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Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-Bibliothek

Forschungsstand und -perspektiven

von Monika Jaglarz (Band-Herausgeber:in) Katarzyna Jaśtal (Band-Herausgeber:in)
©2018 Sammelband 376 Seiten

Zusammenfassung

Die Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, die in der Jagiellonen-Bibliothek aufbewahrt werden, erwecken seit Jahren das Interesse der Forschung und der Öffentlichkeit. Diese wertvolle Sammlung kam nach Krakau aufgrund von Umständen, die aus dem Zweiten Weltkrieg resultierten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ihre Existenz verheimlicht und erst Anfang der 1980er Jahre der Forschung zur Verfügung gestellt. Seit dieser Zeit realisierten Wissenschaftler zahlreiche Projekte zur Erschließung und Edition der genannten Bestände. Der vorliegende Band erlaubt den Lesern Einsicht in das erste groß angelegte Treffen von polnischen und deutschen Wissenschaftlern, das den als «Berlinka» bezeichneten Beständen gewidmet wurde.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Title Page
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • Die Autorinnen und Autoren / Contributors
  • Einleitung
  • Monika Jaglarz, Katarzyna Jaśtal: Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-Bibliothek: Geschichte und Struktur
  • Piotr Tylus, Roman Sosnowski, Anna Rzepka: Romance manuscripts in the Berlin collection at the Jagiellonian Library in Cracow—The state of the research and perspectives
  • Paul Videsott: Eine wichtige (Wieder-)Entdeckung für die Sprachgeschichte des Dolomitenladinischen: die erste dolomitenladinische Grammatik (Jagiellonen-Bibliothek Krakau, Ms. raetorom. qu. 15)
  • Katarzyna Kołakowska: Greek Manuscripts from the former Prussian State Library in Berlin:
  • Lesław Łesyk: Die literarische Tradition von Georg Kourtesios (Gennadios II. Scholarios) in den Beständen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-Bibliothek1
  • Jan Stradomski: Zum Stand der Forschung an kirchenslawischen Handschriften aus den in der Jagiellonen-Bibliothek aufbewahrten Beständen der ehemaligen Preußischen Bibliothek
  • Jacek Partyka: Polonica and Polish books from the collection of the former Prussian State Library in Berlin now in the Jagiellonian Library in Kraków
  • Zdzisław Pietrzyk: Polonica in Albums forming part of the former Prussian State Library in Berlin (now held by the Jagiellonian Library) which were brought to light in 2014
  • Gesa Weinert: Die Lenziana in Krakau und die Historisch-kritische Edition sämtlicher Verse von J. M. R. Lenz
  • Jana Kittelmann: Nebenschauplätze? Zu den Handschriften Johann Georg Sulzers in der Sammlung Varnhagen und der Sammlung Autographa
  • Markus Bernauer: Hundelocken und Briefe. Einige Bemerkungen zu Dichterverehrung,
  • Jochen Strobel: Philologenpost. August Wilhelm Schlegels Korrespondenz im Netz
  • Ingo Breuer: Hybride Kommunikation? Eine Miszelle zu Heinrich von Kleists Brief an Wilhelmine von Zenge vom 16./18.11.1800
  • Heinz Härtl: Handschriften des Varnhagen-Nachlasses in der Brief-Edition der Weimarer Arnim-Ausgabe
  • Philip Mattson: Der Rekurs aufs Original – auch eine Entdeckungsreise
  • Ottmar Ette: Insel-Text und archipelisches Schreiben: Alexander von Humboldts Isle de Cube, Antilles en général1
  • Jutta Weber Dominik Erdmann: Alexander von Humboldts Amerikanische Reisetagebücher.
  • Ulrike Leitner: Von Mexiko nach Kuba – Vom Buch zur hybriden Publikation. Editorische Entwicklungen der Alexander von Humboldt-Forschung am Beispiel zweier Tagebuchteile der Biblioteka Jagiellońska
  • Julia Madajczak: A manuscript jigsaw puzzle: the sixteenth-century Nahuatl census1
  • Jadwiga Kita-Huber: Die Briefwechsel Helmina von Chézys: Erschließung und (Teil)edition
  • Izabela Surynt: Familiendokumente Gustav Freytags in den Beständen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-Bibliothek
  • Paweł Zarychta: „Kultus der Erinnerung und künstlerische Geselligkeit“
  • Ursula Isselstein: Ein Dank mit Geheimblättern
  • Nikolaus Gatter: Wohin meine Landsleute jederzeit leicht anreisen können: Ludmilla Assings Vermächtnis – die Varnhagensammlung
  • Andrea Hübener: Herbarium und Schrein
  • Marek Mejor: “Sammlung Pander” and Tibetica kept at the Jagiellonian Library in Kraków
  • Thupten Kunga Chashab: Survey of the Pander Tibetan Collection at the Jagiellonian Library, Cracow and Overview on the Literary Genre of Rig pa ’dzin pa’i pho nya, “Messenger of a Yogi”
  • Abbildungsverzeichnis/List of Figures

