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Carl Clemen und die Religionsgeschichte

von Ulrich Vollmer (Autor:in)
©2021 Dissertation 594 Seiten

Zusammenfassung

Carl Clemen (1865–1940) nimmt in der Forschungsgeschichte der Religionswissenschaft einen besonderen Platz ein. Er war der Erste, der das Fach in Deutschland nicht an einer Theologischen, sondern an einer Philosophischen Fakultät vertreten hat. Dieses Buch zeichnet seinen Weg von der Theologie und der Beschäftigung mit den Religionen in der Umwelt des frühen Christentums zu einer historisch-philologisch arbeitenden Religionswissenschaft nach. Vor dem Hintergrund der internationalen Fachgeschichte stellt der Autor seine Beiträge sowohl zur Erforschung einzelner Religionen als auch zur Klärung systematischer Fragestellungen vor. Abschließend verfolgt er seine Tätigkeit nach der altersbedingten Emeritierung im Jahr 1933, die ihn als einen konsequenten Gegner des Nationalsozialismus ausweist.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Einleitung
  • Die bisherigen Würdigungen
  • Die Quellen und ihre Probleme
  • Der Gang der vorliegenden Untersuchung
  • 1 Biographie
  • 1.1 Herkunft, Kindheit und Jugend (1865–1884)
  • 1.2 Studium, Promotion und Habilitation (1884–1892)
  • 1.3 Privatdozent in Halle (1892–1903)
  • 1.4 Privatdozent in Bonn (1904–1910)
  • 1.5 Extraordinarius (1910–1920)
  • 1.6 Ordinarius (1920–1933)
  • 1.7 Emeritus (1933–1940)
  • 2 Theologie und Religionsgeschichte
  • 2.1 Versuch einer Abgrenzung
  • 2.2 Naturalismus und Geschichtlichkeit
  • 2.3 Dialektik von „Kern“ und „Schale“
  • 2.4 Religion unter den Bedingungen des Historismus
  • 2.5 Christentum und Mysterienkulte
  • 2.6 Carl Clemen und die Religionsgeschichtliche Schule
  • 3. Religionsgeschichte I: Grundlagen
  • 3.1 Bibliographie
  • 3.2 Quellen
  • 3.3 Übersetzungen
  • 3.4 Das Sammelwerk Die Religionen der Erde
  • 3.5 Zeitschriften und Serien im Kontext
  • 4. Religionsgeschichte II: Einzelne Religionen
  • 4.1 Vorbemerkung
  • 4.2 Urgeschichtliche Religion
  • 4.3 Iranische Religion
  • 4.4 Etruskische Religion
  • 4.5 Germanische Religion
  • 4.6 Judentum
  • 4.7 Christentum
  • 5. Systematische Religionswissenschaft
  • 5.1 Vorbemerkung
  • 5.2 Magie
  • 5.3 Survivals, Volkskunde und Volksbrauch
  • 5.4 Mystik
  • 5.5 Psychoanalyse
  • 5.6 Monotheismus und Urheberglaube
  • 5.7 Grundzüge einer Religionsphänomenologie
  • 6. Die vielen Schüler und der eine Nachfolger
  • 6.1 Die vielen Schüler
  • 6.2 Joachim Wach
  • 6.3 Hans Alexander Winkler
  • 6.4 Gustav Mensching
  • 6.5 Ernst Ludwig Dietrich
  • 7. Statt eines Nachworts: Ein bio-bibliographisches Nachspiel (oder: Wie die Theologische Literaturzeitung zu ihrem Untertitel kam)1
  • 7.1 Der Vorschlag
  • 7.2 Die neue Abteilung
  • 7.3 Der Eklat
  • 7.4 Die Nachrufe
  • Verzeichnis der benutzten Literatur
  • 1 Archivmaterialien
  • 2 Gedruckte Quellen
  • 3 Internetquellen

Einleitung

Die bisherigen Würdigungen

Leben und Werk des Bonner Religionshistorikers Carl Clemen sind bisher noch nicht ausführlich dargestellt und gewürdigt worden. Während Mircea Eliade ihn in einem Atemzug mit Raffaele Pettazzoni, Edwin Oliver James und Gerardus van der Leeuw nannte1 und Clemen in den beiden Auflagen der Encyclopedia of Religions einen eigenen Artikel erhalten hat,2 fehlt ein entsprechender Eintrag in der „Prosopographie I (Ethnologie, Religionswissenschaft, Geschichte)“ im Handbuch religionswissenschaftlicher Grundbegriffe.3 Auch das Nachschlagewerk Die Religion in Geschichte und Gegenwart hat in seiner neuesten Auflage keinen Eintrag zu Carl Clemen,4 der allerdings in den beiden ersten Auflagen vertreten war.5 Jacques Waardenburg listete im zweiten Band seiner Classical Approaches to the Study of Religion wenigstens die wichtigsten Veröffentlichungen von Clemen auf;6 im ersten Band wurde Clemen zwar kurz erwähnt,7 bei den ausgewählten Textauszügen dort fehlt er. In den einschlägigen Darstellungen der Geschichte der Religionswissenschaft begegnet Clemen entweder nicht,8 oder zu ihm ←9 | 10→werden nur ganz elementare Daten mitgeteilt.9 Gustav Mensching hat jedoch in einem Sammelband aus Anlass des 150-jährigen Jubiläums der Universität Bonn Carl Clemen als seinen Vorgänger mit einem kurzen Beitrag gewürdigt.10

