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Kunst und Wissenschaft der Komödienübersetzung

Reflexionen – Beispiele – Erfahrungen

von Rainer Kohlmayer (Autor:in)
©2021 Sammelband 210 Seiten

Zusammenfassung

Das Buch ist das erste Werkstattseminar zu Theorie und Praxis des Dramenübersetzens. Es bietet zunächst einen kritischen Überblick über das Feld der literarischen Übersetzung und behandelt dann Einzelprobleme am Beispiel von Corneille, Molière und Labiche, u.a. das Deutsche als Übersetzungssprache, die Figurensprache, die Empathie, die Aktualisierung, das Lachtheater Labiches. Enthalten ist auch ein Erfahrungsbericht über den Weg vom Text zur Inszenierung (u.a. von Tartuffe und Bunbury). Alle Beispiele stammen aus der Praxis des Verfassers. Der Band schließt mit Stellungnahmen Jürgen von Stackelbergs zu den Übersetzungen Rainer Kohlmayers und einem Interview mit dem Verfasser. Ein Buch für die Übersetzungs- und Theaterpraxis.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Vorwort
  • Inhalt
  • 1. Kapitel Dramenübersetzung als gelehrte Kunst. Ein Überblick
  • 1 Dramenübersetzung heute: Ein Bild mit vielen Unschärfen
  • 2 Authentizität
  • 3 Die deutschsprachige Theaterlandschaft
  • 4 Besonderheiten des Dramenübersetzens
  • 5 Kritischer Rundblick
  • 6 Die Hybridität des Literaturübersetzens
  • 7 Fach- und Literaturübersetzen im Vergleich
  • 8 Posthumane Empathie: Vom Autor zum Auto?
  • 2. Kapitel Die Elastizität der deutschen Sprache
  • 1 Rhetorisches Übersetzen (I): Mediale Grundlagen
  • 1.1 Die Programmierung von Mündlichkeit durch Schrift
  • 1.2 Die Stimme im Text als tertium comparationis beim Übersetzen
  • 1.3 Die Mehrstimmigkeit von Texten
  • 2 Widerlegung von Vorurteilen
  • 2.1 ‚Das Versdrama verhindert die Individualisierung‘
  • 2.2 ‚Das Deutsche ist ungeeignet für den Alexandriner‘
  • 2.3 ‚Der Alexandriner passt nicht zur deutschen Theaterkonvention‘
  • 3 Ein Beispiel für moderne Alexandrinerversionen im Deutschen und Englischen
  • 4 Zusammenfassung und Übersetzungskonzeption
  • 3. Kapitel Die übersetzerische Empathie. Vom Vergnügen, Molières Frauen Deutsch sprechen zu hören
  • 1 Zum Verhältnis von Theorie und Empirie beim Literaturübersetzen
  • 2 Rhetorisches Übersetzen (II): Empathie und Figurensprache
  • 3 Molières Komödien und Frauenfiguren als kulturelle Importartikel
  • 4 Agnès in Die Schule der Frauen (1662) oder die Emanzipation des Opferlämmchens
  • 5 EXKURS: „Stimmenvergleich“: Agnès im Original und in sechs Versübersetzungen
  • 5.1 Molière (1971): L’école des femmes, Vers 1553- 1559:
  • 5.2 Rudolf Alexander Schröder (1958: 454f.):
