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Sejanus – Herrscher von Rom

Geachtet – Gefürchtet – Geächtet

von Raimund Merker (Autor:in)
©2021 Monographie 304 Seiten

Zusammenfassung

Lucius Aelius Sejanus – wer diesen Namen im Munde führt, assoziiert unweigerlich Machtkampf, List, Verrat, Mord aber auch Scharfsinn, Taktik und Fleiß – eben all das, was man sich einerseits an politischer Skrupellosigkeit, andererseits an Ergebenheit in der frührömischen Kaiserzeit gemeinhin vorstellt. Sejan, dieser Name wurde im Laufe der Jahrhunderte zum bildhaften Synonym des machtversessenen Egoisten und rückgradlosen Opportunisten, dem jede moralische Ordnung hinsichtlich Ehre und Loyalität fehlt.
Der Autor stellt Aelius Sejanus in den Mittelpunkt seiner Abhandlung und lässt anhand der überlieferten Quellen seine Lebensgeschichte und sein politisches Wirken in Rom lebendig werden. Dabei spannt sich der erzählerische Bogen über drei römische Kaiser, von Augustus über Tiberius hin zu Caligula.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • VORWORT: Zu diesem Buch
  • Einleitung: Der doppelte Sejan
  • TEIL I: GEACHTET oder WIE MAN RÖMER WIRD (um 20 v. – 14 n. Chr.)
  • Herkunft, Familie, Erziehung
  • Tribun, Prokurator, Präfekt
  • Tiberius Claudius Nero
  • TEIL II: GEFÜRCHTET oder WIE MAN ALS RÖMER HANDELT (14 – 30 n. Chr.)
  • Ein treuer Diener seines Herrn
  • Die Lücke, die die Parzen lassen
  • Querelen und Kabalen überall
  • Amfortas von Rom
  • Von Siegern und Verlierern
  • TEIL III: GEÄCHTET oder WIE MAN RÖMER BLEIBT (nach 31 n. Chr.)
  • Vom Tod des Sejan bis zum Tod des Tiberius
  • Die posthume Sejan-Propaganda
  • Ben Jonson und sein Römerdrama Sejanus his Fall
  • Anhang: Stammbaum des iulisch-claudischen Kaiserhauses
  • Stammbaum der Seii
  • Zeittafel
  • Appendix: Exkurse
  • Exkurs: Gens
  • Exkurs: Die römische namensgebung
  • Exkurs: Die Nobilität
  • Exkurs: Die Prätorianer Exkurs: Die Nobilität
  • Exkurs: Das Patriziat Exkurs: Die Prätorianer Exkurs: Die Nobilität
  • Exkurs: Die Figur des Lycus bei Seneca Exkurs: Das Patriziat Exkurs: Die Prätorianer Exkurs: Die Nobilität
  • Quellen- und Literaturverzeichnis
  • Bildnachweis
  • Personen- und Ortsregister

VORWORT

Zu diesem Buch

Warum ein Buch über L. Aelius Sejanus? Wurde in der antiken Geschichtsschreibung nicht schon alles über ihn berichtet und in der modernen Historiographie noch mehr dazu gesagt? Mitnichten, sind wir doch der Auffassung, dass nach Jahrzehnten des literarischen Grundrauschens und der akademischen Uneinigkeit es erheblich geworden ist, eine verständliche und vor allen Dingen unverfängliche Bewertung zu Sejan, seiner Karriere und seinem Schicksal vorzunehmen und eine zeitgemäße monographische Arbeit zu dieser einflussreichen römischen Persönlichkeit anzubieten.1 Da selbst das Erscheinungsdatum der letzten beachtenswerten Tiberius-Biographie im deutschsprachigen Raum – die selbstredend in einem überschaubaren Rahmen auch den Werdegang des Sejan thematisiert – mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegt, ist ein aktuelles Porträt zum Leben und Wirken dieses mächtigen Prätorianerpräfekten längstens überfällig.2 Des Weiteren dient diese vorgelegte genuine Konzentration auf seine Person der schlüssigen Fortsetzung unserer biographischen Studien zu den römischen Gardepräfekten des julisch-claudischen Kaiserhauses, die wir vor einigen Jahren mit einer Einzeldarstellung zu Gaius Ofonius Tigellinus – praefectus praetorio unter Kaiser Nero – begannen.3

