Lade Inhalt...

Die völkerrechtliche Situation in den Republiken der Föderationskreise „Nordkaukasus“ und „Südrussland“ im russischen Teil der Nordkaukasus-Region

von Falk Hartmann (Autor:in)
©2021 Dissertation 406 Seiten

Zusammenfassung

Der Nordkaukasus war in den vergangenen Jahren immer wieder im Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Insbesondere die militärischen Auseinandersetzungen zwischen der Russischen Föderation und Tschetschenien sowie der Konflikt um Abchasien und Südossetien prägten die jüngere Historie. Die Arbeit beschäftigt sich mit der politischen und völkerrechtlichen Situation in den Republiken des russischen Teils des Nordkaukasus. Schwerpunkte liegen dabei auf der (völkerrechtlichen) Bewertung der Tschetschenien-Kriege sowie der Darstellung der Reichweite und Grenzen des Selbstbestimmungsrechts in den einzelnen russischen Nordkaukasus-Republiken.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Gliederung
  • Abkürzungsverzeichnis
  • Teil 1
  • A. Einleitung
  • B. Der föderative Aufbau der RF
  • I. Föderale Asymmetrie
  • 1. Grundsätzlicher Aufbau der RF
  • 2. Strukturen der asymmetrischen Aufteilung
  • 1. Historische Voraussetzungen des föderalen Aufbaus
  • II. Die Bundesexekution gegenüber den Regionen und das Verhältnis der einzelnen Verwaltungseinheiten untereinander
  • 1. Stellung der Föderationssubjekte im Verhältnis zur RF
  • 2. Der Föderationsrat und seine Funktion im politischen System der RF
  • 3. Merkmale der Eigenständigkeit der Föderationssubjekte
  • 4. Zunehmende Zentralisierung
  • C. Geographische Lage und Kartographie
  • D. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
  • I. Entstehungsgeschichte und Inhalt
  • 1. Allgemeines
  • 2. Historie
  • 3. Inhalt des Selbstbestimmungsrechts
  • a. Allgemeines
  • b. Forderung nach Unabhängigkeit
  • c. Forderung nach Regierungsbeteiligung
  • d. Recht auf Sezession
  • e. Zulässigkeit einer Gebietssezession
  • f. Staatenfusion
  • g. Recht auf Widerstand gegen Vernichtung und Vertreibung
  • h. Recht auf Existenz eines Volkes
  • i. Minderheitenschutz
  • 2. Systematik des Selbstbestimmungsrechts
  • a. Äußeres (externes) Selbstbestimmungsrecht
  • aa. Abgrenzung des offensiven vom defensiven Selbstbestimmungsrecht
  • (1) Offensives Selbstbestimmungsrecht
  • (2) Defensives Selbstbestimmungsrecht
  • (3) Abgrenzung und Konflikt zwischen offensivem und defensivem Selbstbestimmungsrecht
  • bb. Positives und negatives Selbstbestimmungsrecht
  • cc. Wirtschaftliches Selbstbestimmungsrecht
  • b. Inneres Selbstbestimmungsrecht
  • 3. Träger des Selbstbestimmungsrechts
  • a. Der Begriff des „Volkes“ im Sinne des Selbstbestimmungsrechts
  • b. Subsumtion unter den Begriff des „Volkes“
  • I. Der grundsätzliche Disput zwischen dem Sezessionsrecht als Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der staatlichen Integrität
  • II. Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch sämtliche im russischen Nordkaukasus ansässigen Völker
  • 1. Die Krimkrise und ihre Auswirkungen auf die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts innerhalb der RF
  • a. Die zugrunde liegende Situation auf der Krim unter Berücksichtigung der historischen Zugehörigkeit zu Russland
  • b. Rechtmäßige Ausübung des Selbstbestimmungsrechts durch die Krimrussen?
  • 2. Die Option der Provokation eines Referendums zu Lasten Russlands im russischen Nordkaukasus
  • E. Der Minderheitenschutz im Völkerrecht
  • I. Allgemeine Aspekte
  • II. Begrifflichkeit der Minderheit
  • 1. Grundsätzliche Ansatzpunkte
  • 2. Objektive Komponenten
  • a. Individuelle Merkmale
  • b. Generelle Merkmale
  • aa. Zahlen- und machtmäßige Unterlegenheit
  • bb. Staatsangehörigkeit des Wohnsitzstaates
  • cc. Stabilität
  • dd. Akte mit territorialem Bezug
  • 3. Subjektive Komponenten
  • a. Zugehörigkeitsgefühl
  • b. Solidaritätsgefühl
  • 4. Einzelne Ausprägungen des Minderheitenschutzes
  • 5. Abgrenzung zum Selbstbestimmungsrecht der Völker
  • III. Generelle Wahrung des Minderheitenschutzes im russischen Nordkaukasus
  • 1. Generelle Wahrung des Minderheitenschutzes in der Gegenwart
  • 2. Berücksichtigung des Minderheitenschutzes in der Vergangenheit
  • F. Das Recht auf die Heimat und das Vertreibungsverbot
  • I. Definition
  • II. Träger und Inhalt des Rechts auf die Heimat
  • III. Abgrenzung zu anderen Völkerrechtsinstituten
  • 1. Das Recht auf die Heimat und das Selbstbestimmungsrecht der Völker
  • 2. Das Recht auf die Heimat und Minderheitenschutz
  • 3. Deportation und Vertreibung
  • IV. Die Geltendmachung des Rechts auf die Heimat durch die folgende Generation
  • V. Die Vertreibungen einzelner Kaukasusvölker in der Sowjetzeit unter Josef Stalin
  • 1. Würdigung der Vertreibungen unter dem Aspekt des völkerrechtlichen Vertreibungsverbots
  • 2. Entschädigungsansprüche der Vertriebenen
  • G. Die Rolle des Islam und sein möglicher Einfluss auf die Konflikte
  • I. Theologisches Fundament des Islam
  • 1. Entstehung des islamischen Glaubens
  • 2. Religiöse Identität und Fundamentalismus
  • II. Der Islam in Russland und im Nordkaukasus
  • III. Religionsgeschichte im Nordkaukasus
  • 1. Islam in Tschetschenien im Kontext der Tschetschenienkriege und des „Dschihad“
  • 2. „Wahhabiten“ im Kaukasus
  • IV. Die Entwicklung der Politisierung des Islam
  • Teil 2 Republiken des Föderationskreises „Nordkaukasus“
  • A. Republik Tschetschenien
  • I. Die Republik und seine Bewohner
  • 1. Geschichte, Kultur, Wirtschaft und Bevölkerung
  • 2. Religion
  • II. Die historische Aufarbeitung des Konfliktes mit Russland vor dem Hintergrund der Entwicklung und der Geschichte des tschetschenischen Volkes
  • 1. Tschetschenien und seine Rolle in Kaukasuskrieg von 1817 bis 1864