  • 5.3 Hans Weigel (1964: 93f.):
  • 5.4 Monika Fahrenbach-Wachendorff (1982: 60f.):
  • 5.5 Simon Werle (1999: 67):
  • 5.6 Maya Slater (2001: 62):
  • 5.7 Rainer Kohlmayer (2009: 75):
  • 6 Dorine in Tartuffe (1664) oder die praktizierende Emanze ...
  • 7 Célimène im Menschenfeind (1666) oder die Männersammlerin
  • 8 Philaminte und Armande in Die gelehrten Frauen (1672) oder die gelehrten Emanzen
  • 9 Kritischer Rückblick: Empathie – Vergnügen – Evidenz
  • 4. Kapitel Die Entdeckung der charmanten Emanzen in den Komödien des jungen Pierre Corneille
  • 1 Pierre Corneilles Jugendkomödien und die „love revolution“
  • 2 Rhetorisches Übersetzen (III): Entdeckung von Zeitgenossen
  • 3 Die Frauenfiguren in Mélite ou Les fausses lettres Inhalt
  • 3.1 Transgression und Selbstzensur
  • 3.2 Zum Inhalt von Mélite
  • 3.3 Ernsthaftigkeit und Wankelmut in der Liebe
  • 3.4 Die schöne Mélite: Liebe und Geld, Schönheit und Macht
  • 3.5 Die starke Cloris: Erotik und Realismus
  • 3.6 Autobiographisches in Mélite
  • 4 Schlusswort
  • 5. Kapitel Labiches serielles Lachtheater. Werkstattnotizen des Übersetzers
  • 1 Labiches Tempo
  • 2 Labiches Sprache
  • 3 Labiches Komik
  • 4 Frauenbild und Kampf ums Überleben
  • 5 Beispiele: Acht Komödien von Labiche, für die Bühne übersetzt von Rainer Kohlmayer
  • 5.1 Frisette. Vaudeville-Komödie in einem Akt
  • 5.2 Edgar und sein Dienstmädchen. Komödie in einem Akt mit Couplets
  • 5.3 Meine Tochter gehört mir! Komödie in einem Akt mit Couplets
  • 5.4 Die Affäre in der Rue de Lourcine. Komödie in einem Akt mit Couplets
  • 5.5 An den Nagel gehängt! Vaudeville-Komödie mit Liedern in einem Akt
  • 5.6 In der eigenen Falle. Komödie in einem Akt mit Gesangseinlagen
  • 5.7 Eine lockere Hand. Komödie in einem Akt
  • 5.8 Peinliches Manko. Komödie in einem Akt
  • 6 Schluss: Übersetzung als Aktualisierung
  • 6. Kapitel Vom Kopftheater auf die Bühne. Der Übersetzer als Zuschauer
  • 1 Produktion und Rezeption
  • 2 Bunbury (Oscar Wilde)
  • 3 Ein idealer Gatte (Oscar Wilde)
  • 4 Der extravagante Liebhaber (Corneille)
  • 5 Tartuffe (Molière)
  • 6 Was man im Theater erleben und lernen kann. Eine Bilanz
  • 7. Kapitel Drei Rezensionen von Jürgen von Stackelberg
  • 1 „Ist Paris nicht schön?“ – Corneilles Menteur, übersetzt von Goethe und von Rainer Kohlmayer
  • 2 Endlich ein Molière für die Bühne! Rainer Kohlmayers deutscher Tartuffe
  • 3 Zu Kohlmayers Menschenfeind
  • 8. Kapitel Interview zum Menschenfeind, Lüneburg 2015
  • Übersetzungen, Bearbeitungen, Theatertexte von Rainer Kohlmayer
  • Literaturverzeichnis
  • Register