In zwei Dissertationen wurden einzelne Aspekte aus Clemens Beschäftigung mit den Religionen in der Umwelt des frühen Christentums behandelt. So hat Gerald Seelig Clemen neben den anderen von Georg Heinrici zur Mitarbeit an dem von ihm geplanten Corpus Hellenisticum in einem eigenen Kapitel dargestellt.11 Ebenfalls in den gleichen Themenkomplex führte auch die Dissertation ←10 | 11→von Annelies Lannoy, die sich im Rahmen ihrer Studie über Alfred Loisy und Franz Cumont auch mit Clemens Arbeiten über das Verhältnis des Christentums zu den Mysterienkulten beschäftigt hat.12 Fritz Heinrich hat unter allgemeinen religionswissenschaftlichen Gesichtspunkten in seiner Dissertation Die deutsche Religionswissenschaft und der Nationalsozialismus zwei Kapitel Carl Clemen gewidmet.13 Schließlich konnte ich meinerseits drei kleinere Studien – allesamt durch äußere Anlässe bedingt und verschiedene Aspekte behandelnd – in den letzten Jahren beisteuern.14

Als besonderes Unikum soll bei einem Überblick über die bisherigen Würdigungen Carl Clemens die im Untertitel ausdrücklich gegen ihn gerichtete Schrift des Theologen Gottfried Stettinger Geschichtlichkeit der johanneischen Abschiedsreden hier zumindest nicht völlig unerwähnt bleiben.15 Clemens literarkritische Analyse des Johannesevangeliums,16 die selbst bei ihm gegenüber durchaus kritischen Rezensenten positive Aufnahme gefunden hat,17 wird hier ←11 | 12→vom Standpunkt einer konsequent antimodernistischen Exegese aus beurteilt, für die die johanneischen Abschiedsreden authentische Aufzeichnungen von Äußerungen des historischen Jesus sind.18 Der Angriff des Autors richtet sich freilich gegen die historisch-kritische Exegese überhaupt; Clemens Veröffentlichung erscheint als ein – letztlich austauschbarer – Anlass.

Die Quellen und ihre Probleme

Dass es bisher noch keine umfassende Darstellung von Carl Clemen gibt, liegt sicherlich auch an der sehr problematischen Quellenlage. Wie mir vor Jahren die damals noch lebende Tochter von Carl Clemen mitteilte, gibt es keinen wissenschaftlichen Nachlass.19 In ihrem Besitz waren lediglich Ausgaben der gedruckten Werke ihres Vaters sowie Sonderdrucke seiner Aufsätze. Der angesichts der vielfältigen Verflechtungen und Projekte sicherlich sehr umfangreiche Briefwechsel mit einer großen Anzahl von Wissenschaftlern ist nicht erhalten. Ebenfalls gibt es keine persönlichen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen, wie sie etwa im Falle von Heinrich Hackmann vorliegen. Hackmann berichtete „darin über Etappen seiner inneren wie beruflichen Entwicklung, über ihm wichtige Erlebnisse und besondere Begebenheiten“.20 Einen vergleichbaren Einblick in die persönlichen Verhältnisse gewähren allenfalls die Briefe von Carl Clemen an seine Eltern und an seinen Bruder Otto, die sich einerseits im Teilnachlass von Otto Clemen in der Ratsschulbibliothek Zwickau, andererseits in dessen weiterem Teilnachlass im Archiv für die Fürsten- und Landesschulen Grimma und Meißen erhalten haben, aber keinesfalls vollständig sind, sondern große Lücken aufweisen. Durch das Entgegenkommen von Frau Roswitha Einenkel war es möglich, die Briefe ihrer Mutter, der Tochter von Otto Clemen und somit Nichte von Carl Clemen, einzusehen, die sie während ihres Studienaufenthalts im Sommersemester 1920 in Bonn an ihre Eltern und an eine Tante geschrieben hat.

Nach intensiver Recherche in Bibliotheken und Archiven ließen sich durchaus zahlreiche Briefe von Carl Clemen finden und in einigen Fällen auch Durchschläge von Briefen an Carl Clemen. Natürlich lag es dann an der Sorgfalt der Absender bzw. Adressaten oder an den zum Teil tragischen Begleitumständen, ob und in welchem Umfang sich die Schreiben erhalten haben. Hier ist ←12 | 13→sicherlich in besonderem Maße zu bedauern, dass während des Dritten Reichs der Briefwechsel mit Leo Baeck verloren gegangen ist.21 Der an sich rege und sehr aufschlussreiche Briefwechsel mit Nathan Söderblom weist leider für den Zeitraum von 1916 bis 1930 eine Lücke auf.22 Es ist aber kaum anzunehmen, dass beide in dieser Zeit keine Briefe gewechselt haben, zumal Nathan Söderblom 1925 von der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn ein Ehrendoktorat erhielt und – wie wir sehen werden – hier sicherlich Carl Clemen die treibende Kraft war.