Die auf den ersten Blick hier recht tendenziös wirkende Argumentationskette findet ihr gegenwärtiges inhaltliches Äquivalent in der mitunter besorgniserregenden Tatsache, dass wir in einer Zeit leben – in der aufgrund einer weltumspannenden toxischen Politik, gewaltiger sozialer Umbrüche, einer erzwungenen Auflösung von Werten und Normen, sowie der damit einhergehenden weit verbreiteten negativen Zuversicht in die Zukunft – es sogar der fragwürdigste Politiker, der dubioseste religiöse Führer, der schwindligste Reformer schafft, in hohe und höchste staatliche Ämter vorzudringen. Ein Faktum, das bis vor kurzem nur für Länder, Regionen und Epochen galt, die in ihrer gesellschaftlichen Entwicklung gerne als rückständig bezeichnet wurden. ←9 | 10→Entsprechend ist es nicht nötig, auf die Aktualität des Stoffes hinzuweisen, da Historiker grundsätzlich immer bestrebt sein müssen, die Geschichte ins Heute zu holen und, wie bei unserem Themenkreis, aufs Neue auf die unzerstörbare Kontinuität zwischen Altertum und Gegenwart aufmerksam zu machen. Folglich dient uns Sejans Leben und Los – ebenso wie zuvor das des Tigellinus – als ein mahnendes Paradigma für all jene, die, im Großen wie im Kleinen, im Regionalen wie im Globalen, im Analogen wie im Digitalen mit Dingen und Mächten liebäugeln, die sie einerseits nur unzureichend verstehen, andererseits genau aus diesem Grund nicht (auf Dauer) kontrollieren können. Hat doch gerade der achtsame Gang durch die Geschichte, quer durch alle historischen Epochen hindurch uns gelehrt, dass die Allerwenigsten, die ihrer allzu vorlauten inneren Stimme nach großen politischen Taten folgten, weder ethisch, moralisch noch intellektuell in der Lage waren, besonnen mit der ihnen auf Zeit verliehenen Macht und Autorität umzugehen. Beginnt doch zwangsläufig immer dort das bestehende gesellschaftliche System – ob unzureichend oder zufriedenstellend ausgereift – bedrohlich zu kippen, wo der individuelle Ehrgeiz der Handelnden größer als die eigenen Fähigkeiten ist. Wie meinte doch schon Talleyrand, einer der größten aber zugleich skrupellosesten Politiker und Ränkeschmiede der Weltgeschichte,4 der mit Verve die Meinung vertrat, dass Sprache allein nur dazu da sei, seine Gedanken zu verbergen (La parole a été donnée à l’homme pour déguiser sa pensée)5:

In einem Roman muss die Hauptperson ein Charakter sein; im wirklichen Leben waltet oft ein glücklicher Zufall und drängt mittelmäßige Menschen in den Vordergrund, die kein anderes Verdienst haben, als dass sie eben im entscheidenden Augenblick zur Hand waren.6

Aus diesen Gründen haben wir uns nach der Beschäftigung mit dem Gardepräfekten Kaiser Neros in einem daran anschließenden Schritt für die ←10 | 11→Auseinandersetzung mit dem Gardepräfekten des Kaisers Tiberius entschieden. In Summe zwei römische Ritter und mächtige Staatsbeamte, die keinerlei Furcht davor hatten, dem beständig rollenden Rad ihrer Epoche handfest in die Speichen zu greifen. Dachte Tigellinus als praefectus praetorio aber niemals daran, selbst die Spitze des römischen Prinzipats zu erklimmen, wurde für Sejan dieser Gedanke irgendwann im Laufe seiner 17jährigen Karriere als Kommandant der kaiserlichen Garde zur Obsession, was zwangsläufig zu einem blutigen und unrühmlichen Ende führen musste, welches seinesgleichen in der römischen Geschichte sucht. Doch während das Leben und die Taten des Ofonius Tigellinus (auch aufgrund der vorliegenden Quellenlage) in den letzten 2000 Jahren fast in Vergessenheit gerieten, wurde der Name Sejan im Laufe der Zeit zum Inbegriff des absolut Bösen hochstilisiert.

Ob er sich diesen Ruf zu Recht erworben hat oder – wie oftmals in der Geschichte – in zwei Jahrtausenden das undurchsichtige Farbenspektrum von Angabe und Wahrheit, Mythos und Realität, Fakt und Fiktion zur völligen Unkenntlichkeit verschwamm, wollen wir uns im Folgenden näher vergegenwärtigen.

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1 Die letzte deutschsprachige Monographie zu Sejan von D. Hennig datiert in das Jahr 1975 und ist heute nur noch in Fachbibliotheken zu finden.

2 Yavetz (2002). Die vor kurzem erschienene Tiberius-Biographie in der WBG von Sonnabend (2021) konnte aufgrund des Erscheinungsdatums inhaltlich nicht mehr berücksichtigt werden.

