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Schweizerisches Jahrbuch für Kirchenrecht. Bd. 18 (2013) / Annuaire suisse de droit ecclésial. Vol. 18 (2013)

Herausgegeben im Auftrag der Schweizerischen Vereinigung für evangelisches Kirchenrecht / Edité sur mandat de l’Association suisse pour le droit ecclésial protestant

von Dieter Kraus (Band-Herausgeber:in) Wolfgang Lienemann (Band-Herausgeber:in) René Pahud de Mortanges (Band-Herausgeber:in) Christoph Winzeler (Band-Herausgeber:in)
©2014 Dissertation 356 Seiten

Zusammenfassung

Inhalt: Ulrich Cavelti: Die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen. Neue Erkenntnisse aufgrund des NFP 58 «FAKIR» (Finanzanalyse Kirchen)? – Charles Landert: Die Leistungen der Kirchen aus sozialwissenschaftlicher Sicht – Christian R. Tappenbeck: Zum Vorentwurf einer «Verfassung der Evangelischen Kirche in der Schweiz» – Ueli Friederich: Vorgaben der Kirchenverfassung der evangelisch-reformierten Landeskirche beider Appenzell betreffend Zuständigkeit zur Entlassung von Pfarrpersonen?

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Editorial
  • Aufsätze
  • Die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen. Neue Erkenntnisse aufgrund des NFP 58 „FAKIR“ (Finanzanalyse Kirchen)?
  • Die Leistungen der Kirchen aus sozialwissenschaftlicher Sicht
  • Zum Vorentwurf einer „Verfassung der Evangelischen Kirche in der Schweiz“
  • Vorgaben der Kirchenverfassung der evangelischreformierten Landeskirche beider Appenzell betreffend Zuständigkeit zur Entlassung von Pfarrpersonen?
  • Rechtsprechung
  • Religionsrechtlich bedeutsame Entscheide des Bundesgerichts im Jahre 2013
  • Mitteilungen
  • Jahresbericht 2013 der Schweizerischen Vereinigung für evangelisches Kirchenrecht
  • Berichte
  • Freiburg: Gesamtrevision von Kirchenverfassung und Kirchenordnung der Ev.-ref. Kirche des Kantons Freiburg
  • Schaffhausen: Versuchte Teilrevision des schaffhausischen Gesetzes über die Ausrichtung von Beiträgen an die Landeskirchen – unter kantonalem Spardruck!
  • SBK/RKZ: Bischöfliches Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz und Reaktion der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz
  • Rezensionen und Buchanzeigen
  • Bogner, Daniel/Heimbach Steins, Marianne (Hg.), Freiheit – Gleichheit – Religion. Orientierungen moderner Religionspolitik, Würzburg 2012, 284 S.
  • Katholische Kirche und demokratischer Rechtsstaat in pluralistischer Gesellschaft. Festschrift zum 40-jährigen Bestehen der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ)/L’Eglise catholique et l’Etat de droit démocratique dans une société pluraliste. Recueil de Mélanges publié à l’occasion du 40ᵉ anniversaire de la Conférence centrale catholique romaine de Suisse (RKZ), Zürich o.J. [2012], 143 S.
  • Schmid-Tschirren, Christina, Von der Säkularisation zur Separation. Der Umgang des Staates mit den Kirchengütern in den evangelisch-reformierten und paritätischen Kantonen der Schweiz im 19. Jahrhundert, Zürich 2011, LXVIII & 460 S.
  • Christoph Bochinger (Hg.), Religionen, Staat und Gesellschaft. Die Schweiz zwischen Säkularisierung und religiöser Vielfalt, Zürich 2012, 284 S./Christoph Bochinger (éd.), Religions, Etat et société. La Suisse entre sécularisation et diversité religieuse, Zurich 2013, 278 p.
  • Bibliografie
  • Bibliografie 2013 zum schweizerischen Kirchen- und Religionsrecht
  • Dokumentation
  • Fribourg/Freiburg: Kirchenverfassung der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons Freiburg / Constitution ecclésiastique de l’Église évangélique réformée du canton de Fribourg vom 26. Mai 1997, gemäss der Revision vom 6. Juni 2011 / du 26 mai 1997, telle que révisée le 6 juin 2011
  • SEK/FEPS: Verfassung und Statut der Evangelischen Kirchen in der Schweiz – Vorentwurf des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, mit Kommentaren, vom 25. Mai 2013
  • SBK: Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz, erarbeitet und verabschiedet von der Fachkommission der Schweizer Bischofskonferenz „Kirche und Staat in der Schweiz“, Dezember 2012
  • RKZ: Bericht und Beschlüsse der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) zum „Vademecum für die Zusammenarbeit von katholischer Kirche und staatskirchenrechtlichen Körperschaften in der Schweiz“, Plenarversammlung der RKZ vom 29./30. November 2013
  • Mitarbeiter dieses Bandes
  • Anschriften der Herausgeber des Jahrbuchs

