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Mehrsprachigkeit und transkulturelle Praxis in deutschen Auslandsschulen

Lehrplanpolitik, Einstellungen und Potenziale

von Robson Carapeto-Conceição (Autor:in)
©2022 Dissertation 280 Seiten

Zusammenfassung

Jugendliche mit unterschiedlichen sprachlichen und kulturellen Hintergründen besuchen fünf deutsche Schulen in Brasilien, Rumänien und Venezuela. Der Band untersucht die Durchlässigkeit dieser Begegnungsflächen. Die kritische Analyse institutioneller Diskurse bringt sprachliche Einstellungen ans Licht, während Schülerinnen und Schüler Briefe wechseln und unabhängige Zwischenräume aufbauen. Inwieweit vereinbaren sich politisch-pädagogische Leitsätze für den binationalen Dialog mit dem organischen Identitätsaustausch und der Entwicklung von interkultureller und mehrsprachiger Kompetenz? Die ausgetauschten Texte ermöglichen die Beobachtung des Annäherungsprozesses sowie die Verhandlung und Neuausarbeitung von Zeichen, die die Begegnungssprache Deutsch durchlässiger und hybrider machen.

Inhaltsverzeichnis

  • Cover
  • Titel
  • Copyright
  • Autorenangaben
  • Über das Buch
  • Zitierfähigkeit des eBooks
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1. Einleitung
  • 2. Im Spannungsfeld zwischen normativen Ideologien und einem Ideal des demokratischen Managements der Mehrsprachigkeit: Widersprüche im Unterricht von Deutsch als Zusatzsprache
  • 3. Bildungspolitik und mehrsprachiger Spracherwerb
  • 4. Vom interkulturellen Kontakt hin zum transkulturellen Identitäts- und Sprachenaustausch
  • 4.1. Das sprachliche Zeichen im Aufbau des transkulturellen Interaktionsraums
  • 4.2. Auswirkungen der Deregulierung auf das Lehren und Lernen von L2
  • 5. Mehrsprachigkeit und Transkulturalität im pädagogisch-institutionellen Diskurs von Begegnungsschulen
  • 5.1. Vorstellung der an der Studie beteiligten Institutionen
  • 5.1.1. Zentralstelle für das deutsche Auslandsschulwesen
  • 5.1.2. Schule BR
  • 5.1.3. Schule VE
  • 5.1.4. Schule RO
  • 5.1.5. Schule RP
  • 5.1.6. Schule RQ
  • 5.2. Forschungsmethodik
  • 5.2.1. Zusammensetzung des Korpus
  • 5.2.2. Kritische Diskursanalyse unter Einbeziehung des ethnographischen Ansatzes
  • 5.3. Kritische Analyse des pädagogisch-institutionellen Diskurses
  • 5.3.1. Schule BR
  • 5.3.1.1. Selbstdefinition (Deutsche Begegnungsschule)
  • 5.3.1.2. Zweisprachigkeit in der Lehrplanstruktur
  • 5.3.1.3. Begriffskonstruktionen der kulturellen Begegnung
  • 5.3.1.4. Sprachideologie und Sprachpolitik
  • 5.3.1.5. Deutschsprachige Fächer
  • 5.3.2. Schule VE
  • 5.3.2.1. Schulpolitik, bikulturelle Identität und Zugehörigkeit
  • 5.3.2.2. Ziele der formalen Erziehung und Beitrag der bilingualen Bildung
  • 5.3.2.3. Interkulturalität und Zweisprachigkeit
  • 5.3.2.4. Der Raum der Identitätsbildung
  • 5.3.2.5. Globalisierende Ausrichtung und Neudefinition von Grenzen
  • 5.3.3. Schulen RO, RP und RQ
  • 5.3.3.1. Selbstdefinitionen und Leitlinien
  • 5.3.3.2. Interkulturalität und Bilingualismus
  • 5.3.3.3. Normen, Maßstäbe und Einstellungen zur Sprachkompetenz
  • 5.3.3.4. Die didaktisch-lehrplanmäßige Umsetzung der staatlichen und institutionellen Politik für Mehrsprachigkeit
  • 5.3.4. Fazit
  • 6. Kommunikative Praxis in der Begegnungssprache
  • 6.1. Der Briefwechsel in der Begegnungssprache Deutsch
  • 6.2. Vorstudie mit Kontrollgruppe
  • 6.3. Methodologische Beschreibung
  • 6.4. Analyse der kommunikativen Praxis in der Begegnungssprache
  • 6.4.1. Ausdruck von Ethnizität im interkulturellen Kontakt über die Begegnungssprache
  • 6.4.2. Einstellungen gegenüber Deutschland, der Germanophonie und Deutsch als Begegnungssprache
  • 6.4.3. Fremdwörter, Entlehnungen und Neologismen im Wortschatz der Begegnungssprache
  • 6.4.4. Textgenre, -struktur und -kohäsion in der Begegnungssprache
  • 6.4.5. Die Intersubjektivität bei der Bearbeitung interkultureller Aspekte und die Erweiterung des Wortschatzes der Begegnungssprache
  • 6.4.6. Der mehrsprachige Impetus und die Hybridisierung der Begegnungssprache
  • 6.4.7. Interkulturelle und kommunikative Kompetenz in der Begegnungssprache
  • 6.4.8. Zugehörigkeitsverhältnisse, hybride Identitäten und Einstellungen zu Mehrsprachigkeit in der Begegnungssprache
  • 6.5. Praktiken, Experimente und didaktisch-methodische Möglichkeiten
  • 7. Neudefinition der Begegnungssprache und die Liminalität der sprachlich-ideologischen Grenzen
  • 7.1. Die Geopolitik der Begegnungssprache
  • 7.2. Auswirkungen der sprachlichen Bildung gegen Epistemizid
  • 7.3. Durabilität, Permeabilität und Liminalität der linguistisch-ideologischen Grenzen
  • 8. Schlussbetrachtungen
  • Literatur
  • Reihenübersicht