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1. Kapitel Dramenübersetzung als gelehrte Kunst. Ein Überblick

1 Dramenübersetzung heute: Ein Bild mit vielen Unschärfen

Dieses Buch gilt allen, die sich studierend oder dozierend, dilettantisch oder berufsmäßig mit literarischen Übersetzungen befassen. Dramenübersetzungen sind in der Praxis ein besonders mobiles, in mehrfachem Sinne flüchtiges geistiges Eigentum. Bearbeiten, Überschreiben, sogar Plagiieren sind im deutschsprachigen Theaterbetrieb, wo alljährlich rund 1000 ‚Übersetzungen‘ gespielt werden, längst zur künstlerischen Routine geworden (vgl. Kohlmayer 1996a: 252–261). Nur im Wissenschaftsbetrieb gelten noch strengere Regeln, die bisher nicht einmal für begabte PolitikerInnen gelockert werden. Der Begriff des literarischen Übersetzens selbst, der Ende des 18. Jahrhunderts als Einheit von Subjektivität, Linearität und Oralität ‚erfunden‘ und z.B. von August Wilhelm Schlegel auf höchstem Niveau vorexerziert wurde, der in Novalis‘ Formulierung der „schrift-lichen Stimme“ sein tertium comparationis fand (Kohlmayer 2019: 127f.), wurde im Zuge der Entkolonialisierung und Globalisierung aufgeweicht und ist in den Köpfen vieler Intellektueller heute zu einem Synonym für jede Art kultureller und sprachlicher Verwandlung geworden.

Bei Dramentexten ist der Anspruch der Texte auf eine relative „Autonomie“ (Koller 1992: 40 u.ö.) aus verschiedenen Gründen noch stärker weggeschmolzen als bei Buchtexten. Seit der Etablierung des deutschen Regietheaters um 1900 gilt der Gedanke der linearen oder sonstigen Werktreue als überholt. Die Eigendynamik der polysemiotischen Medien Theater oder Film lässt sich nicht durch irgendwelche Bühnen- oder Regiehinweise in einem gedruckten Text bändigen. Und ich weiß aus eigener Regieerfahrung, welchen spontanen Schub kreativer Freiheit man selbst gegenüber dem eigenen Text verspürt, wenn man die Übersetzer-Rolle mit der des Schauspielers oder Regisseurs vertauscht.

2 Authentizität

Es geht mir hier nicht um eine rückwärtsgewandte Kritik an Verhältnissen, die nun einmal so sind, wie sie sind, sondern um etwas Einfacheres, Wichtigeres und Nachhaltigeres – um Einübung in Genauigkeit; um „close reading“ und „close interpreting“, um genaues Lesen und Interpretieren im Sinne von bewusstem Erkennen, Erfühlen und Benennen von sprachlichen Nuancen. Auch wenn es seit Heraklit unbestritten ist, dass unsere Wirklichkeit ständig im Zerfließen ←11 | 12→und Verrutschen ist („panta rhei“), so haben für uns doch weder Sokrates noch Nietzsche oder Wittgenstein an Interesse verloren. Warum? Weil sie (wie andere Sprachkritiker) einen genauen Blick auf bestimmte Meinungen und Texte richteten, um durch hartnäckiges Hinterfragen kritische Wahrheiten zu vermitteln, und wäre es auch nur die minimale (aber explosive) sokratische Erkenntnis des eigenen Nichtwissens und die Notwendigkeit weiteren Nachdenkens.

Kritik, Scharfsinn, Witz, Originalität, Einfühlung sind keine Eigenschaften, die in der universitären Translationswissenschaft besonders gefördert werden. Dagegen stehen globale Orientierung und internationale Vernetzung hoch im Kurs, was zu einer Flut von geförderten inter- und transkulturellen Projekten, Konferenzen samt Sammelbänden mit entsprechenden Potpourri-Inhalten führt. Womit ich nicht abstreite, dass in diesen Publikationsmengen, die ständig gemeldet werden (trans-kom, EST Newsletter, CintraS, Uepo usw.), manchmal auch Goldkörnchen zu finden sind. Das Feld der Translationswissenschaft ist für Studierende wie Lehrende so unübersichtlich und enzyklopädisch geworden wie die Modul-Bürokratie.

In den vorhergehenden vier Monographien meiner übersetzungswissenschaftlichen ‚Pentalogie‘ reagierte ich auf diese Unübersichtlichkeit durch Überblicke, erstens über Sprachkomik und Übersetzen (Kohlmayer 2017b); zweitens über Rhetorik und Translation (Kohlmayer 2018); drittens über die Ästhetik des Literaturübersetzens (Kohlmayer 2019); und viertens über die Rolle der Kritik in der Übersetzungswissenschaft (Kohlmayer 2020).

