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Die Darstellung der Geschichte der <I>Labour Party</I> im gesellschaftskritischen Bühnendrama Großbritanniens, im Fernsehspiel und im Film nach 1945

von Isabelle Plattner (Autor:in)
©2021 Dissertation 330 Seiten

Zusammenfassung

Ausgangspunkt des Buchs ist der Wahlsieg der Labour Party unter Clement Attlee im Jahr 1945. Es analysiert die Auseinandersetzung mit der Labour Party im britischen Bühnendrama, Fernsehspiel und im Film ab diesem Zeitpunkt. Die Labour Party stand ursprünglich für die Belange der working class ein, wandelte sich spätestens infolge von Tony Blairs New Labour Politik aber zu einer Partei der Mitte. Der Band untersucht, ob und ab welchem Punkt linksorientierte Schriftsteller eine solche Entwicklung kritisieren, und orientiert sich dabei methodisch an den Herangehensweisen des New Historicism und des Cultural Materialism. Erkennbar ist eine kritische Einstellung der Dramen-/Drehbuchautoren, die in späteren Werken konstruktiver und teils milder ausfällt.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • I. Darlegung des Vorhabens
  • II. Aktueller Forschungsstand und methodische Vorgehensweise
  • III. Cultural studies: Die Arbeiterklasse in Großbritannien
  • IV. Eine Neuorientierung der Labour Party unter Corbyn? Die Geschichte der Labour Party bis 1945
  • V. Reflexe der Politik der Labour Party in gesellschafts- kritischen Dramen, Filmen und Fernsehspielen
  • V.1. Rodney Ackland: Absolute Hell (1951-1991)
  • V.2. Arnold Wesker: The Kitchen (1959/1961)
  • V.3. Arnold Wesker: The Trilogy (1958-1960)
  • V.4. John McGrath: Trees in the Wind (1971)
  • V.5. David Hare: The Great Exhibition (1972)
  • V.6. David Hare: Fanshen (1975)
  • V.7. David Hare: Saigon: Year of the Cat (1979/1983)
  • V.8. Howard Brenton: Epsom Downs (1977)
  • V.9. Alan Bleasdale: Boys from the Blackstuff (1978-1983)
  • V.10. Alan Bleasdale: GBH (1991)
  • V.11. Mark Herman: Brassed Off (1996)
  • V.12. Howard Brenton und David Hare: Pravda. A Fleet Street Comedy (1985/1986)
  • V.13. Hanif Kureishi: Sammy and Rosie Get Laid (1987)
  • V.14. David Hare: The Absence of War (1993)
  • V.15. David Hare: The Permanent Way (2003)
  • V.16. David Hare: Stuff Happens (2004)
  • V.17. James Graham: Labour of Love (2017)
  • VI. Reflexe der Politik der Labour Party in Dramen nach 1945 – ein Vergleich der behandelten Dramen
  • Literaturverzeichnis

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I. Darlegung des Vorhabens

Triumph und Tragödie liegen gelegentlich nahe beieinander, wie schon Winston Churchill 1945 erfahren musste. Churchills Koalitionspartner und zugleich sein innenpolitischer Gegner, die britische Labour Party, konnte im Jahr 2000 das hundertjährige Jubiläum ihrer Gründung als Regierungspartei begehen. Bei den Unterhauswahlen 1997, 2001 und 2005 errang die Partei unter der Führung von Tony Blair dreimal hintereinander die absolute Mehrheit der Sitze. Aber bereits 2010, fünf Jahre nach dem hat-trick, fand sich die Partei in der Opposition wieder und nur ein Jahrzehnt später endeten die Unterhauswahlen kurz vor Jahresende 2019 für Labour sogar mit dem niedrigsten Sitzanteil seit den 1930er Jahren.

Ähnlich wechselhaft wie an der Wahlurne schlug sich die von der Labour Party ausgehende Faszination literarisch nieder, insbesondere im Bühnendrama und im Film. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, herauszufinden, inwiefern die Geschichte der Labour Party Großbritanniens in gesellschaftskritischen Dramen sowie Drehbüchern britischer Autoren behandelt wird. Von Interesse ist insbesondere, auf welche Art und Weise die Autoren in ihren Stücken auf das politische Geschehen reagiert haben und ob sich hierbei Ähnlichkeiten bzw. Unterschiede zwischen den Autoren feststellen lassen. Untersucht wird außerdem, ob sich in den Reaktionen der Dramatiker auf die Politik der Labour Party ein generelles Muster nachvollziehen lässt oder inwiefern sich deren Reaktionen verändert haben.

