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Hospizpädagogik

Pädagogisch handeln in der Sterbephase des Menschen

von Franziska Eckensberger (Autor:in)
©2021 Dissertation 300 Seiten
Reihe: Grundfragen der Pädagogik, Band 23

Zusammenfassung

Die Untersuchung über Aufgaben pädagogischer Fachkräfte in Hospizen sowie die Interaktion zwischen Pädagogen und Sterbenden, leistet einen wichtigen Beitrag, um die Bedeutung pädagogischen Handelns auch am Lebensende
zu veranschaulichen. Auf Basis mehrerer Interviews wird gezeigt, dass die Pädagogen wertvolle Arbeit leisten können, insbesondere dann, wenn sie den Menschen bei der fürsorglichen, gestalterischen und geselligen Begleitung
im Sterbeprozess immer auch als selbstbestimmtes, lernfähiges und freies Individuum anerkennen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Danksagung
  • Abbildungsverzeichnis
  • Tabellenverzeichnis
  • 1 Einleitung
  • 2 Problemaufriss: Das Verhältnis zum Sterben und Tod in der heutigen westlichen Gesellschaft
  • 2.1 Definition Sterben und Tod
  • 2.2 Institutionalisierung und Professionalisierung des Sterbens und Totenkult
  • 2.3 Sterben und Tod bei Kindern und Jugendlichen
  • 2.4 Sterben und Tod in den Medien
  • 2.5 Wege der Enttabuisierung
  • 2.5.1 Hospizidee und Hospizbewegung
  • 2.5.2 Death Education
  • 3 Sterben und Tod im wissenschaftlichen Kontext
  • 3.1 Entwicklung des Todeskonzeptes
  • 3.1.1 Todesvorstellungen bis zum 3. Lebensjahr
  • 3.1.2 Todesvorstellungen vom 3. bis 5. Lebensjahr
  • 3.1.3 Todesvorstellungen vom 6. bis 9. Lebensjahr
  • 3.1.4 Todesvorstellungen vom 10. bis 12. Lebensjahr
  • 3.1.5 Todesvorstellungen ab 12 Jahren
  • 3.1.6 Fazit Todeskonzept
  • 3.2 Der Sterbeprozess –​ wenn das Leben zu Ende geht
  • 3.2.1 Theorie der (Sterbe-​) Bewusstheitskontexte nach Glaser und Strauss
  • 3.2.1.1 Geschlossene Bewusstheit
  • 3.2.1.2 Argwöhnische Bewusstheit
  • 3.2.1.3 Bewusstheit der wechselseitigen Täuschung
  • 3.2.1.4 Offene Bewusstheit
  • 3.2.1.5 Fazit Bewusstheitskontexte
  • 3.2.2 Phasen des Sterbens nach Elisabeth Kübler-​Ross
  • 3.2.2.1 Phase 1 –​ Nichtwahrhabenwollen und Isolierung
  • 3.2.2.2 Phase 2 –​ Zorn
  • 3.2.2.3 Phase 3 –​ Verhandeln
  • 3.2.2.4 Phase 4 –​ Depression
  • 3.2.2.5 Phase 5 –​ Zustimmung
  • 3.2.2.6 Fazit Phasenmodell
  • 4 Methodische Vorgehensweise
  • 4.1 Begründung der qualitativen methodischen Vorgehensweise
  • 4.2 Datenerhebung mittels teilnarrativer Interviews
  • 4.3 Quantitative Erhebung als Grundlage
  • 4.4 Stichprobenauswahl
  • 4.5 Interviewleitfaden
  • 4.6 Datenauswertung mittels qualitativer Inhaltsanalyse
  • 4.6.1 Kategoriesystem
  • 5 Ergebnisse
  • 5.1 Tätigkeiten der Pädagogen im Hospiz
  • 5.1.1 Begleitung der An-​ und Zugehörigen
  • 5.1.2 Begleitung der Sterbenden
  • 5.1.3 Ehrenamtsarbeit
  • 5.1.4 Trauerarbeit
  • 5.1.5 Verwaltungsaufgaben und Öffentlichkeitsarbeit
  • 5.2 Handlungsformen in der Begleitung Sterbender
  • 5.2.1 Außerpädagogisches Handeln
  • 5.2.1.1 Physische Fürsorge
  • 5.2.1.2 Psychische Fürsorge
  • 5.2.2 Pädagogische Begleitmaßnahmen
  • 5.2.2.1 Gesellige Begleitmaßnahmen
  • 5.2.2.2 Gestalterische Begleitmaßnahmen
  • 5.2.3 Pädagogisches Handeln
  • 5.2.3.1 Vom Sterbenden veranlasst
  • 5.2.3.2 Initiierend
  • 5.3 Phasen des Sterbens nach Kübler-​Ross
  • 5.3.1 Phase 1: Nichtwahrhabenwollen
  • 5.3.2 Phase 2: Zorn
  • 5.3.3 Phase 3: Verhandeln
  • 5.3.4 Phase 4: Depression
  • 5.3.5 Phase 5: Zustimmung
  • 5.4 Fort-​ und Weiterbildungen
  • 5.5 Zusammenfassung der Ergebnisse
  • 6 Der Tod aus philosophischer und pädagogischer Perspektive
  • 6.1 Existenzphilosophie und Tod
  • 6.1.1 Karl Jaspers: Der Tod als Grenzsituation
  • 6.1.2 Martin Heidegger: Der Tod als zukünftige Möglichkeit der Unmöglichkeit des Daseins
  • 6.2 Pädagogische Wendung
  • 6.2.1 Otto Friedrich Bollnow: Der Tod und seine Bedeutung für das gegenwärtige Leben
  • 6.2.2 Eugen Fink: Der Tod als Grundphänomen menschlichen Daseins
  • 6.2.3 Zusammenfassung
  • 7 Bildung und Erziehung in Anbetracht des Todes
  • 7.1 Notwendigkeit und Möglichkeit einer frühen Erziehung und Unterrichtung über den Umgang mit Sterben und Tod
  • 7.1.1 Notwendigkeit auf persönlich-​individueller Ebene
  • 7.1.2 Notwendigkeit auf institutioneller Ebene
  • 7.1.3 Notwendigkeit auf gesellschaftlicher Ebene
  • 8 Pädagogisches Handeln in der Hospizarbeit
  • 8.1 Pädagogische Begleitmaßnahmen im Hospiz
  • 8.2 Grundsätze pädagogischen Handelns in der Hospizarbeit
  • 8.2.1 Prinzip der Anschaulichkeit
  • 8.2.2 Prinzip der Selbsttätigkeit
  • 8.2.3 Prinzip der Konzentration
  • 8.2.4 Prinzip der Synthese
  • 9 Schlussbemerkung
  • Literaturverzeichnis
  • Quellenverzeichnis
  • Anlagen A
  • A.1 Einverständniserklärung
  • A.2 Interviewleitfaden
  • A.3 Interviewprotokollbogen
  • A.4 Transkriptionsregeln
  • A.5 Kodierleitfaden