Editorial

Band 18/2013 des Schweizerischen Jahrbuchs für Kirchenrecht

Dieser achtzehnte Band des Schweizerischen Jahrbuchs für Kirchenrecht weist wiederum eine Reihe von Schwerpunkten auf. Das beginnt mit den Referaten der Jahrestagung 2013 der Schweizerischen Vereinigung für evangelisches Kirchenrecht, die dieses Jahr zwei „klassischen“ Themen gewidmet sind, zum einen den ‚Kirchensteuern juristischer Personen‘ und zum anderen den von den Kirchen erbrachten ‚Leistungen‘, für einmal aus sozialwissenschaftlicher Sicht1.

Ferner findet die Fortentwicklung der institutionellen Strukturen des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes sowohl im Aufsatz- als auch im Dokumentationsteil dieses Bandes breite Berücksichtigung und bildet so einen weiteren Schwerpunkt. Vor einigen Jahren hatte Band 14/2009 bereits ausführlich die Verfassung und die Zukunftsperspektiven des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes thematisiert, ebenso wie die verschiedenen Formen von Zusammenarbeit zwischen den reformierten Landeskirchen2.

Dieter Kraus

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1Siehe S. 11 ff. bzw. S. 43 ff. Zur Jahrestagung 2013 siehe S. 193.

2Siehe das Editorial in SJKR/ASDE 14/2008 sowie die Beiträge von Fritz Gloor, Warum der Schweizerische Evangelische Kirchenbund (k)eine neue Verfassung braucht. Ekklesiologische und rechtliche Gedanken zur aktuellen Diskussion, ebda. S. 11 ff.; Ueli Friederich, Formen der Zusammenarbeit zwischen den reformierten Landeskirchen der Schweiz, ebda., S. 37 ff.; Peter Schmid-Scheibler, Die Reformierten reformieren! Der Reformprozess des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, ebda., S. 81 ff.

Aufsätze

Die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen. Neue Erkenntnisse aufgrund des NFP 58 „FAKIR“ (Finanzanalyse Kirchen)?*

von Ulrich Cavelti (St. Gallen)

A.Einleitung

Die Stimmberechtigten der Schweiz verwarfen am 2. März 1980 die „Volksinitiative betreffend die vollständige Trennung von Staat und Kirche“1. Im Kreuzfeuer der Kritik stand unter anderem insbesondere auch die „kirchensteuerfreundliche bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Besteuerung der juristischen Personen in der Schweiz“, welche zunehmend in Diskussion gestellt wurde. In der Mehrheit der Kantone sind neben den natürlichen auch die juristischen Personen kirchensteuerpflichtig. Lediglich in den Kantonen Basel-Stadt, Schaffhausen, Appenzell/Ausserrhoden, Aargau und Genf werden von den juristischen Personen keine Kirchensteuern erhoben. In den Kantonen Tessin und Neuenburg steht es dem Steuerpflichtigen frei, die Kirchensteuern zu bezahlen oder nicht. Steuerpflichtig sind in der Regel die Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, Vereine und Stiftungen. Im Kanton Glarus unterliegen die Holding- und Domizilgesellschaften keiner Kirchensteuerpflicht, während die Kantone Schwyz, Nidwalden und Graubünden die Kirchensteuern auch für öffentlich-rechtliche Körperschaften kennen. Die Kantone Zürich, So ← 11 | 12 → lothurn, Thurgau und Jura besteuern auch die übrigen juristischen Personen2.

