der Norm
  • aa) Erwerberschutzzweck
  • bb) Schutz der Ursprungsparteien
  • 3. Fallgestaltungen
  • 4. Formulierungsvorschlag
  • VI. Ergebnis
  • B. Gestaltungsmöglichkeiten de lege ferenda
  • I. Reformbedürftigkeit
  • II. Kritik an bestehenden Reformvorschlägen
  • 1. Gesetzentwurf des Bundesrates
  • 2. Exklusives Kündigungsrecht des Erwerbers
  • 3. Unzulässige Reduzierung des Schutzumfangs
  • 4. Zwischenergebnis
  • III. Eigener Reformvorschlag
  • 1. Ausschluss weiterer Gestaltungsmöglichkeiten
  • 2. Gesetzlich verankerte Heilungsverpflichtung
  • 3. Erwerberschutz
  • 4. Formulierungsvorschlag
  • Fazit und Ausblick
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Literaturverzeichnis

Einleitung

A. Einführung in die Problematik

Mietvertragliche Schriftformheilungsklauseln sind unwirksam, urteilte der Bundesgerichtshof überraschend im Jahr 20171 und leitete damit zugleich deren Ende ein. Eine für das Gewerberaummietrecht weitreichende Entscheidung mit der Folge, dass Mietvertragsparteien nun fortan um die Entfristung ihrer langfristig geschlossenen Verträge2 bangen. Denn zahlreichen Mietern und Vermietern wurde hierdurch die Möglichkeit eröffnet, sich vorzeitig von einem unliebsam gewordenen Mietvertrag zu lösen.

Die wirksame Befristung von Mietverträgen spielt im Gewerberaummietrecht wegen des grundsätzlich bestehenden Sicherungsinteresses der Vertragsparteien eine wesentliche Rolle.3 Schließlich werden Mietverträge über Gewerbeobjekte angesichts der sich stetig ändernden Marktverhältnisse regelmäßig auf bestimmte Zeit – meist über einen Zeitraum von zehn bis zwanzig Jahren – geschlossen. Im Unterschied zu einem auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag kann ein Mietvertrag bei vereinbarter Festlaufzeit grundsätzlich nicht ohne Weiteres gekündigt werden. Durch die Befristung soll den Vertragsparteien also mittel- bis langfristige Planungssicherheit4 gewährt werden. Eine dauerhafte und beständige Regelung von Laufzeit und Miete ist damit aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten sowohl für Vermieter wie auch Mieter von wesentlicher Bedeutung.5

So garantieren langfristig gesicherte Mieteinnahmen dem Vermieter die Erzielung einer hohen Rendite aus der Gewerbeimmobilie. In finanzieller Hinsicht ist die Beständigkeit der Mietverträge daher nicht nur für den Bestandsvermieter, sondern insbesondere auch für einen Immobilieninvestor entscheidend.6 Denn in der Regel bestimmen die zu erwartenden Mieteinnahmen die Werthaltigkeit einer Immobilie und stellen damit zugleich eine wichtige Kalkulationsgrundlage ←19 | 20→für das Investment dar.7 Rechnet ein Investor fest mit den langfristigen Einnahmen, hängt die Sicherheit seiner Investition stark von der Beständigkeit der eingegangenen Mietverträge ab. Ein ungeplanter Leerstand führt im schlimmsten Fall zum Verlust der Kreditwürdigkeit.8 Die Bewertung der Mietverträge und der damit einhergehenden Frage nach deren vorzeitiger Kündbarkeit bildet daher regelmäßig einen Beratungsschwerpunkt bei der im Rahmen von Immobilientransaktionen durchzuführenden rechtlichen Due Diligence.9