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1 Einleitung

„Nichts auf der Welt ist so sicher wie das Sterben. Wir können die Augen davor verschließen, aber wir werden sterben. Unsere Medizin kann den Tod hinausschieben, aber wir werden sterben. Wir können das Thema totschweigen, aber wir werden sterben. Wir können versuchen uns vor dem Thema zu drücken, aber wir werden sterben. Wir können uns dem Thema stellen, aber wir werden sterben. Nichts auf der Welt wird unser Sterben verhindern“ (Schäfer 2011, 12).

Sterben, Tod und Trauer sind feste Bestandteile des menschlichen Lebens. Sie beschäftigen Menschen in jedem Alter und in allen Lebenssituationen. Umso erschreckender ist es, dass sich die westliche Gesellschaft zu wenig mit ihnen auseinandersetzt. Themen, die früher als normal und selbstverständlich angesehen wurden, sind heute ein klares Tabu. Der Mensch weiß kaum noch etwas mit dem Tod anzufangen und das trotz der massiven Bekanntschaft, die er tagtäglich mit ihm macht. Unglücke, Kriege, Katastrophen, überall wird von ihnen berichtet: „Lawine tötet Skifahrer“, „Militärmaschine stürzt bei Trainingsflug ab“, „11 Tote bei einem Brand im Obdachlosenheim.“ Der Tod ist dem Menschen so nah wie nie zuvor. Durch die zweckrationalen Wissenschaften und die neusten Technologien sieht sich die Menschheit heute sogar im Stande, sich selbst durch einen Krieg mit Atomwaffen innerhalb kürzester Zeit zu vernichten. So entscheidet ein falscher Handgriff oder eine Unterschrift über das Schicksal von Tausenden. Jedem ist heute der Gedanke an solch eine Gefahr vertraut und dennoch fehlt es dem Menschen einer „guten“ eigenen Haltung dem Tod gegenüber und das häufig auch dann, wenn er unmittelbar vom Tod betroffen ist.

