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Sexualität als Rätsel

Fallstudien zur Darstellung der Ambiguität des Geschlechtlichen in der antiken Literatur

von Anja Glaab (Autor:in)
©2021 Dissertation 360 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit untersucht das Motiv der Sexualität als Rätsel und seine Verarbeitung in der antiken Literatur. Ein Fokus liegt auf der römischen Epigrammatik, wobei die Autorin die betrachteten Epigrammsammlungen auf Verrätselungsstrategien bezogen auf sexuelle Sachverhalte hin durchsucht und diese Strategien nach Arten der Verrätselung kategorisiert. Eine Wortuntersuchung systematisiert außerdem die Anwendung von Rätselvokabular auf sexuelle Sachverhalte in der griechischen und römischen Literatur insgesamt. Abgerundet wird die Untersuchung durch eine Auseinandersetzung mit der Sphinxfigur und ihrer bildhaften Anwendung auf sexuelle Sachverhalte im Rahmen eines monographischen Kapitels.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Danksagung
  • Inhalt
  • Abkürzungsverzeichnis
  • I. Einleitung
  • 1. Theoretische Einführung
  • 1.1 Rätsel: Definition und Terminologie
  • 1.2 Rätsel und Metapher
  • 1.3 Ambiguität der Sprache
  • 1.4 Arten von Rätseln und Verbindung zum Symposion
  • 1.5 Rätsel und Epigramm
  • 1.6 Rätsel und Sexualität
  • 2. Forschungsstand
  • 3. Gliederung der Arbeit
  • II. Hauptteil
  • 1. Martial 1.90
  • 1.1 Text118 und Übersetzung
  • 1.2 Einzelkommentierung
  • 1.3 Strukturelle Analyse
  • 1.4 Interpretationsfragen
  • 1.4.1 Verrätselung des ὄλισβος
  • 1.4.2 Funktion des Rätsels
  • 2. Nikarch POxy. 4502 fr. 4
  • 2.1 Text172 und Übersetzung
  • 2.2 Einzelkommentierung
  • 2.3 Strukturelle Analyse
  • 2.4 Interpretationsfragen
  • 2.4.1 Funktion des Rätsels
  • 2.5 Vergleich mit Mart. 1.90
  • 2.5.1 Das Verhältnis der beiden Epigramme
  • 3. Anaxilas fr. 22.22-31 K.-A.
  • 3.1 Text204 und Übersetzung
  • 3.2 Einzelkommentierung
  • 3.3 Strukturelle Analyse
  • 3.4 Interpretationsfragen
  • 3.4.1 Worum geht es in dem Rätsel?
  • 3.4.2 Funktion des Rätsels
  • 3.5 Vergleich
  • 3.5.1 Vergleich mit Nikarch POxy. 4502 fr. 4
  • 4. Weitere relevante Epigramme Martials
  • 4.1 Thematisierung des verrätselnden Sprechens
  • 4.1.1 Mart. 3.68
  • 4.1.2 Mart. 12.35
  • 4.2 Rätselepigramme
  • 4.2.1 Mart. 2.49
  • 4.2.2 Mart. 9.67
  • 4.2.3 Mart. 9.69
  • 4.2.4 Mart. 10.75
  • 4.2.5 Mart. 10.81
  • 4.3 monstrum
  • 4.3.1 Mart. 7.67
  • 4.4 Doppeldeutigkeit eines Wortes
  • 4.4.1 Mart. 2.31
  • 4.4.2 Mart. 3.80
  • 4.4.3 Mart. 3.97
  • 4.4.4 Mart. 7.62
  • 4.4.5 Mart. 7.70
  • 4.4.6 Mart. 7.75
  • 4.4.7 Mart. 11.62
  • 4.5 Verrätselung durch Metaphorik
  • 4.5.1 Mart. 10.90
  • 4.5.2 Mart. 11.51
  • 4.6 Verwendung von Rätselvokabular
  • 4.6.1 Mart. 3.71
  • 4.7 Obszöne Lösung eines Rätsels
  • 4.7.1 Mart. 2.84
  • 4.7.2 Mart. 7.57
  • 4.7.3 Mart. 11.47
  • 4.8 Verrätselung durch Nichtaussprechen
  • 4.8.1 Mart. 2.28
  • 4.8.2 Mart. 2.47
  • 4.8.3 Mart. 9.27
  • 4.8.4 Mart. 11.45
  • 4.9 Fazit
  • 5. Catull
  • 5.1 Einleitung
  • 5.2 Rätselepigramme
  • 5.2.1 Catul. 113
  • 5.2.2 Die Gellius-Gedichte
  • 5.2.3 Catul. 78
  • 5.3 Doppeldeutigkeit eines Wortes
  • 5.3.1 Catul. 100
  • 5.3.2 Catul. 112
  • 5.4 Verrätselung durch Metaphorik
  • 5.4.1 Catul. 15
  • 5.4.2 Catul. 28
  • 5.5 Fazit
  • 6. Carmina Priapea
  • 6.1 Thematisierung des verrätselnden Sprechens
  • 6.1.1 CP 3
  • 6.1.2 CP 38
  • 6.2 Buchstaben- und Silbenrätsel
  • 6.2.1 CP 7
  • 6.2.2 CP 54
  • 6.2.3 CP 67
  • 6.3 Doppeldeutigkeit eines Wortes
  • 6.3.1 CP 15
  • 6.3.2 CP 24
  • 6.4 Verrätselung durch Metaphorik
  • 6.4.1 CP 25
  • 6.5 Verwendung von Rätselvokabular
  • 6.5.1 CP 43
  • 6.6 Obszöne Lösung eines Rätsels
  • 6.6.1 CP 68
  • 6.7 Fazit
  • 7. Anthologia Palatina
  • 7.1 Rufinus AP 5.36
  • 7.2 Lukillios AP 11.139
  • 7.3 Adesp. AP 11.222
  • 7.4 Nikarch II. AP 11.252
  • 7.5 Adesp. AP 14.43
  • 7.6 Fazit
  • 8. Ausonius
  • 8.1 Einleitung
  • 8.2 Epigramme
  • 8.2.1 Auson. 79
  • 8.2.2 Auson. 82
  • 8.2.3 Auson. 83
  • 8.2.4 Auson. 84
  • 8.2.5 Auson. 85
  • 8.2.6 Auson. 86
  • 8.2.7 Auson. 87
  • 8.3 Cento Nuptialis
  • 8.3.1 Die Abschnitte vor der Imminutio
  • 8.3.2 Die Imminutio
  • 8.3.3 Der Epilog nach der Imminutio
  • 8.4 Fazit
  • 9. Historia Apollonii regis Tyri
  • 10. Wortuntersuchung
  • 10.1 prodigi(os)um
  • 10.2 aenigma
  • 10.3 monstrum
  • 10.4 ambiguus
  • 10.4.1 Exkurs: Ambiguität des Geschlechts
  • 10.5 Fazit
  • 11. Die Sphinx
  • 11.1 Geschichte der Sphinx und ihres Rätsels
  • 11.2 Griechische und römische Literatur
  • 11.2.1 Mischwesenhaftigkeit
  • 11.2.2 Rätselhaftigkeit
  • 11.2.3 Ungeheuerlichkeit
  • 11.2.4 Gefährlichkeit
  • 11.3 Fazit
  • 11.4 Ein verwandtes Wesen – der Minotaurus
  • III. Synthese
  • Literaturverzeichnis