Aber auch Mieter haben in finanzieller Hinsicht oft großes Interesse am Bestand eines langfristigen Vertrages. Umfangreiche und im Hinblick auf die Vertragsdauer getätigte Investitionen müssen sich amortisieren.10 Ein wichtiges Anliegen vieler Unternehmen ist zudem die langfristige Sicherung des Standortes und damit die Grundlage ihrer wirtschaftlichen Existenz.11 Denn ein ungeplanter Standortwechsel kann einen erheblichen finanziellen Nachteil bringen. Ist zum einen gerade in städtischen Regionen bei Neuabschluss eines Gewerbemietvertrages aufgrund der stetig ansteigenden Mietpreise mit einem erheblichen Kostenmehraufwand zu rechnen, birgt zum anderen auch jeder Ortswechsel die Gefahr, dass eine Vielzahl der Mitarbeiter das Unternehmen verlassen wird oder Kunden verloren gehen. Verbunden ist damit aber auch in vielen Fällen ein nicht unerheblicher logistischer Aufwand, den es zu bewältigen gilt. Besonders große Hürden ergeben sich für Industrieunternehmen durch die Verlegung umfangreicher Produktionsanlagen und der damit einhergehenden Beantragung neuer behördlicher Genehmigungen.

Nur eine wirksame Befristung vermag deshalb den Parteien die erstrebte Planungssicherheit vermitteln. Zu erreichen ist dies allein über die mietvertragliche Vereinbarung einer Festlaufzeit, die – um Wirksamkeit zu entfalten – dem gesetzlichen Formerfordernis entsprechen muss. Und zwar nicht nur bei Abschluss des Mietvertrages, sondern vielmehr während seiner gesamten Laufzeit. Maßgebliche Vorschrift ist § 550 BGB. Hiernach unterliegen befristete Mietverträge, die für einen längeren Zeitraum als ein Jahr geschlossen werden, zwingend der gesetzlichen Schriftform. Die Formwidrigkeit führt indes nicht zur Nichtigkeit, sondern dazu, dass das Mietverhältnis ordentlich kündbar ist. Ungeachtet einer etwaigen Restlaufzeit von möglicherweise mehreren Jahren kann es nach § 580a ←20 | 21→Abs. 2 BGB unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten zum Quartalsende einseitig und gegen den Willen der anderen Vertragspartei vorzeitig aufgelöst werden.

Hieraus resultiert für die Vertragsparteien eine erhebliche Rechtsunsicherheit, welche bisher durch die in Mietverträgen regelmäßig enthaltene Schriftformheilungsklausel abgewendet werden sollte. Eine derartige Klausel verpflichtet beide Parteien, etwaig auftretende Formverstöße zu beheben, wodurch die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung gemäß § 550 BGB ausgeschlossen und damit zugleich die Einhaltung der vereinbarten Vertragslaufzeit sichergestellt wird. Diese Regelung vermochte in der Vergangenheit die Vertragsparteien davon abzuhalten, sich auf einen Formverstoß zu berufen. Durch die neuerliche Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Unwirksamkeit derartiger Klauseln ist diese Sicherungsmöglichkeit entfallen, weshalb etliche Mieter und Vermieter nunmehr die ungewollte Entfristung ihrer langfristig geschlossenen Mietverträge befürchten.

Neben einer erhöhten Rechtsunsicherheit birgt die Kehrtwende in der Rechtsprechung aber vor allem die Gefahr eines Missbrauchs der gesetzlichen Regelung.12 Da die Kündigung wegen Nichteinhaltens der Form meist die einzige Möglichkeit darstellt, eine vereinbarte Festlaufzeit aushebeln zu können, nutzen zahlreiche Mieter und Vermieter die nunmehr gewonnene Chance und lassen bestehende Mietverträge von Anwaltskanzleien gezielt und in großer Regelmäßigkeit auf derartige „Schlupflöcher“13 überprüfen.14 Denn bei der Mehrheit der bestehenden Mietverträge werden in der Praxis bei einer hierauf gerichteten Überprüfung tatsächlich Schriftformmängel festgestellt15. Zurückzuführen ist dies auf die zahlreichen vom Bundesgerichtshof aufgestellten und strengen Regeln zur Wahrung der Schriftform16, welche den Rechtsverkehr oftmals überfordern17. Hierdurch bietet sich den Mietvertragsparteien die Option, unliebsam gewordene Verträge entweder zu kündigen oder aber deren Kündigung zumindest anzudrohen, um hierdurch eine bessere Verhandlungsposition erlangen zu können.18