Im vorliegenden Buch reagiere ich durch ‚Authentizität‘, das heißt, hier sollen meine eigenen Erkenntnisse über das Dramenübersetzen vermittelt werden, die auf eigener Erfahrung, eigenen Beispielen und eigenem Nachdenken beruhen, die also beanspruchen können – um noch einmal zum zeitgenössischen Klischee zu greifen –, authentisch zu sein. Die älteren Synonyme für diese Qualität (z.B. originell, ursprünglich, echt, eigensinnig, wahrhaftig) sind der antiromantischen Sprachkritik zum Opfer gefallen oder jedenfalls unter Ideologieverdacht geraten. Authentisch (in meinem Sinn) steht aber immer noch im Gegensatz zu angelesen, sekundär, unselbstständig, enzyklopädisch, ohne eigene Erfahrung oder Praxis. Insofern dürften die Reflexionen und Erfahrungen eines Praktikers gerade für die universitäre Übersetzerausbildung, die ja in ihrer bürokratisch modularisierten Form nur selten Theorie und Praxis verknüpfen kann,2 einen ←12 | 13→gewissen dokumentarischen, aber auch theoretischen und didaktischen Wert besitzen. Gerade weil die Translationswissenschaft unübersichtlich geworden ist, sollten erfahrungsbasierte Zwischenrufe aus der Praxis der Dramenübersetzung ins Deutsche zumindest in diesem Teilbereich zur Klärung beitragen können. Wenn der Leser oder die Leserin dieses Buch aus der Hand legt, sollte er oder sie ziemlich genau Bescheid wissen, wie das Dramenübersetzen ins Deutsche gelingen kann und wie die deutschen Theater mit solchen Texten umgehen.

Dass ich mich in diesem Buch ausdrücklich auf deutsche Verhältnisse beziehe, hat einen Grund. Die Translation Studies sind im Zuge des Postkolonialismus zu einer globalen Wissenschaft (meist in Global English) geworden, die theoretisch weitgehend auf die unübersichtlichen Verhältnisse der ehemaligen Kolonialimperien zugeschnitten ist. Vor allem die anglophonen Kritiker Edward Saïd, Eric Cheyfitz, Gayatri Spivak, Homi Bhabha, Robert C. Young haben die großen Kolonialsprachen (Portugiesisch, Spanisch, Französisch, Englisch) das Fürchten gelehrt, sodass dort ‚lineare‘ Übersetzungen theoretisch einen besonders schweren Stand haben. Die historischen Asymmetrien der kolonial- imperialen Machtverhältnisse, die enormen geographischen und soziokulturellen Unterschiede innerhalb dieser Sprachen, die berechtigten ethnischen Ressentiments haben den relativ homogenen, als ‚essentialistisch‘ empfundenen Übersetzungsbegriff des 18. Jahrhunderts weitgehend außer Kraft gesetzt und den heutigen Translationsbegriff gewissermaßen retro- kolonisiert.

„Hamlet’s dilemma, for instance, would obviously be incomprehensible to an island race whose culture makes it obligatory for a widow to marry her dead husband’s brother (Gostand 1980: 3)“,

schreibt Gunilla Anderman verständnisvoll (1998: 72), suggerierend, dass Hamlet dort entweder fehl am Platz oder nur mit erheblichen Anpassungen importierbar wäre. Da ich selbst (zumindest in diesem Buch und bei ‚meinen‘ Autoren) dem klassischen ‚eurozentrischen‘ Universalismus A.W. Schlegels anhänge, der an ein „Band des Mitgefühls“ glaubt, welches über alle ‚Rassen‘ und Kulturen hinweg „das menschliche Geschlecht zu einem Ganzen“ verknüpfen kann (Schlegel 1962: 152), halte ich die Vorstellung, es könne tatsächlich eine „island race“ geben, die nicht versteht, dass ein Brudermord kein Mittel sein darf, um die Witwe heiraten zu können, für, gelinde ausgedrückt, wenig überzeugend. Ich glaube, in jeder Kultur können intelligente und gefühlsbegabte Menschen Shakespeares Hamlet verstehen, wenn ihnen die Tragödie in einer guten Übersetzung erzählt wird.3