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I. Einleitung

1. Theoretische Einführung

1.1 Rätsel: Definition und Terminologie

Die Präsenz des Rätsels im Leben des Menschen – sowohl im Alltag als auch in der Literatur – lässt sich weit zurückverfolgen: Die ältesten schriftlich überlieferten Rätsel stammen aus dem Orient des 3. und 2. Jt. v. Chr (Lagaš, Ur und Nippur)1, und auch im Rigveda, einem der ältesten Literaturdenkmäler der Menschheit (ca. 1500–1000 v. Chr.), werden bereits Grundfragen des menschlichen Lebens in Form von Rätselliedern besungen. Die Bedeutung des Rätsels in der Antike zeigen beispielsweise die Rätselsprüche Heraklits (um 500 v. Chr.) und natürlich Sophokles’ König Ödipus (429–425 v. Chr.), wobei die literarische Rätseltradition der Griechen bereits im 8. Jh. v. Chr. mit Homer beginnt, der die Rätsel der Chimäre (Il. 6.181-2) und des Jahres (Od. 12.127-31) überliefert2. Dass sich das Rätsel auch in Rom großer Beliebtheit erfreute, verdeutlicht die Überlieferung vieler lateinischer Rätsel beispielsweise durch Vergil (Ecl. 3.104-7), Ovid (Fast. 3.339-46), Gellius (12.6.1-3) und den Autor der Historia Apollonii Regis Tyri (4 und 42-3)3. Auch der spätantike Autor Ausonius (4. Jh. n. Chr.) beschäftigte sich gleich in zwei Werken – nämlich dem Griphus sowie dem Technopaignion – mit dem Rätsel, was das anhaltende Interesse am Rätsel bis in die späte Kaiserzeit belegt4.

In der Antike existierten zwei unterschiedliche Rätselbegriffe, die durch die Wörter αἴνιγμα (lat. aenigma) und γρῖφος – dessen lateinische Entsprechungen griphus und scirpus sich nicht durchgesetzt haben – bezeichnet wurden5. Die Begriffe αἴνιγμα und γρῖφος sind nicht ganz trennscharf voneinander abzugrenzen und wurden mitunter synonym verwendet6. Wird eine Unterscheidung vorgenommen, so fallen unter den Begriff αἴνιγμα dunkle, rätselhafte ←19 | 20→Ausdrücke und große Rätselfragen wie das Rätsel des Lebens, das Rätsel Gottes etc.7, während das Wort γρῖφος eher spielerische Rätselfragen wie etwa Buchstaben- und Zahlenspiele8 bezeichnet, die bspw. der Unterhaltung dienen können9.

Auch etymologisch gibt es bereits diesen Unterschied: Das Wort αἴνιγμα ist herzuleiten von αἶνος (‚Fabel‘), das einen „(etwas anderes, eigentlich Gemeintes ‚symbolisch‘ andeutende[n]) Ausspruch10 und auch ein Rätsel11 bezeichnen kann. Die Wörter γρῖπος/γρῖφος (urspr. ‚Fischernetz‘) und scirpus (urspr. ‚Binse‘) hingegen bezeichnen wohl beide ursprünglich die ‚Verwickeltheit‘ eines Gewebes, was dann auf die ‚Verwickeltheit‘ eines Rätsels übertragen wurde12. Etymologisch gesehen betont das Wort αἴνιγμα also eher die Tiefe der Bedeutung, γρῖφος bzw. scirpus hingegen eher die rätselhafte Form13.←20 | 21→

In Einklang mit der Vorstellung von der ‚Verwickeltheit‘ des Rätsels wird dessen ‚Lösen‘ im Lateinischen durch das Verbum solvere bezeichnet14 – man bedient sich also der Metaphorik des Knotens, was in der spätantiken Historia Apollonii regis Tyri durch die Bezeichnung nodos absolvere (Hist. Apoll. 41) für das Lösen der Rätsel explizit wird15. Auch nectere (‚flechten‘) in Sen. Oed. 92 Sphinga caecis verba nectentem modis und Phoen. 119-20 ubi sedit alta rupe semifero dolos / Sphinx ore nectens geht in diese Richtung, und im Griechischen gibt es die entsprechende Vorstellung in Plu. 988.a Σφίγγα … αἰνίγματα καὶ γρίφους πλέκουσαν. Im Regelfall scheint diese Metaphorik hingegen für das Stellen des Rätsels ansonsten nicht verwendet worden zu sein – gewöhnlich wurde es als προβάλλειν γρίφους oder – seltener – als ποιεῖν γρίφους bezeichnet16.

Erstmals begegnet das Wort αἴνιγμα in der Bedeutung eines Rätsels bei Pindar, welcher das Rätsel der Sphinx αἴνιγμα παρθένοι’ ἐξ ἀγριᾶν γνάθων (fr. 177.d Snell-Maehler) nennt17. Bei dem Wort denkt man häufig zuallererst an das berühmteste aenigma überhaupt, nämlich das der Sphinx18. Dieses wird nicht nur in Mart. 1.90.9 (Thebano aenigmate)19, sondern auch ansonsten in der Literatur bevorzugt durch den Terminus aenigma/αἴνιγμα20 bezeichnet.