3 Merker (2019 und 2020).

4 Talleyrand hatte sowohl unter den Bourbonen, während der französischen Revolution wie auch unter Napoleon hohe politische und administrative Ämter inne. So war er u.a. Bischof, Politiker, Diplomat, Botschafter in England und nach dem Sturz Napoleons Ministerpräsident von Frankreich. Zu seiner Person und Karriere siehe die Biographie von Willms (2011).

5 Ausspruch von Talleyrand als Minister unter Napoleon gegenüber dem spanischen Gesandten Izquiero als dieser ihn an seine gegebenen Versprechen erinnerte. Heinrich Heine legte in seinem Buch Le Grand (1826) eine abgewandelte Form dieses Spruchs dem Polizeiminister Joseph Fouché in den Mund.

6 Charles-Maurice de Talleyrands-Périgord, Aphorismen: <https://www.aphorismen.de/zitat/84129> [11.01.2020].

My Lord,

If euer any ruine were so great, as to suruiue;

I think this be one I send you: the Fall of Seianus.7

B. Jonson, Seianus his Fall (1603/1605)

Das Gespinst

der Lüge umstrickt den Besten; der Redliche kann nicht durchdringen;

die kriechende Mittelmäßigkeit kommt weiter als das geflügelte Talent;

der Schein regiert die Welt, und die Gerechtigkeit ist nur auf der Bühne.8

F. Schiller, Der Parasit, Finale (1803)

EINLEITUNG

Der doppelte Sejan

Es bleibt dabei, ein Report über ein ζῷον πολιτικόν9 mit einer bemerkenswerten Karriere an die Spitze seiner Gesellschaft beginnt fast immer, genau wie Kriege ihren Anfang nehmen, mit einer – oder was wahrscheinlicher ist – mehreren Lügen. Es ist demnach die (historische) Wahrheit, die in solch einem Fall, als erstes Opfer einer objektiven Wiedergabe, leichtfertig auf der Strecke der Berichterstattung bleibt.10

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Sejanus – wer diesen wohlklingenden Namen im Munde führt, assoziiert unweigerlich Ränke, Machtkampf, List, Verrat, Mord aber auch Raffinesse, Scharfsinn, Taktik, Fleiß und Strebsamkeit – eben all das, was man sich einerseits an Pervertierung, andererseits an aufrechter Gesinnung in der römischen Tagespolitik so gemeinhin vorstellt. Sejanus, dieser Name wurde im Laufe der vergangenen Jahrhunderte zum antiken Konzept innerster Verderbtheit, zum mahnenden Beispiel eines skrupellosen und machtversessenen Egoisten, eines heimtückischen und verräterischen Beamten, eines hochintelligenten aber rückgratlosen Opportunisten, dem jede noch so kollektive Norm hinsichtlich Ehre und Loyalität fehlt.

Die weitschweifige und nicht wenig ambivalente Berichterstattung über das Leben und Wirken des Prätorianerpräfekten des Kaisers Tiberius ließ in der lateinischen und griechischen Geschichtsschreibung – nach Festnahme, Hinrichtung und Schändung seiner Leiche im Oktober 31 n. Chr. in Rom – nicht lange auf sich warten und beschäftigt bis heute mit gleichbleibender Faszination alle an der römischen Kaiserzeit Interessierten. Nach der traditionellen Überlieferung begehrte Sejan den kaiserlichen Purpur und übernahm, nachdem er den amtsmüden Tiberius auf der Mittelmeerinsel Capri isoliert hatte, mit Energie und überschaubarem Charme die Gesamtkontrolle über die Regierungsgeschäfte in Rom. Auf seinem langen Weg von der ausgedehnten Befehlsgewalt eines praefectus praetorio zur de facto absoluten Herrschaft gehörte zu seinen Opfern angeblich auch Drusus, der leibliche Sohn des Kaisers, der, so die Überlieferung, von der eigenen Frau vergiftet wurde, nachdem diese mit schwindligen Versprechungen von Sejan verführt worden war. Auch zahlreiche Kritiker aus dem Ritter- und Senatorenstand sollen, ebenso wie weitere potentielle Thronprätendenten aus dem julisch-claudischen Kaiserhaus, in rücksichtsloser Manier von ihm beseitigt worden sein.11