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Immerhin kann man aus solchen historisch begründeten Bedenken schließen, dass eine Übersetzungswissenschaft, die (wie ich) die gegenwärtigen deutschen Verhältnisse im Visier hat, derzeit nicht wesentlich mehr soziokulturelle Widerstände zu überwinden hat als A.W. Schlegel um 1800. Spivak und Bhabha sind hierzulande (bisher noch) weniger relevant, wenn man sie natürlich auch wahrnehmen sollte. In Deutschland gibt es eine lange Tradition und eine lebendige Gegenwart des guten linearen und reflektierenden Übersetzens (vgl. Buschmann 2015). Im Schlachthaus der Weltgeschichte (Georg Christoph Lichtenberg: „Wir fressen einander nicht, wir schlachten uns bloß“) gehört das Übersetzen von Welt-Literatur zu den eher friedfertigen Tätigkeiten.

3 Die deutschsprachige Theaterlandschaft

Zunächst muss die Realität der deutschen Theaterlandschaft möglichst kurz und sachlich beschrieben werden. Deutschland hat (zusammen mit Österreich und der Schweiz) mehr Theater und Bühnen als jedes andere Land der Welt. Der historische Grund dafür ist die föderale Struktur der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz. In Deutschland gibt es, da es aus 16 kulturell selbstständigen Ländern besteht, ebenso viele Hauptstädte und Kulturlandschaften. 2017 gab es insgesamt rund 550 Theater mit 950 Bühnen und insgesamt über 300.000 Sitzplätzen (vgl. www.theaterparadies-deutschland.de). Dazu kommen noch rund 70 Sommerfestspiele, wie man im Bühnenjahrbuch, das jährlich ein beeindruckendes Register der gesamten deutschen Theaterwelt präsentiert, nachlesen kann. Andere Länder sind zentralistisch organisiert; sie besitzen eine Hauptstadt, von der fast alle Impulse ausgehen. In Paris oder London gibt es jeweils rund 250 Theater. Die Übersetzer in London und Paris arbeiten meistens auch direkt mit den Theatern zusammen. In Deutschland sind die Bühnenverlage wichtig als Vermittler zwischen Übersetzern und Theatern. In Deutschland gibt es rund 70 Bühnen- und Musikverlage, sodass Dramenübersetzer normalerweise nicht direkt mit den Theatern zu tun haben, wie die Reihenfolge hier zeigt:

Übersetzer ↔ Bühnenverlag ↔ Theater.

Die Übersetzer schließen mit einem Bühnenverlag einen Vertrag ab, in dem sie die Wahrnehmung ihrer Rechte an den Verlag abtreten. Die Bühnenverlage schließen ihrerseits (falls eine Übersetzung von einem Theater gespielt wird), einen Vertrag mit dem Theater ab. Außerdem machen die Bühnenverlage ←14 | 15→Werbung, kümmern sich um die Einhaltung der Verträge, kassieren die Einnahmen und teilen sie mit den Urhebern. Autoren und Übersetzer erhalten Tantiemen.

Die deutschen Übersetzer arbeiten zwar selten direkt mit Theatern zusammen; aber es gibt doch auch immer häufiger Übersetzungs- und Theateraufträge an einzelne Schriftsteller und Übersetzer; der Heidelberger Stückemarkt ist zum Beispiel eine solche Leistungsschau von Nachwuchs-Dramatikern und - Übersetzern. Gelegentlich gibt es auch feste Kooperationen zwischen Regisseuren, Bühnenbildnern und bestimmten Textlieferanten (z.B. Herbert Fritsch/Sabrina Zwach; Claudia Bauer/Peter Licht). Periphere Dramatik wird gefördert durch Drama Panorama e.V., einen rührigen Berliner Verein, der von der Dramaturgin Yvonne Griesel gegründet wurde.