Die derzeit zu gering verortete Auseinandersetzung von Sterben und Tod zeigt sich auch in pädagogischen Handlungsfeldern wie Kindertagesstätten und Schulen, im Kontext von Alten- und Pflegeeinrichtungen und Hospizen sowie in der Erziehung ganz allgemein. Eine theoretische Auseinandersetzung der Thematiken Sterben und Tod mit Blick auf den Bildungs- und Erziehungsprozess am Ende jenes Lebens ist vor diesem Hintergrund notwendig. Denn so wie ein Mensch in die Welt hineingeführt und durch sie hindurchgeführt wird, so erscheint es pädagogisch geboten, ihn in seiner Schlussphase auch wieder aus der Welt hinauszuführen.

Der Kampf gegen den Tod ist allerdings Realität und verstellt nicht selten die Sicht auf die Bedürfnisse kranker oder sterbender Menschen und auf die Möglichkeiten ihrer Begleitung. Auch viele Begleiter1 wissen oft nicht, wie sie ←17 | 18→helfen sollen, fühlen sich gelegentlich ratlos und überfordert. Ängste und Sorgen sowie eine Vielzahl an Fragen treten zeitgleich auf und wirken sich lähmend auf die klare Handlungsfähigkeit aus (vgl. Specht-Tomann/Tropper 1998, 11). Dies trifft in einigen Fällen auch auf die pädagogische Arbeit in Hospizen zu. Aus Anlass der in dieser Arbeit zu klärenden Fragestellungen: „Wie sieht die Interaktion zwischen pädagogischen2 Fachkräften und sterbenden Menschen in stationären Kinder-, Jugend-, und Erwachsenenhospizen in Deutschland aus?“; „Wie helfen die Pädagogen dem Sterbenden, sich mit dem Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen, damit der Sterbende gegebenenfalls sein Schicksal annehmen kann?“ und „Was folgt daraus für die pädagogischen Mitarbeiter?“, wurden Interviews mit Pädagogen in stationären Hospizen geführt. Die Auswertung zeigt dabei diffuse Antworten seitens der pädagogischen Fachkräfte in den Kinder- und Jugendhospizen sowie in den Erwachsenenhospizen. Nicht selten bestehen Unklarheiten über den pädagogischen Auftrag in der Hospizarbeit und das auch auf Seiten der Pädagogen selbst. Die Aufgabenvielfalt ist groß, sie reicht von der Begleitung der Angehörigen und der Hospizgäste über die Qualifizierung und Betreuung ehrenamtlicher Mitarbeiter bis hin zu Verwaltungsaufgaben sowie Öffentlichkeits- und Trauerarbeit. Die Begleitung Sterbender spielt dabei bei den meisten Pädagogen eine eher untergeordnete Rolle. In einigen Fällen berichten die Fachkräfte auch, dass Gespräche über Sterben und Tod nicht zu ihrem Aufgabenbereich gehören, wodurch allerdings auch keine pädagogische Führung mit Blick auf die Selbstbestimmung am Lebensende gewährleistet werden kann. In den Vordergrund der täglichen Arbeit treten fürsorgliche, pflegerische Handlungen, gesellige Begleitmaßnahmen wie das Halten der Hand oder das gemeinsame Singen, um den Sterbenden vor Isolation zu schützen sowie gestalterische Maßnahmen in Form von Ritualarbeit, Malen, Basteln etc. Der pädagogische Führungsaspekt3 tritt hierbei nicht selten in den Hintergrund und ist den Fachkräften auch nicht immer bewusst. Dabei kann eine pädagogisch gebildete Person den Hospizgast, neben den wertvollen und ←18 | 19→wichtigen fürsorglichen-, geselligen- und gestalterischen Handlungsformen, ebenso dazu ermutigen, die Grenzen des eigenen Lebens zu erkennen und sich in sachlicher und sittlicher Hinsicht damit auseinanderzusetzen. Dies gelingt, indem der Pädagoge einen Dialog ermöglicht und dadurch eine Nähe zum Sterbenden herstellt, dass er aus mitmenschlicher Verbundenheit die Kraft und den Mut schöpfen kann, sich mit seinen Aufgaben, seinen Ängsten und Problemen sowie seinem bevorstehenden Schicksal auseinanderzusetzen.