Einleitend wird auf die aktuelle Politik in Großbritannien eingegangen, nämlich den eindeutigen Sieg des konservativen enfant terrible Boris Johnson in den Neuwahlen am 12.12.2019 und die Niederlage des damaligem Parteivorsitzenden der Labour Party Jeremy Corbyn, dem es vor allem darum ging, einen No Deal Brexit zu verhindern. Corbyn, der schon länger die Pläne der Regierung bzgl. des EU-Austritts Großbritanniens anprangerte (vgl. Leitel, 2019), steht als Politiker für eine erhöhte Verstaatlichung von Betrieben, insbesondere im Energie- und Transportbereich, sowie für eine hauptsächlich auf Friedenssicherung abzielende Außenpolitik (vgl. BBC News, 2015). Corbyn ist vehementer Gegner von Atomwaffen (vgl. Hagen, 2017). Zudem befürwortet er eine Finanzierung sozialstaatlicher Maßnahmen durch eine erhöhte Einkommenssteuer (vgl. Schieritz, 2019). All dies sind Prinzipien, die eher an die anfänglichen Ziele der Labour Party erinnern. Dies wird anhand eines Überblicks über die Geschichte der Labour Party von ihrer Gründung als Labour Representation ←9 | 10→Committee im Jahr 1900 bis zu dem Überraschungssieg der Partei 1945 vertieft dargestellt werden. Eingegangen wird unter anderem auf die Gründe für den Erfolg der Labour Party, die 1900 noch keinerlei festes Parteiprogramm vorzuweisen hatte (vgl. Pugh, 2010, S. 1). Ein wichtiger Aspekt ist in dieser Hinsicht die Strategie von Labour, sich durch die Anpassung an regionale Gegebenheiten in den verschiedenen Grafschaften als Partei zu etablieren (vgl. Pugh, 2010, S. 11). Im Rahmen dieser Arbeit spielt zudem die Überlegung eine wesentliche Rolle, dass die Labour Party in der Vertretung ihrer Ansichten zunehmend Kompromisse machen musste, um als Partei innerhalb eines bestehenden politischen Systems erfolgreich sein zu können. Der Idealismus und die Konsequenz hinsichtlich linker politischer Ansichten, die sich in den untersuchten Dramen teils finden lassen, ist einer Partei, die aktiv politisch tätig ist und zumindest ein gewisses Maß an Einfluss gewinnen will, somit nicht möglich und kann ihr nicht abverlangt werden. Inwiefern eine derartige Kompromissbereitschaft einer – ihren anfänglichen Prinzipien nach – links ausgerichteten Partei von den Dramatikern toleriert und ab welchem Punkt sie kritisiert wird, ist ebenfalls Untersuchungsgegenstand der Arbeit. Auch innerparteiliche Differenzen sowie Divergenzen oder Annäherungen zwischen den Conservatives, Liberals und der Labour Party können mitunter relevant sein. Ein Beispiel hierfür wäre die Kooperation zwischen Liberals und Labour im Wahlkampf des Edwardian Age, um die Chancen der Conservative Party zu verringern. Die Liberal Party und die Labour Party unterstützten sich gegenseitig im Wahlkampf in Grafschaften, in denen die eigene Partei nur geringe Chancen hatte, um die Aufspaltung der Stimmen auf drei Parteien zu verhindern und einen Wahlsieg der Konservativen somit zumindest unwahrscheinlicher zu machen (vgl. Pugh, 2010, S. 64ff.). 