Neben den Briefen informieren über den Weg von Carl Clemen natürlich auch die offiziellen Akten, die sich in Bonn und Halle glücklicherweise erhalten haben, allerdings mit einer bedauerlichen Ausnahme: Die Akten der Bonner Evangelisch-Theologischen Fakultät, der Clemen als Privatdozent von 1904 bis 1910 angehört hat, sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.23 Zwar sind die Promotionsalben der Philosophischen Fakultät erhalten geblieben, die Promotionsakten für den uns interessierenden Zeitraum sind aber ebenfalls vernichtet, so dass es nicht möglich ist, etwa die Bewertung der bei Clemen angefertigten Dissertationen nachzuvollziehen.

Aus Gründen, die sich im weiteren Verlauf unserer Darstellung ergeben werden, wäre es sehr hilfreich, die Einschätzung des Theologen Carl Clemen durch die zuständigen kirchlichen Stellen in Erfahrung zu bringen. Clemens einschlägige Akten der Sächsischen Landeskirche, bei der er die beiden theologischen Examina abgelegt hat, sind im Februar 1945 in Dresden verbrannt.24 In Preußen hatte „der Evangelische Oberkirchenrat das Recht, sich vor der Berufung eines Theologen über dessen Lehre und Bekenntnis zu äußern“.25 Das geschah aber erst, wenn die Berufung unmittelbar anstand, der zu Berufende also vom Berliner Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten dem Oberkirchenrat gemeldet wurde. Zu Platzierungen auf Berufungslisten, wie ←13 | 14→im Falle von Carl Clemen, nahm der Oberkirchenrat in Berlin – im Unterschied zu seinem Gegenstück in Wien26 – keine Stellung.

Carl Clemen war in den Jahren um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert Geschäftsführer des Evangelischen Bundes, dessen Reichsgeschäftsstelle zunächst in Halle und später in Berlin angesiedelt war. Die Berliner Reichsgeschäftsstelle ist im November 1943 zerstört worden; dabei sind die meisten Akten und Archivalien verbrannt.27 Das gleiche Schicksal hat auch am 18. Oktober 1944 das Geschäftshaus getroffen, in dem der Bonner Verlag Röhrscheid untergebracht war.28 Carl Clemen hat in den 20er und 30er Jahren mit diesem Verlag eng zusammengearbeitet; unter anderem ist dort auch die von ihm ins Leben gerufene Monographiereihe „Untersuchungen zur allgemeinen Religionsgeschichte“ erschienen. Am gleichen Tag wurde auch das Archiv der Anthropologischen Gesellschaft in Bonn vernichtet,29 der Clemen von ihrer Gründung im Jahr 1910 an – zeitweilig sogar als Vorsitzender – angehört hat. Schon am 17. Juni 1943 ging das Archiv der Kölnischen Zeitung verloren,30 in deren Feuilleton – zur Zeit des Nationalsozialismus ein Forum verhaltener Opposition – Clemen eine Reihe von Artikeln veröffentlicht hat.

Der Gang der vorliegenden Untersuchung

Die Besonderheiten von Clemens Lebensweg und die Tatsache, dass sich sein religionswissenschaftliches Werk in der zweiten Lebenshälfte zentriert, lassen es als sinnvoll erscheinen, seine Biographie in einem ersten, gesonderten Kapitel zu behandeln. Es würde sich natürlich anbieten, auch den Theologen Carl Clemen ←14 | 15→vorzustellen, vor allem in seiner Arbeit am Neuen Testament. Leider hat sich Clemen selber – wie wir bei mehreren Gelegenheiten sehen werden –nicht auf eine der damaligen theologischen Richtungen festgelegt, und die Einschätzungen, die sich in der Literatur finden, reichen – natürlich auch je nach der Perspektive des Urteilenden – von einem etwas rätselhaften „scientific“31 über „links“32, „liberal“33, „vermittelnd“34 bis „verhältnismäßig konservativ“35. Ein niederländischer Rezensent beschrieb „zijn conservatieve aard“,36 ja – eine Untersuchung verortete ihn sogar in der Nähe der sogenannten „Positiven“.37 Clemen in dieses Spektrum sinnvoll einzuordnen, ist bei der Vielzahl seiner Veröffentlichungen schwierig und bringt für eine religionswissenschaftliche Betrachtung keinen besonderen Erkenntnisgewinn. Es soll daher in einem zweiten Kapitel lediglich die Phase näher beleuchtet werden, in welcher der damalige Bonner Privatdozent in der Evangelisch-Theologischen Fakultät begann, sich mit den Religionen in der Umwelt des frühen Christentums zu beschäftigen und nach deren möglichen Einflüssen zu fragen. In diesem Zusammenhang können auch einige weltanschauliche Grundpositionen von Clemen angesprochen und geklärt werden, die für seine spätere Arbeit als Religionshistoriker – im Hintergrund zumindest – prägend waren, so sehr er auch einer philologisch-historischen Arbeitsweise verpflichtet war.38←15 | 16→

Im dritten Kapitel soll es dann gleichsam um die Grundlegung der religionsgeschichtlichen Arbeit gehen, das heißt um Clemens bibliographische Veröffentlichungen, um seine Edition von Quellentexten, seine Übersetzungen und seine allgemeine Tätigkeit als Herausgeber.

Das vierte Kapitel zeichnet Clemens Beschäftigung mit einzelnen Religionen nach. Hier kommt ihm in einigen Fällen ein regelrechtes Alleinstellungsmerkmal zu, insofern er nicht nur nach eigener Einschätzung, sondern auch im Urteil von Zeitgenossen der Erste war, der die eine oder andere Religion in dieser Form behandelt hat. Wenngleich die historische Vorgehensweise im Zentrum seines Schaffens stand, hat er sich auch mit einer ganzen Reihe von Themen beschäftigt, die in das Gebiet der systematischen Religionswissenschaft gehören. Diesen Themen ist das fünfte Kapitel gewidmet.