Diese Ausgangslage bewog das Institut für Kirchen- und Staatskirchenrecht der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg, dem Studium der Kirchensteuern juristischer Personen in der Schweiz am 5. Februar 1988 eine Tagung zu widmen3. Ferdinand Zuppinger4 bezeichnete damals die Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen als eines der umstrittensten steuerrechtlichen Probleme, welches seit Jahrzehnten gleichermassen die Staatsrechtswissenschaftler, den Steuerjuristen und den Politiker beschäftigt hat. Folgende Hauptprobleme bezeichnete er als diskussionswürdig:

Die Zugehörigkeit zur steuerberechtigten Kirche sei Voraussetzung der Kirchensteuerpflicht. Da die juristischen Personen indessen keiner Religionsgemeinschaft angehören könnten, fehle es an der unerlässlichen persönlichen Verbindung zum steuerberechtigten Gemeinwesen.

Hinter der juristischen Person stünden natürliche Personen, welche indirekt durch die Belastung mit Kultussteuern in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt sein können.

Während sich die natürlichen Personen unter Berufung auf ihre Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft der Steuerpflicht entziehen könnten, sei dies bei der juristischen Person nicht möglich.

Schliesslich würden die juristischen Personen die Dienste der Kirche nicht beanspruchen, weshalb es willkürlich sei, sie mit Kirchensteuern zu belasten5.

Die Diskussion über die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen hat seither nichts an Aktualität verloren, im Gegenteil, das Bundesgericht hat ← 12 | 13 → seine seit über 130 Jahren bestehende konstante Rechtsprechung erneut bekräftigt6.

B.Verfassungsrechtliche, staatskirchenrechtliche und steuerrechtliche Grundlagen

I.Bundesrecht

1.Verfassung und Verfassungsdiskussionen

Nach Art. 49 Abs. 6 der Bundesverfassung von 1874 ist „niemand gehalten, Steuern zu zahlen, welche speziell für eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgemeinschaft, der er nicht angehört, auferlegt werden. Die nähere Ausführung dieses Grundsatzes ist der Bundesgesetzgebung vorbehalten“7. Bereits unter der alten Verfassung lehnte eine Vielzahl von Autoren die Kirchensteuerpflicht von juristischen Personen als verfassungswidrig ab8. Es wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass die Kirchensteuerpflicht die Zugehörigkeit zur steuerberechtigten Kirche voraussetze. Art. 15 der geltenden Bundesverfassung hat am rechtlichen Gehalt dieser Bestimmung nichts geändert: „Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen.“ Die juristischen Personen wurden weiterhin der Kirchensteuerpflicht unterworfen9.

Bereits Burckhardt10 hat festgehalten, dass seines Erachtens Personenverbände als solche nicht steuerpflichtig seien. Wenn sie selbst, wie die ← 13 | 14 → meisten Erwerbsgesellschaften, keinen konfessionellen Charakter hätten, so lasse sich ihre Konfessionszugehörigkeit nicht bestimmen, und die Besteuerung durch eine Religionsgenossenschaft führe notwendigerweise zur Willkür und zur Verletzung der Mitglieder in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit. Es gibt zur Frage der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um die Trennung von Kirche und Staat eine reichhaltige Literatur, die durchaus kontrovers ausfällt11. Während Karlen sich noch im Detail mit der Freiheit des säkularen Gewissens12 auseinandersetzt und feststellt, der historische Verfassungsgeber wolle den Schutz des rein säkular verstandenen Gewissens offensichtlich nicht in die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit von Art. 49 Abs. 1 aBV13 einschliessen, was im Übrigen auch mit der deutschen Lehre und Rechtsprechung und Art. 9 EMRK14 übereinstimme, begnügen sich die meisten heutigen Kommentatoren mit der Feststellung der konstanten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zur Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen15. Anderseits gibt es durchaus auch Autoren, die die Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen als Unterstützung der Volkskirchen bejahen16. ← 14 | 15 →

2.Die Rechtsprechung des Bundesgerichts

Das Bundesgericht hat, wie erwähnt, seit 1878 in ständiger Rechtsprechung zu Art. 49 Abs. 6 aBV Gesetzesvorschriften, welche die juristischen Personen für kultussteuerpflichtig erklärten, als unter dem Gesichtspunkt der Glaubens- und Gewissensfreiheit mit der Verfassung in Einklang stehend bezeichnet17. In einem grundlegenden Entscheid aus dem Jahre 197618 hat es einmal mehr seine Rechtsprechung verteidigt. Dabei verwies es auch auf die in der Rechtslehre von verschiedenen Autoren kritisierte Praxis19. Gleichzeitig hielt es fest, dass diesen Kritikern auch Befürworter gegenüber stünden20. Das Bundesgericht hielt in der Folge aufgrund der unterschiedlichen Lehrmeinungen Folgendes fest:

Da juristische Personen einer Religionsgemeinschaft nicht angehören könnten, fehle von vornherein die unerlässliche persönliche Verbindung zum steuerberechtigten Gemeinwesen.