Gründe für die dennoch nicht selten vorzufindende Orientierungslosigkeit, im Hinblick auf das pädagogische Handeln, können unter anderem die Verdrängung des Sterbens und des Todes in unserer westlichen Gesellschaft sowie die fehlende Verortung von Sterben und Tod im pädagogischen Kontext der Wissenschaft und der Praxis sein. Wird pädagogische Literatur gesichtet, bedarf es der „Spurensuche“, um brauchbare Inhalte der Auseinandersetzung von Pädagogik mit Sterben und Tod zu finden. Und so scheint es auf den ersten Blick auch nicht deutlich zu sein, dass die pädagogischen Grundbegriffe der Bildung, der Erziehung und des Unterrichts in enger Beziehung zum Tode stehen. Eine theoretische Auseinandersetzung mit den Thematiken Sterben und Tod unter pädagogischer Betrachtungsweise ist aus diesem Grund mehr als erforderlich. Diese wissenschaftliche Arbeit beginnt daher mit einem allgemeinen Problemaufriss, der zeigt, dass die Problematik des Todes in der westlichen Gesellschaft sowohl aus dem individuellen, dem familiären als auch aus dem gesellschaftlichen Denken weitestgehend ausgegrenzt und verdrängt wird. Die Verantwortung für die Versorgung und den Umgang mit kranken, sterbenden und verstorbenen Menschen kennt der Einzelne kaum, denn er gehört nur noch selten zu seinem Zuständigkeitsbereich. Sterben und Tod findet hauptsächlich im Verborgenen statt, in spezialisierten Institutionen wie Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern, Hospizen etc. Während früher erste Berührungen mit Sterben und Tod bereits im Kindesalter stattfanden, werden heutzutage besonders Kinder aus gutgemeinter Absicht von einer Auseinandersetzung mit Sterben und Tod ferngehalten, sie seien noch zu jung und man möge ihnen daher eine Konfrontation mit Sterben und Tod, mit Leid und Kummer ersparen. Die Institutionalisierung und Professionalisierung von Sterben und Tod, die Bedeutung der Themen in der kindlichen Lebenswelt sowie der Umgang mit der Thematik in den Medien nehmen vor diesem Hintergrund einen besonderen Stellenwert in diesem Kapitel ein und werden genauer betrachtet und beleuchtet. Neben dem starken Tabu lassen sich an einigen Stellen allerdings auch Entwicklungen verzeichnen, die auf eine Enttabuisierung von Sterben und Tod schließen lassen. Ein Beispiel hierfür ist die moderne Hospizidee, welche durch Cicely Saunders in den 1960er Jahren ins Leben gerufen wurde, einen multiprofessionellen Ansatz verfolgt und einen ←19 | 20→großen gesellschaftlichen und politischen Beitrag geleistet hat. Mitarbeiter mit einer pädagogischen Ausbildung spielen in einigen Hospizen in Deutschland bisher aber dennoch eine untergeordnete Rolle und lassen sich nicht überall wiederfinden. Dem multiprofessionellen Ansatz wird daher nicht überall Rechnung getragen. Da diese Arbeit auf das pädagogische Handeln in stationären Hospizen gerichtet ist, werden die Entstehung der Hospizbewegung sowie die Entwicklung der Death Education, welche bereits den ersten pädagogischen Aspekt dieser Arbeit herausstellt, ebenso intensiver beleuchtet und betrachtet.