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Die Autorinnen und Autoren / Contributors

Markus Bernauer

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Ingo Breuer

Universität zu Köln

Thupten Kunga Chashab

Uniwersytet Warszawski

Dominik Erdmann

Humboldt-Universität zu Berlin

Ottmar Ette

Universität Potsdam

Nikolaus Gatter

Varnhagen Gesellschaft

Heinz Härtl

Arnim-Arbeitsstelle der Stiftung Weimarer Klassik

Andrea Hübener

Technische Universität Carolo-Wilhelmina Braunschweig

Ursula Isselstein

Università degli Studi di Genova

Monika Jaglarz

Uniwersytet Jagielloński

Katarzyna Jaśtal

Uniwersytet Jagielloński

Jadwiga Kita-Huber

Uniwersytet Jagielloński

Jana Kittelmann

Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg

Katarzyna Kołakowska

Katolicki Uniwersytet Lubelski Jana Pawła II

Ulrike Leitner

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Lesław Łesyk

Katolicki Uniwersytet Lubelski Jana Pawła II

Julia Madajczak

Uniwersytet Warszawski

Philip Mattson

Universität Heidelberg

Marek Mejor

Uniwersytet Warszawski

Jacek Partyka

Uniwersytet Jagielloński

Zdzisław Pietrzyk

Uniwersytet Jagielloński

Anna Rzepka

Uniwersytet Jagielloński

Roman Sosnowski

Uniwersytet Jagielloński

Jan Stradomski

Uniwersytet Jagielloński

Jochen Strobel

Universität Marburg

Izabela Surynt

Uniwersytet Wrocławski

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Piotr Tylus

Uniwersytet Jagielloński

Paul Videsott

Libera Universitá di Bolzano/Freie Universität Bozen

Jutta Weber

Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

Gesa Weinert

Universität Bonn

Zarychta

Uniwersytet Jagielloński

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Einleitung

Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse der gemeinsam vom Institut für Germanische Philologie der Jagiellonen-Universität und der Jagiellonen-Bibliothek 1.6.–3.6.2017 in Krakau organisierten Tagung Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-Bibliothek: Forschungsstand und -perspektiven. Er resultiert aus dem ersten groß angelegten Treffen von polnischen und deutschen Wissenschaftlern, das den als „Berlinka“ bezeichneten und in Krakau aufbewahrten Beständen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin (PSB) gewidmet war.

Im Fokus der Beiträge steht eine der größten und wertvollsten Bibliothekssammlungen in Europa. Sie gelangte nach Krakau unter ungewöhnlichen Umständen. Aufgrund der potenziellen Bedrohung durch Kriegshandlungen begann man bereits 1935 die Verlagerung der wertvollsten Kollektionen der Staatsbibliothek zu Berlin aus der Hauptstadt des Dritten Reiches vorzubereiten. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Bestände der PSB an insgesamt dreißig verschiedenen Orten, darunter Fürstenstein (Książ) in Niederschlesien, deponiert, wobei ein Teil der Sammlung 1944 nach Grüssau (Krzeszów pod Kamienną Górą) kam.

Die vom polnischen Bildungsministerium 1945 berufene und von dem Mitarbeiter der Jagiellonen-Bibliothek Stanisław Sierotwiński geleitete Kommission für die Sicherstellung des zurückgelassenen Bibliotheksguts veranlasste in den Jahren 1946–1947 die Überführung der Berliner Bestände in die Jagiellonen-Bibliothek. Hier werden sie bis heute als eine Leihgabe der polnischen Regierung aufbewahrt.

In Folge der Haltung der polnischen Behörden waren die Bestände mehrere Jahrzehnte unzugänglich, lange wurde selbst ihre Existenz verheimlicht. Diesen Umstand hat erst eine behördliche Entscheidung aus dem Jahre 1981 verändert, die der Forschung einen freien Zugang zu diesen zum Weltkulturerbe gehörenden wertvollen Materialien ermöglichte.