Rein vom Wortlaut von Art. 49 Abs. 6 aBV könne man interpretieren, dass die Kirchenzugehörigkeit eine unabdingbare Voraussetzung der Kirchensteuerpflicht sei und dass folglich juristische Personen, die nach der Natur der Sache nicht einer Kirche angehörten, der Kirchensteuerpflicht nicht unterliegen würden. Indessen sei das Problem der ← 15 | 16 → juristischen Personen bei der Verfassungsdiskussion 1872/74 gar nicht im Blickfeld der Bundesversammlung gelegen. Der Verfassungsgeber habe nicht verbieten wollen, dass die Kantone das Kirchenwesen als eine öffentliche Aufgabe betrachten würden, also als Gebietskörperschaften, die ihre finanziellen Bedürfnisse analog der politischen Gemeinden durch Erhebung voraussetzungsloser Abgaben befriedigen könnten. Folgerichtig dürften auch die im Gebiet der Kirchgemeinde domizilierten juristischen Personen zur Kirchensteuer herangezogen werden.

Dem Einwand, dass hinter den juristischen Personen natürliche Personen stehen würden, die indirekt durch die Belastung des ihnen gehörenden Gesellschaftsvermögens mit Kultussteuern in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt sein können, hielt es entgegen, bei grossen Erwerbsgesellschaften mit einer breiten Streuung der Aktien dürfte es indessen schlechthin ausgeschlossen sein, dass sich der einzelne Aktionär durch die relativ geringfügige Belastung der Aktiengesellschaft mit Kirchensteuern irgendwie in seiner persönlichen Glaubens- und Gewissensfreiheit betroffen fühlen könnte. Der Einwand habe dann ein gewisses Gewicht, wenn es sich um Familien oder Einmann-Aktiengesellschaften handle. Dass aber derjenige, der einen Teil seines Vermögens rechtlich von seiner Person verselbständige, neben den Vorteilen dieser Gestaltung auch deren Nachteile in Kauf zu nehmen habe, sei jedoch ein allgemeiner Grundsatz.

Juristische Personen, die selber religiöse oder kirchliche Zwecke verfolgen würden, würden zudem nicht verpflichtet, an andere Religionsgemeinschaften Kultus- oder Kirchensteuern zu entrichten21.

Ein Verstoss gegen die Rechtsgleichheit, da die natürliche Person aus einer Kirche austreten und sich damit die Kirchensteuerfreiheit verschaffen könne, was der juristischen Person verwehrt sei, liege ebenfalls nicht vor. Es bestehe zwischen den beiden Arten von Rechtssubjekten ein entscheidender Unterschied, indem die natürliche Person sich auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit berufen könne, während der juristischen Person nach der Natur der Sache dieses Freiheitsrecht im Allgemeinen nicht zustehe.

Schliesslich führte das Bundesgericht aus, dass die Steuerpflicht juristischer Personen auch nicht gegen Art. 9 EMRK verstosse22. ← 16 | 17 →

Im letzten publizierten Entscheid betreffend Kirchensteuerpflicht juristischer Personen23 bestätigte das Bundesgericht seine bisherige Rechtsprechung sowohl bezüglich der Bedeutung des historischen Verfassungsgebers als auch bezüglich der übrigen Einwendungen, insbesondere wonach hinter den juristischen Personen natürliche Personen stünden, die indirekt in ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt sein könnten. Wer einen Teil seines Vermögens verselbständige, müsse auch deren Nachteile in Kauf nehmen. Eine Änderung der Rechtsprechung sei auch unter Berücksichtigung der veränderten gesellschaftlichen Anschauungen und Verhaltensweisen nicht angezeigt. Eine Änderung habe sich auch nicht aufgrund der neuen Bundesverfassung ergeben. Im Hinblick auf die Verhältnisse in den Kantonen sowie mit Rücksicht auf das Ergebnis der Totalrevision der Bundesverfassung bestehe somit kein Anlass, die nunmehr weit über hundert Jahre alte Praxis des Bundesgerichts zur Kirchensteuer juristischer Personen zu ändern.