←21 | 22→

Die Gründe für ein solches Vorgehen sind vielfältig, ergeben sich aber zumeist aus den geänderten Marktverhältnissen.19 So sind es vor allem nachhaltig wirtschaftende Unternehmen, die bestehende Mietverträge nun allesamt auf Schriftformmängel überprüfen lassen, um angemietete Flächen im Rahmen einer Bestandssenkung großflächig reduzieren zu können. Gelingt es einem Unternehmen durch Optimierung des Auftragsabwicklungsprozesses die Liquidität zu steigern, kann dies zu einer enormen Kosteneinsparung führen. Umgekehrt kann eine Reduktion der Flächen auch aufgrund ausbleibender Gewinne notwendig werden. Fordert die wirtschaftliche Dynamik also eine Umsetzung solch kurzfristiger Entwicklungen, stellt die Kündigung wegen Nichteinhaltens der Schriftform nunmehr eine neu gewonnene Möglichkeit dar, um zahlreiche Mietverträge vorzeitig aufkündigen zu können.

Aber auch Vermieter profitieren von der neuen Rechtsprechung und machen sich diese zu eigen, sofern sich dadurch eine höhere Rendite erzielen lässt. Vor allem in Ballungszentren stürzen sich sogenannte „Immobilienhaie“ auf Objekte in guter Lage und nutzen die Chance der vorzeitigen Kündbarkeit, um bei Neuabschluss der Mietverträge eine höhere Miete zu erlangen. Beabsichtigt ein Investor beispielsweise den Abriss und Neubau eines Gebäudes, kann es ihm in finanzieller Hinsicht einen erheblichen Vorteil bringen, mit dem Vorhaben vorzeitig beginnen zu können, ohne sich zunächst von den Bestandsmietverträgen „freikaufen“ zu müssen.20

Nach derzeitiger Rechtslage stellt die strikte Einhaltung der Form praktisch die einzige Möglichkeit dar, das soeben beschriebene Risiko einer ordentlichen Kündigung abwenden zu können. Denn ansonsten kann einer solchen nunmehr allein der – zumeist nicht durchgreifende – Missbrauchseinwand des § 242 BGB entgegengehalten werden.

B. Untersuchungsziel

Ausgangspunkt vorliegender Untersuchung ist das vom Bundesgerichtshof zur Unwirksamkeit der Schriftformheilungsklausel ergangene Urteil und dessen Auswirkungen auf die Gestaltungspraxis. Diese Arbeit leitet der Gedanke, die sich hieraus ergebende Lücke – soweit möglich – zu schließen. Im Kern gilt es, das bestehende Spannungsverhältnis zwischen rechtsgeschäftlicher und gesetzlicher Form zu lösen und der Schriftformheilungsklausel insofern ihren rechten ←22 | 23→Platz zuzuweisen. Hierfür gilt es zunächst herauszufinden, inwieweit den mietrechtlichen Schriftformklauseln heute noch ein Geltungsanspruch zusteht. Es wird analysiert, ob die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Ergebnis überzeugen kann und ob unter Beachtung dieser Maßgaben eine für alle beteiligten Parteien sinnvolle und effektive Schriftformklausel vertraglich vereinbart werden kann. Anschließend soll für diesen Fall eine eigene Gestaltungsempfehlung für zukünftig abzuschließende Mietverträge abgegeben werden. Für den Fall, dass sich ein ausreichender und für alle Beteiligten sinnvoller Schutz durch vertragliche Gestaltung nicht erreichen lässt, soll auch untersucht werden, ob aus praktischen Gesichtspunkten eine Gesetzesänderung in Betracht zu ziehen wäre und wie eine solche umgesetzt werden könnte.