2019 konnte sich die Parteiführung von Labour hierzu nicht durchringen, was ein Grund für das historisch schlechte Abschneiden gewesen sein mag. Neben politischem Kalkül wird auch die Notwendigkeit der Labour Party, sich an die Wähler, insbesondere auch an die Forderungen und Ansichten der trade unions, anzupassen, die eher gemäßigte Ansichten vertraten (vgl. Pugh, 2010, S. 34ff.), ein Thema sein. Der Überraschungssieg der Labour Party 1945 wird als Anlass genommen, die Dramen links ausgerichteter, britischer Autoren auf Reflexe des damaligen politischen Geschehens zu untersuchen. Zunächst wird dabei auf Rodney Acklands The Pink Room bzw. Absolute Hell eingegangen werden. Absolute Hell bezieht sich unmittelbar auf den Wahlsieg der Labour Party 1945. Die politische Situation in Großbritannien ist im Stück aufgrund des Bühnenbilds, welches im Hintergrund die Labour Committee Rooms abbildet, dauerhaft präsent und wird von den Figuren immer wieder, allerdings eher nebenher und wie zufällig, kommentiert. Als eines der bekanntesten Stücke des kitchen sink ←10 | 11→drama wird anschließend, weitestgehend der chronologischen Reihenfolge der Veröffentlichungen bzw. Uraufführungen folgend, auf Weskers Chicken Soup Trilogy sowie auf sein Drama The Kitchen eingegangen werden. Des Weiteren werden Stücke von John McGrath, David Hare, Howard Brenton, Hanif Kureishis Drehbuch Sammy and Rosie Get Laid sowie Michael Hermans Film Brassed off und Alan Bleasdales Fernsehserien Boys from the Blackstuff und GBH untersucht werden. Zuletzt wird die jüngste politische Vergangenheit anhand von James Grahams Stück Labour of Love dargelegt werden. Abschließend wird der Versuch unternommen, eine Entwicklungstendenz hinsichtlich der Art und Weise der Darlegung der politischen Geschehnisse in den Stücken zu erkennen. Die Arbeit hebt sich insofern eindeutig von anderen Abhandlungen zu den Stücken linker Dramatiker in Großbritannien, wie Hare oder Brenton, ab, als bisher kein Versuch unternommen wurde, einen systematischen Bezug zu der Politik der Labour Party als derjenigen Partei, die ursprünglich für die Arbeiterklasse und deren Belange einstand, herzustellen. Valeska Lindemann verweist in ihrer Abhandlung Arnold Wesker als Gesellschaftskritiker zwar mehrfach auf die Thematisierung der Politik der Labour Party in Weskers Trilogie und stellt diese auch dar, zieht jedoch keine weiteren Autoren in Betracht und nimmt somit keine umfassende Analyse der Darstellung der Politik von Labour im britischen Drama vor, wie sie in dieser Arbeit angestrebt wird (vgl. Lindemann, 1980). Hierin besteht somit das innovative Moment der vorliegenden Arbeit. Dass dieser Vergleich mit der realen Parteipolitik von Labour allerdings naheliegend ist und sich durchaus anbietet, zeigt sich anhand eindeutiger Verweise auf die jeweils aktuelle Tagespolitik und auch auf die Labour Party selbst in den Dramen der behandelten Autoren. Ganz besonders auffällig sind die Verweise, wie sich im Verlauf der Arbeit zeigen wird, in den Dramen David Hares, der sich beispielsweise in The Absence of War mit dem Wahlkampf der Labour Party beschäftigt und dessen Stück The Great Exhibition sich hauptsächlich um einen desillusionierten Labour-Abgeordneten dreht. Doch auch in den anderen Dramen, wie beispielsweise in Weskers Trilogie oder auch Brentons Epsom Downs, sind die Anspielungen auf die Labour Party nicht zu übersehen.