Wenden sich die pädagogischen Fachkräfte in den Hospizen den sterbenden Menschen in wohlgemeinter, pädagogischer Absicht zu, ist es für sie immer auch hilfreich, sich gewisse Anhaltspunkte möglicher Verhaltensweisen zu verinnerlichen. In einem zweiten Schritt werden daher die Entwicklung von Todesvorstellungen, die Sterbebewusstheitskontexte nach Glaser und Strauss (1974) sowie das Phasenmodell des Sterbens nach Elisabeth Kübler-Ross (1977) in den Fokus der Arbeit gerückt, genauer dargestellt und reflektiert. Der Durchlauf durch die Entwicklung des Todeskonzeptes bei gesunden und erkrankten Kindern erscheint deshalb notwendig, da dieser einerseits aufzeigt, dass Sterben und Tod bereits in den kindlichen Vorstellungen existieren und daher auch frühzeitig in den Erziehungs- und Bildungsprozess integriert werden sollten. Andererseits bietet er den Pädagogen in den Hospizen einige Anhaltspunkte bezüglich möglicher Vorstellungen, um eine altersadäquate pädagogische Begleitung zu ermöglichen. Auf die Bewusstheitskontexte des Sterbens wird insofern zurückgegriffen, da sie den Sterbenden und seine Angehörigen sowie das Personal in den Hospizen und deren Arbeit maßgeblich beeinflussen können. Nicht selten kommt es vor, dass sogar von den Fachkräften verlangt wird, den bevorstehenden Tod von den Hospizgästen fernzuhalten. Wie mit solchen Situationen unter pädagogischem Aspekt umgegangen werden kann, soll ebenfalls in dieser Arbeit geklärt werden. Während seines Sterbeprozesses zeigen sich beim Sterbenden auch immer wieder unterschiedliche Verhaltensweisen, die von der heutzutage kritisch betrachteten Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross in ihrem Phasenmodell erarbeitet wurden. Während heute klar ist, dass der Sterbeprozess nicht nach einer klaren Abfolge verläuft, sich jegliche Verhaltensweisen wiederholen oder gar nicht auftreten können, wird dennoch Bezug zu Kübler-Ross genommen, da ihre beschriebenen Phasen grobe Anhaltspunkte für die Begleitung sterbender Menschen liefern können. Das Modell bietet zudem den theoretischen Bezugsrahmen für die anschließende empirische Untersuchung.

Um herauszufinden, wie die Interaktion von Pädagogen und Sterbenden in den verschiedenen Hospizen gelingt, ob und wie die Pädagogen den Sterbenden helfen, sich mit ihrem eigenen Schicksal auseinanderzusetzen, wurde ←20 | 21→mittels teilnarrativer Interviewbefragung erforscht. Und so widmet sich das vierte Kapitel der methodischen Vorgehensweise der empirischen Untersuchung und umfasst Inhalte über die Stichprobenauswahl, den Interviewleitfaden sowie die Erhebungs- und Auswertungsmethode. Die gewonnenen Ergebnisse werden in einem weiteren Schritt anhand verschiedener Kategorien dargestellt. Dabei werden zunächst die vorhandenen Aufgabenfelder aufgezeigt und erläutert und im Anschluss auf die verschiedenartigen Handlungsformen der pädagogischen Fachkräfte in den Hospizen eingegangen. Da das Handeln der Pädagogen nicht immer pädagogischer Natur ist, wird eine Unterteilung in außerpädagogisches Handeln, pädagogische Begleitmaßnahmen und pädagogisches Handeln vorgenommen. An dieser Stelle gilt allerdings darauf hinzuweisen, dass die verschiedenen Handlungsformen im hospizlichen Alltag oftmals ineinander übergehen und sich nicht immer eindeutig voneinander trennen lassen. Mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse wird dieses Kapitel letztendlich abgerundet.