Das letzte Urteil des Bundesgerichts zur Kirchensteuerpflicht juristischer Personen datiert vom 22. September 201024. Das Bundesgericht bekräftigt seine bisherige Rechtsprechung erneut und hält insbesondere fest, dass sich juristische Personen mit wirtschaftlichem Zweck auch nicht auf Art. 9 EMRK berufen könnten25. Zudem hält es unter Berufung auf BGE 136 III 6 E. 3 fest, dass sich eine Praxisänderung auf ernsthafte sachliche Gründe stützen müssten, die im Interesse der Rechtssicherheit umso gewichtiger sein müssten, je länger die als nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung gehandhabt worden sei. In diesem Urteil hält das Bundesgericht fest, dass eine Änderung der Praxis sich regelmässig nur begründen lasse, wenn die neue Lösung besserer Erkenntnis der ratio legis, veränderten äusseren Verhältnissen oder gewandelter Rechtsanschauung entspreche. Andernfalls sei die bisherige Praxis beizubehalten. Für eine derartige Praxisänderung sah das Bundesgericht weiterhin keinen Grund.

Den Medien war sodann zu entnehmen, dass dieser Entscheid des Bundesgerichts vom Inhaber der Einmann-Gesellschaft im Kanton Schwyz ← 17 | 18 → beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mittels Beschwerde angefochten worden ist26.

3.Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte

Die bundesgerichtliche Rechtsprechung steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung der Europäischen Kommission für Menschenrechte. In einem Entscheid aus dem Jahre 1979 hat sie entschieden, dass eine juristische Person mit wirtschaftlichem Geschäftszweck weder in den Genuss der Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK komme noch sich darauf berufen könne27. Im Jahre 1981 entschied die Kommission – wieder in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichts –, dass eine Vereinigung mit religiöser oder philosophischer Zielsetzung sich dagegen auf Art. 9 EMRK berufen dürfe28. Art. 9 EMRK schützt also, gleich wie die entsprechenden Bestimmungen der geltenden und ehemaligen Bundesverfassung, das Recht des Einzelnen, also das forum internum29. Nachdem die beiden erwähnten Entscheide durch die damalige Europäische Kommission für Menschenrecht ergangen waren, wird sich also der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) erstmals mit einer Beschwerde gegen die Kirchensteuerpflicht juristischer Personen zu befassen haben.

II.Staatskirchenrechtliche Begründung

„Man muss sich vor allem vergegenwärtigen, dass die Kultusgemeinden Verbände des öffentlichen Rechtes sind, denen vom Staat ein Steuerrecht eingeräumt wird zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben, die der Staat nicht selber erfüllen will oder kann. Die besondere Natur dieser Aufgabe hatte den Verfassungsgeber veranlasst, von diesen Leistungen Personen zu befreien, die dadurch in ihrem Glauben oder Gewissen verletzt werden könnten; Art. 49 Abs. 6 aBV ist also eine Garantie rein nega ← 18 | 19 → tiven Charakters, die für die Besteuerung eine Schranke aufstellt, indem sie sagt, wer nicht besteuert werden darf. Dies geschieht aber so, dass nur derjenige sich auf diese Schranke berufen kann, der als inneres persönliches Gut einen religiösen Glauben haben kann. Da einem Personenverband aber alle inneren persönlichen Güter abgehen, seien sie körperlicher oder seelischer Natur, so bleiben ihm auch alle diejenigen Freiheitsrechte verschlossen, welche deren Schutz gegenüber dem Staate bezwecken, also vor allem die Religionsfreiheit. Wer sich daher nicht auf seinen inneren Glauben, auf sein seelisches Gewissen berufen mag, kann – jedoch ohne Verfassungsverletzung – steuerlich auch für einen Kultuszweck erfasst werden und kann diese Leistung naturgemäss nicht etwa von einem persönlichen Interesse an der Erfüllung des damit verbundenen Zweckes abhängig machen“30. Der Bundesrat hielt im Zusammenhang mit der eidgenössischen Initiative für eine vollständige Trennung von Kirche und Staat in seiner Botschaft über die Volksinitiative betreffend die vollständige Trennung von Staat und Kirche folgendes fest: „Die von den Kirchen aus dem Geist der heiligen Schrift vertretenen Grundwerte sind für den Staat unentbehrlich. Es sind dies vor allem die Achtung vor der Freiheit und der Würde der menschlichen Person, ferner Liebe, Wahrheit, Friede, Gerechtigkeit und Solidarität. Durch Erhaltung und Vermittlung solcher Grundwerte tragen die Kirchen eine hohe Verantwortung für Staat und Gesellschaft“31. Die vom Bundesgericht erwähnten Aufgaben, die der Staat „nicht selber erfüllen will oder kann“, sind etwa Kinderkrippen, Jugendarbeit, Jugend- und Erziehungsheime, Erwachsenenbildung, Altersund Pflegeheime, Altersbetreuung, Telefonseelsorge, Anstalt- und Spitalseelsorge, Kranken- und Hauspflege, Gemeindehelferdienste bei sozialen Fragen und Nöten, Beratung in Ehe- und Lebensfragen, Fürsorge- und Beratungsstellen für Alkohol- und Drogengefährdete, Hilfe bei Aids-Erkrankungen, Betreuung Arbeitsloser und Strafentlassener, Spezialpfarrämter für Wirtschafts- und Sozialfragen, Entwicklungshilfe und anderes mehr32. Selbst wenn heute ein Teil der erwähnten Aufgaben auch durch Kanton und Gemeinden wahrgenommen werden, so bleibt doch den Kirchen in diesem Bereich immer noch ein breites Betätigungsfeld. Dabei wird immer wieder darauf verwiesen, dass insbesondere juristische Per ← 19 | 20 → sonen einen Bedarf nach diesen Dienstleistungen auslösen, sei es durch ihre wirtschaftliche Grösse und die Zahl der Beschäftigten, sei es durch die allgemeine Belastung der Infrastruktur im weitesten Sinne.

