TY - JOUR AU - Dennis Niesel AU - Stefan Jelonnek AU - Nicolaus Wilder PY - 2025 CY - Berlin, Germany PB - Peter Lang Verlag JF - Pädagogische Rundschau IS - 3 VL - 79 SN - 2365-8142 TI - Gedankenexperimente als Methode pädagogischen Denkens – oder: Über die Notwendigkeit des Möglichen DO - 10.3726/PR032025.0032 UR - https://www.peterlang.com/document/1607610 N2 - Der Begriff des Gedankenexperimentes erscheint auf den ersten Blick irritierend, geradezu oxymoronisch. In ihm kommen zwei Vorgänge zusammen, die nach modernem Verständnis von Wissenschaft scheinbar im Widerspruch zueinanderstehen: eine geistig-isolierte Tätigkeit des Denkens einerseits und an der Wirklichkeit ausgerichtete Experimente andererseits. Während ersteres eher dem Bereich des Möglichen und Kreativen angehört und zunächst nichts über Faktizität auszusagen scheint, entspricht das Zweite par excellence einer wissenschaftlichen Vorstellung von Erfahrung, Forschungslogik und Überprüfbarkeit. Experimente sind nach dieser Vorstellung streng kontrollierte Versuchsaufbauten, mit denen bestimmte Aspekte der Wirklichkeit untersucht werden sollen, indem irrelevante Aspekte von der Untersuchung ausgeschlossen werden. Diese Methodisierung der Untersuchung ist ein Kernelement der Entstehung des modernen empirischen Wissenschaftsverständnisses. Mit Gedanken zu experimentieren, erscheint unter dieser Methodisierung zunächst wie ein Rückfall in vorurteilsbehaftete Subjektivität, zeichnet sich die Gegenwart doch gerade durch ein Ablösen des Denkens durch die Empirie aus1. Denn dem bloßen Denken fehlt vermeintlich, was Experimente auszeichnet: der Bezug zu einer Wirklichkeit, genauer: die Möglichkeit einer standardisierten und reproduzierbaren Überprüfbarkeit außerhalb des Subjekts. Betrachtet man hingegen die Geschichte der Naturwissenschaften zeigt sich, dass auch hier Gedankenexperimente ein zentraler Bestandteil der wissenschaftlichen Praxis waren und sind, z. B. bei Galileis Pendel oder der Einstein-Rosenberg-Brücke. Gerade dieses „Fehlen des Realen des Experiments“2 erfüllt dabei eine bestimmte erkenntniserweiternde Funktion, denn Gedankenexperimente „zu bestehen bedeutet, die eigenen Verständnisse aufs Spiel zu setzten“3. Durch das Vorstellen dessen, was nicht der Fall ist, wird das Verständnis dessen, was der Fall ist, reflektierbar. Dieses Kontrafaktische des Gedankenexperiments kann Möglichkeiten aufzeigen oder Notwendigkeiten vor Augen führen. Bedeutungen werden dabei deutlicher, veränderbar oder revidierbar. Ebenso wie in empirischen Experimenten wird dabei versucht, durch kontrollierte Variation zu begründeten Urteilen zu kommen4. Dennoch passen sich Gedankenexperimente nicht ein in das, was in einem gegenwärtig dominanten, aber empiristisch verkürzten Verständnis als wissenschaftlich gilt. Sie gehören dem Bereich des Fiktiven an, der häufig systematisch aus der Wissenschaft ausgeschlossen wird, da aus bloßem Denken keine validierbaren Aussagen oder Schlüsse über die Wirklichkeit abgeleitet werden können5. Das betrifft im Kern auch die Pädagogik mit ihrer doppelten realistischen Wendung von der Geisteswissenschaft zur Erziehungswissenschaft zur empirischen Bildungsforschung. KW - gedankenexperimente, methode, denkens, über, notwendigkeit, möglichen ER -