Seitdem wurden an den Materialien aus der „Berlinka“ eine so große Zahl an wissenschaftlichen Projekten durchgeführt, dass es sinnvoll schien, einen breit angelegten Dialog über diese Sammlung zu initiieren, um eine stärkere Vernetzung der internationalen Forschung zu fördern.

Die Initiative dazu kam von Dr. habil. Katarzyna Jaśtal und wurde von dem Direktor der Jagiellonen-Bibliothek, Prof. Dr. Zdzisław Pietrzyk und Frau Dr. Monika Jaglarz sofort aufgegriffen.

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Das im Juni 2017 stattgefundene erste Treffen polnischer und deutscher Wissenschaftler hatte die Präsentation von laufenden und abgeschlossenen Projekten zum Ziel, bei denen die Bestände der „Berlinka“ eine zentrale Rolle spielten bzw. spielen. Der beschränkte Zeitrahmen erlaubte uns nicht, die Gesamtheit und Vielfalt der seit Jahrzehnten durchgeführten einschlägigen Forschung in Betracht zu ziehen. Daher haben wir uns entschieden, unsere Tagung ausschließlich Arbeiten zu Texthandschriften und den zusammen mit ihnen in der Handschriftenabteilung der Jagiellonen-Bibliothek aufbewahrten orientalischen Drucken aus der Kollektion Pander zu widmen. Wissenschaftliche Projekte zu Bildhandschriften, kartographischen Beständen und Musikalien konnten dieses Mal nicht berücksichtigt werden.

Die Tagung wurde von einer Ausstellung begleitet, welche die Ergebnisse der abgeschlossenen und laufenden wissenschaftlichen und editorischen Projekte illustrierte. Dabei wurden die Objekte aus den Sammlungen gebundener Handschriften, Autographen aus der Sammlung Varnhagen und der Sammlung Autographa, Objekte aus handschriftlichen Nachlässen (von Jacob Michael Reinhold Lenz, Alexander von Humboldt und Gustav Freytag) sowie Handschriften, Xylographen und orientalische Drucke aus der Sammlung Pander präsentiert. Sie wurden von den Teilnehmern der Tagung ausgewählt und mit ausführlichen Kommentaren versehen.

Die Teilnehmer der Tagung, d.i. die Autoren der hier gesammelten Beiträge vertreten unterschiedliche Forschungsfelder, doch alle verbindet die aus vielfältigen Erfahrungen gewonnene Überzeugung, dass gerade eine reflektierte Zuwendung zu Quellen immer wieder zu fachrelevanten Entdeckungen und zu neuen Erkenntnissen führt, die die untersuchten Gegenstände und ihre Kontexte im neuen Licht erscheinen lassen.

Die Entstehung dieses Bandes wäre ohne wohlwollende Unterstützung des Direktors der Jagiellonen-Bibliothek, Prof. Dr. Zdzisław Pietrzyk und der Direktorin des Instituts für Germanische Philologie der Jagiellonen-Universität, Dr. habil. Magdalena Sitarz nicht möglich gewesen. An der Organisation der Tagung und der Ausstellung waren mehrere Mitarbeiter des Instituts für Germanische Philologie der Jagiellonen Universität und der Jagiellonen-Bibliothek beteiligt. Der Tagungsband erscheint dank der Förderung der Philologischen Fakultät der Jagiellonen-Universität.

Wir bedanken uns bei allen Personen und Institutionen, dank denen unser Projekt zustande gekommen ist.

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In die Hände unserer Leser übergeben wir einen Band, der sowohl eine Bilanz der bisherigen Forschung ermöglichen als auch zu einer Reflexion über Desiderate und Perspektiven künftiger Forschungsarbeiten anregen soll.