Dass es möglich ist, ausführlich und damit in einem eigenen Kapitel über die Schüler von Carl Clemen und die Regelung seiner Nachfolge zu handeln, liegt an einigen glücklichen Zufällen in der Überlieferung der Akten. Joachim Wachs Ambitionen konnten durch die erhaltenen Briefwechsel mit Erich Rothacker, Carl Heinrich Becker und Erich Seeberg rekonstruiert werden. Die Berufung von Gustav Mensching ist im Archiv der Bonner Universität mit einer gesonderten Akte dokumentiert. Das Gleiche gilt auch für den – letztlich gescheiterten – Versuch von Paul Kahle, seinen Schüler Ernst Ludwig Dietrich nach Bonn zu holen.

Nachdem oben zu wiederholter Klage über den Verlust von Archivmaterialien Anlass war, ermöglicht ein glücklicher Fund, der erst vor einigen Jahren gemacht wurde, im letzten Kapitel – statt eines Nachworts – ein Projekt in Einzelheiten nachzuzeichnen, das immerhin von dem damals schon emeritierten Carl Clemen angestoßen wurde und an dessen Ende – hier war Clemen aber dann nur noch Zuschauer – die Einführung des Untertitels der Theologischen Literaturzeitung stand. Wer Harnacks Rektoratsrede von 1901 mit dem Titel Die Aufgabe der theologischen Facultäten und die allgemeine Religionsgeschichte kennt und an den „heillosen Dilettantismus“ denkt,39 den der warnende Redner heraufziehen sah,40 wird den Gedanken an eine gewisse Ironie des Schicksals nicht abweisen können. Die 1875 von Emil Schürer und Adolf Harnack (oder eben ab ←16 | 17→1914 Adolf von Harnack) gegründete Zeitschrift führt seit April 1939 den Untertitel Monatsschrift für das gesamte Gebiet der Theologie und Religionswissenschaft.

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Da in den meisten Fällen sowohl die Veröffentlichungen von Carl Clemen als auch die Sekundärliteratur lediglich in einem der sieben Kapitel erscheinen, wird nur beim ersten Auftreten in einem Kapitel der Titel in voller Länge angeführt; danach begegnen – wie auch schon in den Anmerkungen dieser Einleitung – Kurztitel. Die vergleichsweise wenigen Ausnahmen fallen nicht ins Gewicht.

In den Zitaten wurde stets die Schreibung des Originals beibehalten. Dies mag irritieren, scheint aber der Authentizität wegen angebracht. Der Hinweis „[sic]“ begegnet daher nur in Fällen von sachlichen Fehlern oder anderen Besonderheiten, die sich aus dem argumentativen Kontext ergeben.


1Vgl. M. Eliade: Die Sehnsucht nach dem Ursprung. Von den Quellen der Humanität. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1976 (Bibliothek Suhrkamp 408), 48. – Zur Bekanntschaft Eliades mit Clemen und seiner Mitarbeit an der Zeitschrift Zalmoxis vgl. M. Eliade: Erinnerungen 1907–1937. Frankfurt a.M.: Insel 1987, 419, der sogar „[b]‌esonders enge Verbindungen“ neben anderen auch zu Clemen hatte.

2Vgl. Chr. Elsas: „[Art.] Clemen, Carl“, in: EncRel(E) 3 (1987), 532–533 = EncRel(E)2 3 (2005), 1822.

3Vgl. [Auctores varii]: „Prosopographie I (Ethnologie, Religionswissenschaft, Geschichte)“, in: HRWG 1 (1988), 272–301.

4Immerhin findet sich dort ein Eintrag zu einem seiner jüngeren Brüder; vgl. B. Frank: „[Art.] Clemen, Otto“, in: RGG4 2 (1999), 392–393.

5Schon in der 3. Auflage erschien Carl Clemen nur mit einer kurzen Notiz im Registerband; vgl. RGG3 Registerband (1965), 38.

6Vgl. J. Waardenburg: Classical Approaches to the Study of Religion. Aims, Methods and Theories of Research. Bd. 2. The Hague / Paris: Mouton 1974 (RaR 4), 39–40 („Carl Christian Clemen. Main Publications“).

7Vgl. J. Waardenburg: Classical Approaches… [wie oben]. Bd. 1. The Hague / Paris: Mouton 1973 (RaR 3), 63.

8So z.B. bei L. H. Jordan: „The Study of the History of Religions in the German Universities“, in: ET 24 (1912/13), 136–139; H. Pinard de la Boullaye: L’étude comparée des religions. Bd. 1: Son histoire dans le monde occidental. 3. Aufl. Paris: G. Beauchesne 1929; P. Meinhold: „Entwicklung der Religionswissenschaft in der Neuzeit und in der Gegenwart“, in: U. Mann (Hrsg.): Theologie und Religionswissenschaft. Der gegenwärtige Stand ihrer Forschungsergebnisse und Aufgaben im Hinblick auf ihr gegenseitiges Verhältnis. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1973, 391, Anm. 32 begegnet Clemen – zusammen mit Max Reischle – als Theologe; H. G. Kippenberg: Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne. München: C. H. Beck 1997; J. Figl: „Religionswissenschaft – Historische Aspekte, heutiges Fachverständnis und Religionsbegriff“, in: ders. (Hrsg.): Handbuch Religionswissenschaft. Religionen und ihre zentralen Themen. Innsbruck / Wien: Tyriola; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2003, 18–80.