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1. Einleitung

Als „universell“ oder „global“ wird unter anderem die faschistisch-nationalistische Ideologie bezeichnet, die gegenwärtig unter dem Gewicht des Gewissens leidet. Über einige Massenangriffe an öffentlichen Orten in Westeuropa und den Vereinigten Staaten wird weltweit berichtet und sie fördern eine „globale“ Trauer, die „globaler“ zu sein scheint, als wenn es um ähnliche Angriffe in Afrika oder Lateinamerika geht. Den tragischen Vorfall im Pariser Bataclan-Club im November 2015 verübten Anhänger einer Gruppe, deren Prinzipien sie für „universell“ halten. Dabei tolerieren sie nichts, was ihnen das Gefühl geben könnte, in ihrer vermeintlichen Universalität bedroht zu sein. Das ausschließende „Globale“ oder „Universelle“ hat offensichtlich klare Grenzen, welche durch die dominanten Diskurse festgelegt und trivialisiert werden, um die Gesamtheit der Vorstellungen auf unkritische Weise zu erfassen und schließlich als Axiom akzeptiert zu werden.

Wenn man Sprache als eine Sammlung, ein Medium und einen Träger kultureller Werte und Inhalte einer bestimmten Gruppe bedenkt, dann wird es vordringlich, das Bestehen von „globalen Sprachen“ und die Anwendung dieses Begriffs zur Bezeichnung einer schwerwiegenden internationalen Sprache infrage zu stellen. Pennycook (1994: 13) weist auf eine Reihe von kulturellen und politischen Auswirkungen hin, die sich aus der Verbreitung des Englischen als universelle Kommunikationssprache ergeben:

a) seine weit verbreitete Verwendung bedroht andere Sprachen;

b) sie ist in vielen Ländern zur Macht- und Prestigesprache geworden und wirkt somit als Torwächter des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts;

c) seine Verwendung in bestimmten Bereichen, insbesondere im beruflichen Umfeld, kann unterschiedliche Machtverhältnisse verschärfen und diese Bereiche für viele Menschen unzugänglicher machen;

d) seine Stellung in der Welt verleiht ihm auch eine Rolle als internationaler Torwächter, der den internationalen Personenstrom reguliert;

e) es ist eng mit nationalen und zunehmend nicht-nationalen Ausprägungen von Kultur und Wissen verbunden, die in der Welt vorherrschen;

f) und diese Auswirkungen hängen auch mit Aspekten der globalen Beziehungen zusammen, wie der Ausbreitung des Kapitalismus, der Entwicklungshilfe und insbesondere der Dominanz der US-amerikanischen Medien.