  • 2. Die Oktoberrevolution von 1917 und ihre Auswirkungen auf das tschetschenische Volk
  • 3. Die Rolle der Tschetschenen im Zweiten Weltkrieg und Stalins Abstrafung durch Deportation
  • 4. Die Begnadigung und die Rückkehr des tschetschenischen Volkes
  • III. Der Erste Tschetschenienkrieg (1994–1996) und seine Vorgeschichte
  • 1. Die tschetschenische Politik unter Dudajew und die direkte Konfrontation mit Russland
  • 2. Die Unabhängigkeitserklärung Tschetscheniens und Jelzins Gegenmaßnahmen
  • 3. Politischer Widerstand gegen Dudajew innerhalb Tschetscheniens
  • 4. Die politische Haltung in Moskau gegenüber der Lage in Tschetschenien und das Scheitern der Verhandlungen
  • IV. Der Verlauf des Ersten Tschetschenienkrieges (1994–1996)
  • 1. Der Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien im Dezember 1994
  • 2. Überblick über die entscheidenden Kriegsereignisse
  • V. Drei Jahre des offiziellen Friedens und das erneute Aufflammen der kriegerischen Auseinandersetzungen
  • VI. Der Verlauf des Zweiten Tschetschenienkrieges (1999–2002)
  • VII. Die Erklärung über das offizielle Ende des Tschetschenienkonfliktes im Jahre 2009
  • VIII. Tschetschenien unter Präsident Ramsan Kadyrow
  • 1. Politische Strukturen
  • a. Der Weg der Kadyrows in die tschetschenische Politik
  • b. Die Übernahme der politischen Ämter durch Ramsan Kadyrow und sein Streben nach Stabilität in der Region
  • 2. Außendarstellung Tschetscheniens unter Ramsan Kadyrow
  • IX. Völkerrechtliche Würdigung der Ereignisse in Tschetschenien
  • 1. Tschetscheniens Unabhängigkeitsbestrebungen im Gegensatz zur territorialen Integrität Russlands. Ist eine Sezession Tschetscheniens völkerrechtlich zulässig?
  • 2. Zulässigkeit der tschetschenischen Abspaltung unter Berücksichtigung der Situation in Russland
  • a. Existenz einer vertraglichen Regelung zum Sezessionsrecht
  • b. Zugeständnisse von Jelzin
  • 3. Die Voraussetzungen zur Ableitung eines Notrechts auf Sezession aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker unter Berücksichtigung der konkreten Situation in Tschetschenien
  • a. Zusammenfassung der Voraussetzungen
  • b. Konkrete Anwendung auf den Fall „Tschetschenien“
  • aa. Untergang des Selbstbestimmungsrechts in Tschetschenien?
  • bb. Erstarkung des Selbstbestimmungsrechts zum Sezessionsrecht durch Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht?
  • cc. Wirksame Sezession Tschetscheniens durch Anerkennung von Drittstaaten?
  • 4. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der russischen Militärintervention in Tschetschenien im Ersten Tschetschenienkrieg 1994 besonders unter dem Gesichtspunkt eines möglichen Verstoßes gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot
  • 5. Überprüfung der Rechtmäßigkeit der russischen Militärintervention in Tschetschenien im Zweiten Tschetschenienkrieg 1999
  • a. Der Friedensvertrag zwischen Russland und Tschetschenien 1997
  • b. Russland und der „Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ – Selbstverteidigung gegen Terroranschläge im Lichte des Völkerrechts
  • X. Menschenrechtliche und völkerstrafrechtliche Würdigung sowie Aspekte des humanitären Völkerrechts als Schranken der russischen Intervention
  • 1. Aktuelle Lage
  • 2. Einbeziehung und Verletzung humanitärer Völkerrechtsnormen
  • 3. Menschenrechte und ihre Verletzung in den Tschetschenienkriegen
  • a. Zur Anwendbarkeit und der Konkurrenz zum humanitären Völkerrecht
  • b. Russland vor dem EGMR
  • c. Zur individuellen Verantwortlichkeit einzelner Personen nach dem Völkerstrafrecht
  • XI. Pflichten und Möglichkeiten der internationalen Staatengemeinschaft zur Intervention aufgrund der Menschenrechtsverletzungen
  • 1. Internationale Organisationen und ihre Handlungsmöglichkeiten
  • 2. Einzelne Staaten und ihre Optionen
  • a. Grundsätzliche Befugnisse der Staaten
  • b. Interventionspflicht der Gemeinschaft
  • XII. Der russische Standpunkt zum Tschetschenienkonflikt unter Berücksichtigung des sowjetischen Völkerrechtsverständnisses und des „Tschetschenien-Urteils“
  • 1. Das Verständnis von Völkerrecht, Souveränität und Selbstbestimmung zu Zeiten der Sowjetunion
  • 2. Das „Tschetschenien-Urteil“ des Verfassungsgerichts der RF
  • a. Urteilstenor des Verfassungsgerichts
  • b. Sondervotum des Verfassungsrichters Viktor Lucin
  • c. Bewertung der Entscheidung
  • XIII. Fazit zur völkerrechtlichen Bewertung der Ereignisse in Tschetschenien
  • B. Das Kaukasus-Emirat
  • I. Die „Tschetschenische Republik Itschkeria“
  • II. Das Kaukasus-Emirat als Nachfolger der Republik Itschkeria
  • 1. Entstehungsgeschichte des Emirats
  • 2. Proklamation des Emirats
  • 3. Doku Umarow als „Emir des Nordkaukasus“
  • 4. Ideologische Ausrichtung des Emirats und ein erneuter Interessenkonflikt zwischen Nationalisten und Islamisten
  • III. Verbindung mit dem internationalen „Dschihad“ und die daraus resultierende Gefahr für die internationale Staatengemeinschaft
  • IV. Kann das Emirat unter völkerrechtlichen Gesichtspunkten rechtmäßig anerkannt werden?
  • C. Republik Dagestan
  • I. Land, Einwohner und ihre Geschichte
  • 1. Die Republik und ihre ethnische Vielfalt
  • 2. Ethnien in Dagestan
  • a. Allgemeines
  • aa. Die Nogaier
  • bb. Die Lesginen
  • cc. Die Kumyken
  • dd. Die Laken
  • b. Spannungen zwischen den Ethnien
  • 3. Das ethnische Konkordanzmodell, das Rotationsprinzip bei der Wahl des Staatsratsvorsitzenden und das Scheitern des Modells
  • 4. Islam in Dagestan und seine Besonderheiten
  • 5. Dagestan und seine Historie
  • a. Entwicklung von der Frühzeit bis zur Oktoberrevolution 1917
  • b. Dagestan in der Sowjetzeit und in der RF
  • 6. Doku Umarow und sein Einfluss in Dagestan