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II. Aktueller Forschungsstand und methodische Vorgehensweise

Die gesellschaftskritische Seite des britischen Bühnendramas seit den vierziger und fünfziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts ist schon häufig beleuchtet worden, was hier aber nicht resümiert werden muss1. Wie bereits dargelegt, besteht das wesentliche und neue Moment dieser Arbeit darin, dass die behandelten Stücke, in denen durchweg politisch linke Ideen thematisiert werden, vor dem Hintergrund der Geschichte der Labour Party gelesen werden; der Fokus liegt somit auf den politischen Ereignissen der Zeit und vor allem auch auf der Partei, die als hauptsächliche Interessenvertretung der Arbeiterklasse gelten kann. Innovativ ist somit insbesondere die Methodik bzw. die Herangehensweise an die Arbeit, die aus einer literaturtheoretischen Perspektive am ehesten mit dem New Historicism oder Cultural Materialism in Zusammenhang gebracht werden könnte, da hier einerseits historische und fiktive Texte gegeneinander gelesen werden, der Fokus der Analyse andererseits – wie im Cultural Materialism üblich – auf der Herausarbeitung gesellschaftskritischer, teils sogar sozialistischer, Ideen liegt. Untersuchungsgegenstand der Arbeit ist es darüber hinaus, darzulegen, inwieweit sich die Dramen, Drehbücher, Fernsehspiele und Filme tendenziell links ausgerichteter Dramatiker und Regisseure auch konkret auf die Politik der Labour Party beziehen lassen. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang, ob sie die Politik der Labour Party womöglich kritisieren und eventuell sogar Handlungsoptionen aufzeigen, die mit einer eindeutiger linken Politik im Einklang stünden. Inwieweit sich derartige Tendenzen bei den einzelnen Autoren feststellen lassen, wird sich im Rahmen dieser Arbeit auf der Basis einer genauen Auseinandersetzung mit den einzelnen Stücken zeigen. Es finden sich durchaus zahlreiche Abhandlungen und Aufsätze, die sich mit der Thematik der Gesellschaftskritik bzw. teils auch des Sozialismus in den Stücken einzelner britischer Dramatiker nach 1945, wie Wesker oder Hare, auseinandersetzen; ←13 | 14→allerdings gibt es bisher keinen Versuch, Stücke, die von links ausgerichteten britischen Dramatikern seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die heutige Zeit hinein veröffentlicht wurden, konsequent und auf möglichst breiter Textbasis auf Reflexe hinsichtlich der Politik der Labour Party zu untersuchen. Ein dementsprechendes Textkorpus ist bislang weder thematisch zusammengestellt noch unter diesem einheitlichen Gesichtspunkt analysiert worden. Die bislang vorgelegten und thematisch relevanten Forschungsansätze – so nützlich sie ganz generell sein mögen – verharren in der Regel bei der Analyse und Interpretation eines einzelnen Schauspiels oder eines einzelnen Dramatikers. Ähnlich beschränkt bleibt oft genug auch ihre Perspektive auf die Auseinandersetzung mit der Parteipolitik.

So weist Stephen Lacey in seinem Aufsatz “When Was the Golden Age? Narratives of Loss and Decline: John Osborne, Arnold Wesker and Rodney Ackland” zwar darauf hin, dass in Acklands Absolute Hell (1988)2 die “Labour Committee Rooms” stets im Bühnenbild hintergründig präsent sind und insbesondere in den Fokus rücken, als der Nachtclub La Vie en Rose in sich zusammenfällt, sodass nur noch eine Ruine übrig ist. Lacey deutet das Gebäude der Labour Party als Symbol für einen Neuanfang. Allerdings geht Lacey auf diesen Neuanfang, also den Wahlsieg von Labour und die erfolgreiche Regierung unter Clement Attlee in der Nachkriegszeit, nicht genauer ein, obwohl er durchaus erläutert, dass die erste Szene des zweiten Akts des Stücks am 5. Juli 1945 spielt, also genau an dem Abend, an dem die Parlamentswahl stattfand. Auch erfolgt keine genauere Analyse der Bedeutung dieses Wahlsiegs sowie der folgenden Regierungsperiode unter Labour, die sich doch ganz grundlegend von den vorhergehenden Regierungsperioden der Labour Party unter Ramsay MacDonald unterschied. Es fehlt zudem eine genauere Auseinandersetzung mit den Einstellungen der Figuren zur Labour Party, auch wenn Lacey auf deren Desinteresse an der politischen Situation in Großbritannien implizit verweist, wenn er die Realitätsflucht der Charaktere anspricht, die sich dem echten Leben nicht stellen (vgl. Lacey, 2010, S. 171ff.).