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Wenn sich eine bestimmte „globale“ Sprache als einzig verfügbare, per Definition ideologisch neutrale Code- oder Standardalternative, für die Interaktion zwischen verschiedenen L1-Sprechern durchsetzt, wird der für Prozesse und die Praxis von Sprachkontakten in unzähligen Arten und Kombinationen grundsätzlich freie Interaktionsraum stark eingeschränkt. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man in einem engeren Raum die Festlegung einer Nationalsprache erwägt, die die vielfältige Kultur eines Landes repräsentieren soll, in dem in Wirklichkeit Gemeinschaften von Sprechern anderer Sprachen zu Hause sind. Als lebendige Manifestation der Kulturen zielen die Anerkennung, Wertschätzung und Erhaltung der sprachlichen Vielfalt darauf ab, einen Spielraum für Interaktion, kulturellen Austausch und ein Netzwerk mit mehr Anknüpfungspunkten für externe Kontakte zu schaffen. Durch diese Bindungen und diese verflochtenen Handlungskanäle vollzieht sich ein Verkehrsstrom kultureller Unterschiede, der dazu beiträgt, Menschen zusammenzubringen. Politische Maßnahmen, die den Unterricht in indigenen Sprachen oder Minderheitensprachen in den nationalen Schullehrplänen einschließen, wie dies in Paraguay und Bolivien geschieht, werden jedoch von Sprechern der dominanten Sprache und Verfechtern ihrer „Universalität“ innerhalb der jeweiligen Gesellschaft oft als populistisch und unnötig angesehen. Anstatt hybride Verwendungen und kulturspezifische Sprachpraktiken zu bekämpfen, sollte man die Eröffnung von Wegen für den kulturellen Verkehr als eine wertvolle Aufgabe für die Gegenwart und die Zukunft betrachten (Welsch 2010).

In der Position sowohl als Wissenschaftler als auch als bilinguale Lehrkraft mit Erfahrung in privaten binationalen Schuleinrichtungen ist es mir ein wichtiges Anliegen, Grenzen zu überwinden und eine Kultur der Lernautonomie zu stärken. Gleichzeitig sehe ich mich gezwungen, die Rolle des Torwächters, des Vertreters und Förderers der Sprache und Kultur eines bestimmten Landes zu spielen, der die Kriterien umsetzt und die Fähigkeiten – d.h. den Erwerb des symbolischen Kapitals – kontrolliert, die junge zweisprachige Menschen benötigen, um in privilegierte Kreise aufgenommen zu werden.

Selbst wenn autochthone Sprachen und Minderheitensprachen Identitäten ausmachen, wird der Bilingualismus in der Regel nur hochgeschätzt, wenn Englisch bzw. Sprachen der politischen und wirtschaftlich starken europäischen Mächte daran beteiligt sind. Der interkulturelle Sinn für Zweisprachigkeit, für Begegnung und Austausch wird damit systematisch korrumpiert und instrumentalisiert. So gehen zweisprachige Schulcurricula, binationale sprachenpolitische Vereinbarungen und Dekrete, die Sprachen als Royalties behandeln, von einer verfehlten Konzeption aus. Sie basieren vor allem auf ←10 | 11→neoliberalen, imperialistischen und „globalisierenden“ Werten und Zielen, in denen kein Platz für regionale, indigene, Heritage- und Gebärdensprachen ist, die das kulturelle Geflecht eines Landes bilden. De facto versteht sich der Lernende selbst als abwesend oder marginal in Bezug auf die zu lehrenden/zu lernenden Sprachgemeinschaften. In seiner Vorstellung nimmt die Zielkultur den Kern dieses Systems ein, in welchem auch immer weit entfernten und gut abgegrenzten Gebiet sich der Muttersprachler befindet, der ein Ideal unerreichbarer Perfektion verkörpert und über Gestalt und Bedeutung der Sprache die Macht hat.

Mit dem Erlernen einer zweiten Sprache wird eine Öffnung für neue Impulse, Weltbilder, Identitätsbezüge und Anhaltspunkte für das Selbst- und Fremdverstehen vorausgesetzt. Inwieweit aber bewirkt der Unterricht einer zusätzlichen Sprache tatsächlich das Aufbrechen nationaler, kultureller und identitätsstiftender Beschränkungen bei der Bildung eines kritischen und toleranten Bürgers? Oder würde es sich um die Schaffung zusätzlicher Vorbehalte – binational, bikulturell und bi-identitär – handeln, die weiterhin eine oder zwei Kulturen begünstigen und die anderen von der interkulturellen Debatte ausschließen würden?

Die transkulturelle Kommunikation taucht in dieser Studie als konkreter Vorschlag für eine mehrsprachige Erziehung auf. Daher besteht ihr Hauptziel darin, den Prozess der Identitätsbildung innerhalb eines pädagogischen Projekts zu untersuchen, das vor dem Dilemma steht, den Dialog zwischen einer fremden Kultur und der Kultur seiner Umgebung zu fördern und gleichzeitig den Anforderungen einer Welt gerecht zu werden, in der Pluralität und Hybridität nicht mehr an den Rand gedrängt werden dürfen.