Die Herausgeberinnen

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Monika Jaglarz, Katarzyna Jaśtal
Uniwersytet Jagielloński

Bestände der ehemaligen Preußischen
Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-
Bibliothek: Geschichte und Struktur

Abstract: Der Beitrag reflektiert die Geschichte der sog. „Berliner Bestände“. Die Darstellung setzt mit dem Jahr 1935 an, in dem zum ersten Mal das Konzept der Evakuation der Bestände aus Berlin im Falle „kriegerischer Auseinandersetzung“ zur Sprache kam. Folglich wird die Auslagerung der Sammlungen nach Schlesien und ihre Entdeckung nach dem Zweiten Weltkrieg durch den Beauftragten der von der polnischen Regierung berufenen Kommission für die Sicherung verlassener und aufgegebener Bücherbestände sowie ihre Überführung in die Jagiellonen-Bibliothek in Krakau thematisiert. Beschrieben wird demnach die darauffolgende Zeit, in der die Präsenz der Bestände geheim gehalten wurde, bis zum Jahr 1981, seit dem die Kollektion allen interessierten Wissenschaftlern zur Verfügung steht. Den Text schließt die Darstellung der Struktur des im Fokus der Tagung stehenden Teils der „Berliner Bestände“, die in der Handschriftenabteilung der Jagiellonen-Bibliothek aufbewahrt werden, ab.

Keywords: „Berliner Bestände“/„Berlinka“ehemalige Preußische Staatsbibliothekder Zweite WeltkriegNachkriegsgeschichteJagiellonen-Bibliothek

Eine Auseinandersetzung mit den Beständen der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek, die sich in Krakau befinden, erfordert, auf die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges einzugehen. Ein Bericht, der sich mit diesem Thema beschäftigt, muss vor dem Jahr 1941 ansetzen, in dem aufgrund der Gefährdung Berlins durch Luftangriffe die ersten Auslagerungen der Sammlungen der Staatsbibliothek erfolgten. Die bekannte Geschichte dieser Evakuierung hat nämlich eine Vorgeschichte. Bereits im Sommer 1935 wurden leitende Berliner Kulturbeamte vom Kultusminister aufgefordert, ein Konzept zur Sicherung von Kunstwerken für den Fall von „kriegerischer Auseinandersetzung“ zu entwickeln.1 Fast ←15 | 16→zwei Jahre später erhielt der Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, Hugo Andres Krüß ein vertrauliches Rundschreiben des Kultusministers über „Schutzmaßnahmen bei Kriegsgefahr“. Ab 1937 erfolgte auch eine massive Verstärkung der auf zwei unterirdischen Ebenen gelegenen Tresorräume der PSB. Im September 1938 stellte die Handschriftenabteilung eine Vorauswahl von den bei Gefahr zu bergenden Handschriften zusammen. Am 25. August 1939 wurden die Teilnehmer des Internationalen Archäologischen Kongresses im Berliner Stadtschloss vom unmittelbar bevorstehenden Kriegsausbruch informiert.2

Der Generaldirektor, Hugo Andres Krüß, der sich unter ihnen befand, agierte daraufhin blitzschnell. Bereits am 26. August 1939 erfolgte der Umzug der Rarissima in den Panzerkeller des Reichswirtschaftsministeriums – Unter den Linden Nr. 15/Ecke Charlottenstraße. In den nächsten Monaten wurden die Bibliotheksbestände sowohl im Bereich der Bibliothek als auch in den, in der Stadt zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten mehrere Male umgelagert. Das Jahr 1941, indem Berlin durch Luftangriffe bedroht wurde, stellte die Bibliothekare der PSB vor eine große Herausforderung. In der Nacht vom 9. zum 10. April wurde die PSB zum ersten Mal Opfer von Brandbomben. Auch wenn sich der Schaden in Grenzen hielt, wurde die Auslagerung der Bestände an Orte außerhalb von Berlin beschlossen.3 Nun galt es, die im Voraus präzise geplante und sorgfältig vorbereitete Auslagerung der Bestände durchzuführen.4 Evakuiert wurden insgesamt ←16 | 17→3 Millionen Drucke und 900 Tausend Objekte aus den Sondersammlungen.5 Die genannten Bestände wurden in zwei Kategorien eingeteilt. Die Erste machten Texthandschriften, Musikhandschriften, Autographa, Inkunabeln, orientalische Sammlungen, die Rara-Bestände sowie Kunstdrucke aus. Zur Zweiten gehörten Drucke aus den Sammlungen der Judaica, die Kriegssammlung, darüber hinaus sprachwissenschaftliche, italienische und slawische Drucke sowie Atlanten und Zeitschriften. Die genannten Bestände wurden in Holzkisten verpackt, (in denen sie bis 1945 bleiben sollten), und an insgesamt 30 Auslagerungsorte auf dem Gebiet des Dritten Reiches gebracht.6 Trotz gewisser Transportverluste ist jedes ←17 | 18→dieser Depots bis zum Beginn der Winteroffensive im Januar 1945 unversehrt geblieben.7