1.2 Rätsel und Metapher

Während heute mit dem Begriff ‚Rätsel‘ eine „verschlüsselte Frage als literarische Kleinform“21 bezeichnet wird, zählte in der Antike das αἴνιγμα bzw. aenigma zu den rhetorischen Figuren und Tropen: Von der Rhetorik des ←21 | 22→Aristoteles über Ciceros De Oratore und Quintilians Institutio Oratoria lebt der Begriff bis hin zu Donats Ars maior fort, wo die Trope aenigma als eine der sieben Arten der Allegorie klassifiziert wird22.

Laut der rhetorischen Theorie ist das Rätsel „eine nichtironische […] Allegorie, deren Beziehung zum gemeinten Ernstsinn besonders undurchsichtig ist23. Ähnlich wie bei einer Metapher24 wird der zu verrätselnde Gegenstand bei einem Rätsel durch eine Form des uneigentlichen Sprechens verrätselt. Die Ähnlichkeit zwischen Rätsel und Metapher wird auch in der antiken Theorie schon explizit benannt: So warnt Aristoteles in seiner Poetik davor, dass ein Text, der zu viele Metaphern enthalte, leicht zu einem Rätsel werden könne25, und auch Quintilian spricht dieselbe Warnung aus26: ut modicus autem atque ←22 | 23→opportune eius <scil. metaphorae> usus illustrat orationem, ita frequens et obscurat et taedio complet, continuus vero in allegorias et aenigmata exit (Quint. Inst. 8.6.14-6). Laut der ältesten und verbreitetsten Metapherntheorie, der des Aristoteles, wird bei der Metapher mit Hilfe der ‚Übertragung eines anderen Wortes (ὀνόματος ἀλλοτρίου ἐπιφορά)‘ ein Wort durch ein anderes ersetzt27. Der Unterschied zwischen Rätsel und Metapher besteht hauptsächlich darin, dass die Metapher ausschließlich auf der Sondersprache beruht, das Rätsel hingegen Gemein- und Sondersprache zusammenführt: So sind etwa beim Sphinxrätsel die Formulierungen „auf drei Beinen“ und „auf vier Beinen“ Formen der metaphorischen Sondersprache, da damit das Laufen mit einem Stock bzw. das Krabbeln eines Babys gemeint sind, die Formulierung „auf zwei Beinen“ hingegen wird gemäß ihrer Bedeutung in der Gemeinsprache verwendet28. Während die Wirkung der Metapher auf dem Wort beruht, beruht die des Rätsels – wie auch die der Allegorie – auf der oratio, d.h. einer Folge von Wörtern29.

Rätsel und Metapher sind also eng verwandt. Der Ähnlichkeitsgrad zwischen der metaphorischen Bezeichnung und dem Bezeichneten30 entscheidet über die Funktion der Metapher: Ist der Ähnlichkeitsgrad hoch, kann die Metapher eine illustrierende (d.h. den Sachverhalt verdeutlichende) Funktion haben31, ist er hingegen niedrig, eine verdunkelnde (d.h. den Sachverhalt verhüllende). Aristoteles spricht sich in seiner Rhetorik dafür aus, Metaphern zu verwenden, die nicht zu offensichtlich sind, da es ja auch in der Philosophie Zeichen eines scharfsinnigen Verstandes sei, Ähnliches in weit auseinander ←23 | 24→liegenden Dingen zu erkennen32. So sei es für den Hörer offensichtlicher, dass er etwas gelernt habe, wenn die Schlussfolgerung seinen Erwartungen widerspricht und er erkennt, dass er vorher falsch lag33 – und das gleiche gelte auch für gute Rätsel34. Die Bedeutung des niedrigen Ähnlichkeitsgrades in Bezug auf das aenigma betont auch der Grammatiker Donat (aenigma est obscura sententia per occultam similitudinem rerum, Don. gramm. 4.401-2) und führt dazu das Beispiel mater me genuit, eadem mox gignitur ex me („Die Mutter hat mich hervorgebracht, und dieselbe wird bald aus mir hervorgebracht“) an: Der Satz erscheint zunächst als Paradox, da es nach der Bedeutung von ‚Mutter‘ in der Gemeinsprache unmöglich ist, dass diese erneut von ihrem ‚Kind‘ hervorgebracht wird. Die Metapher trägt also dazu bei, den Satz auf den ersten Blick unverständlich erscheinen zu lassen, was dem Vorgehen entspricht, das Aristoteles in seiner Poetik beschreibt: Die Natur eines Rätsels sei es, Reales auszudrücken, indem man Unmögliches zusammenfügt, was mit Hilfe von Metaphern geschehen könne35. Um auf die Lösung (‚ich = Eis‘) zu kommen, muss man die ungewöhnliche Metapher ‚Mutter = Wasser‘ entschlüsseln, was aufgrund des geringen Ähnlichkeitsgrades zwischen Mutter und Wasser einiges Nachdenken erfordert36. Es wird somit deutlich, dass in der Antike – mehr als heute37 – die schwer verständliche Metapher als entscheidender Bestandteil des Rätsels galt. Die Metapher als „brevitas-Form des Vergleichs”38 ist zudem durch ihre ←24 | 25→brevitas auch an sich schon ‚dunkler‘ als dieser und stellt „an die Aufnahmefähigkeit des Publikums höhere Ansprüche“39.

In der neueren Literaturwissenschaft hat ein wachsendes Interesse an der Metapher zur Entstehung zahlreicher neuer Metapherntheorien beigetragen40, und die Metapher wird nicht mehr wie bei Aristoteles als etwas vom normalen Sprachgebrauch Abweichendes, sondern als „das allgegenwärtige Prinzip der Sprache“41 verstanden. Auch in der kognitiven Metapherntheorie gelten Metaphern als eine der wesentlichen Strukturierungen des Denkens42. Der Rätselbegriff spielt in diesen neueren Theorien insgesamt weniger eine Rolle.