Nach der heute üblichen Bezeichnung wird der Sprachenerwerb nach dem Kontext, in dem man lernt, in zwei Kategorien definiert, worauf Lehransätze und Lehrerausbildung grundsätzlich basieren. „Zweitsprache“ bezeichnet die Kompetenz, die man sich im Zusammenleben mit einer Gesellschaft angeeignet hat, deren Mitglieder als „Muttersprachler“ einer Standardvarietät der Zielsprache anerkannt sind. „Fremdsprache“ wäre im Gegensatz diejenige, die nicht in den Ländern gelernt wird, in denen sie Amtssprache ist – ein Merkmal, das von vornherein auch dem „Fremd“-Sprecher zugeschrieben wird. Angesichts der Widersprüche, die diese Kategorisierung aufdeckt und damit man die Diskussion z.B. auf das Erlernen von Minderheiten-, Indigenen- und Grenzsprachen ausdehnen kann, wird in dieser Studie der Begriff „Zusatzsprache“ und die Abkürzung L2 im Gegensatz zu „Erstsprache“ oder L1 bevorzugt, um alle Sprachen zu bezeichnen, die man nach der frühen Kindheit bzw. außerhalb der Familie erworben hat oder die vom Benutzer so definiert werden.

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Da das Erlernen einer „fremden“ Sprache, so Rajagopalan (2003: 67), zudem oft durch den Wunsch motiviert ist, kulturelle Horizonte zu erweitern und einen besseren Lebensstandard zu verschaffen, indem man mit etwas in Kontakt kommt, das von vornherein als besser verstanden und empfunden wird als das, was bereits vorliegt, ergibt sich das Bild einer L2, die korrekter und reicher ist als die L1 des zweisprachigen Individuums. Ferner besteht in der L2, die dem idealisierten und vorbildlichen Muttersprachler gehört, die potentialisierte Tendenz zur Entfremdung des Lernenden. Daher wäre es widersprüchlich, als Fremdsprache und Fremdsprachenlerner Elemente zu behandeln, die von grundlegender Bedeutung bei der Bildung einer „Begegnungs“-Gemeinschaft sind, wie sich einige der in den folgenden Kapiteln analysierten bikulturellen Schulen definieren.

Auch wenn sich der Sprachunterricht in den letzten Jahrzehnten in Richtung eines kommunikationsorientierten Ansatzes für den interkulturellen Austausch bewegt hat, ist er für Castellotti und Moore (2002: 16) nach wie vor von „strikter Trennung“ oder „gegenseitiger Ignoranz“ gekennzeichnet, die durch eine geringe interdisziplinäre Durchlässigkeit verstärkt wird. An der Schwelle des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts manifestieren sich diese traditionellen Kategorien noch immer im Vorstellungsbild und in den intersubjektiven Verhältnissen zwischen „Muttersprachlern“ und „Fremdsprachigen“. Bei vielen Ansätzen sind die Sprache und die Herkunftskultur der Lernenden in der Regel unsichtbar und gelten als eine große, scheinbar homogene Masse ohne jedes Identitätsmerkmal. Konsequenterweise kann man sagen, dass selbst L2-Lernende zur Idealisierung eines individualitätslosen Muttersprachlers geführt werden, welcher repräsentativ und getreu die Sprache wiedergibt, die in den Lehrbüchern und audiovisuellen Ergänzungsmaterialien vermittelt wird. Dabei wird beobachtet, dass der brasilianische Lernende beim Erlernen einer L2 seine Kultur derjenigen der Sprachen unterordnet, die er lernt, anstatt sich mit seiner eigenen Identität auseinanderzusetzen und den gleichberechtigten Dialog zwischen den beiden Kulturen zu suchen (Leffa 1999).

Die Sprachen, in denen sich ein Individuum auf seinem Lebensweg betätigt, wirken an der Gestaltung seiner sprachlichen Identität mit und kooperieren bei der Kommunikation mit anderen Individuen. Dies geschieht, wenn er sowohl seine Erstsprache als auch Zusatzsprachen verwendet. Ebenso erweisen sich soziale und sprachliche Einstellungen als intersubjektive Phänomene. Sie werden durch das Auftreten eines „Anderen“ erworben und interpretiert, der in einem kommunikativen Ereignis vom Gesprächspartner repräsentiert wird.