9So bei G. Mensching: Geschichte der Religionswissenschaft. Bonn: Universitätsverlag 1948, 69 und 94; M. Eliade: „Enzyklopädisches Stichwort: Geschichte der Religionswissenschaft“, in: ders.: Das Heilige und das Profane. Vom Wesen des Religiösen. Hamburg: Rowohlt 1957 (Rowohlts deutsche Enzyklopädie 31), 128; E. J. Sharpe: Comparative Religion. A History. London: Duckworth 1975, 150; K.-H. Kohl: „Geschichte der Religionswissenschaft“, in: HRWG 1 (1988), 251; H. Junginger, Horst: Von der philologischen zur völkischen Religionswissenschaft. Das Fach Religionswissenschaft an der Universität Tübingen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Dritten Reiches. Stuttgart: Steiner 1999 (Contubernium 51), 88–89; V. Krech: Wissenschaft und Religion. Studien zur Geschichte der Religionsforschung in Deutschland 1871 bis 1933. Tübingen: Mohr Siebeck 2002 (Religion und Aufklärung 8), 123, Anm. 3 und 261–265; M. Bauschulte: Religionsbahnhöfe der Weimarer Republik. Studien zur Religionsforschung 1918–1933. Marburg: Diagonal-Verlag 2007 (RWR 24), 229; M. Stausberg: „The Study of Religions in Western Europe. 1. Prehistory and History until World War II“, in: Religion 37 (2007), 312; U. Tworuschka: Einführung in die Geschichte der Religionswissenschaft. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2015 (Einführung Theologie), 92–93 und 111.

10Vgl. G. Mensching: „Carl Clemen. 1865–1940“, in: 150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Geschichtswissenschaften. Bonn: H. Bouvier / L. Röhrscheid 1968, 455–458.

11Vgl. G. Seelig: Religionsgeschichtliche Methode in Vergangenheit und Gegenwart. Studien zur Geschichte und Methode des religionsgeschichtlichen Vergleichs in der neutestamentlichen Wissenschaft. Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2001 (Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 7), 196–200.

12Vgl. A. Lannoy: Het christelijke mysterie. De relatie tussen het vroege christendom en de heidense mysterieculten in het denken van Alfred Loisy en Franz Cumont, in de context van de modernistische crisis. Phil. Diss., Universität Gent 2012, 224–229.

13Vgl. Fr. Heinrich: Die deutsche Religionswissenschaft und der Nationalsozialismus. Eine ideologiekritische und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung. Petersberg: M. Imhof 2002, 100–103 („Carl Clemen: Von der neutestamentlich-theologischen zur philologisch-historisch arbeitenden Religionswissenschaft“) und 261–272 („Carl Clemen: Religionsgeschichte auf der Grundlage umfassender und gründlicher Quellenkenntnis“).

14Vgl. U. Vollmer: „Carl Clemen (1865–1940) als Emeritus“, in: ZfR 9 (2001), 185–204; ders.: „Carl Clemen und die iranische Religion“, in: M. Hutter (Hrsg.): Religionswissenschaft im Kontext der Asienwissenschaften. 99 Jahre religionswissenschaftliche Lehre und Forschung in Bonn. Münster: LIT 2009 (Religionen in der pluralen Welt. Religionswissenschaftliche Studien 8), 99–111; ders.: „Die Religionswissenschaftler Carl Clemen (1865–1940) und Gustav Mensching (1901–1978)“, in: H. Meyer u.a. (Hrsg.): Die Bonner Orient- und Asienwissenschaften. Eine Geschichte in 22 Porträts. Großheirath: Ostasien-Verlag 2018 (Orientierungen. Themenband 2018), 43–64.

15Vgl. G. Stettinger: Geschichtlichkeit der johanneischen Abschiedsreden. Gegen Prof. D.Dr. Karl [sic] Clemen. Wien: Meyer & Komp. 1919.

16Vgl. C. Clemen: Die Entstehung des Johannesevangeliums. Halle: M. Niemeyer 1912.

17Vgl. z.B. W. Bousset: „[Rez.] C. Clemen, Die Entstehung des Johannesevangeliums“, in: ThLZ 39 (1914), 105: „Daß im einzelnen die Arbeit wieder mit mustergültigem Fleiß und der Durcharbeitung alles erreichbaren Materials geschrieben ist, braucht man bei Clemenschen Arbeiten kaum mehr zu erwähnen.“

18Vgl. z.B. G. Stettinger: Geschichtlichkeit… [wie oben], 40.

19Telefonische Auskunft von Frau Ruth Heidermanns im Frühjahr 1983.

20Fr.-G. Strachotta: Religiöses Ahnen, Sehnen und Suchen. Von der Theologie zur Religionsgeschichte. Heinrich Friedrich Hackmann 1864–1935. Frankfurt a.M. u.a.: P. Lang 1997 (Studien und Texte zur Religionsgeschichtlichen Schule 2), 33.

21Vgl. Th. Wiener: „The Writings of Leo Baeck. A Bibliography“, in: SBBL 1 (1953), 108.