1.3 Ambiguität der Sprache

Wodurch Rätsel und Metapher ermöglicht werden, ist die Mehrdeutigkeit, also Ambiguität, der Sprache, und in der Tat wurde auch in der Antike das aenigma schon mit dem Begriff ambages assoziiert, wie eine Stelle bei Quintilian zeigt, an der er die Tatsache, dass ein Wort ambiguus sein kann, d.h. mehrere, auch gegensätzliche Bedeutungen haben kann (Quint. Inst. 6.3.50 Nec plura modo significari solent, sed etiam diversa), mit dem aenigma in Verbindung (Quint. Inst. 6.3.51 Pervenit res usque ad aenigma) bringt. Mit der Ambiguität der Sprache wird insbesondere in der Dichtung43 gearbeitet, und vor allem das Epigramm ist aufgrund seines Rätselcharakters geradezu darauf ausgelegt, gegen Ende hin einen ‚Aufschluss‘ (wie Lessing es formuliert) zu liefern, der etwa in der unerwarteten Doppeldeutigkeit eines Wortes bestehen kann44. In der Tat ist die Doppeldeutigkeit eines Wortes eine Art des verrätselten Sprechens, die gerade in der obszönen Dichtung eine besonders prominente Rolle einnimmt ←25 | 26→(meist in der Weise, dass ein Wort sowohl obszön als auch nicht obszön verstanden werden kann)45.

Gegensatz zum verrätselten Sprechen ist das direkte, unverblümte Sprechen, das im Lateinischen als simplicitas bezeichnet wird. Die Romana simplicitas (im Sinne eines nicht unnötig umschreibenden Ausdrückens der Dinge) wird als spezifisch römische Tugend verstanden46. Die griechische Entsprechung zu simplex ist ἁπλοῦς, und tatsächlich wurde auch dieser Begriff schon in der hier interessierenden Bedeutung ‚unverblümt‘ verwendet47. Ein Beispiel ist A. fr. 176 Radt: ἁπλᾶ γάρ ἐστι τῆς ἀληθείας ἔπη, später imitiert bei Euripides und Seneca48. Im Griechischen existierte also ein Konzept der ἁπλότης49, das als Vorbild für das römische Konzept der simplicitas gelten kann, von den Griechen jedoch nie als spezifisch griechisch empfunden wurde50.

1.4 Arten von Rätseln und Verbindung zum Symposion

Der Rätselsteller befindet sich durch sein Wissen in einer Machtposition. Diese reicht teilweise so weit, dass er über Leben und Tod des Rätsellösers entscheiden kann (sog. ‚Halslöserätsel‘). Die spezifische Rolle des Rätselstellers wird mitunter dadurch symbolisiert, dass er selbst zum Rätsel wird, wie es etwa bei der Sphinx der Fall ist, die nicht nur Rätsel stellt, sondern durch ihre Mischwesenhaftigkeit zwischen Mensch und Tier auch selbst ein Rätsel ist. Die Rätselhaftigkeit des Rätselstellers schlägt sich auch in einer noch direkteren Weise in der Form nieder, nämlich dann, wenn ein ‚Ich‘ spricht, das zugleich das zu erratende Objekt ist – eine Form, die insbesondere im griechischen Epigramm häufig ist und wohl auch als griechische Innovation gelten kann51.

←26 | 27→

Der Rätsellöser hingegen muss mit Hilfe von Bildung und Phantasie beweisen, dass er fähig ist, das Rätsel zu lösen52. Dieser Aspekt ist in der Antike im Zusammenhang mit den Mysterien von Bedeutung, an denen nur Eingeweihte teilnehmen konnten, die ganz spezielle Voraussetzungen erfüllten, und auch das Wort μυστήριον wurde ja als alternative Bezeichnung für ‚Rätsel‘ verwendet53. Das ‚Lösen‘ eines Rätsels im Sinne eines Auslegens und Deutens eines Textes erfährt vor allem im Mittelalter durch die Bibelexegese einen erneuten Aufschwung54: Der Metaphernbegriff wird bei Thomas von Aquin dahingehend erweitert, dass die Metapher nicht nur einen sprachlichen Tropus bezeichnet, sondern auch ein allegorisches und von der Sprache losgelöstes Bild, d.h. ein „sinnlich-konkretes Zeichen oder Symbol, das auf einen ‚tieferen‘, ja geheimnisvollen und nur dem Wissenden und Eingeweihten zugänglichen Sinn verweist, der zugleich seinsmäßig ‚höher‘ steht“55.

Die große Bandbreite von Rätseln reichte in der Antike von den sogenannten ‚Halslöserätseln‘ (wie etwa dem Sphinxrätsel) bis zu harmlosen Rätselspielen, die der Unterhaltung dienten. Einen sozialen Rahmen für das Rätsel bot neben der Schule56 – wo eine Aufgabe gestellt wird, die gelöst werden muss – vor allem das Symposion57. Beim Symposion – und dementsprechend auch in der Symposienliteratur58 – spielte das Rätsel vor allem in der Klassik und im Hellenismus59 eine charakteristische Rolle als Zeitvertreib60. Der früheste Beleg dafür, dass bei Symposien das Rätselspiel gepflegt wurde, ist Ar. V. 20-361. In den Συμποσιακὰ τῶν ἑπτὰ σοφῶν Plutarchs, deren Sprache und Verse auf das ←27 | 28→Athen des 5. Jahrhunderts verweisen, unterhalten die Symposiasten einander durch das Stellen von Rätselfragen und das Finden neuer Lösungen. Wichtiges findet sich auch in den Deipnosophistai des Athenaios. Ein längerer Abschnitt über Rätsel (10.448b-459b) gibt Auskunft über Bedeutung und Art der Rätsel beim Symposion: Vor allem Rätsel in der Form des γρῖφος62 werden in ihrer Funktion als Unterhaltung beim Symposion geschildert und zitiert. Das Wort αἴνιγμα hingegen taucht nur selten auf. Auch in den überlieferten Skolia (PMG 884–917) finden sich Spuren von Rätselhaftem (andeutungshafte Formulierungen in PMG 902) und Obzönem (PMG 90463 und 905). Der Zusammenhang zwischen Symposion und Rätseldichtung wird außerdem durch einen Topos beglaubigt, der sowohl bei dem Rätseldichter Symphosius als auch bei Ausonius vorkommt64: Beide Autoren behaupten, die in ihren Werken vorkommenden Rätsel spontan bei einem Gelage gedichtet zu haben65.