Infolgedessen – da sein politischer Aufstieg unter dem Mentorat des Tiberius an die Gipfel der Macht sowie sein unerwarteter Sturz von eben jenen Höhen, in der römischen Geschichtsschreibung fast ohne Beispiel ist – zog das Interesse an seinem Werdegang seit der Renaissance sowohl populäre als auch wissenschaftliche Abhandlungen und nicht wenige künstlerische Werke in Literatur, Malerei, Theater und Film nach sich. Demzufolge verhält es sich, dass bis zum heutigen Tag keine empfehlenswerte Biographie zu Kaiser Tiberius, keine wie auch immer gelagerte Arbeit zum Wirken des zweiten Princeps und ersten Bürgers ohne eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Person des ←14 | 15→Sejan auskommt. Über Kaiser Tiberius und seine Zeit nachzudenken, bedeutet folglich immer, sich mit Sejan auseinanderzusetzen, über Sejan zu schreiben, demnach sich das Leben und Wirken des Kaiser Tiberius zu vergegenwärtigen.12 Selbst in jedem besseren Werk, das sich mit der Darstellung der römischen Prätorianergarde befasst, findet sich in der Regel ein launiger Abschnitt zu Sejan, der in seiner langjährigen Funktion als Kommandant der Garde unübersehbare Spuren in der Geschichte dieser Elitetruppe hinterlassen hat.13 Trotz dieser figurativen und historiographischen Gesetzmäßigkeit wurde das differenziertere Studium zu Sejan durch die permanente Fokussierung auf das Leben und Wirken des Kaisers Tiberius unverhältnismäßig verkürzt und unserem Gardepräfekten in Summe nicht die solistische Aufmerksamkeit zuteil, die er unserer Ansicht nach auch verdient.

Freilich, trotz, oder, wie es scheint, gerade wegen dieses engen und unlösbaren Interdependenzgeflecht zwischen Tiberius und seinem Gardekommandanten, hat es Sejan in der modernen Geschichtsschreibung zu gewissen Weihen gebracht und sein Werdegang als praefectus praetorio, sein Avancement in den zwanziger Jahren der Zeitenwende zum Schattenkaiser und heimlichen Regenten des Imperiums wurde in einigen Einzeldarstellungen einer ausführlicheren Aufarbeitung unterzogen.14 Und je nachdem wie die Verfasser dieser in Summe zumeist älteren Schriften aus ihrer Zeit heraus die hierfür aussagekräftigsten Quellen, beginnend mit Tacitus über Sueton, Cassius Dio und Velleius Paterculus bis hin zu Iuvenal und Flavius Iosephus lasen und interpretierten,15 je nachdem wie sie die ihnen zur Verfügung stehende Sekundärliteratur nutzten und zu bewerten wussten, bekam man über die Karriere und die Persönlichkeit des Sejan das ganze doppeldeutige Spektrum von emotional aufgeladenen Chiffren, die sich in Bezug auf seine (angeblichen) Handlungen in der Regel zwischen überschwänglichem Lob und niedrigster Verachtung bewegen, mit ←15 | 16→Respekt oder Verachtung mitgeteilt. Kurz gesagt, bis heute scheiden sich in den Altertumswissenschaften an Sejan die Geister und so können wir im prägenden Urteil der Geschichte einerseits vom unsittlichen und tyrannischen Manipulanten, vom Verderber des julisch-claudischen Kaiserhauses, andererseits auch von einem ausdauernden und hingebungsvollen Diener, von einem Mann mit vielen Talenten und ungewöhnlichem Geschick lesen. Dieses vielschichtige Konvolut von antagonistischen Attributen belegt fast schon bildhaft, dass Sejan, gemessen an seiner zu hinterfragenden Bedeutung für Tiberius und den Principat – sei dies nun mehrheitlich positiv oder negativ – nicht zur Ruhe kommt und gewissermaßen bis heute als unsteter Leviathan durch die Zeit geistert.

Alles, was wir über Sejan und sein Verhältnis zu Kaiser Tiberius wissen, stammt zum überwiegenden Teil aus den Schriften der eben erwähnten antiken Geschichtsschreiber, deren inhaltliche Lückenhaftigkeit durch rege Forschungs- und Interpretationstätigkeit in den letzten 200 Jahren nur unverhältnismäßig verbessert werden konnte, da sich in quantitativer Hinsicht der status quo der Quellen kaum verändert hat. Bedeutet in der Praxis nichts anderes, als dass das vorhandene Material für eine umfassende und erschöpfende Nachprüfung zu unserem Gardepräfekten nach wie vor nur schwerlich ausreicht und man oftmals die politischen und gesellschaftlichen Zusammenhänge mit all ihren Unsicherheiten rekonstruieren muss. Keine fremde oder neuartige Hürde in der Biographieforschung, die auf keinen Fall von der gestellten Aufgabe abschrecken darf, da dieses Hindernis jedem Historiker, jedem Laien und Gelehrten, der sich zum Vergnügen oder beruflich mit dem Leben und Nachleben antiker Gestalten beschäftigt, nur zu gut vertraut ist.16