Der Can. 222 des CIC verpflichtet in § 1 die Gläubigen, „für die Erfordernisse der Kirche Beiträge zu leisten, damit ihr die Mittel zur Verfügung stehen, die für den Gottesdienst, die Werke des Apostolats und der Caritas sowie für einen angemessenen Unterhalt der in ihrem Dienst Stehenden notwendig sind“33. Auch wenn aus dieser rein kirchenrechtlichen Vorschrift selbstverständlich nichts Verpflichtendes für das schweizerische Besteuerungsrecht bzw. das Staatskirchenrecht abgeleitet werden kann, so zeigt es sich doch, dass bei der Begründung für die Erhebung von Kirchensteuern – auch der juristischen Personen – vergleichbare ethische Überlegungen dahinter stehen. Bereits der Altmeister bezüglich des Verhältnisses von Staat und Kirche in der Schweiz, Ulrich Lampert, beruft sich auf Vasella, wenn er ausführt: „Wo der Staat die Besteuerung der juristischen Personen durch die öffentlich-rechtlich anerkannten konfessionellen Verbände gestattet, geht er von der Erwägung aus, dass diese eine öffentliche, den Interessen der Allgemeinheit zugute kommende Wirksamkeit entfalten und dass ihnen deswegen auch eine ähnliche steuerrechtliche Vorzugsstellung eingeräumt werden soll, wie den staatlichen Kommunalverbänden […]. Es liegt nicht zuletzt auch im Interesse einer Erwerbsgesellschaft selber, dass für die religiösen Bedürfnisse ihrer Arbeiter und Angestellten in angemessener Weise gesorgt wird.“34 Ähnlich argumentiert auch Daniel Kosch in seiner Antwort auf einen Beitrag von Manuel Blättler, der sich gegen die Kirchensteuerpflicht der juristischen Personen wendet, wenn er ausführt, der Beistand für Menschen, die von Schicksalsschlägen betroffen seien und die mit grossem Einsatz von Freiwilligenarbeit gepflegten Netzwerke, ihre Bildungsangebote sowie ihre Beiträge zum kulturellen Leben kämen der Gesamtgesellschaft zugute35. ← 20 | 21 →