1.5 Rätsel und Epigramm

Die Gattung des Epigramms ist sowohl mit dem Rätsel als auch mit dem Symposion aufs Engste verbunden und übernahm seit dem Ende des 4. Jh. v. Chr. die erotischen und philosophischen Inhalte der Gelagepoesie66. Das Epigramm ist durch seine in Erwartung und Aufschluss geteilte Struktur dem Rätsel sehr ähnlich und das Rätsel folgt sogar enger als manches Epigramm dieser typischen Epigrammstruktur67. Beim Symposion wurden traditionell sowohl Rätsel als ←28 | 29→auch Epigramme vorgetragen, und die Übergänge sind oft fließend68: Reitzenstein69 verweist auf das bei Ath. 10.457e geschilderte γρῖφος-Spiel, bei dem die Gäste des Symposions abwechselnd den mit einem bestimmten Anfangsbuchstaben beginnenden Namen eines der Helden des Trojanischen Krieges nennen mussten70. Da es alte Sitte war, der vor Troja gefallenen heimischen Krieger im Skolion zu gedenken, habe es für die alexandrinischen Dichter nahegelegen, das γρῖφος-Spiel dahin zu erweitern, dass jeder beim Gelage statt des einfachen Namens eine Grabaufschrift auf den betreffenden Heros vortrug. Auch im Epigramm als Lesedichtung ist also der Hintergrund des Symposions stets präsent, und natürlicherweise fand auch das Rätsel Eingang ins Epigramm, sodass das Rätselepigramm als Untergattung des Epigramms gelten kann71: Neben den in den Deipnosophistae des Athenaios72 überlieferten Rätselepigrammen findet sich die größte und wichtigste erhaltene Sammlung von griechischen Rätselepigrammen in der Anthologia Palatina73. Die Datierung der darin enthaltenen Rätsel ist schwierig zu bestimmen – es ist aber anzunehmen, dass einige der Rätsel bereits aus der Klassik oder gar der Archaik stammen74. Für eine ganze Reihe von Rätseln ist ein Alltagsgegenstand die Lösung, von denen viele dem Bereich des Symposions entstammen oder mit diesem assoziiert werden können75. Die Faktoren Wissen und Bildung waren nicht nur in Bezug auf Rätsel ←29 | 30→und Metapher, sondern auch in Bezug auf die Gattung Epigramm entscheidend und beeinflussten es insbesondere zur Zeit des Hellenismus76. Die frühesten Rätsel standen höchstwahrscheinlich ebenso wie die frühesten inschriftlichen Epigramme im Hexameter77. Auch Orakel waren in der Regel im reinen Hexameter abgefasst und besaßen meist Rätselform78. Die spätere Bevorzugung des elegischen Distichons hängt wohl sowohl im Falle des Rätsels als auch im Falle des Epigramms mit der Beliebtheit dieses Versmaßes beim Symposion zusammen und damit, dass sich das elegische Distichon als wichtigstes Metrum des Epigramms durchsetzte79.

1.6 Rätsel und Sexualität

Nicht nur angesichts des sympotischen Kontexts, in dem sowohl die Sexualität als auch das Rätsel eine Rolle spielten, ist es naheliegend, dass unter den vielfältigen Arten des Rätsels (sowohl des volkstümlichen als auch des literarischen) seit jeher die sexuellen und obszönen Rätsel einen festen Platz einnehmen. Als ‚obszön‘ gilt das, was Anstoß erregt, das Schamgefühl verletzt sowie sittliche Entrüstung hervorruft und „deshalb weder in Wort noch Bild öffentlich gezeigt werden soll“80. Das Wort selbst ist entlehnt vom lateinischen obscenus, ←30 | 31→das zu caenum (‚Schmutz, Schlamm, Kot, Unflat‘) gehört81, und entstammt also ursprünglich dem Fäkalbereich82. Obwohl das Wort auch heute noch diesen Bereich umfassen kann, wird es in dieser Arbeit – auch in Anschluss an einschlägige Forschungsliteratur83 – ausschließlich auf den Bereich der Sexualität bezogen verwendet, den das Wort schon in der Antike mit umfasste84.

In dieser Arbeit geht es zwar gleichermaßen um Sexualität wie um Obszönität, aber bei der hier untersuchten Fragestellung nach dem Zusammenhang zwischen Sexualität und Rätsel liegt es in der Natur der Sache, dass diese Verbindung meist den speziellen Bereich der Obszönität betrifft: Denn während schon die Sexualität an sich ein Thema ist, das sich zur Verrätselung eignet85, sind dies insbesondere auch die Arten von Sexualität, die Anstoß erregen, d.h. nicht toleriert sind, da sie einen Aspekt des Unaussprechlichen und Unverständlichen enthalten. Zu einem großen Teil geht es also um Perversion oder das, was dafür gehalten wird. In der antiken Gesellschaft ist dies alles, was dem gängigen Verhaltenskodex widerspricht, den es wie für andere Bereiche so auch in Bezug auf die Sexualität gab: Denn auch in diesem Bereich herrschten ganz spezifische Verhaltenserwartungen an die verschiedenen Mitglieder der Gesellschaft, wobei insbesondere auf die Wahrung der Rollenbilder von Mann und Frau großen Wert gelegt und deren Missachtung scharf kritisiert wurde. Wenn hingegen die gewohnte Einteilung von Männlich und Weiblich durchbrochen wird, indem ein rollenuntypisches Verhalten ausgeübt wird, entsteht eine Ambiguität dieser gewohnten Geschlechterrollen – und ein Ausdrücken dieser Ambiguität mit Hilfe einer Ambiguität der Sprache liegt nahe, sodass sich der Rückgriff auf die Verrätselung auch von dieser Seite her einleuchtend erklärt.