22Eine ähnliche Lücke findet sich auch in den Briefen von Rudolf Otto an Nathan Söderblom; vgl. D. Lange: Nathan Söderblom und seine Zeit. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 258.

23Vgl. H. Karpp: „Einleitung“, in: 150 Jahre Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn. Bonner Gelehrte. Beiträge zur Geschichte der Wissenschaften in Bonn. Evangelische Theologie. Bonn: H. Bouvier / L. Röhrscheid 1968, 7.

24Schriftliche Mitteilung des Landeskirchenarchivs des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamts Sachsen in Dresden vom 27. August 2015.

25A. von Zahn-Harnack: Adolf von Harnack. 2., verb. Aufl. Berlin: W. de Gruyter 1951, 116.

26Vgl. Österreichisches Staatsarchiv, AVAFHKA, 22 II, Nr. 11572.

27Vgl. W. Fleischmann-Bisten: „Der Evangelische Bund in der Weimarer Republik und im sog. Dritten Reich (1918–1945)“, in: ders. und H. Grote: Protestanten auf dem Wege. Geschichte des Evangelischen Bundes. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1986 (BenshH 65), 161–162.

28Vgl. K. Gutzmer: „Der Bonner Buchhandel im Überblick mit besonderer Berücksichtigung des Dritten Reiches“, [separater Beitrag] in: H. Heyer: Kultur in Bonn im Dritten Reich. Bonn: Stadt Bonn / Stadtarchiv 2002 (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bonn 62), 291.

29Vgl. R. Keller und K. Paffen: „Aus der Geschichte der Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde“, in: 50 Jahre Gesellschaft für Erd- und Völkerkunde zu Bonn. 8. November 1910–8. November 1960. Bonn: Ferd. Dümmler 1960, 16.

30Vgl. K.-D. Oelze: Das Feuilleton der Kölnischen Zeitung im Dritten Reich. Frankfurt a.M. u.a.: P. Lang 1990 (Regensburger Beiträge zur deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft. Reihe B, Untersuchungen 45), 5.

31NSHE 3 (1909), 131 (ohne Verfasserangabe, aber möglicherweise auf Selbstauskunft beruhend); bei keinem anderen der zum Vergleich herangezogenen deutschen Theologen findet sich diese Bezeichnung.

32J. E. Belser: „[Rez.] C. Clemen, Religionsgeschichtliche Erklärung des Neuen Testaments [1. Aufl.]“, in: ThQ 91 (1909), 288.

33J. Behm: „[Rez.] C. Clemen, Predigt und biblischer Text“, in: TLB 30 (1907), 246.

34Fr. Schultzen: „[Rez.] C. Clemen, Paulus“, in: ThLBl 27 (1906), 355.

35H. Kötzsche: „[Rez.] C. Clemen, Entstehung des Neuen Testaments [2. Aufl.]“, in: PrBl 60 (1927), 480.

36G. A. van den Bergh van Eysinga: „[Rez.] C. Clemen, Religionsgeschichtliche Erklärung des Neuen Testaments [2. Aufl.]“, in: NThT 14 (1925), 203.

37Vgl. G. Sinn: Christologie und Existenz. Rudolf Bultmanns Interpretation des paulinischen Christentums. Tübingen: Francke 1991 (TANZ 4), 13.

38Vgl. Fr. Heinrich: Die deutsche Religionswissenschaft… [wie oben], 100; ferner M. Dürkop: Das Archiv für Religionswissenschaft in den Jahren 1919 bis 1939. Dargestellt auf der Grundlage des Briefwechsels zwischen Otto Weinreich und Martin P:n Nilsson. Münster: LIT 2013 (Religionswissenschaft 20), 425, Anm. 1. – Wenn M. Bauschulte: Religionsbahnhöfe… [wie oben], 229 Clemen unter den Vertretern „der phänomenologisch orientierten Religionswissenschaft“ auflistet, ist dies sicher nicht richtig.

39A. Harnack: Die Aufgabe der theologischen Facultäten und die allgemeine Religionsgeschichte. Gießen: J. Ricker 1901, 10.

40Vor seinem Auge stand allerdings – das muss zugegeben werden – „die von Sprache und Geschichte losgelöste Religionsgeschichte“ (ebenda).

1Biographie

1.1 Herkunft, Kindheit und Jugend (1865–1884)

Als Carl Clemen am 30. März 1865 im damals noch selbständigen, später dann nach Leipzig eingemeindeten Sommerfeld geboren wurde, hatte sein Vater August Clemen zwei Jahre zuvor, am 4. Oktober 1863, die dortige Pfarrstelle übernommen und einige Tage später, am 21. Oktober, die Leipziger Kaufmannstochter Helene Voigt geheiratet.1 August Clemen stammte aus einer Tuchhändlerfamilie und hatte unter glücklichen Umständen an der Universität Leipzig ein Theologiestudium absolvieren und an der dortigen Philosophischen Fakultät promovieren können. Carl Clemen war der Erstgeborene von den insgesamt acht Kindern seiner Eltern.2 Diese Stellung in der Geschwisterreihe hatte sicherlich eine besondere Bedeutung für ihn,3 wie dies wohl auch von dem unmittelbaren Vorbild seines Vaters gelten dürfte,4 der nicht nur mit großem Erfolg die Fürstenschule in Grimma absolviert, sondern auch trotz widriger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen sein Studium abgeschlossen hatte. Spannungen waren hier freilich gleichsam vorprogrammiert, denn Paul Clemen – einer der jüngeren Brüder von Carl Clemen – charakterisierte den Vater und dessen Verhältnis zu zwei der Söhne folgendermaßen:

←19 | 20→Mein Vater bekannte sich zu dem streng orthodoxen protestantischen Glauben; von seinem Standpunkt auf dem äußersten rechten Flügel, den er in der Kampfzeit einnahm, kam er dann oft in Konflikt mit den beiden gelehrten theologischen Söhnen, dem ersten Carl und dem vierten Otto […].5

Nicht nur die theologische Position des Vaters war für Carl Clemen – zumindest als Reibungsfläche – bestimmend, auch dürfte die väterliche Lebensausrichtung, den Idealen der Zeit und der sozialen Schicht entsprechend, „mit strengen Ehe-, Familien- und Sexualnormen, einem herben Rigorismus der Wahrhaftigkeit und der Pflicht, einer Scheu und Abneigung gegen allen Ausdruck der Emotionen“,6 den Hintergrund für die eigene Lebenseinstellung abgegeben haben. Von den Geschwistern sind für uns nur sein nächstgeborener Bruder Paul und der gerade ebenfalls genannte Bruder Otto von Belang. Die besondere Bedeutung der beiden Brüder wird sich nicht nur im Folgenden zeigen, sie ist auch aus der Tatsache zu ersehen, dass Carl Clemen – von einer allgemein gehaltenen Widmung abgesehen7 – neben dem Vater nur ihnen Bücher gewidmet hat.8←20 | 21→

Mit der Berufung des Vaters als „siebenter Professor und Religionslehrer“9 an die Fürsten- und Landesschule St. Augustin zu Grimma im Jahr 186810 zog die wachsende Familie von Sommerfeld in den Ort der neuen Wirkungsstätte des Vaters um, wo man erst in dem sogenannten Professorenhaus eine Etage bewohnte, später dann in ein eigenes Haus wechselte. In Grimma besuchte Carl Clemen zunächst die Bürgerschule, dann zur Vorbereitung auf den Eintritt in die Fürstenschule das Progymnasium, das er 1878 mit der Quarta abschloss und von dem er dann als externer Schüler auf die Fürstenschule überging.

Die Fürstenschule in Grimma verstand sich wie St. Afra in Meißen und Schulpforta bei Naumburg als herausragende Bildungseinrichtung – auf eine kurze Formel gebracht: „Fürstenschüler waren Leistungseliten.“11 Spielte schon beim normalen humanistischen Gymnasium der damaligen Zeit der Unterricht im Lateinischen und Griechischen eine besondere Rolle,12 so galt dies umso mehr für die drei genannten Fürstenschulen. Die Stundenverteilung für die Oberprima sah acht Stunden Latein und sechs bis sieben Stunden Griechisch vor.13 Ansonsten galt: „Verglichen mit den Alten Sprachen nahm der Unterricht in den modernen Fremdsprachen Französisch und Englisch […] eine untergeordnete Stellung ein.“14 Mit kritischen Worten erinnerte sich Paul Clemen an die eigenen Schuljahre in Grimma:

Ich mache mir klar, dass einem jeden Menschen in jeder Periode seines Lebens eine bestimmte Zahl von Energieeinheiten als Durchschnittsmitgift verliehen ist. Von diesen energetischen Reserven der Jugend wurde in unserem Schulplan gut Zweidrittel durch Latein und Griechisch beansprucht und verzehrt – und nur für die Sprache, nur für das Äußerliche, das Formale. […] Von hellenischer und von römischer Kultur erhielten wir keinen Begriff.15

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Diese in seinen Augen einseitige Betonung der alten Sprachen kam nur zwei Gruppen von Mitschülern in ihrer späteren beruflichen Tätigkeit zugute, „den Altphilologen und Theologen“. Einer derartigen Kritik steht freilich bei Paul Clemen auch ein positiver Aspekt gegenüber, den er mit dem „Genius der Schule“ verbindet und der ihn „tief dankbar“ sein lässt:

[…] für die Erziehung zum Gefühl des Ernstes, der Pflichterfüllung, der höchsten Zeitausnützung mit einem für die Externen wie die Internen gleich gültigen, bis auf halbe Stunden geregelten Tagesprogramm, der Strenge der gelehrten Selbstzucht – auch für das, was uns die Schule ohne ihren Willen brachte: den Zwang zum selbständigen Aufsuchen der uns verschlossenen Nebenwege.16

Während bis auf einen früh verstorbenen alle Brüder die Fürstenschule durchliefen, stieg der Vater schließlich – wie er in seinen Lebenserinnerungen schrieb – „in die 2. Lehrerstelle, die des Stellvertreters des Rektors, auf“. August Clemen unterrichtete Religion, Hebräisch und in der Oberprima gelegentlich Deutsch. Auch in der häuslichen Umgebung der Familie erwies er sich als „der gewissenhafte Vertreter des strengen Geistes der Fürstenschule“,17 was sich in täglicher Hausandacht, in der frühzeitigen Einführung zumindest der beiden älteren Söhne in die lateinische Sprache und im Vertrautmachen seiner Kinder mit den Werken der klassischen deutschen Literatur zeigte, freilich auch hier wie in der Schule „nicht über Goethe hinaus“.