Die Interviews haben gezeigt, dass die Pädagogen eine wertvolle Arbeit in den Hospizen leisten, der pädagogische Führungsaspekt bei den meisten pädagogischen Fachkräften allerdings zu kurz kommt und einige Pädagogen auch von eigenen Unklarheiten bezüglich ihrer pädagogischen Aufgaben in den Hospizen umgeben sind. Aus diesem Grund wird im nächsten Schritt das Wissen um die eigene Endlichkeit anhand zweier ausgewählter Philosophen (Jaspers und Heidegger) wieder in das Denken der Menschen zurückgerufen und der Tod zum Gegenstand gemacht. Der Mensch wird von den beiden beschriebenen Existenzphilosophen Jaspers und Heidegger als ein Wesen angesehen, das von Gefühlen, Stimmungen und Grunderfahrungen wie Verzweiflung, Angst, Schuld, Sorge, Gewissheit des Todes sowie von Sinnlosigkeit umgeben ist und erschüttert wird. Jaspers (1948) setzt sich anhand des Begriffes der Grenzsituation mit dem brüchigen Sein des Menschen auseinander, während Heidegger (1976) den Tod als eine ideale Möglichkeit des Daseins ansieht und das Dasein als „Sein zum Tode“ (Heidegger 1976, 253) kennzeichnet. Mit Heideggers Auffassung des menschlichen Daseins als „Sein zum Tode“ (ebd.) wird auch der Gedanke des Todes und der Endlichkeit für das pädagogische Verständnis von wesentlicher Bedeutung. Die philosophischen Gedanken, die das Wissen um die Endlichkeit wieder in das eigene Bewusstsein rufen, gehen zugleich mit einer Forderung einher, das Sterben und den Tod auch als Aufgabe des Menschen anzuerkennen und herauszuarbeiten. Die pädagogischen Grundbegriffe der Erziehung, der Bildung und des Unterrichts stehen daher in enger Beziehung zum Tode und so sollte auch die Endlichkeit mit ins pädagogische Denken hineingenommen werden. Um die Aufgabenhaftigkeit der Pädagogik angesichts des Todes zu verdeutlichen, ←21 | 22→wird in einem weiteren Schritt Bezug auf die beiden Pädagogen Bollnow und Fink genommen. Die Auswahl der Literatur soll dabei die Motive und den Sinn für das pädagogische Handeln in Anbetracht des Todes verdeutlichen. Während Bollnow (1978) sich die Frage stellt: Welche Bedeutung die Gewissheit des Menschen sterben zu müssen für sein gegenwärtiges Leben hat, wenn er ihr nicht ausweicht, sondern ihr ehrlich ins Auge blickt? (vgl. Bollnow 1978, 31f.), sieht Fink (1995A) den Tod als ein Grundphänomen menschlichen Daseins, das in das Leben des Menschen integriert werden muss. Denn der Mensch hat weder die Freiheit noch die Wahl, sich nicht zu seinem Tode zu verhalten. Der Sinn des Lebens, die Existenz und der Tod wirken sich auf das menschliche Handeln aus, wodurch auch das pädagogisch verantwortete Handeln eines Menschen in Anbetracht des Todes nicht von unerheblicher Bedeutung sein dürfte. Sowohl in der pädagogischen Arbeit im Hospiz als auch in pädagogischen Kontexten allgemein, sollten sich die pädagogischen Fachkräfte immer auch die Kernfrage stellen: Welche Forderungen ergeben sich vor dem Hintergrund des Todes für das gesamte pädagogische Denken? Die Unausweichlichkeit des Todes muss in das Denken mit hineingenommen werden, sprich jegliches pädagogisches Denken hat den Tod grundsätzlich mitzufragen (vgl. Zöpfel 1967, 9).

Details

Seiten
300
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631859407
ISBN (ePUB)
9783631859414
ISBN (Hardcover)
9783631859391
DOI
10.3726/b18679
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (September)
Schlagworte
Sterben Tod Hospiz Selbstbestimmung Gegenwartsbedeutung Sterbebegleitung Trauer Führung Pädagogik Geltungsansprüche
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 300 S., 7 s/w Abb., 9 Tab.

Biographische Angaben

Franziska Eckensberger (Autor:in)

Franziska Eckensberger studierte Allgemeine Pädagogik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), wo auch ihre Promotion erfolgte. Sie arbeitet als Pädagogin in der Hospizarbeit und führt Schulungen im Bereich Palliative Care und Trauerarbeit durch.

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