  • 7. Auswirkungen der bewaffneten Auseinandersetzungen in der Nachbarrepublik Tschetschenien auf Dagestan
  • a. Die Ausdehnung des Zweiten Tschetschenienkriegs (1999–2002) auf Dagestan
  • b. Dagestan als eigener Kriegsschauplatz und Moskaus Einschätzung der Lage
  • II. Völkerrechtliche Würdigung der gegenwärtigen Situation
  • 1. Sezession
  • a. Sezessionstendenzen innerhalb Dagestans
  • b. Zulässigkeit einer Sezession Dagestans von der RF
  • 2. Gewährleistung des Minderheitenschutzes in Dagestan unter dem Aspekt der Konflikte zwischen den einzelnen Ethnien
  • D. Republik Inguschetien (Inguschien)
  • I. Land, Einwohner und Historie
  • 1. Die Republik und ihre Bevölkerung
  • 2. Die Geschichte der Inguscheten (Inguschen)
  • 3. Innenpolitische Entwicklung
  • II. Rechtliche Würdigung der innerrussischen Konflikte
  • 1. Konflikte mit den Republiken Tschetschenien und Nordossetien
  • a. Spannungen mit Tschetschenien
  • b. Bewaffnete Auseinandersetzungen mit Nordossetien bis zum Ende der Sowjetunion unter besonderer Berücksichtigung der Deportation des inguschetischen Volkes
  • aa. Politische Entwicklung
  • bb. Rechtliche Betrachtung
  • c. Bewaffnete Auseinandersetzungen mit Nordossetien nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion
  • aa. Politische Entwicklung
  • bb. Rechtliche Würdigung
  • 2. Sezessionsbestrebungen hinsichtlich eines Austritts aus der RF
  • 3. Wahrung des völkerrechtlichen Minderheitenschutzes im Hinblick auf die in Inguschetien lebenden Tschetschenen
  • E. Republik Karatschai-Tscherkessien (Karatschajewo-Tscherkessien)
  • I. Land, Einwohner, Geschichte und Wirtschaft
  • 1. Region und Bevölkerung
  • 2. Geschichte der Region und der Republik
  • 3. Das Volk der Karatschaier und ihre jüngere Vergangenheit
  • 4. Das Volk der Tscherkessen im Gebiet der heutigen Republik
  • a. Geschichte
  • b. Politische Würdigung
  • II. Völkerrechtliche Würdigung der gegenwärtigen Situation
  • 1. Der innenpolitische Konflikt zwischen Karatschaiern und Tscherkessen unter Berücksichtigung der jeweiligen Sichtweise der beiden Völker auf den Konflikt und deren rechtliche Beurteilung
  • a. Allgemein
  • b. Politische und rechtliche Würdigung
  • 2. Autonomiebestrebungen der Republik hinsichtlich ihres Status in der RF – „Zwei-Völker-Staat“ als Instrument der Stabilisierung für die Republik
  • a. Allgemein
  • b. Politische Würdigung
  • F. Republik Kabardino-Balkarien
  • I. Land, Einwohner, Geschichte und Wirtschaft
  • 1. Region, Bevölkerung und ihre Religion
  • 2. Geschichte der Republik
  • 3. Das Volk der Kabardiner
  • 4. Die Balkaren und ihr Streben nach einer eigenen Republik
  • II. Politische Würdigung der gegenwärtigen Situation
  • 1. Die Spannungen zwischen Kabardinern und Balkaren innerhalb ihrer Republik unter dem Gesichtspunkt der politischen Mitbestimmung
  • 2. Autonomiebestrebungen der Kabardiner und Balkaren hinsichtlich ihres Status in der RF
  • III. Rechtliche Würdigung
  • 1. Selbstbestimmungsrecht und Sezession
  • 2. Entschädigungsansprüche der Balkaren aufgrund ihrer Deportation
  • G. Republik Nordossetien-Alanien
  • I. Land, Einwohner, Geschichte und Wirtschaft
  • 1. Historische Entwicklung der Republik
  • 2. Traditionen der Osseten
  • 3. Prägende Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit
  • II. Politische und völkerrechtliche Würdigung der gegenwärtigen Situation
  • H. Region Stawropol
  • I. Land, Einwohner und Wirtschaft
  • II. Rechtliche Stellung Stawropols innerhalb der RF
  • Teil 3 Der Krieg in Georgien und sein Einfluss auf den russischen Teil des Nordkaukasus
  • I. Geschichte Georgiens und das angespannte Verhältnis zu Russland
  • 1. Historische Entwicklung Georgiens
  • 2. Das Verhältnis von Georgien und Russland
  • II. Der jüngste Konflikt mit Russland in der Chronologie
  • 1. Phase kurz vor der Eskalation
  • 2. Die letzten drei Tage vor Kriegsbeginn (5. bis 8. August 2008)
  • 3. Militärische Konfrontation zwischen Russland und Georgien (8. bis 12. August 2008)
  • 4. Internationale Konsequenzen des Konfliktes und Lösungsversuche
  • III. Völkerrechtliche Bewertung des russischen Vorgehens
  • 1. Russlands Eingreifen in den Konflikt zwischen Nordossetien und Georgien
  • a. Sichtweisen der Konfliktparteien Georgien und Russland
  • b. Der Kaukasuskrieg von 2008 vor dem IGH
  • c. Klärung der Schuldfrage im Kaukasuskrieg nach der UN-Charta unter Berücksichtigung des EU-Gutachtens vom September 2009
  • 2. Anerkennung von Abchasien und Südossetien
  • Teil 4 Republiken des Föderationskreises „Südrussland“
  • A. Republik Adygeja
  • I. Land, Einwohner und Wirtschaft
  • II. Politische und rechtliche Würdigung der gegenwärtigen Situation
  • B. Region Krasnodar
  • I. Land, Einwohner, Geschichte und Wirtschaft
  • 1. Die Region
  • 2. Die Geschichte der Kosaken im Kaukasus
  • II. Politische Lage in der Region
  • 1. Administration
  • 2. Die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi – Präsident Putins Lieblingsprojekt
  • III. Bewertung der rechtlichen Stellung Krasnodars innerhalb der RF
  • C. Republik Kalmückien (Chalmg Tangtsch)
  • I. Land, Einwohner und Wirtschaft
  • II. Geschichte und Tradition der Kalmücken
  • 1. Kalmückien im Zarenreich
  • 2. Die Kalmücken nach der Revolution von 1917 und in der Sowjetzeit
  • 3. Die Zeit zwischen dem Ende der SU 1991 und der Machtübernahme durch Kirsan Iljumschinow im Jahr 1993
  • 4. Kalmückien unter Präsident Kirsan Iljumschinow ab April 1993
  • III. Gesellschaft und Religion
  • IV. Politische Würdigung der gegenwärtigen Situation
  • Teil 5 Gesamtfazit
  • Literaturverzeichnis
  • Internetquellen (Internetquellen haben, soweit nicht anders gekennzeichnet, den Stand 31.12.2018)