In den für ihn relevanten Jahresberichten der Fürstenschule begegnet Carl Clemen regelmäßig in den Klassenübersichten – und der Vater mit der fallweise steigenden Bezifferung seiner Lehrerstelle. Auf vier verschiedenen Seiten ist dann aber im letzten Jahresbericht 1883–1884 von Carl Clemen die Rede. Zunächst ist er mit den Schülern der Oberprima I aufgelistet.18 Unter der Überschrift „Prämien und Stipendien“ ging es unter anderem um ein Stipendium in Höhe von 600 Mark, das auf drei Jahre verteilt ausgezahlt werden sollte. Das vom Direktor gestellte Thema lautete: „Über die Elektra des Sophokles, mit vergleichender Berücksichtigung der Choëphoren des Aischylos, der Elektra des Euripides und des Hamlet Shakespeares.“ Vier Arbeiten waren – neben anderen auch von Carl Clemen – eingereicht worden; die Arbeiten „wurden alle als preiswürdig erachtet“, das Stipendium erhielt allerdings ein anderer Schüler.19 Der ←22 | 23→Jahresbericht erinnerte sodann an die Feier des 333. Stiftungsfestes der Schule am 14. September 1883. Der Vater August Clemen hielt die Festpredigt über zwei Verse aus dem Hebräerbrief. Insgesamt fünf Schüler trugen Reden vor, als letzter Carl Clemen über „Luther und die altklassischen Studien“. Anschließend gab der Rektor die Empfänger von Stipendien und Prämien bekannt und erwähnte dabei auch Carl Clemen besonders lobend, „welcher, obwohl nach Sitten, Fleiß und Leistungen hervorragender Schüler, doch als Externer eine Prämie nicht erhalten konnte“.20 Schließlich dokumentierte die Übersicht über die Abiturnoten, dass Carl Clemen mit den Noten „I / I“ die beste Abiturprüfung abgelegt hatte.21 Er trat damit als Erstgeborener in die Fußstapfen seines Vaters August, der allerdings – wie er in seinen Lebenserinnerungen schrieb – 1857 die Reifeprüfung „mit I in litteris, in moribus sogar mit Ia“ bestanden hatte.

1.2 Studium, Promotion und Habilitation (1884–1892)

Mit dem bestandenen Abitur trat Carl Clemen nun in eine neue Lebensphase ein, die gemeinhin mit einem Erlebnis von Freiheit nach der als beengend empfundenen Schulzeit assoziiert wird. Damals war es freilich noch anders: „Die Entscheidung über das Studienfach und den Studienort wurde häufig noch von der Familie, vor allem dem Vater und anderen väterlichen Freunden, nach pragmatischen Gesichtspunkten getroffen.“22

Wie die Entscheidung bei Carl Clemen im Einzelnen verlaufen ist, lässt sich nicht mehr ermitteln. In einem handgeschriebenen Lebenslauf aus dem Jahr 1892, den er im Zusammenhang mit seiner Habilitation angefertigt hat, bekannte er allerdings:

Obwohl […] anfangs vor allem für altklassische Philologie u[nd] daneben hauptsächlich für Mathematik interessiert, entschloß ich mich doch zuletzt, in der damals wohl noch ziemlich unklaren Hoffnung, so am ehesten einmal anderen möglichst nützlich werden zu können, zum Studium der Theologie.23

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Mit dem Entschluss zum Studium der Theologie folgte Carl Clemen dem väterlichen Vorbild; bei der Wahl von Leipzig als Studienort war das ebenso der Fall, allerdings dürften hier auch pragmatische Gründe hineingespielt haben. Mit dem Abitur hatte er die Erlaubnis, statt des normalen, drei Jahre dauernden Wehrdienstes einen auf ein Jahr verkürzten Wehrdienst abzuleisten.24 Damit war auch das Recht verbunden, außerhalb der Kaserne wohnen zu dürfen, allerdings auch die Verpflichtung, die Kosten für die militärische Kleidung selber zu tragen. Zugleich war es möglich – bei entsprechender Organisation und Leistungsbereitschaft – neben dem Wehrdienst Vorlesungen an der Universität zu besuchen (oder zumindest zu belegen), so dass die beiden Semester für die Studiendauer angerechnet werden konnten. Diese Möglichkeit hatte Carl Clemen nun in Leipzig, wo er sich nicht nur an der Universität immatrikulierte,25 sondern auch seinen einjährigen Wehrdienst ableistete.26

Details

Seiten
594
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631847015
ISBN (ePUB)
9783631847022
ISBN (MOBI)
9783631847039
ISBN (Paperback)
9783631846032
DOI
10.3726/b18246
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Mai)
Schlagworte
Wissenschaftsgeschichte Religionswissenschaft Nationalsozialismus Historismus Religionsphänomenologie
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 594 S.

Biographische Angaben

Ulrich Vollmer (Autor:in)

Ulrich Vollmer wechselte nach einer Tätigkeit im Schuldienst 1984 an die Universität Bonn. Hier war er zunächst Wissenschaftlicher Angestellter im Religionswissenschaftlichen Seminar und von 2005 an Kustos des Instituts für Orient- und Asienwissenschaften. Seit 2013 ist er im Ruhestand.

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Titel: Carl Clemen und die Religionsgeschichte
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