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Das Ende des Kaperwesens in der europäischen Literatur und dem Recht Englands und Frankreichs bis zur Pariser Seerechtsdeklaration von 1856

von Jeannette Haase (Autor:in)
©2021 Dissertation 200 Seiten

Zusammenfassung

Die Autorin beschäftigt sich mit dem Ende des Kaperwesens in der europäischen Literatur und im Recht Englands und Frankreichs bis zur Pariser Seerechtsdeklaration von 1856. Sie untermauert aus der rechtshistorischen Perspektive die These des Bestehens eines Völkerrechts auf den Weltmeeren in der frühen Neuzeit. Die Untersuchung erfolgt im Schwerpunkt nach der Methode der juristischen Dogmengeschichte, jedoch unter Hinzuziehung politischer und wirtschaftlicher Elemente. Anhand des Bestehens völkergewohnheitsrechtlicher Rechtsgrundsätze zur Regelung und Begrenzung des frühneuzeitlichen Kaperwesens zeigt die Autorin, dass die Weltmeere in dem untersuchten Zeitraum nicht als rechtsfreier Raum zu betrachten waren.

Inhaltsverzeichnis


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Abkürzungsverzeichnis

Abs. Absatz

Anm. Anmerkung

Aufl. Auflage

Bd. Band

Ders. Derselbe

Nr. Nummer

S. Seite

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A. Einleitung

I. Einführung in die Geschichte des Seebeutewesens

Mit Beginn des 16. Jahrhunderts und der Entdeckung der neuen Welt und des Seewegs nach Indien wuchs das Interesse der europäischen Nationen an einem florierenden Seehandel. Während Spanien und Portugal die neue Welt und somit die dazugehörigen Seehandelsrouten in dem Vertrag von Tordesillas unter sich aufgeteilt und eine Monopolstellung auf den Weltmeeren geschaffen hatten, wollten die anderen europäischen Nationen eine solche maritime Vorherrschaft nicht anerkennen.1 Um auch gegen den Willen Spaniens und Portugals mit den neu entdeckten Gebieten Handel zu treiben und die Vormachtstellung Spaniens in der neuen Welt zu schwächen, setzten die übrigen Souveräne auf private Beutefahrer. Diese brachten mit staatlicher Ermächtigung spanische und portugiesische Handelsschiffe auf und nahmen die Schiffe und geladenen Güter als Beute.2 Zu ihrer Rechtfertigung führten die ermächtigenden Souveräne an, dass Spanien und Portugal ohne ein Anrecht auf die Herrschaft auf den Weltmeeren ungerechtfertigt und schuldhaft andere europäische Nationen vom Seehandel ausgeschlossen und sich so die Beutenahme selbst zuzuschreiben hätten.3 Es handelt sich hierbei somit um die Ausübung einer Art des Selbsthilferechts durch die übrigen europäischen Nationen, um die Vormachtstellung Spaniens und Portugals zu brechen und selber an den Früchten des Seehnadles partizipieren zu können, welches primär aus dem Neid auf den ständig wachsenden ökonomischen Wohlstand der iberischen Staaten entstand.4

Je größer die Bedeutung des überseeischen Handels für die Wirtschaft der europäischen Nationen wurde, desto mehr Einfluss gewann seine ungestörte Durchführung auch auf den Ausgang kriegerischer Auseinandersetzungen. So etablierte sich mehr und mehr die Praxis, auch im Krieg auf private Beutefahrer zu setzten. Diese schädigten den Handel der feindlichen Nation durch die ←14 | 15→Aufbringung privater Kauffahrtsschiffe unter der Flagge der gegnerischen Nation,5 so dass die Beutenahme auf See nun Bedeutung in den internationalen Beziehungen aller europäischen Nationen und nicht mehr nur im Hinblick auf die Schädigung Spaniens und Portugals erlangte.6

Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts war das Kaperwesen fester Bestandteil der maritimen Kriegsführung der europäischen Nationen.7 Während des Krim-Krieges jedoch, in dessen Verlauf England und Frankreich auf einer Seite gegen Russland kämpften, mussten sich diese beiden Seemächte auf wichtige Grundsätze des Seekriegsrechtes einigen. Dies führte dazu, dass England es den neutralen Nationen zugestand, dass feindliches Gut unter neutraler Flagge und neutrales Gut unter feindlicher Flagge nicht Gegenstand der Beutenahme werden durfte und auf den Einsatz von Kaperfahrern verzichtete.8 Anlässlich des den Krim-Krieg abschließenden Pariser Friedenskongresses wurden diese Grundlagen des Seekriegsrechts am 16. April 1856 in der Pariser Seerechtsdeklaration festgeschrieben, die von Frankreich, Großbritannien, Sardinien-Piemont, der Schweiz, Russland, Österreich, Preußen und dem Osmanischen Reich unterzeichnet wurden.9

II. Erläuterung der Wahl der zeitlichen Begrenzung von Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum 16. April 1856

Die völkerrechtliche Betrachtung des Kaperwesens setzt in der vorliegenden Arbeit mit dem Beginn des 18. Jahrhunderts an.

Zwar wurde das Kaperwesen schon mit Beginn des 16. Jahrhunderts von den europäischen Staaten als legitimes Mittel der Seekriegsführung genutzt. Denn die Entdeckung der neuen Welt und des Seewegs nach Indien führte für die europäischen Staaten nicht nur dazu, dass der Handel an sich an Bedeutung gewann. Die Souveräne trachteten darüber hinaus vermehrt danach, den Handel ←15 | 16→der anderen Nationen so zu beschränken, dass die eigenen Interessen durch diesen nicht beeinträchtigt werden konnten. Besonders der Seekrieg wurde sonach mehr und mehr darauf gerichtet, den feindlichen Handel möglichst effektiv zu schädigen.10 Die staatlich ermächtigten Kaperfahrer dienten diesem Zweck bereits mit Beginn des 16. Jahrhunderts, ohne den jeweiligen Staaten dabei finanziell zur Last zu fallen, da sie sich ausschließlich aus der genommenen Beute finanziell befriedigten.11

Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es jedoch zu einer intensiveren Befassung der zeitgenössischen Rechtsgelehrten mit den völkerrechtlichen Grundlagen zur Regelung der Beutenahme durch staatlich legitimierte Private und der Darlegung der völkerrechtlichen Rechtmäßigkeit, wie im Verlauf der Arbeit dargestellt werden wird.

Als Endpunkt für die Betrachtung des Kaperwesens wurde vorliegend die Unterzeichnung der Pariser Seerechtsdeklaration am 16. April 1856 gewählt. Dies aus dem Grund, da diese von Frankreich, Großbritannien, Österreich, Preußen, Russland, Sardinien und dem Osmanischen Reich ratifiziert und darüber hinaus durch fast alle übrigen Nationen der Welt akzeptiert wurde. Zwar hatte das Kaperwesen bereits 1853 aufgrund der Allianz zwischen England und Frankreich während des Krim-Krieges und des daraufhin erfolgten Verzichts auf den Einsatz privater Kaperfahrer seine praktische Bedeutung für die europäischen Nationen nahezu verloren,12 die Pariser Seerechtsdeklaration führte jedoch erstmals zu einer Kodifizierung des Verbotes des Kaperwesens, geltend für alle Kriege der Zukunft und nicht bloß für ein einzelnes Kriegsereignis zwischen den beitretenden Nationen.

III. Definition der verwendeten Begrifflichkeiten

1. Die Definition des Begriffes der Freibeuterei

In der Entwicklung des Seebeuterechts finden sich bei den im Rahmen dieser Arbeit untersuchten zeitgenössischen Autoren keine übereinstimmenden übergeordneten Begriffsbestimmungen, die die verschiedenen Arten der Beutenahme zur See definieren. Dies trifft besonders für die deutschsprachigen Bezeichnungen zu, da die meisten für dieses Thema relevanten Texte in lateinischer, ←16 | 17→englischer oder französischer Sprache verfasst und Originalwerke in deutscher Sprache kaum zu finden sind.

Ab dem 17. Jahrhundert dienen die Begrifflichkeiten caper13, armateur14, corsaire15 oder privateer16 zur Umschreibung der staatlich ermächtigten privaten Beutenahme. Diese Begrifflichkeiten umschreiben ausschließlich die Beutenahme von Privateigentum durch staatlich ermächtigte Private in Kriegszeiten. Sie beziehen sich nicht auf die Beutenahme durch Private in Friedenszeiten. Ein einheitlicher Überbegriff für die staatlich legitimierte Beutenahme durch Private sowohl in Kriegs- als auch in Friedenszeiten existiert nicht.