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In Arnold Weskers Chicken Soup Trilogy sind die Anspielungen auf das politische Geschehen deutlich präsenter als in Acklands Absolute Hell. Zudem ist die Mehrzahl der Figuren im Stück politisch engagiert. Die im Zentrum des Stücks stehenden Mitglieder der Familie Kahn gehören zwar der Communist Party an, stehen der Labour Party allerdings offensichtlich ebenfalls sehr nahe und zumindest die Figur Aunt Cissies ist als Gewerkschaftsmitglied sicherlich auch ein affiliiertes Mitglied der Labour Party (vgl. Wesker, [1959] 2001, S. 39, S. 48). Solch offenkundige Hinweise auf die zeitgenössische linke Politik in Großbritannien wurden mehrfach in wissenschaftlichen Abhandlungen zu Weskers Stücken herausgearbeitet. Allerdings liegt doch auch hier in den meisten Arbeiten der Fokus stärker auf einer etwas generelleren Darlegung der gesellschaftskritischen Aspekte in Weskers Dramen, selbst wenn auf konkret in den Stücken dargelegte Ereignisse, die im Zusammenhang mit Labour stehen, natürlich eingegangen wird. Lindemann und Lindemann konzentrieren sich in ihrem Buch Arnold Wesker darauf hervorzuheben, dass Weskers Trilogie und insbesondere das erste Stück Chicken Soup with Barley (1958) Dramen der politischen Desillusionierung seien, im Verlauf derer die Figuren – mit Ausnahme Sarahs – von ihren linken Idealen immer weniger überzeugt seien. Als eine der Ursachen für diesen zunehmenden Zukunftspessimismus nennen Lindemann und Lindemann die andauernde Regierung der Konservativen seit 1951 sowie die Wahlniederlagen der Labour Party, der es nicht mehr gelang, sich gegen die Conservatives durchzusetzen. Obwohl sich Lindemann und Lindemann somit durchaus auf die politische Dimension des Stücks beziehen, findet sich dennoch keine genauere Betrachtung der Politik von Labour in dieser Zeit in der Opposition (vgl. Lindemann, Lindemann, 1985, S. 31ff.).

Valeska Lindemann geht darüber hinaus auch in Arnold Wesker als Gesellschaftskritiker auf Zusammenhänge zwischen der Politik der Labour Party und Weskers Trilogie ein. So schreibt sie beispielsweise, dass Wesker anhand der Einzelschicksale der Charaktere die Geschichte und Entwicklung des britischen Kommunismus darstelle (vgl. Lindemann, 1980, S. 128). Sie bezieht sich einerseits auf wesentliche Ereignisse, die in Weskers Drama explizit thematisiert werden, wie den Marsch der Anhänger Oswald Mosleys durch das Londoner East End und den gegnerischen Protestmarsch, an dem die Figuren in Weskers Chicken Soup with Barley teilnehmen. Andererseits geht sie auch konkreter auf die Labour Party und deren Politik ein, wenn sie beispielsweise erwähnt, dass Ronnie die Labour-Regierung unter Attlee nach dem Krieg optimistisch als Zeichen eines Neuanfangs im Sinne der Arbeiterbewegung deutet; in diesem Zusammenhang nimmt sie dann auch eine Evaluation der tatsächlichen Erfolge dieser Regierungsperiode unter Labour vor (vgl. Lindemann, 1980, S. 133ff.; vgl. ←15 | 16→Wesker, [1959] 2001, S. 39). Eine Analyse mehrerer Stücke vor dem Hintergrund der Parteigeschichte von Labour von 1945 bis heute, wie sie im Rahmen der vorliegenden Arbeit erfolgt, unternimmt jedoch auch Lindemann nicht. Zudem ist diese Arbeit aktueller als die Abhandlungen Valeska und Klaus Lindemanns aus den 1980er Jahren.

Keith Gore argumentiert in seinem Aufsatz “The Trilogy, Forty Years On”, dass es notwendig sei, Weskers Trilogie ausgehend von der damaligen historisch-politischen Situation zu interpretieren. Er bezieht sich dann aber zunächst vor allem auf einschneidende historische Ereignisse, wie den Beginn des Spanischen Bürgerkrieges 1936, die Bedrohung durch den Faschismus in Spanien, aber vor allem auch durch das NS-Regime in Deutschland, und letztendlich die unmittelbare Nachkriegszeit. Gore erläutert auch, dass es recht erstaunlich ist, dass die Zeit des Zweiten Weltkriegs bzw. das Kriegsgeschehen in den Stücken nicht direkt thematisiert wird. Die Politik in Großbritannien selbst und insbesondere die Politik der Labour Party, auf die in Weskers Trilogie schließlich durchaus verwiesen wird, werden in Gores Abhandlung jedoch nicht in den Fokus genommen. Zwar geht auch Gore auf den überraschenden Wahlsieg von Labour 1945 ein und legt durchaus auch knapp die Erfolge der Regierung Attlee dar, allerdings konzentriert er sich dann ebenfalls auf die Thematik der zunehmenden Desillusionierung der Figuren in Weskers drei Dramen (vgl. Gore, 1998, S. 15ff.). Obwohl dies selbstverständlich ein Kernelement einer Interpretation der Trilogie ausmacht, so unterbleibt dennoch eine Herausarbeitung detaillierter Referenzen auf die Politik der Labour Party sowie eine Darlegung der Politik von Labour nach dem Wahlsieg der Konservativen 1951.