Aus ethnographischer Perspektive soll die vorliegende Studie Anregungen für umsetzbare Formate pädagogischer Routinen geben, die interkulturelle ←12 | 13→Handlungen über die primären Grenzen der deutschen Sprache hinaus umfassen und deren Gebrauch als eine Begegnungssprache, d.h. zwischen Lernenden unterschiedlicher sprachlich-kultureller Herkunft, priorisieren (Carapeto-Conceição 2011, 2018b). Darum ist es sinnvoll, darüber nachzudenken, welche Sprachformen, -praktiken und -gebräuche zu dem gehören, was Bildungsinstitutionen als „Deutsch“ bezeichnen, was internationale Regierungsstellen, die sich mit Sprachförderung befassen, berücksichtigen und welche Ideologie sich hinter dem Attribut „als Fremdsprache“ verbirgt. Ausgehend davon werden die Ausprägungen interkultureller Prozesse in Schulen, deren L2 Deutsch ist, analysiert und mit ihrem sprachenpolitischen Vorhaben konfrontiert. Die erhobenen Daten liefern Beispiele für diese Verhältnisse in Südamerika (Brasilien und Venezuela) und im Kontext der Europäischen Union (Rumänien).

Das Ziel der Curriculumspolitik für eine zweisprachige Schulbildung in deutscher Sprache muss aktualisiert werden, um dem transkulturellen und mehrsprachigen Handeln bei der Entwicklung der kommunikativen Kompetenz Vorrang einzuräumen, so meine These. Diese Praxis prägt die Austauschbeziehungen und ist in der Interaktion zwischen Lernenden unterschiedlicher Herkunft latent vorhanden (cf. Kapitel 6).

Die Analyse der Briefwechsel zwischen jungen Deutschlernenden vermittelt Hinweise auf den Prozess der Identitätsfindung dieser Gesprächspartner. Laut Moita Lopes (2003: 19) „stammt jeder Diskurs von jemandem, der seine spezifischen Identitätsmerkmale besitzt, welche ihn im gesellschaftlichen Leben verorten und ihn im Diskurs auf eine einzigartige Weise positionieren, sowie seine Gesprächspartner“1 (Moita Lopes 2003: 19). In dieser Hinsicht wird durch die Analyse des Diskurses unter den Partnern (alter) und über die Partner (alius) des interkulturellen Kontakts beobachtet, auf welchen Ebenen oder Stufen das „Du“ (alter) sich als „Wir“ zu erkennen beginnt und wo die Kultur der Zielsprache und die Projektion des ‚muttersprachlichen‘ Deutschsprachigen im Bezug auf den Interaktionsraum positioniert sind. Konkret stellen sich die Fragen, ob die Forschungsteilnehmenden, deren schriftlicher Ausdruck in Deutsch als Begegnungssprache unser Untersuchungsgegenstand ist, während des Briefwechsels (a) sensibilisiert wurden, den Bedarf an Definition und Kontextualisierung interkultureller Elemente einzuschätzen, und (b) befähigt wurden, kulturreiche „dichte Beschreibung“ (Geertz 1973) und effektive Dialoge mit ←13 | 14→Gesprächspartnern anderer ethnolinguistischer Herkunft zu führen. Eine weitere zu prüfende Frage ist, ob die Intentionalität eines solchen Verhaltens bei Individuen, die über diese Kompetenz verfügen sollen, allein durch eine Untersuchung ihrer sprachlichen Entscheidungen festgestellt werden kann.

Die Analysen und Ergebnisse werden nach der Diskussion der wichtigsten Aspekte und Begrifflichkeiten des theoretischen Hintergrunds vorgestellt. Daraufhin werden die Daten im Lichte der gewählten Methodik interpretiert, infolgedessen einige Konzepte bestätigt oder neu definiert werden.


1 Übersetzung des Verfassers. Im Original: „todo discurso provém de alguém que tem suas marcas identitárias específicas que o localizam na vida social e que o posicionam no discurso de um modo singular assim como seus interlocutores“.

Details

Seiten
280
Jahr
2022
ISBN (PDF)
9783631865415
ISBN (ePUB)
9783631865422
ISBN (Hardcover)
9783631821633
DOI
10.3726/b18900
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2021 (Dezember)
Schlagworte
Bilinguale Schulen Fremdsprachenerwerb DaF Schreibkompentenz Code Switching Third Space Sprachpolitik Briefaustausch Spracheinstellung
Erschienen
Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Warszawa, Wien, 2022. 280 S., 7 S/W-Abb., 5 Tab.

Biographische Angaben

Robson Carapeto-Conceição (Autor:in)

Robson Carapeto-Conceição hat Germanistik und Romanistik an der Universidade Federal do Rio de Janeiro studiert und ist Lehrer für Deutsch, Portugiesisch und Spanisch. 2019 hat er im Cotutelle-Verfahren an der Universidade Federal Fluminense in Niterói und der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) promoviert. Seine Forschungsschwerpunkte sind Mehrsprachigkeit, Sprachbildung, Sprachkontakt, Pragmatik und Transkulturalität.

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