Bei der Verrätselung nicht tolerierten Sexualverhaltens spielt jedoch außerdem eine zentrale Rolle, dass viele der nicht tolerierten Sexualpraktiken in der ←31 | 32→Gesellschaft der Antike einem Tabu86 unterlagen – d.h., dass diese Dinge weder ausgeführt noch über sie gesprochen werden sollte. An diesem Punkt wird die Bedeutung des Rätsels im Euphemismus87 (zur Bemäntelung des Obszönen) deutlich, denn die Verrätselung in der Sprache dient hier dem Bedürfnis, diesem Tabu gerecht zu werden und die dem Tabu unterliegenden Sachverhalte durch einen Euphemismus zu umschreiben. So betont etwa der Auctor ad Herennium explizit die Möglichkeit, durch die Verwendung einer Metapher obszöne Ausdrücke vermeiden zu können88, und der Psychologe Heinz Werner (1890–1964) geht in seiner entwicklungspsychologischen Untersuchung ‚Die Ursprünge der Metapher‘ (1919) davon aus, dass das metaphorische Bewusstsein eben aus dieser Notwendigkeit entstanden sei, sich auf tabuierte Objekte zu beziehen und doch gleichzeitig so tun zu müssen, als ob man sich nicht auf sie bezöge; die Metapher sei nämlich eine „doppelzüngige“ Sprachform, mit der man zugleich lügen und die Wahrheit sagen könne, in ihr komme ein „zwiespältiges Streben des Verhüllens und Enthüllens“ zum Ausdruck, sie sei eine Form der „offenen Heimlichkeit“89.

Beispiele für sexuelle und obszöne Rätsel lassen sich aus allen Zeiten anführen: Vom altindischen Atharaveda (20.133-4) über das Straßburger Rätselbuch (ab 1500), Wossidlos Sammlung von Volksrätseln (1897), die „hessischen Spinnstuben der Vorkriegszeit“90, bis in die heutige Zeit. Aktuelle Beispiele für den Typus ‚Volksrätsel‘ lassen sich etwa im Internet unter dem Suchbegriff ‚Scherzfragen für Erwachsene‘ finden. Die möglichen Arten von Rätseln sind wiederum sehr unterschiedlich: Das ‚Rätsel der Sexualität‘ kann in Form eines Rätsels kunstvoll ausgedrückt werden (Atharaveda), es kann ein Rätsel mit einer ‚doppelten Lösung‘ (obszöne Lösung, auf die der Fragende verfällt, harmlose, die der Fragesteller triumphierend auftischt)91 gestellt werden (Wossidlo), es kann eine (zunächst harmlos wirkende) Scherzfrage gestellt werden, die eine obszöne Lösung hat (‚Scherzfragen für Erwachsene‘) oder ein bekanntes (nicht ←32 | 33→obszönes) Rätsel kann in einen obszönen Zusammenhang gebracht bzw. umgedeutet werden.

Letzterer Fall spielt eine besondere Rolle in dieser Arbeit: Drei der zentralen behandelten Texte (Mart. 1.90, Nicarch. POxy. 4502 fr. 4 und Anaxil. fr. 22.22-31 K.-A., s. Kap. 1–3) bringen eines der berühmtesten Rätsel überhaupt, das Sphinxrätsel, in einen obszönen Zusammenhang. Diese Arbeit macht es sich zur Aufgabe, ausgehend von diesen drei Texten Strategien verrätselnden Sprechens bezogen auf sexuelle Sachverhalte in der antiken Literatur systematisch zu untersuchen. Hierbei soll die Untersuchung sich nicht nur darauf beschränken, solche Texte als relevant einzustufen, in denen sich ein aenigma im engeren Sinne oder die zum aenigma beitragende Phänomene Metapher und Doppeldeutigkeit nachweisen lassen, sondern der Rätselbegriff bewusst weit gefasst werden, indem das ganze Feld der verrätselnden und verhüllenden Ausdrucksweisen mit einbezogen wird.

2. Forschungsstand

Sowohl zur Sexualität als auch zum Rätsel in der Antike existiert bereits umfangreiche Forschungsliteratur. Auch der Zusammenhang zwischen beiden Bereichen ist in einzelnen Werken aus dem Bereich der Sexualität ebenso wie aus dem Bereich des Rätsels durchaus schon thematisiert worden. Dabei wurden jedoch meist nur für das jeweilige Werk relevante Teilbereiche des Themas beleuchtet.

Sexualität in der Antike ist ein etablierter Bereich der Forschung und blickt auf eine starke Forschungstradition zurück – man denke nur an die Standardwerke von Dover (Greek Homosexuality, erste Auflage London 1978, zweite Auflage Cambridge 1989) und Williams (Roman Homosexuality. Ideologies of Masculinity in Classical Antiquity, Oxford 1999) zur griechischen bzw. römischen Homosexualität. Hierbei handelt es sich um Realienforschung zur Homosexualität, und auch schon bei diesem Fokus auf das rein Sachliche wird deutlich, dass es Aspekte des Rätselhaften im Bereich der antiken Homosexualität gibt. Die beiden Autoren beschreiben eine Veränderung der Vorlieben im Hellenismus und nennen dafür griechische und auch römische Quellen: Während in der späten Archaik und frühen Klassik Darstellungen männlicher Homosexualität meist die männlichen Eigenschaften der beteiligten Partner betonen, sollte sich der ideale ἐρώμενος in der Knabenliebe insbesondere zur Zeit des Hellenismus an der Schwelle vom Jungen zum Mann befinden und das Alter des Bartwuchses noch nicht erreicht haben. Dies findet in der hellenistischen Dichtung nach dem 4. Jhd oft auch dahingehend seinen ←33 | 34→Niederschlag, dass ein ἐρώμενος oder bestimmte seiner Eigenschaften als weiblich bezeichnet werden92. Insofern ist der ἐρώμενος in der Knabenliebe ein im doppelten Sinne rätselhaftes Wesen: Das für den ἐραστής attraktivste Alter des ἐρώμενος gibt sowohl ein Rätsel bezüglich seiner Geschlechtszugehörigkeit auf als auch bezüglich seiner Zugehörigkeit zu Kindheit oder Erwachsenenalter – die Altersambiguität geht hier also in eine Ambiguität des Geschlechts über. Wie in Griechenland fanden auch in Rom die sexuellen Begegnungen zwischen Männern unterschiedlichen Alters statt93.