←18 | 19→

Abkürzungsverzeichnis

Abs.

Absatz

Art.

Artikel

ASSR

Autonome Sozialistische Sowjetrepublik

AVR

Archiv des Völkerrechts

AWR-Bulletin

Association for the Study of the World Refugee Problem (Vierteljahresschrift für Flüchtlingsfragen)

BDGV

Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht

BFVG

Bundesvertriebenengesetz

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BIOst

Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien

BpB

Bundeszentrale für politische Bildung

BRD

Bundesrepublik Deutschland

BYIL

British Yearbook of International Law (Britisches Jahrbuch für internationales Recht)

ca.

circa

CES

Center for Eastern Studies (Zentrum für Oststudien)

CRS

Congressional Research Service (vergleichbar mit dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages)

Doc.

Dokument

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

etc.

et cetera (und die übrigen Dinge)

ETH

Eidgenössische Technische Hochschule

EU

Europäische Union

EuGRZ

Europäische Grundrechte-Zeitschrift

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FIDE

Fédération Internationale des Échecs (Internationaler Schachverband)

FKKS

Forschungsschwerpunkt Konflikt- und Kooperationsstrukturen in Osteuropa an der Universität Mannheim

Fn.

Fußnote←19 | 20→

FSB

Federalnaja sluschba besopasnosti (Inlandsgeheimdienst der Russischen Föderation)

GA Res.

General Assembly Resolutions (Resolution der UN-Generalversammlung)

GASSR

Autonome Sowjetische Gebirgsrepublik

GG

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

GRU

Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation)

GUS

Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

HLKO

Haager Landkriegsordnung

Hrsg.

Herausgeber

ICJ

International Court of Justice (Internationaler Gerichtshof)

IFLA

International Federation of Library Associations (Internationaler Verband der bibliothekarischen Vereine und Institutionen)

IGH

Internationaler Gerichtshof

IIFFMCG

Independent International Fact-Finding Mission on the Conflict in Georgia (Unabhängige Untersuchungskommission für den Georgien-Konflikt)

ILC

International Law Commission (Völkerrechtskommission)

ILM

International Legal Materials

IOC

Internationales Olympisches Komitee

IPbpR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

IPbürgR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

IPwskR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

IS

Islamischer Staat

ISN

International Relations and Security Network (Informationsdienst für internationale Beziehungen und Sicherheitspolitik)

KAS

Konrad-Adenauer-Stiftung

KGB

Komitet gossudarstwennoi besopasnosti pri Sowjete Ministrow SSSR (Komitee für Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR)

KSZE

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

lit.

littera (Buchstabe)

LMU

Ludwig-Maximilians-Universität München

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

Mio.

Millionen

n. Chr.

nach Christus←20 | 21→

NATO

North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikpakt-Organisation)

Nr.

Nummer

NZZ

Neue Züricher Zeitung

OAU

Organisation of African Unity (Organisation für Afrikanische Einheit)

OMON

Otrjad Mobilny Osobogo Nasnatschenija (Mobile Einheit besonderer Bestimmung)

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

para.

Paragraph (Paragraf)

qkm

Quadratkilometer

Res.

Resolution

Rev.

revised (erweitert)

RF

Russische Föderation

RGBl.

Reichsgesetzblatt

Rn.

Randnummer

RSFSR

Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik

RussVerf

Russische Verfassung

S.

Seite

SFSR

Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik

SSR

Sozialistische Sowjetrepublik

SSSR

Sojus Sowjetskich Sozialistitscheskich Respublik (Sowjetunion)

SIPRI

Stockholm International Peace Research Institute (Stockholmer internationales Friedensforschungsinstitut)

sog.

sogenannte

SU

Sowjetunion

Sub.

Subtitle (Untertitel/Unterdokument)

SWP

Stiftung Wissenschaft und Politik

TschIR

Tschetscheno-Inguschetische Republik

UdSSR

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken

u. a.

unter anderem

UN

United Nations (Vereinte Nationen)

UNO

United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen)

USA

United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika)

v. Chr.

vor Christus

Vgl.

Vergleiche

Vol.

Volume (Jahrgang)

vs.

versus (gegen)←21 | 22→

WVRK

Wiener Vertragsrechtskonvention

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

Ziff.

Ziffer

ZP

Zusatzprotokoll

←22 | 23→

Teil 1

A. Einleitung

Der Nordkaukasus stellt in den letzten Jahren eine der konfliktreichsten Regionen der Welt dar. Immer wieder füllen sich die internationalen Pressemitteilungen mit Meldungen über Terroranschläge, Überfälle auf russische Militärposten oder Einsätze von russischen Spezialeinheiten, die Jagd auf kaukasische Untergrundkämpfer machen. Der russische Teil des Kaukasus-Gebirges grenzt zudem an Georgien und seine abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien, wo im August 2008 der bislang letzte Krieg im Kaukasus stattfand. Zuvor geriet die Gebirgsregion, in der 2014 (in Sotschi/Region Krasnodar) die Olympischen Winterspiele stattfanden, durch die beiden Tschetschenienkriege sowie die Proklamation eines unabhängigen islamischen Gottesstaates, dem sog. „Kaukasus-Emirat“, in die Schlagzeilen.