III.Steuerrechtliche Begründung

1.Die steuerliche Zugehörigkeit

Juristische Personen sind kraft persönlicher Zugehörigkeit an ihrem statutarischen Sitz oder am Ort ihrer tatsächlichen Verwaltung unbeschränkt steuerpflichtig. Dabei kann das kantonale Recht den Kirchgemeinden auch die Befugnis verleihen, die juristischen Personen sowohl bezüglich des Gewinns als auch des Kapitals zu besteuern. Wenn am Sitz der juristischen Person mehrere staatlich anerkannte Kirchgemeinden bestehen, so werden die Steuererträge in der Regel an jede von diesen anteilsmässig aufgeteilt36. Steuern sind voraussetzungslose, d.h. nicht im Sinne einer Äquivalenz für eine staatliche oder kommunale Gegenleistung geschuldete, öffentliche Abgaben, die das Gemeinwesen zwangsweise zur Finanzierung seiner Ausgaben erhebt37. Der Steuerpflichtige schuldet somit die Steuer, ungeachtet dessen, ob er über eine die allgemeine Ordnungs- und Sozialfunktion des Staates hinausgehende, ihn besonders begünstigende Leistung empfangen hat. Steuern werden also nicht in konkreter Bezogenheit auf eine bestimmte Aufgabe, sondern allgemein zur Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs erhoben38. Das Territorialitätsprinzip bzw. die Gebietskörperschaften sind öffentlich-rechtlicher Natur und durch das kantonale Verfassungs- und Gesetzesrecht geschaffen. Zur Erfüllung der diesen Gebietskörperschaften übertragenen Aufgaben wird den Gemeinwesen die Steuerhoheit verliehen. Verfassung und Gesetz bestimmen über Inhalt und Umfang der kommunalen Steuerhoheit und begrenzen diese39. ← 21 | 22 →

2.Steuersubjekt

Die juristische Person ist, wie allgemein anerkannt, ein selbständiges Steuersubjekt. So bestehen bei Kapitalunternehmen regelmässig zwei Steuersubjekte. Einerseits ist die juristische Person (Kapitalgesellschaft, Genossenschaft) für ihren Gewinn und ihr Kapital steuerpflichtig. Anderseits müssen Inhaber der Beteiligungsrechte (Anteilsinhaber), also letztlich natürliche Personen, die Anteilsrechte als Vermögen und Gewinnausschüttungen als Einkommen versteuern40. Von einer Doppelbelastung kann deshalb nicht gesprochen werden41.

3.Verletzung der Rechtsgleichheit?

Wie oben dargelegt, hat das Bundesgericht wiederholt den Vorwurf der rechtsungleichen Behandlung verworfen, weil sich natürliche Personen durch Austritt aus der Kirche von der Kirchensteuerpflicht befreien könnten, während sich die juristische Person der Kirchensteuerpflicht nicht entziehen könne. Der allgemeine Gleichheitssatz, wonach Gleiches nach Massstab der Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massstab der Ungleichheit ungleich zu behandeln ist42, wird indessen nach konstanter bundesgerichtlicher Rechtsprechung bei der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen nicht verletzt. Wie ausgeführt hält das Bundesgericht fest, dass derjenige, der einen Teil seines Vermögens rechtlich von seiner Person trennt und im Rahmen einer juristischen Person verselbständigt, neben den Vorteilen dieser Gestaltung auch deren Nachteile in Kauf zu nehmen habe43. Es besteht somit ein sachlicher und nachvollziehbarer Grund für die rechtlich differenzierte Behandlung.

IV.Zusammenfassung der Rechtsprechung und Würdigung

1.Zusammenfassung der Rechtsprechung

In seinem letzten Entscheid44 hat das Bundesgericht vorerst auf die seit 1878 in ständiger Praxis befolgte Rechtsprechung verwiesen. Sodann ← 22 | 23 → ging es auf die im Jahre 1976 ausführlich dargelegte Begründung für die Bejahung der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen im Einzelnen ein. Dazu hat es Folgendes festgehalten:

Details

Seiten
356
Jahr
2014
ISBN (PDF)
9783035107654
ISBN (ePUB)
9783035195026
ISBN (MOBI)
9783035195019
ISBN (Paperback)
9783034315753
DOI
10.3726/978-3-0351-0765-4
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2014 (September)
Schlagworte
Religion Rechtsquellen Kirchengemeinde Kirche
Erschienen
Bern, Berlin, Bruxelles, Frankfurt am Main, New York, Oxford, Wien, 2014. 356 S., 6 s/w Abb.

Biographische Angaben

Dieter Kraus (Band-Herausgeber:in) Wolfgang Lienemann (Band-Herausgeber:in) René Pahud de Mortanges (Band-Herausgeber:in) Christoph Winzeler (Band-Herausgeber:in)

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