C. Gang der Untersuchung

Die Arbeit untergliedert sich in fünf Kapitel. Das erste Kapitel soll zunächst ein grundlegendes, für die weitere Untersuchung unerlässliches Verständnis der Schriftform(heilungs)klausel schaffen. Hierfür wird zunächst der Untersuchungsgegenstand konturiert, bevor eine dogmatische Auseinandersetzung mit der Klausel selbst erfolgt. Schließlich wird das Bedürfnis rechtsgeschäftlicher Schriftformklauseln erläutert und ein kurzer Überblick über die gegenwärtige Rechtslage verschafft.

Im zweiten Kapitel wird das Schriftformgebot des § 550 BGB im Hinblick auf die eintretende Rechtsfolge, die Tatbestandsvoraussetzungen und den Normzweck beleuchtet.

Das dritte Kapitel arbeitet sodann die Schriftformanforderungen des § 550 BGB heraus und zeigt die für den Rechtsverkehr bestehende Unsicherheit auf. Dabei befasst sich ein Unterabschnitt zunächst mit den Merkmalen, die eine Mietvertragsurkunde nach ihrer äußeren Beschaffenheit aufweisen muss. Schließlich werden in einem weiteren Unterabschnitt die inhaltlichen Anforderungen, die an die Urkunde zu stellen sind, untersucht.

Das vierte Kapitel beinhaltet die rechtliche Beurteilung der einfachen bzw. doppelten Schriftformklausel sowie der Schriftformheilungsklausel. Dabei wird in einem ersten Unterabschnitt die Wirksamkeit formfreier Absprachen trotz einer vereinbarten einfachen bzw. doppelten Schriftformklausel herausgearbeitet. Anschließend untersucht ein zweiter Unterabschnitt die Schriftformheilungsklausel auf ihre Wirksamkeit hin.

Im fünften Kapitel wird sodann eine mögliche Durchbrechung des Formzwangs untersucht. Vor dem Hintergrund der im Rahmen der Abhandlung gewonnenen Erkenntnisse wird eine konkrete Gestaltungsempfehlung ←23 | 24→abgegeben. Daran anschließend wird die Möglichkeit und Notwendigkeit einer Reform des Gesetzestextes – auch im Hinblick auf den vom Bundesrat beschlossenen Gesetzesantrag zur Änderung des § 550 BGB – beleuchtet und, hierauf beruhend, ein alternativer Gesetzesentwurf erarbeitet und zur Diskussion gestellt.

Letztlich schließt die Arbeit unter Darstellung der wesentlichen Ergebnisse mit einem Fazit ab und gibt insoweit einen Ausblick auf die Anforderungen, die künftig an eine effektive Gestaltungspraxis zu stellen sind.

←24 |
 25→

1 BGHZ 216, 68 (68 ff.).

2 Die Bezeichnung „langfristige Mietverträge“ meint im Folgenden befristete Mietverträge, die für längere Zeit als ein Jahr abgeschlossen wurden (vergleiche § 550 S. 1 BGB).

3 Horst, NZM 2018, 889 (889).

4 Mehrings, NZM 2009, 386 (390).

5 Grüttemeier, Das Formerfordernis des § 566 BGB, S. 3 f.

6 Kreikenbohm/Niederstetter, NJW 2009, 406 (406).

Details

Seiten
198
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631840528
ISBN (ePUB)
9783631840535
ISBN (MOBI)
9783631840542
ISBN (Paperback)
9783631835289
DOI
10.3726/b17790
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2020 (November)
Schlagworte
Rechtsgeschäftliche Schriftform Mietrecht Befristung § 550 BGB Reformvorschlag Konkrete Schriftformheilungsklausel Langfristige Mietverträge Schriftformgebot Schriftformanforderungen Gesetzliche Schriftform
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 198 S.

Biographische Angaben

Johanna Rösch (Autor:in)

Johanna Rösch studierte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit Auslandssemester an der University of Gothenburg, School of Business, Economics and Law, Schweden. Ihr Rechtsreferendariat absolvierte sie im Oberlandesgerichtsbezirk München. Ihre Promotion erfolgte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Johanna Rösch ist als Rechtsanwältin im Bereich Real Estate bei einer internationalen Großkanzlei in München tätig.

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