Eine wichtige Rolle unter den „Flüchtungsorten“ fiel dem als „Luftschutzkeller des Reiches“8 apostrophierten Schlesien, insbesondere Niederschlesien zu. Ein Teil der dorthin verlagerten Sammlungen kam zuerst in das geräumige Schloss Fürstenstein (Książ) in Niederschlesien, worauf es an einen potentiell sichereren Ort – nämlich nach Grüssau (Krzeszów pod Kamienną Górą) gebracht wurde. In der Kirche des dort gelegenen Klosters wurden 505 Kästen mit dem sog. „Preußischen Schatz“ deponiert. Die Einheiten der Roten Armee, die 1945 die Stadt einnahmen, haben die in der Empore verborgenen Bestände nicht entdeckt.9

Nach dem Ende der Kriegshandlungen wurden Gebiete Niederschlesiens aufgrund der Friedensbestimmungen zu einem Teil des polnischen Nachkriegsstaats. Über weitere Schicksale der dort deponierten Bestände entschied das am 6. Mai 1945 verabschiedete Gesetz über „die verlassenen und aufgegebenen Vermögenswerte“10, das in demselben und folgendem Jahr durch weitere Regierungs-und Ministerialerlasse „zur Sicherung und Verwertung“ von Kunst-und Büchersammlungen ergänzt wurde.11 Die polnische Regierung hat eine Kommission (Delegatur) für die Sicherung verlassener und aufgegebener Bücherbestände mit dem Sitz in der Jagiellonen-Bibliothek einberufen. Ihr Beauftragter, Dr. Stanisław Sierotwiński, Literaturhistoriker, Bibliothekar und Mitarbeiter der ←18 | 19→Jagiellonen-Bibliothek12, bekam die Aufgabe in der durch Kriegstraumatisierungen und von Elend geprägten gefährlichen Nachkriegszeit, nach den von den Nationalsozialisten noch nicht zerstörten – u. a. nach Niederschlesien – verlagerten Beständen aus den polnischen Bibliotheken in Krakau, Warschau und Lemberg zu suchen, um sie vor weiterer Zerstörung und Zerstreuung zu retten.13

Sierotwiński und eine Gruppe seiner Mitarbeiter suchten das Kloster Grüssau 1945 auf. Das Ergebnis seiner Bemühungen war das Auffinden eines Teils dieses Bibliotheksguts und den – von der Roten Armee in der Empore der Grüssauer Klosterkirche nicht entdeckten – Berliner Sammlungen.

Entsprechend den Bestimmungen des Erlasses über das ehemalige deutsche Eigentum vom 8. März 1946 wurden die als „Preußischer Schatz“ bezeichneten Bestände systematisch nach Krakau überführt. Anfangs wurden sie provisorisch an verschiedenen Orten in der Stadt, u.a. in den Klöstern der Missionare und der Dominikaner gelagert, schließlich wurden sie 1947 aus konservatorischen Gründen in das Gebäude der Jagiellonen-Bibliothek gebracht. Einige der Kästen, die Bücher und Handschriften enthielten, waren zerschlagen, doch insgesamt befand sich die Kollektion in einem guten Zustand. Mit dem Auspacken der Bestände begann man im Gebäude der Bibliothek, wo 490 Kästen ankamen, bereits am 1. November 1947.14

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Bis Ende der 70er Jahre des 20. Jhs. haben die polnischen Behörden die Präsenz der Bestände in Polen verschwiegen.15 Dies hatte zur Folge, dass die Bestände für mehrere Jahre von Wissenschaftlern nicht benutzt werden konnten. Darüber hinaus haben die Behörden mehrere inkonsistente, widersprüchliche Entscheidungen über die Zukunft der Sammlung getroffen.

Anfang der 1950er Jahre wurde die eingangs erwähnte Kommission für die Sicherung verlassener und aufgegebener Bücherbestände abgeschafft und die institutionelle Sorge um die Bestände an die Jagiellonen-Bibliothek delegiert. 1957 wurde Jan Baumgarten, dem damaligen Direktor der Jagiellonen-Bibliothek die Aufgabe übertragen, die Sammlung für ihre Rückkehr nach Berlin vorzubereiten. Der Auftrag wurde jedoch kurz darauf widerrufen. Einige Jahre später ←20 | 21→entschieden sich die Behörden, eine große Anzahl von Zeitschriften an die Deutsche Staatsbibliothek in Berlin zu überweisen16, doch die wichtigsten Bestände blieben weiterhin in der Jagiellonen-Bibliothek. Bezogen auf die rechtliche Lage haben polnische Spezialisten für internationales Recht in ihren Gutachten einstimmig festgestellt, dass diese Sammlungen das Eigentum des polnischen Staates sind.17 Der aktuelle Status der oft als „Berlinka“ bezeichneten Bestände ist folgender: Sie werden in der Jagiellonen-Bibliothek als Leihgabe des polnischen Staates aufbewahrt.