Um klare und einheitliche Begrifflichkeiten zu schaffen, wird im Rahmen dieser Dissertation für die staatlich legitimierte Beutenahme durch Private sowohl im Krieg als auch im Frieden der Überbegriff der Freibeuterei verwendet. Für die Bezeichnung der Beutenahme ausschließlich in Kriegszeiten wird im Folgenden der Begriff des Kaperwesens, für die in Friedenszeiten der Begriff der Repressaliennahme verwendet.

2. Die Abgrenzung zwischen Repressaliennahme und Kaperwesen

a. Vorbemerkung

Im Rahmen der staatlich legitimierten Beutenahme durch Private lassen sich anhand des Zeitpunktes der Aufbringung zwei Arten der Beutenahme festlegen. Die Freibeuterei in Friedenszeiten wird unter dem Begriff der Repressaliennahme17, die in Kriegszeiten unter dem Begriff des Kaperwesens oder der Kaperei18 behandelt.

In der rechtlichen Entwicklung des Seebeuterechts wurde zwischen dem Rechtsinstitut des Kaperwesens und dem der Repressaliennahme sorgfältig differenziert. Während jedoch die Anstrengungen, die Kaperei im europäischen Völkergewohnheitsrecht zu verankern, ab dem 16. Jahrhundert auf Grund der wachsenden Bedeutung des Seehandels mehr und mehr erstarkten, verlor die ←17 | 18→Subsumierung der Repressaliennahme unter das Völkerrecht schnell ihre praktische Bedeutung, da die europäischen Staaten von der Praxis der Ausgabe von Repressalienbriefen mehr und mehr Abstand nahmen.19

b. Die Repressaliennahme

Um die für die vorliegende Arbeit notwendige Abgrenzung zwischen der Repressaliennahme und dem Kaperwesen in dem gewählten Untersuchungszeitraum vorzunehmen, wird die Definition der Repressaliennahme verwendet, wie sie von den Rechtsgelehrten zwischen dem Beginn des 18. und der Mitte des 19. Jahrhunderts verwendet wurde.

Bei der Repressaliennahme handelte es sich um die Aufbringung der Güter von Bürgern fremder Staaten zur See durch eine staatlich legitimierte Privatperson mit dem Ziel, verletzte Privatinteressen in Friedenszeiten wiederherzustellen,20 ohne es zu einem Krieg zwischen den betroffenen Staaten kommen zu lassen. Repressalien wurden entweder für die Verfehlungen eines Staates oder für die Verfehlungen seiner Staatsangehörigen erteilt, in letzterem Fall jedoch nur dann, soweit der Staat an der Verfehlung beteiligt war, indem er seine Angehörigen bei der Begehung der Verfehlung unterstützte oder sie für diese nicht bestrafte. Das schädigende Ereignis lag in der Regel in der Schädigung eines Angehörigen eines fremden Staates und somit in der Schädigung eines fremden Souveräns selber, der seinen Schutzfunktion gegenüber seinen Staatsangehörigen erfüllen musste.21 Die Repressaliennahme konnte sowohl positiv als auch negativ erfolgen. Bei der positiven Repressaliennahme wurde der Akt der Beutenahme durch den Geschädigten aktiv vollzogen, wohingegen bei der negativen Form eine Handlung verweigert wurde, die nach der ursprünglichen Rechtslage vorzunehmen war.22 Das Unrecht, zu dessen Wiedergutmachung die Repressaliennahme dienen sollte, musste unzweifelhaft bestehen und ein Antrag auf Wiedergutmachung vom gegnerischen Souverän abgelehnt worden sein23. ←18 | 19→In der untersuchten Literatur findet sich in diesem Zusammenhang häufig der Begriff der speziellen Repressaliennahme.24

Nicht mit der Repressaliennahme in Friedenszeiten zu vereinbaren war hingegen die generelle Repressaliennahme.25 Hierbei handelt es sich um die Beutenahme von Privaten durch bewaffnete Einheiten, um mehrere Akte der Reprisennahme zu vollziehen,26 ohne dass die Beutenehmer im Vorfeld selber ein Unrecht durch den betroffenen Staat oder seine Angehörigen erlitten hatten.27