In der Antike war der Bereich der Sexualität auch eng mit der Institution des Symposions verknüpft. Nicht nur aufgrund dieses Zusammenhangs ist Letzteres für die Fragestellung dieser Arbeit überaus relevant, sondern darüber hinaus auch deshalb, da es ein Ort war, an dem intensiv das Rätselspiel gepflegt wurde94. Bremmer (Adolescents, Symposion, and Pederasty, in: O. Murray: Sympotica. A symposium on the Symposion, Oxford 1990, 135–48) beleuchtet, dass es neben der Sexualität mit Hetären auch beim Symposion insbesondere die Homosexualität war, die im Mittelpunkt stand.

Die literarische Verarbeitung des Motivs, insbesondere in der Epigrammatik, behandelt ausführlich Obermayer (Martial und der Diskurs über männliche „Homosexualität“ in der Literatur der frühen Kaiserzeit, Tübingen 1998). Dieser nennt zahlreiche antike Beispiele – u.a. auch von Martial – für Spottepigramme auf pathici unterschiedlichen Alters, von denen auch in einigen die Altersfrage als Ambiguität formuliert ist.

Auf das Vokabular konzentrieren sich die beiden Standardwerke von Adams (The Latin Sexual Vocabulary, London 1982) zur lateinischen bzw. Henderson (The Maculate Muse. Obscene Language in Attic Comedy, New York ²1991) zur griechischen Literatur, wobei Henderson nur die Alte Komödie behandelt. Beide Autoren beschäftigen sich auch intensiv mit sexueller Metaphorik, sagen sonst aber nichts explizit zur Verrätselung.

Auch zum Rätsel in der Antike existiert bereits umfangreiche Forschungsliteratur. Als das immer noch führende, bislang unübertroffene Standardwerk kann Ohlert (Rätsel und Rätselspiele der alten Griechen, Berlin ²1912) gelten, der auf knappem Raum erstaunlich reichhaltig Auskunft über das Phänomen ←34 | 35→in seinen bedeutsamen Facetten gibt. In jüngerer Zeit sind jedoch auch einige neuere beachtenswerte Arbeiten zum Rätsel mit Schwerpunkt auf der antiken Literatur erschienen. Der 2013 von Kwapisz/Petrain/Szymański herausgegebene Sammelband The Muse at Play. Riddles and Word-play in Greek and Latin Poetry enthält grundlegende Aufsätze zu Theorie und Praxis des Rätsels in der Antike: Hervorzuheben sind zum einen der Aufsatz von Luz What Has It Got in Its Pocketses? Or, What Makes a Riddle a Riddle?, der Aufschluss bietet über Rätselterminologie sowie Datierung antiker Rätsel, zum anderen der Aufsatz Were There Hellenistic Riddle Books? des Herausgebers Kwapisz, der sich mit der Bedeutung des Rätselratens beim Symposion zur Zeit des Hellenismus beschäftigt. Letzterer ist auch in dem 2016 von Sistakou/Rengakos herausgegebenen Band Dialect, Diction, and Style in Greek Literary and Inscribed Epigram mit einem Rätselbeitrag (When Is a Riddle an Epigram?) vertreten, in dem er sich mit dem literarischen Rätsel und dessen Verhältnis zum Epigramm beschäftigt. Eine weitere neuere Publikation ist Wohllebens 2014 erschienenes Buch Enigmatik – Das Rätsel als hermeneutische Grenzfigur in Mythos, Philosophie und Literatur, in dem sie neben Beispielen aus der neuzeitlichen Literatur auch auf antike Beispiele eingeht und außerdem zwischen verschiedenen Funktionen des literarischen Rätsels unterscheidet. Zur antiken Rätselterminologie sowie zur Rezeption des Sphinx-Motivs in der neuzeitlichen Literatur, Kunst und Psychoanalyse bietet außerdem Cooks Buch Enigmas and Riddles in Literature (2006) fundierte Informationen.

Zum Epigramm als Rätselgattung und dessen Verbindung mit dem Symposion äußert sich Nisbet (Greek Epigram in the Roman Empire: Martial’s Forgotten Rivals, Oxford 2003). Er zeigt, dass vor allem das skoptische Epigramm – welches traditionellerweise häufig Frauen (im Allgemeinen) oder homosexuelle Männer (v.a. passive) zum Gegenstand hatte – in der Männerrunde des Symposions seinen Platz hatte. Bei der Beschäftigung mit der Verbindung von Rätsel und Sexualität in der antiken Literatur sind außerdem die einschlägigen philologischen Kommentare zu den relevanten lateinischen und griechischen Originaltexten ein unverzichtbares Hilfsmittel, da sie wichtige Hinweise in Form von Verweisen auf Parallelstellen und weitere Sekundärliteratur enthalten.

Aus einer archäologischen Perspektive ist die Bedeutung des Sphinxmotivs in der Antike sehr gut aufgearbeitet in dem umfangreichen Werk von Demisch (Die Sphinx. Geschichte ihrer Darstellung von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 1977). Auf eine sexuelle Anwendung des Motivs wird nicht gesondert eingegangen, jedoch werden dort schon Abbildungen behandelt, die eine Mischwesenhaftigkeit zwischen Männlich und Weiblich sowie eine ←35 | 36→Sexualisierung der Sphinx zeigen. Aufschlussreich sind außerdem die Abbildungen, auf denen Ödipus bei der Rätsellösung in Form eines ‚Zeigegestus‘ auf sich selbst zeigt, da sie ein Hinweis darauf sind, dass das Sphinxrätsel in gewisser Weise auch Ödipus’ eigenes Schicksal zum Inhalt hat95. Eine breitere, interdisziplinäre Perspektive nimmt der 2011 von Malinowski/Wesche/Wohlleben herausgegebene Sammelband Fragen an die Sphinx. Kulturhermeneutik einer Chimäre zwischen Mythos und Wissenschaft ein: Dort behandelt Moers in seinem Aufsatz Der Sphinx von Gizeh. Das altägyptische Objekt als Imaginationskatalysator die Sphinx im Alten Ägypten, während Rösch-von der Heyde in ihrem Aufsatz Sphinx-Figurationen. Ein kunsthistorischer Überblick näher auf bildliche und literarische Darstellungen eingeht. Einen Überblick über das Sphinx-Motiv in der europäischen Literatur vor dem Hintergrund der antiken Vorbilder bietet Vöhlers Aufsatz Sphinx und Ödipus. Konstellationen ihrer Begegnung bei Sophokles – H. Heine – O. Wilde, wohingegen schließlich Stephans Aufsatz Sphinx plus Ödipus: Rückblick auf eine mythische Konstellation den Blick auf die Perspektive der Psychoanalyse eröffnet.