1975 hat man mit den Vorbereitungen zur Integration von „Berlinka“ in die Bestände der Jagiellonen-Bibliothek begonnen. Bald wurde aber auch dieser Entschluss widerrufen und die Frage nach der Benutzung und dem weiteren Schicksal der Kollektion blieb weiterhin unbestimmt.

Der nächste Schritt der inkonsequenten und schwer verständlichen Politik der polnischen Staatsbehörden die Berliner Bestände betreffend erfolgte überraschenderweise im Jahre 1977. Der damalige erste Sekretär der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, Edward Gierek, hat während seines Staatsbesuchs in Berlin am 29. Mai 1977 ausgewählte Handschriften Ludwig van Beethovens (darunter eine Passage aus der 9. Symphonie), von Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Sebastian Bach „im Namen des polnischen Volkes an das Volk der DDR“ übergeben.18

1979 begann man die Berliner Bestände Wissenschaftlern zugänglich zu machen, die eine spezielle, individuell erworbene Erlaubnis des Ministeriums vorweisen konnten. Zu einem Umbruch kam es 1981, als Prof. Józef Andrzej Gierowski zum Rektor der Jagiellonen Universität und Prof. Jan Pirożyński zum Direktor der Jagiellonen-Bibliothek19 wurden. Aufgrund der Bestimmungen von ←21 | 22→den Universitätsbehörden konnten die Bestände seit Juli 1981 allen interessierten Wissenschaftlern zur Verfügung gestellt werden, und zwar nach den Regeln, die für alle anderen Sonderbestände der Jagiellonen-Bibliothek auch galten.20 Dadurch kam die „Berlinka“ ans Tageslicht, aber die Tatsache, dass ihr Verbleib jahrelang verschwiegen wurde, das Resultat gedankenloser und schädlicher Behördenpolitik (vgl. Anm. 15), wirkte sich negativ auf die Meinung der internationalen akademischen Gemeinschaft aus.

Das Interesse an den Beständen war während der hier kurz umrissenen Zeit von 35 Jahren gewaltig und so bleibt es auch bis heute. Die kostbare Berliner Kollektion ist kein Stillleben mehr. Dem Musealisierungszustand enthoben, zieht sie jedes Jahr mehrere Wissenschaftler an, die die Bestände vor Ort nutzen möchten. Mag die Frage der „Berlinka“ politisch kontrovers diskutiert werden, scheint es unter den Wissenschaftlern einen pragmatischen Konsens zu geben: Die Forschung an den Beständen, die allen bibliothekarischen Standards gemäß aufbewahrt, konserviert und zur Verfügung gestellt werden, lässt sie weiterleben und garantiert den ihnen zugehörigen Platz im wissenschaftlichen und zivilisatorischen Erbe Europas.

Bei der Vielfalt und Fülle von Projekten, die an den Materialien aus der Berlinka Projekte durchgeführt wurden, erscheint es unmöglich, im Rahmen unserer Tagung alle inzwischen erschlossene Bereiche anzusprechen. Aus dieser Überlegung heraus haben wir beschlossen, unser Treffen ausschließlich den Beständen zu widmen, die in der Handschriftenabteilung der Jagiellonen-Bibliothek aufbewahrt werden. Und mit der Darstellung der Struktur dieser Bestände, mit der wir die Teilnehmer unserer Tagung zur weiteren Diskussion eingeladen haben, möchten unseren Beitrag abschließen.