Ganz ähnlich liegt der Fall bei David Hare. Seine Bühnendramen und Fernsehspiele sind eindeutig politische Dramen. Während im Fernsehspiel Saigon:Year of the Cat (1979/1983)3 das unrühmliche Ende des Vietnamkriegs Thema des Stücks ist und Fanshen die sozialistische Revolution in einem kleinen Ort in China auf die Bühne bringt, so drehen sich einige weitere Bühnenstücke, wie beispielsweise The Great Exhibition oder The Absence of War, auch direkt um die Labour Party. Diese Bezüge sind in der Sekundärliteratur, die sich zu den Dramen findet, selbstverständlich aufgegriffen worden. Mit Blick auf Hares Fernsehspiel Saigon: Year of the Cat konzentriert sich Carol Homden in ihrem Buch The Plays of David Hare stark auf die Liebesbeziehung zwischen den Protagonisten des Stücks, Barbara Dean und Bob Chesneau. Dennoch legt sie auch ←16 | 17→dar, dass nicht nur die Amerikaner und in Hares Fernsehspiel insbesondere der amerikanische Botschafter und somit auch die amerikanische Regierung kritisiert werden, sondern dass auch die Briten in die Kritik geraten (vgl. Homden, 1995, S. 76ff.). Sie schreibt, dass Barbara als Bankangestellte und Bob Chesneau als Mitarbeiter der CIA stellvertretend für den imperialistischen Einfluss der Amerikaner und Briten in Vietnam stünden (vgl. Homden, 1995, S. 81). Allerdings findet sich keine Analyse derjenigen Stellen im Drehbuch, in denen direkt auf die Lage in Großbritannien verwiesen wird. Homdens Analyse beschränkt sich darauf festzustellen, dass allein die Präsenz der Briten in Vietnam negativ wahrgenommen werden müsse. Zudem merkt sie an, dass die im Fernsehspiel an den Briten sowie auch vor allem den Amerikanern geübte Kritik zu subtil sei und einen eher westlichen Standpunkt erkennen ließe. Dies macht Homden insbesondere an der recht positiv dargestellten Figur Bob Chesneaus fest, die in der Verfilmung von 1983 von Frederic Forrest gespielt wird. Homden verweist auf Ähnlichkeiten zu Forrests Rolle in Francis Ford Coppolas bekanntem Film über den Vietnamkrieg Apocalypse Now.4 Laut Homden werde die im Film eigentlich dargestellte Kritik an der Kriegsführung der Amerikaner durch Forrests Verkörperung Chesneaus als Held abgemildert (vgl. Homden, 1995, S. 80). Eine Beleuchtung der britischen Politik unter Harold Wilson unterbleibt jedoch.

Judy Lee Oliva übt in ihrem Buch David Hare. Theatricalizing Politics zwar scharfe Kritik an Hares Fernsehspiel Saigon: Year of the Cat, welches sie sogar als ineffektiv beschreibt. Dennoch geht auch sie in Bezug auf Hares Saigon nicht auf die britische Politik ein (vgl. Oliva, 1990, S. 105ff.).

Details

Seiten
330
Jahr
2021
ISBN (PDF)
9783631859735
ISBN (ePUB)
9783631859742
ISBN (Hardcover)
9783631857625
DOI
10.3726/b18631
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (August)
Schlagworte
Gesellschaftskritik Labour Party Parteigeschichte Labour Rodney Ackland John McGrath Großbritannien Bühnendramen David Hare Alan Bleasdale Arnold Wesker
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 330 S.

Biographische Angaben

Isabelle Plattner (Autor:in)

Isabelle Plattner studierte Deutsch, Englisch und Philosophie/Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und an der University of Leeds. Seit 2018 unterrichtet sie als Gymnasiallehrerin. 2021 promovierte sie an der Ludwig-Maximilians-Universität in englischer Literaturwissenschaft. Ihr Forschungsschwerpunkt ist das moderne gesellschaftskritische Drama Großbritanniens.

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