Ursprünglich waren sämtliche Republiken, Regionen und Oblaste des Nordkaukasus innerhalb der Russischen Föderation (RF) im Föderationskreis „Südrussland“ zusammengefasst. Am 19. Dezember 2010 erließ der damalige Präsident und heutige Ministerpräsident (auch Premierminister genannt) der RF Dimitri Medwedew einen Präsidialerlass, der die Bildung des Föderationskreises „Nordkaukasus“ und damit die Ausgliederung von sieben Verwaltungseinheiten (sechs Republiken und eine Region) aus dem Föderationskreis „Südrussland“ vorsah. Dem Föderationskreis „Nordkaukaus“ gehören folgende Verwaltungseinheiten an: Republik Dagestan, Republik Inguschetien, Republik Kabardino-Balkarien, Republik Karatschai-Tscherkessien, Republik Nordossetien-Alanien, Republik Tschetschenien sowie die Region Stawropol.

Der Verwaltungshauptsitz des Föderationskreises Nordkaukasus liegt in der Stadt Pjatigorsk in der Region Stawropol. Nach der Gründung des neuen Föderationskreises wurde Alexander Chloponin zum Generalgouverneur1 und gleichzeitig zum Vize-Ministerpräsidenten der RF ernannt.

Der Föderationskreis „Nordkaukasus“ ist der achte Föderationskreis der RF. Obwohl er mit einer Größe von einem Prozent der Gesamtfläche der RF der kleinste föderale Kreis ist, genießt er in der politischen Aufmerksamkeit im ←23 | 24→Kreml einen hohen Stellenwert. Man ist sich in Moskau darüber bewusst, dass dieser Föderationskreis noch intensive Arbeit nach sich ziehen wird, um zu einer Lösung der zahlreichen Probleme zu gelangen.

Der Föderationskreis „Südrussland“ besteht seit der Ausgliederung der sechs Republiken und einer Region in verkleinertem Zustand fort. Folgende Verwaltungseinheiten gehören diesem noch an: Republik Adygeja, Republik Kalmückien, Region Krasnodar, Oblast Astrachan, Oblast Rostow am Don, Oblast Wolgograd. Der Hauptsitz der administrativen Verwaltung liegt im Oblast Rostow.

Diese Arbeit wird sich mit der historischen Entwicklung aller Republiken im Nordkaukasus beschäftigen, wobei dabei stets auf die Besonderheiten der vielen Völker eingegangen wird, die den Kaukasus besiedeln. Zudem soll der Faktor Religion und seine Auswirkungen auf das seit langem angespannte Verhältnis der islamischen Bergvölker zu Russland untersucht werden.

Das zentrale Thema der Arbeit stellt die Untersuchung der Frage dar, ob den Föderationsrepubliken ein Sezessionsrecht zusteht oder ob sie aus anderen Gründen zu einer Abspaltung von Russland legitimiert sind. Die völkerrechtliche Beurteilung der Lage in den Republiken der Föderationskreise „Nordkaukasus“ und „Südrussland“ wird eine Untersuchung des Selbstbestimmungsrechts der jeweiligen Bevölkerung beinhalten. Insbesondere wird zu prüfen sein, inwieweit oder ob überhaupt ein solches zu bejahen ist und, wenn dies der Fall sein sollte, ob dieses Selbstbestimmungsrecht den Völkern der Föderationskreise „Nordkaukasus“ und „Südrussland“ ein Recht auf Sezession von Russland einräumt.

Auf der anderen Seite muss die militärische Intervention Russlands in Tschetschenien unter dem Aspekt des Rechts der territorialen Integrität eines Staates gewürdigt und dabei geklärt werden, ob sich Russland aus völkerrechtlicher Sicht berechtigterweise den Sezessionsbestrebungen Tschetscheniens militärisch widersetzen durfte.

Zudem ist zu erörtern, wie die Haltung der russischen Regierung in Moskau hinsichtlich des völkerrechtlichen Status der anderen Föderationsrepubliken im Nordkaukasus zu beurteilen ist.

In jeder einzelnen Republik der Föderationskreise „Südrussland“ und „Nordkaukasus“ ist die Situation durch andere Umstände gekennzeichnet. Daher ist es notwendig, jede Region und jede Republik isoliert im Lichte des internationalen Rechts zu würdigen. Ein Schwerpunkt wird dabei sicherlich die Republik Tschetschenien sein, die in der jüngsten Vergangenheit Schauplatz zweier kriegerischer Auseinandersetzungen mit Russland war.

Ein weiterer Punkt dieser Arbeit wird das Verhältnis der zahlreichen Völker im Nordkaukasus untereinander sowie ihre Konflikte sein. Da im Nordkaukasus ←24 | 25→viele Ethnien zusammenleben und alle ihre eigenen Traditionen und Kulturen pflegen, sind Reibungspunkte vorprogrammiert. Zudem wurden Volksgruppen wie die Karatschaier und die Tscherkessen sowie die Kabardiner und Balkaren gegen ihren Willen in einer Republik zusammengefasst. Im Kaukasus haben im Laufe der Geschichte zahlreiche Kriege, Deportationen, Volkswanderungen oder sowjetische Willkür die Grenzziehungen mehrmals verändert, so dass Auseinandersetzungen um Siedlungsgebiete wie zwischen den Nordosseten und Inguscheten keine Seltenheit sind. In diesem Zusammenhang soll auch die fortschreitende Unterwanderung der kaukasischen Gesellschaft durch radikale Islamisten wie Doku Umarow untersucht werden. Der Rebellenführer aus Tschetschenien will einen unabhängigen Staat aller Muslime im Nordkaukasus verwirklichen und gründete im Oktober 2007 das international nicht anerkannte „Kaukasus-Emirat“, in dem das islamische Recht, die Scharia, gelten soll.

Schließlich soll die Haltung Russlands im Krieg mit Georgien dargestellt werden. Dabei muss auch auf die russische Anerkennung der abtrünnigen Republiken Südossetien und Abchasien eingegangen werden. Denn hier stellt sich ebenfalls die Frage, ob eine solche Anerkennung bzw. ob die Lossagung der beiden Republiken nach dem Völkerrecht zulässig ist. Gleichzeitig sollen die Auswirkungen dieser Anerkennung auf den Umgang Russlands mit den nach Unabhängigkeit strebenden Völkern innerhalb der RF geschildert werden.2

B. Der föderative Aufbau der RF

Russland ist ein Nachfolgestaat der Sowjetunion mit ca. 145 Millionen Einwohnern. Nach der Form seines Staatsaufbaus ist Russland eine Föderation. Ihr gehören 83 Staatsgebilde an, die Subjekte der Föderation heißen.3