Von den Psychoanalytikern nach Freud ist mehrfach eine psychoanalytische Deutung des Sphinxrätsels versucht worden. Unter diesen Arbeiten hervorzuheben ist die von Vogt (Psychoanalyse zwischen Mythos und Aufklärung oder das Rätsel der Sphinx, Frankfurt am Main 1986), die sich nicht nur durch Stringenz der Gedankengänge auszeichnet, sondern auch auf einem umfassenden Studium der Sphinxdarstellungen in der griechischen Literatur und bildenden Kunst beruht. Vogt stellt im Laufe seiner Arbeit u.a. heraus, dass „Züge von Anmut […] in genuiner Weise zur Sphinx gehören“ und dass „das Verführerische ein Wesensmerkmal der Sphinx ist“96. Außerdem weist er neben „aggressiven Seiten genitaler und prägenitaler Art“ der Sphinx „auch inzestuös-libidinöse Aspekte, die von nicht geringer Bedeutung sind“ nach97. Eine weitere Arbeit, die unbedingt zu berücksichtigen ist, stammt mit Edmunds98 wiederum von einem klassischen Philologen. Dieser vertritt in seiner 1981 erschienenen Arbeit The Sphinx in the Oedipus Legend die These, dass die Sphinx ein sekundäres Element im Ödipusmythos sei, das hinzugefügt wurde, um die Hochzeit des Helden mit seiner Mutter zu motivieren. Weder das Lösen des Rätsels noch ←36 | 37→das Töten des Monsters seien ein originales Element des Ödipusmythos99. Dieser Ansatz ist sehr interessant, betont er doch den kausalen Zusammenhang zwischen Rätsellösung und Inzest. Ein monographisches Werk zur bildhaften Anwendung der Sphinx in der antiken Literatur auf sexuelle Sachverhalte gibt es hingegen bislang nicht100.

Es wird deutlich, dass in der bisherigen Forschungsliteratur sowohl zur Sexualität als auch zum Rätsel der Zusammenhang zwischen Sexualität und Rätsel in Ansätzen durchaus schon gesehen wurde. Eine zusammenhängende systematische Untersuchung des Themas fehlt dagegen bislang und ist daher ein Forschungsdesiderat. Diese Arbeit möchte diese Lücke schließen, indem sie anstrebt, die Rolle des Rätsels in der Darstellung des Sexuellen für die gesamte antike Literatur systematisch aufzuarbeiten, sodass das Phänomen der Sexualität als Rätsel umfassend untersucht und scheinbar disparate Motive zueinander in Beziehung gesetzt werden.

Ein Schwerpunkt soll dabei auf den Darstellungsstrategien in der Dichtung101 liegen, ergänzt durch Paralleltexte der Prosa. Die in Frage kommenden Textstellen sollen zunächst gesichtet sowie auf ihre Relevanz überprüft und dann gründlich untersucht werden. Während die bereits existierenden Kommentare insbesondere Erklärungen zu Einzelstellen bieten, soll der Mehrwert dieser Arbeit darin bestehen, dass darüber hinaus auch ein übergreifender Ansatz gewählt wird, indem mit Blick auf alle relevanten Gedichte die zentralen Strategien der Verrätselung kategorisiert sowie, deren bevorzugte Position im Gedicht herausgearbeitet werden. Ergänzend soll im Rahmen einer Wortuntersuchung mit Hilfe von Lexika und Datenbanken festgestellt werden, inwiefern sich die Verwendung von Vokabular aus dem Bereich des Rätsels auf sexuelle Sachverhalte nachweisen lässt. Außerdem soll auch die Figur der Sphinx in Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Mischwesenhaftigkeit, Ambiguität, Rätsel und Inzest in einem eigenen Kapitel grundlegend aufgearbeitet werden; archäologische Zeugnisse sollen dabei herangezogen werden, sofern sie für die Fragestellung erhellend sind. Die metaphorische Verwendung der Figur (etwa zur Versinnbildlichung eines widernatürlichen sexuellen Verhältnisses) wird besondere Aufmerksamkeit erhalten. Als bedeutsames zentrales ←37 | 38→Ziel dieser Arbeit soll somit auch im Rahmen einer Synthese erstmals ermöglicht werden, stringent den systematischen Gesamtzusammenhang zwischen den verschiedenen bereits in der bisherigen Forschungsliteratur erfassten Einzelphänomenen darzustellen.

Die besondere Struktur dieser Arbeit besteht darin, dass das Phänomen der Sexualität als Rätsel in der antiken Literatur untersucht wird, indem es ausgehend von einem Einzelgedicht quasi in konzentrischen Kreisen immer weiter verfolgt wird: Zentrum und Ausgangspunkt der Arbeit ist das Epigramm Mart. 1.90, welches in einem ersten Schritt zunächst in Beziehung zu zwei besonders eng verwandten Einzelgedichten gesetzt wird, danach in den Zusammenhang von Martials Œuvre gestellt wird und erst im letzten Schritt auch im Verhältnis zur Gattung des antiken Epigramms in ihrer Gesamtheit in den Blick genommen wird, wobei chronologisch vorgegangen wird.

Details

Seiten
360
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631860854
ISBN (ePUB)
9783631860861
ISBN (MOBI)
9783631860878
ISBN (Hardcover)
9783631855003
DOI
10.3726/b18963
DOI
10.3726/b18662
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (August)
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 360 S., 4 s/w Abb.

Biographische Angaben

Anja Glaab (Autor:in)

Anja Glaab hat in Frankfurt am Main Musik, Latein und Griechisch studiert. Sie wurde an der Goethe-Universität Frankfurt promoviert und war als Lehrbeauftragte für das Fach Latein tätig.

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Titel: Sexualität als Rätsel
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