Die Repressaliennahme in Friedenszeiten verlor bereits mit Beginn des 16. Jahrhunderts an Bedeutung,28 obwohl sie als effektives Mittel zur Schadenskompensation gesehen werden konnte. Der Grund hierfür lag in der Tatsache, dass die Repressaliennahme, die eigentlich dazu diente den Frieden zu sichern, in der Praxis oftmals zu einem Ausbruch des Krieges führte.29 Der fremde Souverän, der die Repressaliennahme als nicht gerechtfertigt ansah, ermächtigte seinerseits seine Untertanen zur Repressaliennahme, was dann wiederrum durch eine weitere Repressaliennahme beantwortet wurde. Dieser Teufelskreis endete schließlich im Ausbruch des Kriegszustandes, so dass sich die Repressalie selbst ihrer Existenzberechtigung als Friedenswahrer beraubte.

c. Das Kaperwesen

Um die Begrifflichkeit des Kaperwesens, wie sie in der europäischen Literatur verwendet wird, klar zu umreißen, soll zunächst die Definition dieses Rechtsbegriffes „vor die Klammer“ gezogen werden. Abgestellt wird hierbei auf das zeitgenössische Selbstverständnis. Hierbei gilt die folgende Definition für den gesamten Untersuchungszeitraum.

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Der Begriff des Kaperwesens beschreibt die staatlich ermächtigte Beutenahme in Kriegszeiten durch Privatpersonen auf See mit der Hauptintention, den Feind zu schädigen, seinen Seehandel zu unterbinden30 und finanziellen Gewinn zu machen.31 Sie war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts fester Bestandteil der maritimen Kriegsführung der europäischen Staaten32 und bildete eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Führung eines gerechten Krieges nur eine Angelegenheit zwischen Staaten, nicht aber zwischen Privaten war.

Kaperfahrer durften nach einer entsprechenden Ermächtigung durch ihren Souverän die hohe See, eigene und feindliche Gewässer befahren und dort alle Kriegs- und Kauffahrtsschiffe unter feindlicher Flagge aufbringen. Außerdem beinhaltete die Ermächtigung zur Kaperfahrt die Erlaubnis zum Anhalten und Durchsuchen neutraler Schiffe.33 Diese Anhalte- und Durchsuchungsrechte gingen mittelbar aus der Ermächtigung zur Aufbringung feindlicher Schiffe hervor, da auch feindliche Schiffe zur Täuschung des Kaperfahrers unter neutraler Flagge segeln konnten34 oder sich ein ursprünglich Neutraler durch die Verletzung des Neutralitätsgebotes selber zum Feind gemacht haben konnte, was im Einzelfall durch den Kaperfahrer zu überprüfen sein musste.

Der Kaperfahrer unterlag den Befehlen der Admiralität des ermächtigenden Souveräns. Zwar bekleidete er nicht die Stellung eines Marinesoldaten, genoss aber in gleichem Maße Ehre und Achtung und war ebenso den jeweils geltenden kriegs- und seerechtlichen Instruktionen unterworfen.35

Nach dem allgemeinem Völkerrecht stand die bei der Kaperfahrt gewonnene Beute grundsätzlich dem ermächtigenden Souverän zu, die Beute konnte aber auf Grund eines Bestandteils der staatlichen Ermächtigung in das Eigentum des Kaperfahrers übergehen.36 Das Abschließen einer solchen Vereinbarung entsprach in den europäischen Staaten der gängigen Praxis, da nur so privaten Seefahrer zur Übernahme der Kosten und Risiken einer Kaperfahrt ermutigt werden konnten.

Details

Seiten
200
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631850350
ISBN (ePUB)
9783631850367
ISBN (MOBI)
9783631850374
ISBN (Paperback)
9783631846797
DOI
10.3726/b18184
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (März)
Schlagworte
Völkergewohnheitsrecht Frühe Neuzeit Seebeutewesen Freibeuterei Piraterie Seekrieg Prisenrecht
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 200 S.

Biographische Angaben

Jeannette Haase (Autor:in)

Jeannette Haase ist Richterin am Landgericht Köln. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, an der auch diese Dissertationsschrift entstand.

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