Russland ist laut Verfassung ein demokratischer föderativer Rechtsstaat, der aus derzeit 83 Regionen (den eben erwähnten Föderationssubjekten) besteht.4 Von anderen föderalen Systemen unterscheidet sich die russische Konstellation durch eine ganze Reihe von Merkmalen: durch die große Zahl der Regionen, durch die Statusunterschiede zwischen ihnen, durch die sozioökonomischen Disproportionen, durch unklare Zuständigkeitsabgrenzungen zwischen den ←25 | 26→einzelnen Regionen und der Zentralregierung sowie durch das Fehlen einer regionsübergreifenden politischen Integration. Seit der Auflösung der Sowjetunion durch die „Alma-Ata-Deklaration“5 am 21. Dezember 1991 nahmen die örtlichen Ungleichheiten sowohl im Existenzniveau als auch bei den Pro-Kopf-Einnahmen und -Ausgaben zu. Darüber hinaus veränderten sich auch die territorialen Bruttosozialprodukte. Aufgrund der sozioökonomischen Heterogenität entwickelte sich zudem eine politische Differenzierung. Russlands föderales System stand und steht daher vor der diffizilen Herausforderung, die sozioökonomische ebenso wie die politische Einheit des Staates zu erhalten, ohne aber die Eigenständigkeit der einzelnen Regionen übermäßig zu beschränken.6

I. Föderale Asymmetrie7

1. Grundsätzlicher Aufbau der RF

Die Föderation besteht derzeit aus 83 Gebietseinheiten8 („Föderationssubjekte“), darunter sind 21 Republiken, 9 Kreise (Kraja), 46 Gebiete (Oblasti), zwei föderale Städte (Moskau und Sankt Petersburg), vier autonome Kreise und das autonome Jüdische Gebiet Birobidschan. Seit dem Jahr 2000 gibt es sieben föderale Bezirke, in denen jeweils mehrere Subjekte zusammengefasst sind. Im Jahr 2010 wurde zusätzlich der föderale Bezirk Nordkaukasus gebildet.9 Dazu kommen noch die Völkerrechtssubjekte „Krim“ und „Sewastopol“, deren Zugehörigkeit zur RF aber von der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt wird und die daher nicht zu den offiziellen Föderationssubjekten zählen.

Der Rechtsstatus der einzelnen Föderationssubjekte weist wie bereits angesprochen erhebliche Ungleichheiten auf10, die als „Asymmetrie“11 bezeichnet werden. Diese asymmetrische Form von Föderalismus zeichnet sich besonders durch die in der internationalen Staatenpraxis ungewöhnliche Kombination von ethnoföderalen (Republiken) und territorial-föderalen (Gebiete) Prinzipien aus.12 Dabei unterscheidet die Verfassung der RF in der Theorie sechs verschiedene Arten von „Föderationssubjekten“: Republiken, autonome Bezirke, autonome Gebiete, ←26 | 27→Gebiete (Oblaste), Bezirke und Städte von föderaler Bedeutung. Diese sechs Verwaltungsmodelle gehen auf drei Grundtypen zurück: national-staatliche Gebilde (Republiken, autonome Bezirke und das autonome Gebiet); territorial-staatliche Gebilde (Gebiete, Bezirke) und die Städte von föderaler Bedeutung (Moskau, St. Petersburg).13 Bei Republiken, autonomen Bezirken und dem autonomen Gebiet handelt es sich um Föderationssubjekte, in denen ein oder mehrere nicht-russische Völker, nach denen das Subjekt benannt ist (sog. Titularethnien), sprachlich-kulturelle Autonomie, de facto aber auch politische und wirtschaftliche Privilegien genießen. Von den 83 Subjekten sind 26 ethnisch definiert.14 In anderen Subjekten hingegen war die Sprache das ausschlaggebende Kriterium für die Aufteilung.15 Seit dem Jahr 2000 gibt es sieben föderale Bezirke, in denen jeweils mehrere Subjekte zusammengefasst sind.

Zwischen dem Autonomiestatus von nicht-russischen Völkern und der demographischen Situation in der Region besteht keine zwingende Abhängigkeit. Die Verwaltungseinheiten sind multi-ethnische Konstrukte, und nur in wenigen Ausnahmen stellt die Titularethnie tatsächlich die Mehrheit der Bevölkerung in dem Subjekt. Die Gebiete und die Bezirke sind demgegenüber ethnisch neutral und zumindest im Ansatz mit den Bundesländern in der Bundesrepublik Deutschland vergleichbar.16

2. Strukturen der asymmetrischen Aufteilung

Die Asymmetrie innerhalb des Föderalismus der RF17 ergibt sich zum einen aus den eben angesprochenen Statusunterschieden, zum anderen aber auch aus den unterschiedlichen exekutiven Vollmachten und Ungleichheiten in den regionalen politischen Regimen (parlamentarische und präsidentielle Systeme sowie unterschiedliche Verfassungs- und Wahlordnungen).18 Die russische Verfassung definiert alle Föderationssubjekte als „staatliche Gebilde“.19 Sie verfügen dabei über Elemente einer eigenen Verfassungsgebung, über (zumindest theoretische) Territorialhoheit und eine unabhängige Gesetzgebung. Ferner sind sie auf der föderalen Ebene gleichberechtigt repräsentiert und in ihrer Rechtshoheit an ←27 | 28→die Vorgaben der föderalen Verfassung der RF gebunden.20 Obwohl die Föderationsverträge von 199221 zunächst Unterschiede hinsichtlich des Autonomiestatus vorsahen22, beinhaltete die Verfassung vom Dezember 1993 entgegen der Föderationsverträge von 1992 nunmehr eine Gleichstellung der Föderationssubjekte. Die Verfassung behandelte die Republiken also nicht mehr als „souveräne“ Staaten und betrachtete darüber hinaus die Grundzüge staatlicher Machtausübung in den Regionen als „Gemeinschaftsaufgabe“. Zu den gemeinsamen Aufgaben der Föderation und der Regionen zählen die Gewährleistung übereinstimmender (nicht identischer) Rechtsordnungen in der Föderation und in den Regionen, der Menschenrechtsschutz, die Nutzung der Naturressourcen, die Aufteilung des Staatseigentums, Bildungspolitik, Familienpolitik, Gesundheitspolitik, Steuergrundsätze, Personalfragen im Polizei- und Gerichtswesen, die Festlegung von Verwaltungsgrundsätzen und die Koordination von Außen- und Wirtschaftspolitik.23