Die in der Handschriftensektion der Jagiellonen Bibliothek vorhandenen Manuskripte und Drucke aus der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin

(Signaturenübersicht21)

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Alba Amicorum

Alba Amicorum 1–76, 78–99

Manuscripta Americana

Ms. Amer. 3, 4, 6, 8–15

Zs. 14590; Zs. 14620; Zs. 14623; Zs. 14652; 16442

Manuscripta Gallica

Ms. Gall. Fol. 121–126, 128–141, 144–147, 150–159, 161–167, 169–176, 178–190, 192–197, 199–206, 208–211, 214–218, 220, 221, 223, 224, 227–233

Ms. Gall. Qu. 1–34, 36–46, 49–55, 78, 79, 81–92, 95–102, 104–113, 115, 116, 118–120, 123–159

Ms. Gall. Oct. 1–24, 29, 32, 35, 37, 38, 43

Manuscripta Genealogica

Ms. Gen. Fol. 1–112, 112a, 113–118, 192–263, 266, 267

Manuscripta Germanica

Ms. Germ. Qu. 16, 29, 37, 132, 254, 357, 418, 447, 479, 484, 490, 502, 504, 519, 521, 554, 574, 597, 635, 642, 647, 654, 661, 662, 665, 666, 669, 672, 792, 800, 846, 978, 1017, 1085–1088, 1094, 1146, 1195, 1303, 1306, 1307, 1340, 1403, 1412, 1418, 1479, 1481, 1494, 1495, 1497, 1532, 1533, 1576, 1578, 1579, 1585, 1598, 1670–1672, 1689, 1698, 1722, 1855, 1863, 1869, 1870, 1895.1–11, 2020

Ms. Germ. Oct. 109, 125, 462, 682, 694, 761, 762

Manucripta Graeca

Ms. Graec. Fol. 1–9, 11, 12, 15, 16, 19–24, 27, 28, 36–48, 50–61, 63, 64, 66 vol. II, 67–72, 74

Ms. Grace. Qu. 1–10, 12–23, 25a–e, 26, 27, 281a–b, 29–34, 38, 40–60, 62–65, 67–71, 71a, 72–76, 78–88

Ms. Graec. Oct. 1–8, 10, 11, 13–24

Manuscripta Hispanica

Ms. Hisp. Fol. 1–10, 12–18, 20, 21, 23–37

Ms. Hisp. Qu. 1–78

Ms. Hisp. Oct. 1–3

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Manuscripta Italica

Ms. Ital. Fol. 48, 49, 51–57, 134, 135, 137–139, 142–151, 153–158, 162–169, 171, 173, 174

Ms. Ital. Qu. 1–25, 27–78, 80–86

Ms. Ital. Oct. 1–15

Manuscripta Latina

Ms. Lat. Qu. 1, 23, 24, 94, 104, 150, 191, 257, 263, 266, 282, 322, 404, 452, 505, 506, 545, 550, 573, 584, 590, 667, 673, 676, 678–680, 687, 700, 701, 771, 795, 888, 915, 922, 927, 931, 939

Ms. Lat. Oct. 51, 102, 188, 198, 216, 238, 262, 264, 371, 373, 385, 395

Manuscripta Lusitana

Ms. Lus. Fol. 1, 3

Ms. Lus. Qu. 1

Manuscripta Orientalia (arabische, armenische, chinesische, indiansche, syrische Manuskripte)

Ms. Landberg 1010

Details

Seiten
376
Erscheinungsjahr
2018
ISBN (PDF)
9783631777831
ISBN (ePUB)
9783631777848
ISBN (MOBI)
9783631777855
ISBN (Hardcover)
9783631765814
DOI
10.3726/b15066
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2019 (September)
Schlagworte
Berlinka Sammlung Krakau Bestand Erschließung Edition Zweiter Weltkrieg
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2018. 374 S., 16 farb. Abb., 13 s/w Abb.

Biographische Angaben

Monika Jaglarz (Band-Herausgeber:in) Katarzyna Jaśtal (Band-Herausgeber:in)

Monika Jaglarz ist Historikerin und Bibliothekarin und spezialisiert auf die Handschriftenkunde. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin und später Leiterin der Handschriftenabteilung in der Jagiellonen Bibliothek war sie eine der Kuratorinnen der Berliner Bestände. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen die Edition handschriftlicher Quellen und die Erschließung neuzeitlicher Handschriften. Katarzyna Jaśtal ist Germanistin und Associate Professor am Institut für Germanistik der Jagiellonen-Universität Krakau. Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte liegen in den Bereichen: österreichische und deutsche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts, Wissensdiskurse in der Literatur, Sammeln als Kulturpraxis sowie Briefkultur des 19. Jahrhunderts.

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Titel: Bestände der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin in der Jagiellonen-Bibliothek