Die Bühnenverlage stellen Bühnenmanuskripte her, die dann von den Schauspielern als Rollenbücher verwendet werden können, wobei aber heutzutage die Theater meistens ihre eigenen Fassungen anfertigen. Zum Beispiel kürzen und ändern sie bei Molière- oder Wilde-Übersetzungen 50 Prozent des Textes und mehr. Die Übersetzer haben normalerweise keinen direkten Einfluss auf die Theater. Anders als die ‚normalen‘ Literaturübersetzer sind die Theaterübersetzer am Gewinn beteiligt. Wenn eine Übersetzung gespielt wird, machen sie Gewinn; wenn sie nicht gespielt wird, erhalten sie nichts. Die Höhe des Gewinns hängt vom jeweiligen Vertrag mit dem Bühnenverlag ab. Übersetzer bekommen 60 bis 75 Prozent vom Kuchen; der Bühnenverlag erhält folglich 25 bis 40 Prozent. Bei dem ‚Kuchen‘, der zwischen Verlag und Übersetzer verteilt wird, handelt es sich im Schnitt um 10 bis 15 Prozent der Einnahmen der Theater aus dem Kartenverkauf. Das kann je nach Theater und Zahl der Aufführungen von 100 € bis 30.000 € und mehr betragen. Diese Zahlen gelten allerdings nur für den Fall, dass ein Text ‚frei‘ ist, das heißt, dass der Autor des Originals seit 70 Jahren tot ist. Wenn der Original-Autor beteiligt werden muss, schrumpft der Tantiemen-Kuchen des Übersetzers mindestens um die Hälfte.

Ein gewisses Risiko für die Übersetzer sind auch die Bühnenverlage selbst; sie sind für den Autor meist unberechenbar, existieren oft nur eine Generation lang, wechseln leichter die Besitzer als die Buchverlage. In Deutschland gibt es meines Wissens nur einen einzigen Bühnenverlag, der seit dem 19. Jahrhundert besteht (Felix Bloch Erben).4

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4 Besonderheiten des Dramenübersetzens

Der Übersetzer inszeniert und ‚regiert‘ selbstständig am Schreibtisch, aber im Theater regieren Dramaturg und Regisseur. Man darf also nicht annehmen, dass der eigene Text tatsächlich so gespielt wird, wie man ihn übersetzt hat. Die allgemeine Tendenz des gegenwärtigen deutschen Theaters lautet: Weg vom Text und hin zum Körper-Theater und zum Medien-Mix. Die Performanz löst sich oft völlig vom Text ab. In der Gegenwart gibt es aber doch noch einzelne Fälle von ‚traditionellem‘ Text- Theater, wenn auch eher bei Amateurbühnen.

Welche Besonderheiten der Theater sollte ein Dramenübersetzer beachten, wenn er seine Sache gut machen will? Ich zähle hier nur die Dinge auf, die mir aufgefallen sind, die also der eigenen Erfahrung entstammen.

Details

Seiten
210
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631844700
ISBN (ePUB)
9783631844717
ISBN (MOBI)
9783631844724
ISBN (Hardcover)
9783631842508
DOI
10.3726/b17942
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Januar)
Schlagworte
Theaterübersetzung Versübersetzung Werkstattseminar Theaterpraxis Alexandrinerübersetzung Lachtheater Übersetzungskritik
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 210 S.

Biographische Angaben

Rainer Kohlmayer (Autor:in)

Rainer Kohlmayer war APL Professor an der Mainzer Universität. Er habilitierte dort in Interkultureller Germanistik und lehrte am Fachbereich in Germersheim bis 2013 Sprach- und Übersetzungswissenschaft. Er gründete die Uni-Bühne, inszenierte eigene und von ihm selbst übersetzte Stücke, besonders Komödien von Corneille, Molière, Labiche und Oscar Wilde.

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