Die verfassungsmäßig gesetzten Grenzen föderaler Asymmetrie werden allerdings hinsichtlich der Gesetzgebung der Regionen, insbesondere in den von nicht-russischen Völkern dominierten Republiken, sehr häufig nicht eingehalten. Faktisch enthalten fast alle Verfassungen der Republiken Bestimmungen, die der Verfassung der RF widersprechen.24 Ganz besonders fällt dabei die Verfassung Tschetscheniens auf. So geht man dort von einer Eigenstaatlichkeit der Republik Tschetschenien aus. Die Mehrheit der Republiken hält sich hinsichtlich der Bestimmung des Status allerdings an den Rahmen der föderalen Verfassung. Dabei erlauben einige Verfassungen jedoch (unzulässige) Änderungen des territorialen Status durch Referendum und reklamieren damit für sich ein Sezessionsrecht. Ein Teil der Republiken erklärt sogar nicht nur die Souveränität des eigenen Volkes, sondern beansprucht die volle staatliche Souveränität.25

Es kann bereits an dieser Stelle festgehalten werden, dass sich in zahlreichen Republiksverfassungen Widersprüche zur Föderationsverfassung finden, die zwangsläufig zu Spannungen führen müssen. Problematisch erweisen sich dabei vor allem diejenigen Republiksverfassungen, die von dem Prinzip „Landesrecht bricht Bundesrecht“ ausgehen. Zudem geht ein Teil der Identifikation ←28 | 29→mit der Föderation auch dadurch verloren, dass sämtliche Republiksverfassungen eine eigene Staatsbürgerschaft für die Einwohner der jeweiligen Republik konstruieren.26

1. Historische Voraussetzungen des föderalen Aufbaus

Der Föderalismus wurzelt in der misslungenen Nationalstaatsbildung des Zarenreiches.27 Der russische Nationalismus war zwar dominant, besonders seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, konnte die nicht-russischen Völker jedoch weder verdrängen noch zwangsassimilieren.28 Einige der nicht-russischen Völker gehören seit 600 bis 800 Jahren zu Russland, andere, z. B. die nordkaukasischen Völker, erst seit etwa 150 Jahren. Nicht-russische Völker wie jene im Kaukasus oder in Sibirien kamen im Zuge der Expansion des Zarenreiches unter russische Herrschaft, andere Völker wie etwa die Armenier, Ukrainer oder Balten gehören zu Diasporagruppen mit einem externen Heimatland.29 Der Sowjetföderalismus wurde eingeführt, um die nicht-russischen Völker für die Bolschewiki zu gewinnen.30 Die Vielfalt der Gruppen wurde in den 1920er bis 1950er Jahren in eine De-jure-Hierarchie ethnischer Gebietseinheiten übersetzt. Trotzdem war es unmöglich, eine auch nur annähernde Übereinstimmung zwischen objektiven Gruppenmerkmalen und dem politisch-administrativen Status zu erreichen. Für die Anerkennung als Volk, Nationalität oder nationale Minderheit und die Gewährung bestimmter Rechte erfüllten ethnische Gruppen mitnichten einheitliche Kriterien.31

Russland ist mit ungefähr 17032 verschiedenen ethnischen Gruppen recht vielfältig. Außer der nominell größten Gruppe der ethnischen Russen (ca. 80 Prozent der Bevölkerung) zählen vier weitere Gruppen jeweils mehr als eine Million Menschen: die Tataren (ca. 4 Prozent), Tschuwaschen (ca. 1,5 Prozent), Baschkiren (ca. 1,5 Prozent) und Tschetschenen (ca. 1 Prozent). Zu den kleinen Völkern gehören die indigenen Völker des hohen Nordens, Sibiriens und des Fernen Ostens.33 Offiziell sind 45 Gruppen registriert, die insgesamt keine ←29 | 30→300.000 Personen umfassen. Diese Gruppen sind in über 27 Regionen in der RF verstreut.34

Die Beherrschung der indigenen „Muttersprache“ nimmt unter den nicht-russischen Gruppen ab. Der Grad ethnischer Identifikation variiert in Abhängigkeit von der Dauer der Zugehörigkeit zu Russland, Traditionen des Widerstandes, traditionellen Feindbildern, der Erinnerung an den Terror unter Stalin, der Zusammensetzung der jeweiligen Region, dem Sprachgebrauch, der Religion, der vorsowjetischen Eigenstaatlichkeit, Vorstellungen von der eigenen Volksentwicklung, der politischen Agenda der nationalen Gruppe, der Größe der Diaspora und der Ressourcenausstattung der ethnischen Gebietseinheiten.

Der Verlauf der Grenzen innerhalb der Föderation blieb mit dem Ende der Sowjetunion im Jahre 1991 und der Neugründung Russlands zunächst überwiegend unverändert,35 allerdings mit Ausnahmen: Vier autonome Kreise wurden zu autonomen Republiken aufgewertet und eine Doppelautonomie (Tschetscheno-Inguschetien) in zwei Republiken geteilt.36

Beim letzten Zensus 2002 galten 41 der nicht-russischen Völker als Titularethnien, die selbstständig oder gemeinsam einer Gebietseinheit den Namen gaben.37

Die meisten Republiken und autonomen Kreise sind stark „russifiziert“.38 Republiken, in denen die Titularethnie oder mehrere Titularethnien die Mehrheit stellen, sind Tschetschenien (ca. 93,5 Prozent), Dagestan (ca. 95 Prozent), Inguschetien (ca. 77 Prozent), Tuva (ca. 77 Prozent), Tschuwaschien (ca. 68 Prozent), Kabardino-Balkarien (ca. 67 Prozent), Nordossetien-Alania (ca. 63 Prozent), Kalmykien (ca. 53 Prozent), Tatarstan (ca. 53 Prozent) und Karatschai-Tscherkessien (ca. 50 Prozent). In einigen ethnischen Gebieten ist der Anteil der nicht-russischen Völker sehr gering, zum Beispiel in Karelien mit neun Prozent Kareliern. Nur in zehn von 21 Republiken stellen die Titularethnien die Mehrheit, während dies für keinen der autonomen Kreise gilt.39

←30 | 31→

II. Die Bundesexekution gegenüber den Regionen und das Verhältnis der einzelnen Verwaltungseinheiten untereinander

Örtliche oder kommunale Selbstverwaltung ist für die einzelnen Regionen ein bedeutender Schritt zu mehr Demokratie.40 Jedoch unterscheidet sich wie so oft die Theorie erheblich von der tatsächlich gelebten Praxis.