Aber wie es bei solchen biographisch-historischen Vexierspielen immer auch sei, beständig wenn es um Fragestellungen zur römischen Geschichte geht, sind es die Werke Annales und Historiae des P. Cornelius Tacitus, die die Basis bilden und wichtige Auskünfte über Personen und Sachverhalte liefern. Wenig Gesichertes ist über das Leben des römischen Geschichtsschreibers, der dem senatorischen Rang angehörte, bekannt. Um 55 n. Chr. wahrscheinlich in der Gallia Narbonensis geboren und nach 118 n. Chr. gestorben, fing er gegen Ende der flavischen Dynastie, nach dem Tod des Domitian, zu schreiben an. Die Annales, das Werk, das für unsere Fragestellung besonderen Rang hat, setzt mit dem Tod ←16 | 17→des Augustus 14 n. Chr. ein und war ursprünglich auf 18 (oder 16) Bücher bis zum Ende des Jahres 68 n. Chr. (bzw. bis zu dem Tod Kaiser Neros am 9. Juni desselben Jahres) geplant. Die ersten sechs Bücher sind der Regierung des Tiberius gewidmet, wobei sich ein Großteil des 5. und der Anfang des 6. Buches nicht erhalten haben. Das beherrschende Thema, das sich quer durch die Schrift zieht, ist die politische Beurteilung des Prinzipats, dem Tacitus äußerst ablehnend gegenüberstand. Folglich darf man sich als Leser seiner Texte nicht wundern, wenn er in seiner Annales-Einleitung zwar jovial schreibt sine ira et studio, quorum causas procul habeo, aber selbstredend keinen Gedanken daran verschwendet, diese Regel beim Verfassen auch einzuhalten.17

Der dem Ritterstand zuzurechnende C. Suetonius Tranquillus ist der nächste Autor, den es in diesem Kontext vorzustellen gilt. Als Sprössling eines römischen Offiziers wurde er unter Kaiser Vespasian um das Jahr 70 n. Chr. geboren. Seinen Namen als Schriftsteller von Weltruf verdankt Sueton seinen sogenannten Kaiserviten (De vita Caesarum), eine stattliche Sammlung von zwölf Biographien, die das julisch-claudische und flavische Kaiserhaus, von Caesar bis Domitian, umfassen.18 Demzufolge haben wir von ihm auch eine biographische Abhandlung über Tiberius und folglich auch Informationen über Sejan vorliegen. Sueton, in den Anfängen seines Leben zunächst ein unauffälliger, ja weltfremder Grammatiker und Stubengelehrter, macht am Hofe Kaiser Hadrians (117–138 n. Chr.) in der Reichsverwaltung eine späte Beamtenkarriere, die ihm gestattete, auf die kaiserlichen Archive zuzugreifen. Im übergroßen Schatten seines Kollegen Tacitus wurde seine Porträtschriftstellerei in den modernen Altertums- und Literaturwissenschaften lange als oberflächlicher Tratsch und Klatsch abgetan. Erst in den letzten Jahrzehnten erhielten seine Schriften in der Forschung die ihm zustehende Aufmerksamkeit. Alle seine Viten sind in ←17 | 18→einen chronologisch-systemischen Erzählrahmen eingebettet, in dem durchaus munter von der Familie, dem Leben und dem Herrschaftsantritt, über die Phase der Regierungsjahre, bis hin zum Tod des Kaisers berichtet wird.19

Details

Seiten
304
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631842782
ISBN (ePUB)
9783631842799
ISBN (MOBI)
9783631842805
ISBN (Hardcover)
9783631841198
DOI
10.3726/b17883
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Juni)
Schlagworte
Kaiser Tiberius Lucius Aelius Sejanus Römische Geschichte Rezeption des Sejan in der Renaissance
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 304 S., 21 farb. Abb., 16 s/w Abb.

Biographische Angaben

Raimund Merker (Autor:in)

Raimund Merker studierte Klassische Archäologie, Klassische Philologie, Alte Geschichte und Altertumskunde an der Universität Wien. Promotion 2009 mit einer Arbeit zur Figur des Agamemnon. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen, die die Geschichte und Kultur des klassischen Altertums zum Thema haben. Forschungs- und Lehrtätigkeiten u.a. an der Universität Wien.

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