So wird in den wichtigen Bereichen von Verfassungs- und Gesetzesfragen von dem eigentlichen Prinzip der Selbstverwaltung der Regionen abgewichen.41 Die Vertretungsorgane sind bisher nur in wenigen Städten/Republiken/Regionen von der Bevölkerung gewählt worden, auch die Leiter der örtlichen Verwaltungen werden meist ernannt und unterstehen der Exekutive. Der regionale Haushalt (besonders im Nordkaukasus) ist kein selbstständiges Budget, das langfristig finanziert ist, sondern wird hauptsächlich aus föderalen Steuern gespeist, deren Anteile ständig variieren und mit denen nur quartalsweise geplant werden kann. Schließlich verfügen die Organe der örtlichen Selbstverwaltung in der Regel über kein Eigentum, dieses verbleibt faktisch beim Staat.42

1. Stellung der Föderationssubjekte im Verhältnis zur RF

Wie bereits kurz angesprochen, hat sich infolge der diffizilen Entwicklung des Föderalsystems43 in Russland eine Vielzahl von Widersprüchen zwischen der regionalen und föderalen Verfassungs- und Gesetzgebung aufgetan, zu deren Überwindung es keinen politischen Mechanismus gibt. Es gilt der Grundsatz, dass bei Widersprüchen föderales Recht gliedstaatliches Recht bricht.44 Ausgangspunkt für den Widerstreit präsidentieller und regionaler Interessen wurde zunächst das Amt des Präsidentenvertreters in den Regionen, welches 1991 eingeführt worden war.45 Der jeweilige Präsidentenvertreter sollte dem Präsidenten gegenüber direkt verantwortlich sein, was u. a. die Kontrolle der Beachtung föderaler Gesetze und der Tätigkeit föderaler Organe, die Inspektion regionaler ←31 | 32→Exekutiven und Legislativen und das Ausarbeiten von Vorschlägen für die jeweilige Regionalpolitik umfasste.46

Obwohl die Präsidentenvertreter nicht mit exekutiven Machtmitteln ausgestattet waren, die ihnen die gegebenenfalls erforderliche Erzwingung der Durchsetzung föderaler Gesetze und Dekrete ermöglicht hätte, stieß der Versuch, die Präsidentenvertreter zu Verwaltungsvorstehern für alle föderalen Institutionen zu ernennen, in den einzelnen Regionen auf erheblichen Widerspruch.47

Moskau kann sich abgesehen von den Präsidentenvertretern auch der regionalen Abteilungen föderaler Behörden bedienen, um auf die Politik vor Ort Einfluss zu nehmen. Zu diesen Abteilungen gehören die regionalen Organe des Geheimdienstes FSB, der Polizei, der Staatsanwaltschaft, der Steuerfahndung, des Anti-Monopolkomitees und des Staatskomitees für Eigentum, welche alle formal den föderalen Ministerien unterstehen.48 Die einzige dieser föderalen Institutionen, die tatsächlich als unabhängig von regionaler Einflussnahme angesehen werden kann, ist das FSB. Seit Mai 2000 versucht der Präsident der RF Wladimir Putin die „Bundesexekution“ gegenüber den Regionen zu stärken, indem er die weitgehend machtlosen Präsidentenvertreter in den einzelnen Regionen durch Präsidentenvertreter in den Großregionen, die den Militärbezirken entsprechen, ersetzte. Diese sollten die Fachaufsicht über die regionalen Bundesbehörden übernehmen und gegenüber den Regionalexekutiven wahrnehmen.49 Ferner konnten die Präsidentenvertreter Gouverneure in den Regionen im Falle des Verstoßes gegen Bundesrecht absetzen sowie Regionalparlamente auflösen, falls diese verfassungswidrige Gesetze verabschiedeten.50 Auch waren die Gouverneure beziehungsweise Republikpräsidenten nicht mehr direkt im Föderationsrat, auf dessen Funktion gleich noch näher eingegangen wird, vertreten, sondern entsandten lediglich Stellvertreter.51

Dies ging Putin jedoch noch nicht weit genug. Daher schaffte er 2004 die Direktwahl der Gouverneure bzw. der Republikpräsidenten in den Regionen ab und schuf sich selbst das Recht, diesen zu bestimmen. Auf Putins weitere Reformen wird gleich noch weiter eingegangen.

←32 | 33→

Es bleibt festzuhalten, dass die Regionen innerhalb der RF hauptsächlich von Moskau aus regiert werden. Zwar wird den Republiken und Regionen ein gewisses Maß an Selbstverwaltung zuteil, welches sich aber in der politischen Praxis meist auf unwichtigere Bereiche bezieht.

2. Der Föderationsrat und seine Funktion im politischen System der RF

Im Föderationsrat, der zweiten Kammer des Parlaments, sind die Regionen mit je zwei Mitgliedern vertreten – je einem Vertreter der Exekutive und Legislative.52 Der Föderationsrat ist das einzige staatliche Organ auf der zentralen Ebene, das die Interessen der Regionen vertritt.53

Die Amtszeit im Föderationsrat entspricht jeweils der Legislaturperiode der regionalen Exekutive bzw. Legislative. Der Föderationsrat wirkt bei der Gesetzgebung mit.54 Zu seinen Zuständigkeiten gehören die Grenzziehung zwischen den Regionen, die Bestätigung eines Dekrets über den Kriegs- bzw. den Ausnahmezustand, Auslandseinsätze der Streitkräfte, die Amtsenthebung des Präsidenten, die Ernennung von Richtern des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichts und des Obersten Arbitragegerichts und die Ernennung bzw. Entlassung des Generalstaatsanwalts. Im Föderationsrat müssen Gesetze zum Bundeshaushalt, zu den Bundessteuern und -abgaben, zu Finanz-, Währungs-, Kredit- und Zollangelegenheiten sowie zur Geldemission, ferner die Ratifizierung und Kündigung völkerrechtlicher Verträge, Fragen der Staatsgrenze und von Krieg und Frieden behandelt werden.55

Details

Seiten
406
Erscheinungsjahr
2021
ISBN (PDF)
9783631856857
ISBN (ePUB)
9783631856864
ISBN (MOBI)
9783631856871
ISBN (Hardcover)
9783631837139
DOI
10.3726/b18513
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Juni)
Schlagworte
Völkerrecht Selbstbestimmungsrecht Minderheitenschutz Voraussetzungen Sezessionsrecht Territoriale Integrität
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2021. 406 S.

Biographische Angaben

Falk Hartmann (Autor:in)

Falk Hartmann studierte Rechtswissenschaften an der Philipps-Universität Marburg sowie an der University of Adelaide/Australien. Er ist nun als Rechtsanwalt tätig.

Zurück

Titel: Die völkerrechtliche Situation in den Republiken der Föderationskreise „Nordkaukasus“ und „Südrussland“ im russischen Teil der Nordkaukasus-Region